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Heft 01 | Ausgabe 01/08 | www.meins-magazin.de

Befl端gelt Lebensecht


meins

Inhalt LebensEcht

04 20 34 42 43 58

Rush Hour mal philosopisch Beaudelaire an eine Passantin Publik transport highlife versus Großwild-Fertilität Der Ernst des Lebens Bahnhöfe Abendimpression im Stadtgesicht

FernSicht

08 10 11 12 14 18

Die Liebesbibel Sekten - Psychoterror Sinkende Stadt Umfrage - Welche Sucht hast Du? Blickwinkel Studium Interview - Heimweh

ErkenntnisReich

24 28 32

Das andere Nordamerika Mi Buenos Aires Querido Mikrokosmos

ZeitGeist

34 39 40 41

Aller Anfang ist... Das geflügelte Wort Der Linguistic Turn Spinning Science: Pangaea

StaatsKunst

47 48 50 51 52 53 54

Sonderschule der Ästhetik - Das Prollbike Vorhang auf Gib dem Affen Zucker Radio 2.0 - Die soziale musikrevolution Zuviel des Guten Welcome to the Stereoinn „Ich hab das Grauen gesehen”

FeinSinn

Inhaltliches


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Der Geschwindigkeitsrausch der Moderne zeigt sich nämlich plötzlich, und zwar zweimal am Tag, in seiner einfachen Negativität: in seiner Langsamkeit. Auf frei-williger Basis akzeptierte und praktizierte man homosexuelle Liebschafen, Sadomasochismus und feierte Sexorgien. Oft steht in der Hierarchie ein Führer, der von Gott oder ähnlich höheren Instanzen eine Mission aufgetragen bekommen hat. Eigentlich bin ich ganz normal. Ich möchte später journalistisch arbeiten. Da das aber sehr viele Studenten möchten, versuche ich durch Nebenjobs und Praktika erste Erfahrungen zu sammeln und so später bessere Chancen zu haben. Meine Kindheit verbrachte ich in Indonesien, später bin ich dann in Deutschland zur Schule gegangen. In der Großstadt wird die Liebe flüchtig und es ist genau jene alles betäubende Menschenmenge, die dies möglich macht. Je weiter man nach Westen und Norden vorrückt, desto spärlicher werden die menschlichen Siedlungen, die wie Inseln aus dem Meer der Tundra herausragen. Wenn es zu dämmern beginnt, leeren sich die sonst mit hochbeschäfigten Geschäfsleuten und Touristen gefüllten Straßen und die „Cartoneros“ beginnen zu arbeiten. Da kommt mir die Idee, dass pauschale Angriffe der Art: Naturwissenschaftler sind per se kunstlose Vollidioten im unmittelbaren Zusammenhang mit Pangaea stehen könnten. Blitzendes Chrom, fette Breitwandreifen, Chopperlenker, Riesenhupe, Unterbodenbeleuchtung und noch nicht mal ne Gangschaltung! Inmitten von verwesenden Leichen und Flugzeugwracks hat Kurtz eine nur auf Instinkte beschränkte, jegliche Moral negierende Primitivgesellschaft aufgebaut. Hier ist Leben. Hier ist Wille. Hier ist Stadt. Willkommen im Erdenzoo.

} Inhaltliches


Verkrüppelte Tauben Nach dem Training gehen Sven und ich noch zum Burger King am Neumarkt was essen und weil seit ewig langer Zeit mal wieder die Sonne scheint, setzen wir uns nach draußen. Es ist noch einmal richtig warm geworden, jetzt wo der Sommer vorbei ist, und die Tische draußen sind voll belegt, während ein Schwarm Tauben zwischen den Füßen der Gäste nach Krümeln pickt. Als ich gerade kräftig in meinen Burger beiße, flattern mir plötzlich ein paar graue Flügel um die Ohren und eine zerzaust aussehende Taube mit fleckigem Gefieder landet keinen halben Meter von mir entfernt auf unserem Tisch, wo sie sich zitternd hin kauert. Das passiert mir auch nicht jeden Tag und eine Zwiebel fällt mir aus dem offenen Mund. „Los, hau ab“, Sven wedelt mit der Hand in Richtung der Taube, „Mistvieh, du“. Die Taube hebt erschrocken wieder ab, landet aber nur ein paar Meter entfernt unter einem anderen Tisch, wo sie sich offensichtlich erst einmal von dem Schock erholen muss. „Was war das denn“ sage ich, als ich zu Ende gekaut habe, „die werden ja auch immer dreister.“ Sven tunkt eine Fritte in die Mayonnaise und zeigt damit auf die Taube, die immer noch unter den Stühlen hockt. „Stimmt schon, aber ich glaube, die da hat ein anderes Problem. Hast du gesehen, die hat keine Füße mehr.“„Was?“ frage ich und sehe genauer hin; Sven hat recht. Sie liegt praktisch auf dem Bauch und wenn sie vergeblich versucht sich aufzurichten sieht man, dass ihre Beine in deformierten Klumpen enden. Laufen kann sie damit nicht mehr, nur noch fliegen. „Deswegen flattert die hier so rum“ meine ich, „Sie ist einfach völlig erschöpft.“ „Ja die hat es schlimm erwischt“ entgegnet Sven. „Aber allein ist sie damit nicht. Ist dir das nicht auch schon mal aufgefallen? Fast die Hälfte der Tauben in Köln hat verkrüppelte Füße. Auf jeden Fall die in der Innenstadt.“

FeinSinn

Ich schüttele den Kopf. Ich wohne erst seit ein paar Monaten hier und normalerweise achte ich auf Tauben nicht, schon gar nicht auf ihre Füße. Tauben sind eben da, so wie Autos… Aber jetzt wo Sven mich darauf aufmerksam gemacht hat, fällt es mir auch auf: Viele der Tauben, die auf dem Boden nach Essensresten suchen, haben schlecht verheilte Fußverletzungen oder verwachsene Zehen, und manche haben sich einen ganzen Fuß amputiert, so dass sie auf den Stümpfen umherhumpeln wie Piraten auf ihren Holzbeinen. „Ist ja schräg…aber wie kommt denn so was? Haben die alle einen Virus oder wie?“ frage ich stirnrunzelnd. Sven zuckt die Achseln. „Ich hab ja die Theorie, dass das an den diesen fiesen Stacheln liegt, die sie hier überall drauf hauen. Da, auf den Fenstersimsen, den Werbeschildern, Neonreklamen…eben überall da, wo sonst Tauben sitzen. Soll sie wohl aus der Stadt fernhalten oder vertreiben oder so. Klappt nur anscheinend nicht. Die Viecher versuchen einfach trotzdem da zu landen, und hacken sich dabei die Zehen ab.“

muss doch noch andere Möglichkeiten geben die Viecher los zu werden, als sie gleich zu verstümmeln.“ „Dabei funktioniert das noch nicht mal“ kichert Sven, „Tauben fliegen immer noch überall rum, nur haben sie jetzt viel weniger Zehen.“ Danach kommen wir wieder auf das Spiel am Samstag zu sprechen, und das Thema ist für uns erledigt. An den Rolltreppen zur U-Bahn trennen wir uns. Sven fährt mit dem Fahrrad weiter, ich muss zur Bahn Richtung Kalk. Auf der Zwischenebene lasse ich mich vom Strom der hin und hereilenden Passanten durch die Unterführung treiben. Diese geschäftigen Menschenmassen haben irgendwie eine hypnotische Wirkung auf mich; so viele verschiedene Gesichter die auf dich ein- und an dir vorbeistürmen, auf den Wegen von ihren A’s zu den entsprechenden B’s, und alle Wege kreuzen sich hier.

Schlürfend saugt er den Rest Cola aus den Eiswürfeln in seinem Becher. „Wow, das klingt aber ganz schön drastisch. Ist so was überhaupt legal, von wegen Tierschutz und so?“ wundere ich mich. „Keine Ahnung“ antwortet Sven, „anscheinend schon, sonst hätte sich wohl jemand beschwert. Oder auch nicht, schließlich geht es ja nur um Tauben. Nicht mal Ökos interessieren sich für die.“

Als ich in die Halle mit den Treppenaufgängen zu den Bahnsteigen komme, streift mein Blick das Gesicht von einem dicken Jungen mit diesen Neo-Vokuhilas, der an der Seite steht und auf einen Punkt am Boden starrt. Ich folge seinem Blick um zu sehen, was es da so interessantes gibt und stutze: Da ist sie wieder, unsere Taube ohne Beine. Mitten in der Halle sitzt sie, auf dem Boden zwischen den Treppenaufgängen, und wie durch ein Wunder hat sie noch keinen Tritt abbekommen, was aber nur eine Frage der Zeit sein kann.

In Gedanken versunken beobachte ich das Gewusel der hinkenden Vögel. Ich suche nach der ohne Füße, aber ihr Platz unter dem Tisch ist leer. Weggeflogen, um woanders nach einem sicheren Platz zu suchen. Sie kann gar nicht anders, sie muss fliegen. Ein komischer Gedanke, irgendwie. „Ich find’s trotzdem unnötig“ meine ich. „Es

Irgendetwas im Gesicht des Jungen lässt mich langsamer werden und schließlich stehenbleiben. Er ist vielleicht zwölf oder dreizehn, an der Schwelle zum Halbstarken, und sieht so aus, als würde man ihn normalerweise im Saturn bei den Videospielen oder in Fast Food-Läden antreffen. Er starrt auf die Taube als hätte er vorher noch nie eine ge-


sehen, und man sieht es in seinem Gesicht arbeiten. Er hat einen abwesenden Blick drauf, als wäre ihm gerade etwas aufgegangen, etwas, worüber er vorher niemals auch nur nachgedacht hatte, und das er jetzt von einem Moment zum anderen in völliger Klarheit vor sich sieht. Ich beobachte fasziniert, wie der Junge fasziniert die Taube beobachtet. Die Szene gibt mir das Gefühl, Zeuge eines wichtigen Moments in seinem Leben zu sein; vielleicht hat er ja gerade zum ersten Mal Mitleid mit einem lebenden Wesen. Oder irgend so was Kitschiges. Und dann hab ich tatsächlich so was wie eine Vision. Ich stelle mir ganz deutlich vor, wie der Junge sich vorsichtig der Taube nähert, in die Knie geht und beruhigend auf sie einspricht. Sie bleibt sitzen, beäugt ihn misstrauisch, lässt sich aber widerstandslos von ihm aufheben. Er trägt sie behutsam vor sich her durch die Halle, bis zu den Treppen an die Oberfläche, durch die ein Strahl warmen Sonnenlichts bis nach unten dringt. Der Junge stellt sich auf die unterste Stufe in das Licht und hebt die Taube in die Luft, die

befreit davon flattert. Ein Hauch von Weihrauch scheint in der Luft zu liegen. Aber Pustekuchen. Er steht immer noch vor der Taube, als einer seiner Kumpels, die neben den Münztelefonen herumlungern, etwas zu ihm herüber schreit. Augenblicklich erlischt der Ausdruck tieferer Erleuchtung auf seinem Gesicht und er stapft zu seinen Freunden rüber, ohne den Vogel noch zu beachten, was mich aus meiner eigenen Versunkenheit holt.

warum ich ihren Freund so angeguckt habe. Außerdem wollte ich doch noch wohin, hab ohnehin keine Zeit hier dämlich rumzustehen. Meine Bahn hab ich jetzt natürlich verpasst, und die nächste kommt erst in einer Viertelstunde. Scheiß-Wochenendfahrplan.

Jetzt bin ich allein mit der Taube. Ich sehe nachdenklich dabei zu, wie sie dort hockt, mitten im Gewühl, den stampfenden Schritten der Passanten ausgeliefert. Ich mache ein paar vorsichtige Schritte auf sie zu, spreche beruhigend auf sie ein…aber als ich sie fast erreicht habe, fliegt sie auf einmal zu Tode erschrocken auf, springt mir dabei fast ins Gesicht und verschwindet mit eine paar Flügelschlägen durch einen Rolltreppenschacht nach oben ins Freie. Ich stehe da und komme mir ein bisschen blöd vor. Die Gruppe Halbstarker um den dicken Jungen werfen mir schräge Blicke zu und tuscheln miteinander, es wird wohl Zeit weiterzukommen, bevor sie wissen wollen,

von Christopher Dröge FeinSinn


Wer sind wir und wie fing alles an? Das Gründungsteam von Meins-Magazin besteht aus vier Leuten: Kristin (1. Foto von oben), Hannah (3.Foto), Sebastian (Foto unten) und Niels (2. Foto ).

über uns

Sebastian und Kristin saßen einmal in einer Freistunde zusammen und kamen auf die Idee eine Zeitschrift zu gründen. Kristin wollte aber erstmal weg und fuhr nach China. In der Zwischenzeit ließ die Idee Sebastian aber nicht mehr los und er erzählte Hannah und Niels davon. Als Kristin aus China zurück war, fand sie drei Menschen vor, die von einer Idee vollkommen begeistert waren, von der sie selbst eigentlich glaubte, sie wäre viel zu spinnert. Aber die anderen drei waren schon weit mit der Idee fortgefahren. Alle vier studieren in Köln an verschiedenen Hochschulen. Natürlich ist noch keiner fertig mit dem Studium, Sebastian hat zwar vorher eine Ausbildung gemacht und Niels und Kristin schnupperten schon bei Koelncampus etwas Journalistenluft, aber reicht das, um ein Magazin zu gründen? Wir wissen es nicht. Wir versuchen es trotzdem.


Wir machten uns daran der Idee eine Struktur zu geben, skizzierten unsere Vorstellungen von Layout, Inhalt und der Organisation. Schließlich trauten wir uns, für unsere Idee zu werben. Mit Aushängen am schwarzen Brett, Rundmails und Interviews auf Koelncampus luden wir zu Infotreffen ein – und waren überrascht. Es erschienen tatsächlich Leute! Und, es wollten viele mitmachen.

Inzwischen zählt unser Team über 50 Mitarbeiter, von Fotografen über Programmierer zu Marketingbeauftragten hin zu Lektorat und vielen Schreibern. Um das alles zu organiseren mussten wir uns natürlich etwas überlegen und so gründeten wir den „Verein zur Förderung studentischen Journalismus Köln“ e.V.. Er ist das rechtliche Dach, dass alles zusammenführt und zusammenhält. Schnell war uns klar, dass wir zu viert nicht alles alleine schaffen können, aber viele die mitmachen wollten hatten natürlich auch Ideen und Tatendrang im Gepäck. Inzwischen sind die Treffen der Ressorts, der Lektoren, der Arbeitsgruppe Online, des Marketings und aller anderer unzählbar geworden. So ist aus einer kleinen Idee schon ein großer Verein geworden, in dem viele Mitarbeiter Verantwortung übernommen haben und helfen, das ganz große Ziel – das Meins-Magazin – zu verwirklichen. Das Ergebnis erscheint nun einmal im Quartal, immer nach den Ferien. Wenn du mitmachen möchtest, hey, dann komm an Bord, wir freuen uns auf dich!

Lebensecht


Impressum Herausgeber: Verein zur Förderung studentischen Journalismus Köln e.V. www.vfsjk.de ViSdP (Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes): Niels Walker Chefredaktion: Niels Walker, Kristin Gabriel Art Direction: Sebastian Herscheid, Sabine Wißdorf Bildredaktion: Hannah Gärtner Marketing: Martina Oelke, Sarah Oppenberg, Annika Bastians Redaktion/Autoren: Jennifer Borsky, Eva Helm, Marieke Steinhoff, Jennifer Schmitz, Felix Grosser, Mario Derstappen, Christine Willen, Jan Handel, Anne Wellmann, Sara Schneider, Tina Trinks, Sylvia Jobi,Elisa Hapke, Janina Heuser, Jörg Bernady, Christine Wilkn, Alexander Graeff, Mitra Moezodine, Katja Koslowski, Nicolas Martin, Christina Klassen, Annika Kruse, Ilka Bühner, Veronika Czerniewicz, Annika Bastians, Maiko Henning, Stephanie Meyer, Christopher Dröge, Adam Bronisz, Christiane Mehling, Holger Reinermann, Sarah Gronemeyer, Anno Bergmann, Agathe Miskiewicz, Alexander Schulz Gestaltung/Layout: Stephanie Meyer, Sara Copray, Jan-Rasmus Handel, Tina Trinks Internet: Henrik Greger, Michael Römer, Christian Klassen, Andreas Arnold Fotografie/Bildredaktion: Hannah Gärtner (verantwortlich), Alexander Gräff, Nina Mathar, Meiko Henning, Sarah Oppenberg, Nicolas Martin Website: www.meins-magazin.de Erscheinungsweise: vierteljährlich


Interview über Sado Maso und Tanz (S. 18) Was hat eine diplomierte Tänzerin mit Sado Maso zu tun? Meistens nicht unbedingt viel – es gibt aber auch Ausnahmen: Elektra zum Beispiel! Ein aufregendes Interview mit einer Tänzerin, die einmal etwas Anderes ausprobieren wollte...

LebensEcht


Kolumne: Einsamkeit

Hallo Vera, entschuldige bitte, dass ich so lange mit einer Antwort habe warten lassen - bezieht sich auch auf meinen dämlichen Spionageaccount beim dämlichen Studivz, wo ich mich abgemeldet habe, wie Du vielleicht schon bemerkt hast. Die Sache ist die, dass ich momentan und v.a. in den letzten Wochen ziemlich viel damit zu tun hatte meine Musik zu realisieren und zu veröffentlichen und eben fast schon mitten in meiner Magisterarbeit stecke. Diese beiden Baustellen haben mich ziemlich in Beschlag genommen und wenn ich jetzt an zu schreibende Texte denke, fällt mir so ganz spontan nichts Konkretes ein. Ich habe nach wie vor Lust darauf, nur fällt es mir zurzeit schwer einen klaren Kopf zu kriegen. Ich hatte dennoch den Ansatz einer Idee, welche, wie mein vorheriger Text mit der Stadt, sich ebenfalls eher lyrisch mit einer ganz konkreten Erfahrung auseinandersetzen würde: die Erfahrung der Einsam-

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LebensEcht

keit. Die Einsamkeit, die entsteht, wenn man ehrgeizig an größeren Projekten arbeitet, die zeit- und arbeitsintensiv sind, Nerven kosten, natürlich auch Freude machen und einen süchtig immer wieder dahin zurückkehren lassen, das alles nur für sich selbst, für das - mit Hoffnung auf Erfolg und Glück gemachte - Gefühl der Pflicht vor sich selbst. Und dann die Einsicht, dass die nächsten Freunde ebenso handeln und ebenso einsam an ihren persönlichen und privaten Projekten arbeiten. Beinahe absurd. Alle arbeiten sie wie die Blöden, versprechen sich davon rosige Zukünftigkeiten und verlieren den Blick für die wesentlichen Dinge, welche eigentlich glücklich machen und befriedigen: gemeinsame Zeit, das Teilen und Mitteilen von Gefühlen, den Trost im Anderen, Freundschaften, die unter die Haut gehen. Das alles muss mehr und mehr als hoher Preis für ein wie auch immer designtes Leben entrichtet werden. Da

kommt mir die Idee, dass ich Dir mit dieser Mail eigentlich schon einen brauchbaren Text für das Ressort verfasst habe. So eine Art Faketext oder Text hinter, zwischen oder vor dem Text, zumindest wird man sich beim Lesen hinsichtlich der Authentizität nicht ganz im Klaren sein (was ich persönlich immer ganz attraktiv finde). Auch wenn es nicht so klingt, mir geht es eigentlich gut und ich hoffe, Dir ebenso. Freue mich, Dich bald irgendwie wiederzusehen. Wegen der Termine, die Du angegeben hast, kann ich jetzt leider keine Auskunft geben, da ich nichts zum Organisieren an der Hand hab. Sag Bescheid, was Du von der Idee hältst, genau diesen Text dieser Mail zu benutzen. Bis bald, Anno


Psychoterror

Der Begriff “Sekte” hat einen üblen Nachgeschmack, obwohl die Definition erstmal ganz harmlos klingt. “Sekte” wird als kleine Glaubensgemeinschaft, die sich in bestimmten Punkten von Lehre und Kult einer etablierten Religion unterscheidet, definiert. Trotzdem möchte keine Glaubensgemeinschaft als Sekte bezeichnet werden, da diese im heutigen Verständnis als problematisch und gefährlich gelten.

