European Journal of Mental Health Individual, Family, Community and Society VOLUME 10, NUMBER 2, DECEMBER 2015 Editor-in-Chief / Leitender Herausgeber Prof. Jozef Corveleyn, Katholieke Universiteit Leuven (Belgium)
Editorial Board / Beratende Herausgeber Dr. Milda Ališauskienė, Vytauto Didžiojo universitetas, Kaunas (Lithuania) Prof. Jacob A. Belzen, Universiteit van Amsterdam (Netherlands) Prof. Beáta Dávid, Semmelweis Egyetem, Budapest (Hungary) Prof. Valerie DeMarinis, Uppsala universitet (Sweden) Prof. Emmy van Deurzen, Existential Academy, London (United Kingdom) Dr. Jessie Dezutter, Katholieke Universiteit Leuven (Belgium) Dr. Robert Fisher, Inter-Disciplinary.Net, Witney (United Kingdom) Dr. Rita Fóris-Ferenczi, Universitatea Babeş-Bolyai, Cluj-Napoca (Rumania) Dr. János Harmatta, Semmelweis Egyetem, Budapest (Hungary) Dr. András Ittzés, Corvinus Egyetem, Budapest (Hungary) Dr. Gábor Ittzés, Budapest (Hungary) Prof. Jutta Lindert, Hochschule Emden/Leer (Germany) Dr. Dinka Marinović Jerolimov, Institut za društvena istraživanja u Zagrebu (Croatia) Prof. Martin Jäggle, Universität Wien (Austria) Prof. Paavo Kettunen, Joensuun yliopisto (Finland) Dr. Peter Raeymaeckers, Universiteit Antwerpen (Belgium) Dr. Gergely Rosta, Westfälische Wilhelms-Universität Münster (Germany) Dr. habil. Igor Škodáček, Univerzita Komenského v Bratislave (Slovakia) Dr. habil. Péter Török, Budapest (Hungary) Prof. András Vargha, Károli Gáspár Református Egyetem, Budapest (Hungary) Prof. Andreas Wittrahm, Caritasverband für das Bistum Aachen (Germany)
INSTITUTE OF MENTAL HEALTH Faculty of Health and Public Services Semmelweis University, Budapest
Guest Editors / Gastherausgeber Prof. Zsuzsa Széman, Semmelweis Egyetem, Budapest (Hungary) Prof. Andreas Wittrahm, Caritasverband für das Bistum Aachen (Germany)
Manuscript preparation and logistics Binwin Bt. Bartók Béla u. 92–94. B1. lph. VII/65. H-1115 Budapest Hungary Phone: (+ 36 20) 770 0252 E-mail: ejmh@binwin.eu Printing and binding Kapitális Kft. Balmazújvárosi út 14. H-4002 Debrecen Hungary Phone: (+36 52) 452 099 E-mail: info@kapitalis.hu
Frontcover: The view of Delphoi (sanctuary, theater, and stadium) Titelblatt: Sicht auf Delphoi (Tempel, Theater und Stadion)
CONTENTS / INHALT STUDIES / STUDIEN Andreas Wittrahm: Einführung der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Short Communication / Kurzmitteilung Andreas Wittrahm: Der demografische Wandel in Europa und die Folgen für Familien . . . 150 Philipp Staab: Herausforderungen und Handlungsstrategien armer Familien im Kontext europäischen Strukturwandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Helene Kirschner: Wirkungen der Familienpolitik auf die Fertilität in modernen Wohlfahrtsstaaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Andreas Wittrahm: Binden und Lösen im Lebenslauf: Drei psychologische Stationen zur Entwicklung der Familie und in der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .190 Maria Bushuven, Paul Glar & Stefan Hoffmanns: Feinfühligkeit, Selbstverstrauen, Orientierung: Erfahrungen und Reflexionen zur elterlichen Kompetenz in der Spätmoderne aus der Sicht der Erziehungsberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Katalin Horváth-Szabó, Krisztina S. Petik, Anikó Herczeg-Kézdy & Szende Elekes: The Challenges and Opportunities of Pre-Marriage Counselling in Hungary: A Flexible Model . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Mihaela Ghenţa: Performance Management in Social and Healthcare Services for Older Persons: Effects on the Relationship with Beneficiaries and Family Members . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .222 Petr Wija: Formal and Informal Long-Term Care and the Role of Family Carers: Czech Republic. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Zsuzsa Széman: Transition of Long-Term Care in Hungary: Problems and Solutions. . . . . . 245 Andreas Wittrahm: Familienwissenschaft als Praxiswissenschaft im Interesse einer lebensfreundlichen Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
BOOK REVIEWS / REZENSIONEN Andreas Wittrahm: Es muss nicht immer Familie sein…? Über die Möglichkeiten und Grenzen, das Leben in Freundschaften zu sichern (Schobin, J. (2013) Freundschaft und Fürsorge: Bericht über eine Sozialform im Wandel). . . . . . . . . . . . . . . 271 Fruzsina Albert: How Marriage Can be Successful (Brenninkmeijer-Werhahn, A. & K. Demmer, eds. (2013) Close to Our Hearts: Personal Reflections on Marriage). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Contributors to This Issue / Autoren dieses Heftes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
STUDIES / STUDIEN
European Journal of Mental Health 10 (2015) 147–149 DOI: 10.5708/EJMH.10.2015.2.1
Einführung der Herausgeber
Diese Ausgabe der European Journal of Mental Health fällt aus dem Rahmen des Gewohnten. Sie ist ausschließlich der Lage und dem Wohl der Familie gewidmet und von zwei Gast-Herausgebern betreut worden. Anlass war die Einführung eines mentalhygienisch orientierten Master-Studiengangs am Institut für Mentalhygiene (Semmelweis Universität, Budapest). Deshalb stellten sich die Herausgeber dem doppelten Anspruch, den Horizont der mit der Familienforschung betrauten Wissenschaften multidisziplinär und europäisch auszuleuchten. Die Familie gilt als die Keimzelle der Gesellschaft, als Grundlage gelingender Sozialisation und als Institution, in der alle Familienmitglieder füreinander sorgen und die notwendige Unterstützung erhalten, um ihre künftigen Rollen und Funktionen ausfüllen zu können. Zugleich brauchen die Familien im Sinne des Subsidiaritätsprinzips Unterstützung bei der Erfüllung dieser Aufgaben durch die öffentliche Hand, da das Familienleben in den spätmodernen europäischen Gesellschaften zugleich anspruchsvoller und fragiler geworden ist. Als Ursachen dafür sind zumindest drei europaweite Tendenzen auszumachen: Der demografische Wandel verlängert das Leben aller Bürgerinnen und Bürger. Zugleich nimmt mit der Lebenserwartung auch die Spanne an Jahren zu, in denen Menschen im Alter an chronischen Krankheiten leiden und schließlich der Unterstützung und Pflege bedürfen. Dafür ist zunächst einmal die Familie zuständig. Auf der anderen Seite können die europäischen Länder im Rahmen der Globalisierung nur noch als Wissensgesellschaften wirtschaftlich überleben, deshalb wird Bildung, also Wissen gepaart mit Soft Skills und einer hohen Verantwortlichkeit zur zentralen Ressource der Frauen und Männer in Europa. Auch die Grundlagen für diese Bildung müssen – allen gesellschaftlichen Unterstützungen von der Elementarbildung im Kindergarten bis zur Hochschule zum Trotz – durch Familien geleistet werden. Während noch vor gut 100 Jahren Kinder möglichst bald als Arbeitskräfte zum familiären Einkommen beitrugen, müssen sie heute häufig bis weit ins dritte Lebensjahrzehnt durch die Eltern alimentiert werden. Doch nicht nur demografische und wirtschaftliche Einflüsse verändern die Anforderungen an Familien: Der Wertewandel in den spätmodernen Gesellschaften betont die Autonomie des Einzelnen in Familie, Gemeinde und Gesellschaft gegenüber lebenslanger Bindung und Verpflichtung, und die Enttraditionalisierung wiederum verflüssigt die festen Rollen und Positionen sowie Kommunikationsregeln in familiären Systemen; stattdessen gilt es zunehmend auszuhandeln, wie (Ehe)Partner mitei-
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nander, Eltern mit ihren Kindern und schließlich erwachsene Töchter und Söhne mit ihren pflegebedürftigen alten Eltern umgehen wollen. Eine einzelne Ausgabe einer Zeitschrift kann alle daraus resultierenden Fragen nur exemplarisch aufgreifen. Dennoch sollten möglichst Disziplinen beteiligt und sowohl der gesamte Publikationsraum der EJMH als auch die gesamte Lebensspanne zu berücksichtigt werden. Den ersten Teil bestreiten Demografie und Sozialwissenschaft. Andreas Wittrahm skizziert einige wesentliche Trends des „demografischen Wandels“ in Europa: Langlebigkeit, Kinderarmut und Singularisierung prägen in fast allen europäischen Ländern das Umfeld, in dem Familien mit vielen neuen Aufgaben konfrontiert sind. Zumindest für einen Teil der Familien, und insbesondere solche, bei denen nur ein Elternteil übrig blieb, stehen zu geringe Ressourcen für die anspruchsvollen Erziehungs- und Versorgungsaufgaben zur Verfügung. Philipp Staab beschreibt, wann man von Familienarmut spricht, welche Faktoren die Familie als Armutsrisiko begünstigen, wie arme Familien sich in diesem Zustand einrichten und wie Unterstützungsangebote aussehen könnten, damit arme Familien den Kreislauf von schlechten Jobs, geringer Bildung und Demoralisierung unterbrechen können. Kinder zu haben verursacht Kosten und schränkt die individuelle Lebensführung ein. So ist in fast allen europäischen Ländern die Geburtenrate massiv zurückgegangen. Leider, so ergibt die Analyse von Helene Kirschner (geb. Guschakowski) über den Zusammenhang von Sozialpolitik und Fertilitätsentwicklung, lassen sich kaum direkte Verbindungen zwischen Familienförderung und Kinderzahl nachweisen. Kulturelle Faktoren wie das Mutterbild und die familiäre Arbeitsteilung sowie die Gestaltung der Arbeitswelt prägen ebenfalls die Entscheidung der Eltern für ein oder mehrere Kinder und sind nur in Grenzen durch staatliches Handeln zu beeinflussen. Ein zweiter Block thematisiert psychologische und pädagogische Fragen der Familienförderung. Allen Autonomiebestrebungen zum Trotz scheint ein gelingender Lebenslauf eng damit assoziiert, (familiäre) Bindungen einzugehen, aber zur rechten Zeit einander auch loslassen zu können. Dies macht Andreas Wittrahm exemplarisch für die frühe Kindheit, die Pubertät und den Umgang erwachsener Kinder mit ihren hilfebedürftigen Eltern deutlich. Maria Bushuven und ihre Kollegen aus der katholischen Erziehungsberatung in Deutschland zeigen, dass Eltern mittlerweile häufig durch unterschiedlichste Ansprüche der Öffentlichkeit verwirrt und überfordert werden und auf welche Weise diese Eltern in der Beratung, aber auch durch präventive Angebote zur Präsenz in der Erziehung ihrer Kinder ermutigt werden können. Ermutigung und Förderung der kommunikativen Kompetenz stehen auch im Mittelpunkt eines kirchlichen Programms zur Ehevorbereitung, das Katalin Horváth-Szabo und ihre Kolleginnen entwickelt haben. Sozialgerontologie und Pflegewissenschaft haben mittlerweile Wesentliches zum Verständnis der aktuellen Familienwirklichkeit im demografischen Wandel beizutragen: Eine verblüffende Feststellung von Zsuzsa Széman bringt die Herausforderungen für Familien auf den Punkt: 2011 hat die ungarische Verfassung „Pflege“ kurzerhand zur familiären Aufgabe erklärt und damit den Staat aus der Verantwortung
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genommen. Dennoch kann sie eine hoffnungsvolle Perspektive aufzeigen, weil die Nutzung IT-gestützter Systeme zur gesundheitlichen wie auch zur sozialen Unterstützung alter Menschen eine Entlastung ihrer pflegenden Angehörigen ermöglicht und damit gerade die Lage multilokaler Familien verbessern könnte. Petr Wilja und Iva Holmerova können aus der Tschechischen Republik berichten, dass nicht zuletzt aufgrund politischen Drucks von Patientenorganisationen die Unterstützung für pflegende Angehörige Fortschritte macht, die Qualität der Pflege steigt. Dennoch bleiben die Anstrengungen hinter dem stark wachsenden Bedarf durch den demografischen Wandel zurück. Mihaela Ghenta schließlich hat mit einer qualitativen Interview-Studie die Möglichkeiten der wirtschaftlichen und fachlichen Steuerung der Pflegedienste in Rumänien untersucht. Sowohl finanzielle Restriktionen, aber auch personelle Probleme, nicht zuletzt aufgrund der Abwanderung vieler Pflegender nach Westeuropa stellen die rumänischen Pflegedienste vor große Herausforderungen. Zum Abschluss stellt sich Andreas Wittrahm die Aufgabe, aus allen Ungleichzeitigkeiten in den beteiligten Disziplinen wie den europäischen Ländern eine Agenda herauszuarbeiten, wie Familien in Europa in Zukunft verstanden und wie sie unterstützt werden können, denn ein Europa ohne Familien wird es nicht geben. Aachen, den 29. Mai 2015 Andreas Wittrahm
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Andreas Wittrahm*
Der demografische Wandel in Europa und die Folgen für Familien (Erhalten: 14. Mai 2015; angenommen: 15. September 2015)
In der gesamten EU verändert sich der Bevölkerungsaufbau. Die Gesellschaften werden älter, weil sich die Lebenserwartung verlängert und zugleich in den meisten Ländern die Geburtenrate sinkt. In der Folge verändern die Gesellschaften ihr Gesicht – sie werden älter. Neben den demografischen sind kulturelle Veränderungen zu beobachten: Familien werden nicht nur kleiner, sie bilden sich auch später, und häufig stehen Mutterschaft bzw. Elternschaft nicht mit einer formellen Familiengründung in Zusammenhang. Familienpolitik und Sozialpolitik müssen diese Veränderungen berücksichtigen, um Familien in ihren zentralen Aufgaben der wirtschaftlichen, pädagogischen und emotionalen Gemeinschaft und ihrer wechselseitigen Sorge zu unterstützen. Schlüsselbegriffe: Haushaltsgröße, Lebenserwartung, Renteneintritt, Fertilität, Altersquotient, Eheschließungsquote The Demographic Transformation of Europe and Its Impact on Families: Population structure is in transition throughout the European Union. With life expectancy rising and birth rates dropping in most countries, societies are increasingly ageing. As a result, the face of society is also changing: it is becoming progressively older. In addition to demographic changes, cultural changes can also be observed: not only is family size declining, but families are also started later, and motherhood and fatherhood are often detached from the formal establishment of a family. Family policy and social policy must take these changes into account in order to support families in practising mutual care and in their central functions as economic, educational and emotional communities. Keywords: household size, life prospects, retirement age, fertility, elderly ratio, marriage ratio
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Andreas Wittrahm, Caritasverband für das Bistum Aachen, Kapitelstraße 3, D-52066 Aachen; wittrahm@t-online.de.
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1. Einführung Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ist – in unterschiedlicher Ausprägung – in allen Ländern der heutigen EU ein deutlicher Wandel im Bevölkerungsaufbau zu beobachten. Die bereits seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzende Verlängerung der durchschnittlichen Lebenszeit – und besonders der ferneren Lebenserwartung nach Vollendung des 65. Lebensjahres – wird begleitet durch eine deutliche Abnahme der durchschnittlichen Kinderzahl pro Frau. In der Folge haben sich auch die Familien- und Lebensformen massiv verändert. Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielschichtig. Grob gesprochen handelt es sich um die verschiedenen Folgen umfassender Modernisierungsprozesse im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und persönlichen Leben. Im 20. Jahrhundert verbreitete sich eine höhere Bildung in allen Gesellschaftsschichten. Ein gewisser (sicher nach Regionen sehr differenzierter) Wohlstand und staatliche Regelungen der Altersversorgung machten es möglich, dass Kinder nicht mehr als notwendige Arbeitskräfte noch als Voraussetzung für die Sicherung des Lebens im Alter gelten mussten. Massive medizinische Fortschritte kamen hinzu und gewährleisteten ebenso wie eine allgemein gesündere Lebensweise eine Verlängerung der Lebenszeit in allen Bevölkerungsschichten. Schließlich hat etwa seit dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts (in Mittel-Osteuropa erst in der Folge der Transformationsprozesse nach dem Zerbrechen der kommunistischen/sozialistischen Diktaturen) die gesellschaftliche Kraft nachgelassen, die Menschen auf bestimmte Lebens- und Familienmodelle verpflichtet. Davon haben insbesondere Frauen in den vergangenen Jahrzehnten profitieren können. Im Gegenzug allerdings verlangt die postindustrielle Arbeitsgesellschaft von Frauen und Männern eine möglichst weitgehende Anpassung an die modernen Arbeitsformen, -zeiten und -orte. Es wird deutlich: Die drei Prozesse der Entwicklung von Gesellschaften des langen Lebens, kinderarmen Gesellschaften und veränderten Familienformen sind nicht in einen einfachen Ursache-Wirkungszusammenhang einzubetten (vgl. Höpflinger & Fuchs 2007). Sie beeinflussen sich gegenseitig, werden aber zugleich von weiteren wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Faktoren mitbestimmt. Im Folgenden sollen die wichtigsten demografischen Entwicklungen nacheinander dargestellt und die Folgen für die Gestaltung des Familienlebens und seiner Rahmenbedingungen diskutiert werden. 2. Die Gesellschaft des langen Lebens Menschen werden in Europa immer älter (vgl. Abbildung 1). Der Trend hat sich gegenüber dem frühen 20. Jahrhundert verlangsamt, ist aber immer noch nicht zu seinem Ende gekommen. Allein in den vergangenen dreißig Jahren erhöhte sich die durchschnittliche Lebenserwartung eines Neugeborenen in Europa zwischen fünf (Rumänien) und 8,5 (Tschechische Republik) Jahren, und es hat den Anschein, als
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seien – stabile Entwicklungsverhältnisse vorausgesetzt – noch weitere Erhöhungen in den am meisten entwickelten Ländern möglich. Frauen haben auch in der EU noch eine deutlich längere Lebenserwartung als Männer. Während aber in den meisten west- und nordeuropäischen Ländern in den vergangenen Jahren eine spürbare Angleichung zwischen den Geschlechtern erfolgte (1980 betrug der Unterschied europaweit noch ca. 7 Jahre, 2011 in Deutschland noch etwas mehr, in Schweden etwas weniger als 4 Jahre), ist diese Geschlechterdifferenz in den mittelost-europäischen Staaten im Wesentlichen stabil geblieben.
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er frühe Wert in Frankreich und Polen bezieht sich auf 1990 D Quelle: Eurostat; Zusammenstellung und Darstellung durch den Verf.
Abbildung 1 Lebenserwartung bei Geburt
Für die Betrachtung der aktuellen Verhältnisse bedarf es allerdings vor allem eines Blickes auf die fernere Lebenserwartung der Menschen, die heute das 65. Lebensjahr erreicht haben (vgl. Abbildung 2). In dieser Statistik sind Menschen, die früher (in 25 Kindheit und Jugend, aufgrund von frühzeitigen tödlichen Erkrankungen oder Unfällen im Erwachsenenalter) verstorben sind, nicht mehr enthalten. Auch die fernere Le20 benserwartung der 65-Jährigen ist stark gestiegen. In den nord- und westeuropäischen Ländern beträgt sie noch ca. 20 Jahre, in den MOE-Ländern ca. 17 Jahre. Die Dif15 2002
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ferenz zwischen Frauen und Männern beträgt bei der ferneren Lebenserwartung nur noch drei (Norden und Westen) bis vier (Mittel-Ost) Jahre. Damit wird deutlich, dass der langfristige Vergleich der Lebenserwartung bei Geburt immer noch durch den verheerenden Verlust junger Männer im Zweiten Weltkrieg und die deutlich höhere allgemeine und insbesondere Kindersterblichkeit in den Jahren nach dem Krieg verzerrt ist. Die „fernere Lebenserwartung“ allein wiederum vermittelt nur dann ein zutreffendes Bild von der zunehmenden Langlebigkeit in den europäischen Gesellschaften, wenn sie die hohe Basis der 65-Jährigen berücksichtigt. Abbildung 3 (Menschen 65+) zeigt, dass in den europäischen Ländern der relative Anteil der Menschen über 65 überall zugenommen hat, in den MOE-Staaten die 15 % erreicht bzw. überschreitet und sich in den nord- und west-mitteleuropäischen Ländern sogar an die 20 % annähert. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass – aufgrund der Alterung der geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge überall in Europa sowie der allgemeinen Geburtenrückgänge (s. u.) – der relative Anteil der Menschen über 65 bis zu einem Drittel der Gesamtbevölkerung weiter ansteigen wird. In der Folge bestimmen Menschen in der zweiten Lebenshälfte zunehmend das Bild in den europäischen Gesellschaften (Abbildung 4). Ob sie auch die Politik bestimmen, wird kontrovers diskutiert. Zusammengefasst: Sowohl der individuelle Lebenslauf als auch die Gesellschaft verändert sich durch die in den vergangenen 50 Jahren enorm gestiegene und immer noch zunehmende Lebenserwartung: Der einzelne Mensch hat mehr Lebens-
Daten zu Franrkeich von 2010; Quelle: Eurostat; Zusammenstellung und Darstellung durch den Verf.
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Abbildung 2 Fernere Lebenserwartung 65+ im Jahr 2011
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Quelle: Eurostat; Auswahl und Darstellung durch den Verf.
Abbildung 3 Anteil der Rentner (65 u. 채lter)
Quelle: Karsch, 2011; Auswahl und Darstellung durch den Verf.
Abbildung 4 Median-Alter
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Quelle: KARSCH, 2011; Auswahl und Darstellung durch den Verf.
Abbildung 5 Durchschnittliches Pensionsalter OECD-Staaten
zeit zur Verfügung, und aufgrund des verbesserten Gesundheitszustandes lassen sich die Aufgaben, die ein Mensch im Lebenslauf zu bewältigen hat (Bildung, Erwerbsarbeit, Familiengründung), über eine längere Spanne von Jahren verteilen, was auch die berühmte „Rushhour des Lebens“ entlasten könnte. In der ersten Lebenshälfte macht sich dies auch bereits bemerkbar: In fast allen europäischen Ländern hat sich die Ausbildung verlängert bzw. erfolgt der Berufseintritt später, auch dauerhafte Partnerschaft und Erstgeburt verschieben sich (s. u.). In der zweiten Lebenshälfte kommt der mit der verlängerten Lebenszeit verbundene kulturelle Wandel allerdings erst ganz langsam in Gang: Während sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den vergangenen 40 Jahren enorm verlängert hat, erfolgt der Ausstieg aus dem Beruf aus Altersgründen immer früher (Abbildung 5). Abbildung 5 macht (hier auf Basis der Daten der OECD) deutlich, wie die Schere immer weiter auseinanderklafft und erst seit Beginn der 2000er-Jahre ein allmähliches Umsteuern mit einer ganz vorsichtigen Verlängerung der Lebensarbeitszeit erfolgt. Betrug (im Durchschnitt auf OECD-Ebene) die Spanne zwischen Berufsaustritt und Lebensende in den 70er-Jahren noch gerade zwei bis drei Jahre, war sie zur Jahrtausendwende auf 15 Jahre angewachsen. Daraus ergibt sich die gesellschaftliche Frage, ob die jeweilige Volkswirtschaft ihre Produktivität in dem Maße erhöhen kann, dass für die vielen Menschen in der nachberuflichen Zeit ein ausreichendes (Transfer)Einkommen erwirtschaftet wird. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, was die Menschen im „Ruhestand“ bei guter Gesundheit mit ihrer Zeit anfangen bzw. wie sie dazu zu gewinnen sind, länger produktiv zu bleiben. EJMH 10:2, December 2015
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Die europäischen Gesellschaften werden jedenfalls älter, haben aber die Konsequenzen für das individuelle, das familiäre und das soziale Leben unter diesen geänderten und in der Zukunft sich weiter wandelnden Bedingungen noch nicht ausreichend realisiert. Denn neben die Alterung tritt eine weitere Entwicklung: Es werden weniger Kinder geboren – in einem späteren Alter ihrer Eltern. 3. Die kinderarme Gesellschaft Im Alten Testament waren Kinder nicht nur die Lebensversicherung für ihre Eltern, wenn diese alt wurden. Sie garantierten auch als Nachkommen, die die Erinnerung an die Mütter und Väter, an die Vormütter und Vorväter wach hielten, deren ewiges Leben, denn eine Auferstehung der Toten war im klassischen Judentum noch nicht vorgesehen (Wolff 1984). Über viele weitere Jahrhunderte bedeuteten Kinder – auch im christlichen Europa – zwar auch Mühe und Plagen, aber zugleich Arbeitskräfte und Absicherung für das Alter. Da meist nur wenige Kinder die ersten Lebensjahre überlebten, waren von Beginn der Eheschließung bis zum Tod der Mutter oder zum natürlichen Ende ihrer Fruchtbarkeit regelmäßige Schwangerschaften und Geburten die Regel. Das änderte sich erst mit der Industrialisierung und der Einführung der unabhängigen Altersversorgung – in den spät-modernen Lebensläufen werden der Wert und die vorwiegend emotionale Bedeutung der Kinder zunehmend gegen ihre Opportunitätskosten (d.h. alle Leistungen, die für ihre Versorgung und Erziehung aufgewendet und alle Erträge, die wegen der Sorge für die Kinder nicht erzielt werden können) aufgerechnet. Den hohen Kosten der Kindererziehung zusätzlich zur Behinderung einer beruflichen Karriere steht nur noch ein überwiegend emotionaler „Benefit“ gegenüber. Darin dürfte einer der wichtigsten Gründe liegen, warum in Europa seit etwa 50 Jahren immer weniger Kinder immer später geboren werden. Während der Trend zur Langlebigkeit in allen europäischen Ländern tendenziell vergleichbar verläuft, sind bei den nachwachsenden Generationen zwischen Frankreich und den nordeuropäischen Ländern einerseits sowie allen anderen europäischen Nationen andererseits unterschiedliche Entwicklungen zu beobachten: Zwar hat in ganz Europa die Geburtenziffer seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts bis zur Jahrtausendwende abgenommen und steigt danach wieder leicht an (vgl. Abbildung 6), doch fällt diese Abnahme in den süd-, mittel- und mittelost-europäischen Ländern dramatisch aus. Wurden in Deutschland 1960 noch 2,5 Kinder pro Frau geboren, waren es 2013 gerade noch knapp 1,4. In Ungarn fiel die Ziffer von 2,0 auf ebenfalls unter 1,4. Dabei ist zu beachten, dass zum Erhalt der Bevölkerungszahl (ohne Zuwanderung) eine Geburtenziffer von 2,1 als notwendig gilt. Diese Zahl wird immer noch knapp von Frankreich und den nordeuropäischen Ländern erreicht. In den skandinavischen Sozialstaaten werden dafür eine konsequente Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine selbstverständliche gleichberechtigte Berufs- und Familientätigkeit von Frauen und Männern verantwortlich gemacht, während in Frankreich eine starke finanzielle Förderung der Familien schon seit der
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Quellen: World Population Prospects: The 2010 Revision; Eurostat 2010; Auswahl und Darstellung durch den Verf.
