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«Wir sind nicht einfach nur ein Projekt»

Die NGO Aangan Trust sitzt sich dafür ein, dass die jüngsten, schutzlosesten Mitglieder der indischen Gesellschaft eine sichere Kindheit haben können – frei von Ausbeutung, gefährlicher Arbeit, Menschenhandel, Zwangsheirat und Gewalt.

Die LGT unterstützt die NGO Aangan Trust in ihrem Engagement für Indiens schutzloseste Kinder.

«Devi… ich hab deine Nummer von deiner Karte, die du meiner Mutter und mir gegeben hast – wir brauchen deine Hilfe!» So lautet die SMS, die Munni Devi, eine der Freiwilligen, die sich im indischen Lodipur für den Kinderschutz engagieren, eines Morgens erhält. Die Nachricht stammt von Jyoti Kumari, einem Mädchen aus dem Dorf, in dem Devi zuvor ihre Visitenkarten verteilt hatte. Sofort telefoniert Devi mit dem verängstigten Kind und erklärt ihm, wie es die Situation zu Hause, wo der Vater wieder einmal gewalttätig geworden ist, entschärfen kann. Auch danach bleibt Devi mit Jyoti in Kontakt, sie ruft sie regelmässig an und ermutigt sie, die lokalen Angebote und Treffen der Kinderschutz-NGO Aangan Trust wahrzunehmen. Ausserdem besucht sie mit ihrem Mann Jyotis Familie, um mit dem Vater zu reden. Ortsfremden Sozialarbeitern hätte der Vater wohl niemals die Tür geöffnet, aber da Devi und ihr Mann im Dorf bekannt sind, kann er ihnen ein Gespräch nicht verweigern.

In Indien sind 60 Millionen Heranwachsende obdachlos, Opfer von Menschenhandel, Kinderarbeit oder Misshandlung. 100’000 Kinder verschwinden jedes Jahr. 45 Prozent der Mädchen werden vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet. Und alle 30 Minuten wird ein Kind Opfer sexueller Gewalt. Leider verhindern Armut und auch ein mangelndes Bewusstsein in Teilen der Bevölkerung, dass sich diese Situation ändert. Deshalb setzt sich die NGO Aangan Trust dafür ein, dass die jüngsten, schutzlosesten Mitglieder der indischen Gesellschaft eine sichere Kindheit haben können – frei von Ausbeutung, gefährlicher Arbeit, Menschenhandel, Zwangsheirat und Gewalt. Zu diesem Zweck hat Aangan Trust zahlreiche Programme zur Vorsorge, beziehungsweise Betreuung von Kindern die Gewalt ausgesetzt waren, sowie Kinderrechtsgruppen ins Leben gerufen. Um den Teufelskreis der Benachteiligung wirksam zu durchbrechen, bezieht die Organisation alle Beteiligten und Zuständigen aus dem Umfeld der gefährdeten Kinder mit ein: die Familien, die Schulen, Heime, die örtliche Polizei, die Behörden und freiwillige Helfer aus dem Dorf oder dem Stadtteil.

Die Community stärken Entscheidend für den Erfolg von Aangan ist gerade das Engagement dieser Freiwilligen aus dem sozialen Umfeld der Community. Meist sind es Frauen, so wie Devi. Sie sind die Bindeglieder, welche die verschiedenen Bezugspersonen und Verantwortlichen im Leben eines Kindes zusammenbringen. Eben weil diese Frauen Teil der Community sind, kennen sie die spezifischen Proble-

me und Verletzlichkeiten der betroffenen Kinder genau. Chaitali Sheth, Geschäftsführerin von Aangan Trust, erklärt das so: «Damit diese Art von Arbeit Wirkung zeigen kann, und zwar nachhaltig, müssen die Communities wieder mehr Einfluss erhalten. Wir sind keine NGO, die von aussen kommt und den Leuten ihre Lösungsansätze aufdrückt. Die Community muss selbst merken, was ihren Kindern angetan wird, und dann von innen dagegenhalten.»

Die Notwendigkeit des Wandels: Digitalisierung und Expansion Aangan hat eine beeindruckende Erfolgsgeschichte, was auch darauf zurückzuführen ist, dass gefährdete Kinder und ihre Communities zuvor kaum Anlaufstellen hatten. Seit ihrer Gründung 2001 ist die Organisation landesweit stark gewachsen und konnte das Leben Hunderttausender schutzloser Kinder (allein in 2020 waren es 350’000) signifikant verbessern. Aangan mobilisierte letztes 4’633 Regierungsbeamte für den Kinderschutz, verglichen mit 272 in 2015. In 2019 arbeitete die Organisation mit 8’846 Freiwilligen zusammen, fünf Jahre zuvor waren es noch 309. Inzwischen ist Aangan in neun verschiedenen indischen Bundesstaaten aktiv – in insgesamt Hunderten von Hotspots, in denen Kinder besonders gefährdet sind.