Die wohl bekannteste Sekte, die “Zeugen Jehovas”, haben weltweit rund 6,7 Millionen getaufte so genannte “Verkünder”, wobei die Sympathisantenzahl ungewiss ist. Auch “Scientology” ist momentan durch diverse Promis wie Tom Cruise schwer im Kommen. Der Weg vom Sympathisanten zum Sektenmitglied ist meistens derselbe. Irgendwie tritt man mit der Sekte in Kontakt, vor der eigenen Haustür etwa, und ist völlig erstaunt bei der Sekte genau das zu finden, was man bisher vergeblich gesucht hat. Eine neue Sicht der Dinge wird vermittelt; das Weltbild hat ein einfaches Konzept und ist in der Lage jedes Problem genau zu erklären. Die Mitglieder zeigen sich offen und fühlen mit. Oft steht in der Hierarchie ein Führer, der von Gott oder ähnlich höheren Instanzen eine Mission aufgetragen bekommen hat. Dieser Führer allein ist im Besitz der “ganzen Wahrheit”. Die Welt außerhalb der Sektengruppe ist satanisch, nur die Sekte entspricht der göttlichen Absicht. Vor Katastrophen können ausschließlich Mitglieder gerettet werden. Nicht selten ist ein Vertrag, der das neue Sektenmitglied sofort in die Gruppe einsteigen lässt. In Stresssituationen, Unzufriedenheit oder Einsamkeit ist man sehr anfällig einer solchen Gemeinschaft beizutreten. Wenn dann von Sektenmitgliedern zusätzlich der “Himmel auf Erden” versprochen wird, steht einer lebenslangen Mitgliedschaft nichts mehr im Wege. So einfach wie man beigetreten ist, kommt man allerdings nicht wieder hinaus: Ehemalige Mitglieder berichten von Verfolgung, Beschimpfung, Diskriminierung und sogar von Morddrohungen. Artikel vier unseres Grundgesetzbuches manifestiert die Glaubensfreiheit und die ungestörte Religionsausübung, trotzdem wird die Scientology- Kirche seit Mitte der 90er Jahre

durch den Verfassungsschutz beobachtet. Warum eigentlich? Scientologen schmücken sich damit, dass sie an das Gute im Menschen glauben. Tja, das tat auch Rousseau und begründete nicht gleich einen neuen Glauben. Bei näherer Betrachtung erkennt man allerdings, wie dieser Spruch in scientologischen Kreisen gedeutet wird. Die Rehabilitierung des menschlichen Geistes steht auf dem Programm. Da haben wir es ja schon: rehabilitieren. Meines Wissens geht einer Rehabilitierung ein geistiger oder körperlicher Schaden voraus. Wenn ein Mensch rehabilitiert werden muss, besucht er doch einen Therapeuten und keine Glaubensgemeinschaft. Therapie als Religion, oder doch Gehirnwäsche? Kein Wunder, dass Scientology nicht als Kirchengemeinde akzeptiert werden kann. Und wie sieht es mit den Zeugen Jehovas aus? Warum werden diese als Sekte abgewertet? Das ist eigentlich ganz einfach zu beantworten. Sie erfüllen die theologischen Voraussetzungen für den Beitritt zum Weltkirchenrat aufgrund der strikten Ablehnung anderer Glaubensrichtungen nicht. Weiterhin sprechen der Kontrollwahn innerhalb der Sekte und die vehemente Ablehnung von Bluttransfusionen dagegen. Die Emanzipation der Sektenmitglieder geht allmählich den Bach runter, denn sie erkennen gar nicht, dass sie eingelullt worden sind und ihre persönliche Meinung nie zur Debatte stand. Natürlich ist es irgendwann einfacher der Macht der Gewohnheit zu folgen, nichts mehr kritisch zu hinterfragen und die Augen zu verschließen. Wie heißt es doch so schön? Niemand ist so blind, wie einer, der nicht sehen möchte! Veronika Czerniewicz

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Auslandsaufenthalt an der Université de Caen Erfahrungsbericht

Und wohin geht’s?

Zu Stadt und Region

Ein Semester in Frankreich. Was wird einen da wohl erwarten? Gutes Essen wahrscheinlich, Freizügigkeit und charmante Männer vielleicht - eine gehörige Portion Selbstzufriedenheit auf jeden Fall! So dachte ich, als ich mich in meinem vierten Fachsemester für ein Auslandsstudium via ERASMUS im Land der langen Brote und blauen Käse entschied. Meine Französischkenntnisse verbessern wollte ich, und die Grande Nation kennenlernen, die mir zwar aus Büchern und kürzeren und längeren Urlauben vertraut war, mir aber dennoch oft streng und unnahbar vorkam. Und wo lernt man besser die kleinen aber feinen Unterschiede, die Sitten und Traditionen, die Eigenarten und natürlich auch die Sprache einer anderen Kultur kennen als im Land ihrer Herkunft selbst?

Von der Stadt Paris sagt man, sie sei gut fürs Herz aber schlecht für die Füße. Das ist leider nur allzu wahr. Die Metropole ist zwar abwechslungsreich aber viel zu groß. Aufgrund meiner Abneigung für hektische Umgebungen (da sie meine eigene Unruhe nur ungesund verstärken) und des Gedankes daran, dass es außer der Hauptstadt ja auch noch viele andere tolle Ecken in Frankreich geben muss, bewarb ich mich für einen Platz in der Normandie. So kam ich nach Caen, Hauptstadt der Region Basse-Normandie, Perle des Departement Calvados, Heimat tausender Apfelbäume und frühere Festung Wilhelm des Eroberers. Ein beschauliches und - wie ich mit der Zeit feststellen sollte - äußerst vielseitiges und historisch interessantes Fleckchen Erde.

Caen liegt ca. 15 km von der Küste des Ärmelkanals entfernt, im normannischen Norden Frankreichs. Wenn mich meine Freunde gefragt haben: „Wo zum Geier liegt denn diese Stadt?“, habe ich immer die Gegenfrage gestellt: „Hast du Der Soldat James Ryan gesehen?“.

Nach einer nicht allzu turbulenten, dafür aber auch wenig informativen Bewerbungs- und Anmeldephase in Deutschland, sollte es dann Mitte September so weit sein.

Omaha Beach

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LebensEcht

Denn die Strände Utah, Omaha, Gold, Juno und Sword, an denen 1944 die alliierten Truppen zur Eröffnung der zweiten Front im Westen gelandet sind, breiten sich direkt vor den Toren Caens kilometerlang aus. Die Landungsküste ist nicht nur Touristenmagnet im Sommer, sondern mit den vielen Denkmälern und zahlreichen Soldatenfriedhöfen auch Mahnmal für die Gräuel, die hier die normannische Bevölkerung unter deutscher Besatzung und die alliierten Truppen im Zuge der Befreiung erfahren mussten. Wir sind natürlich auch zum Eisessen, Kaffeetrinken und Muschelsammeln an die bald steinig wilde, bald felsig kalkweiße Küste ge-


Einführung ins Erasmusleben fahren. In Lion sur Mer kann man an der breiten Strandpromenade, die von typischen Backstein- und Fachwerkhäusern gesäumt wird, wunderbar flanieren. Caen selbst hat knapp 120.000 Einwohner und ist somit die 28st größte Stadt in Frankreich (Hut ab!). Es gibt zwei alte Abteien; der Bau der Abbaye aux hommes wurde von dem ‚kühnsten und berühmtesten’ Einwohner Caens in Auftrag gegeben, Guillaume le Conquérant. Früher ein Mönchskloster, beherbergt sie heute das Rathaus. Der stolze Wilhelm ruht in der nebenstehenden Kathedrale St. Etienne, in der man tolle Orgelkonzerte besuchen kann. Das Pendant zur Abbaye aux hommes ist die Abbaye aux dames. Das Damenkloster ist zwar etwas kleiner, aber dafür ruhiger und von einer schönen grünen Parkanlage umgeben, in der sich zahlreiche Pärchen zum Knutschen treffen.

Da die Vorlesungen auch in Frankreich erst Mitte Oktober anfangen und die französischen Studenten in den Ferien und an den Wochenenden immer nach Hause zu ihren Eltern fahren, war ich, als ich Mitte September in die Cité U (Uniwohnheim) auf dem Campus einzog, ziemlich allein. Das änderte sich schlagartig am 22. September, dem Tag der Einführungsveranstaltung des dortigen Studentenwerks CROUS für die ausländischen Studenten. Toll! Auf einmal hatte ich so viele nette Leute um mich, die auch noch aus den unterschiedlichsten Ländern Europas kamen (und man glaubt es ja nicht, bevor man’s nicht selbst gesehen bzw. gehört hat): Spanier, Italiener, Schotten, Engländer, Dänen, Schweden, Finnen, Polen und viele, viele, viele Deutsche, die von manchen frotzelnd Piefke, Tedesco oder einfach nur Bayer genannt wurden.

tual des Mittagsessens in der Mensa eingeführt und mit herzlichen Worten und Wünschen willkommen geheißen. Von diesem Zeitpunkt an war ich nie mehr allein…

Zusammen wurden wir durch die Wirren des Einschreibeverfahrens geschleust, in das Ri-

Natürlich gibt es für die ausländischen Studenten neben den stets wahrzunehmenden

Leider auch nicht freiwillig, denn egal in welchen Hörsaal man sich Mitte Oktober setzte, irgendein „Erasmüüs“ war immer dabei. Und so wurde es auch nicht ganz einfach, Kontakt zu den Leuten des Landes zu bekommen, die einem ja das gute Französisch beibringen sollten, zumal selbst die Franzosen in den Germanistikkursen nicht geneigt waren von den Muttersprachlern in den eigenen Reihen zu profitieren. Unverständlich, wie ich fand! Aber die Tatsache, dass man als Erasmusstudent einer großen internationalen Familie angehört, eilt dem Ruf dieses Austauschprogramms ja stets voraus. Trotzdem sollte es niemanden von der Teilnahme abhalten!

Honfleur

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Die Uni und der Campus Universitätskursen ein besonderes Angebot an Aktivitäten, die einem die nähere Umgebung, die Geschichte der Region und die Kultur in der Normandie ein bisschen näher bringen sollen. Von Ausflügen nach Honfleur an die Côte fleurie oder zum legendären Inselkloster „Mont Saint Michel“ (vorzugsweise im Herbst oder Winter, dann muss man sich nicht mit Scharen von Touristen durch die engen Gassen quetschen) über Museumsbesuche und Klosterbesichtigung bis zu Stadtrallys und Trips nach Paris wird alles geboten. Und wenn so viele Nationalitäten zusammenkommen und man sich gegenseitig über seinen Akzent im Französisch lustig machen kann, ist der Spaß ohnehin vorprogrammiert.

Die Universität in Caen

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Eines habe ich in Bezug auf mein Heimatland in Frankreich wirklich zu schätzen gelernt: die deutsche Bürokratie. Wenn man sich bisher in Deutschland darüber beklagt hat, dass die unnötige Blätter- und Antragswirtschaft Unmengen an Geldern verschlingt und sowieso nur noch alles komplizierter macht als es ist, der komme nach Frankreich und sehe, dass es noch viel, viel schlimmer geht. Ich habe wirklich noch nie zuvor (naja, vielleicht beim Antrag auf ein Visum für die USA) so oft mein Geburtsdatum, meinen Namen, meine Anschrift(en), meine Studierendendaten irgendwo eingetragen, noch nie so viele Passfotos gemacht und aufgeklebt und selten so viel Geduld beweisen müssen, wie in diesem Land. „La patience est l’art d’espérér“. Dieser Spruch wurde mir einmal von einem französischen Studenten ans Herz gelegt, der mich wohl als hoffnungslosen Fall entlarvte, als ich mich laut fluchend bei strömendem Regen in die endlose Schlange der ruhig wartenden, sich immer mal wieder vordrängelnden Fran-

zosen anstellte, die sich alle am selben Tag (denn es gab nur diesen einen Termin) für die Sportveranstaltungen der Uni anmelden wollten. Besonders die Einschreibung für die Seminare und Vorlesungen, die nach der Einschreibung für die gewählten Fakultäten stattfindet, ist äußerst nervenaufreibend. Wessen Name nach zwei Anmeldeanläufen auf der richtigen Liste erscheint, ist zur Teilnahme an der jeweiligen Abschlussklausur berechtigt und hat nicht nur Glück gehabt, sondern sicherlich auch viel Flexibilität und Ausdauer bewiesen. Bei den Kursen selbst, ob es sich nun um eine Vorlesung (cours magistral) oder ein Seminar (travaux dirigés) handelt, muss man sich auf Frontalunterricht einstellen. Gerade für Studenten geisteswissenschaftlicher Studiengänge bedeutet dies eine ziemliche Umstellung, da man an den meisten Unis in Deutschland eher Diskussionsrunden in den

Mont Saint Michel


Nachtleben Seminaren gewöhnt ist, während man sich in Frankreich im flotten Mitschreiben trainiert. Wer alles mitkriegen will, sollte der französischen Schulstenographie mächtig sein, die den Franzosen schon auf dem collège beigebracht wird. Aber klar: anderes Land, andere Sitten. Im Nachhinein kann ich nur sagen, dass man sich auf die neue Unterrichtsform einfach einlassen muss und sich nicht zu schnell entmutigen lassen sollte, wenn man nicht alles mitschreiben, geschweige denn verstehen kann. Und es sei darauf verwiesen, auf abzugebende Tests oder Referate einfach immer oben rechts ganz fett „ERASMUS“ auf das Papier zu schreiben. Ob man deshalb eine Extrawurst bekommt ist jedoch nicht garantiert (ist ja eigentlich auch nicht Sinn der Sache), aber zumindest hat der Professor dann eine Erklärung für die vielen Rechtschreib- und Grammatikfehler. Sehr positiv aufgefallen ist mir die Ausstattung der Universität mit Computern und Kaf-

Oxygene B

feeautomaten. Auf dem Unicampus befinden sich neben den Bibliotheks- und Lehrgebäuden auch zwei Mensen und zwei Wohnheimkomplexe. Mein trautes Heim für die nächsten Monate wurde ein 9 qm Zimmer im vierten Stock der „Cité des Peupliers“. Ausreichend möbliert und mit Blick über die Stadt, Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftsbad, war es doch recht wohnlich. Vor allem die Lage hat mir gefallen und natürlich die Tatsache, dass man schnell Kontakte mit seinen internationalen Nachbarn schließen konnte. Dabei sind Freundschaften entstanden, die ich im Leben nicht mehr missen möchte.

Abgesehen davon, dass bei Erasmusstudenten die Fähigkeit langen Feierns - egal wo und zu welcher Zeit - unbedingte Voraussetzung für den erfolgreichen Auslandsaufenthalt ist, ist es in Caen auch durchaus möglich, den Partyabend in einem der Clubs und Bars der Stadt anklingen zu lassen. Ausklingen geht leider weniger - die meisten Kneipen schließen schon um 3 Uhr. Da man hier jedoch den Kleinstadtvorteil genießt und alles zu Fuß erreicht, kann nach Discoladenschluss im Park oder auf den Burgwiesen noch lustig weitergefeiert werden.

Abends geht man rüber in DAS Café, welches wohl so etwas wie das Wohnzimmer der ausländischen Studenten darstellt, l’Oxygène B. Hier finden wöchentlich Konzerte statt, jeden Abend kann man feiern, Kaffee, Wein oder französisches Bier trinken oder nette Gespräche führen.

Freundschaften

(Bild: Freundschaften)

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Wissenswertes Will man sein Leben in Frankreich (oder auch anderswo) in vollen Zügen genießen, gehört dazu ja auch eine gehörige Portion Kleingeld. Und damit man sich nicht mit den horrenden Auslandsgebühren der heimatlichen Banken rumschlagen muss, macht man am besten gleich ein Girokonto bei einer der vielen französischen Banken auf. Im Departement Calvados war es im Herbst 2005 am lukrativsten, Kunde bei der unschlagbar um junges Klientel werbenden BNP Paribas zu werden. Nicht nur bekam man die französische Bahncard 12-25 geschenkt, es wurden einem auch gleich zur Kontoeröffnung 30 Euro gutgeschrieben. Denselben Betrag erhielt man zudem für jeden weitere Kunden, den man warb und das könnte bei den ganzen Erasmusstudenten ein gutes Geschäft werden, wenn man nur redegewandt und flott im Bekanntschaftenschließen ist. Auch der Kauf eines Jahrestickets für den öffentlichen Nahverkehr „Twisto“ lohnt sich, wenn man bedenkt, dass es dazu ein Gutscheinheft geschenkt gibt, das Unmengen an

Amerikanischer Soldatenfriedhof in Colleville

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LebensEcht

Zum Schluss… Vergünstigungen für einen bereithält: Theaterfreikarten, Bustickets, Prozente bei FNAC etc. Zudem sollte man sich bald nach seiner Ankunft nach der unglaublichen staatlichen Einrichtung mit dem Namen „CAF“ (caisse d’allocations familiales) erkundigen. Denn hier kann sogar der Nicht-Franzose Wohngeld beantragen. Keine Scheu – das macht echt jeder.

Der Aufenthalt in einem anderen Land ist immer eine prägende und aufregende Zeit. Auf der einen Seite erfährt man unheimlich viel über die unterschiedlichen Kulturen, über deren Eigenheiten, Traditionen, ihre Sprache. Man lernt südamerikanisch zu tanzen, italienisch zu fluchen, spanisch zu spät zu kommen, chinesisch zu kochen und französisch zu flirten. Was mich vor allem erstaunt hat und womit ich vor dem Auslandssemester gar nicht wirklich gerechnet hatte, ist das gesteigerte Bewusstsein über meine eigene Nationalität. In Frankreich habe ich gelernt, mein Land mit anderen Augen zu sehen. Herauszufinden, dass man nämlich selbst mehr Stereotypen erfüllt, als man denkt, ist ziemlich witzig und eine enorme Bereicherung. Erasmus stiftet also ein Stückchen Identität, gibt einem Selbstbewusstsein im Umgang mit anderen Menschen und natürlich mit der Sprache des Gastlandes und ist einfach eine ganz, ganz tolle und wichtige Sache. In diesem Sinne: Auf geht’s! Eva Helm

L‘abbaye aux hommes


Kolumne: Rot und Spiele Ich erinnere mich. Einmal spielten B und ich improvisiertes Hockey. Wir knüppeln mit Schlagzeugsticks einen Tennisball auf markierte Tore, oben in meinem Jugendzimmer. Es steht eher günstig für ihn, ich glaub er führt acht zu zwei. Da ich generell nur schlecht verlieren kann, versuche ich in zunehmend hektischen Bewegungen und mit Showeinlagen meiner inzwischen offenkundigen Niederlage etwas Restwürde zu verleihen. Immer dann, wenn die Lage für mich aussichtslos wird, versuche ich durch Tricks an meine Technik und meinen urtümlichen Spielwitz zu erinnern. Vielleicht will ich so meinem Gegner verdeutlichen, dass höhere Gewalten, nicht aber meine Spielintelligenz versagt haben. Vielleicht ist es aber auch nur Trotz. Ich versuche durch Draufschlagen auf den Ball diesen zum Springen zu bringen, was auch gelingt, um dann weit auszuholen und den Ball elegant aus der Luft in Richtung Tor zu hämmern. Allerdings ratsche ich dabei mit der rechten Hand an einem meiner lärmenden Lautsprecher vorbei, deren Schutzgitter aus scharfem Eisen sind, und schneide mir einen langen Ritz in die Haut. Das Spiel muss unterbrochen werden, da es ein wenig pocht und ich gehe gelassen ins Badezimmer. Präventiv halte ich die verdächtig trockene Wunde unter Wasser. Langsam bilden sich kleine rote Tropfen in den Niederungen der Wunde. Zunächst wenige und ich denke noch, ach, da kommt ja nichts nach. Ich ziehe meine Hand vom Hahn weg, drücke noch ein wenig rum und kann mich rückblickend nur noch an die Farbe Rot erinnern. Flächendeckend. Ein paar Sekunden später regnet es. Ich sehe in ein verzerrtes Gesicht und verlange instinktiv nach Vitaminen. Mir geht es ziemlich schlecht. Habe wohl vergessen zu erwähnen, dass wir vor dem Spiel ge-

raucht haben. Mein Herz rast. Ich muss mich in mein Bett legen, werde allein gelassen und habe Angst davor zu sterben. Ich erinnere mich. Einmal spielten A und ich improvisiertes Hockey. Wir knüppeln mit Schlagzeugsticks einen Tennisball auf markierte Tore, oben in seinem Jugendzimmer. Es steht, gemäß der Ansprüche, die ich an mich lege, zehn zu null. Ein klarer Sieg in einem von mir klar dominierten Spiel. Nichts Besonderes oder sonderlich Erfreuliches. Sieg hat für mich oberste Priorität und ist das Ventil, durch welches ich atmen kann, insofern eine Notwendigkeit. A versucht es mit seinen üblichen Spirenzien, die immer dann kommen, wenn er die Lust verloren hat. Ich kenne das von ihm. Ökonomie und Motivation sind nicht seine Stärke. Dennoch ein nicht ungeschickter Schlag, welcher den Ball springen lässt, ein Täuschungsversuch, dann holt er aus und zischt plötzlich auf. Er lässt den Schläger fallen, geht die Tür hinaus zum Bad, sagt, dass er nur kurz kühlen müsse und mich danach fertig machen würde. Ich denke mir also nichts weiter.

fernsehschauend. Ich will höflicherweise auch nicht gleich die Schränke aufreißen. So frage ich, sichtlich bemüht ruhig zu wirken, ach, sagt doch mal, wo sind denn eigentlich eure Vitamintabletten. Im Schrank. Warum – Kommt es zurecht zurück. Der A hätte gern welche. Ach so - Entgegnet es mir fernsehguckend. Ich bin froh, dass keine Nachfragen bezüglich der Selbstständigkeit von A kommen. Dann hätte ich Erklärungsnotstand und ich will in diesem Haus niemanden unnötig beunruhigen, indem ich offenbare, dass A, zumal bekifft, beim ohnmächtig werden nur millimeterknapp mit dem Kopf an der Badewanne vorbeigedonnert sei, dass das Badezimmer im Übrigen wie nach einer rituellen Schlachtung anmute. Erleichtert löse ich eine Tablette auf – als seien Präparate dieser Art das einzig Vernünftige in Momenten wie diesen – und gehe zügig nach oben. A ist immer noch kreidebleich, fragt aber milde lächelnd, ob ich denn nicht auch eine wolle. Anno Bergmann

Nach fünf Minuten wird mir das zu lang, gehe also ins Bad und fahre sofort zurück, als ich A zusammengefallen am Boden liegen sehe. Überall pappt Blut an den klinischen Fliesen. Ich greife A hastig an den Schultern und rühre diese blasse Körpermasse nicht einen Zentimeter. Das Einzige, was mir in diesem Augenblick durch den Kopf schießt, sind Zeichentrickserien. Also kippe ich ihm Wasser aus dem Zahnputzbecher über den Kopf. Schlagartig ist er wach. Ich lege ihm Klopapier in die Hand, es blutet kaum noch, stütze ihn hoch und wir gehen zu seinem Bett. Er redet fiebrig von Vitaminen. Warum nicht, denke ich und renne nach unten, verlangsame den Schritt als mir einfällt, dass da noch A´ s Eltern sind,

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Sado Maso und Tanz

Zu dem Themenbereich Sex and Soul fiel mir eine Bekannte ein, die eine besondere Erfahrung im Rahmen ihres Tanz Studiums machte. Sie absolvierte ein Praktikum in Berlin bei dem Choreographen Felix Ruckert. Das Stück, in dem sie dort mitwirkte, nannte sich “United Kingdom”. Dem Titel entsprechend war in diesem Stück gleich einer altertümlichen Monarchie von der Königin über den Hofstaat bis hin zu den Arbeitern und Sklaven alles vertreten. Die Erfahrungen, die meine Bekannte Elektra dort gemacht hat, sollen euch hier etwas näher gebracht werden.

