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FeinSinn weint Feministival Trödelladen Körnerstraße Sauerstoffradikale sind nützlich Heft 16 ǀ Ausgabe 10/05 ǀ www.meins-magazin.de


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meins

Inhalt

Ein kleiner Abschied und eine neue Entdeckung meins weint diese Ausgabe. Warum bloß? meins verändert sich. meins ist für viele der Anfang, aber selten das Ende. Wir freuen uns bei meins immer wenn wir sehen, wie jemand aus unseren Reihen den Absprung schafft. Den Sprung hin zu einer Arbeit, bei der das Talent, das sich bei meins entfalten durfte, weiter gefordert wird. Somit liegt es bei uns als Aufsteigermagazin in der Natur der Sache, dass uns gute Köpfe auch immer wieder verlassen. Wir hatten gute Autoren – und sie gingen zu anderen Blättern. Wir hatten gute Fotografen – und sie wurden angestellt bei Verlagen oder anderen Firmen. meins will fördern. meins will entdecken. Wir suchen neue Talente, aus jedem Bereich. Deswegen ist meins nicht perfekt. meins ist experimentell und das wird es bleiben. Warum schreibe ich das? Maiko Henning, die bis zur vorletzten Ausgabe das Bild von meins prägte, indem sie jedes Cover eigens kreiert hat, geht hinaus in die Wirtschaft und hat uns verlassen. Natürlich sind wir traurig, aber gleichzeitig freuen wir uns für sie, dass sie es geschafft hat. meins ist froh, wenn wir zu Maikos Werdegang etwas beitragen konnten und wir sind dankbar dafür, dass sie uns so lange ihr Talent geliehen hat. Wir freuen uns für jeden Einzelnen, der mit unserer Hilfe den Sprung mache konnte

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LebensEcht

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Vom Leben dan(n)eben Wie die meins-WG die Semesterferien verlängerte...

FernSicht

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Zwischen Buda und Pest Feministival

ErkenntnisReich

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Sauerstoffradikale sind nützlich! Körpereigenes Hormon geht Tumoren an den Kragen Welcher E-Maildienst bekommt weniger Spam?

ZeitGeist

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Trödelladen Körnerstraße

FeinSinn

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Der Alte Salz Playlist

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Impressum

Inhaltliches

und laden jede und jeden ein, der sich ausprobieren möchte, bei uns anzuklopfen. Denn davon lebt meins. Unsere Cover sehen in Zukunft anders aus, aber wie genau? Wir werden sehen. Und deshalb weint meins. Weil bei meins gute Menschen zusammenarbeiten. Weil diese guten Menschen meins wieder verlassen. Und weil meins Teil daran war und ist, diesen guten Menschen auf dem Weg in die Zukunft zu helfen. Und meins weint, weil neue gute Menschen auf dem Weg sind um sich zu entdecken und zu entfalten. Das ist meins!

Viel Spaß beim Lesen!

Niels Walker (Chefredakteur)

{ Editorial

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Lebens


Wenn ich augenblicklich auf mein Leben schaue, bin ich eigentlich ziemlich zufrieden. Job okay, privates Umfeld prima, Köln und ich sind uns wieder gut, mein Körper tut das, was ich ihm befehle und jedermann schätzt mich auf 4-8 Jahre jünger ein (was man mit fast 30 immer als Kompliment wertet).

Ein paar Dinge jedoch liegen im Argen oder sind unerfüllte Wünsche, Träume, ewige Illusionen, die dem Zustand des perfekten Moments im Wege stehen. Zum Beispiel meine Figur. Ja, es stimmt, ich bin wirklich schlank und seit etwa einem Jahr fällt es mir sogar enorm schwer zuzunehmen. Nicht, dass das unbedingt ein ernsthaftes Ziel von mir wäre, aber es gab auch Zeiten, in denen ich, wie die meisten anderen auch, enorm darauf achten musste, was ich konsumiere, damit ich nicht aussehe wie ein angeschwollener Flamingo. Richtig gelesen: Flamingo. Wenn ich Kilos sammelte, dann überall, aber bestimmt niemals an den Beinen. Jedenfalls hat mein Organismus jetzt beschlossen kein Fett mehr anzusetzen. Anscheinend gehöre ich nun zu jener dünnen Spezies, die futtern können, was sie wollen und kein Gramm zunehmen. Das wäre ja eigentlich eine äußerst begrüßenswerte Entwicklung, wenn da nicht die bösen Neider wären. Immer öfter werden mir Magersuchtsprobleme unterstellt, sogar vor bulimischen Verleumdungen schrecken einige nicht zurück. Hallo? Kotzen ist total eklig und macht dazu noch faulige Zähne, was ich selbst mit dem besten Bleaching der Welt nicht mehr retten könnte. Der nervigste Satz ist aber der meiner Mutter: „Oh mein Gott, isst Du auch genug?“. Und das jede Woche, ca. zwölf Mal pro Mittagessen. Da hilft auch nicht, dass ich artig die Hälfte ihrer Portion mitverspeise. Schwups, liegt ein großer Brocken Steak mehr auf meinem Teller und das obwohl sie damals, als ich noch zuhause wohnte, in Sachen Futterneid, besonders bei Fleisch, Ministerpräsidentin war. Heutzutage schaffe ich sogar das tellerüberlappende, ca. ein Kilo schwere Schnitzel von Oma Kleinmann, inklusive Pommes und Salat. Und, so wird es überliefert, das Ganze verspeise ich bis

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vom leben da(n)neben

zum letzten Bissen mit einer Grazie und Gelassenheit, die ihresgleichen sucht. Tags darauf habe ich ca. 50 g mehr auf der Waage. Es tut mir ja auch leid für all jene, deren Stoffwechsel Arschlochverhalten an den Tag legen, aber muss ich mich deshalb dafür schämen? Wieso ist es überhaupt gesellschaftlich gestattet den Dünnleibigen derart an den Karren zu pissen, aber ein Unding, schwergewichtigen Menschen zu sagen: Du bist aber ganz schön fett - bist Du vielleicht essgestört? Hiermit möchte ich alle NaturSpargeltarzane der Welt ermuntern gegen diese soziale Ungerechtigkeit vorzugehen und es mir gleich zu tun: nehmt euch ein besonders enganliegendes Shirt und lasst es mit folgenden Frage bedrucken: Do I make you look fat?

Unbedingt ausprobieren möchte ich auch mal damit zu hüpfen. Das ist bestimmt lustig wenn Dir die Dinger gegen das Kinn knallen und stellt euch dann doch nur mal die Blicke der Passanten vor! Unbezahlbar! Ich wette, ein paar asiatische Touristen machen sogar Fotos! Ach so, Namen geben muss man ihnen ja noch. Männer benennen ihre Autos, Segelboote und Pipimänner ja schließlich auch. Also: von und für diesen Tag sollt ihr bekannt sein als Matthäus (links) und Balthasar (andere Seite). Wenn ich fürs Erste genug davon habe, angegafft zu werden, miete ich mir einen pinken Porsche und sause, so schnell es geht, durch die City. Dabei werde ich hoffentlich von einem männlichen Polizeibeamten (oder der lesbischen Variante) angehalten.

An einer Stelle meines Körpers hätte ich aber gerne, zumindest für einen Tag in meinem Leben, mal besonders üppige Rundungen. Genau, ich will Titten! Und zwar keine niedlichen Kate Moss angeschwollenen Brustwarzen-Brüstchen, sondern richtig fette Mariah Carey oder Pamela Anderson- Hupen. An diesem wonnigen Tag würde ich mir zuallererst einen BH umschnallen, der die Teile noch richtig toll nach oben presst. Dann flink irgendein tiefdekolletiertes Fetzchen Stoff in einer unauffälligen Farbe, es soll ja schließlich nichts von meinen Prachtstücken ablenken, übergestreift und erst mal flanieren gehen. Irgendwo, wo ganz viele Menschen sind. Bestenfalls ist es Sommer, sodass ich auch eine Sonnenbrille tragen kann, damit wirklich nichts mehr von meinem Vorbau ablenkt. Süffisantes Grinsen folgt auf die zwischen Neid (Frauen) und Geilheit (die anderen) abwechselnden Blicke und irgendein Luigi in Eisdiele XY wird mir bestimmt daraufhin zwei weitere Kugeln (Eis) schenken, wenn ich meinen Körper sprechen lasse.

