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polit:zeit
04/2022
Fragen an …
D
ie Folgen des von Russland in der Ukraine geführten Krieges zeigen sich in der Wirtschaft immer deutlicher, auch im schweizerischliechtensteinischen Wirtschaftsraum. Wie schätzen Sie die Auswirkungen auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft ein?
Sascha Quaderer, FBP
Thomas Zwiefelhofer, VU
Der Angriff Russlands auf die Ukraine wird meiner Meinung nach weitreichende Konsequenzen haben – und zwar für die gesamte freie Welt. Mit einem Schlag wird den Menschen wieder deutlich bewusst, dass Friede, Freiheit, Demokratie und Rechts¬staatlichkeit sehr verletzlich sind. Dass diese Werte nicht selbstverständlich sind. Dass sie nicht von allen Machthabern auf der Welt gerne gesehen werden. Dass wir sie nicht umsonst haben können. Und dass es sich für sie zu kämpfen lohnt.
Die sogenannte Globalisierung hat zu einer weltweit verknüpften Wirtschaft geführt, welche die Produktion und den Vertrieb von Gütern kostenmässig permanent optimiert hat. Seit Jahrzehnten haben wir dadurch von immer billigeren Konsumund Industriegütern profitiert, leider oft auch zu Lasten von Menschenrechten und Umwelt. Die Pandemie hat diese weltweit optimierten Prozesse plötzlich massiv behindert, was zu Lieferschwierigkeiten und Preissteigerungen geführt hat. Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen sowie weiteren Schritte gegenüber Russland führen nun zusätzlich zu verteuerten Rohstoffpreisen, vor allem bei den fossilen Energieträgern und wichtigen Lebensmitteln wie Weizen. Die Folgen der Pandemie und des Ukrainekriegs werden die wirtschaftliche Weltordnung nachhaltig verändern.
Die Solidarität mit den Ukrainern macht mich stolz. Ich hoffe sehr, dass sie auch dann noch anhält, wenn wir die Folgekosten des Kriegs in unseren Portemonnaies zu spüren bekommen. In diesen Tagen ist jeder Europäer auch Ukrainer. Das gilt genauso für uns Liechtensteiner. Denn als Kleinststaat hätten wir einer aggressiven Expansionspolitik nichts entgegenzusetzen. Unabhängig davon, wie lange dieser unsägliche Krieg noch andauert und wie er endet, führt er bereits jetzt zu einem Umdenken in vielen Bereichen: Die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Verkehr wird noch dringender; Energie soll in Zukunft nicht nur CO2-frei sein, sondern auch Diktator-frei; Lieferketten sollen robuster, nachhaltiger und regionaler werden; die Versorgungs¬sicherheit wird wichtiger; Notfallvorsorge wird wieder ein Thema; Aufrüstung und militärische Zusammenarbeit in Europa erleben ein unerwartetes Revival.
Wir sollten diese Veränderungen auch als Chance sehen. Nicht nur beschleunigen sie den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern, was einerseits aus dem Blickwinkel des Klimaschutzes positiv ist, anderseits unsere politische Abhängigkeit von Ländern mit mehr als fragwürdigen Rechtssystemen mindert. Dass dies keine leichte Übung und auch nicht nullkommaplötzlich realisierbar sein wird, ist klar. Eine autonomere und grünere Energieversorgung wird aber viele positive Aspekte haben. Das Gleiche gilt für die Lebensmittelproduktion. Auch diesbezüglich verstärkt die neue ökonomische Realität den Trend zu regionalerer und hoffentlich auch nachhaltigerer Produktion mit weniger Monokultur und mehr Biodiversität. Eine weniger globalisierte Produktion von wichtigen Industrie- und Konsumgütern schliesslich wird auch neue Arbeitsplätze und mehr Innovation vor Ort schaffen. Alles in allem wird unser Leben durch alle diese Aspekte zwar sicher deutlich teurer werden, die Lebensqualität könnte dadurch aber gleichzeitig steigen, wenn es uns gelingt, das neue Preisniveau sozial abzufedern.