Abbildung 6 Geburtenziffer
Mitte des vergangenen Jahrhunderts sowie eine starke kulturelle Verankerung der außerhäuslichen Betreuung der Kinder als wichtigste Gründe gelten. Zusammen mit der Alterung der Gesellschaft sorgt die sinkende Geburtenziffer dafür, dass der Anteil der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren in allen europäischen Gesellschaften auch in der vergangenen Dekade noch einmal deutlich abgenommen hat. Dies gilt aufgrund der Alterung der besonders starken Geburtsjahrgänge aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts sogar auch in den Staaten mit einer relativ hohen Geburtsrate (Abbildung 7). Die stärksten Rückgänge sind aber auch hier wieder unter den mittel- und mittelost-europäischen Ländern zu beobachten: Insbesondere in Deutschland ist durch das Zusammenwirken der extrem niedrigen Geburtenrate mit der hohen Lebenserwartung der schon länger niedrige relative Anteil der Kinder und Jugendlichen noch einmal deutlich gesunken. Die mittelost-europäischen Länder zeigten aufgrund der selbstverständlichen externen Kinderbetreuung bei hoher Frauenerwerbsrate und der auch ansonsten relativ niedrigen Opportunitätskosten von Kindern bis zum politischen Umbruch hohe Geburtenraten. Diese sind seitdem massiv eingebrochen, und so ist auch dort der Anteil an Kindern und Jugendlichen, möglicherweise noch verstärkt durch Auswanderung junger Familien, dramatisch zurückgegangen.
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Umgekehrt ist der Anteil der über 65-Jährigen überall deutlich gestiegen (vgl. Abbildung 3). Nur noch in Frankreich aufgrund der hohen Geburtenziffer und in Polen sowie in der Slowakei aufgrund der geringeren Lebenserwartung liegt der Anteil der Jugendlichen über dem der alten Menschen. 15 % bis 20 % der Frauen und Männer sind bereits heute 65 Jahre und älter; die weiter sich verlängernde Lebenszeit und vor allem das Altern der geburtenstarken Jahrgänge nach dem Zweiten Weltkrieg werden diesen Trend in den kommenden 20 Jahren noch deutlich in Richtung von ca. einem Drittel aller Einwohner verstärken.
Quelle: Eurostat; Auswahl und Darstellung durch den Verf.
Abbildung 7 Anteil der Kinder/Jugendlichen 15 J. und jünger
Betrachtet man den Altersquotienten (Abbildung 8), so müssen in den meisten europäischen Staaten schon gegenwärtig zwischen vier und drei erwerbsfähige Frauen und Männer den Unterhalt für einen Ruheständler aufbringen, in 15 bis 20 Jahren werden das in der Spitze zwei Erwerbsfähige leisten müssen – es sei denn, die Lebensarbeitszeit kann deutlich verlängert und damit der Altersquotient an die biologisch-kulturelle Entwicklung angepasst werden.
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Quelle: Eurostat; Auswahl und Darstellung durch den Verf.
Abbildung 8 Altersquotient
Familien verändern sich – quantitativ und qualitativ –, wenn die Eltern später in ihrer Biografie erst Kinder bekommen. Quantitativ steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Ehe – auch ungewollt – kinderlos bleibt. Außerdem reduziert sich die Möglichkeit für eine Familie mit drei und mehr Kindern, wenn das erste Kind erst spät geboren wird. Qualitativ kann das Herausschieben der ersten Schwangerschaft/Geburt entweder auf wachsende Probleme in der Partnerfindung oder eine andere Gewichtung zwischen beruflicher Laufbahn und der Familiengründung zurückgeführt werden – möglicherweise sogar beides in Kombination. Auch hier ist selbst für die letzten 10 Jahre in Europa eine eindeutige Tendenz zum Herauszögern der Elternschaft zu erkennen (Abbildung 9): In Mittelwest- und Nordeuropa verschiebt sich der Beginn der Elternschaft bereits in das vierte Lebensjahrzehnt, in Osteuropa liegt er noch knapp darunter. Die dortigen Trends haben sich hier allerdings komplett umgekehrt und stark in Richtung der schon seit längerem steigenden west- und nordeuropäischen Entwicklung angeglichen, wie ein spezieller Blick auf die Situation in West- und Ostdeutschland um die Wiedervereinigung herum zeigt (Bundeszentrale für politische Bildung 2015): 1965 waren die ostdeutschen Mütter nur wenig älter als die westdeutschen (23 Jahre gegenüber 25 Jahren). Zudem muss diese Differenz als verzerrt gelten, denn in die westdeutsche Statistik gingen nur die ehelichen Geburten ein, die aber in der Regel später im Lebenslauf erfolgen. 1989 war der Abstand auf vier Jahre angewachsen (Erstgeburtsalter von
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Quelle: Eurostat; Auswahl und Darstellung durch den Verf.
Abbildung 9 Mittleres Alter bei der ersten Geburt
knapp 23 gegenüber knapp 27 Jahren). Bis 2010 stieg das Erstgeburtsalter sogar bis auf knapp 30 Jahre im Westen an. Die ostdeutschen Frauen sind zwar immer noch durchschnittlich zwei Jahre jünger als die westdeutschen Mütter, aber fünf Jahre älter als die Generation ihrer Mütter in der DDR der 70er- und 80er-Jahre. Insgesamt ist also eine Angleichung von Osten und Westen zu beobachten, allerdings auf dem Niveau des west- bzw. nordeuropäischen biografischen Musters. Zusammengefasst: Überall in Europa werden die Kinder weniger, und sie werden später im Leben ihrer Eltern geboren. Die Bereitschaft, eine Familie zu gründen bzw. Kinder zu bekommen, setzt immer häufiger eine bewusste positive Entscheidung voraus. Diese Entscheidung erscheint abhängig vor allem von wirtschaftlichen Faktoren, von der Aussicht, Kinder und Ausbildung/Beruf miteinander verbinden zu können, weiterhin von der subjektiven Überzeugung der Frauen, in ihrem aktuellen Partner einen möglichen „guten Vater“ ihrer Kinder zu finden und nicht zuletzt vom nachlassenden kulturellen Druck, dass Elternschaft zu den wesentlichen Entwicklungsaufgaben im Lebenslauf gehöre. In der Folge bleiben in Mitteleuropa mittlerweile etwa 20 % bis 25 % der Frauen kinderlos. So reduziert sich der Anteil der jungen Menschen, und es wird schwieriger, ihre Anliegen in der Politik angemessen aufzugreifen. Umgekehrt übernehmen zunehmend ältere Menschen Rollen und Aufgaben, die früher eindeutig dem ersten Lebensdrittel vorbehalten waren. Kurz: Die gewohnten Bilder vom Alter und von der EJMH 10:2, December 2015
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Jugend sind zu überprüfen, weil sie der Realität und vor allem den Notwendigkeiten, aber auch den Möglichkeiten einer kinderarmen Gesellschaft nicht mehr entsprechen. 4. Die singularisierte Gesellschaft Immer mehr Menschen leben in Einpersonen-Haushalten. Das bedeutet nicht, dass sie alleine sind, aber sie verbringen mit Partnern, Kindern oder Freunden nur ausgewählte begrenzte Zeiten gemeinsam, dann kehren sie in ihre eigene Wohnung zurück. Aber auch die Zahl der echten Alleinlebenden steigt, weil sich im jungen Erwachsenenalter die Phase vor dem Beginn einer festen Partnerschaft verlängert, weil es zwischen mehreren Partnerschaften immer wieder Zeiten des Alleinlebens gibt und weil im Alter überwiegend Frauen, aber auch Männer nach der Verwitwung oder einer Trennung keine neue Bindung eingehen (können). 2010 betrug der Anteil der Einpersonen-Haushalte an allen Haushalten in Nord- und Westeuropa zwischen 35 und 45 % und in Osteuropa um ein Viertel (Abbildung 10). Zur Abnahme der Haushaltsgröße tragen verschiedene Faktoren bei: Gemeinsam mit dem demografischen Wandel, der Familien verkleinert und dem wachsenden Wohlstand in Nord- und Westeuropa, der erst das Alleinleben finanziell möglich macht, ist hier noch der Wertewandel zu berücksichtigen, der den Zug zur Unabhängigkeit fördert.
Quelle: Eurostat; Auswahl und Darstellung durch den Verf.
Abbildung 10 Anteil der Einpersonenhaushalte an allen Haushalten
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Die wachsende Variabilität der Familienformen lässt sich auch anhand der wachsenden Zahl von Einelternfamilien erkennen. In Europa leben 14 % aller unter 16-jährigen Kinder in Einelternfamilien (Peuckert 2012), die Haushaltsgröße insgesamt geht zurück, sowohl in der Zwei- als auch in der kaum noch vorhandenen Drei-Generationenfamilie. Wie schon erwähnt, ist aus der Haushaltsgröße nicht automatisch die Qualität der sozialen Beziehungen abzuleiten. Doch gehören eine wachsende Vereinzelung, der Bedeutungs- und Plausibilitätsverlust der Ehe (Strohmeier & Neu 2011) als Institution und ein lokales Auseinanderrücken der Generationen zu den unverkennbaren Entwicklungen in den spätmodernen Gesellschaften. Das führt wiederum in den mitteleuropäischen Ländern, besonders in Deutschland, dazu, dass sich die Gesellschaft in Singles und kinderlose Paare einerseits und Familien bzw. Alleinerziehende mit zwei und mehr Kindern aufteilt. In Südeuropa dagegen, besonders in Italien, wird die Einkindfamilie zum Normalfall. Beide Länder kommen also bei ähnlicher Geburtenziffer auf ganz unterschiedliche Familienstrukturen, und in Deutschland steht damit einem wachsenden Nicht-Familiensektor ein schrumpfender Familiensektor mit zwei und mehr Kindern gegenüber, was das wechselseitige Verständnis für die jeweils andere Lebensform nicht verbessert (Strohmeier& Neu 2011). 5. Fazit In ganz Europa werden Familien später gegründet. Insbesondere in Nord- und Mitteleuropa nimmt die formale oder gar sakramentale Besiegelung der Familiengründung deutlich ab (Abbildung 11). Die Stabilität der ehelichen wie nachehelichen Partnerschaft sinkt. In der Folge wächst die Zahl der Einelternfamilien, in denen wiederum das Armutsrisiko insbesondere für die Kinder doppelt so hoch ist wie in Zweielternfamilien. Die wachsende Vielfalt der Zusammenlebensformen stellt die Familien- wie auch die Sozialpolitik vor neue Herausforderungen, und es gilt, die bekannten Familienleitbilder im politischen, pädagogischen und pastoralen Handeln mindestens zu erweitern. In Europa finden sich hinsichtlich der Entwicklung der Familien viele stabile gemeinsame Trends: Die Familien werden kleiner, Familienmitglieder werden älter, die Plastizität und Variabilität der Lebensgemeinschaften nimmt zu – sowohl über die Lebensspanne als auch bei den gleichzeitig lebenden Familien. Dies scheint vor allem dem überall gleich wirksamen Modernisierungsdruck geschuldet. Gleichzeitig bleiben einige politisch induzierte wie auch kulturell bedingte Unterschiede bestehen – etwa hinsichtlich der Heiratsneigung oder der Zahl der Kinder. Familie (in einem weit gefassten Blick), d. h. die Sorge verwandter Angehöriger verschiedener Generationen füreinander, stellt geschichtlich gesehen eine anthropologische Konstante dar. Der Blick auf die Entwicklung der Familien in den vergangenen 100 Jahren in Europa macht allerdings deutlich, dass die Form des familiären Zusammenlebens je nach wirtschaftlichen, politischen und kulturellen
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Der demografische Wandel in Europa
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Bedingungen bzw. Vorstellungen eine hohe Variabilität aufweisen kann. Inwieweit es den Familien gelingt, angemessene Formen für das lange Leben mit wenigen Kindern zu entwickeln, bleibt eine offene Frage.
Quelle: Eurostat; Auswahl und Darstellung durch den Verf.
Abbildung 11 Außerehehliche Geburten in Prozent
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European Journal of Mental Health 10 (2015) 165–177 DOI: 10.5708/EJMH.10.2015.2.3
Philipp Staab*
Herausforderungen und Handlungsstrategien armer Familien im Kontext europäischen Strukturwandels (Erhalten: 8. April 2015; angenommen: 15. September 2015)
In vielen Ländern der Europäischen Union verschärfen sich die sozialen Gegensätze. Armut ist daher zu einem Schlüsselbegriff für die sozialpolitische Agenda der EU geworden. Familien gelten als ein entscheidendes Bollwerk gegen Armut, weil in ihnen bedingungslose Solidaritätsverpflichtungen gelten. Arme Familien können diese Aufgaben aber nicht erfüllen. Sie stehen im Zeichen des institutionellen Wandels von Arbeitsmarkt und Wohlfahrtsstaat sowie der Institution der Familie selbst unter besonderem Anpassungsdruck. Der Beitrag skizziert die spezifischen Herausforderungen, denen sich arme Familien stellen müssen und beschreibt drei typische Strategien des Copings mit Armut in Familien. Während Routinisierungs- und Intensivierungsstrategien häufig geringe Erfolgsaussichten auf eine Verbesserung der Familiensituation bieten, eröffnet die Strategie der Optionssuche neue Möglichkeitsräume, an die karitative Praxis anschließen kann. Schlüsselbegriffe: Familie, Armut, working poor, Ungleichheit, Arbeit Challenges for Poor Families and Their Strategies for Action in the Context of the Structural Transformation of Europe: An intensification of social inequality can be observed in several countries of the European Union. As a result, poverty has become a key concept of the EU’s social policy agenda. Because of family members’ commitment to unconditional mutual solidarity, families are considered to be an important bulwark in the war on poverty. Poor families, however, are unable to fulfil such expectations. Their daily lives, as well as the family itself as an institution, are marked by pressures resulting from institutional transformations of labour markets and the welfare state. This contribution outlines the specific challenges that poor families face and describes three typical strategies of coping with poverty within the family. While routinisation and intensification strategies are only moderately successful in improving the family situation, seeking options is a strategy that opens up new opportunities, which also offers entry points for providing social aid and services. Keywords: family, poverty, working poor, inequality, work *
hilipp Staab, Hamburger Institut für Sozialforschung, Mittelweg 36, D-20148 Hamburg, Deutschland; P philipp.staab@his-online.de.
ISSN 1788-4934 © 2015 Semmelweis University Institute of Mental Health, Budapest
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1. Einleitung Die schwach verlaufende Entwicklung der Arbeitsmärkte und der entsprechende Anstieg der Erwerbslosenzahlen in weiten Teilen der Europäischen Union haben das Thema Armut auf die politische Agenda befördert.1 2012 waren innerhalb der 28 EU-Mitgliedsstaaten 124,5 Millionen Menschen bzw. 24,8 Prozent der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht (Eurostat 2013). Die statistische Kategorie der Bedrohung durch Armut und soziale Ausgrenzung bündelt unterschiedliche Lebensbedingungen. Sie erfasst Personen, die von Armut bedroht sind,2 unter erheblicher materieller Deprivation leiden3 oder in einem Haushalt mit sehr niedriger Erwerbstätigkeit leben4 (Eurostat 2013). Die Schwerpunkte der Armutsentwicklung liegen erwartungsgemäß in Süd- und Südosteuropa, wo beispielsweise 49 Prozent der bulgarischen, 43 Prozent der rumänischen, 35 Prozent der griechischen oder 32,4 Prozent der ungarischen Bevölkerung akut von Armut und Ausgrenzung bedroht sind (Eurostat 2013). Doch auch in der vermeintlich stabilen Bundesrepublik Deutschland lag, trotz der unerwartet hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten der jüngeren Vergangenheit, der Anteil der von Armut und Ausgrenzung gefährdeten Personen 2013 bei 20,3 Prozent der Bevölkerung und damit sogar höher als 2008 (20,1 Prozent), also vor Einsetzen der wirtschaftlichen Prosperationsphase (Destatis 2014). Diese Entwicklung findet vor dem Hintergrund politischer Bedingungen statt, die der Entschärfung der Armutsproblematik durch wohlfahrtsstaatliche Politik abträglich sind. Im Zeichen der europäischen Fiskal- und Wirtschaftskrise dominiert innerhalb der EU das Paradigma der Austeritätspolitik, das öffentlichen Investitionen enge Grenzen setzt. Nicht zuletzt in diesem Umstand mag das besondere Interesse begründet liegen, das in der Öffentlichkeit der Frage nach Kinderarmut und
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ie Armutsbekämpfung ist eines der Hauptziele der Strategie Europa 2020 der Europäischen Union. D „Personen, die armutsgefährdet sind, sind diejenigen, die die in einem Haushalt mit einem verfügbaren Äquivalenz einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle leben, welche auf 60 % des nationalen verfügbaren Median-Äquivalenzeinkommens (nach Sozialleistungen) festgelegt ist. Das Äquivalenzeinkommen wird berechnet, indem das Gesamteinkommen des Haushalts durch seine durch Anwendung folgender Gewichte bestimmte Größe geteilt wird: 1,0 auf den ersten Erwachsenen, 0,5 auf die übrigen Haushaltsmitglieder ab 14 Jahren und 0,3 auf jedes Haushaltsmitglied unter 14 Jahren“ (Eurostat 2013). „Personen, die unter erheblicher materieller Deprivation leiden, leben unter Bedingungen, die durch fehlende Mittel eingeschränkt sind, und sind von mindestens 4 der folgenden 9 Deprivationskategorien betroffen: Sie sind nicht in der Lage 1) die Miete/Hypothek oder Rechnungen für Versorgungsleistungen pünktlich zu bezahlen, 2) die Wohnung angemessen zu beheizen, 3) unerwartete Ausgaben zu tätigen, 4) jeden zweiten Tag eine fleisch- oder fischhaltige Mahlzeit (bzw. vegetarische Entsprechung) zu haben, 5) einen einwöchigen Jahresurlaub weg von zu Hause zu finanzieren, sich 6) ein Auto, 7) eine Waschmaschine, 8) einen Farbfernseher oder 9) ein Telefon (einschl. Mobiltelefon) leisten zu können“ (Eurostat 2013). „Personen, die in Haushalten mit sehr geringer Erwerbstätigkeit leben, sind diejenigen im Alter von 0–59 Jahren, die in Haushalten leben, in denen die Erwachsenen (18–59 Jahre) im vorhergehenden Jahr insgesamt weniger als 20 % ihres Erwerbspotenzials ausgeschöpft haben. Studenten sind nicht miteinbezogen“ (Eurostat 2013).
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armen Familien zuteilwird. Denn Familien5 bilden das grundlegendste Netz sozialer Sicherung, gelten in ihnen doch bedingungslose Solidaritätsverpflichtungen im Krisenfall. Stößt der Wohlfahrtsstaat an fiskalische Grenzen, liegt es daher nahe auf die wechselseitige Hilfe in Familien zu hoffen, jedenfalls insofern innerhalb dieser Solidaritätseinheiten Ressourcen vorhanden sind, die durch Umverteilung Armut lindern können. Da arme Familien diese Leistung aber gerade nicht erbringen können, belegen sie eine Verschärfung der Armutsproblematik. Die Familie als Instanz solidarischer Armutslinderung steht im Zeichen gesellschaftlicher Umbruchprozesse grundsätzlich unter erheblichem Druck, der durch die Krisen von Arbeitsmärkten und Wohlfahrtsstaaten verschärft wird. Gerade in armen Familien kumulieren Risiken der Verfestigung von Armut. Zugleich sind Familien aber handelnde Einheiten, d. h. sie entwickeln Praktiken des strategischen Copings mit Armut. Thema dieses Beitrags sind daher die spezifischen Herausforderungen, mit denen arme Familien im Zeichen der aktuellen sozialen Umbruchsituation konfrontiert sind, sowie die Handlungsstrategien, mit denen sie auf ihre Situation reagieren. 2. Armut Armut ist ein schwieriger Begriff, der sich auf viele unterschiedliche Dimensionen beziehen kann: Man kann reich und arm an Einkommen sein, an Bildung, an Sozialkontakten, materiellen Gütern, an Teilhabechancen und Vielem mehr. Dabei ist keineswegs klar, dass eine Armut an Einkommen immer auch gleich eine Armut an Bildung bedeutet oder dass, wer wenige Dinge besitzt, automatisch auch arm an Sozialkontakten ist. In einem kumulativen Verständnis von Armut wird davon ausgegangen, dass jemand umso ärmer ist, je mehr relative Benachteiligungslagen sich bei ihm oder ihr bündeln. Besonders arm ist dann, wer sowohl geringe Bildungsressourcen, ein niedriges Einkommen, minimale finanzielle Rücklagen, wenige Sozialkontakte und wenige materielle Dinge besitzt. Ein solches Verständnis klammert freilich die Tatsache aus, dass Armut immer auch eine subjektive Komponente hat: Wird mit Armut eine Problemdiagnose gestellt, reicht es nicht aus, dass jemand in den relevanten Dimensionen wenig besitzt. Dieser Jemand muss auch mehr wollen als er hat, damit die Bezeichnung „arm“ Sinn macht. Die subjektive Dimension der Deutung von Armut macht die Selbstzielsetzung zum Thema. Die Ziele, die sich die Leute in modernen Gesellschaften setzen, sind allerdings nicht prinzipiell objektivierbar. Zur Selbstverständigung von Gesellschaften gehört allerdings, dass über bestimmte soziale Standards eine gewisse Einigung erzielt wird, so auch über die Definition von Armut. Aber warum sollte Armut überhaupt ein gesellschaftliches und kein rein individuelles Phänomen sein? Warum ist es für die Gesellschaft wichtig, eine Einigung darüber zu erzielen, was Armut ist, und wie man sich zu ihr zu ver5
I m Folgenden soll, der klassischen soziologischen Definition folgend, von „Familie als Ort der biologischen und sozialen Reproduktion einer Gesellschaft“ (Huinink & Konietzka 2007, 11), im Rahmen eines mindestens zwei Generationen umfassenden Arrangements die Rede sein.
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halten hat? Eine Antwort auf diese Fragen findet sich beim Klassiker der Armutsforschung, Georg Simmel (1908). Sein Artikel „Der Arme“ (1908, 345–74) von 1908 bildet den Ursprung soziologischer Armutsforschung. Nach Simmel steht der Arme einerseits außerhalb der Gesellschaft. Er ist als Bettler oder Landstreicher nicht Teil der geachteten Bürger. Dennoch erfüllt er für diese eine wichtige Rolle. Er hält der Gesellschaft den Spiegel vor: Erst wenn Einigkeit darüber herrscht, wer der Andere, der Fremde, der Arme ist, weiß man, was es bedeutet ein legitimer Teil der Gesellschaft zu sein. Am Armen bestimmt sich, was den Wohlstand der Gesellschaft ausmacht. Die Objektivierung von Armut findet innerhalb Europas über den Wohlfahrtsstaat statt. Er erzeugt den Armen als Anderen der Gesellschaft und ist zugleich dafür zuständig, dessen Notlage zu bearbeiten. Deswegen ist „soziologisch angesehen . . . nicht die Armut zuerst gegeben und daraufhin erfolgt die Unterstützung . . ., sondern derjenige, der Unterstützung genießt . . . – auch wenn sie zufällig ausbleibt – dieser heißt der Arme“ (Simmel 1908, 489). Dies erzeugt freilich ein Folgeproblem, denn die Angewiesenheit auf fremde Hilfe impliziert einen Mangel an Autonomie bei dem, der Hilfe empfängt. Autonomie ist jedoch ein Kern bürgerlicher Freiheitsrechte. Der Arme aber entsteht als Objekt der Gesellschaft. Dies ist die Grundlage der Scham, die mit Armut bis heute verbunden ist. Der Armenfürsorge ist konstitutiv die Ambivalenz eingeschrieben, dass sie zum Objekt machen muss, wen sie eigentlich zu einer autonomen Lebensweise ermächtigen will. Im Kontext nationalstaatlicher Armutsbekämpfung und Armutsforschung hat sich in der Regel ein relativer Armutsbegriff durchgesetzt. Das heißt: Was als Armut gilt, orientiert sich am Anteil, den ein Individuum am im statistischen Mittel zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Reichtum hat. Der Begriff relativer Armut ist ein echter ‚sozialdemokratischer‘ Zauberbegriff der Sozialforschung. Wird er zugrunde gelegt, tritt in der Regel ein spezifischer Effekt ein: Je reicher eine Gesellschaft wird, desto mehr Arme gibt es auch, denn wer als arm gilt, bestimmt sich am gestiegenen Niveau des Reichtums. So verschiebt sich die Armutsgrenze automatisch nach oben. Relative Armut macht daher den Begriff gesellschaftlichen Zusammenhalts in einem egalitaristischen Sinne stark. Es ist ein politischer Regulationsbegriff, über den, im Sinne Simmels entschieden wird, wer arm ist, weil er Unterstützung verdient. 3. Armut zwischen Entstrukturierung und Verhärtung Was die Entwicklung von Armut angeht, konkurrieren seit den 1980er-Jahren zwei unterschiedliche Deutungen. Zum einen sind im Zeichen gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse Entstrukturierungsdiagnosen populär. Es wird davon ausgegangen, dass die Situation in den Wohlfahrtsgesellschaften der Nachkriegszeit von historisch neuen Formen der Armut geprägt sei. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Armut vor allem ein Phänomen der individuellen Marktlage. Arm war, wer entweder keinen Zugang zu den modernen Teilen
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der Arbeitswelt erhielt – etwa die Kleinbauern, denen statistisch sehr selten ein Einstieg in besser bezahlte Angestelltenverhältnisse gelang oder Landstreicher sowie ethnische Minderheiten, denen jeweils der Zugang zu regelmäßiger Lohnarbeit versperrt war. Die größte Armutspopulation bildeten aber jene, die im Prozess der industriellen Arbeitsteilung keine gute Stellung geltend machen konnte, vor allem also die „einfachen“ Industriearbeiter, das Proletariat (Sombart & Hengsbach 2007). Armut war in diesem Fall kein Resultat des Ausschlusses von Erwerbsarbeit, sondern ein Effekt der Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt. Sie war ein Klassenphänomen. Für eine gewisse Zeit galt: Als Arbeiter wurde man geboren und als Arbeiter starb man, ohne dass sich in der Generationenfolge eine Verbesserung der Lage hätte erreichen lassen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte die Industriearbeiterschaft in West- und Osteuropa gleichermaßen eine beispiellose soziale Aufwertung. Armut wurde in der Folge nicht mehr als Klassenphänomen, sondern als eher individuelles Problem verstanden. Die „neue Armut“ galt als weniger strukturiert, weniger geordnet, als es aus der ersten, industriellen Moderne vertraut war. Das erste Kriterium der darauf aufbauenden Entstrukturierungsthesen war folglich die relative Abnahme von Armut (Groh-Samberg & Voges 2012). Das zweite Kriterium betrifft die Dynamisierung der Armutslagen: Wer in Armut lande, entscheide sich vornehmlich an der Kumulation von Risiken in individuellen Lebensläufen, nicht an einer kollektiven Marktlage. Es gäbe zwar spezifische Risikogruppen. Wer arm sei, sei dies aber immer seltener auch auf Dauer. Ehemals unwahrscheinliche Übergänge, Auf- und Abstiege prägten ein dynamisches Bild von Armut (Groh-Samberg & Voges 2012). Mit der Frage nach Armut stand andererseits auch immer die Drohung im Raum, dass sich in den Armutslagen der Gesellschaft so etwas wie eine eigene Klasse he rausbilden könnte. Der Kronzeuge dieser Befürchtung war der US-Amerikaner Oscar Lewis, der Ende der 1950er-Jahre mit seiner These einer „Kultur der Armut“ (1959) für Wirbel gesorgt hatte. Lewis ging es vor allem um die Armut in den USA und weniger entwickelter Staaten in Lateinamerika. Ihm zufolge entwickelten sich die Armen zu einer Art sozialer Schicht, die nicht nur durch relative Deprivilegierung gekennzeichnet sei, sondern auch zu kultureller Schließung tendiere. Die Armen gäben sich der Ausweglosigkeit der eigenen Lage hin, seien für eine ermächtigende Politik nicht zu erreichen, weil sich ihr Zeithorizont auf die eigene Gegenwart beschränke. Von der Zukunft erwarteten sich die Armen nichts mehr. Ihr Weltbild sei geprägt von der Ausweglosigkeit der eigenen Lage, mit der sie sich resignativ abfänden. In der Armutsforschung der Gegenwart ist zwar nicht von einer Kulturalisierung von Armut die Rede. Es wird allerdings von einer Restrukturierung und Verfestigung von Armutslagen ausgegangen (Groh-Samberg 2007). In Deutschland nimmt zum einen Armut seit den 1980er-Jahren, aber v. a. noch mal seit den 2000ern deutlich zu. Sei es in Bezug auf die Abhängigkeit von staatlichen Grundsicherungsleistungen für Erwerbslose oder bezüglich relativer Einkommensarmut: In beiden Fällen zeigen sich U-Kurven, deren Scheitelpunkte etwa Anfang der 1970er-Jahre erreicht wurden.