Dann folgt der Härtetest: wenn der Ordnungshüter vor meinem Auto steht, werden Matthäus, Balthasar und ich sagen (und von diesem Satz träume ich seit ich den ersten Marilyn Monroe Film gesehen habe): Aber Officer, ich wusste nicht, dass man hier langsam fahren muss! Wenn ich es im Verlauf der nächsten zwei Minuten schaffe, dass er mich strafzettellos ziehen lässt (wovon ich ausgehe), wäre das eigentlich schon einer der perfektesten Tage meines Lebens. Allerdings würde ich es mir nicht nehmen lassen wollen, abends noch in einem Club auf Männerfang zu gehen. Dazu wähle ich ein Korsett. Es ist allerdings kein gewöhnliches Korsett, auch an dieser Stelle habe ich eine fabelhafte Marketingidee. Nehmen wir also an, ich stolziere auf meinen hohen Hacken, der Hose, dem Rock, ist ja eigentlich auch egal, was ich unten anhabe, und meinen affenscharfen, übergroßen Monsterbabys in den Laden, das Testosteron weht einheitlich in meinen Ausschnitt… und auch auf den Spruch darunter: If you want this…

Foto: Corinna Kern

Ich stelle mich geschwind mit dem Rücken zur Wand, Kerl Nummer 1 gibt mir `nen Drink aus, Kerl Nummer 2 drängelt sich dazwischen, die Herren 3, 4 und 5 zetteln eine Prügelei ein, welche von einem schwungvollen Wippen meiner Zwillinge unterbunden wird. Man kann sich das Szenario ja in etwa vorstellen. Jedenfalls suche ich mir den aus, der am meisten ausgibt, immer in dem faszinierenden Glauben, ich wäre schneller abgefüllt als er. Ich, bzw. wir Drei, flirten mit ihm, er philosophiert über die Schönheit der weiblichen Anatomie und glaubt mich endlich an der Angel zu haben, als er kopfüber in meiner Venusfalle hängt, ich mich zu ihm nach vorne beuge, mich höflich bedanke und er verdutzt, während ich auf dem Weg nach draußen bin, auf der Rückseite meines Korsetts liest: (vorne stand, zur Erinnerung: if you want his…)… you have to marry it! Bam! Verdammt, es muss so geil sein eine großbusige Frau zu sein! Am nächsten Tag wache ich auf und habe unendliche Rückenschmerzen. Es ist doch alles nicht so schön, wie man es sich vorstellt. Ähnlich wie beim Babysitten. Für einen Abend sind die Racker ja ganz niedlich, aber das ewige Geschreie möchte man sich wirklich nicht täglich antun. Für die Welt bist Du sowieso immer nur das, was sie von Dir erwartet. Andersherum kommt es immer ganz darauf an, was Du aus dem machst, was Du hast: wenn ich mein Hemd bis zum Bauchnabel aufknöpfe und meine Hühnerbrust der Welt offenbare, glotzen auch alle. Gleichsam neidisch oder geil. Und das ist, für diesen Moment, exakt die Aufmerksamkeit, die ich nach außen hin will… und auch für meine innere Zufriedenheit ein dickes Plus.

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Die Meins-WG sitzt im Park. Endlich ist die Kälte gewichen und hat einem Frühling Platz gemacht, der die Sonne nicht versteckt. Der Kiosk an der nächsten Ecke hat gut gekühltes Bier und eigentlich wäre alles perfekt, wenn nicht das Semester wieder angefangen hätte. Die Uni ist plötzlich gerammelt voll. Irgendwie wollen wohl alle in der ersten Woche mit dauerhafter Anwesenheit das viele Fehlen im letzten Semester revidieren. Die Erstsemester, die verplant und oft gesellschaftslos durch die Gegend laufen, kriegen im Sekundentakt Panikanfälle die von den älteren Semestern nur noch lächelnd zur Kenntnis genommen werden. In den fensterlosen Kellerräumen des Philosophikums geben die imaginären Klimaanlagen mal wieder den Geist auf. Alle schwitzen im T-Shirt eng gekuschelt zu zweit auf einem Stuhl. Die Dozenten sitzen lässig auf dem Oberlichtprojektor, eingeklemmt zwischen Tafel und Tür, die Länge der Anwesenheitsliste ähnelt einer Klopapierrolle. In den Hörsälen versuchen einige übereifrige Studierende sich mit Hilfe gewagter Konstruktionen von der Decke hängen zu lassen, um überhaupt noch irgendwo hin zu passen. Auf dem Boden drängeln sich die Übrigen dicht an dicht, schreiben mit schwitzigen Händen Dinge aufs Papier, die sie nach Sekunden schon wieder vergessen. Hier werden die Anwesenheitslisten mit einem LKW vorgefahren. Um den Vorgang abzukürzen, gibt es für jeden Anfangsbuchstaben eine eigene Liste. So dauert der erste Termin, bei dem jeder Name einzeln verlesen wird, auch nur einige Stunden. Die Meins-WG hat sich überlegt, es dieses Semester einfach mal sein zu lassen. Die dicht gedrängten Räume, die panischen Erstsemester, all das brauchen sie am Semesteranfang einfach nicht und so haben sie beschlossen, die Vorlesungsfreie Zeit in Eigeninitiative einfach um eine Woche zu verlängern. Und es lohnt sich. Eine Woche nach Semesterbeginn kann morgens in der Bahn mit einem Mal wieder sitzen und kommt sogar pünktlich. Die Flure sind plötzlich gar nicht mehr so voll und die Toiletten nicht andauernd besetzt. Nur doof, dass sie nicht bedacht haben, dass sie bei Abwesenheit in den Seminaren, die sie eigentlich per Los-

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Wie die Meins-WG einmal die Semesterferien verlängerte und fast ein ganzes Semester frei bekam...

Verfahren bekommen haben, nicht mehr zugelassen sind. Jetzt stehen sie vor jeder Veranstaltung vor den Räumen, fangen die Dozenten ab, flehen um neue Zulassung, nur um dann mit einem traurigen Kopfschütteln abgewiesen zu werden. Gemieden von den anderen, den eifrigen Studierenden, die sich die erste Woche um die Ohren schlugen um in Regelstudienzeit wenigstens die Hälfte des Stoffes zu erlernen, zieht die Meins-WG wieder in den Park. Das Bier im Kiosk ist immer noch gut gekühlt, die Sonne scheint den Dreien auf den Bauch, doch so wirklich wohl fühlen sie sich nicht. Das schlechte Gewissen nagt doch schon ziemlich stark, wenn man plötzlich so gar nicht mehr in die Uni muss. Die drei kriegen ein wenig Panik, fast so wie im ersten Semester. Wie sollen sie es bloß ihren Eltern erklären? Oder noch besser: vor ihnen verheimlichen? Wir könnten arbeiten gehen, so für ein Semester, schlägt der Älteste der drei vor. Hm!, sagen die anderen beiden unmotiviert. Wir könnten alle Kurse besuchen, in die sonst keiner will, schlägt das Mädel vor. Hm!, sagen die anderen beiden noch unmotivierter. Wir könnten Bier holen gehen, schlägt der Jüngste vor und bekommt das unmotivierteste der „Hm`s!“ zur Antwort. Okay, okay, ich geh schon. Nach kurzer Zeit kommt er mit drei kalten Flaschen Kölsch zurück. Es zischt drei Mal und langsam verschwindet das schlechte Gewissen der Meins-WG. Doch noch bevor sie den letzten Schluck getrunken haben, erscheint es wieder und dieses Mal heftiger als zuvor. Scheiße, sagt sie. Die anderen beiden nicken, sogar zu unmotiviert um „Hm!“, zu sagen. Ich kenn da wen!, sagt der Älteste mit einem Mal und hat plötzlich ein Lächeln im Gesicht. Der arbeitet beim Klips Support! Ich ruf den mal an. Ein kurzes Gespräch und ein wenig Schmiergeld später, sind die drei wieder in ihren ehemaligen Kursen eingetragen. Die Dozenten, die einfach nur die Anwesenheitslisten ausdrucken, merken nicht einmal, dass statt gefühlter 100, nun gefühlte 103 in den Kursen sitzen. Und das ist die Geschichte, wie die MeinsWG einmal fast ein ganzes Semester frei bekommen hätte.

