6 minute read
Fragen an
Die Folgen des von Russland in der Ukraine geführten Krieges zeigen sich in der Wirtschaft immer deutlicher, auch im schweizerischliechtensteinischen Wirtschaftsraum. Wie schätzen Sie die Auswirkungen auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft ein?
Sascha Quaderer, FBP
Der Angriff Russlands auf die Ukraine wird meiner Meinung nach weitreichende Konsequenzen haben – und zwar für die gesamte freie Welt. Mit einem Schlag wird den Menschen wieder deutlich bewusst, dass Friede, Freiheit, Demokratie und Rechts¬staatlichkeit sehr verletzlich sind. Dass diese Werte nicht selbstverständlich sind. Dass sie nicht von allen Machthabern auf der Welt gerne gesehen werden. Dass wir sie nicht umsonst haben können. Und dass es sich für sie zu kämpfen lohnt.
Die Solidarität mit den Ukrainern macht mich stolz. Ich hoffe sehr, dass sie auch dann noch anhält, wenn wir die Folgekosten des Kriegs in unseren Portemonnaies zu spüren bekommen. In diesen Tagen ist jeder Europäer auch Ukrainer. Das gilt genauso für uns Liechtensteiner. Denn als Kleinststaat hätten wir einer aggressiven Expansionspolitik nichts entgegenzusetzen.
Unabhängig davon, wie lange dieser unsägliche Krieg noch andauert und wie er endet, führt er bereits jetzt zu einem Umdenken in vielen Bereichen: Die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Verkehr wird noch dringender; Energie soll in Zukunft nicht nur CO2-frei sein, sondern auch Diktator-frei; Lieferketten sollen robuster, nachhaltiger und regionaler werden; die Versorgungs¬sicherheit wird wichtiger; Notfallvorsorge wird wieder ein Thema; Aufrüstung und militärische Zusammenarbeit in Europa erleben ein unerwartetes Revival.
Thomas Zwiefelhofer, VU
Die sogenannte Globalisierung hat zu einer weltweit verknüpften Wirtschaft geführt, welche die Produktion und den Vertrieb von Gütern kostenmässig permanent optimiert hat. Seit Jahrzehnten haben wir dadurch von immer billigeren Konsum- und Industriegütern profitiert, leider oft auch zu Lasten von Menschenrechten und Umwelt. Die Pandemie hat diese weltweit optimierten Prozesse plötzlich massiv behindert, was zu Lieferschwierigkeiten und Preissteigerungen geführt hat. Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen sowie weiteren Schritte gegenüber Russland führen nun zusätzlich zu verteuerten Rohstoffpreisen, vor allem bei den fossilen Energieträgern und wichtigen Lebensmitteln wie Weizen. Die Folgen der Pandemie und des Ukrainekriegs werden die wirtschaftliche Weltordnung nachhaltig verändern.
Wir sollten diese Veränderungen auch als Chance sehen. Nicht nur beschleunigen sie den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern, was einerseits aus dem Blickwinkel des Klimaschutzes positiv ist, anderseits unsere politische Abhängigkeit von Ländern mit mehr als fragwürdigen Rechtssystemen mindert. Dass dies keine leichte Übung und auch nicht nullkommaplötzlich realisierbar sein wird, ist klar. Eine autonomere und grünere Energieversorgung wird aber viele positive Aspekte haben. Das Gleiche gilt für die Lebensmittelproduktion. Auch diesbezüglich verstärkt die neue ökonomische Realität den Trend zu regionalerer und hoffentlich auch nachhaltigerer Produktion mit weniger Monokultur und mehr Biodiversität. Eine weniger globalisierte Produktion von wichtigen Industrie- und Konsumgütern schliesslich wird auch neue Arbeitsplätze und mehr Innovation vor Ort schaffen. Alles in allem wird unser Leben durch alle diese Aspekte zwar sicher deutlich teurer werden, die Lebensqualität könnte dadurch aber gleichzeitig steigen, wenn es uns gelingt, das neue Preisniveau sozial abzufedern.
Patrick Risch, FL
Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat uns erneut unsere Abhängigkeit von Erdgas und Erdöl ins Bewusstsein gerufen. Fossile Energieträger stammen mehrheitlich aus Ländern, in denen die Menschenrechte missachtet werden und unser Demokratieverständnis verachtet wird. So stammt fast die Hälfte des in der Schweiz verbrauchten Erdgases aus Russland. Die Herkunft des hierzulande verbrauchten Gases lässt sich nicht so genau überprüfen, es wird wohl ähnlich sein. Mit dem Verbrauch von russischem Gas und Erdöl füllen wir Putins Kriegskasse und halten ihn und andere Despoten an der Macht. Ein vollständiges Handelsembargo gegen Russland wäre die konsequente Haltung, besonders für Europa aber auch ein sehr schmerzhafter und teurer Weg. Es ist zu hoffen, dass nun jedem klar wird, dass wir so schnell wie möglich weg von den fossilen Energieträgern kommen und endlich den vollen Fokus auf den Zubau erneuerbarer Energien legen müssen. Die Politik muss sich nun verstärkt der «working poor» annehmen. Diese Menschen mussten schon vor dem Krieg in der Ukraine jeden Rappen umdrehen. Wir stehen am Anfang einer Flüchtlingswelle. Viele Menschen aus der Ukraine werden bei uns Schutz suchen. Die Solidarität in Liechtenstein ist gross, und viele haben ihre Hilfe für die Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge schon angeboten. Der Landtag hat der Regierung mit der Überweisung der Petition der Freien Liste und Jungen Liste ein klares Zeichen gegeben. Die Politik muss nun alles tun, um diesen Menschen ein Heim zu bieten, bis der Krieg vorüber ist. Ein reiches Land wie Liechtenstein kann und soll alle Möglichkeiten ausschöpfen, Flüchtende aufzunehmen. Gleichzeitig dürfen wir die Augen aber nicht vor der Armut in Liechtenstein verschliessen. Es kann nicht sein, dass bei uns jemand zu 100 Prozent arbeiten geht, Mietbeihilfe und Krankenkassenprämienverbilligung bezieht und dennoch zu wenig zum Leben hat. Es braucht faire Löhne für alle.
