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Familien wirksam unterstützen – im Interesse von allen

Mütter übernehmen heute vielfältige Rollen und Aufgaben und tragen grosse Verantwortung, sowohl in Familie als auch Beruf. Judith Hoop ist Teilzeit in leitender Funktion angestellt und teilt sich die Betreuung von bald zwei kleinen Kindern mit ihrem Partner. Interview: Tamara Beck

Judith Hoop steht nicht nur mit beiden Beinen fest im Berufsleben, sie engagiert sich auch in einer der Grossparteien, in Kommissionen wie auch in einem verantwortungsvollen Verwaltungsratsamt. Trotzdem ist es ihr wichtig, sehr viel Zeit mit ihrer Tochter zu verbringen. Auch ihr Partner konnte sein Arbeitspensum nach der Geburt reduzieren und leistet einen Teil der Betreuungsaufgabe. Was bedeutet Mutterschaft für Sie? Judith Hoop: Auch wenn es floskelhaft klingt, ist es meine schönste und wichtigste Aufgabe, welche mir so viel zurückgibt. Ich bin sehr dankbar, das erleben zu dürfen. Es ist nicht selbstverständlich.

Sie sind, wie viele Frauen heute, sehr gut ausgebildet und haben beruflich bereits einiges erreicht. Wussten Sie

schon immer, dass Sie Mutter sein möchten? Oder war Ihnen der berufliche Weg generell wichtiger? Nein, ich wusste schon immer, dass es für mich das allerschönste wäre, wenn ich eines Tages einfach Mama sein darf. Das eine schliesst das andere aber überhaupt nicht aus.

Inwiefern unterscheidet sich die Vorstellung, die Sie vor der Geburt des ersten Kindes hatten, von der Realität? Gute Frage. Wahrscheinlich ist es die Feststellung, wie viel ich von meiner Tochter lernen darf – ziemlich sicher viel mehr als umgekehrt. Und dass ich viel geduldiger bin, als ich dachte. Zumindest, solange ich gut auf mich selbst achte, entsprechend Zeit für mich habe, die sogenannte «me-time», und somit ausgeglichen bin. Ich sage immer: Eine gute Work-Life-Balance, also ein Ressourcen-Management, wird noch wichtiger, wenn man Kinder bekommt. Denn ich kann nur eine geduldige, einfühlsame und liebevolle Mama sein, wenn es mir selbst auch gut geht – mit genügend Schlaf, Bewegung, sozialen Kontakten etc. Und was ich auch nie gedacht hätte, ist, dass ich so lange stillen werde. Ich habe fast drei Jahre lang gestillt.

Wie, denken Sie, hat sich das Mutterbild in den letzten Jahren verändert? Ich denke, dass es sich massiv gewandelt hat. Eine Mutter hatte immer schon viele Aufgaben, was sicherlich immer schon unterschätzt wurde. Heute sind die Frauen aber in noch mehr Rollen präsent, übernehmen Aufgaben und grosse Verantwortung sowohl in der Familie als auch im Beruf oder weiteren Funktionen. Sie sind mittlerweile beruflich wie auch ausbildungstechnisch absolut auf Augenhöhe mit den Männern. Das erfordert des Freisetzen von enorm vielen Ressourcen in einer Familie. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird immer wesentlicher für die Familien, aber auch für uns alle als Gesellschaft. Sie und Ihr Partner verkörpern ein zeitgerechtes Familienbild. Sie arbeiten beide Teilzeit. Die gemeinsame Tochter wird teils in der Kita betreut und bei aussertourlichen Sitzungen springen die Grosseltern ein. Welche Reaktionen erfährt Ihr Arrangement? Wir erhalten durchwegs positive Rückmeldungen. Viele beneiden uns um das Modell, weil es seitens der Arbeitgeber leider noch nicht immer möglich ist. Ich hoffe, das ändert sich in den nächsten Jahren noch deutlich zugunsten von Familien, insbesondere Vätern.

Wissenschaftliche Studien zeigen klar auf, dass es den Kindern das nötige Urvertrauen gibt, wenn sie sich als geliebt, geborgen und wertvoll erleben.