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Lebensecht

Meins: Elektra, du hast an der Hochschule für Musik in Köln dein Diplom für Tanz gemacht. Wie kam es zu der Entscheidung Tanz zu studieren?

Meins: Du bist jetzt sehr schnell von deinen persönlichen sexuellen Erfahrungen zurück zum Tanzen gekommen. Ist Tanz für dich auch erotisch konnotiert?

Elektra: Also ich tanze schon mein ganzes Leben. Angefangen habe ich mit Ballett, was ich immer beibehalten habe, weil ich mir ein Leben ohne Tanz nicht vorstellen konnte und kann. Zeitweise wollte ich auch Rechtsanwältin oder Lehrerin werden, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, nicht mehr zu tanzen. Daher wollte ich mir später nicht vorwerfen müssen, es nicht versucht zu haben. Ich hab mich dann an mehreren Schulen beworben, wobei mir Köln besonders gut gefiel. Ich bin sehr froh, dass ich hier gelandet bin. Jetzt, nach meinem Diplom, arbeite ich als freie Tänzerin und schlage mich mit Engagements durch.

Elektra: Ja sehr. Ich sehe die Erotik im Tanz als eines der Hauptkriterien, je nachdem welches Stück man natürlich tanzt. Aber die Erotik kann einem Stück sehr viel geben. Zwei Personen in einem Raum, die miteinander agieren und auch mit dem Publikum kommunizieren. Diese Kommunikation bewegt sich sicherlich auch im Rahmen der Erotik. Es geht vor allem auch darum, dass es dem Tänzer daran gelegen ist vom Publikum gemocht zu werden und auch umgekehrt. Es entsteht eine Art Wechselbeziehung, die über den Tanz kommuniziert wird. Da mir dieses Thema sehr wichtig ist, habe ich mich dann im Rahmen meines Studiums für ein Praktikum in Berlin bei einem Choreographen Namens Felix Ruckert entschieden. Ich wusste, dass er mit Schmerz und Grenzerfahrungen arbeitet, aber nicht in welchem Rahmen sich das abspielt. Das Projekt, bei dem ich dann mitgearbeitet habe, hat mir dann die Augen geöffnet, was es bedeutet in dieser Szene zu arbeiten und wie man aufgeklärt wird über die gängigen Klischees.

Meins: Ist es ein richtiges “Durchschlagen”? Elektra: Ja, im Moment schon noch. Die Umstellung von einem geregelten Tagesablauf in eine totale Unregelmäßigkeit, nicht zu wissen, was als nächstes kommt, das ist doch nicht zu verachten. Aber das Loch, in das man nach einem Abschluss fällt, kennt man ja. Meins: Oh ja, wer kennt das nicht. Aber was mich ja jetzt brennend interessiert, wie kam es denn überhaupt dazu, dass du SM Ansichten gewonnen hast? Elektra: Das hat eigentlich schon mit meinem Ex-Freund angefangen, mit dem ich ein bisschen herumprobiert habe. Ich bin eine sehr neugierige Person und ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, wie ich mich ausleben kann. Ich wollte auch im Tanz etwas Anderes erfahren, als den herkömmlichen Bühnentanz. Was ist hinter der Fassade? wie kann ich da hinein blicken?

Meins: Der Choreograph Felix Ruckert hat eine sehr besondere Auffassung für die Bedeutung von Tanz. Er sieht in der Verletzlichkeit eine Durchlässigkeit des Tänzers für das Tanzen. Durchlässigkeit im Sinne von Sensibilität und Umsetzungsfähigkeit, die den Tänzer das gestalten lässt, was der Choreograph vorgibt. Der Schmerz eines Tänzers, der in der Natur der Bewegungen des Tanzes liegt, wird als wohltuend bezeichnet. Er verbindet den Körper mit dem Raum. Das SM, also das Schlagen und Einschnüren, erzeugt auch Schmerzen, die den Körper mit dem Raum


verbinden. Im S/M erreicht man eine hohe Präsenz und das ist auch das, was der Tänzer in seiner Arbeit sucht, bzw. der Choreograph in der Arbeit mit seinen Tänzern. Kannst du dich mit dieser Auffassung identifizieren? Elektra: Ja, diese Ansicht teile ich. Als Tänzer muss man sehr sensibel sein sowohl in Hinblick auf den Choreographen, als auch auf die Mittänzer und das Publikum. Man will ja etwas aussagen und das sollte auch ankommen können. Das kann es aber nur, wenn alle Beteiligten aufeinander eingehen. Bei Felix ging es vor allem um die Interaktion zwischen Tänzern und Zuschauern. Meins: Wie hat er das macht? Elektra: Er hat die Zuschauer mit ins Stück einbezogen. Das sieht so aus, dass die Zuschauer mit auf die Bühne kommen. So gibt es später im eigentlichen Sinne keine Zuschauer mehr, sondern nur noch Akteur und Gast. Die Akteure suchen sich einen Gast aus, den sie durch ein Interview bestimmen und nehmen diesen dann mit ins Stück.

Hause schickt. Wenn man ihn behielt, konnte man mit ihm spielen, in welcher Weise auch immer. Das heißt aber nicht zwingend sexuell. Es war eher ein freier Rahmen, in dem man sich bewegen konnte. Die Zuschauer dieses Stückes gingen danach, wie ich beobachten konnte, glücklich nach Hause. Sie konnten hier Grenzerfahrungen machen, sich das geben lassen, was sie im Alltag nicht bekommen. Wir hatten fast ausschließlich positive Resonanz auf das Stück. Meins: Wie war das denn für dich mit diesem Umfeld umzugehen? Du kanntest SM ja vorher nur aus privater Erfahrung. Und dann hast du ja innerhalb des Stückes eine leitende Rolle gespielt. Elektra: Da das Stück einen sehr freien, ungezwungenen Rahmen hatte, war es in Ordnung. Sicher war es ungewohnt, da ich ja gar nicht wusste wie ich das jetzt anzustellen hatte. Aber durch die Offenheit, die von allen Beteiligten erwartet wurde, ging das sehr gut. Wenn ich mich mit meinem Gast unwohl gefühlt habe, dann habe ich ihm das auch gesagt. Schwäche wurde absolut akzeptiert.

Meins: Was war das für ein Interview? Meins: Offenheit war also sehr wichtig? Elektra: Entweder stellte man Fangfragen, um das zu erfahren, was einem selbst wichtig war oder man gab kurze Befehle, wie „nimm meine Hand!“. Aus der Körpersprache hat man dann auch gemerkt, wer für einen richtig war. Den „Auserwählten“ hat man den ganzen Abend begleitet. Man führte ihn in das Stück ein, sprich, er war für diesen Abend Teil des Hofstaates. Es gab dann innerhalb des Stückes Zeremonien, wie zum Beispiel Waschungen oder Kreisrituale, die dazu da waren, die Klassenunterschiede darzustellen oder Dominanz und Unterwürfigkeit zu demonstrieren. Nach dem ersten Teil des Stückes konnte sich jeder Akteur entscheiden, ob er seinen Gast behält oder ihn nach

Elektra: Offenheit war das A und O. Teilweise war es sehr brutal, aber dadurch im Endeffekt auch sehr reinigend. Man wurde ernst genommen und respektiert. Was wirklich das Essenziellste bei diesem Stück war, das war die Arbeit mit sich selbst. Man erfuhr Grenzüberschreitungen, durch die man sich selbst neu entdeckte. Noch heute bin ich davon beeinflusst. Meins: Warst du denn schon immer ein offener Mensch oder hat sich durch dieses Stück etwas grundlegend verändert?

vorher eher ein verschlossener Mensch, der seine Gefühle nicht ohne Weiteres preis gab. Durch die Arbeit in Berlin habe ich gelernt mit meinen Gefühlen und Gedanken offener umzugehen und sie meinen Mitmenschen auch mitzuteilen. Natürlich besteht das Risiko, dabei verletzt zu werden, aber wenn man sich völlig verschließt, verkümmert man irgendwann innerlich und das wollte ich noch weniger. Vor allem im Tanzen profitiere ich davon. Meins: Kannst du also sagen, dass die Erfahrung in Berlin gut für dich war? Elektra: Alles in allem bin ich sehr froh diese Erfahrung gemacht zu haben. Ich habe sehr viel gelernt und bin ein anderer Mensch geworden. Meins: Hast Du vielleicht zum Schluss noch eine lustige Anekdote, die du uns erzählen kannst? Elektra: (lacht) Och, da gab es so Einiges. Was mir aber wirklich im Gedächtnis geblieben ist, war eine Begegnung mit einem Mädchen. Sie war sehr zart, blond und klein. Ich kannte sie, weil sie einmal nackt für uns Mendelssohn gespielt hatte. Jedenfalls kam sie zu mir und bat mich, mit ihr ein „horse-play“ zu machen. Ich stellte mich mit einer Peitsche in der Hand in die Mitte des Raumes. Damit sollte ich sie antreiben. Sie begann im Kreis zu laufen und zu schnaufen. Anfangs war ich zaghaft mit meinen Befehlen aber später wurde ich fordernder. Sie rannte immer schneller und ihre Augen wurden weiter. Sie begann sogar zu wiehern. Am Ende dankte sie mir, dass ich sie so fest angetrieben habe. Meins: Vielen Dank für das Interview. Ilka Bühner

Elektra: Ja, das ist wirklich ein Thema. Ich war

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Wie geht denn das mit der Steuererklärung? Es ist gar nicht mal so kompliziert, wie man es vielleicht erwartet. Bei Minijobs auf 400 Euro Basis und bei einem Grundfreibetrag, der für Ledige 7.235 € beträgt, sind noch keine Steuern zu zahlen.

Sobald dieser jährliche Betrag überstiegen wird, beispielweise wenn man als studentische Aushilfe tätig ist, werden neben den Sozialversicherungskosten - Krankenversicherung, Rentenversicherung und Pflegeversicherung - auch steuerrechtliche Abzüge - Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag - berechnet. Der Steuerpflichtige gibt seine Steuererklärung ab, um prüfen zu lassen, ob zu hohe oder zu geringe Abzüge bestritten wurden. Der Ottonormal-Student, der ledig lebt und kein Kapitalvermögen besitzt, muss den Hauptvordruck der Steuererklärung und die Anlage N - Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit - ausfüllen. Die Formulare für eine Steuererklärung sind im Internet oder beim Finanzamt erhältlich. Laut § 12 Nr. 5 EstG sind die Aufwendungen für ein Erststudium ab 2004 nicht mehr als Werbungskosten, sondern als Sonderausgaben absetzbar. Unter diesen Aufwendungen sind sowohl Schul-, Lehrgangs- und Studiengebühren als auch Arbeitsmittel wie PC, Laptop, Schreibwaren und Fachliteratur zu verstehen. Zu den Sonderausgaben zählen weiterhin Versicherungsbeiträge sowie Unterhaltskosten. Auch die Fahrtkosten zu dem jeweiligen Arbeitsplatz, auch wenn es sich nur um einen Nebenjob handelt, sind ab dem 21.Kilometer als Werbekosten absetzbar: Entscheidet man sich dazu, die Fahrtkosten absetzen zu lassen sollte man vorher prüfen, ob nicht doch mit dem Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel mehr Geld eingespart werden kann. Sind durch Geburt, Krankheit oder Beerdigung höhere Aufwendungen entstanden, sind diese unter dem Punkt „außergewöhnlichen Belastungen“ einzutragen. Auch Spenden sowie Bewerbungen sind absetzbar. In den meisten Fällen werden Kosten trotz Steuererklärung nicht rückerstattet, da die nötigen Belege fehlen. Somit sollte man während des Jahres alle möglichen Quittungen für Fachliteratur, Benzinausgaben, Kfz–Reparaturen etc. aufbewahren und der Erklärung beilegen. Weiterhin sollte man darauf achten, keine falschen Angaben zu machen. Auf die Angabe eines längeren Arbeitsweges, Scheinbewerbungen oder falsche Quittungen können hohe Geldstrafen bis hin zu fünfjährigem Freiheitsentzug folgen. Eine Steuererklärung ist immer bis zum 31. Mai abzugeben. Diese Frist lässt sich jedoch schriftlich verlängern. Wird die Steuererklärung von einem Steuerberater bearbeitet, verlängert sich diese Frist automatisch bis zum 30. September. Agathe Miskiewicz

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Latein

Warum studieren?

„Warum habt ihr mich nicht einfach dazu gezwungen? Das ist alles nur eure Schuld!“ Mit diesen Worten habe ich meine Eltern neun Wochen lang, jeden Tag, mit einem Lächeln voller Verzweiflung, Versagensangst und einem immer größer werdenden Anteil Wahnsinns, zuhause begrüßt. Doch erst dazu wie alles begann…Im Wintersemester 2005 habe ich mit meinem Germanistikstudium angefangen, ohne Latinum, da ich ja nie Medizin studieren wollte und mir somit alle Beteiligten davon abgeraten haben es zu machen. DANKE an dieser Stelle. Nach vier gescheiterten Uni-Lateinkursen und zwei Alleingängen habe ich dann schließlich aufgegeben und nach einem anderen Weg zum Latinum gesucht. Fündig wurde ich kurz vor den Semesterferien: ein neunwöchiger Latein Intensivkurs. Ich wusste, das werden wunderbare Ferien. Nachdem ich also die Monate August und September nur im Standby-Lern-Modus verbrachte, während alle anderen Menschen auf der Welt ihre freien Tage mit Dingen verbrachten, die Spaß machten, war es dann soweit. Der Tag der Klausur war gekommen. Eine Woche später hatte ich endlich mein wohlverdientes Latinum in der Hand und zögerte nicht, alle Unterlagen zu vernichten.

Vom Bildungsfaktor her lohnt sich ein Studium auf jeden Fall: es erweitert den Wissenshorizont und fördert wichtige Kompetenzen für den späteren Beruf, wie zum Beispiel das eigenverantwortliche Arbeiten. Doch ist ein Studium mit der Etablierung von Studiengebühren eklatant kostspieliger geworden: Spätestens seit dem Sommersemester 2007 muss jeder Student einen Studienbeitrag von 500 Euro für das Einschreiben berappen. Während der akademischen Ausbildung staut sich zweifellos ein großer Kostenberg an. Laufende Kosten wie Miete, Haushalt oder unbezahlte Praktika nicht einmal mitgerechnet. Bei einer Regelstudienzeit von 10 Semestern ist der Student durch die Studiengebühren um mindestens 5000 Euro stärker belastet. Aber auch nur dann, wenn die Zulassungsgebühren in den nächsten Jahren nicht angehoben werden. In wieweit lohnt sich ein Studium überhaupt noch finanziell?

wissenschaft und der Naturwissenschaft in der Regel auf ihren Kosten sitzen.

Der Studienabschluss rentiert sich am ehesten, wenn man Wirtschaft oder Technik studiert, denn Akademiker aus diesen Studienbereichen sind sehr gefragt. Manche von Ihnen werden von großen Firmen angeworben und bekommen so das Studium finanziert. In Kooperation mit einer Firma braucht man sich keine Sorgen um die Studiengebühren machen.

Flexibilität, die uns auch auf der Suche nach dem Traumjob fehlt. Die Arbeitgeber verlangen heutzutage von den jungen Akademikern nicht nur ein umfassendes Fachwissen, sondern auch einschlägige Berufserfahrungen. So muss der Student während des Studiums neben dem Kosten- und Zeitdruck so ganz nebenbei Praktika absolvieren. Das Studium mutiert immer mehr von einem Akt der Selbstverwirklichung zu einem Akt der Wirtschaftlichkeit.

Das waren die Eindrücke meiner ganz persönlichen Latein-Odyssee. In meiner Verzweiflung zu Anfang des Studiums suchte ich natürlich auch nach Wegen Latein zu umgehen. Man kommt aber in fast keinem Fall daran vorbei. Wenn man mit dem Ziel Magister studiert, kann man sich nur dann von Latein befreien lassen, wenn man es nur für ein Nebenfach braucht. - Wenn man mit dem Ziel Bachelor studiert, braucht man keinen Lateinnachweis. Möchte man seinen Abschluss jedoch noch um den Master ergänzen, muss man ein Latinum nachweisen können. Das Beste ist also, Latein, Caesar und seinen „Bellum Gallicum“ schon in der Schule hinter sich zu bringen. Ist dies nicht der Fall, ist ein Intensivkurs die sicherste Möglichkeit ein Latinum nachzuholen.

An Philosophie und Grundlagenforschung ist die Wirtschaft allerdings weniger interessiert. Darum bleiben die Studenten der Geistes-

Nicht jeder ist daran interessiert schnelles Geld zu machen. Denn es gibt auch noch andere Gründe für ein Studium: manche wollen in erster Linie ihren Wissensdurst stillen, forschen und sich persönlich weiter entwickeln. Langsam werden alle Studierenden immer mehr dazu gezwungen wirtschaftlich zu denken. Wo bleibt die Freude am Lernen, wenn man so hohe Kosten für die akademische Ausbildung zu bewältigen hat? Nur wer das Studium ohne Umschweife im Laufschritt beendet, kann diese Kosten ein wenig senken. Es ist extrem kostspielig, ein Studienfach zu wechseln, wenn man nach zwei Semestern bemerkt, dass man doch lieber was anderes studieren möchte. Die Studiengebühren nehmen uns ein hohes Maß an Selbstverwirklichung und an Flexibilität.

Christine Willen

Sylvia Jobi

LebensEcht


Aller Anfang ist schwer. Das gilt auch für ein Studium.

Besonders als Erstsemester hat man es nicht leicht, sich an einer Massenuni wie der Universität zu Köln zurecht zu finden. Gerade noch im überschaubaren Klassenzimmer mit den alten Schulfreuden geflachst, findet man sich plötzlich in einem riesigen Hörsaal wieder, eingequetscht zwischen 400 anderen Studenten. Unbekannte Gesichter, schlechte Luft und ein Professor, den man mit viel Glück nicht nur hören sondern auch noch sehen kann. Die Begrüßung verursacht ein dumpfes Gefühl in der Magengegend: „Zum ersten Tag Ihrer Examensvorbereitung begrüße ich Sie ganz herzlich.“ Irritierte Blicke seitens der Studierenden sind die Antwort: „Ich weiß noch nicht mal, wo die Bibliothek ist und der Professor spricht schon vom Examen?“ Ob es tatsächlich Sinn macht, vom ersten Tag an durchzustarten, wie man an der Uni schnell Freunde findet und ob die Professoren wirklich zu hart sind, das erzählen drei Powerfrauen, die es wissen müssen.

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LebensEcht


Anja Schubert (20) hat ihr Zuhause in Berlin verlassen, um in Köln Jura zu studieren. Wie sie das „Abenteuer Erstsemester“ an der Kölner Uni erlebt hat, verriet sie Meins.