Pio Schurti, DU
Nicht nur die Schweiz und Liechtenstein, die ganze Welt wird die Konsequenzen von Putins Eroberungskrieg zu spüren bekommen. Was genau die Auswirkungen sein werden, kann man noch nicht sagen. Wir wissen ja noch nicht, wie der Krieg verlaufen, wie lange er dauern wird.
Einzelne Firmen, die sich löblicherweise aus Russland zurückgezogen haben, können dort ihre Produkte nicht mehr absetzen und werden entsprechende Verluste hinnehmen müssen. Liechtenstein setzt die Sanktionen der EU und der Schweiz gegen die Oligarchen um. Was für Auswirkungen dies auf den Finanzplatz hat, kann ich nicht beurteilen. Es ist aber richtig und wichtig, dass Liechtenstein die Finanzverbindungen mit den Kriegstreibern in Russland kappt. Liechtenstein soll mit keinem Franken Putins Aggressionskrieg mitfinanzieren.
Benzin ist schon viel teurer geworden, vieles mehr, zum Beispiel alles, in dem ukrainisches Getreide steckt, vom Brot bis zum Bier, wird teurer werden. Den Preisanstieg werden wir in Liechtenstein wohl verkraften, schlimmer wird es für Menschen in ärmeren Ländern, die noch mehr von ukrainischem Getreide abhängig sind. In manchen Ländern werden jetzt schon Hungersnöte befürchtet.
Liechtenstein könnte den Gasimport aus Russland abstellen. Das würde Putin nicht sehr weh tun, Liechtenstein ist ein kleiner Abnehmer. Aber es würde ein Zeichen setzen.
Was die Gesellschaft betrifft, ist zu hoffen, dass der Krieg uns allen in der westlichen Welt bewusst macht, dass man für die Werte der freiheitlichen Demokratie einstehen muss. Dem Volk, das jetzt den höchsten Preis für dieses Einstehen für Freiheit und Demokratie bezahlt, den Ukrainern, gebührt grösstmögliche Solidarität und Unterstützung.
Erich Hasler, DPL
Sehr gravierend. Zunächst steht die menschliche Katastrophe im Vordergrund. Zehn Prozent der ukrainischen Bevölkerung oder knapp vier Millionen Personen sind schon geflüchtet. Und es können noch deutlich mehr werden, je länger der Krieg dauert. Das wird die europäischen Aufnahmeländer noch vor sehr grosse logistische und finanzielle Probleme stellen.
Zu alledem werden wir in der nahen Zukunft mit folgenden Szenarien zurechtkommen müssen: drohende Unterbrechung von Lieferketten, stark steigende Preise für Energie, Rohstoffe und Getreide und damit einhergehend eine starke Teuerung der Lebensmittel sowie anderer alltäglicher Gegenstände. Die hohe Inflation wird diejenigen, die jetzt schon wenig haben, besonders hart treffen. Auch der Mittelstand wird leiden, denn die Ersparnisse werden von der Inflation aufgefressen werden. Nach der Corona-Krise, welche die Staatshaushalte vieler europäischer Länder schon stark belastet hat und zu neuen Höchstständen der Verschuldung geführt hat, drohen nun neue Schulden. Wie lange eine solche Politik noch fortgesetzt werden kann, wird sich zeigen. Unser kapitalistisches Wirtschaftssystem steht vor einer Zerreissprobe. Soziale Unruhen und neue Polarisierungen können auf mittlere Sicht nicht ausgeschlossen werden.
In vielen Entwicklungsländern drohen wegen stark steigender Nahrungsmittelpreise und gestörter Lieferketten Hungersnöte, was neue Fluchtbewegungen Richtung reicher Industrieländer auslösen wird. Alles in allem wenig erfreuliche Zukunftsaussichten. Dies soll aber verdeutlichen, dass eine politische Lösung des Ukraine-Russland-Konflikts so rasch wie möglich erreicht werden muss. Denn die mittelfristigen Folgewirkungen auf die europäischen Länder in der ganzen Tragweite sind schlicht nicht vorhersehbar. Gleichzeitig müssen wir uns von der bisherigen Schönwetterpolitik verabschieden, wo Rheinaufweitung vor Rheinkraftwerken kommt. Die Eigenversorgung mit Lebensmitteln und Energie muss an erster Stelle stehen.