Judith Hoop

Nach der Geburt Ihrer Tochter war es Ihnen wichtig, nicht zu schnell wieder in den Beruf einzusteigen. Im Herbst kommt Ihr zweites Kind zur Welt. Werden Sie erneut länger pausieren? Ja, ich habe wieder vor, zwei bis drei Monate unbezahlten Elternurlaub an den Mutterschaftsurlaub anzuhängen. Zudem möchte ich trotz Arbeitsbeginn wiederum nicht auf das wertvolle Stillen verzichten. Dafür braucht es eine gute Organisation des Tagesablaufs, was aber machbar ist, wenn man sich Mühe gibt und das Umfeld flexibel ist. Ich fordere das aber auch klar von allen Beteiligten ein.

Auch hierzulande wird es bald möglich sein, dass sich Eltern nach der Geburt länger selber um ihr Baby kümmern können. Stichwort Elternurlaub bzw. Elternzeit. Warum erachten Sie das als wichtig? Erkenntnisse aus Forschungen zeigen, dass tragfähige Beziehungen des Kindes zu seinen allerengsten Bezugspersonen eine wesentliche Voraussetzung für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung sind. Besonders sind dabei die ersten Lebensjahre. Zufriedene Eltern und ihre Kinder bilden wichtige Pfeiler unserer Gesellschaft. Fest verwurzelte Familien als Fundament bedeuten eine starke Gesellschaft und dies stärkt den Staat. Es sollte im Interesse von allen sein, dass Familien grossmöglichste Unterstützung erfahren. Negative Folgen für Familien und Kinder, welche in instabilen Situationen und mit grosser Überforderung leben, betreffen uns nämlich am Ende alle.

Um ein Kind grosszuziehen, braucht es ein ganzes Dorf und das Dorf braucht auch die Kinder, und zwar in bester Verfassung, was, wie Sie auch sagen, gewährleistet ist, wenn die Eltern genügend Unterstützung erfahren. Was fehlt dafür noch? Unter anderem eine noch flexiblere Arbeitswelt. Aufgrund der Pandemie hat sich schon sehr viel getan. Ich hoffe, diese Erkenntnisse können nun für andere Zwecke weitergetragen werden und denke an Homeoffice, flexiblere Arbeitszeiten etc. Und natürlich die angemessene bezahlte Elternzeit für Frau und Mann, aber diese kommt dank einer EU-Richtlinie nun spätesten bis Sommer 2022.

Warum stehen die Bedürfnisse der Kinder und Familien heute viel deutlicher im Vordergrund als früher? Wie bereits erwähnt, wirkt sich eine sichere Bindung zu seinen allerengsten Bezugspersonen, bestenfalls den Eltern, entscheidend auf die Entwicklung der Kinder aus. Das erste Lebensjahr ist bei einer bindungsorientierten Elternschaft das wichtigste Jahr. Daher wird eine Elternzeit auch eine rentable Investition in die Zukunft der Kinder und in unsere Gesellschaft sein.

Eine bindungsorientierte Elternschaft sollte natürlich auch für die folgenden Jahre fortgesetzt werden … Ja, unbedingt. Wissenschaftliche Studien zeigen klar auf, dass es den Kindern das nötige Urvertrauen gibt, wenn sie sich als geliebt, geborgen und wertvoll erleben. Bindungsorientierte Elternschaft ist nicht zwingend ein äusserlich sichtbarer Lebensstil, sondern viel mehr eine innere Haltung zum Kind, nämlich die, dass die Bedürfnisse und Meinungen von Kindern wichtig sind. Sie werden auf Augenhöhe gesehen.

Gerade die ältere Generation wuchs noch ganz anders auf. «Zucht und Ordnung» und die Angst vor dem «Verwöhnen» stecken noch in vielen Köpfen. Unser heutiger Umgang mit Kindern hat nichts mit Verwöhnen zu tun und darf nicht verwechselt werden. Es geht um die Bedürfnisse, welche gesehen werden. Durch Bindung gestärkte Kinder sind psychisch gesunde und selbstsichere Kinder, was für die spätere, sehr herausfordernde, heutige Zeit sehr wichtig ist. Gestärkte Individuen stehen für sich selbst und andere ein und können ihr Potenzial gänzlich ausschöpfen, um die Welt zu entdecken und zu verändern. Sie können daher auch besser mit den Widrigkeiten des Lebens umgehen.

Haben Sie einen Wunsch für die Zukunft für die Familien Liechtensteins? Ich bin zuversichtlich, dass die Politik mit der neuen Vielfalt im Landtag die Zeichen der Zeit erkennen und laufend die Rahmenbedingungen für Familien, Arbeitgeber und die Gesellschaft anpassen wird. Ganz egal welches Familienmodell gewählt wird, alle benötigen weiterhin nachhaltige Unterstützung.

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