Meins: Die Uni Köln hat ein sehr großes Studienangebot. Warum hast du dich für Jura entschieden? Anja: Ich habe vorher zwei Semester Sonderpädagogik studiert, aber das war irgendwie gar nichts für mich. Dann hab ich überlegt, was ich sonst machen könnte. Mir war es wichtig, einen Studiengang mit Staatsexamen zu machen. Also hab ich nachgedacht und mich ziemlich ausführlich informiert und dann ist es eben Jura geworden. Meins: Wie war deine erste Semesterwoche? Konntest Du Dich schnell zurechtfinden? Anja: Es gab schon vor Semesterbeginn eine Einführungsveranstaltung von der Fachschaft. Die erste Woche war ziemlich aufregend. Uns wurde erklärt, was wir machen müssen um durch das Grundstudium zu kommen. Den Stundenplan haben wir da auch bekommen. Dann haben wir noch einen Rundgang durch die Uni gemacht. Das Tolle war, dass ich sofort jede Menge Leute kennen gelernt habe. In der ersten Semesterwoche war dann die Einführungswoche von den Professoren. Meins: War die Einführungswoche von den Professoren für dich hilfreich? Anja: Also die Fachschaftseinführung hat mir eigentlich viel mehr geholfen. Das erste, was wir von den Professoren gehört haben war: „Heute ist der erste Tag Ihrer Examensvorbereitung“. Ich hab da erstmal leicht Panik bekommen und mich gefragt, ob ich das schaffen kann. Auf der anderen Seite wurde uns auch gesagt, dass wir gar nicht soviel auswendig lernen müssen, wie zum Beispiel die Mediziner. Ich habe aber schon in der zweiten und dritten Semesterwoche gemerkt, dass es trotzdem noch sehr viel Stoff zum Lernen ist. Ich versuche jetzt schon, wirklich konsequent zu lernen. Meins: Musst Du neben deinem Studium arbeiten? Anja: Ja, sonst kann ich mich nicht finanzieren. Ich arbeite zehn Stunden in der Woche und dann hab ich noch einen Hund, ein Pferd und einen Freund. Das kostet natürlich alles viel Zeit. In der Woche habe

ich ziemlich lange Tage. Zum Beispiel bin ich donnerstags von 9 bis 19 Uhr durchgehend an der Uni. Danach ist mein Kopf voll. Weil ich nebenher noch arbeite, muss ich meistens am Wochenende den Stoff nacharbeiten. So richtig viel Zeit für Partys und Freunde habe ich eigentlich nicht. Meins: Spürst du einen hohen Leistungsdruck? Wie gehst du damit um? Anja: Im Moment noch nicht. Ich denke, das wird sich noch ändern, wenn es dann auf die Zwischenprüfung zugeht. Aber ich wusste ja vorher, was auf mich zukommt und worauf ich mich eingelassen habe. Ich finde dieses Jammern über den Leistungsdruck irgendwie fehl am Platz. Ich will ja was erreichen, also muss ich was dafür tun. Meins: Was hat dir in der ersten Woche besonders gut gefallen? Anja: Ich finde es toll, dass sich die meisten Professoren wirklich um ihre Studenten bemühen. Natürlich können sie bei den Massen niemand mit Namen ansprechen, aber trotzdem sind sie bemüht, auch in einer Vorlesung, in der 400 Leute sitzen, die Studenten mit einzubeziehen. Zum Beispiel hat Frau Prof. Steinbeck eine echt lustige Sache gemacht. Wenn einer am Anfang der Vorlesung nach vorne kommt und in fünf Minuten kurz die letzte Sitzung zusammenfasst, dann bekommt derjenige ein Lehrbuch geschenkt. Ist ein bisschen so wie Günther Jauch für Studenten, finde ich klasse. Meins: Hast du schon eine Vorstellung, was du später beruflich machen möchtest? Anja: Ich würde gerne Erbrecht oder Strafrecht in einer großen Kanzlei machen. Aber bis dahin ist es ja noch ein extrem weiter Weg und ich muss gucken, wie sich das so entwickelt. Ich lerne jetzt erstmal die Grundlagen und im Hauptstudium werde ich mich dann noch genauer umschauen, was mich wirklich interessiert. Aber soviel Gedanken hab ich mir darüber noch nicht gemacht.

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Prof. Dr. Anja Steinbeck ist Direktorin des Instituts für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht. Sie kennt sich aus mit den Sorgen und Nöten ihrer Studenten, weiß aber auch, dass man es ohne Selbstdisziplin in dem Studiengang Jura sehr schwer haben wird.

Meins: Wenn Sie Ihr Studium mit der heutigen Situation vergleichen, was hat sich da verändert? Prof. Steinbeck: Ich habe das Gefühl, dass den Studenten heute mehr abverlangt wird als in meiner Studienzeit. Das kommt aber daher, dass die Studierenden immer mehr versuchen, die Studienzeit zu verkürzen, was bei uns nicht so problematisch war. Da hat man locker mal neun oder zehn Semester studiert. Man muss also schon vom ersten Semester an Gas geben und kann nicht erstmal ein oder zwei Semester Uni Luft schnuppern. Meins: Was sind wichtige Voraussetzungen für ein Jurastudium? Prof. Steinbeck: Klares, strukturiertes Denken ist für Jura eine ganz wichtige Voraussetzung. Das hilft im Studium. Die ganze Arbeitsweise von Juristen ist strukturiert und das überträgt sich auch ins Leben und ist sehr wichtig. Wenn man sich selbst nicht organisieren kann, dann kann man auch seine Gedanken nicht so organisieren, wie es für Jura erforderlich ist. Selbstdisziplin ist eine weitere wichtige Voraussetzung, weil wir ja doch bis zum Staatsexamen keine richtigen Prüfungen haben. Wir haben zwar Zwischenprüfungen, aber das sind keine Prüfungen wie etwa das Physikum bei den Medizinern. Insofern lässt das Jurastudium wirklich Freiheiten zu, aber am Ende kommt dann dieser große Abschluss, das Examen. Wenn man nicht von Anfang an gelernt hat, bekommt man ganz schnell ein großes Problem. Meins: Warum haben Sie Jura studiert? Prof. Steinbeck: Es war klar, dass ich nichts Künstlerisches machen kann. Eigentlich wollte ich mal zum Fernsehen, aber als ich dann Jura studiert hab, hat mir das wirklich Spaß gemacht. Ich wollte dann auch einen juristischen Beruf ergreifen, also als Rechtsanwältin, Richterin arbeiten oder in ein Unternehmen gehen. Meins: Sie wollten also nicht von vornherein an die Uni? Prof. Steinbeck: Nein. Während des Studiums hatte ich nie persönlichen Kontakt zu Professoren, ich kannte die gar nicht, bin da auch

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nie hingegangen. Die Idee kam eigentlich erst nach Abgabe meiner Doktorarbeit. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass man Professor werden kann, für mich waren das „die alten Männer“. Dann fragte mich mein Doktorvater, ob ich mir vorstellen könne, an der Uni zu bleiben. Ich hab ihn erstmal gefragt, „Was meinen Sie überhaupt damit“? Er hat mir dann erklärt, wie das funktioniert und ich fand das so gut, dass ich das Angebot angenommen habe. Meins: Wie sehen Sie die Berufsaussichten für Juristen aus ? Prof. Steinbeck: In Jura ist es wirklich so, dass wenn Sie ein gutes Examen machen auch die Berufsaussichten gut sind. Ich bekomme praktisch wöchentlich Anrufe aus Kanzleien, ob ich nicht gute Leute hätte. Es gibt nur so wenige. Wenn man gute Noten hat und auch als Mensch nicht gerade völlig vergeistigt ist, dann ist es gar nicht so schwierig etwas zu finden. Eigentlich müsste das die Motivation sein, sein Studium gut zu machen, denn dann kann man sicher sein, dass man einen Job findet.


In der Mitte oder doch eher zwischen den Stühlen? Pia Kurth arbeitet schon seit zweieinhalb Jahren als studentische Hilfskraft am Institut für gewerblichen Rechtsschutz. Sie selbst studiert im siebten Semester Jura und kennt beide Seiten der Medaille: Die Probleme der Studierenden und die der Professoren.

Meins: Warum wolltest du Jura studieren? Pia: Ich fand Jura sehr interessant, weil es so was ganz Eigenes ist. Man braucht nicht unbedingt große Vorkenntnisse von der Schule. Man sollte gut in Deutsch sein und das hat mir in der Schule immer Spaß gemacht. Es war mir wichtig, etwas Handfestes zu haben und das hat sich bei Jura auch bestätigt. Meins: Wie bist du denn zu dem Job als studentische Hilfskraft gekommen? Pia: Ich habe im ersten Semester bei einer AG (Arbeitsgemeinschaft) mitgemacht. Mit meiner damaligen AG Leiterin hab ich mich ganz gut verstanden. Irgendwann hab ich sie dann einfach mal gefragt, ob man an so einem Institut auch arbeiten kann. Ich hatte dann Glück, denn kurz danach ist ein Platz als studentische Hilfskraft frei geworden. Ich kann das nur jedem empfehlen, denn man lernt sehr viele Leute an der Uni kennen, verliert keine Zeit durch die Fahrt zum Job und man bekommt natürlich auch einen Einblick in die Arbeit der Professoren.

vor allem kann ich sagen, immer die Ruhe bewahren und nicht sofort in Panik ausbrechen, auch wenn die Professoren Druck machen. Man hat als Erstsemester immerhin noch acht Semester vor sich. Und die schafft man auch.

Ob Studentin, Professorin oder studentische Hilfskraft, in einem sind sich alle drei einig: Wer Jura studieren will, der muss viel Selbstdisziplin haben, sich gut organisieren können und vom ersten Tag an lernen. Wenn man das alles erfüllt, bekommt man aber auch viel Unterstützung und Hilfe, sowohl von den Kommilitonen als auch von den Professoren. Und dann verliert auch der erste Tag der Examensvorbereitung seinen Schrecken. Heidi Kohlwes

Meins: Du sitzt als studentische Hilfskraft ja quasi zwischen den Stühlen und kennst beide Seiten. Findest du, dass die Dozenten zuviel Druck auf die Studierenden ausüben? Pia: Erst einmal glaube ich, dass es sehr unterschiedlich ist, was die Professoren von den Studierenden erwarten. Aber generell ist es nun mal so, dass in diesem Studiengang einfach die Noten zählen. Danach fragen später die Unternehmen und danach bekommt man später einen Job. Deswegen finde ich es eigentlich nur fair, wenn die Professoren von Anfang an betonen, wie wichtig es ist, von Beginn an zu lernen. Man muss sich einfach bewusst machen, dass man sich in diesem Studienfach gut organisieren muss. Ohne Fleiß kein Preis. Meins: Was würdest du den Erstsemestern empfehlen? Hast du einen guten Tipp? Pia: Ich kann den Erstsemestern nur empfehlen, sich viel mit den Kommilitonen auszutauschen, denn die haben die gleichen Probleme wie man selber. Lerngruppen und AGs würde ich immer empfehlen. Aber

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Silvio (27)

mit ihrer engelsgleichen, Regina Spektor weiß auch in hohen Tonlagen sicheren Stimme zu beflügeln. Ein weiteres schwereloses Lied stellt für Silvio „Rainbowarriors“ von CocoRosie dar. Wenn auch musikgeschmacklich anzweifelbar, kann er sich vorstellen, dass Enya von der älteren Generation als inspirierend empfunden wird.

Katharina

Welche Musik (26) beflügelt, ist situationsabhängig. Mal sind es Katie Meluah, Roisin Murphy und Mia, mal Johann Sebastian Bach. Doch manchmal muss es etwas einfaches sein: dann liefern ihr Brit und BSB den beflügelnden Schundpop.

Anna

(25) hat ganz konkrete Vorstellungen von beflügelnder Musik und denkt an „1,2,3“ von Spillsbury.

Julia (24) fühlt sich auf einem „Los Delinqüentes“-Konzert in

die gute, alte Erasmus-Zeit zurückversetzt und vertreibt damit ihre schlechte Laune bei Regenwetter.

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FeinSinn

Julia


Musik fliegt in der Luft Katjas und Iris’ beflügelnde und beflügelte Playlist Blonde Redhead- Magic Mountain Maxïmo Park- Books from boxes The Beatles- Here There and Everywhere Vivaldi- Die vier Jahreszeiten. Frühling. I. Allegro Justice vs. Simian- We Are Your Friends

Katharina

Madness- One Step Beyond... Rex Gildo- Fiesta Mexicana Maximilian Hecker- Daylight Helge Schneider- Wurstfachverkäuferin Jules Massenet- Meditation aus „Thais“ Björk- Venus as a Boy FeinSinn

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Das andere Nordamerika (S. 30) Endlose Prärien, die steil aufragenden Rocky Mountains, Metropolen mit Einwohnern aus allen Kontinenten der Erde: vielfältig sind die Vorstellungen, die sich mit dem nordamerikanischen Kontinent verbinden, und meist bezieht man sich dabei auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Da vergisst man gerne ihr nördliches Nachbarland - Kanada. Dabei gibt es vieles zu entdecken in dem zweitgrößten Staat der Erde! Neugierig?

FernSicht Lebensecht

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Das andere Nordamerika

FernSicht


Endlose Prärien, die steil aufragenden Rocky Mountains, Metropolen mit Einwohnern aus allen Kontinenten der Erde: so vielfältig sind die Vorstellungen, die sich mit dem nordamerikanischen Kontinent verbinden, und meist bezieht man sich dabei auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Kein Wunder, sind die USA doch mit ihrem Lebensstil, ihrem extrovertierten Nationalcharakter und ihrer Rolle als Weltmacht allgegenwärtig. Da vergisst man fast sein nördliches Nachbarland, das von den großen Seen bis zur Arktis reichende Kanada. Natürlich ist es nicht so, dass man noch nie etwas von diesem Land gehört hätte, doch im Gegensatz zu den USA fällt der zweitgrößte Staat der Erde höchstens durch seine Zurückhaltung auf – dabei gibt es vieles zu entdecken! Damals... Die Ursprünge des Landes in seiner heutigen Form liegen am St. Lorenz-Strom, welcher die großen Binnenseen Nordamerikas mit dem Atlantischen Ozean verbindet. Hier nahm Jacques Cartier 1534 das Gebiet für Frankreich als Kolonie Neu-Frankreich in Besitz. Ganz allmählich kamen vereinzelte Siedler in das Gebiet, die hauptsächlich Jagd auf Felle machten. 1608 wurde schließlich die Stadt Québec gegründet und zur Hauptstadt Neufrankreichs ernannt. Im Gegensatz zu den Kolonien Englands, welche später die USA bilden sollten, war Neufrankreich nie ein besonderer Auswanderermagnet. Das Mutterland verfolgte lieber seine Expansionspläne in Europa und vernachlässigte die wenigen zehntausend Kolonisten, die sich in dem raueren Klima niedergelassen hatten. Frankreichs Rivale England hatte jedoch schon längst ein Auge auf das Gebiet geworfen, welches diverse englische Außenposten in Neufundland und in der Mitte des Kontinentes mit den späteren USA verband. So gelang es ihnen nach jahrzehntelangen Gefechten 1759 die Stadt Québec, und mit ihr das gesamte Hinterland, zu erobern. Wenig erfolgreich versuchte man nun, englische Siedler in das Land zu locken, um die französischen und - ebenso problematisch - katholischen Siedler zu assimilieren. Dies gelang nur insofern, als dass beim Ausbruch des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges,

die königstreuen Kolonisten, ca. 60000, nach Kanada flohen, welches nicht dem Aufruf zur Unabhängigkeitserklärung gefolgt war. Das Verhältnis zwischen Engländern und Franzosen lag nun bei 50:50 und die Erhaltung der Einigkeit, das Finden von Kompromissen, sollte bestimmend in der Geschichte Kanadas werden. ...und heute...

Auch heute gibt es diese Zweiteilung noch, wenn auch mit anderen Kräfteverhältnissen. Die Nachfahren der französischen Siedler findet man hauptsächlich in der Provinz Quèbec. Zunächst wirtschaftlich bestimmend verlor sie jedoch schrittweise diese Stellung, zum einen aufgrund der Bevorzugung der Nachbarprovinz Ontario mit der Hauptstadt Ottawa und der größten kanadischen Stadt Toronto durch die englischen Kolonialherren und durch den erwachenden Separatismus, welcher immer wieder für Schlagzeilen sorgt, wenn Québec die Möglichkeit einer Unabhängigkeit diskutiert. Das bislang letzte Volksreferendum 1995 bestätigte den Verbleib Québecs im Bundesstaat Kanada mit einem Vorsprung von lediglich 50000 Stimmen! Vielfalt ist in Kanada also bereits in seinen Ursprüngen begründet. Dazu trugen auch die nachfolgenden Einwanderungswellen aus allen Ländern Europas, sowie seit einiger Zeit auch aus Asien, bei. Ähnlich wie in den USA zeugen Städtenamen wie „London“ oder „Lunenburg“ von den europäischen Ursprüngen der Siedler und zum Teil findet man noch vereinzelte Regionen, in denen noch deutsch oder auch ukrainisch gesprochen wird. Konsequenterweise erreicht diese Vielfalt in der 6-Millionen-Stadt Toronto ihren Höhepunkt, so dass sie von der UNO 1989 zur „ethnisch vielseitigsten Stadt der Welt“ erklärt wurde. Es gibt also wenig, welches die Kanadier als Nation insgesamt verbindet, doch wenn es eine Art Nationalidee gibt, dann die der Vielfältigkeit. Von Ost nach West Man kann sich unmöglich das gesamte Land in einer Reise anschauen. Eher empfiehlt es sich, sich von Provinz zu Provinz durchzuarbeiten. Zunächst findet man die Atlantikprovinzen Neufundland, Neubraunschweig, Neuschottland und die Prinz-Edward-Insel.

Diese Provinzen haben ihre wirtschaftliche Grundlage in der Fischerei, wobei besonders die Insel Neufundland landwirtschaftlich extrem unergiebig und daher sehr stark auf die Fischerei angewiesen ist. Neuschottland trägt seine Geschichte bereits im Namen. Schottische Einwanderer besiedelten die Halbinsel - selbst heute wird an einigen Orten (auch) gälisch gesprochen. Berühmt ist die Provinz besonders für ihre Werften und den Hummer, der hier in allen Varianten zubereitet wird. New Brunswick schließlich überrascht durch seine vielseitige Küste und dem weltweit größten Unterschied zwischen Ebbe und Flut: ganze 14 Meter! Ungewöhnlich ist auch das in dieser Provinz politisch völlig unbelastete Nebeneinander von Franzosen und Engländern. Daraufhin folgt mit Québec die größte Provinz Kanadas. In manchen Städten meint man fast, sich auf dem alten Kontinent zu befinden. Besonders Québec-Stadt ist ein gutes Beispiel dafür: den europäischen Baustil des 17. und 18. Jahrhunderts trifft man überall. Dazu hat die Geschichte der französischen Siedler zur Ausprägung einer ganz eigenen, vom angloamerikanischen Nordamerika unabhängigen Kultur geführt, welche man sich - vereinfacht gesagt - als Zusammenfluss der gutbürgerlichen, französischen Lebensart mit den Herausforderungen des neuen Kontinents vorstellen kann. Größte Stadt der Provinz ist Montreal. Mit ihren katholischen Kirchen und kleinen Gassen erinnert sie eher an eine europäische Großstadt. Sie gilt auch als Metropole mit den meisten Französischsprechenden außerhalb Frankreichs und wird oft als das Paris Nordamerikas bezeichnet. Ein weiteres Highlight der Provinz Ontario ist Toronto - eindeutig das wirtschaftliche Zentrum Kanadas. Wie schon angesprochen, zeichnet sich die Stadt durch ihre enorme ethnische Vielfalt aus. Trotz ihrer Größe gilt sie als sicher und sauber. Markenzeichen der Stadt ist der CN-Tower, der 553 m-hohe Fernsehturm, das größte freistehende Gebäude der Welt. Ganz in der Nähe befinden sich die weltberühmten Niagarafälle, welche das Wasser des Eriesees auf die Höhe des Ontario-Sees absenken. Je weiter man nach Westen und Norden vorrückt, desto spärlicher werden die menschlichen Siedlungen, die wie Inseln aus dem

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Meer der Tundra herausragen. Die Provinzen Manitoba und Saskatchewan sind nahtlose Fortsetzungen der Prärien des Mittleren Westens. In Alberta und British Columbia regieren die Rocky Mountains und mit ihnen der Wintersport. Calgary war Austragungsort der Olympischen Winterspiele 1988, Vancouver wird die Winterspiele 2010 austragen. Die Rocky Mountains bieten zum Teil dramatische Natureindrücke, zum Beispiel am Lake Louise, der sich spiegelglatt zwischen Berggiganten erstreckt. Immer wieder sorgen die Berge für vereinzelte Überraschungen, wie das Okanagan Valley, welches, von Bergen geschützt, derart vorteilhaft liegt, dass es angeblich auf über 2000 Sonnenstunden im Jahr kommt und somit Honolulu übertrifft. Schließlich ganz im Westen, an der Küste des Pazifischen Ozeans, liegt Vancouver, die aufstrebende Stadt Kanadas. Auch hier stehen übrigens zwei Sprachen gleichberechtigt nebeneinander, die zweite Sprache ist jedoch chinesisch! Geographisch bestens in Richtung Asien gelegen und von Vancouver Island vor dem offenen Meer geschützt, befindet sich Vancouver in einem wirtschaftlichen Aufschwung der derzeit zumindest im westlichen Kulturkreis ohne Vergleich ist. Hollywoodstars nutzen die Stadt als Zufluchtsort. Niedrige Lebenshaltungskosten bei hoher Lebensqualität machen Vancouver zum begehrtesten Wohnort Kanadas mit derzeit bereits 2,2 Millionen Einwohnern. Eine Stadt, die man im Gedächtnis behalten sollte!

Je weiter man sich von Vancouver aus nach Norden bewegt, desto spärlicher wird die Zivilisation.