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Seitdem steigt sowohl die Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld 26, als auch die Zahl jener Erwerbstätiger, die von relativer Einkommensarmut betroffen sind, steil an. Armut wächst also (Groh-Samberg & Voges 2012). Zum anderen wird auch das zweite Paradigma der Entstrukturierungsansätze verworfen: Von einer radikalen Dynamisierung der Sozialstruktur kann nämlich in Bezug auf Armutslagen keine Rede sein. Es zeigen sich keine signifikanten sozialen Aufstiegsdynamiken aus der Armut. Wir haben es mit einer Verfestigung von Armut zu tun, die im Kontext eines sukzessiven Wandels der Institutionen des Wohlfahrtsstaates, des Arbeitsmarktes und der familiären Lebensformen stattfindet. 4. Institutioneller Wandel In den 1980er- und 1990er-Jahren ging es bei Armut noch vornehmlich um die sogenannten „Versorgungsklassen“ (Lepsius 2009), also solche Menschen, die auf Dauer alleine von wohlfahrtsstaatlichen Transferleistungen lebten. Spätestens seit dem Jahrtausendwechsel hat sich der Charakter der Wohlfahrtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik, ähnlich wie in vielen anderen Ländern Europas, deutlich gewandelt. Die Arbeitsmarktpolitik wurde von Statussicherung auf Aktivierung umgestellt – Welfare durch Workfare ersetzt. Unterstützungsrechte sind nunmehr an stärkere Pflichten vonseiten der Leistungsbezieher gebunden. In Deutschland belegen die deutlich gesunkenen Arbeitslosenzahlen den formalen Erfolg dieser Maßnahmen. Durch die Lockerung der Zumutbarkeitsregelungen zur Stellenannahme, die Ermöglichung der Expansion von Leiharbeit oder die Etablierung eines breiten Systems der Lohnaufstockung7 hat sich auch die Gestalt der Armutspopulationen deutlich verändert. Immer weniger Menschen sind arm, weil sie mit dem Arbeitsmarkt gar nichts mehr zu tun haben. Dagegen hat sich das Risiko, trotz Erwerbsbeteiligung von relativer Armut betroffen zu sein, erhöht. Im Jahr 2011 waren beispielsweise beinahe 24 Prozent der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik von Niedriglöhnen betroffen, verdienten also weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns (Median). Die geringen Löhne führen zu einer direkten Alimentierung niedrig entlohnter Erwerbsarbeit durch den Wohlfahrtsstaat: 1,2 Millionen Arbeitnehmer erhalten in Deutschland zusätzlich Arbeitslosengeld-II-Mittel, Tendenz steigend (Koster 2013).8 Armut ist damit auch wieder ein Marktphänomen: Einerseits ist überall in der Arbeitswelt die Deregulierung von Beschäftigungsverhältnissen zu beobachten. Vor 6
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as Arbeitslosengeld II ersetzt seit 01. Januar 2005 Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Es handelt sich um D die zentrale Grundsicherungsleistung in Deutschland in Höhe des politisch definierten soziokulturellen Existenzminimums. Lohnaufstockung bezeichnet die Ergänzung von Erwerbseinkommen durch sozialstaatliche Mittel, wenn der jeweilige Verdienst unterhalb der Bemessungsgrenzen von Arbeitslosengeld II liegt. Um die Attraktivität niedrig bezahlter Erwerbsarbeit zu steigern, können in Deutschland Löhne aus Erwerbsarbeit, die Transferleistungen nach Arbeitslosengeld II unterschreiten, durch Mittel aus Arbeitslosengeld II ergänzt werden. Das Haushaltseinkommen einer Person setzt sich dann zu einem Teil aus einem Lohn aus Erwerbsarbeit und zu einem anderen Teil aus wohlfahrtsstaatlichen Transferbezügen zusammen.
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allem aber im Bereich der „Einfacharbeit“ hat dieser Trend verheerende Auswirkungen auf die Sicherheit und Tragfähigkeit von Arbeitsplätzen gehabt. Leiharbeit oder Tätigkeiten in niedrigrangiger Servicearbeit sind echte Hire-and-Fire Branchen. Die Beschäftigten sind daher immer wieder auch von Phasen der Arbeitslosigkeit betroffen. Zudem gelten in diesen Arbeitsmarktsegmenten kaum Tarifverträge, die diesen Namen verdienten. Branchenspezifische Mindestlöhne reichen häufig selbst bei vollen Stellen nicht aus, um das Einkommen über die Grenze der Grundsicherungsleistungen zu heben. Zudem drücken Rationalisierungsmaßnahmen in den Unternehmen die Preise der Arbeit, die dequalifiziert und damit immer leichter ersetzbar wird (Staab 2014). Die Institutionensysteme von Arbeitsmarkt und Wohlfahrtsstaat haben sich deutlich gewandelt: Die Kombination von Workfare und marktförmiger Umstrukturierung hat zur Zunahme und Verfestigung von Armut beigetragen und gleichzeitig ihren Gestaltwandel geprägt. Zudem hat die Transformation der Institution Familie das Phänomen der Armut deutlich verändert. In modernen Gesellschaften wandeln sich Heiratsmärkte und das Heiratsverhalten (Blossfeld & Timm 1997). Zum einen steigen die Scheidungsraten. Die Alleinerziehenden werden zu einer entscheidenden Risikogruppe in Bezug auf Armut (Bude 2010). Zum anderen zeigt sich eine zunehmende soziale Homogamie bezüglich der langfristigen Partnerwahl. Geheiratet wird heute fast nur noch statusgleich (Bude 2014): Der Oberarzt ehelicht keine Krankenschwester mehr, der Verwaltungsbeamte der mittleren Kreisstadt nicht die Tochter des Hausmeisters. Damit wird freilich in der Generationenfolge ein wichtiger Kanal sozialen Aufstiegs trockengelegt, weil soziale Mobilität nicht mehr über die Partnerwahl erfolgen kann. Zwei entscheidende Risikogruppen sind der Effekt dieses langfristigen institutionellen Strukturwandels: Erstens sind vor allem Familien betroffen, deren Haushaltseinkommen vornehmlich in gering qualifizierter Arbeit erwirtschaftet wird – sei es am Rande des industriellen Kerns des Arbeitsmarktes oder in „einfacher“ Dienstleistungsarbeit, also in Discountern, Post- und Paketdiensten, der Gebäudereinigung oder dem Sicherheitsgewerbe (Staab 2014). Zweitens tragen v. a. Haushalte von Alleinerziehenden ein überdurchschnittliches Armutsrisiko.9 Sind zudem ein Migrationshintergrund oder Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit im Spiel, erhöht sich das Armutsrisiko zusätzlich (Groh-Samberg & Voges 2012). 5. Spezifische Herausforderungen10 Die Erwachsenen in diesen Familien bewegen sich heute typischerweise über den Lebenslauf hinweg zwischen Erwerbsarbeit und Transferbezug: Einer halben Stelle als Reinigungskraft folgen beispielsweise längere Phasen der Arbeitslosigkeit, die 9
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ie Armutsgefährdungsquote lag in Deutschland 2011 für Personen in Alleinerziehendenhaushalten bei 37% D und damit sogar über dem EU-Mittel von 35% (Destatis & WZB 2013, 405.) Die folgenden Ausführungen speisen sich aus empirischem Material aus zwei Forschungsprojekten des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Im Projekt „Dienstleistungsproletariat“ wurden zwischen Sommer
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wiederum in wohlfahrtsstaatlich finanzierten Qualifizierungsmaßnahmen münden. Es folgt eine Phase, in der in geringfügiger Beschäftigung, Regale im Supermarkt befüllt werden, während gleichzeitig Grundsicherungsleistungen bezogen werden. Konnte man in den 1990er-Jahren noch davon ausgehen, dass die Armen einer Dynamisierung bedürften, so muss heute eine hektische Aktivität am unteren Rande der Sozialstruktur konstatiert werden (Grimm et al. 2013). Einfacharbeit – im Lebensmitteleinzelhandel, im Sicherheitsgewerbe, dem Facility Management, als Pflegehilfe oder als Reinigungskraft – liefert heute kein Einkommen mehr, das einen nennenswerten Dispositionsspielraum ermöglichte. Zudem sind solche Tätigkeiten mit enormen körperlichen Belastungen verbunden. Das beständige Bücken, Heben und Wischen strapaziert den Rücken, die Reinigungsmittel reizen die Hände und das Treppensteigen verschleißt die Knie. Einfacharbeit findet außerdem häufig zu Zeiten statt, die ein geregeltes Familienleben beinahe unmöglich machen. Die Gebäudereinigung beginnt oft mitten in der Nacht, im Einzelhandel werden die Öffnungszeiten immer weiter nach hinten verschoben und im Krankenhaus ist ohnehin immer Betrieb. Am Ende einer Schicht oder eines Arbeitstages stellt sich dann häufig schlicht totale Erschöpfung ein. Doch dann beginnt ja erst das Familienleben. Vor allem zwei Ressourcen werden für die familiäre Lebensführung der arbeitenden Armen daher zum Problem: Einerseits der materielle Dispositionsspielraum, der systematisch begrenzt bleibt, zweitens die körperlichen Kräfte, die in der Arbeit verschlissen werden und die jene Kraft absorbieren, die zu Hause dringend gebraucht wird. Die Leute arrangieren sich freilich auf die eine oder andere Art mit dieser Situation. Mindestens drei unterschiedliche Strategien der Lebensführung prägen sowohl das Verhalten in der Arbeit als auch in der Freizeit. 6. Routinisierung Zum einen zeigen sich auf die eine oder andere Weise immer Strategien der Routinisierung des Alltags. Routinisierung verbürgt Handlungsstabilität, gibt Sicherheit und verhindert Entscheidungsdruck, weil man eben immer alles gleich macht. In der Arbeit bedeutet dies meist eine Orientierung auf einfache, repetitive Tätigkeiten. In der Gebäudereinigung ist beispielsweise wenig so heiß begehrt wie ein festes Revier, weil sich hier eben Handlungsroutinen entwickeln lassen, die auf wechselnden Routen nicht etabliert werden können. Die Leute suchen dann nicht nach neuen Herausforderungen. Ihnen geht es darum, den Tag halbwegs unbeschadet zu überstehen. Auch im Rahmen der familiären Lebensführung bedeutet Routinisierung, dass versucht wird, Abwechslung und unnötige Variationen des Alltags zu vermeiden: Man geht immer 2010 und Frühjahr 2012 50 Interviews mit Beschäftigten niedrigentlohnter Dienstleistungsarbeit sowie drei Gruppendiskussionen und zahlreiche teilnehmende Beobachtungen durchgeführt, in denen immer auch Fragen der familiären Situation im Fokus standen. Im Projekt „Bonding oder Bridging? Familiäre Netzwerke in der Überlebensgesellschaft“ wurden zwischen Sommer 2007 und Sommer 2008 ca. 20 Familieninterviews und zahlreiche Daten aus teilnehmenden Beobachtungen erhoben.
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auf den gleichen Spielplatz, kocht die gleichen Gerichte, sieht die gleichen Fernsehsendungen. Die familiären Aktivitäten finden in der Regel auf niedrigem finanziellem Niveau statt, was dem geringen monetären Spielraum der Familien geschuldet ist. Immer das Gleiche zu tun wird damit auch zu einer Strategie, die Ansprüche gering zu halten, keine Wünsche aufkommen zu lassen, die ohnehin nicht erfüllt werden können. Routinisierung dient der Methodisierung von Knappheit: Zeitknappheit, Geldknappheit, Kraftknappheit. Sie eröffnet keine Alternativen zum Immergleichen. Der Kern der Routinisierung ist die Resignation: Man versagt sich Aufregung, Variation, Herausforderungen, weil man die Hoffnung im Grunde schon aufgegeben hat. 7. Intensivierung Ganz anders verhält es sich mit einer zweiten Handlungsstrategie, die das Coping mit Armut in Familien auszeichnet. Die Strategie der Intensivierung findet sich häufig bei jüngeren Personen, solchen, die noch nicht alle Hoffnung haben fahren lassen. Das Beispiel einer jungen Alleinerziehenden, die als Pflegehilfskraft in einer Klinik angestellt ist, ist hier instruktiv. Während der Schulzeit lautet ihr berufliches Ziel, Krankenschwester zu werden. Kurz vor dem Realschulabschluss wird Alina aber ungeplant schwanger. Sie entscheidet sich für das Kind. Die Beziehung zum Kindsvater zerbricht allerdings noch vor der Geburt. Den Realschulabschluss schafft sie nicht mehr, plant ihn irgendwann nachzuholen. Nach der Geburt ist Alina dann aber erst mal zwei Jahre lang zu Hause, lebt von Arbeitslosengeld II und Kindergeld. Nach zwei Jahren beginnt sie die Möglichkeiten zu sondieren, die sich einer Dreiundzwanzigjährigen mit Kleinkind und Hauptschulabschluss bieten. Einen Ausbildungsplatz als Krankenschwester findet sie nicht – ein Realschulabschluss ist in der Regel Bedingung für die Ausbildung. Also senkt sie ihre Ansprüche und landet schließlich als ungelernte Hilfskraft in einer Reha-Klinik. Ihre Aufgabe ist die Unterstützung der examinierten Pflegekräfte. Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen ist Alina aber nicht direkt beim Klinikum angestellt, sondern bei deren Beschäftigungsgesellschaft11, die Alina als Zeitarbeitskraft offiziell nur an die Klinik ausleiht. Alina steht somit außerhalb des Geltungsbereichs des Haustarifvertrags der Klinik. Die junge Frau träumt davon, irgendwann von der Tochterfirma ins Mutterhaus zu wechseln und eine Ausbildung zur Pflegekraft angeboten zu bekommen. Um dieses Ziel erreichen zu können, glaubt sie sich in der Arbeit ständig beweisen zu müssen, keine Nachtschicht, keine spontane Vertretung abweisen zu können. Ihr Handy schaltet Alina nie aus. Mindestens einmal in der Woche klingelt es mitten in der Nacht und sie wird zur Vertretung einbestellt. 11
iele Kliniken in Deutschland haben im vergangenen Jahrzehnt solche Beschäftigungsgesellschaften V gegründet. Es handelt sich dabei in der Regel um Tochterfirmen, für die allerdings nicht der Tarifvertrag des jeweiligen Krankenhauses gilt. Dies ermöglicht es, den Arbeitnehmern solcher Beschäftigungsgesellschaften niedrigere Löhne als der Stammbelegschaft zu zahlen. Auch Befristungen und Kündigungen können in den Tochterunternehmen einfacher durchgesetzt werden.
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Für Alinas Familienleben bedeutet dies eine enorme Belastung. Schließlich muss für den Sohn immer Betreuung organisiert werden, wenn Alina arbeitet. Sie hat keinen Kita-Platz, weil solche an ihrem Wohnort extreme Mangelware sind. Die Betreuungssituation ist ein Patchwork: Während der Arbeitszeit müssen entweder Alinas Eltern, die selbst noch erwerbstätig sind, oder die Schwiegereltern einspringen. Der Kindsvater kommt nicht infrage, weil er mittlerweile mehrere 100 Kilometer weit entfernt wohnt. Seine Eltern lassen sich die Betreuung des Enkels entlohnen, indem sie die Befreiung ihres Sohnes von der Unterhaltspflicht zur Bedingung machen. Für Alina bedeutet dies – neben finanziellen Einbußen – einen enormen Sozialstress, v.a. weil auch immer wieder spontan und nachts Betreuung organisiert werden muss. Kriegt Alina einen Anruf, packt sie das schlafende Kind ins Auto, fährt 20 Kilometer zu Eltern oder Schwiegereltern, lädt das Kind ab und fährt zur Arbeit. Häufig muss sie noch koordinieren, dass der Sohn von einem Großelternteil zum anderen transferiert wird, während sie selbst noch in der Arbeit ist. Alina steht die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. Ob sie die enorme Belastung auf Dauer aushält, steht in den Sternen. Zugleich ist keineswegs ausgemacht, dass ihre Hoffnungen auf eine Übernahme ins Mutterhaus realistisch sind. Welches Interesse hat das Unternehmen daran, eine Mitarbeiterin, die zu einem extrem niedrigen, wohlfahrtsstaatlich subventionierten Lohn (Alina bezieht zusätzlich zu ihrem Gehalt Sozialtransfers) zur massiven Selbstausbeutung bereit ist, in eine Position zu bringen, die ihr mehr Sicherheit bietet und damit womöglich den Leistungsdruck mindert? In der Handlungsstrategie der Intensivierung wird die ganze Lebensführung auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet, das die betreffenden Personen allerdings – ähnlich wie im Falle der Routinisierung – im Laufe der Zeit aus dem Blick verlieren können. Irgendwann finden sich die Leute 5 oder 10 Jahre später in unveränderter Position wieder, sind aber vollkommen ausgebrannt. Der Alltag wird zu einem einzigen Spagat im Zeichen eines hektischen Zurechtkommens. Die Gegenwart dominiert das ganze Leben. Die Zukunft, auf die das Handeln eigentlich ausgerichtet ist, verdampft in der Hektik des Alltags. 8. Optionssuche Alina ist allerdings zugleich ein gutes Beispiel für eine dritte Handlungsstrategie, die sich in den Armutslagen der Gegenwart häufig findet. Weil das Leben der Leute in einem permanenten Kampf ums Durchkommen besteht, sind sie sehr sensibel für solche Optionen, die mit direktem Alltagsbezug die eigene Lage erleichtern. Die Menschen sind dabei äußerst kreativ und findig: Alina hat sich nach einer gewissen Zeit beispielsweise auf geschickte Weise die Möglichkeit eines Umzugs in eine größere Wohnung von der Arbeitsagentur zusichern lassen. Sie hat sich mit einer Bekannten zusammengetan, die in einer ganz ähnlichen Lage wie Alina steckt, alleinerziehend mit einem kleinen Kind, allerdings arbeitslos. Im Anschluss an ein zufälliges Wiedersehen haben sie gemeinsam den Plan entwickelt, mit den Kindern
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Herausforderungen und Handlungsstrategien
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eine Wohngemeinschaft zu gründen. Die jungen Frauen verbindet keine Geschichte langer Freundschaft, aber sie erkennen, dass sie füreinander Gelegenheiten darstellen: Sie teilen sich Betreuungszeiten, was den Spielraum für die eigene Freizeit erhöht. Vor allem Alina profitiert davon. Im Gegenzug stellt sie ihrer Mitbewohnerin das eigene Auto zur Stellensuche zur Verfügung. Für beide stellt sich damit eine gewisse Entlastung des Alltags ein. Eine solche Optionssuche zeigt sich bei den Armen der Gegenwart in ganz unterschiedlichen Formen. Die Leute sind immer bereit, kleine Chancen zu ergreifen, Gelegenheiten zu nutzen, die die eigene Lage ein Stück weit verbessern. Die Lebensführung gleicht dann oft einem Flickenteppich: Man ist für 20 Stunden die Woche zum Mindestlohn als Leiharbeiterin im Supermarkt oder als Paketzusteller für Hermes aktiv, putzt daneben in Schwarzarbeit ein paar Wohnungen und züchtet zu Hause Huskys für den Verkauf. Auch die Freizeit wird in den Dienst der Optionsmehrung gestellt: In langwieriger Kleinarbeit des „Discountings“ (Eckart & Willisch 2011) werden beispielsweise die Preise aller erreichbarer Supermärkte systematisch verglichen, um den günstigsten Warenkorb zu ermitteln. Das vermeintliche Hobby ermöglicht die Lebensführung unter den Bedingungen finanzieller Knappheit. 9. Sackgassen und Schleichwege Routinisierung, Intensivierung und listige Optionssuche schließen sich keineswegs aus. Alle drei Strategien bilden eine Antwort auf die Herausforderungen, zu denen sich arme Familien in der Gegenwart verhalten müssen. Ihre Lebensführung ist geprägt von Knappheit, die häufig noch mit anstrengender, harter Arbeit zusammenfällt. Egal, ob man im Rahmen der Routinisierung bereits aufgegeben hat, ob man sich der Logik der Intensivierung folgend womöglich vergeblich streckt, oder durch Gelegenheitsorientierung eine Erleichterung des Alltags sucht – alle drei Strategien sind häufig Sackgassen. Zudem ersticken sie sukzessive den Glauben daran, dass die eigene Zukunft sich von der Gegenwart unterscheiden könnte: Die Routinisierten haben sich mit der eigenen Lage ohnehin abgefunden. Die Intensivierer glauben zwar noch an eine Chance, die in der Hektik des Alltags aber zusehends erstickt wird. Einzig die optionssensible Gelegenheitsorientierung bietet Möglichkeiten, auf Schleichwegen der negativen Dynamisierung zu entkommen, wenn die betroffenen Personen eine gewisse Chancenkompetenz entwickeln. Ist die eigene Lebensführung aber nicht auf die Zukunft gerichtet, sondern nur auf das Durchkommen in der Gegenwart, muss sich jede Gelegenheit auf den konkreten Alltag der Leute beziehen, um bei ihnen nicht auf taube Ohren zu stoßen. Ambitionierte Gedanken an eine realistische Zukunft, die sich von der eigenen Gegenwart unterscheidet, erlauben sich die Armen nur sehr begrenzt. Hilfsangebote an arme Familien stehen daher vor der misslichen Lage, nur der Erleichterung des Alltags dienen zu können, wenn es nicht gelingt, die Gelegenheitskompetenz der Leute in den Dienst ihrer eigenen Zukunft zu stellen.
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17,0 14,8 21,2 9,6 13,1 16,1 17,5 – 23,1 22,2 14,1 20,5 19,4 14,7 19,4 18,6 15,1 14,0 15,0 10,1 – 17,1 17,9 22,6 13,5 13,2 13,2 14,2 16,2 7,9 10,1 15,9
9,9 6,5 44,1 6,6 2,8 4,9 9,4 – 19,5 5,8 5,3 15,4 14,5 15,0 26,0 19,8 1,3 25,7 8,0 2,3 4,0 13,5 8,6 29,9 6,6 10,5 2,9 1,3 7,8 2,4 1,7 0,8
10,4 14,0 12,4 6,8 10,9 9,8 9,0 – 14,1 14,2 8,4 16,1 10,3 6,4 11,5 11,3 6,1 12,7 7,9 8,7 7,6 6,8 10,1 7,4 7,5 7,2 9,1 10,0 13,0 6,0 7,0 3,4
Personen, die unter Personen zwischen erheblicher materieller 0–59 Jahren in Haushalten mit Deprivation leiden sehr niedriger Erwerbstätigkeit % der Gesamtbevölkerung 23,7 20,8 44,8 15,3 16,3 20,1 21,8 23,7 28,1 24,5 18,6 – 25,3 23,3 33,8 27,6 15,5 28,2 19,6 14,9 18,6 30,5 26,0 44,2 18,5 20,6 17,4 14,9 23,2 11,8 15,0 18,6
24,3 21,0 49,1 15,3 18,9 19,9 23,1 29,4 31,0 27,7 19,3 32,3 28,2 24,6 40,4 33,1 16,8 31,0 21,4 15,7 16,9 27,2 24,4 40,3 19,3 20,6 17,9 16,1 22,7 13,7 14,5 17,2
24,8 21,6 49,3 15,4 19,0 19,6 23,4 – 34,6 28,2 19,1 32,3 29,9 27,1 36,6 32,5 18,4 32,4 22,2 15,0 – 26,7 25,3 41,7 19,6 20,5 17,2 18,2 24,1 12,7 13,8 17,5
**
124,5 2,4 3,6 1,6 1,1 15,9 0,3 – 3,8 13,1 11,8 1,4 18,2 0,2 0,7 1,0 0,1 3,2 0,1 2,5 – 10,1 2,7 8,9 0,4 1,1 0,9 1,8 15,1 0,0 0,7 1,3
Personen, die von mindestens einem der drei Kriterien (Armutsgefährdung oder soziale Ausgrenzung) betroffen sind % der Gesamtbevölkerung In Millionen 2008 2011 2012 2012
EU27 Daten für „Personen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind” für 2008; EU28 Schätzungen für 2012. elgien und Österreich: Daten für 2012 sind vorläufig; Schweden: nur Daten für 2012 für „Haushalte mit niedriger Erwerbstätigkeit” und „Personen, B die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind” sind vorläufig. *** Wechsel des Lieferanten der EU-SILC Querschnittsdaten: bis 2012 wurden die Daten vom ONS erhoben, ab 2012 vom „Departement for Work and Pensions”. – Daten nicht verfügbar. 0,0 Weniger als 0,05 Millionen. Quelle: Eurostat 2013, 2.