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FernSicht Foto: Isabel Hager


Zwischen Buda und Pest Ich geb's gleich am Anfang zu: Einen positiven Ersteindruck hatte ich nicht wirklich von Ungarns recht hoch gepriesener Hauptstadt. So einiges habe ich natürlich schon vorher über die Donaumetropole gehört: Das Paris des Ostens, dazu noch ein Hauch Wiener Großstadtcharme. Ich geb's gleich am Anfang zu: Einen positiven Ersteindruck hatte ich nicht wirklich von Ungarns recht hoch gepriesener Hauptstadt. So einiges habe ich natürlich schon vorher über die Donaumetropole gehört: Das Paris des Ostens, dazu noch ein Hauch Wiener Großstadtcharme. Und immerhin wusste ich auch, dank Tonnen ungesunder Chips, dass die Ungarn anscheinend sehr gerne mit Paprika würzen. Und sie essen Salami. Und sind bei Sissi die Typen in den schneidigen Uniformen (das habe ich mir natürlich nur sagen lassen). Tja, so viel also zu meinem Ungarnbild zu dem Zeitpunkt, als mich eine Freundin fragte, ob ich nicht Lust auf einen kleinen

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Städtetrip nach Budapest hätte. Ich war zuvor erst einmal in Osteuropa, aber der Aufenthalt hatte sich auf den Pool eines all-inclusive Hotels an der bulgarischen Schwarzmeerküste beschränkt. Recht hohe Erwartungen hatte ich dann aber doch. Wahrscheinlich rührt daher meine Überraschung, als ich nach Verlassen des Flughafens zum ersten Mal auf den ungarischen Alltag treffe.

Die Donauromantik will nicht sofort aufkommen und ich höre auch keine seichten Akkordeonklänge. Stattdessen treffen mich eher die viel zu realen Reste des real existierenden Sozialismus: Löchrige Straßen, Busse, die nur bei ganz wenigen Menschen nostalgische Gefühle wecken würden (immerhin tragen einige von ihnen noch die TÜV-Plakette Jahrgang 1987), und die geballte Ästhetik des Plattenbaus. Schön hier, wirklich. In der rostigen U-Bahn, die uns in die Budapester Innenstadt bringt, überlege ich noch angestrengt, was wohl

„Entschuldigen Sie, aber eine Ratte hat mein Frühstück gefressen“ auf Ungarisch heißen könnte. Der Anblick des Stadtkerns lässt mich den Gedanken aber recht schnell vergessen. In der Tat wirkt Budapest wie eine Mischung aus Wien und Paris, ist aber doch auch wieder anders. Das ganze Stadtbild spricht von vergangener Größe: Wuchtige, klassizistische Bauten, deren Putz an vielen Stellen bröckelt oder mit Graffitis besprüht wurde, breite Paradestraßen, die inzwischen nur noch für den lärmenden Autoverkehr herhalten, und Stadtparks, die im März noch etwas trist und farblos daher kommen. Unser Hostel liegt im dritten Stock eines solchen klassizistischen Baus und schwankt wie die gesamte Stadt auf der Schwelle zwischen altmodischer Jugendherberge und neumodischer Jugendkultur.

Eigentlich überrascht es mich selbst, dass mir die Stadt trotz allem schon beginnt zu gefallen. Vielleicht liegt es nur daran, dass die Altstadt eine absolute Verbesserung

gegenüber den Vorstadt-Plattenbauten ist, wohlmöglich beginne ich aber auch zu ahnen, dass Ungarns Hauptstadt mehr zu bieten hat. In diesem Moment erinnere ich mich an Rom, das mir auf den ersten Blick genauso schäbig und überfüllt erschien und für mich heute doch eine der faszinierendsten Städte Europas ist. Deswegen starte ich auch mit Spannung in den ersten Stadtrundgang, den wir sofort unternehmen, nachdem wir unser Gepäck im Hostelzimmer losgeworden sind. Der Weg führt uns direkt zur St.-Stephans Basilika, die, man könnte es am Namen erahnen, Ungarns heiligem Staatsgründer König Stephan gewidmet ist. Dass ihm dafür einige Leute in späteren Jahren dankbar waren, lässt sich am Inneren der Kirche erahnen: Viel Gold und Stuck und Zuckerbäckerarchitektur wie man sie in allen Städten Europas findet. Viel interessanter als die etwas übertriebene Innendeko ist deswegen auch die Touristeninformation in Form kleiner Infoschildchen, die über die gesamte Kirche verteilt sind.

Wahrscheinlich ist die StephansBasilika einer der wenigen Plätze dieser Erde, an denen der in-

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teressierte Tourist lediglich auf Deutsch und Latein über die Geschichte des Gebäudes informiert wird. Die eindeutig deutschen Beschriftungen „Eingang“ und „Ausgang“ an den Türen der Basilika habe ich ganz selbstverständlich hingenommen, aber jetzt wird mir klar, dass die deutsche Sprache für Ungarn noch immer wichtig zu sein scheint. Wenn man bedenkt, dass das Land lange Zeit zu Österreich gehörte und von vielen deutschsprachigen Siedlern bevölkert wurde, verwundert das schon weniger. Natürlich haben jene auch die Basilika erbaut, genauso wie sie das übrige Stadtbild mit seinen Häusern, dem prächtigen Stadtschloss und der wuchtigen Zitadelle prägten. Aber nicht nur die Österreicher haben hier ihre Spuren hinterlassen. Da Ungarn in seiner Geschichte eines jener Länder war, in denen gerne diverse Eroberer und Könige mit ihren Armeen vorbei schauten (das Schlossmuseum bietet zu dem Thema eine interessante Ausstellung), findet man in Budapest auch Siedlungsreste der Römer, die alten Badehäuser der Türken und, als charmante Krönung einer jahrhundertelangen Besatzungsgeschichte, die Zentrale des faschistischen und später kommunistischen Geheimdienstes. Da diese außer den besagten Plattenbauten eines der wenigen Überbleibsel der Sowjetzeit ist - die Ungarn waren nach der Wende recht fleißig was das Demontieren ihrer sozialistischen Helden angeht - sollte man sich die Geheimdienstzentrale mit dem touristisch ansprechenden Namen „House of Terror“ nicht entgehen lassen. Zugegeben, nicht nur der Name des Museums ist ein bisschen reißerisch, sondern auch die Ausstellung an sich, die in jedem Raum mit anderer bedrohlich donnernder Musik unterlegt wird. Bereits beim Betreten der Eingangshalle, an deren Kopfende der Sowjetstern und das Kreuz der faschistischen Pfeilkreuzpartei in roten und schwarzen Marmor geschlagen wurden, lässt einen die Musik nichts Gutes erahnen.

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Teilweise kommt man sich in den Räumen vor wie in einem besonders abgedrehten Musikvideo, wenn an den Wänden Filme von toten Juden und marschierenden Nazis zu Industrial und potentiell deutschem Techno abgespielt werden. Das geht in den nächsten Räumen auch so weiter und erzeugt trotz seines beinahe kitschigen Charakters doch eine ganz schön bedrückende Atmosphäre. Popindustrie kann also doch Geschichte treffen. Dass man nach solchen Eindrücken erst einmal wieder frische Luft braucht, ist ganz klar und deswegen gibt es zum Abschluss des Tages noch einen Spaziergang quer durch die Stadt zur Margareteninsel.