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Noch sorgen warme Pazifikströme für ein angenehmes Klima, doch sobald man sich von der Küste entfernt, befindet man sich in der Tundra. Die drei Nordterritorien Kanadas, Yukon, die Nordwestterritorien und Nunavut zeichnen sich durch menschenlose, unendliche Landschaften aus. Yukon verdankt sein relativ dichtes Straßennetz noch dem Goldrausch des 19. Jahrhunderts. Doch die anderen Provinzen sind beinahe unerschlossen. Oftmals sind größere Reisen nur im Flugzeug möglich. Die Provinz Nunavut ist übrigens in dem Sinne einzigartig, da dieses Gebiet seit 1993 unter selbstständiger Verwaltung der amerikanischen Ureinwohner steht. Die kanadische Regierung hat sich bemüht die auch in diesem Land verübten Ungerechtigkeiten den Ureinwohnern gegenüber wiedergutzumachen und einen Großteil enteigneten Eigentums sowie wirtschaftlicher Rechte zurückgegeben. Kanada als Ganzes Man kann dieses Riesenland unmöglich einheitlich beschreiben, dafür sind Geschichte, Geographie und Ethnien zu unterschiedlich. Durch die schiere Größe ist es sehr wichtig, dass man sich die richtige Provinz für den eigenen Geschmack aussucht. Kultur ist vor allem in Ontario und Québec zu finden, Winterurlaub gibt es hauptsächlich in den Rocky Mountains, Outdooraktivitäten wie Kajakfahren, Bergsteigen oder Wandern sind in ihrer ursprünglichsten Form im Norden möglich. Als klassisches Einwanderungsland ist die Reise nach Kanada verhältnismäßig einfach. Sowohl ein begrenzter Urlaub, als auch längerfristige Arbeits-, Praktika- und Studienaufenthalte sind unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Die EU und Kanada haben im Transatlantic Exchange Partnership Programme (TEP) eine auf den Hochschulbereich zielende Kooperation vereinbart, die Auslandsaufenthalte für Studenten vereinfachen soll. Der nächste Aufruf für das Programm, das unter das ERASMUS-Austauschprogramm fällt, erfolgt Anfang 2008. Dachabkommen ist das im Juni 2006 vereinbarte Youth Mobility Agreement, welches Deutschen und Kanadiern zwischen 18 und 35 Jahren erlaubt, sich bis zu einem Jahr im jeweils anderen Land aufzuhalten. Für weitere Informationen empfiehlt es sich, die Webseiten des DAAD, der kanadischen Botschaft und des Auswärtigen Amtes zu besuchen. Alexander Schulz


Mi Buenos Aires Querido Ankunft Da stand ich nun vor einem Hochhaus mit Marmorfußboden und einem mürrisch dreinblickenden Portier und traute mich nicht wirklich hineinzugehen. Aber der Taxifahrer wartete brav, bis ich auch sicher im Haus verschwunden war. Man kann ja nie wissen! Sofort als ich eintrat, stürmte der Portier auf mich zu und redete unheimlich schnell in einem spanischen Dialekt, dem „Porteño“, der nur der alteingesessenen Bevölkerung in Buenos Aires zu eigen ist, auf mich ein. Ich war also angekommen in Argentinien, Buenos Aires, einer Stadt mit ca.10 Millionen Einwohnern und ich kannte niemanden!

Munter auf mich einredend geleitete mich der Portier zu meiner neuen Wohnung im 13. Stock mit Blick über die ganze Stadt. Um dort hinzugelangen mussten wir den Aufzug benutzen, der typisch für Buenos Aires noch wie ein Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten wirkte.

Zunächst verschlug es mich in mein Bett, denn nach beinahe 24 Stunden Flug und Jetlag verspürte ich eine lähmende Müdigkeit. Jammern half nichts, denn die Einführungswoche für ausländische Studierende begann unmittelbar. Mein Weg zur Universität erlaubte mir den ersten Kontakt mit dem Bussystem von Buenos Aires. Fahrpläne, wie wir sie kennen, gibt es nicht, Wochenfahrkarten schon gar nicht und Haltestellen kann man auch nur erahnen, zumindest wenn man im

Bus sitzt. Die öffentlichen Verkehrsmittel wurden in den 90er Jahren privatisiert, weshalb beinahe jede Buslinie einer anderen Gesellschaft zuzuordnen ist. Regelmäßig kam ich in den ersten Tagen nicht dort an, wohin ich wollte und erhielt so die einmalige Gelegenheit Buenos Aires zu Fuß zu erkunden.

Die Universität Wenigstens die Uni fand ich auf Anhieb. Als ich die backsteinernen Gebäude am Hafen „Madero“ rot leuchten sah, lächelte ich und dachte an den Betonklotz „Philosophikum“ der Universität zu Köln zurück. Im Hafenbecken ankerten Schiffe und neben meiner Universität, der „Pontificia Universidad Católica Argentina Santa María de los Buenos Aires“, säumten Restaurants und Bars die weiteren Hafenbecken. Ich holte tief Luft und betrat das erste Gebäude der Universitätsanlage.

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Museen, Parks und Märkten. Letztere sind zentraler Treffpunkt von Einwohnern und Touristen. Hier wird gehandelt, musiziert und diskutiert. So hangelte ich mich von dem berühmten Friedhof in „Recoleta“ und dem dortigen Handwerksmarkt über eine Jungdesignermesse am „Plaza Serrano“ zu dem touristischen Antiquitätenmarkt am „Plaza Dorrego“, wo man sonntags Tangotänzer auf der Straße bewundern kann. Außerdem fuhr ich zum größten Landwirtschaftsmarkt Argentiniens „Mataderos“ und schaute mir dort die „Gauchos“, das argentinische Pendant zu einem Cowboy, an.

Die private katholische Universität, zu der größtenteils finanziell besser gestellte Studierende Zugang haben, verfügt über eine große Empfangshalle mit Marmorfußboden, Sicherheitsmännern am Eingang, Gold an den Türknäufen und einem Bild des Papstes an der Wand. Dort hatten sich bereits unzählige ausländische Studierende eingefunden, standen in Gruppen verteilt herum und unterhielten sich. Auch ich gesellte mich dazu und machte erste Bekanntschaften.

Durch ein Patenprogramm lernte ich argentinische Studierende kennen und konnte mich so leichter in den Universitätsalltag einfinden. Vieles wirkte auf mich zunächst befremdlich. Erstens gab es Kleidervorschriften. Zweitens sind die argentinischen Studierenden alle viel jünger als die deutschen, da das dortige Schulsystem einen bereits mit 17 Jahren in den Universitätsalltag entlässt. Und drittens sind die Kurse viel verschulter organisiert. Man konzentriert sich hier nur auf ein Fach und besucht deshalb in geschlossenen Klassen alle Pflichtveranstaltungen. Da fallen ausländische Studierende, die zudem wie ich einen interdisziplinären Studiengang absolvieren, sofort auf. Ich besuchte insgesamt drei Kurse, die ich an unterschiedlichen Fakultäten absolvierte. Insbesondere reizte es mich etwas über das dortige Selbstverständnis der landeseigenen und lateinamerikanischen Geschichte sowie

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politischen Aktualität zu lernen.

Buenos Aires – Die Stadt Wofür steht Argentinien eigentlich? Tango, Steaks und Fußball assoziiert wohl ein jeder sofort mit diesem Land.

Und Buenos Aires ist ja fast ganz Argentinien, oder? Zumindest lebt hier rund 1/3 der Gesamtbevölkerung, die das meint! Buenos Aires ist mit seinem Hafen zentrales Zugangstor für den Im- und Export und hat diese Stellung finanziell gegenüber den Provinzen ausgenutzt, weshalb seit Jahrhunderten Konflikte zwischen den Porteños und den in den Provinzen lebenden Menschen bestehen. Europäische Einwanderer aus Italien, Großbritannien und Deutschland prägen das Stadtbild, die Küche und die Kultur. Neben Steaks steht hausgemachte Pasta auf fast jeder Speisekarte und wird von leckeren argentinischen Weinen begleitet. Unter der Woche herrscht ein buntes lautes Treiben auf den Straßen. Am Wochenende hingegen erscheint Buenos Aires beinahe geisterhaft. Viele Einwohner ziehen es vor ihre Freizeit außerhalb zu verbringen, um gute Luft zu schnuppern, denn entgegen des Namens Buenos Aires (dt. Gute Lüfte) liegt häufig eine Smogkugel über den Häusern. Die Stadt hat viel zu bieten. Ich erkundete zunächst die vornehmeren Viertel mit ihren

Das etwas ärmere Hafenviertel „La Boca“ ist ein beliebter Touristenort und eines der ältesten Viertel von Buenos Aires. Hier stehen noch Häuser, die sich die Immigranten bei ihrer Ankunft zimmerten und zur Verschönerung bunt anstrichen. Diese werden in genau einer Touristenmeile präsentiert, wo auch Souvenirs verkauft und Tango aufgeführt werden. Wenn man sich zu weit von dieser Meile entfernt, könnte es gefährlich werden! Als ich das erste Mal durch „La Boca“ lief, wurde meiner Begleiterin sehr unsanft die Handtasche von der Schulter gerissen. Man sollte einige Viertel also mit Vorsicht genießen! Buenos Aires steckt voller Kontraste. Wenn es zu dämmern beginnt, leeren sich die sonst mit hochbeschäftigten Geschäftsleuten und Touristen gefüllten Straßen und die „Cartoneros“ beginnen zu arbeiten. Die „Cartoneros“ sind so etwas wie Mülltrenner. Sie leben in den Armenvierteln vor der Stadt und kom-


tische Situation des Kontinents aus einer konservativen Sicht kennen. Eine Gegendarstellung erhielt ich durch Freunde aus der intellektuellen Linken. Dies verdeutlichte mir nochmals die extremen Gegensätze, die die dortige politische Kultur prägen.

Ich erhielt Einblicke in die Wirtschafts-, Kultur-, Sozial- und Kunstgeschichte, was es mir ermöglichte die Stadt aus den verschiedensten Blickwinkeln zu betrachten. Außerdem bereitete es meinen argentinischen Freunden eine große Freude, mir ihre Stadt näher zu bringen und so Buenos Aires als Porteña zu erleben.

men nachts, um Metall, Papier, Flaschen und Plastik aus dem auf dem Straßenrand deponierten Müll zu ziehen. Die abgelieferte Ware wird ausgewogen und nach Gewicht bezahlt. Für ein Kilo Karton und Papier erhält man beispielsweise ungefähr 20 Centavos. Die argentinische Währung ist der Peso, wobei ein Euro ca. 4 Pesos entspricht. Centavos ist das spanische Wort für Cent. Man muss also verdammt viel Müll trennen, um eine Familie mit vier Kindern ernähren zu können.

Soziale Mobilisierung In den 90er Jahren verschlechterte sich im Zuge der neoliberalen Politik des damaligen Präsidenten Menems die wirtschaftliche und soziale Situation vieler Familien rapide. Zunehmend wurden Sozialleistungen gekürzt. Deshalb organisierten sich Teile der Bevölkerung, die die Straßen in so genannten „piquetes“ (dt. Streikposten) blockierten, um auf die missliche soziale Situation im Land aufmerksam zu machen. Während der Wirtschaftskrise in Argentinien im Jahr 2001 verstärkten diese organisierten Teile, die „piqueteros“, ihre Proteste. Es kam zu Straßenunruhen und Besetzungen, die von dem Gros der Bevölkerung mitgetragen wurden. Mittlerweile sind die „piqueteros“ die zweitgrößte soziale Bewegung Lateinamerikas! Sie prägen das Stadtbild und polarisieren mit ihren Demonstrationen und Straßenblockaden die politische Meinung Argentiniens. In der ersten Woche meines Aufenthalts kampierten die „piqueteros“ vor dem Präsi-

dentenpalast, der „Casa Rosada“ (dt. rosa Haus), um auf die hohe Arbeitslosigkeit aufmerksam zu machen. Arbeitslosengeld wird willkürlich verteilt, so dass nicht jeder die Möglichkeit hat, an sein Recht zu kommen. Häufig führen die Straßenblockaden zu ungeheuer langen Staus, da die Stadt nur einige wenige zentrale Zubringerstraßen hat. Wenn diese blockiert werden, kann es passieren, dass man unter Umständen zu Fuß weitergehen muss, oder stundenlang im Bus sitzt, um vorwärts zu kommen. Fazit

Buenos Aires hat viele Facetten. Und wenn man gewillt ist sich verzaubern zu lassen, so kann man träumend stundenlang durch die Straßen bummeln und sich von Konditorei zu Konditorei hangeln; von einer „milonga“ mit elegantem Ballsaal und sanften Tangoklängen, in die dröhnende Technodisko mit Dragqueens entgleiten oder sich einfach in eine der vielen schönen Parkanlagen legen und beim „asado“ (dt. Grillen) mit Freunden den Tag durchschlemmen. Janina Heuser

Aufgrund meines Studienaufenthaltes habe ich viel gelernt. Ich lernte die aktuelle poli-

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Lebensqualität am Fuß der Alpen Denkt man an die Schweiz, denkt man an: Schokolade, Neutralität, geheime Nummernkonten und die Alpen. Doch wer hätte gedacht, dass in der Schweiz auch die Stadt liegt, die seit zwei Jahren eine Liste anführt, die sich mit Lebensqualität in Großstädten befasst. Kurz gesagt: Zürich ist die Stadt mit der weltweit höchsten Lebensqualität. Die größte Stadt der Schweiz zählt rund 370.000 Einwohner und ist wunderschön am nördlichen Ende des Zürichsees gelegen. Eingerahmt wird sie von den hohen, fast immer schneebedeckten Gipfeln der Alpen. Nähert man sich der Stadt mit dem PKW aus Richtung Basel, so hat man zuerst den Eindruck, Zürich bestünde hauptsächlich aus Fabriken und Güterbahnhöfen. Doch dieser Eindruck täuscht. Wenn die industriell geprägten Vororte erst einmal durchquert sind, zeigt sich die Stadt in ihrer vollen Schönheit. Zürich liegt nicht nur am Ufer des Zürichsees, sondern auch an den Ufern der aus dem Zürichsee entspringenden Limmat. Außerdem gibt es den künstlich angelegten Schanzengraben, sowie die Sihl, einen Nebenfluss der Limmat. Alles in allem gibt es also sehr viel Wasser in der Stadt, wodurch man an Städte wie Venedig oder Amsterdam erinnert wird.

Seinen Charme entwickelt Zürich vor allem durch die sehr schöne Bebauung und Strukturierung. So ist die Stadt von unzähligen kleinen bis winzigen Gassen durchzogen und perfekt in die hügelige Landschaft des östlichen Schweizer Mittellandes eingepasst.

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Moderne Großstadtelemente wie öffentlicher Nahverkehr, Geschäfts-, bzw. Finanz- und Dienstleistungsviertel sind in die zum Teil noch mittelalterliche Altstadt so integriert worden, dass kein zu großer Kontrast zwischen der alten und der neuen Stadt entsteht. Schlendert man durch die verwinkelten Gassen, so bietet sich einem immer wieder eine neue beeindruckende Aussicht auf den See, die Stadt oder die Berge in der Ferne. So sei hier zum Beispiel der Bürkliplatz oder das Bellevue erwähnt. Sehenswert sind vor allem auch die gut erhaltene Altstadt links und rechts der Limmat. So sollte man sich das romanische Großmünster, sowie das alte Rathaus im Renaissance-Stil nicht entgehen lassen. In der Altstadt sind auch viele gemütliche Cafés und Bierstuben zu finden. Ihren gemütlichen Charakter erwirbt die Stadt auch durch den Umstand, dass bis in die 50er


Jahre des 20. Jahrhunderts kein einziges privates Hochhaus existierte. Auch danach hat die Stadtverwaltung Vorsicht walten lassen bei der Vergabe von Baugenehmigungen, so dass sich bis heute in der Altstadt nur sehr wenige Bauten höher als drei Etagen in die frische Alpenluft erheben. Nach Möglichkeit sollte man Zürich nicht mit dem PKW besuchen, da die Stadt sehr unter der enormen Verkehrsbelastung leidet. So kann es schnell passieren, dass man im Zentrum der Stadt erst einige Zeit im Stau verbringt und dann auch noch ziemlich lange nach einem Parkplatz suchen muss. Wenn man den ersehnten Parkplatz gefunden hat, sollte man das Auto nicht mehr bewegen, da alle Ziele in der Stadt sehr bequem zu Fuß oder mit der Tram zu erreichen sind. Zürich vermittelt bei einem Besuch sehr schnell den Eindruck einer Stadt, in der es sich zu leben lohnt. Obwohl angemerkt werden sollte, dass das Leben dort mit Sicherheit nicht billig ist. Wer also noch nie dort gewesen ist, sollte sich diese kleine Großstadt im Herzen der Schweiz unbedingt mal anschauen und genießen. Mario Derstappen

Mikrokosmos – Drachenfels Es ist einer dieser letzten schönen Herbsttage. Der Himmel ist blau, die Blätter leuchten in allen erdenklichen Rot- und Gelbtönen. Die Luft ist kühl, aber so frisch und angenehm wie sie nur im Herbst sein kann. Ich fühle mich frei. Der kleine Pfad vor mir windet sich langsam den Berg hinauf. Links der Berg, rechts der Abhang und 300 Meter unter mir der Rhein. Es ist schon fast ein Ritual von mir. Einmal im Herbst zieht es mich dorthin. Auf den Drachenfels. Erst der beschwerliche Aufstieg auf 321 Meter über Normalnull. Doch dann dieses wunderbare Gefühl von Weite dort oben! Wenn man in der Stadt lebt, geht dieses Gefühl verloren. Man vergisst wie es ist, unendlich weit gucken zu können.

Oben angekommen ist es nicht nur die Fernsicht, die fasziniert.

Auch die mittlerweile 840 Jahre alte Ruine der Burg Drachenfels zieht mich in ihren Bann. Einst als Absicherung des Kölner Gebiets zum Süden hin gebaut, dient sie heute nur noch als touristische Attraktion. Man glaubt es kaum, aber der Drachenfels war 2007 der meist bestiegene Gipfel Europas mit über zwei Millionen Besuchern. Grund dieser Popularität ist sicherlich auch die weit verbreitete Sage, dass einst auf diesem Gipfel ein Drache in einer Höhle hauste und sich von Zeit zu Zeit einen Menschen zum Mahl holte. Irgendwann kam dann der Held Siegfried auf dem Weg nach Worms dort vorbei und tötete den Drachen, um anschließend durch ein Bad in dessen Blut, Unverwundbarkeit zu erlangen. Als ich mich nach einiger Zeit wieder dem Tal zuwende und den Abstieg beginne, freue ich mich schon auf den nächsten Herbst, denn eins ist klar: dort werde ich wieder sein. Nichts ist schöner als Fernsicht. Mario Derstappen

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Schönheit Es gibt Dinge im Leben, für die gibt es nicht nur eine Antwort. Auch wenn man lange sucht, findet man kein „richtig“ und kein „falsch“. Meistens begleiten uns diese Dinge im täglichen Leben, bringen uns zum Lächeln, Träumen und Nachdenken. Wir haben unterschiedliche Menschen gefragt, was für sie Schönheit bedeutet. Für Euch zusammengetragen von Iris Sygulla, Katja Koslowski und Christiane Mehling.

Melisa, 5 Jahre, Kindergartenkind

helfen und müssen zwischen Erwartung, Risiko und Erfolg abwägen!

Haare, Schminke, schöne Kleider, süße Tiere z.B. Hasen, schöne Brillen, ein Sonnenuntergang, blau.

Max, 5 Jahre, Kindergartenkind

Dr. med. Konstanze Warbanow, Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie Wir als Plastische und Ästhetische Chirurgen leben für, mit und von der Schönheit. Ein seltsames Gefühl - darf man der "Mutter Natur" ins Handwerk pfuschen? Wo liegen die Grenzen? Ich kann versichern, dass die Grenzen fließend sind: Zwischen dem Säugling, der mit einem handtellergroßen Tierfellmal im Gesicht auf die Welt kommt, der Abiturientin mit der krummen Hakennase, der jungen Frau, die nur eine Brust hat, der älteren Dame mit dem faltigen Truthahn-Hals oder dem greisen Mann mit den hängenden Triefaugen. Wer darf urteilen, wieviel Abweichung von der Norm tolerabel ist? Schönheit ist eben relativ! Letztendlich bestimmt das jeder Mensch für sich selbst. Wir können nur

Rehkinder (Kitze), Eichhörnchen, Babyhasen, Okapis, Fohlen, Affenbabies, schöne Bilder.

Tina Gurgenidze (24), Diplomarchitektin. Zur Zeit studiert sie Urbanismus an der Universität Barcelona. Schönheit ist Leben! Schönheit ist Liebe! Schönheit ist das, was unser Leben formt. Künstler sind die Schöpfer der Schönheit, die Architekten, Maler, Bildhauer; die Personen, die Dinge aus dem einzigen Grund gestalten, diese Welt schöner zu machen. Schönheit ist auch ein Traum, den wir alle versuchen zu realisieren. Warum existieren Museen, schöne Gebäude oder die wunderbaren Berge? Keiner weiß die Antwort, da dies alles einfach zu unserem Leben dazugehört.