*
EU28* Belgien** Bulgarien Tschech. Rep. Dänemark Deutschland Estland Irland Griechenland Spanien Frankreich Kroatien Italien Zypern Lettland Litauen Luxemburg Ungarn Malta Niederlande Österreich** Polen Portugal Rumänien Slowenien Slowakei Finnland Schweden** Ver. Königreich*** Island Norwegen Schweiz
Personen, die armutsgefährdet sind nach Sozialleistungen
Tabelle 1 Armutsgefährdung oder soziale Ausgrenzung, 2012
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Herausforderungen und Handlungsstrategien
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European Journal of Mental Health 10 (2015) 178–189 DOI: 10.5708/EJMH.10.2015.2.4
Helene Kirschner*
Wirkungen der Familienpolitik auf die Fertilität in modernen Wohlfahrtsstaaten (Erhalten: 8. April 2015; angenommen: 15. September 2015)
Viele Wohlfahrtstaaten in Europa stehen vor tiefgreifenden demografischen Herausforderungen. Insbesondere niedrige Geburtenraten erhöhen die Sorge über die zukünftige institutionelle Stabilität moderner Wohlfahrtsstaaten. Vor diesem Hintergrund betrachtet dieser Beitrag den Einfluss familienpolitischer Maßnahmen und wohlfahrtstaatlicher Regulierungen sowie den des soziokulturellen Wandels auf das Fertilitätsniveau eines Landes. Die Betrachtung zeigt, dass familienpolitische Wirkungen in unterschiedlichen Kontexten verschiedenartig ausfallen können. Schließlich hängt der Einfluss der Familienpolitik auf die Fertilität von den besonderen sozialen Gegebenheiten des jeweiligen Wohlfahrtsstaates ab. Schlüsselbegriffe: Wohlfahrtsstaat, Familienpolitik, Fertilität, soziale Gegebenheiten The Impact of Family Policy on Fertility in Modern Welfare States: Many European welfare states face far-reaching demographic challenges. Concerns about the future institutional stability of modern welfare states are especially heightened by low birth rates. This study examines the impact family policy measures, current regulations in welfare states and socio-cultural transformation have on the fertility rate of a given country. Findings suggest that family policy may have different effects in different contexts, for its impact on fertility depends, ultimately, on the particular social conditions of the given welfare state. Keywords: welfare state, family policy, fertility, social conditions
1. Einleitung In den Wohlfahrtsstaaten Europas finden seit Mitte der 1960er-Jahre tief greifende demografische Veränderungen statt. Die Geburtenrate in allen westeuropäischen Ländern ist enorm gesunken. Auch die Mittel- und Osteuropäischen (MOE) Länder haben seit den Transformationsprozessen in den 1990er-Jahren bis heute noch *
elene Kirschner (geb. Guschakowski), Caritasverband für das Bistum Aachen, Kapitelstr. 3, 52066 Aachen, H Deutschland; hkirschner@caritas-ac.de.
ISSN 1788-4934 © 2015 Semmelweis University Institute of Mental Health, Budapest
Wirkungen der Familienpolitik
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mit niedrigen Geburtenraten zu kämpfen. Aufgrund der niedrigen Geburtenraten steigt die Sorge über die zukünftige Stabilität der modernen Wohlfahrtsstaaten, da die Funktionsfähigkeit wohlfahrtsstaatlicher Regulierungen von ausreichend starken nachwachsenden Generationen abhängt. In einigen europäischen Wohlfahrtsstaaten stieg seit Mitte der 1980er-Jahre die Geburtenrate jedoch wieder an. Insbesondere die nordischen Länder, aber auch Frankreich verzeichnen eine hohe Geburtenrate (Neyer 2003). Vielfach werden diese Unterschiede in der Entwicklung der Geburtenrate auf die Qualität der wohlfahrtsstaatlichen Leistungen zurückgeführt. Der Einsatz von familienpolitischen Maßnahmen gilt heute als ein wichtiges Mittel gegen sinkende Geburtenraten. Aber auch unterschiedliche soziale, politische und ökonomische Entwicklungen und Traditionen können Einfluss auf das Fertilitätsniveau eines Landes haben. In dem vorliegenden Beitrag sollen die Wirkungen familienpolitischer Maßnahmen auf das Geburtenverhalten in den europäischen Wohlfahrtsstaaten untersucht werden. Dabei stellt sich die Frage, welchen zusätzlichen Einfluss gesellschaftliche Strukturelemente, die durch historische und kulturell normative Entwicklungen eines Landes geprägt sind, auf die Fertilität und die Wirkungen familienpolitischer Maßnahmen haben können. Um diese Frage zu beantworten, werden in diesem Beitrag zunächst grundlegende theoretische Begriffe der Familienpolitik erläutert. Es folgen theoretische Überlegungen zu Zusammenhängen zwischen Fertilitätsniveau und Wohlfahrtsstaat. Hierzu soll als Diskussionsbasis die Wohlfahrtsstaatentypologie von Esping-Andersen (1990) dienen. Daran schließt die Analyse der Wirkungen von Familienpolitik in Wohlfahrtsstaaten auf die Fertilität an. Dabei werden ebenso soziokulturelle Entwicklungen erörtert, die Einfluss auf die Geburtenrate eines Landes haben können. Gedanken zu Möglichkeiten und Grenzen wohlfahrtsstattlicher Förderung der Familie schließen die Überlegungen ab. 2. Begriff und Umsetzungsformen der Familienpolitik Innerhalb sozialpolitischer Diskussionen in Europa werden mit dem Begriff „Familienpolitik“ Transferleistungen des Staates für die Kinder und ihre Familien beschrieben. Darunter fallen Gesetze sowie Regulierungen und Verwaltungsgrundsätze, die geschaffen wurden, um die Situation von Familien oder Individuen in ihrer Familienrolle zu beeinflussen. Allerdings umfasst der Begriff auch solche öffentlichen Eingriffe, die deutliche, aber möglicherweise nicht beabsichtigte Konsequenzen für die Familien haben (Kamerman 2010). Elemente der Familienpolitik sind häufig in andere Politikbereiche integriert, die schwer voneinander abzugrenzen sind. Kaufmann (1993; 2007) unterscheidet vier verschiedene familienpolitische Interventionsformen, die direkt oder indirekt auf soziale Verhältnisse wirken. Zu diesen gehören die rechtliche, die ökonomische, die ökologische und die pädagogische Intervention. Die rechtliche Intervention beschreibt Maßnahmen, die den juristischen Status
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von Familienmitgliedern beeinflussen. Diese betreffen zum Beispiel die Gestaltung des Familienrechts, aber auch des Arbeits- und Sozialrechts. Die ökonomische Intervention kennzeichnet Maßnahmen, welche die wirtschaftlichen Ressourcen der Familie absichern. Hier geht es hauptsächlich um steuerrechtliche und finanzielle Leistungen der sozialen Sicherung. Ökologische Interventionen umschreiben Maßnahmen, welche Einfluss auf das Umfeld und damit auf die Gelegenheitsstrukturen für Familien und ihre Mitglieder nehmen. Diese Interventionen betreffen beispielsweise wohnungspolitische Maßnahmen, das Angebot von sozialen Diensten sowie die Verfügbarkeit von öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen. Unter den pädagogischen Interventionen versteht Kaufmann Maßnahmen, die sich auf die Förderung oder Wiederherstellung von Fähigkeiten der Familienmitglieder richten. Solche Maßnahmen umfassen in erster Linie die Einrichtungen des Bildungs- und Gesundheitswesens. Schließlich zählen zu diesen mittelbaren Politikbereichen auch die Gesundheitspolitik, die Sozialversicherungen, das Steuerwesen sowie das Zivilrecht. Diese sind wiederum durch unterschiedliche historische und institutionelle Entwicklungen geprägt. Außerdem betreffen Elemente der Familienpolitik verschiedene Aspekte des Familienlebens, welche die Partnerschaft und die Elternschaft beeinflussen. Aufgrund dieser Vielfältigkeit ist es für die Wissenschaft schwierig, sich auf eine einheitliche Definition der Familienpolitik zu einigen (Neyer 2003; Neyer & Andersson 2008). Folglich lassen sich in der Literatur verschiedene Definitionen von Familienpolitik finden. Lampert und Althammer (2007, 383) definieren Familienpolitik beispielsweise als „die Gesamtheit der Maßnahmen und Einrichtungen, mit denen die Träger der Politik das Ziel verfolgen, die Familie zu schützen und zu fordern, die für ihre Mitglieder und für die Gesellschaft unentbehrliche Funktionen erfüllt.“ Demzufolge fördert die Familienpolitik die Erfüllung von Funktionen, die die Familie für die Gesellschaft leistet. Zu diesen Funktionen gehören die Versorgung, die Betreuung und die Pflege von Familienmitgliedern (Versorgungsfunktion), die Sicherung des Nachwuchses (Reproduktionsfunktion), die Erziehung und Ausbildung der Kinder (Sozialisationsfunktion), die Sicherung der Solidarität zwischen den Generationen (Solidaritätsfunktion) und die Erholungsmöglichkeiten innerhalb der Familie (Regenerationsfunktion) (Lampert & Althammer 2007, 384). Im Zentrum der nachfolgenden Ausführungen steht die Reproduktionsfunktion. Auch wenn in zahlreichen Ländern Europas die politischen Aktivitäten zugunsten der sozialen Situation von Familien und Kindern, insbesondere seit dem Geburtenrückgang ab Mitte der 1960er-Jahre, ausgeweitet worden sind, weichen die familienpolitischen Leitvorstellungen und die praktische Ausrichtung der Maßnahmen in den europäischen Ländern voneinander ab. In allen Ländern Europas gibt es familienpolitische Maßnahmen, jedoch beziehen sich diese Maßnahmen nicht überall ausdrücklich auf die Familie, deshalb wird in diesen Fällen von impliziter Familienpolitik gesprochen (Kaufmann 1993). Explizite Familienpolitik dagegen kennzeichnet „politische Maßnahmen . . .,
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die Einfluss auf den Lebenszusammenhang und die Lebensführung von Familien nehmen wollen“ (Strohmeier 2008, 238). Die Intention familienpolitischer Maßnahmen richtet sich in diesem Fall ausdrücklich auf Hilfen für oder Erwartungen an Familien. Eine explizite Familienpolitik gibt es in erster Linie in Frankreich und in Deutschland. Explizite familienpolitische Maßnahmen beinhalten zum Beispiel finanzielle Transfers, die einen bestimmten Lebensstandard von Familien mit Kindern sichern, Kinderbetreuungskonzepte, Angebote zur Familienbildung und Beratung sowie gesundheitsbezogene Vorkehrungen für Mütter und Kinder. Implizite Familienpolitik beinhaltet in erster Linie Maßnahmen anderer sozialpolitischer Bereiche, welche ebenfalls wichtige Konsequenzen für Kinder und Familien haben. Diese Maßnahmen, die sich ebenfalls durch unterschiedliche Leistungen für die Familie auszeichnen, umschreiben häufig allgemeine sozialpolitisch oder auch frauen- und kinderpolitisch begründete Interventionen des Staates. Beispielsweise zielt im Rahmen der impliziten Politik eine umfassende Kinderbetreuung auf die Förderung der Frauenerwerbstätigkeit ab (Kamerman 2010; Kaufmann 1993; Strohmeier 2008). 3. Fertilität und Wohlfahrtsstaaten Seit Mitte der 1960er-Jahre ist in allen europäischen Wohlfahrtsstaaten ein beachtlicher Rückgang der Geburtenraten zu verzeichnen. Heute liegt in vielen europäischen Ländern die Geburtenrate deutlich unterhalb des Reproduktionsniveaus der Bevölkerung von mindestens 2,1 Kindern je Frau. Da jedoch Familien eng in das komplexe System wohlfahrtsstaatlicher Regulierungen eingebunden sind, hängt die künftige Entwicklung der modernen Wohlfahrtsstaaten von der Entwicklung der Familien ab. In Europa gibt es verschiedene Formen wohlfahrtsstaatlicher Regulierungen, die unterschiedlich auf Familien wirken. Daher wird in der Wohlfahrtsstaatenforschung von verschiedenen Typen des Wohlfahrtsstaats ausgegangen, die eine enorme institutionelle Regelvielfalt aufweisen. Ein Vergleich der verschiedenen Typen deckt die unterschiedlichen Verteilungsnormen und Gerechtigkeitsvorstellungen verschiedener europäischer Staaten auf, die zum Teil durch unterschiedliche Traditionen, soziale Kompromisse und Wertideen bestimmt werden (Mau 1997). Die bekannteste und intensiv diskutierte Theorie in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung stammt von Esping-Andersen (1990). Esping-Andersen (1990) betrachtet das Verhältnis von Markt, Staat und Familie als die drei zentralen Wohlfahrtsproduzenten einer Volkswirtschaft und ermittelt so in seinem Grundkonzept drei Wohlfahrtsstaatstypen, und zwar den liberalen, sozialdemokratischen und konservativen Typus. Die Zuordnung eines Wohlfahrtsstaates zu einem bestimmten Typus beruht auf den Indikatoren „Dekommodifizierung“ und „Stratifizierung“. Dekommodifizierung bezieht sich auf die staatlichen Leistungen der Wohlfahrts-
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sicherung. Das Auskommen eines Erwerbstätigen hängt zunächst davon ab, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen dieser am Arbeitsmarkt teilnehmen kann. Der Grad der Dekommodifizierung umschreibt die Bereitstellung alternativer Absicherungsmittel durch den Wohlfahrtsstaat für den Lebensunterhalt (in erster Linie Lohnersatzleistungen, Transferzahlungen), um in angemessener Weise an der sozialen Gemeinschaft teilzuhaben, ohne von der Teilnahme am Arbeitsmarkt abhängig zu sein. Stratifizierung wiederum beschreibt die Wirkungen des Wohlfahrtsstaates auf die soziale Ungleichheit. Esping-Andersen (1990) betont, dass der Wohlfahrtsstaat ein eigenständiges System der Stratifizierung darstellt, indem in direkter Weise soziale Beziehungsmuster geordnet werden. Die von Esping-Andersen identifizierten Wohlfahrtstypen unterscheiden sich durch den Ausprägungsgrad der beiden Indikatoren. Der liberale Wohlfahrtsstaat zeichnet sich durch bescheidene Sozialversicherungsprogramme aus sowie durch marktorientierte Konzepte wie private Versicherungsformen. Die Ausprägung sozialstaatlicher Leistungen ist durch traditionelle Normen einer liberalen Arbeitsethik begrenzt, stattdessen wird eindeutig der Markt angekurbelt. Es ist folglich eine geringe Dekommodifizierung vorzufinden und die bestehenden Ungleichheiten werden verstärkt. Dem liberalen Wohlfahrtsstaat lassen sich unter anderem die Länder USA, Großbritannien, Irland und Australien zuordnen. Der konservative Wohlfahrtsstaat ist auf eine Gewährung sozialer Rechte im Interesse des Erhaltes von Statusunterschieden bedacht. Der Dekommodifizierungsgrad folgt der Stellung im Erwerbsleben. Damit werden Statusdifferenzen aufrechterhalten, und folglich ist auch im konservativen Modell das Ausmaß der Umverteilung gering. Zudem zielt dieses System besonders auf den Erhalt traditionaler Familienformen. Dem konservativen Wohlfahrtsstaatsmodell werden die Staaten Österreich, Frankreich, Deutschland zugerechnet, auch wenn Deutschland durch die Einführung des „aktivierenden Sozialstaates“ seit den 2000er-Jahren eine Abkehr vom Statuserhalt ehemals Erwerbstätiger eingeleitet hat. Im Vergleich zu den beiden anderen Wohlfahrtsstaatstypen zeichnet sich der sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat durch dekommodifizierende und universalistische, das heißt, die gesellschaftliche Teilhabe aller, fördernde Prinzipien aus. Leistungen und soziale Dienste sind so ausgerichtet, dass diese den unterschiedlichen Erwartungen aller Klassen und Schichten gerecht werden. Der sozialdemokratische Wohlfahrtsstaatstyp bietet durch umfassende staatliche Transferleistungen eine individuelle Unabhängigkeit vom Markt und von der Familie, was zu einer hohen Dekommodifizierung und einer geringen sozialen Ungleichheit führt. Die Staaten Norwegen, Schweden, Dänemark und Finnland wurden diesem Typus zugeteilt. In der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung ist es keine neue Problematik, dass bestimmte Wohlfahrstaaten schwer zu klassifizieren sind. So wird an EspingAndersens Klassifizierung der Wohlfahrtsstaaten bemängelt, dass die Einteilung in drei Wohlfahrtsstaaten nicht ausreicht und die vielschichtige wohlfahrtsstaatliche Ausgestaltung stark vereinfacht darstellt. So gibt es europäische Länder, die schwer nur in die Typologie einzuordnen sind oder Mix-Formen darstellen. Bezogen auf die
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südeuropäischen Länder, wie Spanien, Portugal, Italien und Griechenland, ist inzwischen die Rede von einem vierten „rudimentären“ Wohlfahrtsstaatentyp. In diesen Ländern gibt es wenig Industrie und die soziale Sicherung ist gering ausgeprägt (Arts & Gelissen 2002; Leibfried 1991). Im Jahre 2004 und 2007 wurde die Europäische Union (EU) um insgesamt zwölf Mitgliedsstaaten vergrößert. Darunter waren zehn Länder aus Mittel- und Osteuropa (MOE-Staaten). Auch wenn diese Länder die Gemeinsamkeit haben, dass in den Jahren 1989 bis 1991 das staatssozialistische System für einen demokratischen Kapitalismus aufgegeben wurde, haben die Länder unterschiedliche historische Erfahrungen und politische Entwicklungen im Transformationsprozess hinter sich (Klenner & Leber 2009). Folglich lassen sich die MOE-Staaten nur schwer in die gängigen Wohlfahrtsstaatstypen einsortieren. Die MOE-Länder weisen im Rahmen ihrer jeweiligen wohlfahrtstaatlichen Systeme eine eigene kennzeichnende Mischung der Bestandteile aus den drei klassischen Wohlfahrtsstaatstypen auf. Mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten in den einzelnen MOE-Ländern sind sowohl bismarcksche wohlfahrstaatliche Strukturformen (konservativer Typus) vorhanden als auch universalistische (sozialdemokratische) sowie marktförmige (liberale) Strukturen (Keune 2009). Fenger (2007) erweitert schließlich Esping-Andersens Konzept um ein Modell, welches die mittel- und osteuropäischen Länder untergliedert. Er unterteilt die postkommunistischen Wohlfahrtsstaaten ebenfalls in drei Gruppen: die ehemaligen UdSSR-Länder, wie Russland und Weißrussland; die recht erfolgreichen mittel- und osteuropäischen Länder, wie Polen und Tschechien, und schließlich die sich entwickelnden Wohlfahrtsstaaten, wie Rumänien und Moldawien. Der Ansatz von Esping-Andersen brachte Dynamik in die Wohlfahrtsstaatsforschung. Das Konzept wird bis heute noch kritisch und intensiv diskutiert. Gleichzeitig bietet es für weitere Forschungsansätze eine wichtige Grundlage, so auch in der feministischen Wohlfahrtsstaatenforschung. Diese lastete Esping-Andersen an, dass sein Ansatz die Abhängigkeit der Frau von der Familie bzw. dem Ehemann ignoriere und damit die Beziehung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit der Frauen innerhalb von Haushalten zu wenig berücksichtige. Da sich der Indikator Dekommodifizierung vor allem auf die Erwerbsbiografie von Männern beziehe, werde die familiäre Wohlfahrtsarbeit der Frau vernachlässigt (Osner 1998). Angesichts der Kritik wertete Esping-Andersen (1999) in einem späteren Werk die wohlfahrtsstaatliche Bedeutung familiärer Leistungen auf und es entwickelte sich in der feministischen Forschung der Analyserahmen Familialismus (Esping-Andersen 1999; Leitner 2003). Im Rahmen der Dimension Familialismus wird die Betreuungsfunktion innerhalb der Familie erfüllt, während Defamiliasierung den Grad der Einbindung des Staates und Marktes bei der Betreuungsarbeit bezeichnet (Leitner 2003). Grundsätzlich lassen sich Zusammenhänge zwischen dem Wohlfahrtsstaatstypus und dem Fertilitätsniveau erkennen, allerdings verläuft die Korrelation nicht so eindeutig wie zu erwarten. So schwankte zum Beispiel von 1990 bis 2010 in den sozialdemokratischen und liberalen Wohlfahrtsstaaten die Geburtenrate auf einem relativ hohen Niveau (1,7–2,1), insbesondere aufgrund eines ausgeprägten Kinderbetreu-
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ungssystems. Im Vergleich weisen die konservativen Wohlfahrtsstaaten niedrige Geburtenraten (1,3–1,5) auf. Der noch immer prägnante Familialismus nötigt Frauen zur Entscheidung zwischen Erwerbstätigkeit und Mutterschaft, und immer mehr Frauen entscheiden sich für den Beruf und damit gegen Kinder. Allerdings gibt es Abweichungen, beispielsweise bewegt sich die Geburtenrate in Frankreich und Belgien auf einem vergleichbaren Niveau mit den sozialdemokratischen und liberalen Wohlfahrtsstaaten (Schleutker 2014), weil aufgrund kultureller Einflüsse trotz des grundsätzlichen Familialismus sich Kinder und Beruf nie ausgeschlossen haben (Dienel 2003). Tabelle 1 Entwicklung der Geburtenrate in ausgewählten europäischen Ländern Land\Jahr
1990
1995
2000
2005
2012
Tschechische Republik
1,90
1,28
1,15
1,29
1,45
Dänemark
1,67
1,80
1,77
1,8
1,73
1,38
1,34
1,38
1,33
1,32
Deutschland 1,36
1,17
1,23 1,89
1,94
2,01
Ungarn
1,87
1,57
1,32
1,31
1,34
Österreich
1,46
1,42
1,36
1,41
1,44
Polen
2,06
1,62
1,37
1,24
1,30
Spanien Frankreich
Quelle: Eurostat 2015
In den MOE-Wohlfahrtsstaaten gibt es auch bezüglich der Geburtenrate unterschiedliche Entwicklungen. Alle Länder wiesen zunächst durch die wirtschaftliche Lage, die sozioökonomische Situation der Frau und ihre Schlechterstellung im Rahmen der Transformationsphase sinkende Geburtenraten auf (Europäische Kommission 2004). Die Geburtenraten schwankten über mehrere Jahre auf einem niedrigen Niveau bei 1,2 oder 1,4. Jedoch steigt seit einigen Jahren die Geburtenrate wieder, beispielsweise liegt diese in Bulgarien und Rumänien seit 2008 bei 1,5. Ungarn und Polen kämpfen bis heute noch mit niedrigen Geburtenraten, die derzeit auf einem Niveau bei 1,3 liegen (Eurostat 2015). 4. Wirkungen der Familienpolitik im Wohlfahrtsstaat auf die Geburtenrate Die niedrigen Geburtenraten in einigen Ländern Europas steigern die Besorgnis über die zukünftige Stabilität der modernen Wohlfahrtsstaaten. Folglich steht vor allem die Reproduktionsfunktion der Familie im Vordergrund der wohl-
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fahrtsstaatlichen Familienpolitik (Neyer 2003; Opielka 2004; Bujard 2014; Henry-Hutmacher 2014). Seit Mitte der 1990er-Jahre gab es in den europäischen Wohlfahrtsstaaten Ausweitungen familienpolitischer Maßnahmen, um das Fertilitätsniveau zu erhöhen bzw. aufrechtzuerhalten. Jedoch gehen die Meinungen der Wissenschaftler auseinander, ob und in welchem Ausmaß die Familienpolitik Einfluss auf das Geburtenverhalten hat, denn die Befunde zu Zusammenhängen zwischen familienpolitischen Maßnahmen und Fertilität sind häufig schwach und nicht eindeutig (Neyer 2005; 2011). Dass die Geburtenraten in Europa abnehmen, hat mehrere, vor allem soziokulturelle Gründe (Dienel 2003). So gab es zum einen in den letzten Jahrzehnten in Europa tief greifende Veränderungen in Bezug auf die Familien- und Lebensformen. Normen, Werte und Einstellungen hinsichtlich des Familienlebens wandelten sich. Es folgte ein dramatischer Rückgang der Eheschließungsraten. Außerdem stiegen die Geburten in nicht ehelichen Gemeinschaften sowie die Scheidungsraten in Europa an. Durch diese Entwicklungen veränderte sich auch die Motivation zur Elternschaft. Elternschaft wird heute weniger als eine „Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft“ oder als unabwendbares Schicksal gesehen, sondern es ist eher ein Resultat geplanter Entscheidungen eines Paares. In diesem Entscheidungsprozess werden die Opportunitätskosten der Elternschaft berücksichtigt. Das sind die verschiedenen negativen und positiven Wirkungen eines Lebens mit Kindern in Hinsicht auf die Beziehung, die Lebensführung und das ökonomische Leistungsvermögen und Wohlbefinden. Zum anderen wirkt sich der Wandel der Geschlechterrolle und insbesondere der weiblichen Biografien auf die Fertilität aus. Um die Wirkungen familienpolitischer Maßnahmen auf das Geburtenverhalten verstehen zu können, müssen diese folglich auch im Kontext der Geschlechterverhältnisse betrachtet werden (Neyer 2005). Seit den 1970er-Jahren ist in allen westeuropäischen Ländern die Erwerbsbeteiligung von Frauen enorm angestiegen. Die deutliche Steigerung des Bildungsniveaus ermöglichte es ihnen, sich bietende Karrierechancen auszunutzen. Gleichzeitig arrangieren sich viele dieser Frauen mit der Tatsache, dass sie eventuell auf eine Mutterschaft verzichten müssen, um im Berufsleben vorranzukommen (Neyer et al. 2006). Ein bedarfsdeckendes und ein qualitativ gutes Angebot an öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen sowie eine familienfreundliche Gestaltung der Arbeitswelt können im Rahmen familienpolitischer Maßnahmen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern und damit die Bereitschaft zur Mutterschaft bzw. Elternschaft fördern (Castles 2003). So hat sich der Zusammenhang zwischen der zusammengefassten Geburtenrate1 und der Frauenerwerbstätigkeit seit Mitte der 1990er-Jahre vom Negativen ins Positive gewandelt. Die zusammengefasste Geburtenrate ist häufig in den Ländern am höchsten, die auch eine hohe Frauenerwerbsbeteiligung aufweisen (z. B. Schweden: 1,91 im Jahr 2012). Die Länder mit einer niedrigen 1
ie zusammengefasste Geburtenrate (Total Fertility Rate) beschreibt „eine zusammengesetzte, hypothetische D Kennziffer und gibt an, wie viele Kinder je Frau geboren würden, wenn für deren ganzes Leben die altersspezifischen Geburtenziffern des jeweils betrachteten Kalenderjahres gelten würden“ (Zusammengefasste Geburtenziffer 2015).
