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Aus agnostischem Elternhaus auf die Kanzel in Vaduz

Aus agnostischem Elternhaus auf die Kanzel

«Zäh» war Michael Wimmers Weg zum Pfarrer, wie er selbst sagt. Geradlinig war er auf jeden Fall nicht. Dennoch – oder gerade deswegen – hat er seit seiner Priesterweihe vor rund zehn Jahren keinen Tag im Dienst Gottes und der Menschen bereut. Text: Heribert Beck

Kirchen im gotischen Baustil, von denen es in Wien, an dessen Stadtrand er aufgewachsen ist, viele gibt, haben Michael Wimmer als Kind fasziniert. Ein Interesse, das ihm möglicherweise von seiner Mutter, einer Professorin für Architektur, in die Wiege gelegt worden ist. Von ihr und insbesondere von seinem Vater, einem Professor für Philosophie, hat Wimmer aber auch gelernt, den Dingen auf den Grund zu gehen. Beides kam zusammen, als er im Alter von 12 oder 13 Jahren gelesen hat, dass sich auf den Dachbereichen dieser Kirchen perfekt ausgearbeitete Steinfiguren befinden, die erst bekannt geworden sind, als der Mensch wiederum das Fliegen für sich entdeckt hat. «Dass die Steinmetze im Spätmittelater solche Mühen auf sich genommen haben für Figuren, die ihrem Verständnis nach nur Gott je sehen wird, zeugte für mich von ihrer tiefen religiösen Überzeugung», sagt Michael Wimmer. Von dieser Erkenntnis bis zu seiner heutigen Position als Dompfarrer von Vaduz war es dennoch ein weiter Weg.

«Ich dachte, in Rom wüssten sie es am besten» «Meine Eltern waren damals beide nichtpraktizierende Katholiken, Agnostiker, und mein Vater wollte mich eher von der Kirche sowie vom Glauben fernhalten. Auch ich habe alles hinterfragt, wie es mir beigebracht worden ist», sagt Michael Wimmer. Nach der Matura entschied er sich zunächst für ein Studium der Rechtswissenschaften und Arabistik, während er auf seinen Platz als Zivildienstleistender in einem Altersheim wartete. «Wir jungen Zivildiener waren psychologisch überhaupt nicht auf die Situation vorbereitet, wurden aber dennoch in der Hospizabteilung eingesetzt und haben Menschen unter Schmerzen sterben gesehen.» Wimmer hinterfragte wieder – in dieser Situation den Sinn des Lebens, wenn am Ende unter Umständen ein leidvoller Tod steht. «Mir wurde klar, dass das Leben

Ich sass eines Abends allein am Strand, betete den Rosenkranz und empfand eine plötzliche Klarheit darüber, was ich im Leben am meisten will: Priester werden. Solche Momente gibt es in einem Menschenleben nicht viele, aber wenn man einen erlebt, spürt man eine tiefe Zufriedenheit.

Michael Wimmer, Dompfarrer von Vaduz

letztlich ziel- und sinnlos wäre, wenn es keinen Gott gäbe, kein Leben nach dem Tod, das Universum nur Zufall wäre. Ich wollte aber auch dies genauer wissen.» Wimmer entschied sich daher für ein Theologiestudium in Rom. «Ich dachte mir, dass die Professoren es dort am besten wüssten, wo der Papst ist», sagt er und lacht.

Aufgrund der teuren Lebenshaltungskosten war es Wimmer nicht möglich, sein ganzes Studium in Rom zu absolvieren, und nach vier Semestern packte er wieder seine Koffer. «Bereits damals hatte ich aber eine wesentliche neue Erkenntnis gewonnen. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Priester getroffen, die wirklich zufriedene Menschen waren, ihre Berufung gerne lebten und ihre Botschaft glaubwürdig verkündeten. Das hatte ich aus meiner Jugend nicht gekannt, weshalb ich zunächst selbst nicht Priester werden wollte – aus Sorge vor Einsamkeit und Verbitterung.»