Der Erfolg der NGO beruht unter anderem darauf, dass sie ihr Angebot digitalisiert hat. Dadurch ist es nicht nur in der Fläche zugänglich geworden, sondern auch sehr viel effizienter, wie der Austausch zwischen Munni Devi und Jyoti Kumari zeigt. So hat Aangan beispielsweise eine eigene Datenerhebungs-App entwickelt, über die lokale Echtzeit-Informationen gesammelt und analysiert werden, um Frauen im ganzen Land wirksame und ortsspezifische Kinderschutzmassnahmen an die Hand zu geben. Mit dieser App führen Freiwillige eine jährliche Tür-zuTür Befragung durch: In rund 300 Haushalten ihres Dorfes erheben sie Daten zum Besitz von Ausweispapieren und Bankkonten, zu Impfraten und zur Anzahl der Kinder, die arbeiten müssen, statt zur Schule zu gehen. Aangan anonymisiert und analysiert diese Daten und teilt sie über die App. Auf diese Weise können die vielen Freiwilligen nicht nur die Bedürfnisse in ihrem eigenen Dorf besser einschätzen, sondern auch den örtlichen Behörden Informationsgrundlagen liefern und Kollegen in anderen Gemeinden beispielhafte Massnahmen empfehlen. Freiwillige im ganzen Land können sich so über die Wirksamkeit verschiedener bereits erprobter Strategien informieren und entscheiden, ob sie diese in ihrer eigenen Community anwenden wollen.

Vision und ihre Umsetzung Die LGT Venture Philanthropy Foundation (LGT VP) hat Aangan Trust schon früh unterstützt. Tom Kagerer, Partner der Stiftung, erklärt die Entscheidung so: «Aangans Vision passt optimal zu unserer Mission, die Lebensqualität benachteiligter Menschen zu verbessern. Von Beginn an hatte die Organisation ein starkes Team und praktikable Lösungen für ein drängendes Problem. Lösungen, die je nach Situation angepasst und eingesetzt werden können.» Und so hat das Engagement von LGT VP zum beeindruckenden Erfolg von Aangan beigetragen. Seit 2009 nutzt die NGO die finanziellen Zuwendungen der LGT VP für den Ausbau ihrer Kapazitäten in den Bereichen Personal-, Finanz- und Programmmanagement. Zusätzlich ermöglicht die LGT VP aber auch Wissenstransfer: Sie bietet Aangan Zugang zu ihren lokalen Netzwerken, ein fortlaufendes Mentoring und Berufserfahrung für die Teilnehmer am LGT Impact Fellowship. Den Erfolg von Aangan Trust schreibt Chaitali Sheth deshalb unter anderem auch der Unterstützung durch die LGT VP zu. «Anders als viele andere Geldgeber setzt die LGT VP auf den nachhaltigen Aufbau von Institutionen und Strukturen. Wir sind nicht einfach nur ein Projekt für sie – sie teilen unsere Vision und realisieren sie mit uns.»

Die Dorfbewohner, meistens Frauen, übernehmen bei den Projekten von Aangan Trust die Leitung – so werden Probleme wie häusliche Gewalt direkt dort gelöst, wo sie entstehen.

Soforthilfe in Zeiten von Covid-19 Als Covid-19 die Lebensgrundlagen vieler Menschen zerstörte, verdoppelte die NGO ihr Bemühen. Durch die Schulschliessungen und die wirtschaftliche Notlage vieler Eltern waren Kinder noch stärker von häuslicher Gewalt, Isolation und Kinderarbeit bedroht. Als eine der effektivsten Massnahmen gegen häusliche Gewalt und Isolation erwies sich die Ausstattung von Frauen und Kindern mit Mobiltelefonen. Damit Aangan Trust hier Hilfe leisten konnte, sprang die LGT VP mit einer Notfinanzierung ein. Mit den bereitgestellten Mitteln beschaffte Aangan Handys, welche die Entwicklung digitaler Inhalte und Lehrpläne vorantrieben und die Datenerfassung verbesserten. Chaitali Sheth beobachtet: «Als die Behörden überfordert waren und versagten, haben diese Frauen sofort verschiedenste Akteure, offizielle Beamte und inoffizielle Interessensvertreter in ihrer Community mobilisiert, um die Lücke zu füllen.»

Jyoti Kumari ruft Munni Devi weiterhin wöchentlich an und informiert sie über ihr Leben und ihre Familiensituation. Jyotis Vater nimmt inzwischen an einem Workshop teil, den Devis Mann mit anderen Männern des Dorfes leitet: Dort werden Themen wie Männlichkeit und Familienbeziehungen diskutiert. auszudrücken, die seiner Familie nicht schadet. Munni Devi weiss zwar, dass der Schrecken der familiären Gewalt noch lange nicht beseitigt ist und dass viele Mädchen, wie zuvor Jyoti, heute darunter leiden. Aber Devi ist entschlossen mit ihrer Arbeit, jeden Tag einen Schritt in die richtige Richtung zu machen.

Auszeichnung für soziales Engagement

Seit 2014 vergibt die LGT Bank den LGT Award für soziales Engagement. Die Gewinnerorganisationen können mit dem Preisgeld in Höhe von 50 000 Franken Sozialprojekte in Liechtenstein und im Ausland ermöglichen. Für die fünfte Vergabe der alle zwei Jahre verliehenen Auszeichnung können sich Liechtensteiner Institutionen noch bis Ende Dezember 2021 bewerben. Nach dem Ablauf der Bewerbungsfrist werden die Unterlagen der Organisationen in einem strukturierten, mehrstufigen Auswahlprozess gesichtet und anhand von klar definierten Kriterien ausgewertet. Die Gewinner des LGT Award für soziales Engagement werden im Juni 2022 bekanntgegeben. Bisherige Gewinner waren beispielsweise der Liechtensteiner Behinderten-Verband, das Hilfswerk Namaskar India und die Hospizbewegung Liechtenstein.

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