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Frauenerwerbsbeteiligung haben die niedrigsten Geburtenraten (z. B. Italien: 1,43 im Jahr 2012; vgl. Eurostat 2015). In den MOE-Ländern waren familienpolitische Leistungen ein fester Bestandteil der kommunistischen Sozialpolitik und es gab insbesondere eine ausgedehnte öffentliche Kinderbetreuung, um die Erwerbstätigkeit von Müttern zu gewährleisten. Im Rahmen der Transformationsphase folgten allerdings familienpolitische Reformen, welche das Niveau der Leistungen senkten (Götting 1998). Die Entwicklungsunterschiede in den europäischen Wohlfahrtsstaaten werden häufig auf die institutionellen Voraussetzungen und insbesondere auf die Unterschiede in der Familienpolitik zurückgeführt, die die Opportunitätskosten durch finanzielle Transfers oder Kinderbetreuung reduziert (Engelhardt & Prskawetz 2004; Neyer 2005). Ein abgestimmtes System familienpolitsicher Maßnahmen kann das Fertilitätsniveau in modernen Gesellschaften aufrechterhalten bzw. erhöhen. Jedoch könnten Fertilitätswirkungen schwach sein, wenn die politischen Gegebenheiten in einem Land nicht mit dem sozialen Leben, oder wenn die familienpolitischen Maßnahmen nicht mit den Normen der Mehrheit der Bevölkerung übereinstimmen (HenryHuthmacher 2014). So haben großzügige familienpolitische Maßnahmen wahrscheinlich wenig Einfluss auf das Geburtenverhalten, wenn diese in einem „traditionellen“ Gesellschaftsumfeld implementiert werden. Der potenzielle Effekt einer familienpolitischen Maßnahme auf das Verhalten von Personen ist davon abhängig, wie diese bestimmte Maßnahme von den Personen wahrgenommen wird und inwieweit diese mit den gegenwärtigen und zukünftigen Lebenszielen übereinstimmt (Castles 2003; Frejka et al. 2008). Die Wirkungen von familienpolitischen Maßnahmen auf die Fertilität sind außerdem vom richtigen Zeitpunkt der Einführung abhängig und lassen durch ein abgestimmtes Paket verschiedener Unterstützungsangebote steigern. So könnte der Zeitpunkt der Einführung einer politischen Maßnahme den Effekt auf das Geburtenverhalten beeinflussen und die Wirkungen wahrscheinlich zu unterschiedlichen historischen Zeitpunkten differieren. Des Weiteren kann eine bestimmte Intervention innerhalb eines breiten Spektrums von familienpolitischen Maßnahmen einen anderen Effekt auf das Geburtenverhalten aufweisen als eine Maßnahme für sich alleine. Letztlich kann die Wirkung der Familienpolitik auf das Geburtenverhalten davon abhängen, wie gut bestimmte familienpolitische Unterstützungsangebote mit anderen politischen Interventionen und mit den privaten Lebensformen der Familien zusammenpassen (Neyer & Andersson 2008). Um den Einfluss von Familienpolitik auf das Geburtenverhalten in einem Wohlfahrtsstaat angemessen untersuchen zu können, ist es deshalb wichtig die Familienpolitik in einem weiten sozialen, politischen, ökonomischen und normativen Kontext zu betrachten. Hierbei müssen insbesondere Entwicklungen und Veränderungen in der Gesellschaft und in den Politiken berücksichtigt werden (Neyer & Andersson 2008).
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5. Fazit Familien sind und bleiben die Basis jeder Gesellschaft und ein wesentlicher Rückhalt der Wohlfahrtsstaaten. Deshalb bedürfen sie ihrerseits einer sorgfältigen Unterstützung durch die Wohlfahrtspolitik. Die Ausführungen in diesem Beitrag beschäftigen sich mit den Wirkungen von Familienpolitik besonders auf die Fertilität in den europäischen Wohlfahrtsstaaten. Die Familienpolitik zeichnet sich allgemein durch ein breites Feld an politischen Maßnahmen aus und ist somit auch in viele andere Politikbereiche integriert. Eine Bildungspolitik, die Kinder aus Familien mit sozialen Problemen unabhängig vom Elternhaus zu fördern vermag oder eine Wirtschaftspolitik, die die Unternehmen anregt, auch ihren Teil zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie beizutragen, tragen das ihre dazu bei, dass junge Menschen Mut zur Familie entwickeln und Kinder in allen Familien gute Chancen zum Aufwachsen haben. Familienpolitik unmittelbar muss vielfältige verschiedene Interessen ausgleichen: Die Gesellschaft ist gleichermaßen darauf angewiesen, dass alle ihre Mitglieder, Frauen wie Männer, ihre Fähigkeiten im beruflichen und familiären Engagement einbringen können, damit der gesamtgesellschaftliche Wohlstand und damit das sozialstaatliche Niveau gerade auch in Ländern mit hoher Lebenserwartung gesichert werden. Gleichzeitig haben Kinder einen Anspruch auf genügend Zeit, die die Eltern mit ihnen verbringen können. Junge Frauen und Männer brauchen heute Raum, den Wert der Selbstverwirklichung neben beruflichen, gesellschaftlichen und familiären Pflichten realisieren zu können und in jeder Lebensphase berufliche und kulturelle Teilhabe mit finanzieller Absicherung verbinden zu können. Damit sind in der Familienpolitik immer wieder auch Konflikte zwischen der Orientierung am Kindeswohl, den Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Teilhabe der Eltern und der Gesellschaft, die in erster Linie von den Eltern diesen Spagat zwischen Beschäftigung und Erziehung erwartet, zu managen. Allerdings weisen die hier dokumentierten Erfahrungen und Erkenntnisse darauf hin, dass insbesondere die Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und familiärem Engagement sowohl die Bereitschaft zur Familiengründung als auch die Zufriedenheit der Eltern steigern. Neben den familienpolitischen Maßnahmen spielen immer auch die wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen, die historische Entwicklung eines Landes sowie der Wandel der Geschlechterrolle und die Veränderungen der Familien- und Lebensformen für die Fertilität eine bedeutsame Rolle. So ist etwa in den meisten europäischen Ländern das Erstgeburtsalter aufgrund der späteren Paarbildung sowie der verlängerten Berufsausbildung insbesondere in den Wissensgesellschaften deutlich gestiegen. Wegen dieser Vielfältigkeit der Einflussfaktoren sind die Wirkungen von Familienpolitik auf das Geburtenverhalten von Paaren nicht eindeutig und oftmals schwer zu ermitteln. Insgesamt lässt sich schlussfolgern, dass der Einfluss der Familienpolitik in den europäischen Wohlfahrtsstaaten auf die Fertilität von den allgemeinen Entwicklungen in der Gesellschaft abhängt. Deshalb verändern diesbezügliche bewusste po-
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litische Interventionen das Verhalten nur sehr langfristig und stehen zudem stets in Konkurrenz zu wirtschaftlichen Veränderungen und insbesondere zu den persönlichen Vorstellungen von jungen Frauen und Männern, wie sie sich gutes Leben vorstellen und auf welchen Wegen sie dieses für sich erreichen zu können glauben. Referenzen Arts, W. & J. Gelissen (2002) ‘Three Worlds of Welfare Capitalism or More?’ Journal of European Social Policy 12, 137–58. Bujard, M. (2014) ‘Zukunft mit Kindern: Reformvorschläge für die deutsche Familienpolitik’, Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 94, 259–63. Castles, F.G. (2003) ‘The World Turned Upside Down: Below Replacement Fertility, Changing Preferences and Family-Friendly Public Policy in 21 OECD Countries’, Journal of European Social Policy 13, 209–27. Dienel, Ch. (2003) ‘Die Mutter und ihr erstes Kind : individuelle und staatliche Arrangements im europäischen Vergleich’, Zeitschrift für Familienforschung 15, 120–45. Engelhardt, H. & A. Prskawetz (2004) ‘On the Changing Correlation Between Fertility and Female Employment over Space and Time’, European Journal of Population 20, 35–62. Esping-Andersen, G. (1990) The Three Worlds of Welfare Capitalism (London: PolityPress). Esping-Andersen, G. (1999) Social Foundations of Postindustrial Economies (Oxford: Oxford UP). Europäische Kommission (2004) The Social Situation in the European Union (Luxembourg: Office for Official Publications of the European Commission). Eurostat (2015) Fertility indicators. Total fertility rate, © Eurostat, heruntergeladen am 12. Mai 2015 von http://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/show.do?dataset=demo_find&lang=en. Fenger, H.J.M. (2007) Welfare Regime in Central and Eastern Europe: Incorparating Post-Communist Countries in a Welfare Regime Typology (Rotterdam: Erasmus University Rotterdam and Ministry of Social Affairs and Employment). Frejka, T., T. Sobotka, J. Hoem & L. Toulemont (2008) ‘Summary and General Conclusions: Childbearing Trends and Policies in Europe’, Demographic Research 19, 5–13. Götting, U. (1998) Transformation der Wohlfahrtsstaaten in Mittel- und Osteuropa: Eine Zwischenbilanz (Opladen: Leske & Budrich). Henry-Huthmacher, Ch. (2014) Familienleitbilder in Deutschland. Ihre Wirkung auf Familiengründung und Familienentwicklung (Bonn: Konrad-Adenauer-Stiftung). Kamerman, Sh.B. (2010) ‘Child, Family, and State: The Relationship Between Family Policy and Social Protection Policy’ in Sh. Phipps & A. Ben-Arieh, Hrsg., From Child Welfare to Child Well-Being (Dordrecht: Springer Netherlands) 429–37. Kaufmann, F.-X. (1993) ‘Familienpolitik in Europa’ in Bundesministerium für Familie und Senioren, Hrsg., 40 Jahre Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland: Rückblick, Ausblick: Festschrift (Neuwied: Luchterhand) 141–67. Kaufmann, F.-X. (2007) Familienpolitik: Online Handbuch Demografie, © Berlin-Institut, heruntergeladen am 4. April 2015 von www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/handbuch_texte/pdf_Kaufmann_Familienpolitik.pdf. Keune, M. (2009) ‘Mittel- und osteuropäische Wohlfahrtsstaaten im Vergleich: Typen und Leistungsfähigkeit’ in Ch. Klenner & S. Leiber, Hrsg., Wohlfahrtsstaaten und Ge-
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European Journal of Mental Health 10 (2015) 190–200 DOI: 10.5708/EJMH.10.2015.2.5
Andreas Wittrahm*
Binden und Lösen im Lebenslauf Drei psychologische Stationen zur Entwicklung der Familie und in der Familie (Erhalten: 14. April 2015; angenommen: 15 September 2015)
Die Familie stellt in bestimmten Lebensabschnitten jedes Menschen das wichtigste Milieu für seine körperliche, psychische und soziale Entwicklung dar. Zugleich kommt es darauf an, dass sich die Familienmitglieder – nicht nur jedes für sich, sondern auch gemeinsam – als Familie verändern, um in den verschiedenen Lebensphasen und Lebenslagen einander zu fördern, zu stärken und zu stützen. Familien und ihre einzelnen Mitglieder brauchen dazu innere und äußere Ressourcen, soziale Sicherheit und Teilhabe einerseits sowie emotionale Resonanzfähigkeit andererseits. In der Situation der Familiengründung bei der Geburt des ersten Kindes, im Übergang bis zum Auszug der erwachsenen Kinder aus dem Elternhaus und bei der Pflege der hochalten Eltern durch ihre ebenfalls schon gealterten Kinder werden die wertvollen familiären Ressourcen und die notwendigen familiären Kompetenzen besonders sichtbar. Schlüsselbegriffe: Elternschaft, Pflege, Pubertät, Bindungstheorie, Entwicklung, Autonomie, Partnerschaft, filiale Krise, Feinfühligkeit, Beziehungsmuster Binding and Loosing in the Course of a Career: The Three Important Psychological Stages of Development in and of the Family: At certain stages of everyone’s career the family constitutes the most important milieu of physical, psychological and social development. However, it is important for family members to change not only as individuals but together as a family in order to ensure that they can mutually help, strengthen and support each other in certain situations and at certain stages of life. For that, families and individual family members need internal and external resources, social confidence and participation on the one hand, and capability for emotional reson ance on the other. When a family is established, at the birth of the first child, during the transition period when children reach young adulthood until they leave home, and, finally, at the time when elderly children provide care for their very old parents, valuable family resources and the necessary family competencies become particularly visible. *
ndreas Wittrahm, Caritasverband für das Bistum Aachen, Kapitelstraße 3, D-52066 Aachen; wittrahm@tA online.de.
ISSN 1788-4934 © 2015 Semmelweis University Institute of Mental Health, Budapest
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Keywords: parenthood, caregiving, puberty, attachment theory, development, autonomy, intimate relationship, filial crisis, empathy, relationship patterns
1. Einführung In einer Familie teilen Menschen verschiedener Generationen einen langen Abschnitt ihres Lebens, sorgen füreinander, reiben sich aneinander und entwickeln sich miteinander. In vormodernen Zeiten stand dabei die wechselseitige materielle Versorgung im Vordergrund. In der gegenwärtigen Spätmoderne geht es zunehmend darum, füreinander Ressourcen zur Gestaltung eines überwiegend individuell bestimmten Lebens in einer freiheitlichen Welt aufzubauen und zu stärken, einer Welt, in der sich die einzelnen Individuen allerdings auch zunehmend „unbehaust“ erleben (Keupp 1999, 137). Die heutige Familie hat aber nicht nur die Spannung zwischen der Autonomie der einzelnen Familienmitglieder und dem familiären Zusammenhalt aller auszutarieren. Sie unterliegt aufgrund der stark verlängerten Lebenserwartung einem mehrfachen Gestalt-Wandel und muss ihre Strukturen und Beziehungsdynamiken den jeweils neu geforderten Funktionen anpassen. Familienentwicklung beschränkt sich also – in der Gesellschaft des langen Lebens – nicht allein auf die erste Lebenshälfte. Nicht nur Elternschaft, frühe Kindheit und Pubertät, sondern auch Großelternschaft oder auch langjährige Pflege alt gewordener Eltern wollen bewältigt werden. Deshalb empfiehlt sich für die Darstellung der Familienentwicklung der Rahmen einer Psychologie der Lebensspanne (Baltes 1990; Wittrahm 2001) – als Beschreibung der Konstanz und Veränderung des Erlebens und Verhaltens von aufeinander bezogenen Individuen in einem sich historisch wandelnden kulturellen und sozialen Umfeld. Dabei sind die Möglichkeiten und Vorgaben ebenso wie die begünstigenden und erschwerenden Faktoren im Erleben und Verhalten der einzelnen Familienmitglieder wie auch der Familie als System im Blick zu behalten (Hofer 2002). Dabei sollen zwei theoretische Konzepte den Blick lenken: das dialogische Entwicklungsmodell (Riegel 1981; Wittrahm 2001) als formale und die Bindungstheorie (Ainsworth et al. 1978; Grossmann & Grossmann 2006, 2014) als inhaltliche Orientierung. Klaus Riegel (1981) beschreibt Entwicklung als lebenslange Notwendigkeit der „Synchronisierung“ von verschiedenen zunächst unabhängigen Veränderungsdimensionen, d. h. von körperlichen, innerpsychischen, sozialen und historischen Veränderungen, die jeder Mensch immer wieder neu aufeinander abstimmen muss. Veränderungen in einer Dimension rufen Veränderungsnotwendigkeiten in den anderen hervor. Bedürftigkeiten in einer Dimension können durch Ressourcen in den anderen Dimensionen ausgeglichen werden, wenn Anspruch und Möglichkeiten nicht zu weit auseinanderklaffen. Mit diesem dialogischen Entwicklungskonzept stellt Riegel einerseits ein Instrument zur Verfügung, um verallgemeinerbare, d. h. für fast alle Frauen und Männer in einer bestimmten Altersgruppe und Lebenssituation zutreffende „Entwicklungsaufgaben“ (Havighurst 1972; Hofer
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2002) abzuleiten. Andererseits bleiben so auch die ganz persönlichen Entwicklungsaufgaben im Blick, die sich aus individuellen Schicksalen sowie Entscheidungen ergeben. Das Besondere an der Entwicklung in der Familie besteht schließlich darin, dass wir es hier mit einer Form der „Koevolution“ (Willi 2007) zu tun haben, denn Familienmitglieder entwickeln sich nicht nebeneinander, sondern beeinflussen sich unmittelbar und nachhaltig über die gesamte Lebenspanne. Ausgehend von den Beobachtungen der Interaktion von Säuglingen und Kleinkindern zunächst mit ihren Müttern und dann den weiteren Familienmitgliedern haben die Vertreter der Bindungstheorie (vgl. Grossmann & Grossmann 2014) das aktuell fruchtbarste psychologische Verstehensmodell familiärer Beziehungen erarbeitet, mit dessen Hilfe stärkende Verhaltensweisen und das daraus resultierende Erleben zu veranschaulichen sind. Auch diese Verhaltensweisen wiederum werden von den familiären Protagonisten nicht im luftleeren Raum verwirklicht, sodass neben der Beschreibung idealer Entwicklungsbedingungen in familiären Bindungen immer auch die sozio-kulturellen Umstände zu berücksichtigen sind, die es den Eltern bzw. Kindern erleichtern oder erschweren, füreinander in optimaler Weise zu sorgen. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf drei Brennpunkte familiären Lebens, um exemplarisch die Bedingungen und Möglichkeiten der Entwicklung in der Familie im Europa der Spätmoderne darzustellen: Am Anfang der Familienentwicklung steht (möglichst) ein Paar, das ein förderliches Milieu zum Aufwachsen seiner Kinder gestaltet und dies mit den sonstigen beruflichen und gesellschaftlichen Erwartungen und den persönlichen Vorstellungen der Partner verbindet (2). Später stehen Eltern vor der Aufgabe, ihre heranwachsenden Kinder gut vorbereitet in ein zunehmend selbstständiges Leben zu entlassen, diesen Kindern gegenüber die Elternrolle neu zu bestimmen sowie sich wieder verstärkt einander und ihren sonstigen Lebensthemen zuzuwenden (3). Immer häufiger schließt sich daran die Herausforderung an, die alt gewordenen Eltern in wachsendem Maße zu unterstützen und schließlich im Sterben zu begleiten. 2. Familie als Basis für einen sicheren Start ins Leben Eine neue Familie entsteht durch eine erste Geburt. Die Frau wird zur Mutter, der Mann ggf. zum Vater und das Paar zur Familie. Wie die beteiligten Frauen und Männer diese Veränderung erleben und welche Aufgaben sie zu bewältigen haben, variiert nicht allein entsprechend der individuellen Konstellation, etwa dem Alter und der sozialen Lage der Eltern oder der Gestalt des familiären Zusammenlebens. Auch die kulturellen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen bestimmen das Erleben und Verhalten mit: In Europa steigt das Erstgeburtsalter seit 40 Jahren deutlich an. Mütter in Westdeutschland sind bei der ersten Geburt durchschnittlich 29,2 Jahre, in Ostdeutschland 27,4 Jahre alt, wobei das Alter der nicht-ehelichen Erstgeburten etwa zwei Jahre darunter, der ehelichen Geburten zwei Jahre darüber liegt. Als wichtigste Erklärungshypothese werden veränderte Ausbildungs- und Berufseinstiegswege für Frauen und
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Männer herangezogen. Biologisch gilt Elternschaft in den frühen 20er-Jahren als optimal. Kulturell scheint es sich beim Herausschieben der ersten Schwangerschaft allerdings um eine erfolgreiche Anpassung an die gegebenen sozio-ökonomischen Gegebenheiten zu handeln: Sind die Mütter jünger als 25 und die Väter jünger als 29 Jahre, starten diese Familien im Durchschnitt mit „einer schlechteren Ressourcenausstattung, einem niedrigen Bildungsniveau, einer schlechteren Einbindung in den Arbeitsmarkt.“ Sie „sind seltener verheiratet und trennen sich häufiger vom Elternteil ihres ältesten Kindes“ (Cornelissen et al. 2013). Die psychologischen Auswirkungen auf die Entwicklung der Beteiligten (Kinder, Mütter, Väter) sind allerdings noch wenig systematisch aufgearbeitet. Psychologisch gesehen beginnt die Familienbildung nicht erst mit der Geburt, sondern mit der Schwangerschaft, weil ab diesem Zeitpunkt körperliche und psychische Prozesse einsetzen, die das familiäre Leben bereits vorbereiten. Wenn die Eltern ihre Rolle gefunden, Sicherheit in ihren Aufgaben erreicht und die Beziehung zum Kind und zueinander stabilisiert haben (etwa zwei Jahre nach der Geburt), gilt diese Phase der Familienbildung als abgeschlossen. Auf der intrapsychischen Ebene lautet die wichtigste Entwicklungsaufgabe für beide Eltern – allerdings je nach kultureller und sozialstaatlicher Tradition für Väter und Mütter in unterschiedlichem Ausmaß –, ihre Ressourcen dem Kind zur Verfügung zu stellen und die Erfüllung vieler eigener Bedürfnisse, ob kurz- oder langfristig erfüllbar, zurückzustellen. Ob, wann und in welcher Weise externe Unterstützungen (Großeltern, öffentliche Kindertagesbetreuung) in Anspruch genommen werden (können), um diese Ressourcenbindung zu kompensieren, hängt wiederum sowohl von eigenen Bildern einer „guten Mutter“ bzw. eines „guten Vaters“, von der Qualität der Paarbeziehung und der Einbindung in ein größeres – familiäres und außerfamiliäres – Beziehungsnetz, den materiellen Ressourcen, den sozialstaatlichen Rahmenbedingungen und den kulturellen Bildern in der jeweiligen Gesellschaft ab (vgl. BBAW 2012). Jüngere Forschungen machen deutlich, dass insbesondere der kulturelle Einfluss nicht unterschätzt werden sollte: So scheinen Mütter in Frankreich deutlich stärker ihre eigenen Bedürfnisse im Blick zu haben und entsprechend sehr selbstverständlich alle Hilfen in Anspruch zu nehmen, die ihnen die Geburt und das Leben mit dem Säugling möglichst erleichtern und flexibel gestalten. Sie gebären ihre Kinder überwiegend mit schmerzstillender Medikation, ernähren die Säuglinge mit der Flasche und nutzen alle Betreuungsmöglichkeit, um möglichst früh und vollzeit-beschäftigt in den Beruf zurückzukehren. Diese soziokulturellen Faktoren scheinen französische Eltern seit vielen Jahren die Entscheidung für ein Kind zu erleichtern, was sich in einer aktuellen Geburtenrate von 1,9 Kindern pro Mutter niederschlägt. In Deutschland gelten dagegen eine „Natürliche Geburt“ (die eine deutlich höhere emotionale Ausgangsbindung zwischen Mutter und Säugling zur Folge hat), das Stillen des Säuglings und mindestens ein, wenn möglich zwei bis drei Jahre starker (zeitlicher) Einschränkungen des beruflichen Engagements zugunsten der persönlichen Kinderbetreuung als erstrebenswert – und die Geburtenrate stagniert bei 1,3 (Dienel 2003). Besonders bemerkenswert erscheint, dass
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sich dieser kulturelle Trend in Deutschland wiederum in den neuen Bundesländern, in denen zu DDR-Zeiten die Vollzeit-Erwerbstätigkeit selbst mit mehreren Kindern üblich war, an die Wertvorstellungen und die Praxis in Westdeutschland angleicht (Baerwolf & Thelen 2008). Neben der neuen Rollenfindung in Partnerschaft, sozialem Umfeld und Beruf stellt der Beziehungsaufbau zum Neugeborenen die zweite entscheidende Entwicklungsaufgabe für junge Eltern dar. Entsprechend den zentralen Erkenntnissen der Bindungstheorie profitieren alle Beteiligten davon, wenn es gelingt, zunächst zwischen dem Säugling und der Mutter, später auch dem Vater eine „sichere Bindung“ aufzubauen (Grossmann & Grossmann 2014). Das Kind entwickelt im Unterschied zu einer „unsicher-vermeidenden“ oder „unsicher-ambivalenten“ Bindung im Laufe der ersten drei Lebensjahre eine interne Repräsentation der Verlässlichkeit zunächst der Mutter und danach weiterer Bezugspersonen. Gelingt eine sichere Bindung, baut schon der Säugling und später das Kleinkind auf diesen zuverlässigen emotionalen Schutz in Mangel- oder Bedrohungssituationen, später vor allem auch bei der Erkundung der Welt. Das Repräsentationsmuster der sicheren Bindung kann entstehen, wenn das Kind auf eine emotional aufmerksame, feinfühlige und anregende Mutter trifft. Feinfühligkeit als zentrale Kategorie wiederum benennt ein konkret beschreibbares elterliches Verhalten in der Interaktion mit dem Kind: Die Signale, mit denen das Kind seine Bedürfnisse anzeigt, werden angemessen gedeutet. Die Eltern und weitere (auch berufliche) Bezugspersonen sind in der Lage, auf diese Bedürfnisse zeitlich, inhaltlich und vor allem in der Kommunikation stimmig zu reagieren. Dazu benötigen sie selbst ausreichend innere und äußere Sicherheit und Gelassenheit sowie die notwendigen Ressourcen, sich vorübergehend ganz dem Kind zuzuwenden. Umgekehrt reagieren Säuglinge und Kleinkinder, die auf ein solches bindungsicherndes Verhalten treffen, überwiegend verlässlicher und tragen so ihrerseits zur Entspannung ihrer Bezugspersonen bei (Papastefanou & Hofer 2002, 179f.). 3. Familie im Übergang: Kinder auf dem Weg ins Erwachsenenalter und Eltern in der Mitte des Lebens Die Lebensphase der Familie mit Kindern im Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter hat sich in der spätmodernen Gesellschaft enorm verlängert. Während die biologische Pubertät immer früher beginnt und damit die hormonellen und in der Folge auch die körperlichen und hirnorganischen Umstellungen einleitet, zieht sich die eigene Existenzgründung der erwachsenen Kinder aufgrund der langen Ausbildung sowie des häufig schwierigen Berufseinstieges in die Länge. So ergibt sich eine Zeitspanne von zehn bis zu zwanzig Jahren, in denen sowohl die heranwachsenden und später bereits erwachsenen Kinder wie auch die Eltern in der Mitte ihres Lebens viele Umbrüche zu bewältigen haben. Gleichzeitig müssen sich die Positionen und Prozesse in der Familie wandeln. Die wichtigsten Lebensthemen für die Jugendlichen/jungen Erwachsenen in