Inzwischen ist es dunkel geworden und als wir über die Kettenbrücke von Pest nach Buda laufen, kommt plötzlich doch noch die beinahe vergessene Donauromantik auf. Tagsüber muss man Budapests Schönheit schon ein bisschen suchen, nachts dagegen springt sie einem in Form unzähliger Lichter förmlich ins Auge. Wenn Stadt, Parlament, Burgberg und Donaubrücken hell erleuchtet sind, ist es empfehlenswert sich schon mal die eine oder andere Minute Zeit zu nehmen, um einfach da zu stehen und die Donaumetropole auf sich wirken zu lassen. Im Sommer, bei lauen Abendtemperaturen, ist das bestimmt noch viel schöner, aber auch im regnerischen März hat sie einiges zu bieten. Wir müssen dann aber doch weiter, nicht nur aufgrund der Kälte, sondern auch weil wir für den Abend noch was vor haben. Um genau zu sein, geht’s auf ein Donauschiff in einen Club, der sich in diesem Dampfer eingerichtet hat. Wenn man schon angefangen hat zu prüfen, was Budapest abends so zu

bieten hat, kann man auch gleich mit dem Nachtleben weitermachen. Auf dem Plan steht ein Konzert von Iron Mafia, dem ungarischen Äquivalent zu Seeed, für das wir umgerechnet knapp 10 Euro bezahlen. Ein lustiger Abend für super kleines Geld, denn als westeuropäischer Tourist lässt es sich noch immer gut in Osteuropa leben. In vier Tagen habe ich gerade mal 30 Euro ausgegeben ohne mich finanziell zurück zu halten. Fast könnte man deshalb schon ein schlechtes Gewissen kriegen, aber eigentlich gibt es zu viele Möglichkeiten, Budapest zu erkunden und kennen zu lernen. Erst recht, wenn man am letzten Tag der Reise auch noch in einen der ungarischen Nationalfeiertage gerät. Die Ungarn scheinen einiges erlebt zu haben, worüber man sich freuen kann, denn sie haben insgesamt drei davon. Bei dem heutigen wird an den Aufstand gegen die Österreicher 1848 erinnert. Der ist nicht ganz so glücklich ausgegangen, dennoch feiern die Leute draußen, bauen Straßenstände auf, um Essen und Getränke zu verkaufen, und heften sich als echte Heimatfreunde auch eine Trikolore mit den ungarischen Nationalfarben an die Brust. Wir beschränken uns auf das Durchwühlen des kulinarischen Angebotes in den alten Markthallen der Stadt. Hier finde ich dann auch die traditionellen Läden, welche Paprika, Gewürze und Salami in rauen Mengen unter die Leute bringen und die mit ihren Gerüchen die gesamte Halle ausfüllen.

Letztendlich offenbarte sich mir doch noch das Budapest, von dem mir alle erzählt haben. Das ist eigentlich auch gar nicht so schwierig, wenn man der Stadt nur ein bisschen Zeit lässt ihren Charme zu entfalten und die Reste der Ostblockgeschichte als das nimmt, was sie sind – ein Teil der ungarischen Geschichte, der ebenso lebhaft ist wie das restliche Budapest.

Feministival Isabel Hager ist 23 Jahre alt und studiert in Berlin Politikwissenschaften. Seit 18 Monaten lebt sie in Istanbul und organisiert momentan das „Bagyan Feministival“; Ein Festival für Frauen, das Anfang April stattfinden wird. Warum bist du nach Istanbul gegangen und was machst du dort? Ich bin als Studentin vor eineinhalb Jahren in die Türkei gekommen. Nachdem ich ein Jahr Erasmus gemacht habe, entschloss ich mich noch länger zu bleiben, da ich sowieso noch ein Pflichtpraktikum machen musste und gerne noch mehr über Istanbul herausfinden wollte. Ich bekam ein Stipendium von meiner Uni in Deutschland. Eine türkische Professorin, bei der ich zu der Zeit einen Kurs absolvierte, brachte mich auf die Idee das Praktikum bei „Amargi“ (Anm. d. Red.: eine Frauenkooperative in Istanbul) zu machen, . Wie bist du auf den Gedanken gekommen das „Feministival“ zu organisieren? Als ich mich bei „Amargi“ vorstellte, wurde mir gesagt, dass man mir keine konkreten Aufgaben geben werde. „Wenn du irgendetwas machen möchtest, dann musst du dir aus Eigeninitiative Gruppen oder Workshops suchen, an denen du gerne teilnehmen möchtest“. Im Sommer vor dem Beginn des Praktikums war ich in Berlin auf dem „LaD.I.Y Fest“ in Berlin, das mich sehr fasziniert hat. Zum ersten Mal nahm ich dort

an einem politischen Festival teil, das stark auf den Zusammenhalt zwischen Frauen ausgerichtet war. Dort kam ich auf den Gedanken, etwas Ähnliches auch in Istanbul zu organisieren. Zu dem Zeitpunkt kannte ich die feministische Szene in Istanbul jedoch noch nicht und zweifelte daran, ob es angebracht sei. Meine türkische Professorin unterstützte mich letztlich bei dem Projekt, mit dem ich mich dann auch in Deutschland für das Stipendium bewarb. Und auch aus Deutschland kam eine positive Reaktion. ...für die Bewerbung um das Stipendium musstest du also schon ein konkretes Projekt einreichen? Ich bewarb mich zwar schon mit dem Praktikum bei „Amargi“ um ein Stipendium, jedoch brauchte ich für das Stipendium auch einen besonderen Grund. Als ich wieder in Istanbul ankam, wurde mir jedoch zunächst gesagt, dass für die Organisation eines Festivals die Zeit fehle. Zusätzlich verunsicherte mich der Gedanke, dass mir die Szene in der Türkei noch immer sehr fremd war. Ich dachte, dass ich vielleicht eine zu extreme „europäische Idee“ durchsetzen wollte, wobei ich hier ja nicht einfach nur eine „Ausländershow“ veranstalten will. Es kamen jedoch immer mehr Frauen auf mich zu, denen meine Idee gefiel. So fingen wir im Januar mit einer Gruppe von fünf Frauen an zu organisieren. Welches sind denn eure Intentionen hinter der Organisation des Festivals?

Treffen teil und jede hat ihre eigene Vorstellung wie das Festival aussehen soll, wofür es da ist und was wir uns davon versprechen. Für mich war wohl die Hauptmotivation ein Gefühl herzustellen, mit verschiedenen Frauen aus ganz verschiedenen Richtungen zusammen zu kommen und sich über eine andere Art der Kommunikation kennenzulernen, also nicht bloß mit Worten; Indem man gemeinsam etwas erlebt und erarbeitet, ist es möglich neue Wege der Kommunikation zu finden. Was ist denn das Feministische daran? Eine neue Art der Kommunikation und Umgang miteinander lässt sich ja auf vielen Wegen herstellen... Diese Frage kommt ständig auf. Feministisch ist das Festival vor allem dadurch, dass wir eine feministische Methode wählen. Wir haben klare Richtlinien nach denen wir arbeiten und welche wir auch als einzige Voraussetzung für die Teilnahme am Festival sehen. Dies beinhaltet keine Hierarchien, kein Militarismus, kein Heterosexismus. Wir sagen somit, dass wir uns diese Welt anders vorstellen. Wir wollen mit anderen Regeln leben. Wenn wir uns treffen, soll jede eine Stimme bekommen, niemand soll unter Druck gesetzt werden und unsere Arbeitsweise ist sehr offen. Notizen aus unseren Treffen stehen jedem auf unserer Internetseite zur Verfügung und alle Frauen auch außerhalb der Organisation sind eingeladen uns zu kritisieren. Wie wird das Festival ablaufen?

Zunächst muss man sagen dass wir alle ziemlich unterschiedlich sind. Mittlerweile nehmen circa 20 Frauen aktiv an unseren

Es wird drei Tage gehen, vom neunten bis zum elften April. Wir wollten von Anfang

Text und Fotos: Felix Schledde

Foto: Jannes Tessmann

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Ja, bisher haben wir zehn Männer gefunden, unter denen auch ein sehr guter Koch ist... große Freude.

Frauen sind, ohne dass ich darauf Einfluss nehmen möchte. In unserer Gruppe sind wir sehr unterschiedliche Individuen mit unterschiedlichen Hintergründen. Aber, was mir gefällt, kann eben auch anderen gefallen.

Woher kamen denn die finanziellen Mittel für das Festival?

Habt Ihr denn auch negative Erfahrungen gemacht während der Vorbereitung?