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Wer schon öfter im Fernsehen die unausweichlichen „Comedians“, Entertainer, Selbstdarsteller oder „Supertalente“ gesehen hat und dabei dachte: „Das kann ich doch auch!“, hat verschiedene Möglichkeiten, sein Können unter Beweis zu stellen. Welche sind das eigentlich? (S. 42)

Lebensecht


ZeitGeist Lebensecht


Jede Menge

Lebensecht ZeitGeist


offene Möglichkeiten… „Ich bin ein Star…“ Wer schon öfter die unzähligen „Comedians“, Entertainer, Selbstdarsteller, Supertalente und wie auch immer sie sich nennen im Fernsehen gesehen hat und sich dabei dachte: „Das kann ich doch auch!“, hat drei Möglichkeiten

Erstens: Es gar nicht erst zu versuchen, was die mit Abstand langweiligste Lösung wäre. Zweitens: Alles auf eine Karte zu setzen und sich bei den diversen Casting- und Talentshows dem Urteil einer Jury mit bereits vorher festgelegten Erwartungen zu stellen, oder, wenn es ganz schlimm kommt, sich vor einer großen Öffentlichkeit, die meist nur genau darauf wartet, lächerlich zu machen. Und drittens: Den langen, ehrlichen Weg harter Arbeit zu gehen. Denn wer wirklich glaubt, ein Publikum unterhalten zu können, wer dabei Spaß hat und anderen diesen Spaß auch vermitteln kann, ja wer vielleicht tatsächlich mit dem Gedanken spielt, und sich dazu berufen fühlt, diese Tätigkeit zum Beruf zu machen, der fängt erst mal ganz unten an. Schließlich steht am Beginn jeder Laufbahn das Erlernen des Handwerks. Der Auftritt vor Publikum will geübt sein. Was zuhause vorm Spiegel oder vor wohlwollenden Freunden vielleicht ganz nett geklappt hat, kann auf der Bühne leicht zum Reinfall werden. Vielleicht hat man seine Gags, Stimme, Fähigkeiten oder Selbstbewusstsein auch einfach nur überschätzt… erst das Publikum schafft Gewissheit! Also sucht man sich zunächst kuschelige, kleine Bühnen mit ebenso kuschelig kleinem Publikum, welches man von sich zu überzeugen versucht. Wenn das gelingt und sich das Publikum den Namen des Künstlers merkt, ist man schon einen Schritt weiter…

„…lasst mich hier rein!“ Gelegenheit zu solchen ersten Schritten bieten die zahlreichen offenen Bühnen in Köln, von denen wir hier eine vorstellen wollen - die „Offene Wunde“ im „Low Budget“ auf der Aachener Straße. Jeden zweiten Samstag von September bis Mai bietet sie die Möglichkeit, sich völlig zwang- und kostenlos, entweder alleine oder auch im Rahmen eines Duos bzw. einer Minigruppe dem Publikum zu stellen. Das „Low Budget“ ist eine überwiegend studentische Kneipe in der Nähe der Straßenbahnhaltestelle Moltkestraße (Linie 1). Die „Offene Wunde“ findet im hinteren Bereich der Bar in einem tunnelartigen Raum statt, der von der Bühne aus die Sitzplätze noch gut erkennen lässt, die Stehplätze jedoch hinter Scheinwerferlicht und Qualm versteckt. Zum Konzept einer Offenen Bühne gehört nicht nur, dass die Künstler zwanglos auftreten können, sondern dass auch das Publikum kommt und geht wann es will, schließlich ist der Eintritt frei und der Durchgang zum Barbereich ständig offen. Dieses Wechselspiel zwischen Bar und Bühne war auch am 13. Oktober 07 gut zu verfolgen, als wir vor Ort waren und das EM-Qualifikationsspiel Deutschland-Irland lief. Um die Übertragung des Spiels auf der Großleinwand nicht mit der Offenen Wunde kollidieren zu lassen, wurde der Beginn von 22:30 Uhr auf 22:50 Uhr verlegt, der

Einlass bei den üblichen 22 Uhr belassen. Und tatsächlich füllte sich der Raum um 22:50 Uhr von einem Moment zum anderen bis zum Bersten. Stammmoderator Christian Gottschalk begann seine Moderation mit einleitender Stand-Up-Comedy und stellte anschließend die fünf, an diesem Abend auftretenden Künstler vor. Grundsätzlich ist jede Kunstform auf der Bühne erlaubt. So umfasste das Programm klassische Stand-up-Comedy (Markus Barth) – oft probiert, obwohl man sich nach Christian Gottschalks Worten „beim Stand-Up auch blamieren kann“, den „Stand-up-Melancholiker“ Alexander Bach, welcher einen selbst geschriebenen Text vortrug, den Straßenmusiker Don Frank, Florian Zieslig, der selbstverfasste Gedichte rezitierte sowie den „Akustik-barden“ Leif P. mit Gitarre. Es ist also alles möglich, es braucht nicht immer lustig sein (wollen)! Jeder Künstler hat ca. 10 Minuten zur Verfügung in denen er machen kann, was er will. Man muss jedoch damit rechnen, dass bei einer misslungenen Nummer Teile des Publikums sich von ihren Plätzen erheben und wieder an die Bar gehen um später vielleicht noch mal vorbeischauen. Das Publikum ist wohlwollend, aber ehrlich und der Unterschied zwischen höflichem und authentischem Applaus ist gerade auf kleinem Raum gut zu spüren.

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„Sofort!!!“ Wer an sich glaubt und auch den engen Kontakt zum Publikum nicht scheut, der kann sich problemlos für einen Auftritt anmelden. Dies geschieht am besten per E-Mail, obwohl auch eine Anmeldung am gleichen Abend möglich ist, sofern die Liste der Künstler an diesem Abend noch nicht zu lang ist. Die weiteren Termine in dieser Saison sind:

12.01.08, 09.02.08, 08.03.08, 12.04.08, 10.05.08. Weitere Infos sind im Internet unter der unten angegeben Adresse erhältlich.

Low Budget: www.lowbud.de

Übrigens, für einen gelungenen Auftritt gibt es sogar eine Gage: Biermarken! Aber: den wahren Künstler interessieren solche materiellen Gewinne doch nicht! Nein, er ist damit zufrieden, mit seiner Kunst das Publikum zu erfreuen, nicht wahr? Alexander Schulz

Aachener Straße 47., Köln

Anmeldung: Haldemann1@aol.com

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Der Exorzist

Ekel, hysterische Anfälle und Kreislaufzusammenbrüche waren die Begleiterscheinungen eines Kinophänomens, welches im Dezember 1973 Amerika in Atem hielt. Schuld war Regisseur William Friedkin, der bereits 1971 mit „French Connection Brennpunkt Brooklyn“ einen beachtlichen Erfolg verbuchen konnte. Friedkin war ein typischer Vertreter des New Hollywood, jener aufstrebenden Generation von Filmemachern, die mit revolutionären Filmen wie „Easy Rider“, „Die Reifeprüfung“ und „Bonnie und Clyde“ die Traumfabrik Hollywood von Grund auf veränderten und die fruchtbarste Phase des amerikanischen Kinos einleitete, bis die Bewegung Ende der 70er langsam zum Erliegen kam Basierend auf dem gleichnamigen Roman von William Peter Blatty erzählt Friedkin in „Der Exorzist“ von dem Leidensweg der 12-jährigen Reagan MacNeil, die von einem furchtbaren Dämon heimgesucht und gepeinigt wird. Ihre Mutter wendet sich in ihrer Verzweiflung an die Kirche. Zwei Jesuitenpriester nehmen schließlich den Kampf mit dem Dämon auf. Selbst heute, 35 Jahre nach Erscheinen, geht der Film unter die Haut und lässt das Blut in den Adern gefrieren. Friedkin verknüpft mit großem Geschick drei sich anfangs parallel entwickelnde Handlungsstränge. Mit analytischer, zurückhaltender Kameraarbeit porträtiert er die Familie MacNeil und den Horror, der sich allmählich in ihr Leben schleicht. Unterstützt von brillanter musika-

ZeitGeist

lischer Untermalung und einer überzeugend aufspielenden Besetzung führt Friedkin die Protagonisten in einen wahren Alptraum, der schließlich in einer beispiellosen Ekel- und Effektorgie mündet. Ungeachtet seiner vordergründigen Ekelszenen (Kruzifix-Masturbation, Teufelsfratzen, Schleimgekotze) und obszönen Vulgarität spiegelt der Film aber auch seine Entstehungszeit wieder und liest sich wie ein Kommentar auf die damalige Befindlichkeit der Gesellschaft. Das durch die schwelende WatergateAffäre und den verlorenen Krieg in Vietnam genährte Misstrauen der Bürger in die politischen Akteure führte zu einem Rückzug ins Private. Der Film macht diesen letzten Zufluchtsort, das eigene Zuhause, zum Schlachtfeld zwischen Gut und Böse. Und das Kind, sonst der Inbegriff von Reinheit und Unschuld, dient gar als Brutstätte des Bösen und entwickelt sich zu einer metaphorischen Pubertätsmonströsität. Hier sprach Friedkin einen Nerv an, da der amerikanischen Öffent-

lichkeit durch die Entstehung der Gegenkultur bereits der drohende Zerfall der Familie schmerzlich vor Augen geführt wurde. Die Paranoia jener Zeit drückt sich aber auch in dem tief verankerten Misstrauen gegenüber der Wissenschaft aus, die jede Form von Spiritualität ablehnt. Die hilflosen Ärzte, die mit ihrem Latein, bzw. ihrer Schulmedizin völlig am Ende sind, dienen Friedkin als Aushängeschilder des versagenden Rationalismus. Friedkin zelebriert stattdessen die Kraft des Glaubens und der Opferbereitschaft. Der Kampf gegen das Böse wird im großen Finale von zwei Geistlichen geführt, die dem Dämon ganz klassisch in der Tradition der klassischen Gruselstreifen mit Kreuz und Weihwasser zuleibe rücken. Da ließe sich natürlich durchaus die Frage stellen, ob der Provokateur Friedkin letztlich nicht doch nur einen sehr konservativen Film im Gewand eines Schockers von der Leine gelassen hat? Ein formal bestechender Nägelkauer ist ihm auf alle Fälle gelungen… Franz Köhne


Sonderschule der Ästhetik

Tuchfühlung Tüchlein, Tüchlein um den Hals – wer ist der größte Rebell im Land? Gerne schmückt der Deutsche sich mit fremder Völker Federn – besonders wenn ihm der Geruch des Tragischen an ihnen zu haften scheint.

Gelangten im Deutschland des 19. Jahrhundert die nordamerikanischen Indianer als „edle Wilde“ zu zweifelhaftem Ruhm, indem sie zum Kristallisationspunkt für allerlei kulturpessimistische Sehnsüchte und antiamerikanische Ressentiments avancierten, so bedient man sich heute gerne - Tradition verpflichtet! - der Palästinenser als Symbol einer diffusen Protestmentalität, welche letztlich wohl wenig mehr als Ausdruck des Verzweifelns an der eigenen Verlogenheit ist.

Denn unter uns: so ganz möchte man auf die Segnungen des westlichen Kapita-lismus dann ja doch nicht verzichten; so opportunistisch darf man bei allem fatalistischen Pathos wohl noch sein. Das Palituch von H&M kostet nun mal weniger als der „real deal“. Und überhaupt: die Schweden stehen uns als EU Bürger sowieso irgendwie näher, als diejenigen, mit deren so genannter Freiheitskampfes glorreicher Aura wir uns so gerne schmücken.

So bleibt all den deutschen Bürgertöchterchen und -söhnchen, auf dass das deutsche Wesen an sich selbst genese, nur zu raten, sich für den Anfang erstmal bei den Bombenlegern aus dem eigenen Kulturraum zu bedienen. Mit dem RAF-Pullover durch die Fußgängerzone. Na, da könnte man ja – wenn auch weiter nichts positives - zumindest fast schon Selbsterkenntnis unterstellen! Felix Grosser

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Radio 2.0 – Die soziale Musikrevolution Im Zuge der weltweiten Veränderung des Internets durch das neue Web 2.0, also nutzerorientierten, interaktiven Netzinhalten, wurde eine Plattform geschaffen, die das Musik- bzw. Radiohören revolutioniert hat. Diese Plattform entstand aus zwei verschieden Onlineangeboten, Audioscrobbler und Last.fm, die am 9. August 2005 zu einem Dienst, Last.fm, fusionierten. Last.fm beschreibt sein Angebot als „personalised online radio station“ oder auch „the social music revolution“. Der User hat die Möglichkeit sich auf Basis seiner Hörgewohnheiten neue Musik, Menschen mit ähnlichem Musikgeschmack und auch Konzerte in seiner Umgebung empfehlen zu lassen. Das funktioniert, indem die Audioscrobbler Software automatisch alle vom User gehörten Musiktitel „scrobbled“, also speichert. Aus diesen Daten errechnet Last.fm dann die persönlichen Charts des Users. Aufgrund dieser Charts werden Tipps für neue Musik gegeben, da Last.fm die Charts anderer User mit ähnlichem Musikgeschmack vergleicht und neue Interpreten empfiehlt. Derzeit hat Last.fm ein Wissen von ca. 80 Millionen einzelnen Songs und über eine Million dieser Songs für das Internet-radio vorrätig. Als registrierter User hat man also die Möglichkeit sich sein eigenes personalisiertes Radio zu erstellen. Dazu muss gesagt werden, dass das Radio umso besser wird, je mehr Songs man hört, da es dann regelrecht den persönlichen Musikgeschmack kennenlernt und immer weisere Voraus-sagungen treffen kann, ob dem User ein Song gefällt oder nicht. Um diese Funktion zu unterstützen kann man Last.fm auch ganz gezielt etwas beibringen, indem man, wenn man einen Song hört, durch einen Klick diesen Song in seine Lieblingssongs aufnimmt, oder für immer aus seinem persönlichen Radio verbannt.

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Seit dem 17. Mai gibt es nun auch eine Erweiterung in Bezug auf Musikvideos. Last. fm versucht Labels und Bands dazu zu bewegen ihre Musikvideos auf der Webseite zu veröffentlichen, damit dort in Zukunft so etwas wie personalisiertes Musikfernsehen gestartet werden kann. Dieser Service wurde inzwischen soweit ausgebaut, dass Last. fm dem User nicht mehr nur neue Musik passend zu seinen Hörgewohnheiten vorschlägt, sondern nun auch in der Lage ist jedem passende Musikvideos vorzuschlagen. Wenn nun noch die Anzahl der Videos bei Last.fm steigt, kann man bald auch von der „personalised online music video station“ sprechen. Zum Rechtlichen sei noch gesagt, dass der gesamte Service vollkommen legal ist, da die Songs nur in Absprache mit den Künstlern oder ihren Labels von Last.fm freigeschaltet werden dürfen. Außerdem ist es dem User nicht möglich einen der Songs aus dem Livestream heraus auf seinen PC runterzuladen. Es sei denn der Künstler hat auch dazu sein okay gegeben. So gibt es mittlerweile ca. 150.000 legale Downloads auf der Last.fm Seite. Insgesamt ist diese Plattform ein riesiger Fundus an neuer und unbekannter Musik auf die der Hörer sonst nicht so schnell stoßen würde. Für alle Musikbegeisterten ist Last. fm sehr empfehlenswert. Und das Beste zum Schluss: Dieser Dienst ist komplett kostenlos. Homepage: www.last.fm


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Das Jugendstilgebäude scheint mit allen Eventualitäten geplant worden zu sein. Die Taube nutzt ihre architektonische Nische und genießt die gute Sicht auf eine befahrene Straße Barcelonas.

Die Frankfurter Buchmesse war unter anderem Treffpunkt für Manga- und Animéfans, die mit großer Sorgfalt Kostüme angefertigt hatten, um so auszusehen wie Ihre Lieblingsfiguren. Was auf den ersten Blick seltsam erscheinen mag, ist bei näherer Überlegung doch ein kreativer Zeitvertreib mit zum Teil sehr schönen Resultaten.

Christi Himmelfahrt

Zuerst traute ich meinen Augen nicht, aber im Zug saß wirklich eine Elfe. Ob die anderen Insassen darüber informiert wurden, dass sie vielleicht auch auf dem Weg ins Nimmerland waren, ist

Dieser kleine Junge streut ein wenig Feinsinn in den hektischen Konsumentenstrom auf der Haupteinkaufsstraße Heidelbergs ein. Wenn man seine Sinne gerade nicht beflügeln kann, dann doch wenigstens diesen Drachen auf die Reise schicken. Wenn doch jeder Absturz so wenige Konsequenzen nach sich zöge! Lebensecht


En vogue: Limonade und Gerichtstermine Lokalrunde! Champagner für Alle! So höre ich mich schon jetzt in Gedanken allabendlich ausrufen, denn schon bald werde ich märchenhafte Reichtümer erwirtschaften und den Vertretern des internationalen Jetsets mit Vornamen bekannt sein. Hochglanzmagazine werden haarsträubende Details über meinen unangemessenen Lebens- und wahlweise überbordende Lobeshymnen über meinen ungeheuer eleganten Kleidungsstil veröffentlichen, meine Kontaktdaten werden die privaten Notizbücher der Besitzer elitärster und exklusivster Etablissements auf der ganzen Welt zieren, und nach einer gewissen Zeit wird der entfernte Verwandte irgendeines mir entfernt Bekannten über mich sagen, dass ich vollkommen abgehoben sei und offensichtlich Ruhm und Reichtum meinen ohnehin schon seit jeher zweifelhaften Charakter so erheblich beschädigt hätten, dass ich nun nicht einmal mehr meiner besten Freunde, jenen aus dem Sandkasten, der Wiege meiner Sozialisation quasi, mich zu entsinnen fähig wäre. Schlimm, so was, werden die Menschen angesichts solcher Berichte über mein schändliches Verhalten sagen, und ich werde es in Gedanken hören und sehr deprimiert und verbittert sein über solch ungerechtfertigte Urteile über meine Person, während meine wesentlich jüngere Ehefrau mit meiner Tochter aus erster Ehe darin wetteifern wird, meinen horrenden Reichtum für allerlei kostspielige Preziosen und Kapriziosen zu verschleudern. Wie es zu einer derart radikalen Veränderung meines Besitzstandes kommen wird, der mir all jene oben genannten Bauchpinseleien wie auch Widerborstigkeiten des Schicksals zu teil werden lassen wird? Ich habe eine Geschäftsidee, der gar nichts anderes übrig bleiben wird als mich binnen kürzester Zeit mit unzähligen monetären Mitteln zu versorgen. Sie kam, drängte sich mir geradezu auf,

während eines Mittagessens, das Ich zusammen mit einem Freund einnahm. Im Verlaufe desselben teilte ebendieser, im übrigen Jurastudent, ein Wissen mit mir, das für sich gesehen als eher fade anzusehen ist, nichtsdestotrotz aber den Grundstein meines baldigen Wirtschaftsimperiums legte: Sind bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung die Ansichten beider Parteien über die Beschaffenheit eines Ortes nicht in Einklang zu bringen, so kann der Gerichtsvorsitzende einen Augenscheinsbeweis anordnen, das heißt zum Beispiel, wenn nun jemand behauptet, er habe einen anderen im Verkehrsgewühl einer Straßenkreuzung gar nicht sehen können, weil eine Mauer ihm die Sicht versperrt habe, kann der Richter sagen: „Na gut, dann fahren wir jetzt alle mal zu der Kreuzung hin und gucken uns die Mauer mal an.“ Und nun sei dem geneigten aber vor Langeweile lauthals gähnenden Leser der Clou dieser zugegebenermaßen beinahe haarsträubend uninteressanten Ausführungen präsentiert: Eben jenes „Mal-dahin-Fahrenund-Gucken“ hat nach dem Willen der Zivilprozessordnung bekannt gemacht zu werden, das heißt man muss es auf einen Zettel schreiben und an ein schwarzes Brett hängen. Eine rein formelle Angelegenheit, die gerade genau so viel öffentliches Interesse erregt, wie sie verdient, es sei denn, man verfügt über so dermaßen visionäre Eingebungen wie der Verfasser dieser Zeilen: Ich habe den Augenscheinsbeweistourismus erfunden! Land auf, Land ab, werde ich die schwarzen Bretter in den Gerichten der Republik abklappern, die wildesten crazy Augenscheinsbeweise abchecken und zu jedem dieser Happenings einen Bus voll mit Frührenterinnen ankarren, die dann den Herrn Richter und sein Gefolge dabei bestaunen, wie sie die Mauern und Kreuzungen dieser Welt inspizieren. Eine absolut revolu-

tionäre Form der Eventbestaunung wird das! Zunächst werden nur besagte Damen gehobenen Alters den Nervenkitzel dieser LiveBegebenheits-Feststellungen zu goutieren imstande sein, bald jedoch werden, dank minutiös geplanter Werbefeldzüge, Vertreter aller Altersgruppen gar nicht mehr umhin können, Teil des um sich greifenden Hypes zu werden, schon bald wird kein Jungbohemien, der etwas auf sich hält, mehr ohne sein I-survived-Augenscheinsbeweis-Vogelsanger-Straße-Ecke-Kepler-Straße-T-Shirt, fünf Nummern zu klein und in flieder- und goldfarben gehalten selbstverständlich, auf die nächste Exzentrik-Fete gehen wollen, ich werde auf meinen real life proof adventure tours, wie ich sie dann nennen werde, Limonade verkaufen, die nicht Limonade heißt, und Kaffee, der nicht Kaffee heißt, und ich werde eine schicke web-2.0-Plattform einrichten, so dass jeder seine mehr oder minder faszinierenden Fotos und Videos von der letzten Reise ins Netz stellen kann. Der berauschende Erfolg dieser Mode-Erscheinung wird freilich auch unvermeidlich ihr Untergang sein: Schon bald wird ihr der Vorwurf der Mainstreamigkeit anhängen, der Hauch des Exklusiven wird schon längst in andere Gefilde geweht worden sein, und allerorten werden die Bohemiens tuscheln, dass sogar DER oder DIE das schon mal gemacht habe. Doch auch dafür ist vorgesorgt, denn der Alltäglichkeitstourismus kennt myriadenweise Facetten: Der Buchhandlungsinventurreiseverkehr steht schon in den Startlöchern, die Bushaltestellenexkursionen folgen ihm auf dem Fuße. Die Fülle an Möglichkeiten ist enorm.

von Holger Reinermann FeinSinn


Lebensecht


„Procrastination is the thief of time!“ Ein ganz normaler Tag im Leben der Spezies Student: Nachdem ich heute morgen aufgestanden bin, habe ich beschlossen, endlich mit der längst fälligen Hausarbeit zu beginnen. Eigentlich wollte ich ja direkt in die Bib, aber dann war der Besuch meiner Mitbewohnerin aus Berlin da.Es war nett, der Frühstückstisch gedeckt, eine Pulle Sekt, jemand holt die Skatkarten hervor, der Rest ist Geschichte...Die Situation kommt dir bekannt vor? Vielleicht bist auch du Prokrastinator! (S.54)

ErkenntnisReich


Adrenalin-Kick und Dauerstress - Was passiert dabei im Körper? Im Gegensatz zum allgemein bekannten Begriff „fauler Student“, könnte der gestresste Student jetzt eher der Normalfall sein. Hoher Leistungsdruck und die Umstellung der Magister- und Diplomstudiengänge auf den Bachelor/Master machen vielen Studenten das Leben schwer. Wie Focus.de berichtet (unter Berufung auf eine Umfrage der Universität Konstanz), fühlen sich 24 Prozent der angehenden Akademiker durch die hohen Anforderungen stark belastet.