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dieser Lebensphase lauten: Entwicklung der Ich-Identität, Gewinn einer Position im Gefüge der Gleichaltrigen, emotionale und wirtschaftliche Ablösung von der Herkunftsfamilie, schließlich Berufs- und Partnerwahl. Die Eltern wiederum haben die Aufgaben, ihre Kinder loszulassen und gleichzeitig im notwendigen Maße zu stützen, die entstehenden Freiräume zu nützen für die Rückbesinnung auf die eigenen Lebensthemen und sich wieder vornehmlich der eigenen Partnerschaft zuzuwenden – mit offenem Ausgang. Zugleich machen sie, insbesondere wenn sie aufgrund später Elternschaft diese Phase erst im fortgeschrittenen fünften oder sechsten Lebensjahrzehnt erleben, erste Erfahrungen mit der Begrenztheit des Lebens – sei es in den Bereichen Beruf oder Gesundheit oder weil sie in ihrem sozialen Umfeld mit den ersten Todesfällen konfrontiert werden. Gemeinsam müssen Eltern und Kinder auch den Charakter ihrer familiären Verbundenheit verändern: Im Vordergrund steht nicht mehr der ständige und selbstverständliche physische Kontakt. Vielmehr gilt es, aus dem Wissen um die familiäre Zugehörigkeit für alle Angehörigen angemessene Ausdrucksformen einer solchen „inneren Nähe bei äußerer Distanz“ (Tartler 1961, 12) zu entwickeln. Beide Generationen sind damit beschäftigt, die Statusveränderung von einem klaren Autoritätsverhältnis näher zu einer eigenen Art von Symmetrie zu vollziehen. Das bedeutet, dass sie erwachsen, also mit wechselseitigem Respekt und Einfühlung miteinander umgehen und dennoch Eltern und Kinder bleiben. Für die Eltern bedeutet dies vor allem, den Kindern wachsende Autonomie zuzugestehen und ihre Kontrollbedürfnisse zurückzunehmen (Klöckner et al. 2004). Bereits für 9–14-jährige Kinder hängt das Erleben eines guten Familienklimas davon ab, dass es den Eltern, und insbesondere den Müttern, gelingt, den Autonomiespielraum für die heranwachsenden Kinder Schritt für Schritt zu erweitern und KontrollWünsche durch Vertrauen zu ersetzen. Dieses Familienklima bewerten die heranwachsenden Kinder als äußerst wichtig für ihre Lebenszufriedenheit und damit für das Erleben einer sicheren Bindung in der durch radikale Veränderungen geprägten Pubertät (Konrad 2013). Dabei sind Gewährung von Autonomie und Rücknahme von Kontrolle nicht mit Desinteresse zu verwechseln: Gerade das Zusammenspiel eines hohen Maßes an familiärer Wärme mit einer Rücknahme der elterlichen Kontrolle beeinflusst das Wohlbefinden der frühpubertären Kinder in der Familie. Eine Kommunikationsqualität, bei der Eltern auf die Ausübung von Dominanz verzichten, gewährleistet, dass der Kontakt zwischen Kindern und Eltern in dieser für die weitere Entwicklung so wichtigen Lebensphase erhalten bleibt. Somit zeigt sich auch noch im frühen Jugendalter die Bedeutsamkeit des mit „Feinfühligkeit“ umschriebenen elterlichen Interaktionsverhaltens: Eltern, die gut auf die Bedürfnisse ihrer Kinder eingehen und der Bindung trauen, vermitteln diesen Kindern damit die notwendige Sicherheit für das Ausprobieren ihrer Existenz. Doch scheint dieser Spagat für Eltern in den mittleren Lebensjahren keine leichte Aufgabe: Vielfältig psychisch gefordert, einerseits einen einfühlsamen und zugleich sichernden Rückzug aus der Welt ihrer Kinder zu vollziehen und sich andererseits wieder um dringende eigene Lebensfragen sowie die Partnerschaft zu
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kümmern, reduziert sich die Lebenszufriedenheit der Mütter und Väter, anscheinend sogar stärker als in der Phase mit kleinen Kindern. Es gibt aber viele Anzeichen, dass es sich, solange ein stabiles Fundament existiert, um eine vorübergehende Begleiterscheinung der vielfältigen familiären Transformationsprozesse in diesem Lebensabschnitt handelt (Stegmann & Schmitt 2006). Gelingt die Aushandlung zwischen Eltern und ihren erwachsen werdenden Kindern in den Dimensionen Verbundenheit, Kommunikation, Autonomie und Kontrolle, so entwickelt sich ein Beziehungsmuster, das allen Beteiligten genügend Freiraum ermöglicht und zugleich Verlässlichkeit bietet, im Bedarfsfall materielle, vor allem aber emotionale Unterstützung zu geben und zu erfahren. 4. Neupositionierung in der filialen Krise Die „Gesellschaft des langen Lebens“ bringt insbesondere in Europa, Asien und Nordamerika einen völlig neuen Familientypus mit vier oder sogar fünf gleichzeitig lebenden Generationen hervor. Zugleich schrumpfen und altern, bedingt durch den Geburtenrückgang in diesen Gesellschaften seit etwa 40 Jahren, sowohl die Familien als auch die Gesellschaften. Das bedeutet zum einen eine wachsende Wahrscheinlichkeit für die Alten, zum Lebensende aufgrund eines allmählichen Nachlassens ihrer Kräfte bis hin zu einer verlängerten Sterbephase auf länger dauernde Unterstützung angewiesen zu sein. Zum anderen sind Familienangehörige in neuer Weise mit der Sorge und Pflege gefordert. Partner, die die Hauptlast der Pflege tragen, sind häufig ebenfalls schon hinfällig, und für die oftmals einzige Tochter oder den einzigen Sohn konkurriert die familiäre Sorge für die alten Eltern mit anderen Lebensplänen und Verpflichtungen gegenüber der nächsten oder gar übernächsten Generation. Neben diesem demografischen Trend spielen zumindest in West- und zunehmend auch in Mittelost-Europa weitere makrosoziale Entwicklungen eine Rolle: Aufgrund der häufig beruflich bedingten Mobilität leben alt werdende Eltern und ihre Kinder häufig geografisch weit auseinander. Wie die alt gewordenen Eltern und ihre ebenfalls nicht mehr jungen Partner bzw. (Schwieger)kinder die Synchronisierung von Bedürfnissen, wechselseitigen Erwartungen und Handlungsstilen schaffen, wird in der Familienpsychologie unter den Begriffen „filiale Krise“ bzw. „filiale Reife“ thematisiert. Dabei ist die Lage der „Cure- und Caregivers“, d. h. der geforderten (Schwieger)töchter und (Schwieger) söhne besser erforscht als das Erleben der hoch-alten Hilfeempfängerinnen oder der Beziehungsprozess zwischen beiden. Bekannt ist, dass das höhere Erwachsenenalter mit dem drohenden oder bereits vollzogenen Eintritt elterlicher Pflegebedürftigkeit als Lebensphase „mit der negativsten emotionalen Wertigkeit“ empfunden wird (Perrig-Chiello 2014, 2). Pflegende (Schwieger)kinder erleben nicht nur den Konflikt zwischen den Ansprüchen der Eltern und ihren sonstigen Rollen und Bindungen. Sie sehen sich teilweise von Neuem in ungelöste familiäre Konflikte (etwa Geschwisterrivalitäten um die Gunst
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der Eltern) verstrickt. Sie müssen ihre Vorstellung von der Kooperationsbereitschaft der alten Generation mit den Erwartungen und dem (nicht immer realen) Selbstbild der Eltern abstimmen. In der Folge können sie nicht einfach ihre Handlungsstrategien zur Versorgung der Eltern durchsetzen und müssen doch in letzter Konsequenz sowohl im körperlichen als auch im immateriellen Bereich manchmal massiv in die Welt ihrer Eltern – zum Teil gegen deren Willen – eingreifen. Dabei geht es oft auch um den Einsatz professioneller Dienste, die die Sorge und Pflege der Angehörigen zumindest unterstützen oder ersetzen können. Dies betrifft stationäre und ambulante Pflegedienste oder zunächst vielfältige haushaltsnahe Dienstleistungen, aber auch Unterstützung in der Regelung der persönlichen Angelegenheiten der Eltern. Neben der Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit spielt hier die kulturelle und persönliche Akzeptanz fremd geleisteter Unterstützungsarrangements eine Rolle. Es kommt in den generationenübergreifenden Pflegebeziehungen zu einer gewissen Rollenumkehr, und dennoch bleiben die Töchter und Söhne Kinder ihrer Eltern mit den aus der Kindheit mitgebrachten Bildern dieser Beziehung. Erleichternd wirkt, wenn die Kinder im Laufe des Lebens eine gewisse „filiale Reife“ (Bruder 1988) entwickelt haben, d. h. eine emotionale Klarheit, die es ihnen ermöglicht, mit den hilfebedürftigen oder am Ende gar hilflosen Eltern funktionsgerecht umzugehen und die möglichen biografischen Verwicklungen kontrollieren zu können. Dennoch bleibt die Spannung zwischen innerer und gesellschaftlich-normativer Hilfeverpflichtung einerseits und Autonomiebestreben sowie eigenen beruflichen und familiären Verpflichtungen andererseits bestehen. Die Ambivalenzen zwischen Verfügungsbereitschaft und Abgrenzung sowie zwischen der Pflicht zum Starksein in der Sorge und der Trauer um den Verlust der Eltern müssen ausgehalten werden (Dieris 2006). Die Seite der bedürftigen Eltern kommt, wie schon erwähnt, in der Forschung noch wenig vor. Für sie mischt sich die letzte Entwicklungsaufgabe, nämlich der Abschied vom Leben (ggf. vorher schon aufgrund einer demenziellen Erkrankung die Verarbeitung des Verlustes der allmählichen geistigen Kontrolle) mit der Notwendigkeit, Verfügung über das eigene Leben zunehmend abzugeben. Sie müssen sich anderen Menschen – und seien es die eigenen Kinder und oder auch professionelle Helfer – bedingungslos anvertrauen, mit deren Verhalten sie in einer solchen Situation der Schwäche noch keine eigene Erfahrung gemacht haben. Dieris (2006) entwirft auf der Basis einer qualitativen Studie mit pflegenden Töchtern und Söhnen ein Modell „filialer Neupositionierung“, das Kontinuität und Wandel im Verhältnis der alt werdenden Kinder und ihrer hochalten Eltern zu berücksichtigen versucht: Dabei ist zunächst einmal die Bedeutung der strukturellen und familiendynamischen Rahmenbedingungen zu beachten: Der körperliche und geistige Gesundheitszustand aller Beteiligten spielt ebenso eine Rolle wie die örtliche und zeitliche Verfügbarkeit, aber auch die lebenslang entwickelten Beziehungsund Kümmermuster in der Familie. Zu differenzieren ist die Situation nach erforderlichen Interventionen in die elterliche Selbstbestimmung. Das beginnt mit – häufig erwünschten – einfachen Hilfestellungen und führt bis zur – häufig konfliktbelasteten
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– Entscheidungsübernahme und kompletten körperlichen Pflege. Unter Berücksichtigung dieser Bedingungen ist zu fragen, ob die bestehenden äußeren Anforderungen und in den bestehenden Hilfearrangements zu bewältigen sind und es über eine längere Zeit bleiben können und ob es die lebenslang entwickelten Beziehungsmuster ermöglichen, das in diesem Fall am besten passende Pflegearrangement unter Einbeziehung möglicher interner (Geschwister etc.) oder externer Helfer zu entwickeln. Es wird deutlich: Familiäre Pflege unterliegt mittlerweile ebenso der Aushandlung wie vorherige familiäre Entwicklungsaufgaben. Ob dieser Prozess gelingt, hängt ebenso von der Entwicklungsgeschichte der Familie ab wie von den Möglichkeiten aller Beteiligten, sich entsprechend den Anforderungen einer solchen Sorgesituation selbst weiter zu entwickeln. Perrig-Chiello (2014) weist mit Bezug auf die Bindungsforscher Grossmann und Grossmann (2014) darauf hin, dass „sich frühkindliche Beziehungserfahrungen auf die Eltern-Kind-Beziehungen in späteren Lebensphasen auswirken.“ Sie vermutet, dass pflegende Kinder, die in früher Kindheit durch das Verhalten der Eltern sichere Bindungsrepräsentationen aufbauen konnten, später den „betagten Eltern gegenüber ein höheres Maß an Verpflichtung, Hilfsbereitschaft, emotionaler Unterstützung“ (4) entgegenbringen können. Allerdings liegt auch hier eine reziproke Erweiterung einer solchen einseitigen Bindungsmuster-Vorstellung nahe: Frauen und Männer, die in der frühen Phase des Familienlebens den kleinen Kindern gegenüber feinfühliges und kooperatives Verhalten realisieren und damit eine sichere Bindung aufbauen können, könnten auch im hohen Alter als Pflegebedürftige dazu beitragen, dass die Synchronisierung des Pflegeverhaltens unter Berücksichtigung der Bedürfnisse beider Beteiligten besser gelingt. Wo wiederum Rollen, Erwartungen, Kompetenzen nicht festgeschrieben, sondern erst zu entwickeln sind, spielt Beratung eine wachsende Rolle. Aus den ersten Zwischenberichten zur Evaluation der in Deutschland mittlerweile gesetzlich verankerten Pflegeberatung in Pflegestützpunkten wird deutlich, dass nicht allein organisatorische, finanzielle und pflegetechnische Probleme, sondern in wachsendem Maße auch Fragen zum Verhältnis zwischen Pflegebedürftigen und ihren pflegenden Angehörigen im Zentrum des Beratungsgeschehens stehen. 5. Schluss Eine gute Entwicklung der Familie und in der Familie baut immer weniger auf tradierte kulturelle Muster. Die vielen Veränderungen in den Lebensformen und Lebensbedingungen verlangen von allen Mitgliedern die Bereitschaft, achtsam und feinfühlig miteinander umzugehen, sich gegenseitig die notwendigen Freiräume zuzugestehen und zugleich tragfähige Formen des Zusammenhalts weiterzuführen. Menschen wollen weiterhin in Familien leben und Familien gründen. Sie brauchen Ermutigung, sich aufeinander einzulassen und Unterstützung, um die notwendigen Ressourcen für die gegenseitige Zuwendung aufbringen zu können.
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Feinfühligkeit, Selbstvertrauen, Orientierung Erfahrungen und Reflexionen zur elterlichen Kompetenz in der Spätmoderne aus der Sicht der Erziehungsberatung (Erhalten: 8. April 2015; angenommen: 15. September 2015)
Seit gut 50 Jahren wurde in Deutschland flächendeckend Erziehungsberatung als niederschwelliges Angebot der Jugend- und Familienhilfe aufgebaut. Drei in dieser Aufgabe tätige Sozialarbeiter benennen aus ihrer Erfahrung die aktuellen Erziehungsfragen und -probleme angesichts einer enttraditionalisierten, pluralen und individualisierten Umwelt. Sie ermutigen Mütter und Väter, nicht vor dieser offenen Situation zu kapitulieren, sondern als Eltern Präsenz zu zeigen und ihre heranwachsenden Kinder in einer nicht-gewaltsamen Weise mit Werten, Normen, eigenen Erwartungen und Wünschen zu konfrontieren. Dies kann vor allem dann gelingen, wenn Eltern von Beginn an auch in schwierigen Situationen gute Bindungen zu ihren Kindern aufbauen können. Beispiele für eine Bindung fördernde, präventive Beratung und Begleitung schließen den Beitrag ab. Schlüsselbegriffe: Erziehungsberatung, Bindung, elterliche Präsenz, Spätmoderne, Autorität, Prävention Empathy, Self-Confidence, Orientation: Parental Competence in Late Modernity from the Perspective of Educational Counselling in Germany: Experiences and Reflections: As an easily accessible service of youth and family protection, educational counselling has been available throughout Germany for over fifty years. Three social workers active in that field share on the basis of personal experience what they perceive as current pedagogical issues and problems stemming from a pluralistic, individualised environment that has lost its traditions. The authors encourage mothers and fathers not to resign to this open situation but to be present as parents and non-violently to confront their adolescent children with values, norms, their own expectations and desires. This can be most successful if parents can, from the beginning, develop a strong bond
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ontaktautor: Paul Glar, Caritas Familienberatung Aachen, Beratung und Hilfe für Schwangere, Familien, K Eltern, Kinder, Jugendliche und Fachkräfte, Reumontstraße 7a, D-52064 Aachen, Deutschland; PGlar@ familienberatung.caritas-ac.de.
ISSN 1788-4934 © 2015 Semmelweis University Institute of Mental Health, Budapest
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with their children even in difficult situations. The study is concluded with examples of preventive advising and counselling that enhances bonding. Keywords: educational counselling, bonding, parental presence, Late Modernity, authority, prevention
1. Einleitung Erziehung der nächsten Generation stellt eine der wesentlichen Aufgaben der Familie dar. Es gilt, die Kinder in der Entwicklung psychischer Stabilität, einer Wertegrundlage, kommunikativer, emotionaler und intellektueller Fähigkeiten zu unterstützen und sie bis zum allmählichen Erwerb der Selbstständigkeit zu geleiten. So lautet zumindest die gegenwärtige Anforderung an die Eltern, und immer wieder scheitern Eltern an dieser Aufgabe. Angebahnt durch die amerikanische Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Deutschland in den 50er- und 60er-Jahren nach dem Muster der amerikanischen „Child-Guidance-Kliniken“ flächendeckend Erziehungsberatungsstellen aufgebaut, die zunächst vor allem bei neurotischen Störungen der Kinder sowie bei Schulversagen aufgesucht wurden. Mittlerweile haben sich dies Stellen zu multiprofessionellen Unterstützungseinrichtungen für Kinder, Jugendliche und Eltern weiter entwickelt, in denen Stärkung verunsicherter Eltern, Beratung bei Erziehungsfragen im familiären und professionellen Kontext ebenso angeboten werden wie Hilfe für Kinder und Jugendliche mit Problemen bei der Lösung der anstehenden Entwicklungsaufgaben. Der folgende Beitrag verarbeitet vielfältige Erfahrung mit Familien, die die Hilfe der Beratungsstellen in Anspruch nehmen, zur Analyse gegenwärtiger familiärer „Stressfaktoren“ und zu Empfehlungen, worauf es in der Begleitung verunsicherter, belasteter oder gescheiterter Familien ankommt. 2. Fünf gesellschaftlich-kulturelle Stressfaktoren für Familien heute a) Der seit Mitte der 1980er-Jahre beschriebene Wertewandel (Beckers & Wittrahm 1993) führt im persönlichen und familiären Kontext etwa zu folgenden Konsequenzen: Die Einstellungen und Werte der Vorgängergeneration werden von der folgenden Generation nicht einfach übernommen („Enttraditionalisierung“). Sie haben in der Gegenwart – und damit offenbar auch für die Zukunft – nur noch eine eingeschränkte Relevanz. Sicherheit und Bodenständigkeit haben Flexibilität und Mobilität Platz gemacht; die Übernahme etwa des Betriebes oder der Profession der Eltern stellen die Ausnahme dar. Durch die Globalisierung der Welt scheint jedem Menschen alles offen und zur Verfügung zu stehen. Wir Heutigen leben mit dieser Perspektive, die in früheren Zeiten mit „Jeder ist seines Glückes Schmied“ und im 20. Jahrhundert durch die amerikanische Option „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ beschrieben wurde. Das Ganze hat seine KehrEJMH 10:2, December 2015
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seite. Wenn für jeden alles möglich ist, wie findet der Einzelne da seinen eigenen Weg? Stressfaktor Eins lautet: Viele Menschen verlieren sich bei den scheinbar unbegrenzten Wahlmöglichkeiten im Nichts! b) Der Philosoph Martin Buber (1948, 14) zitiert in seiner kurzen Abhandlung „Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre“ den „Seher“ von Lublin: „Jedermann soll wohl achten, zu welchem Weg ihn sein Herz zieht, und dann soll er sich diesen mit ganzer Kraft erwählen.“ Er führt weiter aus: „Wir haben hier eine Lehre vor uns, die auf der Tatsache aufgebaut ist, dass die Menschen in ihrem Wesen ungleich sind, und die demgemäß sie nicht gleichmachen will“ (13). Was aber an einem Menschen ‚kostbar’ ist, kann er nur entdecken, wenn er sein stärkstes Gefühl, seinen zentralen Wunsch, das in ihm, was sein Innerstes bewegt, wahrhaft erfasst“ (15). Stressfaktor Zwei lautet: Sowohl Eltern wie auch Kinder haben keine Zeit und keine Muße, ihr „Innerstes“ zu erfassen. c) Die Vermittlung von Werten und Alltagskompetenz hat sich von der Familie weg nach außen verlagert: Eine wahre Flut von Experten und Medien, die sich mit dem Leben von Familien befassen, produzieren ständig Empfehlungen und Ratschläge, – was Familien angeblich brauchen, um zufrieden und glücklich zu sein und – was sie ihren Kindern angedeihen lassen sollen oder gar müssen, damit diese zufriedene, selbstbewusste und kreative Mitbürger einer offenen Gesellschaft sein können. Stressfaktor Drei lautet deshalb: Es gibt eine Flut an Informationen und Empfehlungen für Eltern, die durch den Dschungel der Alles-oder-Nichts-Möglichkeiten helfen sollen, stattdessen aber ihrerseits zur massiven Verunsicherung führen. d) Lange stand die Bildung im Fokus der öffentlichen Diskussion und wurde gar als Allheilmittel zur Überwindung gesellschaftlicher Exklusion propagiert. Mittlerweile wird deutlich, dass dieser Bildungsbegriff, den auch die OECD mit ihrer PISAStudie in den letzten Jahren befördert hat, zu sehr auf schulische Bildung und damit auf kognitives Know-how eingeschränkt wurde. Erste Versuche, z. B. „Glück“ als Schulfach einzuführen, weisen auf die Notwendigkeit hin, den Bildungsbegriff weiter zu fassen und auf die gesamte Persönlichkeit des Kindes zu erweitern. Stressfaktor Vier: Kultur in Familien und Inhalte und Methoden von Erziehung sind zu stark in den öffentlichen Einfluss im Interesse der Sicherung des „Humankapitals“ geraten. e) Wenn Eltern berufstätig sind, sind sie darauf angewiesen, ihre Kinder bereits mit einem oder zwei Jahren extern betreuen zu lassen. Früh machen Kinder deshalb Erfahrungen in Gruppen mit Erwachsenen, die nicht die Eltern sind, und werden damit Einflüssen ausgesetzt, die außerhalb der Familie liegen. Diese nehmen ihrerseits von Beginn an Einfluss auf die Gestaltung der Familienkultur. Eltern erleben wiederum, dass sie nicht alleine das Erziehungsgeschehen bestimmen. Stressfaktor Fünf: Familienleben wird zunehmend beeinflusst durch Experten, denen sich die Eltern nicht gewachsen fühlen. Nachdem mancher vorher bereit war, durch Bildung die Kinder ihren Fami-
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lien zu entfremden, tritt aktuell die Notwendigkeit der frühen Bindung zwischen dem Kind und „seinen Bezugspersonen“ in den Blick. Doch auch hier weisen die Experten darauf hin, dass moderne Eltern keine eigenen Erfahrungen mehr haben, wie bestimmte Grundlagen von Bindung – Handling des Kindes, mütterliche (elterliche?) Feinfühligkeit, Balance zwischen Bedürfnissen des Kindes und denen der Bezugspersonen etc. – zu realisieren sind. Deshalb muss man „Experten“ wie dem Erziehungspsychologen Dollase (2008) für ihren Hinweis danken, dass es für Erziehung kein Expertentum geben kann. Jesper Juul, der dänische Familientherapeut gesteht zwar zu, dass es für Eltern sinnvoll ist, sich „Rat einzuholen, wenn sie im Zweifel sind: . . . Eltern sind also darauf angewiesen, sich auf die vielen Bücher zum Thema oder auf ein paar wenige Menschen zu stützen, denen sie vertrauen“ (2012, 99). Doch ersetzt die Empfehlung nicht die eigene Auseinandersetzung, denn dann müssen Eltern sich zu einer eigenen Haltung durchringen und im Zusammenspiel mit den Kindern ihre Erfahrungen sammeln, um immer wieder notwendige Korrekturen durchzuführen. Die heutigen Eltern sind in dieser Hinsicht echte Pioniere, mit denen die Fachleute (Juul 2012, 99) oft nicht Schritt halten können.