Eine Revolution, ein Krieg und fast eine Verlobung Als die Suche nach einem Studienplatz für die weiteren Semester anstand, meldete sich in Michael Wimmer wieder sein Interesse für die arabische Welt. Dass er sich schliesslich für den Libanon entschied, war naheliegend. «Es ist das einzige kulturell christlich geprägte, in weiten Teilen sogar katholische Land des Nahen Ostens. Ich plante, ein Semester dort zu bleiben.» Seine Unterkunft fand der angehende Theologe in der klösterlichen «Gemeinschaft der Seligpreisungen».

Das Leben dort begeisterte ihn und aus dem geplanten Semester wurden in den Jahren von 2005 bis 2008 schliesslich sechs. «In dieser Zeit habe ich im Libanon eine Revolution, einen Krieg und einen beginnenden Bürgerkrieg erlebt. Gleichzeitig ist aber auch meine Entscheidung herangereift, Priester zu werden.»

Ein Ereignis und ein persönlicher Prozess haben Michael Wimmer endgültig klargemacht, dass er die richtige Entscheidung trifft. «Das war einerseits die Zeit des 33-Tage-Krieges zwischen dem Libanon und Israel im Sommer 2006, in der ich evakuiert war und einige Zeit in der Bretagne verbrachte. Ich sass eines Abends allein am Strand, betete den Rosenkranz und empfand eine plötzliche Klarheit darüber, was ich im Leben am meisten will: Priester werden. Solche Momente gibt es in einem Menschenleben nicht viele, aber wenn man einen erlebt, spürt man eine tiefe Zufriedenheit.»

Der Entwicklungsprozess wiederum hing zusammen mit einer lieben Freundin, einer arabischen Katholikin, die Michael Wimmer im Libanon kennengelernt hatte. «Sie war auch einige Zeit im Kloster gewesen, stark im Glauben verwurzelt und wir empfanden viel füreinander. So viel, dass wir überlegten, zu heiraten. Ich musste mich also fragen, was das absolut Wichtigste für mich ist – und kam zu der Erkenntnis, dass es die Berufung ist.» Vom Beruf des Priesters müsse jeder Anwärter wirklich überzeugt sein und bereit, grosse Opfer zu bringen. «Daher bin ich auch ein Verfechter des Zölibats. Die Aufgaben als Priester müssen absolut im Zentrum des Lebens stehen.» Michael Wimmers Bekannte hatte aufgrund ihres eigenen Glaubens grosses Verständnis. «Ihre Reaktion war: ‹Ich kenne dich so gut. Das habe ich mir schon gedacht.›»

Unser ganzes Leben ist begleitet vom Gebet. Es ist eine unglaublich starke Kraft, und es schafft das gute Bewusstsein, dass Gott uns Menschen trägt.

«Wenn dir Wien zu gross ist, geh nach Vaduz» Was Michael Wimmer noch nicht ganz überwunden hatte, war die Sorge, ein einsamer Pfarrer zu werden wie jene, die er aus seiner Jugend kannte. So zog es ihn zunächst in ein Kloster in Österreich. «Das Ordensleben ist aber nichts für mich. Das merkte ich schnell. Mich stören weder Arbeit noch Armut, Enthaltsamkeit oder Gehorsam. Womit ich nicht klarkam, war der fixe Tagesablauf. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, jeden Tag für den Rest meines Lebens zur gleichen Zeit aufzustehen, zu beten, zu essen, zu arbeiten…» Dennoch sträubte er sich innerlich dagegen, Diözesanpriester zu werden. Ein ihm bekannter Geistlicher machte dann jedoch den Vorschlag, der Michael Wimmers geographischen Lebensmittelpunkt verändern sollte: «Wenn dir Wien zu gross ist, frag doch mal, ob im Erzbistum Vaduz ein Seminarist willkommen ist. Es handelt sich um eine ländlich geprägte Gegend, in der ein Pfarrer nahe bei den Menschen ist und mit ihnen arbeiten kann.» Michael Wimmer berücksichtigte diesen Rat, machte sich selbst ein Bild von Liechtenstein und wurde vom Erzbischof aufgenommen. «Allerdings musste ich, als Ergänzung zu meiner klösterlichen Ausbildung, noch für einige Jahre ins Seminar gehen. Trotz meines abgeschlossenen Studiums in Theologie musste auch noch ein österreichischer Studienabschluss nachgeholt werden – das ist eine Besonderheit in den deutschsprachigen Ländern, die mich aber auch wieder Demut lehrte», sagt Wimmer und schmunzelt.