Wir hatten ursprünglich überlegt uns finanzieren zu lassen. Da hätte es viele Möglichkeiten gegeben. Im Endeffekt haben wir uns jedoch entschieden die meisten Dinge selbst bereitzustellen. Darüber hinaus haben wir eine Soli-Party veranstaltet, bei der Geld, zum Beispiel für die Poster-Drucke zusammen gekommen ist. Alle Räume, die wir benutzen, haben wir umsonst bekommen. Das Festival wird bei den Organisationen „Amargi“ und „Lambda“ stattfinden, sowie in der Heinrich Böll Stiftung, im französischen Kulturcenter und anderen Orten. Frauen, die von außerhalb von Istanbul kommen, haben die Möglichkeit bei anderen Teilnehmern zu übernachten.

Es wurde uns von Anfang an aus verschiedenen Richtungen vorgeworfen, wir seien nicht feministisch, oder wir seien ausschließend. Beispielsweise bekamen wir Kritik, weil wir einen Strick-Workshop anbieten werden. Wir haben außerdem eine Mail eines homosexuellen Mannes bekommen, der sich beschwert hat, dass er nicht teilnehmen darf.

...habt ihr dafür Männer gefunden?

Inwiefern stellt Istanbul als Veranstaltungsort für dich eine Besonderheit in der Organisation dar?

Nicht für Männer, nicht für Frauen - für Menschen.

an dem Festival keine bestimmte Form geben, es wird also so werden wie die Menschen, welche daran teilnehmen und es organisieren. Alle Workshops und Aktivitäten werden von unprofessionellen Frauen angeboten, die einfach ihre Erfahrungen teilen wollen. Im Endeffekt ist ein Programm entstanden, das sich unter die Überschriften Technologie, Ökologie, Körperbewusstsein und Aktivismus gliedern lässt. Unter dem Punkt Technologie wird beispielsweise ein Photoshop-Workshop stattfinden, in welchem wir gemeinsam „Stencils“ oder Poster entwerfen. Desweiteren werden wir in einem Kurs „Dubbing“ von sexistischen Filmen machen, in dem wir den Filmen neue Dialoge unterlegen werden. Eine weitere Gruppe von Frauen wird auf den Markt gehen und Essen sammeln, aus welchem die feministischen Männer, welche uns bei dem Festival helfen, dann kochen werden. Diese werden darüber hinaus auch putzen und auf die Kinder aufpassen...

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Die Sache ist, dass ich hier Fremde bin. Ich bin halt unter ganz anderen Umständen aufgewachsen und alle Berührungspunkte, die ich mit Feminismus hatte, waren in Deutschland und anderen westlichen Ländern. Am Anfang viel es mir sehr schwer hinzunehmen, dass ich hier nicht bloß meine eigene Person mit meinen eigenen Interessen darstelle, sondern gleichzeitig wurde ich auch noch als diejenige wahrgenommen, welche die ausländischen Interessen vertritt. So fiel es mir am Anfang schwer etwas vorzuschlagen ohne gleich Kritik zu bekommen; Dass ich ja eigentlich nicht wisse, wie es in der Türkei läuft, und ich ja eigentlich nur Dinge möchte, welche in Deutschland ebenso funktionieren. So wurde teilweise nicht meine Person gesehen, sondern ich wurde eher als die Kultur wahrgenommen, in der ich aufwuchs. Diese Reaktionen kamen natürlich nur von einem kleinen Teil der Frauen, jedoch hätte ich mich mit solchen Problemen natürlich nicht in Berlin auseinander setzen müssen. Ich habe hier jedoch sehr gut gelernt mich etwas zurück zu lehnen und einfach geschehen zu lassen. Ich schaue mir an, was die Bedürfnisse der anderen

Ständig sind wir Zeugen, wir warten immer noch auf Gerechtigkeit!

Warum dürfen keine Männer teilnehmen an den Workshops? Ich war mir da auch nicht ganz sicher. In der Regel finde ich es besser wenn es für Männer offen steht, die sich dafür interessieren. Wir hatten jedoch viele Diskussionen darüber, was eigentlich das Interesse von Männern sein sollte, ein Feminist zu sein. Es gibt in der Türkei eine Bewegung von Männern, „Biz erkek degiliz“ (Anm .d. Red: Wir sind keine Männer), die beispielsweise sagen: „wenn es bedeutet ein Soldat zu sein, um ein Mann sein zu können, dann sind wir keine Männer“, oder „wenn es bedeutet ein Frauen-Feind zu sein um ein Mann sein zu können, dann sind wir keine Männer“. Diese Männer stellen also genau wie wir gesellschaftliche Geschlechterrollen in Frage. Viele Frauen mit denen ich arbeite finden dies zwar sehr toll, doch wollen sie eher, dass diese Männer eine eigene Bewegung gründen. Denn was wir mit den Männern nicht teilen, ist die Erfahrung als Frau zu leben. Auch wenn ich natürlich gegen die Trennung der Geschlechterrollen bin, sind die hier einfach so extrem geprägt, und Frauen können sich bei dem Festival wohler fühlen und sich gehen lassen, wenn sie unter sich sind.

verändert hat. Und im Allgemeinen, ob man nun an politischen Fortschritt glaubt oder nicht, ich denke sich zu organisieren und mit Menschen zusammen zu sein, die ähnliche Auffassungen vom Leben haben ist etwas sehr gutes. Gerade für die persönliche Freiheit. Und ich wünsche mir, dass ich so etwas auch in Berlin finde.

Für mehr Informationen zum Feministival: bagyanfest.blogspot.com

Jannes Tessmann

Isabel Hager Foto: Jannes Tessmann

Möchtest du nach deiner Rückkehr in Berlin dein politisches Engagement fortsetzen? Ich habe für mich hier in Istanbul sehr viel Freiheit finden können. Dies liegt sicher sehr an meiner Umgebung, also an den Frauen, die mir erlauben so zu sein wie ich sein möchte. Ich habe das Gefühl, dass sich seit eineinhalb Jahren sehr viel für mich

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Erkenntnis Sauerstoffradikale sind nützlich! Sauerstoffradikale haben einen schlechten Ruf. Nach Meinung von Dermatologen beschleunigen sie den Alterungsprozess der Haut. Darüber hinaus schädigen Sauerstoffradikale womöglich auch das Erbmaterial (DNA), insbesondere nach einer Strahlentherapie. Doch sind sie nützlicher als bisher angenommen, denn das Immunsystem profitiert von diesen hochreaktiven Eigenschaften. Es benutzt diese Moleküle als Waffe gegen Bakterien. So setzen Fresszellen (Makrophagen) vermehrt Sauerstoffradikale frei, um Bakterienzellen zu zerstören. Wissenschaftler an der Medizinischen Fakultät der Saar-Universität haben in diesem Zusammenhang noch einen weiteren Immun-Mechanismus entdeckt. Bei T-Zellen (weiße Blutkörperchen) spielen Sauerstoffradikale eine völlig andere Rolle: Hier haben diese Moleküle eine hemmende Wirkung. Sauerstoffradikale können bestimmte Kanäle auf der T-ZellenMembran blockieren, wodurch diese ihre Funktion verlieren. Allerdings nicht dauerhaft, denn mit der Zeit bringen die T-Zellen einen modifizierten Kanal heraus, der auch in Anwesenheit von Sauerstoffradikalen arbeiten kann. Mit diesen Erkenntnissen hoffen die Wissenschaftler neue Medikamente zu entwickeln, zum Beispiel um Autoimmunerkrankungen erfolgreich zu behandeln.

Körpereigenes Hormon geht Tumoren an den Kragen Krebszellen wachsen und locken dadurch Immunzellen an. Angehende Tumore machen Immunzellen zu Ihren Werkzeugen, indem sie die Bildung von Adern anregen. Was hat der Körper den Krebszellen also entgegenzusetzen? Beta-Interferon. So heißt das Molekül, welches einen Tumor daran hindern kann zu wachsen. Ein wichtiger Schritt für die Ausbreitung im Körper ist nämlich der Anschluss an das Blutsystem. Nur dann kann ein wachsender Tumor ausreichend Nährstoffe beziehen und sich über Metastasen ausbreiten. „Beta-Interferon blockiert den Anschluss des Tumors an das Blutgefäßsystem, indem es Immunzellen daran hindert, Wachstumsfaktoren zu bilden“, weiß Jadwiga Jablonska vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Sie schlussfolgert, dass in Gegenwart von Beta-Interferonen weniger Adern im Tumor auftauchen. Aus diesem Grund sei der Tumor schlichtweg unterversorgt und könne nicht wachsen. Die Forscherin untersuchte die Endwicklung von Hauttumoren an zwei Mauspopulationen. Die eine Population konnte Beta-Interferon bilden, die andere nicht. „In Mäusen die kein Beta-Interferon bilden konnten, waren die Tumore nach einigen Tagen wesentlich größer als in Tieren, die das Signalmolekül in ihrem Körper hatten. Diese Erkenntnis eröffnen neue Möglichkeiten, um neue Zielstrukturen für die Therapie gegen Krebs zu entwickeln.