3. Haltung oder Methode – wie Eltern auf die spätmodernen Einflüsse reagieren und wie Berater sie dabei begleiten können Die oben beschriebenen kulturell-gesellschaftlichen Einflüsse, zu denen eine deutlich zunehmende Inanspruchnahme der Eltern durch außerhäusliche berufliche Verpflichtungen wie auch Unterhaltungsangebote und ein veränderter medialer Einfluss auf die Kinder hinzutreten, führt dazu, dass Erziehungsberater häufig auf verunsicherte Eltern treffen, die von einer ausgeprägten familiären Eskalationsdynamik im Zusammenleben mit ihren Kindern berichten. Sie sind sozusagen orientierungslos geworden und auf der Suche nach einer neuen Haltung innerhalb der Familie. In solchen Fällen zeigt sich, dass eine Veränderung trotz manifester negativer Entwicklung mithilfe des Konzepts der „Neuen Autorität“ von Haim Omer und Arist von Schlippe (2004) erzielt werden kann. Dabei geht es um die Wiedererstarkung der elterlichen Präsenz. Der Ansatz besticht durch Plausibilität und Umsetzbarkeit und vermittelt sowohl eine pädagogische Haltung als auch methodische Anleitungen. Jedoch greift das spezifische methodische Vorgehen nur, wenn die hintergründige Haltung passt. In der Erziehungsberatung bewährt sich das Konzept der „Neuen Autorität“ vor allem bei der Beratung von Eltern, deren Kinder deutliche Verhaltensprobleme zeigen, und hilft bei der Stärkung der elterlichen Präsenz und dem Aufbau deeskalierenden Vorgehens. Eltern fühlen sich bei erheblich auffälligem Verhalten ihrer Kinder oft machtund hilflos und mit diesem Gefühl kommen sie in die Beratung. „Wir haben schon alles ausprobiert, nichts hilft“, wird oft gesagt. Es stellt sich dann heraus, dass ihre EJMH 10:2, December 2015
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Präsenz als Eltern nachgelassen hat. Je hilfloser sie sich fühlen, desto weniger können sie ihre Kinder erreichen. Hier gilt es, anzusetzen: Eltern können sich durchaus trauen, ihre Ansichten und Erwartungen zu formulieren, wieder mehr Haltung zu zeigen, selbstverständlich gewaltfrei und in Akzeptanz einer autonomen Persönlichkeitsentfaltung der Kinder. Sie können Kontakt halten, Protest zeigen und Unterstützer suchen. Bei schwierigen Familienkonflikten wird das Problem häufig im kleinsten Kreis gehalten. Vielleicht schämen sich die Eltern, vielleicht glauben sie, es gehe keinen etwas an, vielleicht empfinden sie das Eingestehen der Probleme als Schwächung der eigenen Position. Wir ermuntern zum Gegenteil. In den Gesprächen mit den Eltern wird nach Unterstützern im Familienumfeld, Freundeskreis und darüber hinaus gesucht. Den Kindern gegenüber soll das sehr transparent gehalten werden. Sie sollen beispielsweise wissen, dass die Eltern sich über deren problematisches Verhalten mit Großeltern, Verwandten oder Freunden oder anderen relevanten Personen unterhalten. Es macht einen psychologischen Unterschied für Jugendliche aus, wenn ihnen bewusst ist, dass Personen aus dem Umfeld ihr Verhalten kennen (z. B. Kriminalität, Dogenkonsum, eskalierende Konflikte usw.), dass nichts geheim gehalten wird. Mitunter beginnt damit schon Veränderung im Bewusstsein und in der Selbstreflexion. Dabei geht es nicht um Bloßstellung, sondern um Wirkfähigkeit in gravierenden Problemlagen mit Jugendlichen und Kindern. Manche Eltern sagen den Kindern nicht, dass sie sich in der Beratungsstelle Unterstützung holen. Aber auch das soll transparent sein und deutlich machen: „Wir akzeptieren die Konflikte nicht, wir tun etwas dagegen.“ Eine solche Transparenz unterstreicht die elterliche Präsenz. Die Unterstützer aus dem Umfeld sollten am besten so weit für die Situation gewonnen werden, dass sie ihrerseits Kontakt zu dem Kind oder Jugendlichen halten, nachfragen, Statements äußern, verbal oder per Brief. Ein Brief ist heutzutage eine eher unübliche Kommunikationsform zwischen Eltern und Kindern. Gerade deshalb wird dazu ermuntert. Dieser Hinweis führt zu den methodischen Elementen in der Arbeit an der elterlichen Haltung. Wir raten, dem betreffenden Kind oder Jugendlichen einen Brief zu schreiben. Ein deeskalierender Effekt dabei ist, dass Schreiben und Lesen außerhalb der aktuellen Konfliktsituation stattfinden, in der der Austausch von schnellen Worten wirkungslos bleibt. Durch einen Brief ist der Faktor Zeit herausgenommen, er kann weggelegt werden, später noch einmal in die Hand genommen werden. Er kann, falls zerrissen, noch einmal geschrieben werden. Manchmal wirkt er langsam. Er soll etwas ins Bewusstsein bringen, das im „lauten Konflikt“ mitunter verloren gegangen ist. Die geschriebenen Worte erreichen einen Jugendlichen im besten Fall in einer Situation, in der der Konflikt aktuell eben nicht hochkocht. Haim Omer hat hierzu das Schlagwort geprägt: Schmiede das Eisen, wenn es kalt ist (Omer & von Schlippe 2004, 59). Außerhalb der Eskalation sind Kinder und Jugendliche nämlich erreichbarer. Und diese an sich simple Feststellung soll zum Prinzip gemacht werden. Ein wesentliches Element in der neu zu erarbeitenden elterlichen Haltung und
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Präsenz ist die Ankündigung. Sie bezieht sich auf einen Zeitpunkt außerhalb der akuten Konfliktsituation und soll die Haltung wiederum verdeutlichen. Die Ankündigung kann auch innerhalb eines verbalen Streits deeskalierend wirken und für die Eltern selbst den akuten Druck der gewünschten sofortigen Wirksamkeit reduzieren. Ungefähr folgender Inhalt soll dabei kommuniziert werden: „Ich weiß, dass ich Dich gerade in unserem Streit bzw. in der Problemsituation nicht erreichen kann, aber sei gewiss, ich werde darauf zurückkommen.“ Anschließend müssen Eltern sich natürlich selbst ernst nehmen und tatsächlich eine Form finden, die Situation wieder aufzugreifen. In der Beratung helfen wir dabei. Zurück zur schriftlichen Ankündigung: Persönliche Worte werden sehr individuell formuliert. Im Folgenden wird nüchtern zusammengefasst, welche inhaltlichen Aspekte Berücksichtigung finden sollen: – Wir sind in Sorge um Dich, Wir lieben Dich, weil wir Deine Eltern sind. – Wir nehmen wahr: z.B. Fehlzeiten in Schule, Verweigerung, Angst, Gewalt, Mobbing usw. – Wir werden Folgendes machen: Kontakt aufnehmen mit z.B. Verwandten, Freunden, Beratungsstelle, Jugendamt, Schule usw. – Wir werden achten auf: z. B. Dein weiteres Verhalten, Deine Reaktionen … und werden Protest zeigen durch … – Wir werden Dich wiederholt Ansprechen auf … – Wir werden präsent sein durch … – Wir werden Dich nicht zwingen! – Du bist uns wichtig! In den Gesprächen darüber ist oft zu merken, dass Eltern mit dem oben beschriebenen Gefühl der Handlungsunfähigkeit kommen und mit dem Gefühl gehen, dass sie doch noch Dinge tun können. Dieses Gefühl gilt es beizubehalten, denn daraus entwickelt sich die Haltung einer erstarkten elterlichen Präsenz. Weitere gemeinsame Überlegungen in den Elterngesprächen gelten der Frage, welche Persönlichkeits- und Beziehungsaspekte sie denn verstärkt wünschen. Dabei geraten wir dann im besten Fall in selbstkritische Überlegungen. Kinder und Eltern sollen durch die Beratung durchaus ins Nachdenken kommen – die Kinder durch eine veränderte, erstarkte Haltung der Eltern und Eltern ermöglichen wir manchmal eine neue Sicht auf ihre Möglichkeiten durch folgende Metapher: Zwei Wölfe – Ein alter Indianer saß mit seinem Enkel am Lagerfeuer. Der Alte sagte nach einer Weile: „Weißt Du, im Leben ist es oft so, als ob zwei Wölfe im Herzen miteinander kämpfen. Einer der beiden ist rachsüchtig, aggressiv und grausam. Der andere hingegen ist liebevoll, sanft und mitfühlend.“ „Welcher der beiden gewinnt den Kampf um das Herz?“, fragt der Junge. „Der Wolf, der gefüttert wird“, antwortet der Alte (Quelle unbekannt).
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4. Präventive Angebote zur Eltern-Stärkung 4.1. Offene Sprechstunden in Kindertageseinrichtungen und Schule Kinder zu erziehen ist sicher eine der schwierigsten und zugleich schönsten Aufgaben, die man sich im Leben stellen kann. Es erfordert viel Liebe, Kraft und Auseinandersetzungsfähigkeit. Eltern fühlen sich oft allein gelassen und überfordert mit ihren eigenen und den gesellschaftlichen Erwartungen, Kinder möglichst optimal auf den Weg zu bringen. Damit Eltern gelassener und sicherer im Umgang mit ihren Kindern werden, brauchen sie frühzeitig Angebote, damit Schwierigkeiten erst gar nicht entstehen oder eskalieren. Das heißt auch, dass Institutionen, wie z. B. eine Erziehungsberatungsstelle, dort präsent sein sollten, wo Eltern und Kinder viel Zeit verbringen, wie in Kindertagesstätten oder Schule. Aus diesem Grund bietet die Erziehungsberatung in KiTa und Schulen offene Sprechstunden und Gesprächskreise rund um die Themen Erziehung und Familie an. Dabei ist es wichtig, dass diese Angebote als selbstverständliche Form der Unterstützung wahrgenommen werden. Eltern sollen sich nicht stigmatisiert fühlen, wenn sie sich Hilfe holen oder Fragen haben, sondern es als hilfreich erfahren, wenn sie im Dialog mit den Beratern sind. Dies gilt übrigens auch für Multiplikatoren, wie ErzieherInnen oder LehrerInnen. Prävention ist keine Methode, sondern eine Haltung. Diese Haltung, sich frühzeitig um Hilfe und Unterstützung zu kümmern, muss gesellschaftlich noch erheblich mehr anerkannt und zur Normalität werden. Die täglich geleistete Erziehungsarbeit von Eltern sollte mehr gewürdigt werden und die Bedingungen dafür verbessert werden. Trotz enger werdender finanzieller Ressourcen auch von öffentlichen Institutionen z. B. der Kinder- u. Jugendhilfe sollte der präventive Aspekt mit im Fokus stehen. Netzwerkarbeit ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig, um die Kapazitäten zu bündeln und neue Ansätze und Möglichkeiten der präventiven Arbeit auszuloten. Ein solches Beispiel der rechtzeitigen, offenen und niederschwelligen Unterstützung stellt das Café Juwel dar. 4.2. Café Juwel Die Geburt eines Kindes stellt für Eltern ein lebensveränderndes Ereignis und eine große Herausforderung dar. Diese neue Rolle einzunehmen und zu füllen, ist unter den heutigen Lebensbedingungen nicht einfach. Die Groß- oder Herkunftsfamilie als Halt, Modell und Unterstützung fehlt in vielen Fällen und somit sind viele Eltern auf sich allein gestellt. Durch die Resultate der Bindungsforschung, nach der ein „biologisch festgelegtes Bindungsverhaltenssystem das Überleben und die psychische Gesundheit des Kindes garantiert“ (Cierpka 2014) ist belegt, wie wichtig ein guter Start ins Leben für Kinder und Eltern ist (vgl. auch Brisch 2014). Das Wissen darum hat in den
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letzten Jahren das Bemühen um frühe präventive Unterstützungsansätze für Eltern verstärkt. Mit dem Projekt Café Juwel (dies steht für Junge werdende Eltern) hat die Erziehungsberatungsstelle ein Angebot für junge volljährige Mütter/Väter zwischen ca. 18–22 Jahren, die teilweise in schwierigen Verhältnissen leben, entwickelt. Der häufig erste Kontakt zu dieser Altersgruppe verläuft über die Schwangerschaftsberatungsstelle, mit der das Projekt in Kooperation stattfindet. Das Café Juwel ist ein offener Treff für Eltern und ihre Säuglinge, begleitet durch zwei Fachberaterinnen. In zwangloser Frühstücksatmosphäre lernen die Eltern andere Mütter und Väter in ähnlichen Situationen kennen und knüpfen unverbindlich untereinander und zu den Beraterinnen Kontakt. Gleichzeitig erleben sie, wie andere Mütter/Väter mit ihren Säuglingen umgehen und erfahren in konkreten Situationen sehr viel über die Signale und Bedürfnisse von Säuglingen. Es sind oft viele kleine Situationen, wie z. B. die Flasche geben oder das scheinbar unmotivierte Schreien des Säuglings, die Anlass bieten, mit Müttern/Vätern über deren eigene Befindlichkeit und Rolle ins Gespräch zu kommen. So kann die Wichtigkeit ihrer Bindung bezogen auf den Säugling thematisiert werden und die Signale und Bedürfnisse des Säuglings besser eingeordnet werden. Somit kann ein einfühlsamer Umgang erfahren und eingeübt werden. Diese Erfahrung gibt den Eltern mehr Sicherheit im Umgang mit den Kindern und die erlebte Kompetenz erzeugt eine positive Grundstimmung, die sie auch schwierige Alltagssituationen besser meistern lässt. Die Beraterinnen verstehen sich als unaufdringliche offene und ressourcenorientierte Begleiter, die den Müttern/Vätern mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ihre Kunst ist es, den jungen Eltern so viel Hilfe wie nötig und so wenig Hilfe wie möglich zur Verfügung zu stellen. Unterstützt wird das Fachteam auch durch eine Familienhebamme, die einmal monatlich und bei Bedarf zur Verfügung steht. Der Treff bietet den Müttern/Vätern die Möglichkeit, aus ihrer teilweise vorhandenen Isolation herauszukommen und sich mit Gleichgesinnten zu treffen, auszutauschen, sich zu unterstützen und vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. In dem Cafétreff werden die jungen Eltern aber nicht nur auf ihre Rolle als Eltern reduziert, sondern die altersentsprechenden Themen finden ebenfalls Platz, wie z. B. Partnerschaftsprobleme, Probleme mit der Herkunftsfamilie, ihre Rolle im Freundeskreis, Schul- und Berufsausbildung, Freizeitverhalten, persönliche Probleme, Zukunftsgestaltung uvm. Die Kompetenz des psychosozialen Netzwerkes wird dazu genutzt, den jungen Müttern/Vätern hilfreiche Wege aufzuzeigen. Über das offene Café Angebot hinaus haben die Mütter/Väter die Möglichkeit der Einzelberatung durch die Erziehungsberatung bzw. auch die Möglichkeiten an dem Elternkurs „Ich bin nicht alleine“ teilzunehmen.
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4.3. Elternkurs „Ich bin nicht allein“ „Ich weiß nicht, wie meine fünfjährige Tochter Lena es immer wieder schafft, dass ich nachgebe und es mir schwer fällt Grenzen zu setzen. Ich ärgere mich dann sehr über mich und auch über meine Tochter. Dann brülle ich auch schon mal rum und höre mich an, wie meine eigene Mutter. Also so, wie ich nie sein wollte. Deshalb möchte ich jetzt was ändern, bevor es zu spät ist,“ sagt Frau P., Teilnehmerin des Elternkurses „Ich bin nicht allein“, den die Erziehungsberatungsstelle anbietet. Der Kurs richtet sich an Eltern und Alleinerziehende mit Erziehungsfragen, innerfamiliären Konflikten und/oder Verhaltensauffälligkeiten der Kinder in einer festen Gruppe. Die meisten Eltern haben über die Einzelberatung bereits einen Zugang zu der Erziehungsberatungsstelle, sodass die Motivation, sich in einer Gruppe intensiver auseinanderzusetzen, gegeben ist. Das Ziel des Kurses ist es, in einer unterstützenden und wohlwollenden Atmosphäre mit den Müttern/Vätern: – konkrete Lösungsmöglichkeiten für die eigenen konkreten Schwierigkeiten zu entwickeln und auszuprobieren (Selbstreflexion und Transfer in den Alltag), – zu erkennen, dass auch andere Mütter/Väter ähnliche Probleme haben und man in der Gruppe sich gegenseitig unterstützen kann (Netzwerkbildung), – kein starres Erziehungskonzept zu vermitteln, sondern die Sitzungen nach den vorhandenen Fragestellungen, Themen und individuellen Möglichkeiten der Eltern auszurichten, – Wissen darüber zu bekommen, in welcher Entwicklungsphase sich das Kind befindet und was dies bedeutet, – Kinder als Gewinn und nicht nur als Belastung zu sehen, – neue Blickwinkel und Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten, wie z. B. – wie sehen die Schwierigkeiten meines Kindes konkret aus? – welche Fähigkeiten und positive Eigenschaften hat mein Kind? – welches Erziehungskonzept und welche Erziehungsziele habe ich konkret? – welche Fähigkeiten und positive Eigenschaften habe ich als Mutter/Vater? – welche bisher noch nicht genutzten Hilfen und Möglichkeiten stehen zur Verfügung? – welche konkreten Schritte kann ich unternehmen, um dieses Ziel zu erreichen? – welche Lösungsversuche haben sich für mich als hilfreich und effektiv erwiesen? Es wird mit Rollenspiel, Videomaterial, Infoblättern und „Hausaufgaben“ gearbeitet. Die Gruppe trifft sich zu über ca. 10 Terminen wöchentlich bzw. vierzehntägig für 2 Stunden. Bei Bedarf finden darüber hinaus auch noch Einzelgespräche statt. Geleitet wird der Kurs (idealerweise) von einem beidgeschlechtlichen Trainerpaar (Identifikationsfiguren für die Eltern), was den Teilnehmern ein Grundgefühl von Sicherheit und Verlässlichkeit vermittelt (Vorbildfunktion für Eltern im Umgang mit ihren Kindern). So kann gewährleistet werden, auf die Gruppendynamik und den jeweiligen Prozess des einzelnen Elternteiles angemessen und individuell zu reagieren.
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Die Fachkräfte sind gefordert, jeden Elternteil mit seiner spezifischen Fragestellung und Veränderungsmotivation zu sehen und von seinem Entwicklungsstand her mitzunehmen, was ein hohes Maß an Fachwissen und Flexibilität voraussetzt. Tschöpe-Scheffler fasst die Bedeutung dieses Angebotes folgendermaßen zusammen: „Elternkurse bieten die Chance Eltern in einem Prozess der Selbstreflexion und Selbsterziehung zu begleiten, damit sie immer mehr Vorbild ihrer Kinder werden und Ihnen gute Voraussetzungen für deren Persönlichkeitsbildung und Stärkung bieten können“ (2003, 24). Dies beinhaltet, dass man sich als lebendiger Erwachsener erlebt, sich als Person mit seinen Stärken und Schwächen in die Beziehung zu seinem Kind einbringt und Erziehung als einen gemeinsamen Wachstumsprozess erlebt. Oft stehen die Belastungen, Sorgen und Stress der Eltern zwischen ihnen und einer konstruktiven Veränderung des Erziehungsverhaltens. Deshalb wird bei der Gestaltung des Elternkurses stets der Faktor Entspannung und Entlastung bedacht. Nicht selten ist zunächst an der emotionalen Selbstwahrnehmung der Eltern zu arbeiten, um dann konkrete Veränderungen im Erziehungsalltag zu initiieren (vgl. Franz 2009). Von daher ist auch ein Selbsterfahrungsanteil sehr wichtig, damit eigene blinde Flecken in der Biografie aufgespürt und eine Erziehungshaltung entwickelt werden kann. Es wird auch deutlich, welche Stärken man als Mutter/Vater hat und wie man diese auch in die Gruppe einbringen kann. Grundlage für diese Art des strukturierten Elternkurses ist die Annahme und Überzeugung, dass jeder Elternteil als der für seinen Lösungsprozess kundige und verantwortliche Erwachsene steht. Nur eine autonom erworbene Veränderung kann langfristig zu einer Veränderung der Erziehungshaltung führen. Es geht also nicht darum, den Eltern ein Konzept überzustülpen, sondern mit ihnen eine Idee zur eigenen Weiterentwicklung zu erarbeiten. Die Kursleiter verstehen sich nicht als „besser wissende Experten“. Wahres Lernen findet nämlich auch im Elternkurs nicht durch reine Wissensvermittlung statt, sondern durch gemeinsames Erleben im Dialog, eingebettet in eine angstfreie, akzeptierende und wertschätzende Atmosphäre. Die positiven Rückmeldungen der Eltern bestätigen diese Arbeit. 5. Schluss In der gesamten postmodernen Welt sind Familien wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und medialen Einflüssen ausgesetzt, die sie zwar nicht vordergründig in ihrer Freiheit einschränken, sie aber von der Konzentration auf wesentliche Grundlagen guten familiären Zusammenlebens abhalten. In den Erziehungsberatungsstellen wird genau dies ermöglicht, indem die Beraterinnen und Berater Familien (Eltern und Kinder) im Selbstvertrauen stärken, ihnen ggf. Orientierung und Hilfen, aber keine Rezepte anbieten und nicht als „Experten“, sondern als Begleiter und gerne auch als Gegenüber/DialogpartnerInnen auftreten.
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Referenzen Beckers, H.-J. & A. Wittrahm, Hrsg. (1993) Wertwandel: Wandel der Lebensformen und Pastoral (Mönchengladbach: Kühlen). Brisch, K.-H. (2014) SAFE: Sichere Ausbildung für Eltern (Stuttgart: Klett-Cotta). Buber, M. (1948) Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre (Den Haag: Pulvis Viarum). Cierpka, M. (2014) Frühe Kindheit 0–3 Jahre (Berlin: Springer). Dollase, R. (2008) ‘Mythen und Fakten: Gibt es Experten für Erziehung? Was ist Erziehung?’, AJS Forum: Vierteljährlicher Infodienst der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS) Landesstelle Nordrhein-Westfalen e. V., 32:1, 12–13, heruntergeladen am 14. April 2015 von www.ajs.nrw.de/images/pdf/forum/2008-1.pdf. Franz, M. (2009) PALME: Präventives Elterntraining für alleinerziehende Mütter (2. Aufl.; Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht). Juul, J. (2012) Was Familien trägt: Werte in Erziehung und Partnerschaft: Ein Orientierungsbuch (Weinheim: Beltz). Omer, H. & A. von Schlippe (2004) Autorität ohne Gewalt: Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen: „Elterliche Präsenz“ als systemisches Konzept (Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht). Tschöpe-Scheffler, S. (2003) Elternkurse auf dem Prüfstand: Wie Erziehung wieder Freude macht (Dormagen: Leske & Budrich).
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European Journal of Mental Health 10 (2015) 212–221 DOI: 10.5708/EJMH.10.2015.2.7
Katalin Horváth-Szabó*, Krisztina S. Petik, Anikó Herczeg-Kézdy & Szende Elekes
The challenges and Opportunities of pre-marriage counselling in Hungary A Flexible Model (Received: 15 January 2015; accepted: 15 September 2015)
The article offers an overview of the obstacles, challenges and opportunities of pre-marriage counsellor and facilitator training in Hungary. It presents the first institutionally affiliated pre-marriage counselling program and the corresponding facilitator training. It summarises the feedback from the test course participants (eight couples and nine priests), and reviews options for development. Keywords: premarital counselling, skill-based program, facilitator training, marriage Herausforderungen der vorehelichen Beratung in Ungarn und die Vorstellung eines flexiblen Modells: Der Beitrag gibt einen Überblick über die Herausforderungen, Schwierigkeiten und Möglichkeiten der Ausbildung der vorehelichen BeraterInnen und ProzessbegleiterInnen. Das erste institutionsgebundene Ausbildungsprogramm für voreheliche BeraterInnen und die damit verbundene Ausbildung für Prozessbegleiter werden vorgestellt, die Rückmeldungen der Teilnehmer, d.h. der acht Ehepaare und der neun Priester werden zusammengefasst, sowie die Möglichkeiten der Entwicklung werden überlegt. Schlüsselbegriffe: voreheliche Beratung, kompetenzorientiertes Programm, Ausbildung der Prozessbegleiter, Ehe
1. Introduction The desire for a happy and enduring marriage is strong and almost universal, despite the general weakening of values associated with marriage. Moreover, studies con*
orresponding author: Katalin Horváth-Szabó, Sapientia College of Theology of Religious Orders, Department C of Psychology, Piarista köz 1., H-1052 Budapest, Hungary; horvath-szabo.katalin@sapientia.hu.