„Wieso fällt mir jetzt die Antwort nicht ein?! Verdammt noch mal! Ich habe doch so lange für diese Klausur gelernt. Ich kann genau beschreiben, auf welcher Seite im Lehrbuch die Antwort steht. Aber die Lösung habe ich vergessen!“ Plötzlicher Stress beginnt damit, dass Hormone in die Blutbahn ausgeschüttet werden. Auf diesem Weg breitet sich Stress chemisch betrachtet bis in jede einzelne Körperzelle aus. Der Bereich des Hypothalamus leitet die Stress-Informationen blitzschnell an die Nervenzellen des Rückenmarks weiter. Dessen Enden (Synapsen) ragen bis ins Nebennierenmark. Die Synapsen entlassen dort den Neurotransmitter Acetylcholin. Der Botenstoff Acetylcholin bindet an bestimmten Rezeptoren des Nebennierenmarks und stimuliert so die sofortige Freisetzung der eigentlichen Stresshormone von Adrenalin und Noradrenalin in die Blutbahn. Die Energiequellen des Körpers beginnen nun förmlich an zu sprudeln:

Lebensecht ErkenntnisReich


Studenten in der Stressfalle „Ich halte es hier nicht mehr aus! Ich habe ein flaues Gefühl im Magen. Mein Herz schlägt schneller, ich schwitze. Ich würde am liebsten einfach wegrennen. Wenn mir nicht bald die Antwort einfällt, dann hau ich einfach ab! Es ist mir dann egal wie ich in der Klausur abschneide.“ Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol sind Notfall-Hormone und ursprünglich dazu gedacht, möglichst schnell und effektiv eine drohende Gefahr durch Flucht oder Angriff abzuwenden. Durch Wegrennen kann man aber keine Klausur bestehen. Der Körper ist zwar in Fluchtstimmung, das nützt einem aber in so einer Situation wenig. Die Leber beginnt Glucose ins Blut auszuschütten, Muskelzellen nehmen den Zucker auf und nutzen ihn als Energiequelle. Fettsäuren werden ins Blut befördert und den Zellen ebenfalls als Energiereserve angeboten. Das Herz-Kreislaufsystem reagiert nicht weniger dramatisch auf größere Konzentrationen von Adrenalin und Noradrenalin: sie erhöhen das Schlagvolumen des Herzens und damit den Puls. Außerdem bereitet sich die Lunge auf einen „Großeinsatz“ vor. Die Bronchiolen weiten sich, man atmet tiefer und schneller, so dass Herz, Gehirn und Muskeln besser mit Sauerstoff versorgt werden können. Organe, die für eine etwaige Flucht weniger wichtig sind, werden mit weniger Energie versorgt. Dazu gehören z.B. Haut, Verdauungstrakt und Nieren. Alles ist darauf getrimmt, effektiv reagieren zu können.

„Endlich! Mir ist die Lösung eingefallen! Es wurde ja auch langsam Zeit. Gut, das ich einen kühlen Kopf bewahrt habe! Einmal tief durchatmen…puh. Jetzt kann ich mich besser auf die letzten Klausurfragen konzentrieren. Gleich habe ich es geschafft!“ Wenn kein weiterer Stress auf den Körper einwirkt, sinken die Konzentrationen von Adrenalin und Noradrenalin im Blut relativ schnell und damit auch ihre Effekte. Das Herz und der Energiestoffwechsel beruhigen sich wieder. Studenten leiden aber immer öfter unter Dauerstress. Laut einer Emnid-Umfrage aus dem letzten Jahr im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse, ist jeder zweite Deutsche regelmäßig gestresst. Kein Wunder, dass Stress mittlerweile zum Uni-Alltag gehört. Termindruck, Versagensängste und Zukunftssorgen sind unter den angehenden Akademikern immerwährende Stressfaktoren. Dauerstress ist verantwortlich dafür, dass der Körper im wahrsten Sinne des Wortes ständig unter „Strom“ steht. So entwickelt sich der Adrenalin-Kick zum Gesundheitsrisiko:

„Jetzt habe ich die erste Klausur überstanden. In zwei Wochen kommt die Nächste. Außerdem muss ich über die Semesterferien eine Hausarbeit schreiben. Nebenbei muss ich auch noch ein Praktikum machen. Ich kann kaum noch eine Nacht ruhig

schlafen, mein Rücken ist völlig verspannt, meine Konzentrationsfähigkeit ist gleich null…“ Bei Dauerstress ist die Signalübertragung etwas langsamer als bei plötzlicher Gefahr. Das Signal wird dann nicht mehr über die Nervenbahnen, sondern ausschließlich über die Blutbahn weitergeleitet. Außerdem spielen jetzt auch andere Hormone eine Rolle. Es beginnt damit, dass der Hypothalamus ein sogenanntes Releasing Hormon absondert, wodurch der Hypophysenvorderlappen aktiviert wird. Der Hypophysenvorderlappen entlässt dann das Hormon Adrenocorticotropin (ACTH). ACTH gelangt über die Blutbahn in die Nebennierenrinde und löst dort bei Dauerstress die Synthese des Steroidhormons Cortisol aus. Cortisol verändert den Wasserhaushalt des Körpers und stimuliert den Energiestoffwechsel. Insgesamt führt die Wirkung von Cortisol zu erhöhtem Blutzuckerspiegel und erhöhtem Blutdruck. Bei lang anhaltenden Stressphasen können neben Bluthochdruck Magengeschwüre, Störungen im Immunsystem, Gefäß- und Herzmuskelschäden die Folge sein. Dauerstress kann also die Ursache vieler chronischer Erkrankungen sein. Allerdings empfindet jeder eine Situation unterschiedlich „stressig“. Der eine schreibt gerne Klausuren, während ein anderer vor Prüfungsangst schlottert. Genauso individuell ist das Entspannen. Pausen sind wichtig für die Regeneration des Körpers. Allerdings gehören Nichtstun und auf der Couch und Rumliegen nicht zu den besten Therapien. Wertvolle Tipps zur Stressbewältigung findet ihr im Artikel "Stressbewältigung" Christine Willen

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„Procrastination is the thief of time.“ Edward Young (1683-1765)

Es ist ein ganz normaler Tag - wie jeder andere auch - im Leben der Spezies Student. Nachdem ich heute morgen aufgestanden bin, habe ich beschlossen, doch endlich mit der längst fälligen Hausarbeit zu beginnen. Eigentlich wollte ich direkt in die Bib - es sind schließlich nur noch vier Tage bis zum Abgabetermin. Aber dann war der Besuch meiner Mitbewohnerin aus Berlin da. Es war nett, der Frühstückstisch gedeckt, ach und dann eine Pulle Sekt, jemand holt die Skatkarten hervor, der Rest ist Geschichte... Ich komme mit einem Tag Verspätung in der Bib an, da war wohl jemand vor mir da, kein Buch ist mehr zu haben. Nach 20minütigem Anstehen in der Buchhandlung sagt man mir, dass die nötige Hintergrundliteratur leider vergriffen sei, sie könne natürlich bestellt werden, die Lieferzeit

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betrage nur 48 Stunden. Ich rechne. 3 Tage minus 48 Stunden - Panik! Kommt dir diese Situation bekannt vor? Dann bist wohl auch du Prokrastinator. Denn es gibt einen Begriff für sie, jene chronischen Aufschieber unter uns. Und keine Sorge: du bist nicht allein. Laut einer Studie aus den USA leiden 25% aller Menschen unter chronischer Prokrastination, auch als Aufschiebeverhalten bzw. Handlungsaufschub bezeichnet. Unter den Studenten liege die Zahl sogar weitaus höher. Dr. Albert Ellis behauptet gar, dass 99% aller Studenten prokrastinieren, dabei wissen, dass sie prokrastinieren und dennoch weiter prokrastinieren. Haben also all die spießigen Erwerbstätigen recht, die uns Studenten vorwerfen, wir seien chronische Faulpelze? Nein,

denn Prokrastination hat schlichtweg nichts mit Faulheit zu tun: wenn wir prokrastinieren, tun wir nicht nichts, sondern wir tun einfach Dinge, die nicht so wichtig sind wie das, was wir eigentlich tun sollten. Und dass der Anteil chronischer Handlungsaufschieber an deutschen Universitäten höher liegt als bei den Erwerbstätigen, liegt daran, dass das Studentenleben Prokrastinatoren schlicht einen Pfuhl an Aufschiebemöglichkeiten bietet. Der generell unstrukturierte Tagesablauf, kombiniert mit den über das Jahr ungleich verteilten Arbeitsanforderungen, Jonglieren von Studium und Nebenjob, die hohen Anforderungen an Eigeninitiative und Selbstdisziplin machen den Prokrastinatoren unter den Studenten das Leben schwer.


Bei chronischen Prokrastinatoren zieht sich das Aufschiebeverhalten konstant durch alle Lebensbereiche. Wir zahlen permanent Mahngebühren, weil wir es einfach nicht schaffen, unsere Rechnungen zu begleichen. Wir reden monatelang vom Konzert unserer Lieblingsgruppe in der Stadt. Wenn man uns dann am nächsten Tag fragt, wie es war, gucken wir mürrisch und sagen, dass die Tickets schon ausverkauft gewesen seien - und das obwohl wir doch schon zwei Tage vor dem Konzert bei der Vorverkaufsstelle waren! Uns Gutscheine zu schenken, ist nicht nur Zeitsondern auch Geldverschwendung. Ihr könnt euch sicher sein, dass diese Gutscheine niemals eingelöst werden. Die ersten Wochen des Semesters werden dem Sozialleben gewidmet, denn obwohl wir schon jetzt alle Abgabetermine kennen, liegen sie noch so fern und man soll ja schließlich das Leben auch ein wenig genießen. Dass wir in zwei Monaten an der Arbeit ersticken werden, wissen wir zwar, schließlich studieren wir ja schon das ein oder andere Semester und wenn wir ganz ehrlich zu uns sind, wissen wir auch, dass wir uns zu gegebenem Zeitpunkt schwören werden, nie, niemals wieder unsere Hausarbeiten und Referate bis zum letzten Moment aufzuschieben. Schließlich haben wir zwar die Erinnerung an eben diesen Schwur aus dem letzten Semester verdrängt, aber nicht ganz vergessen. Prokrastination ist nicht logisch. Es liegt nun einmal im Charakter der Dinge, dass sie sich nicht von selbst erledigen, wenn wir sie vor uns herschieben. Mit Ausnahme vielleicht der Freunde, die nichts mehr von uns wissen wollen,weil wir uns seit über einem Jahr nicht mehr bei ihnen gemeldet haben. Generell kann man jedoch sagen, dass wir alles, was wir jetzt nicht machen, irgendwann doch machen müssen. Warum also nicht jetzt? Schließlich schwirren uns all die unerledigten Aufgaben doch ständig im Hinterkopf herum, wir können sie nie ganz vergessen und uns dementsprechend auch nicht entspannen. Warum also prokrastinieren wir? Auf diese Frage gibt es viele Antworten. Zuerst einmal muss gesagt werden, dass chronische Prokrastinatoren das Aufschieben schon so weit in ihr Verhalten integriert haben, dass es zur Gewohnheit wird. Dennoch gibt es unterschiedliche Gründe, aus denen das chronische Aufschieben resultiert. Ein Grund kann Perfektionismus sein. Viele Prokrastinatoren haben extrem hohe Erwartungen an ihre eigene Arbeit. Dieser Grund äußert sich häufig

in Sätzen wie: „Ich bin gerade nicht in der Stimmung. Ich kann besser arbeiten, wenn ich unter Druck stehe.“ Sie fangen mit der Arbeit an, sind damit nicht zufrieden und hören deshalb gleich wieder auf. Wenn sie dann eine schlechte Bewertung bekommen, können sie das auf ihre Faulheit schieben, statt an ihren Fähigkeiten zweifeln zu müssen.

der dumm, noch faul, im Gegenteil, wir bringen erstaunliche Energien auf, um uns selbst abzulenken. Wir veranstalten einen Großputz, wenn wir eigentlich eine Hausarbeit schreiben müssten und wenn wir eigentlich putzen wollen, lesen wir endlich das Buch, welches der Professor während der Vorlesung vorletztes Semester empfohlen hat.

Bei anderen liegt die Prokrastination am fehlenden Selbstwertgefühl. „Ich kann das nicht.“ Überforderung führt dann häufig zur kompletten Blockade, die gefürchtete Hausarbeit wird immer weiter aufgeschoben, die endgültige Auseinandersetzung mit der Aufgabe unter Zeitdruck führt dann häufig zur emotionalen Explosion. Bücher fliegen durchs Zimmer, Haare werden gerauft, Tränen fließen. Eher selten liege der Grund zum Aufschieben in schlechtem Zeitmanagement, so Dr. Ferrari, einer der führenden Prokrastinationsexperten. Einem Prokrastinator einen Terminkalender zu empfehlen, wäre in etwa dasselbe wie einem Depressiven zu sagen, er solle sich zusammenreißen.

Lange sah die traditionelle Forschung die Prokrastination als eine dysfunktionale Verhaltensweise an, die sich negativ auf den darunter leidenden Menschen auswirkt. Angela Chu und Jin Nam Choi zweifeln dies jedoch an. In ihrer Studie „Rethinking procrastination“ unterscheiden sie zwischen aktiven und passiven Prokrastinatoren. Passive Prokrastinatoren seien solche, die sich durch ihr Verhalten selbst lähmen, die langfristig durch den Kreislauf von Druck und Selbstzweifeln handlungsunfähig werden. Aktive Prokrastinatoren hingegen nutzen ihre Tendenz, Dinge aufzuschieben in positivem Sinne. Wir alle kennen einen aktiven Prokrastinator: es sind diejenigen, die wir um ihre Fähigkeiten beneiden, im Angesicht von sich auftürmender Arbeit fröhlich mit den Schultern zu zucken, zu sagen „Morgen ist auch noch ein Tag“ und uns dann zum Tanzen gehen überreden. Sie schieben Arbeiten bewusst auf, da sie tatsächlich unter Druck besser arbeiten können und verbringen die Zeit des Aufschiebens nicht mit Grübeln und Selbstanklagen, sondern einfach damit, ihre freie Zeit zu genießen. In Ihrem Umgang mit Stress, Druck, Zeitmanagement ähneln sie den Nichtprokrastinatoren mehr als den passiven Prokrastinatoren.

Man wird nicht als Prokrastinator geboren, man wird zu einem gemacht. Oder ein wenig ehrlicher ausgedrückt: man macht sich selbst zu einem. Hierbei spielt die Sozialisation sowohl durch die Familie, als auch durch die Schule eine wichtige Rolle. Häufig führt das Aufwachsen mit einem perfektionistischen, sehr aktiven oder dominanten Elternteil dazu, dass Kinder niemals lernen, selbst Verantwortung für Aufgaben zu übernehmen. Eigeninitiative wird nicht gefördert, Selbstdisziplin und Strukturierung des Alltags können nicht erlernt werden. Manchmal manifestiert sich die Prokrastination in Form der Rebellion: gegen die perfektionistische Mutter, die einem alles hinterher räumt, gegen den dominanten Vater, der Disziplin und Eigenverantwortung fordert, gegen die Institution Schule, die das Lernen zum Zwang macht statt zur Freude. Hinzu kommt das „Erfolgserlebnis“. Wir Prokrastinatoren haben häufig die Erfahrung gemacht, dass wir mit unserem Verhalten durchkommen, manchmal gerade noch so, manchmal aber auch mit Erfolg. Dies bestätigt dann, dass unser Verhalten in Ordnung ist, dass wir „unter Druck besser arbeiten können“. Dass wir uns in Wahrheit selbst belügen, wollen die meisten von uns nicht wahrhaben. Prokrastinatoren sind nämlich Meister des Selbstbetrugs. Wir kreieren Lügen, um unser Verhalten zu erklären bzw. aufzuwerten. „Ich kann nur unter Druck gut arbeiten“ ist eine solche Lüge. Prokrastinatoren sind we-

Aber was, wenn wir nicht zu der glücklichen Gruppe der aktiven Prokrastinatoren gehören? Können wir uns ändern? Ja! Dr. Ferrari empfiehlt eine hochstrukturierte kognitive Verhaltenstherapie. Du wirst immer derselbe sein, denn die Änderung interner Muster ist nicht zu erwarten. Wenn Du Glück hast, und Deine Krankenversicherung die Therapie übernimmt, kannst Du Dich also nach 90 langwierigen Sitzungen getrost als trockener Prokrastinator bezeichnen und Dich proaktiv und beherzt, rechtzeitig Deinen Aufgaben widmen. Aber Vorsicht, die Ablenkung lauert überall! Und seien wir mal ehrlich, die Wahrscheinlichkeit, dass wir Prokrastinatoren über einen Zeitraum von zwei Jahren regelmäßige Sitzungen durchhalten und nicht irgendwann doch der Spaß ruft, ist relativ gering. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Hanna Schrankel

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Stressbewältigung Prokrastination und Stress. Mach Dir das Leben leichter: Anleitung zum Glücklichsein in 6 Schritten

1. Selbsterkenntnis

2. Raus aus der Bude! - Sport treiben

3. Realistische Ziele setzen

Es ist Zeit für eine intensive Selbstbetrachtung. Warum schiebst du Dinge vor dir her? Identifiziere die Situationen, in denen du Aufgaben vor dir herschiebst und überlege dir, aus welchen Gründen du in der jeweiligen Situation prokrastinierst. Das Bewusstmachen über die Gründe deines Verhaltens ist der erste Schritt zur Besserung. Wenn du feststellst, dass du etwas vor dir herschiebst, weil du dich überfordert fühlst, solltest du dir im nächsten Semester vielleicht nicht so viel vornehmen. Wenn du aber ehrlich der Meinung bist, dass du unter Druck besser arbeitest, dann ist dein Verhalten wahrscheinlich vollkommen richtig.

Sicher, für Sport braucht man eine Menge Selbstdisziplin und die geht dem Prokrastinator ja bekanntlich ab. Wenn du es aber schaffst, dich mit Hilfe der anderen Tipps zu disziplinieren, wird dir die körperliche Aktivität das Leben um ein Vielfaches vereinfachen. Wer regelmäßig Sport treibt, ist nicht nur körperlich, sondern auch geistig fitter und hat mehr Antrieb. Der führt dazu, dass du dich besser überwinden kannst, Aufgaben anzugehen. Außerdem hilft der regelmäßige Sport, dein Leben zu strukturieren. Aber Vorsicht: langsam anfangen! (siehe Tipp 3)

Nimm dir nicht zu viel vor. Beispielsweise beim Sport. Jeder kennt das. Du willst endlich mehr für deine Gesundheit machen, meldest dich beim Unisport an, ein schicker Jogginganzug wird gekauft und du malst dir schon aus, wie du zum neuen Menschen wirst: jeden zweiten Tag Fitnessstudio! Schlank, sportlich, aktiv und gesund! Spätestens nach zwei Wochen kommt die Ernüchterung. Geh es einfach mal langsamer an. Vielleicht nimmst du dir vor, bei gutem Wetter mit dem Fahrrad zur Uni zu fahren oder du verabredest dich einmal die Woche mit einem Freund zum Unisport.

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4. Kleinvieh macht mehr Mist!

5. Abschalten und genießen...

6. Verhaltenstherapie als letzte Instanz

Große Aufgaben schiebt man gern vor sich her, da sie unübersichtlich sind. Wenn kein Ziel in Sicht ist, tendiert der Prokrastinator schnell dazu, aufzugeben. Unterteile große Aufgaben in kleine Arbeitsschritte. Beispielsweise bei der Recherche für eine Hausarbeit: schreibe eine Liste mit den einzelnen Texten, die du lesen willst. Unterteile lange Texte in Abschnitte bzw. Kapitel. So kannst du dir die Arbeit besser einteilen und zum Beispiel die zwei Stunden vorm Kino noch dazu nutzen, zwei Punkte aus der Liste zu streichen.

Auch wenn du jetzt sagst, dass du das schon zu Genüge tust, tu es einfach auch mal bewusst! Selbst wenn du beispielsweise den Samstag eigentlich fürs Lernen eingeplant hast, weißt du, dass du es nicht tun wirst. Wenn dem so ist, dann sei ehrlich zu dir selbst und verabrede dich lieber mit Freunden auf einen Kaffee, als den ganzen Tag frustriert über den Büchern zu sitzen und Solitär zu spielen.

Wenn du das Gefühl hast, dass deine chronische Prokrastination dich behindert und du dir schon über einen geraumen Zeitraum hinweg nicht selbst helfen kannst, dann solltest du dich über Möglichkeiten der Verhaltenstherapie erkundigen. In der Verhaltenstherapie wird dein Therapeut mit dir zunächst die Ursachen und die Entstehungsgeschichte deines Verhaltens ergründen, um dann gemeinsam mit dir Methoden zu erarbeiten, die dir helfen, dein Leben künftig besser in den Griff zu kriegen. Die psychologische Beratungsstelle an deiner Uni kann dich über Therapiemöglichkeiten informieren. Hanna Schrankel

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Gefangen im Panic Room Das geflügelte Wort

Den Panic Room bildet die bevorstehende Klausur, die abzugebende Hausarbeit oder auch der Leistungsdruck. Die Gefangenen sind wir, die es nicht schaffen aus dem Panic Room zu entfliehen, da uns der Stress daran hindert. Er beschert uns Denkblockaden, verschwitzte Hände und ähnliche Nettigkeiten. Wie also ausbrechen aus diesem circulum diabolo? Erst mal cool bleiben. Aber wie soll das funktionieren, ist doch der Stress dazu geschaffen worden dem Menschen zur Flucht vor dem Feind zu verhelfen? Da sitzt man dann, mit zuviel Adrenalin im Blut und soll sich konzentrieren. Vielleicht sollte man sich an den Lieblingsspruch des Augustus halten: „Eile mit Weile!“, der original bedeutete: „Eile

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langsam! Ein vorsichtiger ist besser als ein waghalsiger Heerführer.“ und aus den „Divus Augustus“ von Sueton stammt. Also erst einmal tief durchatmen und die Angst vor dem vermeindlichen Feind verdrängen. Was allerdings schon bedacht werden sollte, bevor der Stress nicht mehr auszuhalten ist, ist „die Gelegenheit beim Schopfe zu fassen“. Dieser Ausdruck geht auf den griechischen Mythos vom Gott Kairos (= günstige Gelegenheit) zurück. Der Gott des günstigen Augenblicks wird in der Kunst mit einem kahlen Hinterkopf und einem Haarschopf an der Stirn dargestellt, an dem man den günstigen Augenblick gut fassen konnte. Also warten wir auf einen Gott und versuchen ihm die Haare auszureißen. Ob das des Pudels Kern ist?