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Welcher E-Mail Dienst bekommt weniger Spam? Das Filtern ungewollter E-Mails von wichtigen Nachrichten nervt. "Wir wollten wissen, bei welchen E-Mail-Diensten man mit der kleinsten Anzahl von Spam zu rechnen hat", sagt Dr. Markus Schneider vom Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT). Dazu legten Testpersonen E-Mail-Accounts bei den kostenlosen Anbietern an und prüften anschließend, wie viel Werbemüll innerhalb von vier Wochen in den Postfächern landete. So erreichten die Test-Konten bei GMX 36 Spam-Mails, bei Web.de 21, bei Hotmail und Yahoo nur 10 bzw. 8 Mails. Das Ergebnis scheint klar: GMX und Web.de sind die Verlierer, während Hotmail und Yahoo mit weniger Spam E-Mails glänzend abschneiden konnten. Kein Wunder, denn Microsoft Deutschland hat diese Studie selbst in Auftrag gegeben und finanziert. „Mit der Beauftragung des Fraunhofer-Instituts für Sichere Informationstechnologie verfolgten wir das Ziel, unsere Aktivitäten in den letzten Jahren im Bereich Spam-Abwehr einer externen Prüfung zu unterziehen", so Christian Weghofer, Produkt Marketing Manager für Hotmail bei Microsoft Deutschland. "Das Ergebnis von Fraunhofer zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind und die Änderungen, die wir bei Hotmail vorgenommen haben, fruchten. Zudem liefert es uns den Impuls, uns bei der Abwehr unerwünschter E-Mails Schritt für Schritt weiter zu verbessern." Somit legt diese Studie den Verdacht nahe, schöne PR im Sinne von Microsoft zu sein.

Reich FernSicht

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ZeitGeist


Trödelladen Körnerstraße

Trödelladen Körnerstraße In der Körnerstraße ist es wie im Trödelladen. Auf den ersten Blick hat ihr Äußeres nichts Besonderes zu bieten. Die Fassade der dreistöckigen Häuser aus den 50er Jahren ist eigentlich ganz schön hässlich. Farbe blättert ab und der Putz bröckelt. Doch dann entdeckt man dahinter nach und nach die vielen kleinen Besonderheiten. Denn die Körnerstraße ist eine bunte Mischung aus Kulturen, sozialen Einrichtungen, Designerläden und Secondhandshops. Hier gibt es eine Tierarztpraxis direkt neben einem Friseur, bei dem man auch eine traditionelle Thai-Massage bekommt. Im „Im & Export“ kann man Wecker in Form des Taj Mahals erstehen oder Hennafarbe. Wer Lust hat zu experimentieren, kann sich im „Multikulti Afroshop“ Zöpfchen oder Dreads machen lassen. Gegenüber, im „Fu Na Lädchen“, werden die Haare dann wieder entfernt oder nur die Augenbrauen gezupft. Bei „Zoo Heinrichs“ hängt ein Zettel an der Tür: „Mehlwürmchen, Heimchen und Mückenlarven“ sind wieder im Angebot. Hier kann man sich für den nächsten Angelausflug ausrüsten. Aber in der Körnerstraße gibt es nicht nur Ungewöhnliches und Kurioses. Auch viele Designershops haben hier Einzug gefunden. „Kitsch Deluxe“ hat Secondhandgeschirr, Antiquitäten, aktuelle Einrichtungsbücher und neue Lederjacken im Sortiment. Schräg gegenüber ist „Die Garderobe“ beheimatet, ein Secondhandshop für Kleidung von nobel bis schrill, der aber auch Modeschmuck sowie Taschen im Retro-Look aus eigener Kreation verkauft.

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ZeitGeist

Beim Weiterschlendern entdeckt man dann das „Wohnzimmer“ - kein Café, wie man dem Namen nach vielleicht vermuten könnte, sondern ebenfalls ein kleines Designerlädchen mit viel Nippes. Dann, an der Ecke Körnerstraße/Stammstraße, trifft man auf das Atelier „Geschmackssachen“. Dort werden Unikate angefertigt. Im Atelier gibt es Kronleuchter und andere Lichtinstallationen zu bewundern. Außerdem viel Buntes, Kissenbezüge, Klamotten für Kinder und im Schaufenster ist ein Fernseher aus den 50ern ausgestellt, der zu einer Art Aquarium mit Fischen aus Pappmaschee umfunktioniert wurde. In der Körnerstraße gibt es sowohl die trendige als auch alternative Szene Kölns. Hier könnte man jeden treffen. Auch ihre Bewohner sind ein bisschen wie Trödel. Es gibt sie in vielen Varianten. Eigentlich, meint man, passen sie nicht richtig zueinander. Aber wenn man dann alle zusammen betrachtet und sie sich miteinander unterhalten, sieht man, dass es doch irgendwie passt. Und sogar Charme hat. Hier leben Studenten, Alteingesessene, Hausfrauen, Rechtsanwälte, Hebammen, Künstler, Designer, Türken neben Russen, Polen und Deutschen. Läuft man durch die Straße, begegnet man vielen jungen Müttern, die trendige rote Kinderwägen vor sich her schieben. Die sieht man im „Café Sehnsucht“ wieder, wo sie Tisch an Tisch mit Schwangeren, Omas mit grauen Dutts und selbsterklärten Anarchisten sitzen. Da ist sie wieder, die Vielfalt. Der Blick schweift weiter, ein knutschendes junges Pärchen,

das nicht voneinander lassen kann, sitzt gegenüber von einer Studentin, die demonstrativ die taz liest. Nebenan bestellt eine Familie gerade das Mittagessen. Das „Café Sehnsucht“ ist schon seit über 20 Jahren in der Körnerstraße eine echte Institution. Wem es auch jetzt im Frühling noch zu kalt ist, der kann sich hier mit einem Chai Latte bei einem gemütlichen Zwischenstopp auf der Couch aufwärmen. Fair gehandelte Bio-Limonade und BioKaffee stehen ebenfalls auf der Karte. Und das Sonntagsbuffet einmal im Monat ist berühmt. Wer das Frühstück genießen will, muss aber früh aufstehen, denn dass das Essen lecker ist, hat sich längst rumgesprochen. Weltoffen und international, auch das ist die Körnerstraße. Dabei steht das Allerweltshaus fast symbolisch für die interkulturelle Atmosphäre. Dort arbeitet Sophie Hennis seit mehr als 15 Jahren, als das Begegnungszentrum in die Körnerstraße zog. Sie findet die selbstverständliche Unterstützung von Nachbarn, die Hilfe brauchen, ganz typisch für die Körnerstraße. Und für Mahira YigitHahn ist sie „eine der lebenswertesten Straßen der Welt“. Seit 14 Jahren betreibt sie den „Kiosk Babylon“ gegenüber dem Allerweltshaus. Im Sommer, sagt Mahira, steht immer eine Bank vor ihrem Kiosk. Und im Laufe des Abends bildet sich eine Traube Menschen darum. Man unterhält sich und sitzt gemeinsam auf der Straße, oft bis drei Uhr nachts. So hat sich auch das beliebte Körnerstraßenfest entwickelt. Die Anwohner