«Mich wirft nichts mehr so schnell aus der Bahn» 2011 wurde Michael Wimmer schliesslich in der Kathedrale in Vaduz zum Priester geweiht. «Es war sicher von Anfang an ein zäher Weg dorthin, bei dem ich viele innere und äussere Widerstände zu überwinden hatte. Aber es war der richtige Weg, nun wirft mich wohl nichts mehr so schnell aus der Bahn, und ich habe bis heute keinen Tag meines Priesterdaseins bereut.» Dieses Priesterdasein führte ihn von der Stelle als Domvikar in Vaduz nach einem Jahr zum Amt des Kaplans in Eschen-Nendeln, das er sieben Jahre ausgeübt hat. 2019 kam schliesslich die Berufung zum Dompfarrer in Vaduz. «Ich habe im Dezember angefangen, und drei Monate später begann die Corona-Pandemie.»

Diese Pandemie ist es, die Michael Wimmer sein Amt als Pfarrer nicht so ausüben lässt, wie er es eigentlich interpretiert. «Ich habe mir immer viel Mühe gegeben, die Menschen der Pfarrei persönlich zu treffen, sie kennenzulernen, bin auf sie zu und auf Feste gegangen. Denn es kommt zwar nicht jeder in die Kirche, das heisst aber nicht, dass es nicht meine Aufgabe wäre, mich auch um diese Menschen zu kümmern.» Wimmers Ansicht nach sollte sich jeder angehende Priester genau fragen, warum er den Beruf ergreifen möchte. «Ich hatte zwei Gründe. Einerseits wollte ich die Heilige Messe feiern, sobald ich verstanden hatte, worum es in der Eucharistie geht. Das ist das Tollste, was es gibt. Ausserdem möchte ich am Ende sagen können, dass ich möglichst viele Menschen Gott nähergebracht, ihr Leben positiv verändert habe. Denn auch ich bin dankbar, oft im richtigen Moment jemanden getroffen zu haben, der mein Leben positiv beeinflusst und auf Gott ausgerichtet hat.»

Predigten aus dem Leben und die Kraft des Gebets Dementsprechend hofft auch Dompfarrer Wimmer auf ein baldiges Ende der Pandemie. «Ich habe bereits Pläne, was ich in der Pfarrei anstossen möchte. Dafür muss ich die Gläubigen aber zunächst besser kennen. Denn manchmal kann etwas in sich noch so richtig sein, die Zeit oder der Ort stimmen aber nicht, und die Idee lässt sich nicht umsetzen.» Was Michael Wimmer vorschwebt, ist eine Intensivierung des Gebetslebens in der Kathedrale für unterschiedliche Zielgruppen. «Denn unser ganzes Leben ist begleitet vom Gebet. Es ist eine unglaublich starke Kraft, und es schafft das gute Bewusstsein, dass Gott uns Menschen trägt.»

Um dieses Bewusstsein zu schaffen, bleiben dem Dompfarrer derzeit nur wenige Gelegenheiten. Eine davon sind seine Predigten, mit denen er die Kirchgänger in Vaduz erreichen möchte. «Ich achte darauf, dass der Inhalt aus dem Leben gegriffen ist. So kann ich im Idealfall zum Nachdenken anregen.»

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