Das sicher nicht, aber sicher kann die richtige Gelegenheit den Druck nehmen. Doch wann soll der richtige Zeitpunkt sein? Man hat ja doch „keine Zeit, keine Zeit...“, wie das weiße Kaninchen aus „Alice im Wunderland“ so treffend bemerkt. Denn hat man einmal den richtigen Zeitpunkt gefunden, heißt es doch schon meist wieder nach Adolf Glaßbrenner: „Es ist die allerhöchste Eisenbahn, die Zeit is schon vor drei Stunden anjekommen.“ Wie ihr seht, finde auch ich keinen wirklichen Ausbruch aus dem Teufelskreis Stress. Am besten sagt man es mit Rio Reisers „Macht kaputt, was euch kaputt macht“! Denn alles andere hat ja doch keinen Wert. Ilka Bühner


Staats kunst Einige Sterne leuchten heller am Universitätenhimmel… Mit der Exzellenzinitiative soll die Qualität des Hochschulund Wissenschaftsstandortes Deutschland gefördert und nachhaltig gestärkt, sowie die internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden. Doch wie genau kam es eigentlich dazu? (S. 62)

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Innere Sicherheit Der 11. September 2001 war einer der prägendsten Momente unserer Zeit und dieses Ereignis hat viele Veränderungen nach sich gezogen. Wenn man vorher nicht so richtig wusste wo denn Afghanistan liegt oder was die Al Kaida Gruppierung ist, geschweige denn was sie vorhat, wurde man prompt ins kalte Wasser geworfen. Von nun an hat die zivile Luftfahrt auch bei Umwelt unbewussten Menschen einen bitteren Beigeschmack bekommen. Zur Abwehr dieser Bedrohung hat die amerikanische Regierung den "Patriot Act" ins Leben gerufen, der den Vollzugsbehörden den Zugriff auf vertrauliche Daten erleichterte und die Bürgerrechte von amerikanischen Staatsbürgern verringerte. Dieses Gesetz wurde inzwischen wieder gelockert, aber dennoch müssen Ausländer immer noch relativ viele Daten den US Behörden über einen langen Zeitraum hinweg zugänglich machen, wenn sie in die USA einreisen wollen. Aber auch in Deutschland kann eine gewisse Tendenz zur Sicherheit nicht geleugnet werden. 1997 kam der "Große Lauschangriff". Diese Phrase wird sicherlich noch einigen in Erinnerung sein, obwohl sie nicht mit der ter-

roristischen Gefahr in Verbindung steht, da sie es der Polizei ermöglicht hat intime Gespräche innerhalb von privaten Wohnungen zu belauschen und das Vernommene auch vor Gericht zu verwenden. Dieser Beschluss führte zu großer Bestürzung, denn zu Recht wiesen Vertreter von Menschenrechtsorganisationen daraufhin, dass die Privatsphäre der Bürger in Gefahr ist. 2004 wurde das Gesetz wieder gelockert und nun ist es für die Polizei nicht mehr so einfach das Privatleben der Bürger zu beleuchten. Doch kürzlich vereitelte Terrorangriffe auf deutschem Boden führten die Aufmerksamkeit des Bundesinnenministers wieder zu dieser Problematik. Daraufhin beschloss er das Risiko eines Angriffs so gering wie möglich zu halten und dieses Großvorhaben wurde durch verschiedene Maßnahmen angestrebt. Zum einen wurde diskutiert den Vollzugsbehörden Möglichkeiten zu geben einfacher auf PCs von Privatpersonen zuzugreifen, womit wir wieder bei dem "Großen Lauschangriff" wären, nur dass er auf das Abhören der digitalen Privatsphäre umgeschlagen worden wäre. "Man müsse mit der Zeit gehen“, so die Argumentation des Bundesinnenministers.

Allerdings stellt sich für mich die Frage inwieweit dadurch diese Gefahr gebannt werden soll. Mitte September hatte Daniel S. den Plan Anschläge auf amerikanische und israelische Ziele zu organisieren und die Kommunikation der Planung wurde über das Internet abgewickelt. Nun ja, wenn man das hätte anzapfen können, wäre es gar nicht erst so weit gekommen. Man muss aber bedenken, dass Daniel S. sich in ungeschützte WLAN Netze eingeloggt hat um zu korrespondieren. Demzufolge müsste die Überwachung absolut sein, was nicht im Sinne des demokratischen Gedankens sein kann. Die andere Maßnahme drängte darauf festzulegen, ob man im Falle einer Flugzeugentführung der Bundeswehr den Abschussbefehl erteilen kann. Allerdings ist das nicht die einzige militärische Maßnahme die Herr Schäuble ins Auge gefasst hat. Laut Grundgesetz ist es im Moment nur dann möglich die Bundeswehr im Inland einzusetzen, wenn der Verteidigungsfall ansteht, oder aber wenn sie zum Katastrophenschutz unabdingbar ist. Dieses soll jetzt um einen dritten Fall erweitert werden, nämlich um terroristische Gefahren abzuwenden. Dies sind alles Punkte die durchaus nachvollziehbar sind, dennoch muss eindringlich darauf hingewiesen werden, dass man Feuer nicht mit Feuer bekämpfen kann. Mann sollte bedenken, dass das furchtbare Zukunftsszenario von jederzeit abrufbaren biometrischen Daten nicht mehr allzu weit entfernt ist, wenn man die neuen Pässe bedenkt. Maximale Verbrechens- und Terrorbekämpfung liegen bedenklich nahe an einem Überwachungsstaat. Momentan stehen die Deutschen, laut Nennungsfrequenz von Osama Bin Laden, nicht allzu weit oben auf der Liste für einen potenziellen Angriff, dennoch sollte man die Gefahr nicht unterschätzen. Adam Bronisz

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Politische Mythen Mythen – das sind sinnstiftende Erzählungen, die Unbekanntes oder schwer Erklärbares vereinfacht mit Bekanntem darstellen. Doch was genau sind denn politische Mythen? Hier ein kurzer Abriss: Was? Politische Mythen, das sind Erzählungen, die auf das politisch-soziale Geschehen gemünzt sind und diesem Geschehen eine spezifische Bedeutung verleihen. Besonders geeignet scheinen deshalb Wendepunkte in der Geschichte, der Charakter von Heldentaten zugesprochen werden kann, denen wie etwa der Französischen Revolution oder der Oktoberrevolution 1917. Oftmals beziehen sie sich auch auf Personen, die aufgrund ihres verklärten Wirkens zum Vor- oder Leitbild für eine ganze Ge-sellschaft werden, wie zum Beispiel Bismarck als Reichsgründer oder Che Guevara als noch heute das Bild der Nation prägender Volksheld.

Wie? Sie setzen sich aus analysierbaren und vergleichbaren Bestandteilen zusammen, wobei die inhaltlichen Ausprägungen und Nuancierungen vom jeweiligen Kontext abhängen. In den komprimierten, mitreißenden Erzäh-

lungen werden aber andere Sachverhalte wiederum übersehen, wodurch die Vergangenheit sehr stark idealisiert wird. Entscheidend ist, dass die spezifischen Stoffe der Mythen allgemein bekannt sind. Der Mythos muss sinnlich und erlebbar sein, sowie die Ratio und Emotionen aller Glieder der Gesellschaft ansprechen. Nur so kann er sich in der Gesellschaft verankern. Warum? In ihrer Grundfunktion sind politische Mythen Sinngebilde mit einem kollektiven, auf das grundlegende Ordnungsproblem sozialer Verbände bezogenen Wirkungspotential. Dadurch vermitteln sie Orientierung, was wiederum erklärt, warum in gesellschaftlichen oder politischen Umbruchphasen oder Krisenzeiten politische Mythen eine Renaissance erleben. Zudem dienen politische Mythen der Legitimierung, indem sie Herrschaft bzw. Herrschaftsansprüche und Handlungen wie Kriege und Eroberungen rechtfertigen. Dies ist nur möglich, da die im Mythos

dargestellte Leistung mit der gegenwärtigen herrschaftlichen Autorität verglichen und so gerechtfertigt wird. Deswegen und aufgrund der Tatsache, dass sie in ihrer spezifischen Wirkungsweise als Kommunikationsmittel dienen und Massen mobilisieren, werden sie von Führern einer Bewegung oft gezielt zur Propaganda eingesetzt und verbreitet. Im Extremfall können politische Mythen auch zum Bestandteil oder zur Grundlage von Ideologien werden, wie beispielsweise der Germanenmythos ein wichtiges Element der nationalsozialistischen Ideologie war. Sarah Gronemeyer

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Einige Sterne leuchten heller am Universitätshimmel „Aufbruchstimmung, aber subito“ - mit dieser Kampfansage wollte Altbundeskanzler Schröder bereits 2004 frischen Wind in die als mittelmäßig empfundene Hochschullandschaft bringen. Mit dem Fanfarenstoß „Exzellenzinitiative“ animierte er die Universitäten, sich für das Elite - Casting herauszuputzen und lockte mit der Aussicht auf hohe Forschungsgelder und mehr Prestige auch über die Landesgrenzen hinaus. Doch langwierige Debatten zwischen Bund und Ländern brachten die Aufbruchstimmung wieder zum erschlaffen. Wie eine Bremse wirkte sowohl der Streit um die Föderalismusreform, als auch der Wille der großen Parteien zu verhindern, dass eine von ihnen mit einem Hochschulbonus in die Bundestagswahlen 2006 ziehen könne. Erst durch die vorgezogenen Neuwahlen kam es am 23. Juni 2005 zu einer Einigung. Die konkretisierte Exzellenzinitiative sollte folgende Ziele verwirklichen: Förderung von Graduiertenschulen zur Betreuung von Doktoranden, Exzellenzcluster für ressortübergreifende Forschungszentren, sowie Zukunftskonzepte zur Optimierung der Rahmenbedingungen – die sogenannten „Eliteuniversitäten“ als Ausbauprojekte der universitären Spitzenforschung. Die bis dahin zum Warten verurteilten Unis hatten nun die Möglichkeit in zwei Ausschreibungsrunden ihre Förderungsanträge einzureichen. Dass ihnen dafür keine klaren Erfolgskriterien vorgegeben wurden, versuchte der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Winnacker mit dem Aufruf „der Fantasie freien Lauf lassen“ wettzumachen. Wer nach der ersten von zwei Bewerbungsrunden in welcher Förderlinie weiterkommen

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sollte, empfahlen internationale Fachkommissionen. Das letzte Wort hatte aber ein Bewilligungsausschuss, bestehend aus Bundesforschungsministerin Annette Schavan, den 16 Wissenschaftsministern der Länder, sowie 26 wissenschaftlichen Mitgliedern der gemeinsamen Kommission von DFG und Wissenschaftsrat. Dass es innerhalb dieses Ausschusses mit beflügelter Leichtigkeit zu einer Entscheidung kommen würde, konnte wohl niemand glauben. So fühlten und fühlen sich bis heute viele der Politiker in ihren Mitspracherechten beschränkt und bei der Entscheidungsfindung von den Wissenschaftlern übergangen. Die Wissenschaftler hatten sich in langen Sitzungen auf die zu fördernden Kandidaten geeinigt, wobei sie besonderes Augenmerk auf herausragende Forschungsprojekte, an denen Experten verschiedener Fachrichtungen interdisziplinär zusammenarbeiteten, sowie auf besonders intensive Förderung junger Talente legten. Doch letztendlich, wie Schavan bestätigte, hat es keinen Eklat gegeben und die Sieger der ersten Runde - die Uni Karlsruhe, die TU München, die CMU München – können sich von nun an als Eliteuniversität bezeichnen. Außerdem wurde die Finanzierung von 18 Graduiertenschulen und 17 Exzellenzclustern beschlossen, für die pro Jahr 174,7 Millionen Euro zur Verfügung stehen, wovon je 21 Millionen pro Jahr an die Eliteuniversitäten gehen. Doch wo Sieger sind, gibt es auch enttäuschte Verlierer: So löste beispielsweise bei der bis zur Entscheidung als Favorit gel-


wenige Anträge aus den Geistes- und Sozialwissenschaften berücksichtigt wurden, andere missbilligten, dass die nord- und ostdeutschen Bundesländer kaum Beachtung fanden. Und die Politiker fühlten sich immer noch von den Wissenschaftlern übergangen. Bundeskanzlerin Merkel verteidigte stattdessen die Auswahl der ersten Eliteuniversitäten und mahnte, dass es keinen Sinn mache, sich einzureden, alle Unis seien gleich zu bewerten. Den Hochschulen, die ihr Traumziel in der ersten Runde nicht erreicht hatten, blieb auch keine Zeit, in Selbstmitleid zu zerfließen, denn schon im Oktober 2007 sollten die Ergebnisse der zweiten Auswahlrunde bekannt gegeben werden. Der Kampf um das begehrte Elite-Siegel geht also in die nächste Runde, denn dem BundLänder-Programm stehen bis 2011 1,9 Milliarden Euro zur Verfügung, welche zu 75% vom Bund und zu 25% vom jeweiligen Land gestellt werden. Doch bitter bleibt der Vergleich mit anderen Universitäten im Ausland. So verfügen zum Beispiel selbst mittlere Universitäten in den USA über weit höhere Forschungsbudgets als die besten deutschen Hochschulen. Doch man nimmt, was man kriegen kann und somit gingen weitere 92 Anträge für die verschiedenen Förderkategorien ein. Die Entscheidung fiel am 19. Oktober 2007: RWTH Aachen, FU Berlin, Uni Freiburg, Göttingen, Heidelberg, Konstanz - sechs weitere Universitäten erhielten das Privileg in den Hochschulolymp aufsteigen zu dürfen.

Förderungen von je einer Million Euro pro Jahr und weitere 20 über den Erhalt eines Clusters, welcher der jeweiligen Uni 6 Millionen Euro pro Jahr einbringt. Über einen solchen Cluster freut sich auch die Universität zu Köln. Sie bekam das Cluster für „Cellulas Stress Responses in Aging- Associated-Diseases“. Doch was nützt dies dem einzelnen Studenten? Es wird davor gewarnt, sich bei der Wahl seines Studienortes davon leiten zu lassen, welche Universität bei der Exzellenzinitiative besonders gut abgeschnitten hat, denn für die Auswahl war besonders die Forschung und eher weniger die Lehre entscheidend. Als Student ist man aber auf gute Lehre angewiesen und oft sind gerade die Professoren, die viel forschen, wenig an der Lehre interessiert, halten schlechte Vorlesungen oder lassen sich von ihren Assistenten vertreten. Ganz anders wiederum sieht das Annette Schavan, die überzeugt davon ist, dass sich exzellente Forschung auch auf die Lehre auswirken wird. Dennoch wünscht sie sich eine Fortsetzung der Exzellenzinitiative über 2011 hinaus, bei der auch die Frage nach der Lehre eine entscheidende Rolle spielen soll. Sarah Gronemeyer

Daneben freuten sich 21 Hochschulen über die Ernennung zur Graduiertenschule mit

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Vermisst

Es war einmal eine junge Frau, der war ihre Inspirationsquelle abhanden gekommen. Nicht von heute auf morgen, so dass sie es gemerkt hätte. Das musste eine ganze Weile gedauert haben; als ob sich da etwas in Luft aufgelöst hätte. Wie das manchmal mit Dingen ist, die man irgendwie nie braucht und nie vermisst, bis man plötzlich bemerkt, dass sie nicht mehr da sind. Zum Beispiel eine Videokassette mit eigenen Aufnahmen aus grauer Vorzeit, die man urplötzlich noch einmal anschauen will, weil man gerade in einer leicht sentimentalen Stimmung ist, aber die ist dann unauffindbar und das Erinnerungsvermögen reicht absolut nicht aus, um den Verbleib dieser Kassette zu klären. Die junge Frau jedenfalls nutzte ihren Quell der Inspiration nicht täglich oder wöchentlich, sondern von Zeit zu Zeit, wenn mal wieder etwas anstand, das ihr Kreativität abverlangte. Ihr Job bei einer großen Versicherung war nämlich alles andere als kreativ. Er bestand zum größten Teil daraus, Kundendaten in den Computer einzugeben, die dann weiter verarbeitet und von ihren Vorgesetzten geprüft wurden. Und das war mehr oder weniger jeden Tag das Gleiche. Klar, manchmal hatte ein potenzieller Versicherter einen sehr ausgefallenen Namen. Etwa wie Albertine Schnitzel oder Sixtus Graf von Lindental. Die hatte es wirklich mal gegeben und darüber hatten sich dann alle köstlich amüsiert oder, im Falle des Grafen, anerkennend geguckt und mit den Köpfen genickt. Um es kurz zu machen, ihr Beruf war stinklangweilig. Also konnte sie ihren Einfallsreichtum und ihre künstlerische Ader getrost zu Hause lassen. Das tat sie dann auch. Doch der Tag kam, an dem sie ihre Kreativität dort vergeblich suchen sollte. Es ging darum, ein Geschenk für ihre beste Freundin zu finden. Da kann man ja schließlich nicht mit einem Duftpotpourri

oder „Die 100 schnellsten Rezepte für Kalorienbewusste“ auftauchen und sagen: „Herzlichen Glückwunsch, meine Liebste, was anderes ist mir dieses Jahr nicht eingefallen. Ich hoffe, du freust dich trotzdem und, ach ja, ich hätte gerne ein liebevolleres Geschenk von dir.“ Da hält sich die Freude in Grenzen. Ein klein wenig origineller dürfte es also schon sein. Diese unpassenden Dinge waren aber komischer Weise die ersten, die ihr durch den Kopf schossen und auch nach längerem Nachdenken hatte sie keine bessere Idee. Naja, zum Glück kann man sich ja inspirieren lassen. Eine Flasche Wein und Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse müssten doch der Fantasie freien Lauf lassen. Nein? Dann eben noch eine zweite Flasche. Die brachte aber leider auch nicht die gewünschte Originalität, sondern nur den Griff zum Telefonhörer, leidenschaftliche Freundschaftsbekundungen und eine verwirrte Freundin am anderen Ende der Leitung, die sich fragte, ob diese Art von Alkoholkonsum noch normal und vertretbar war. Der Kater am nächsten Morgen war nicht zu verachten und drückte ganz schön auf die Hirnregionen, die sie gebraucht hätte, um nicht doch noch beim Potpourri zu enden. Vielleicht könnte ja die Mutter behilflich sein, die hatte ja schließlich auch eine beste Freundin, der sie schöne Dinge zum Geburtstag schenkte. Weit gefehlt, Hilfe konnte man das nicht nennen, was die Mutter da vorschlug. Einen Besuch bei der Kosmetikerin zur Anti-Falten-Behandlung oder eine Karte für das Konzert von diesem hübschen blonden Sänger, der letztens im Zweiten aufgetreten ist und auf deutsch singt - da versteht man wenigstens alles. Und nein, sie wollte auch nicht eine von diesen tollen neuen Silikonbackformen verschenken, aus denen sich der Kuchen immer fast wie von alleine löst.

Die Mutter war beleidigt, weil ihre Meinung anscheinend nicht von Wert war und die junge Frau war noch immer keinen Schritt weiter. Wie wäre es denn, jemanden vom Fach zu fragen? Es gibt doch in allen Geschäften Verkäufer, die sich mit ihren Produkten auskennen und wissen, was den Menschen so gefällt und womit man jemandem eine Freude machen kann. Aber in welches Geschäft soll man gehen, wenn man nicht weiß, was man kaufen möchte oder ob es gar eine Eigenproduktion werden soll? Und wieso sollte ein Verkäufer besser wissen, was der Freundin gefällt, obwohl er sie überhaupt nicht kennt? Auch diese scheinbare Lösung des Problems war zum scheitern verurteilt. Man könnte aber doch ganz unauffällig bei einem Kaffee mal horchen, ob es nicht etwas gibt, worüber sich die Freundin freuen würde, ohne dass man direkt fragen muss, was sie sich denn wünscht. Und irgendwie ergab sich dann alles wie von selbst. Die Sonne schien mit ihrer noch verbliebenen wärmenden Kraft auf die beiden herunter, als sie sich an einem wundervollen Herbsttag im Café trafen und sich freudig begrüßten. Freudig ging es auch weiter, als sie sich den neuesten Klatsch von Diesem und Jenem erzählten und endlich mal wieder richtig albern und ausgelassen miteinander lachen konnten. Unsere junge Frau erholte sich gerade von ihrem Lachanfall und schaute mit leicht zusammengekniffenen Augen in den Himmel. Da sah sie einen kleinen Spatz an ihr vorüber fliegen. Und auf einmal wusste sie ganz genau, was sie ihrer Freundin schenken wollte. Wie einfach alles doch manchmal sein kann.

von Katja Koslowski



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