wollten sich kennenlernen und zusammen grillen. Dass daraus ein Fest entsteht, das inzwischen mehr als 5000 Besucher anlockt, hätte damals keiner gedacht. Die Initiative erhält sogar Anfragen aus ganz Deutschland. Doch die Körnerstraße bleibt sich treu. Marktstände, die Kaviar verkaufen wollen, oder Würstchenbuden aus dem Süden Deutschlands werden auch in Zukunft nicht teilnehmen dürfen. Die Institution Körnerstraßenfest soll ein nichtkommerzielles, echtes Nachbarschaftsfest bleiben. In diesem Jahr wird die Straße zum zwölften Mal ein Wohnzimmer für alle sein. Doch, man kann sagen, dass wohl viele Bewohner aus Überzeugung in der Körnerstraße leben. Hier existiert der viel besungene Kölner Veedels-Gedanke wirklich. Man kümmert und sorgt sich um den anderen. Mahira klingelt schon mal Sturm bei einem Stammkunden, der zwei Wochen lang nicht bei ihr im Kiosk aufgetaucht ist. Es scheint so, als sei die Körnerstraße der perfekte Wohnort in Köln. Aber auch dieser riesige Trödelladen verändert sich ständig. Vielen Anwohnern fehlt zum Beispiel der Gemüse- und Gemischtwarenladen, der vor kurzem schloss. In das Ladenlokal zog ein weiteres, schickes Designergeschäft. Trotz kleiner Schönheitsfehler findet aber auch der, der nicht im Veedel wohnt und nur lange genug stöbert, im Trödelladen Körnerstraße irgendwann genau das, was er gesucht hat.

Text: Nina Glutsch Fotos: René Becker

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FeinSinn

Foto: RenĂŠ Becker


Der Alte Der Fernseher lief. Das Fenster war einen Spalt geöffnet, die Heizung trotzdem aufgedreht. Es war warm draußen, aber was sie interessierte, war nur die frische Luft, nicht die Wärme. Die beschaffte sie sich lieber selbst, kontrollierte die genaue Grad Zahl per Drehknopf. Am liebsten hätte sie eines dieser modernen Geräte gehabt, die man - Wie nannte man das gleich noch? Dimidal? Diwiral? Ach, nein: Digital! Ja, genau! - die man digital einstellen konnte. Diese neuen Geräte, die einem dann das perfekte Klima schufen, nicht zu warm, nicht zu kalt; die Luft schön frisch und sehr, sehr leise. Keine Geräusche von draußen, keine spielenden, lärmenden Kinder. Keine grillenden, stinkenden Männer, keine Nachbarn, nur ein einfacher Raum, in dem der Fernseher lief und sie, sie selbst sein konnte.

Am liebsten sah sie die Krimiserien. Mord, Intrige. Sie löste die Fälle immer vor dem Kommissar. Ja, das tat sie, sogar meist ganze 10 Minuten vorher, sie hatte gestoppt. Musikantenstadl, ha! Musikantenstadl, das wurde ihr immer von den Nachbarn vorgeworfen, Musikantenstadl auf voller Lautstärke, die Wände würden vibrieren, Musikantenstadl! - dass sie nicht lachte. Als könnte sie, die noch nie jemals getanzt hatte; sie, die noch nie auch nur den Fuß zu irgendeiner Musik gewippt hatte, als könne sie sich diese Strahlemänner um viertel nach Acht am Morgen oder am Abend; als könne sie sich diese, also wirklich! - Beim Gedanken an den Vorwurf schüttelte sie, wie schon so oft den Kopf. Die grauen Locken flogen von Ohr zu Ohr und berührten ihr Hörgerät, so dass es leicht fiepte.

Musikantenstadl - das kam nicht von ihr, das kam von der Alten von oben. Aber der wollte ja niemand einen Vorwurf machen, die schmiss ja nur so mit Schokolade um sich, dass niemand ihr irgendetwas tun konnte; die bestach die Leute geradezu mit Schokolade. Schokoladenweib, nannte sie sie insgeheim; aber was hieß schon insgeheim. Einmal hatte die Alte von oben sogar ihr Schokolade schenken wollen, hatte sie auf einen Kaffee eingeladen, hatte gesagt, sie würde sich freuen! - Dass sie nicht lachte, das Schokoladenweib sich freuen, die bestach doch nur die Leute, wollte doch nur von allen geliebt werden, aber von ihr nicht! Von ihr wurde so leicht keiner geliebt. Nein, nein! Musikantenstadl! Ha! Wer Musikantenstadl hörte, der hatte sie nicht zum Kaffee einzuladen, der hatte sich selbst mit Kaffee und Kopfhörern vor den Fernseher zu setzen und nie wieder einen Mucks zu sagen, der hatte sie in Ruhe zu lassen, jawohl! Und dann immer der Besuch dort oben. Das Stampfen der Füße, dazu die Stimmen, gedämpft zwar, aber vernehmbar. So, dass man nicht verstand, was sie sagten und dennoch, eigentlich, ja eigentlich, war doch genau das, das Schlimme. Wenn man denen wenigstens lauschen könnte, doch die Stimmen, welche höchstens bei Gelächter unterscheidbar waren, ließen sich nicht dazu herab, klar zu werden, verständlich zu werden. Und immer wieder die Schritte, die elenden Schuhe auf dem Teppichboden, der, obwohl doch Teppich, seltsamerweise auch das nicht verhinderte, nicht verhindern konnte, dass man die Schritte hörte. Sie drehte den Fernseher lauter, wollte die Geräusche von oben, diesen elenden

Besuch, nicht hören. Besuch war ihr zuwider; sie selbst empfing schließlich auch niemals Besuch und besuchte auch niemanden. Man konnte doch auch sehr gut alleine glücklich sein, die Beine hochlegen, auf Konventionen verzichten, sich gegen all das benehmen, für das die Welt dort draußen stand; den Fernseher anschalten und alles aus der Entfernung kommentieren. Musikantenstadl, ha! Schon wieder der Musikantenstadl von oben! Leute in lächerlicher Lederkleidung, die lauthals irgendeinen Kram von sich gaben, der realitätsferner nicht sein konnte. Liebe! Glück! Ha! - Dass sie nicht lachte, dass sie nicht lachte.

Nein, sie lachte nicht. Sie begann zu weinen. Eisig, gar nicht zur so aufgewärmten Temperatur des Zimmers passend, rollten die Tränen ihre faltigen Wangen hinab, bahnten sich einen Weg durch die Falten wie durch ein Gebirge. Die Einsamkeit kroch ihre Schultern hoch, legte sich wie ein abgetragener Schal um ihre Schultern, durch den kalt der frische Wind von draußen zog. Der Wind, den sie vermisst hatte, der nur leicht und dennoch stark genug, durch den geöffneten Fensterspalt zog, der die Luft im Zimmer umherwirbelte. Ein Wirbel, der so gar nicht zu ihrem Leben passen sollte; viel zu hektisch, viel zu schnell, viel zu fröhlich wirbelte es im Zimmer umher. Sie griff nach ihrem Taschentuch, doch jenes Tuch, das schon so viele Tränen getrocknet, schon so viel Rotz aufgesogen hatte, selbst jenes Tuch war heute nicht in der Lage den Tränenfluss zu stoppen. Sie dachte an ihre Tochter, die sie nicht mehr sehen wollte; an ihre Enkel, die sie nicht mehr sehen durften und vermutlich auch nicht wollten; ihren Schwiegersohn, der sie hasste, ihr dies sogar schon schriftlich

in einem Brief mitgeteilt hatte und Recht damit hatte. Sie dachte an all die verpassten Dinge ihres Lebens, an all die Hätte ich`s und Was wäre wenn`s, vergaß dabei die neuen Chancen, die sich ihr täglich, sogar gerade jetzt, im Moment, boten. Zum Beispiel hochzugehen und die Einladung zu Kaffee anzunehmen oder raus zu gehen, zu akzeptieren, dass sie das Wetter nicht kontrollieren konnte, sich in einen Park zu setzen, die Wolken zu zählen oder sich vorzustellen, sie wären wilde Tiere. Kindern Schokolade zu schenken oder aber ihre Tochter anzurufen, sich zu entschuldigen, für das eine, für das Unverzeihliche, für das sie sich nie hatte entschuldigen können. Nein, sie saß da und zählte die verpassten Chancen und für alles, was sie verpasst hatte, rollte eine Träne ihre Wange hinab, tropfte in ihren Schoß und langsam, langsam aber stetig, bildete sich dort eine kleine Pfütze; eine kleine Pfütze der Trauer, der verpassten Chancen und des Selbstmitleids. Sie schaltete den Fernseher aus, stand auf und öffnete das Fenster richtig. Zum ersten Mal seit Monaten genoss sie die Sonne, genoss den Wind. Doch dann schloss sie das Fenster wieder, drehte die Heizung auf, schaltete den Fernseher an und löste den Fall genau 9 Minuten und 34 Sekunden vor dem Kommissar. Sie hatte gestoppt.

Simeon Buß Foto: Sara Copray

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FeinSinn

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Salz

Playlist Foto: René Becker

Ich weiß nicht mehr, wie wir auf das Thema kamen weil wir kurz vorher an der Ausfahrt Essen-Kray vorbei gefahren waren. Mit solchen abenteuerlichen Sprüngen musste man bei Unterhaltungen mit ihr rechnen. Jedenfalls hatte sie mich gefragt, wann ich das letzte Mal geweint hatte. Ich wusste es nicht mehr, natürlich. Wenn ich es mir recht überlegte, war es lange her, dass ich überhaupt irgendjemand hatte weinen sehen. Stimmt ja, meinte sie mit leichtem Spott, Jungs weinen ja nicht. Sie lachte in sich hinein und setzte dann zum Überholen eines Corsas an, der auf der mittleren Spur dahin kroch. Dieses Klischee wollte ich dann doch nicht auf mir sitzen lassen. Es fiel mir wieder ein, und ich wunderte mich mit einem Anflug von schlechtem Gewissen, wie ich diese Gelegenheit vergessen haben konnte. Vor einem halben Jahr, sagte ich. Jemand ist gestorben. Oh, antwortete sie. Es klang aber nicht wie ein entschuldigendes oder mitfühlendes, mehr wie ein enttäuschtes Oh. Stimmt damit was nicht? Nein, natürlich nicht, sagte sie. Das sagen die Leute meistens. Weil jemand gestorben ist, weil sie verlassen wurden. Weil sie jemanden verloren haben. Oder auch im Kino. Findest du das merkwürdig? Es gibt doch nur viel interessantere Gründe zu weinen. Aus Freude zum Beispiel, oder aus Wut. Aus Neid, weil dein Bruder eine größere Schaufel für den Spielplatz bekommen hat. Weil dein Verein abgestiegen ist. Manchmal will man auch einfach nur einen Streit gewinnen. Interessiert dich das sosehr? Weswegen jemand weint? Warum nicht? Ist dir klar, wie anstrengend es ist zu weinen? Die Tränen, das Schluchzen, Blut staut sich im Kopf, die Nase schwillt zu… Weinen ist harte Arbeit, das macht niemand

grundlos. Ich weine, wenn ich traurig bin. Punkt. Nein, Weinen ist immer Kommunikation. Wenn du weinst, sollen dir alle zuhören, du machst auf dich aufmerksam. Das Weinen von Babys zum Beispiel, das ist im Grunde ein ganz archaischer Laut, das pure Bedürfnis. Wenn du das hörst, bricht dir der Schweiß aus… immer, das ist ein Reflex wie beim Kindchenschema. In der Heckscheibe des dunkelgrünen Kombis vor uns erschien der Kopf eines etwa Achtjährigen über den Rücksitzen. Der Junge winkte uns zu, ich winkte zurück. Und was willst du damit sagen? Weinen ist also nur Reflex, ein evolutionäres Überbleibsel? Vor allem ist es eine emotionale Reaktion mit sozialer Bedeutung. Du signalisierst damit, dass dir die Situation, in der du dich befindest, gerade zuviel wird. Du sagst praktisch, halt, jetzt mal Pause gerade, Spielstopp. Und an deinen Tränen sieht man, dass es dir ernst ist damit, dadurch haben die meisten Menschen eine Art Mitfühlreaktion. Also ist alle Flennerei letztlich nur Manipulation, eine Aufforderung an deine Umgebung, los, nehmt mich in den Arm. Letztendlich schon, ja. Den meisten Menschen ist es ja sogar bewusst, dass der Weinende es gerade übertreiben könnte – ob absichtlich oder unbewusst ist gar nicht so wichtig – aber selbst dann können sich die wenigsten von dieser Reaktion frei machen. Aber Tränen aus Trauer sind anders als andere. Die Zusammensetzung ist anders. Mehr Salz, mehr Hormone. Außerdem haben zwar alle Säugetiere Tränendrüsen, aber nur Menschen weinen aus Trauer. Ein paar Dinge hatte ich zu dem Thema auch gelesen. Na und, das ändert doch nichts. Mit dem Weinen zeigst du deine Trauer, und wem zeigst du die? Beim Trauern geht es mehr um ein gemeinschaftliches Erlebnis, die Zurückgebliebenen teilen dieses Gefühl und rücken dabei näher zusammen. Sieh dir mal die Bilder von

Begräbnissen in südlichen Ländern an, wo sie laut klagen und sich gemeinsam aufs Grab werfen. Glaubst du, das ist natürlich? Nein, sie machen das, weil es von ihnen praktisch erwartet wird, diese Gefühle zu zeigen. Also, ich gehöre ja eher zu den Leuten, die es in der Öffentlichkeit unterdrücken, und weine dann später, wenn ich allein bin. Sie warf mir kurz einen Blick von der Seite zu. Ja, bei uns ist das normal. Aber eigentlich kommunizierst du auch dann. Auch wenn niemand da ist, durch das Weinen stellst du dir praktisch ein Gegenüber vor, das deine Gefühle registriert und dich damit tröstet. Damit du eben nicht allein sein musst. Darauf wusste ich keine Antwort. Sie sagte auch nichts mehr und schaltete die Scheinwerfer an. Ich sah aus dem Fenster in das Flirren des Sonnenuntergangs, der zwischen dem vorbei rasenden Gestrüpp hindurch schien und fragte mich, ob sie mich wohl zum Weinen bringen können würde. Letztlich erschien mir das aber als kleiner Preis dafür, nicht allein zu sein.

Erst einmal die Wut. Die unermesslich große Wut, die jeden von innen auffrisst und einen unglaublichen Hass auf die Welt in sich trägt. Dann kommen die Tränen. Weinen befreit, der Hass, die Wut lässt nach, man fühlt sich klein und allein. Und irgendwann, dann, wenn man genug geweint hat, kommt das Glück zurück.

Bonaparte - Blow It Up!

Box Car Racers - I Feel So

Skindred - Tears

Last Days Of April - Down In The Aisle (with you)

Emery - By All Accounts, Today Was A Disaster

Ben Harper - Another Lonely Day

Dover - I Hate Everybody

Kate Nash - Nicest Thing

Dashboard Confessional - The Sharp Hint Of New Boys Sets Fire - In Hope Tears Friska Viljor - Shotgun Sister Trip - Break The Jukebox Noah & The Whale - 2 Atoms In A Molecule Radiohead - Let Down Bright Eyes - Road To Joy

Christopher Dröge / Bild von sxc.hu (Old Jetty) Simeon Buß

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FeinSinn

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Impressum

Herausgeber:

Verein zur Förderung studentischen Journalismus Köln e.V. www.vfsjk.de

ViSdP

Niels Walker

Chefredaktion:

Niels Walker

Art Direction:

Sebastian Herscheid

Bildredaktion:

Corinna Kern

Redaktion/Lektorat:

Simeon Buss, Marcel Doganci, Christopher Dröge, Sabina Filipovic, Nina Glutsch, Felix Grosser, Isabel Hager, Annika Kruse, Christiane Mehling, Kathrin Mohr, Lara Petri, Johanna Regenhard, Felix Schledde, Iris Sygulla, Christine Willen

Gestaltung/Layout:

Sven Albrecht, Sara Copray, Elisa Hapke, Sebastian Herscheid, Elisabeth Weinzetl

Online:

Karin Hoehne

Fotografie: Leitung d. Ausbildung:

René Becker, Simeon Buß, Corinna Kern, Felix Schledde, Jannes Tessmann

Website:

www.meins-magazin.de

Erscheinungsweise:

monatlich

StaatsKunst

Kathrin Mohr


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