ISSN 1788-4934 © 2015 Semmelweis University Institute of Mental Health, Budapest
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firm that an intimate and supportive marital relationship enhances well-being and health (Ryff 1995). The functioning of marriage and the family seemed to be simpler while supported by stronger and clearer rules, definite roles and strong external expectations, but the marital relationship has in recent times become more complex: rules and roles have become vaguer, and it is now the couple’s task to define them. As a result, couples often need pre-marriage counselling to help them find their way in the relationship, handle tensions and build a satisfying and stable relationship with joint effort. The necessity of pre-marriage counselling is recognised worldwide, along with the fact that it requires both the development of well-structured programs adjusted to the complexity of marital relationships and the education or training of facilitators to lead those programs (Halford 2004; Carrol & Doherty 2003). The first programs were primarily concerned with behavioural changes, and the facilitators were poorly trained lay people and priests. However, recent programs aim not only at behavioural changes but also at modifying deeper motivations and the nature of relationship dynamics, increasing positive and decreasing negative interactions, and mobilising the resources of the relationship. They put more emphasis on inner factors of behaviour motivation such as trust, respect towards the partner, support of the partner’s development and change. These aims are more difficult to achieve, but they make the programs more effective, and their effects also last longer. At the same time these programs require well-trained facilitators. 2. Obstacles and challenges of pre-marriage education and facilitator training in Hungary Following World War II, the oppression of the churches and a crackdown on priests’ community building activities stifled the possibilities of pre-marriage education, especially in the group format and with psychological content. The recommended or, in certain parishes, required short-term counselling was almost exclusively theological in content and provided by priests. Nowadays more and more parishes offer marriage or pre-marriage counselling with psychological content for couples preparing for a church wedding. More and more priests providing pre-marriage counselling recognise the need for relationship education and the limitations of their own competence in the field. The first step towards a solution was to ask religious psychologists and psychiatrists for opinions whether a couple is rightly matched or is suitable for marriage. Next, experienced couples in stable marriages from the parish were asked to take part in pre-marriage counselling. Through the involvement of married couples, engaged couples are offered knowledge not only about the theological background of and religious practices in marriage, but also on how relationships function, what problems might arise and how to solve them. The participating older couples, self-educated in pre-marriage counselling, usually invite the engaged couples in their own homes for a personal
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conversation. Large parishes have also formed teams for pre-marriage counselling where it is possible to share the tasks and experiences. They also organise lectures where couples present topics thought to be important to marriage, giving examples from their own marriage experience. In some places, mostly in big cities where it is easier to find married couples of religious therapists or psychologists, these lectures are given by professionals. However, no systematically developed and institutionaffiliated pre-marriage counselling program with an accompanying facilitator training existed in Hungary before. Studies on the effectiveness of internationally known pre-marriage counselling programs show that one of the key elements of the course’s success is the facilitator’s quality, that is, his or her attitude and training in the field (Ooms & Wilson 2004; Carrol & Doherty 2003). Most scholars agree that well-structured trainings are needed, where content and method are adjusted to the aim of the pre-marriage counselling program, with regard to the characteristics of the target group (Stanley et al. 2004). The launching of an institution-affiliated facilitator training was hindered by several obstacles in Hungary. While the first pre-marriage counselling programs and facilitator training programs were developed by teams consisting of psychologists, couples therapists and priests throughout the world, in Hungary the cooperation between theologians and psychologists was impeded by a distrust of psychology among church leaders and priests responsible for pre-marriage counselling. The distrust is rooted in Freud’s antireligious position and the prevalence of psychoanalytic therapy in Hungary that disregards the patient’s religiousness or even considers it a factor destructive of health. The poor psychological education of priests, or the complete lack thereof, presented another obstacle, leading many to identify psych ology with psychoanalysis and declaring it the devil’s work. The cooperation be tween psychologists and theologians finally became possible through the appearance of the psychology of religion in Hungary in the 1990s, through the work of religious psychologists and therapists, and through the psychological education of priests as well as a growing interest, on their part, in bio-psychosocial-spiritual methods of helping people. 3. Challenges The development of an appropriate pre-marriage counselling program and an accompanying facilitator training program presents challenges since the content and methods of the program have to meet several requirements. 3.1. Development of a nationally valid standard One of the important challenges is whether to develop a nationally valid standard or
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to adjust the program to the needs of couples with diverse educational, cultural and ethnic backgrounds. The history and present situation of pre-marriage counselling in Hungary, the lack of systematically developed and well-structured programs and facilitator training show that there is a great need for an evidence-based program; a program with a recognisable core to offer guidance in the face of diversity and one that provides facilitators with theoretical and methodological knowledge of leadership. At the same time, the one-size-fits-all model presented by Halford and Simons (2005) is no longer viable. Instead, there is a need for programs that can be adjusted and for facilitators who can adapt to the necessities of the couples. The solution we propose is to preserve the stability of the program while also aiming at flexibility: in the course of their training, facilitators should be prepared to meet the specific needs of couples, and they should be able to choose different pre-marriage counselling methods for different couples. 3.2. The professional status of participating experts The professional status of those participating in relationship education still presents an important challenge: should they be professional couples therapists or trained paraprofessionals? In the early days of pre-marriage counselling, relationship education had two roots: couples therapy practice and short-term couples counselling offered by the churches. Since the ‘gold standard’ for therapists was behavioural therapy at the time, psychoeducational programs also emphasised behavioural change and the practice of using problems as a starting point. Even in 2002, Gottman recommended at a conference that relationship education should only be offered by highly qualified mental health professionals and couples counsellors because this service was used by individuals with a high degree of pathology (cited by Markman et al. 2006, 421). By this time pre-marriage counselling (originating in short-term counselling) had already put the emphasis on prevention but was still problem centred, concerned with reducing the risk factors of divorce, placing communication and conflict resolution in the focus. As a result of conceptual changes and the increasing heterogeneity of participants, differences between the two approaches increased. Therapists increasingly turned to work with high-risk couples, whereas conceptual changes in relationship education led to a new emphasis on the educational nature of the programs and to a new focus on discovering and strengthening the resources that play an important role in the quality of marriage (empathy, commitment, caring for the spouse). Nowadays family scholars declare more and more explicitly that pre-marriage counselling is not a therapy and does not require professional training (Laurenceau et al. 2004). The boundaries are becoming clearer between the two approaches, drawn along the qualifications of therapists and facilitators, the length of the programs and the psychological condition of the couples who take part in the program. The methods they use are still the same or very similar to each other.
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3.3. The length and depth of the training Most facilitators used to be (and in Hungary still are) lay people with a minimum level of training, relying mainly on their own experiences. A minimum level of training was thought to be sufficient by most scholars (Stanley et al. 2004), and studies showed no difference in the effectiveness between facilitators with a minimal level of training and facilitators trained in and practicing family science (Laurenceau et al. 2004). However, couple relationship education (CRE) has become more complex in content, with more systematic programs (Sillimann & Schumm 2000). Most professionals in pre-marriage counselling now agree that the facilitator’s work does not require qualification in professional counselling but still needs a well-structured, evidence-based training (e.g., Carrol & Doherty 2003; Ooms & Wilson 2004; Bradbury & Lavner 2012). 3.4. The homogeneity or heterogeneity of participants Pre-marriage counselling programs have been developed for healthy, highly educated middle-class religious couples all over the world. These couples consider marriage important and are motivated to take part in pre-marital relationship education. However, the question arises whether these programs can be applied, or are effect ive, in populations different from that described above. Most of the CRE literature regards the relationship education of very heterogeneous, diverse groups as a great challenge, but there are only proposals and no welldeveloped solutions for this challenge. According to Vaterlaus and colleagues (2012), more studies are needed to find appropriate answers. In present-day Hungary there are three groups that present a challenge for relationship education: disadvantaged couples, couples with increased stress, and Gypsy couples who are significantly different from a cultural point of view. However, there are other challenging groups that can be included in the programs despite their differences, and facilitators can be trained to meet their specific needs in relationship education. In our experience, these groups include couples cohabiting without commitment, couples with divorce in the family, and couples with low commitment to the church who still want to have a sacramental marriage for certain reasons. It seems obvious that in pre-marriage counselling groups where the majority of participants come from families with divorce, or cohabit without commitment, more time should be spent on acknowledging the heritage of the family of origin to decrease its negative effects or the ‘cohabitation effect’ (Rhoades et al. 2009). 4. The possibilities of pre-marriage counselling and facilitator training The emergence of the psychology of religion in Hungary, studying topics at the inter-
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face between religion and psychology, as well as the growing weight of psychologic al education in priests’ formation have built a strong bridge between psychologists and theologians. This bridge made cooperation between the two fields possible in many areas, and finally gave us an opportunity to develop and test a standard premarriage counselling program and an accompanying facilitator training. Our pre-marriage counselling program and facilitator training are held within church settings, and they integrate a short theological instruction by a priest on the importance and sacramental nature of marriage, and a psychological approach to helping the relationship. The aim was to develop a standard for pre-marriage counselling programs in Hungary as well as to build and test a facilitator training curriculum for those who lead pre-marriage counselling programs. Our first task was to develop the standard for a pre-marriage counselling program. A review of the literature shows a rich variety of such programs. They seem to fall into one of two main types, both supported by effectiveness studies. One is the inventorybased counselling/education that first assesses the relationship state, the strengths and weaknesses of the couple, then a trained professional gives feedback to the individual and the couple. The best-known and most often used program of this form is the PREPARE developed by Olson and colleagues (2012), also introduced but not widely spread in Hungary. The other form is the curriculum or skill-based program, a shorter or longer training with several engaged couples participating, thus providing a chance for learning from each other. The best-known model of this format is the Prevention and Relationship Enhancement Program (PREP), developed by Markman and colleagues (2010). The PREP places the emphasis on improving the skills necessary for a well-functioning marriage through exercises, and on recognising and understanding key aspects of relationship dynamics. Thus the program combines didactic-informative and skills development approaches. Contentwise it focuses on two important fields, the reduction of risks and the enhancement of protective factors (Stanley 2001; Markman et al. 2010). The program has been used for thirty years in the USA and in fourteen other countries, and is continuously tested for its effectiveness. Although the contents of the two programs mentioned above are very similar, they differ in the way they practice skills. Both formats are accompanied by a facilitator training program. In developing our own pre-marriage counselling program, we relied on our theoretical knowledge about marital relationship, on our experience in pre-marriage counselling, couples counselling and adult education as well as on the review of the literature. We were looking for a pre-marriage counselling program that was based on studies, employed training methods, was supported by effectiveness studies, and could be used within church settings. Those requirements were mostly met by the PREP program. In our own PREP-like program the core topics included in every relationship education package have been extended to include contents and methods adjusted to the needs of Hungarian participants, such as knowledge of the self and the partner, accepting differences, working on the heritage of the family of origin, questions of commitment and intimacy, and caring for the spouse and for the marriage. We
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developed structured modules for each topic, including theoretical knowledge, short questionnaires facilitating thinking, skills practice, discussion and sharing. 5. The training of facilitators Although CRE experts say that the facilitator is a key factor in the effectiveness of relationship education, studies are rare in the field, and only recommendations have been put forward concerning the facilitator’s personality, attitudes and behaviour towards participants. In a survey of participants in pre-marriage counselling, Higginbotham and Myler (2010) found that their most important expectations of the facilitator were his/her relationship status, positive communication, and the quality of working alliance. On the basis of their experience, Hawkins and colleagues (2004) find it beneficial that the program is led by a married man and a married woman, not necessarily a couple, who belong to the same ethnic group or culture as the participants. Ooms and Wilson (2004) considered marital status, the capacity to function as a realistic role model, and a shared cultural background to be the most important requirements for the facilitator, whereas Owen and colleagues (2011) emphasised positive communication and working alliance. Building on Hungarian traditions, our training was offered to married couples already working in pre-marriage counselling who can become influential role models and are able to share their own experience in couple relationship, and discuss it from the point of view of a wife or husband. Corresponding to expectations, these couples were mostly highly qualified lay people with strong religious commitment and the same ethnic and socioeconomic status as the participants. Some of them had already received some training from the pre-marriage counselling teams in their parishes while others were only self-educated volunteers for pre-marriage counselling work. In addition to lay couples, priests were also welcome to join the group, but experience in pre-marriage counselling was not required of them. Priests are in a strategic pos ition concerning pre-marriage counselling, they control its organisation and content as well as the selection of participating couples, thus we considered it important that priests become acquainted with, accept and use the program. 5.1. The content and form of the facilitator training The training is based on the previously developed pre-marriage counselling program, and participants go through the program to experience it and to familiarise themselves with the contents. The program is augmented with a separate module that prepares future facilitators for group leadership tasks. The facilitator training is a curriculum and skill-based program; participants are thus provided with information on the functioning, psychodynamics, risks, care, and resources of marriage. However, to become a facilitator requires more than learning
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the curriculum since facilitators should also be prepared for various other tasks such as moderating a group, creating a suitable learning environment for the group, being able to step out of the expert’s role, and sharing their own relationship experience in the right moment and situation. 5.2. The testing of the facilitator training; implications of participants’ reflections The training consisted of six sessions and was sixty hours long. It was led by two psychologists experienced in pre-marriage counselling and couples therapy while the theology module was taught by an expert on the theology of the family. Participants included eight couples who had been married for more than ten years, and nine priests aged 30 to 55 years. Participants were asked to submit their reflections after each session about the contents, the group leaders’ functioning and the usefulness of the methods. Despite the small size of the sample, these reflections helped to revise parts of the program and raised some questions that are still to be answered. Participants found the topics of the program relevant, with the exception of conflict resolution, which was thought to be too early in pre-marriage counselling. Conflict resolution has always been part of relationship education, and is strongly related to marital satisfaction and the risk of divorce. However, both our pre-marriage counselling experience and empirical studies confirm that non-cohabiting couples preparing for marriage are not open to discussing conflicts (Whyler & Christensen 2002). Concerning methods, reflections show that games and drawing activities used for icebreaking and building confidence in the group proved to be frustrating for those who had not taken part in training-like programs before. Many participants always found the discussions following the exercises too short; thus it seems that more time is needed for discussing the functions, possible effects, and applications of the exercises. Participants’ opinion on the role of lectures in the program changed dramatically in the course of the training. Based on their previous experience of learning, they expected to listen to lectures and take notes, and were missing that after the first occasion. However, by the end of the training they had discovered that lectures were not effective in pre-marriage counselling, except in the case of certain topics such as sexuality or various theological issues. As for our dilemmas about diversity, it is important to note that participants were concerned about religious differences, the problem of high-risk and cohabiting couples, but they did not miss the issue of disadvantaged or poorly educated couples. We suspect that these important questions were either not significant in their personal praxis, or they were able to handle these problems in private conversations. In line with the literature, the feedback from participants underlined the importance of the presence of facilitator couples in the group as role models. It had also proved useful to have participants go through the entire pre-marriage counsel-
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ling program since it helped them recall personal experiences in each module and strengthened in them a sense of the importance of sharing experiences and of the significance of skills training. Despite their resistance to training methods at the beginning of the program, participants began to discover their community building effects. However, they felt unsure whether they were sufficiently prepared to lead similar training groups. In the future, more emphasis should be placed on the development of facilitators’ leadership competencies. Although the number of young people preparing for marriage is too low in villages to form groups for them, pre-marriage counselling is probably more effective in groups in larger parishes, especially because there is a growing tendency of religiousness among highly qualified young people in towns and cities (Tomka 2010). The fact that priests and lay people took part in the program together was useful mainly for the priests. It confirmed for them the necessity to involve laity in premarriage counselling. 6. Conclusion On the basis of our experience, the training program for facilitators in pre-marriage counselling is also suitable for facilitators in marriage strengthening programs, offering a solution to a dilemma which is also described in the literature (Bradbury & Ficham 1990). The training of facilitators for the two different relationship phases can be contracted, but the counselling programs for the two phase groups should be kept separate. References Bradbury, T.N. & F. Ficham (1990) ‘Preventing Marital Dysfunction: Review Analysis’ in F. Ficham & T.N. Bradbury, eds., The Psychology of Marriage (New York: Guilford) 375–405. Bradbury, T.N. & J.A. Lavner (2012) ‘How Can We Improve Preventive and Educational Intervention for Intimate Relationships?’ Behavior Therapy 43, 113–22. Carrol, J.S. & W.J. Doherty (2003) ‘Evaluating the Effectiveness of Premarital Prevention Programs: A Metaanalytic Review of Outcome Research’, Family Relationships 52, 105–18. Halford, W.K. (2004) ‘The Future of Couple Relationship Education: Suggestions on How It Can Make Difference’, Family Relations 53, 559–66. Halford, W.K. & M. Simons (2005) ‘Couple Relationship Education in Australia’, Family Process 44, 147–59. Hawkins, A.J., J.S. Carrol, W.J. Doherty & B. Willonghby (2004) ‘A Comprehensive Framework for Marriage Education’, Family Relations 53, 547–58. Higginbotham, B.J. & C. Myler (2010) ‘The Influence of Facilitator and Facilitator Character istics on Participants’ Ratings of Stepfamily Education’, Family Relations 59, 74–86.
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challenges and Opportunities of pre-marriage counselling
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European Journal of Mental Health 10 (2015) 222–232 DOI: 10.5708/EJMH.10.2015.2.8
Mihaela Ghenţa*
PERFORMANCE MANAGEMENT IN SOCIAL AND HEALTHCARE SERVICES FOR OLDER PERSONS Effects on the Relationship with Beneficiaries and Family Members (Received: 17 December 2014; accepted: 15 September 2015)
The research objectives were to identify specific problems that social and healthcare service providers face in the process of performance achievement and the way these efforts influence the relationship with older persons and their families. The scarcity of data on performance in public and private organisations in the social and healthcare sector recommends the use of qualitative methods. Data collection included five in-depth interviews with local and central authorities and two focus groups of managers from public and private organisations providing social and healthcare services for older persons. Findings show that performance in the social and healthcare sector is related to human and financial resources, to managerial capacity to balance the quantity and quality of services provided, and to the relationship with the beneficiaries. Keywords: social services, healthcare services, performance, older persons, health and social care workers, key factors of performance management Effizienzsteigerung in sozialen und gesundheitlichen Dienstleistungen für Senioren und Seniorinnen: Wirkungen auf die Beziehung zu Begünstigten und Familienmitgliedern: Das Ziel der Studie war, die speziellen Probleme zu identifizieren, die Anbieter von sozialen und gesundheitlichen Dienstleistungen im Prozess der Effizienzsteigerung haben, und wie diese Probleme die Beziehung zu Senioren und Seniorinnen und ihren Familien beeinflussen. Wegen mangelnder Daten über die Leistung von zivilen und staatlichen Organisationen im Feld der sozialen und Gesundheitlichen Dienstleistungen wurde eine qualitative Untersuchung durchgeführt. Die Daten wurden mit Hilfe von fünf Tiefeninterviews mit lokalen und zentralen Autoritäten und in zwei Fokusgruppen-Interviews mit Managern bei staatlichen und privaten Organisationen erho*
ihaela Ghenţa, National Scientific Research Institute for Labour and Social Protection (INCSMPS), Social M Policies Department, Str. Povernei 6-8, R-010643 Bucharest, Rumania; ghenta@incsmps.ro.
ISSN 1788-4934 © 2015 Semmelweis University Institute of Mental Health, Budapest
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ben, die soziale und gesundheitliche Dienstleistungen für Senioren und Seniorinnen anbieten. Die Konklusion ist, dass die Leistung im Feld der sozialen und gesundheitlichen Dienstleistungen von Human- und finanziellen Ressourcen abhängt, sowie von den Fähigkeiten des Leiters, wie er die Quantität und die Qualität der angebotenen sozialen Dienstleistungen, sowie die Beziehung zu den Begünstigten ausgleichen kann. Schlüsselbegriffe: soziale Dienstleistungen, gesundheitliche Dienstleitungen, Leistung, Senioren, Kranken- und Sozialpfleger, Schlüsselfaktoren der Effizienzsteigerung
1. Introduction Social changes, the diversification and the increasing complexity of social problems together with changes in the views on the role of social services in European econ omies have led to the incorporation of the concept of performance into the management of public and private organisations in the social field. The scarcity of available resources and the need to ensure minimum conditions necessary for a decent life forced the organisations in this sector to pay attention to issues of efficiency and effectiveness (Racoceanu et al. 2009, 307). The phenomenon of population ageing and the economic crisis resulted in a diversification of the risk factors (Ghenţa & Şerban 2010, 232) and the competition faced by social organisations (Rogers et al. 2001, 3). We are now witnessing a diversification of social problems that require intervention in the form of social services (Buzducea 2009, 30). Social services are often addressed in conjunction with healthcare services since there is a close link between social and medical care. The interdependence of economic, social, cultural and political systems affects the manner in which social and healthcare services are managed and provided (Ghenţa 2014). Performance measurement is a complex and difficult process due to the understanding of the concept of performance itself, the process of performance achievement and the identification of appropriate performance indicators, but also due to the multitude and diversity of stakeholders whose interests must be taken into account (Florescu & Doval 2009, 52). Performance management involves changes in organisational culture, indicators, methodologies and processes to secure and to improve its results. Performance mainly involves proper management of available human resources (Marr 2010), continuous improvement of internal processes through innovation and training and an increasing level of satisfaction for beneficiaries and their families. Thorne and Holloway (2008, 26–35) propose that organisations aiming to attain higher performance should identify the critical factors for performance achievement, should establish the desired level of performance, and the flow of information necessary to ensure adequate staff rewards (both in financial and non-financial terms).
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1.1. Performance in public social and healthcare services Public sector organisations differ from private sector organisations in some significant features: there is no concern on the managers’ side to increase the profit; the possibilities for revenue turnover are reduced; and there is a large number of stakeholders whose interests must be taken into account (Boland & Fowler 2000, 417). Regardless of the type of ownership and the organisational goals, only the existence of a performance measurement system allows to monitor the level of results achieved and the manner in which a continuous improvement of activities is de livered. Research and specific studies acknowledge that performance in the public sector refers to the economy, efficiency and effectiveness of processes – ‘logic competitiveness’ (Carter et al. 1995; Rouse 1999). Over the last years performance in the social and healthcare services has been viewed from a perspective of its alignment with clear quality standards defined by legal norms whose fulfilment is monitored through organisational systems audits. Concepts such as ‘quality assurance’ and ‘total quality management’ have begun to be applied in social services and social care as recognised components of the performance system in an organisation. In this sector not only public organisations but also private organisations very much depend on the legal framework and policy makers’ decisions which may increase or decrease the capacity to develop in accordance with social needs. On the one hand, beneficiaries and their families are becoming more and more informed and have higher and higher expectations of the quality of the services offered to them. On the other hand, internal stakeholders (staff) have expectations of career development and remuneration commensurate with their effort. Managerial decisions to reconcile these perspectives in an integrated approach aiming to achieve performance on a similar ground and principles as those applied within the private sector, become difficult. Theories regarding human resources management in the public sector show that people who choose to work in this sector are motivated not by the financial reward they can get but rather by a desire to carry out an activity with a social and human meaning (Chalosky & Krishna 2009). In view of their limited access to resources, the job involvement of the personnel and commitment to the organisational object ives are essential for organisations functioning in the social and healthcare sector to achieve performance (Angle & Perry 1981; Pool & Pool 2007). The difficulties in defining indicators to measure the results of performance in the public sector transform the process of performance assessment into a difficult exercise. In add ition, performance measurement is closely related to means, to in-place processes, the resulting product and the social effect (Profiroiu & Profiroiu 2007, 44). 1.2. Performance in private social and healthcare services Social and healthcare services can be provided by both public and private institutions (for-profit as well as nonprofit organisations).
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In case of for-profit organisations, the most important aspect is related to the financial results, followed by beneficiaries’ satisfaction and service delivery capability, together with the development of organisational knowledge capability.1 Nonprofit organisations focus more on social objectives than on financial ones. Due to the diversity of actors involved and whose interests must be considered, the financial information is gaining importance for these organisations as well. Aspects such as efficiency in using available resources, the cost of providing social and healthcare services, revenue growth, the success of each program/project evaluated in financial terms are becoming important (Epstein & Rejc Buhovac 2009, 7). There are still divergent views on how to define and measure the performance of nonprofit organisations. It is considered similar to organisational effectiveness, effectiveness of the programs, managerial efficiency, partnerships and reputation (Sowa et al. 2004, 715–16)2; the achievement of the purpose for which they were created, resource efficiency3; the fulfilment of objectives (Sowa et al. 2004, 717); serving the bene ficiaries’ needs and expectations (Beamon & Balcik 2008). The transition from seeing performance in terms of the degree of objectives achievement, available resources, and reputation to seeing it in terms of the manner in which the purpose for which such organisations were founded is achieved represents the latest development in the approach to understanding performance. 2. Research method 2.1. Context This research was completed in the social and healthcare services in the Bucharest– Ilfov region. The Bucharest–Ilfov region lies in the southern part of Rumania and consists of Bucharest, the capital of the country, and Ilfov County. In August 2014 the region had eighty accredited public and private providers of social and healthcare services for older persons, according to the data provided by the Ministry of Labour, Family, Social Protection and Older Persons (MMFSPV). For the last twenty-two years the proportion of older persons (65 and over) for this region has remained around 10% of the total population (Eurostat 2014). No accredited providers of home care services were registered in 2010. The services available for older persons at that 1
2
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. Meričková, J. Šebo & G. Vaceková, ‘Performance of Social Services Providers in Slovakia’, conference B paper (2010), 3, retrieved 10 Sep 2014 from the Masaryk University website, http://is.muni.cz/do/econ/ soubory/katedry/kve/6403220/25140474/Merickova-Sebo-Vacekova_Performance_of_social_services_ providers_in_Slovakia_2011.pdf. See also J. Lecy, H. Schmitz & H. Swedlund, ‘Mapping Research Traditions: Assessing the Effectiveness of Non-Governmental and Non-For-Profit Organizations’, manuscript (2009), esp. 3–4, retrieved 12 Oct 2014 from www.maxwell.syr.edu/uploadedFiles/moynihan/tngo/NGOEffectivenessLitReview_Haley_12-15-09.pdf. M.G. Abdel-Kader & B. Wadongo, ‘Performance Management in NGOs: Evidence from Kenya’, manuscript (2011), esp. 6–8, retrieved 10 Oct 2014 from the Social Science Research Network website, http://ssrn.com/ abstract=1909863.
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time were canteens, day-care and residential facilities, provided by both public and private organisations. For the same year, pending requests for about a half of the total capacity of the residential homes could not be fulfilled by the existing institutional facilities. During 2012, the number of residential facilities more than doubled (from 5 to 13) and in 2013 it reached 16 units. Home care and day-care services increased in number during 2013 to 9 and 11 units, respectively. 2.2. Participants and procedures for data collection The research objectives were to identify specific problems that social and healthcare service providers face in the process of performance achievement and how those influence the relationship with older persons and their families. This study uses a qualitative research approach to address the research objectives. The scarcity of data on performance in public and private organisations in the social and healthcare sector recommends qualitative methods as the most appropriate way to explore the understanding of performance, drivers and challenges faced by public and private organisations in this field. The information will provide insight into the interest of managers within the sector to design a performance framework and how this interÂest affects the relationship with stakeholders. Data collection included in-depth interviews and focus group discussions: 3 in-depth interviews with representatives of local authorities in the field of social and healthcare services and 2 in-depth interviews with representatives of central authorities from the same field; 2 focus groups of managers from public and private organisations providing social and healthcare services for older persons: 8 managers (5 from public organisations and 3 from private organisations) participated in the first focus group while 7 managers (4 from private and 3 from public organisations) participated in the second. Participants were selected form a list of accredited providers of social and healthcare services for older persons in August 2014, which was made available by the General Directorate of Social Assistance from MMFPSPV. Selection criteria included the field of activity (social and healthcare services for older persons) and the position within the organisation. Interviews and focus group discussions were held in October 2014. The in-depth interviews and the focus groups included open-ended questions to gain in-depth understanding of performance. Interviews were audio recorded while focus group discussions were video recorded for back-up. Both the interviews and the Âfocus groups were analysed using Nvivo software. 3. Results The themes of the in-depth interviews presented in this study are factors driving the performance in the social and healthcare sector, available human resources, communication with beneficiaries and family members while the topics from the focus
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groups include definition of performance, relationship with beneficiaries and their families, and available human resources. The characteristics of the respondents are summarised in Table 1 below. Table 1 Characteristics of the respondents In-depth interview participants (N = 5)
Focus group participants (N = 15)
Level of education
ISCED 6
8 persons with ISCED 5 and 7 persons with ISCED 6 level: – FG 1: 6 persons ISCED 5 and 2 persons ISCED 6; – FG 2: 2 persons ISCED 5 and 5 persons ISCED 6.
Position
Managers in local and central authorities
Managers in public and private institutions
N/A
31–40 years: – FG 1: 3 persons, – FG 2: 4 persons; 41–50 years: – FG 1: 2 persons, – FG 2: 2 persons; 51–60 years: – FG 1: 1 person, – FG 2: 1 person; 61–70 years: – FG 1: 1 person; N/A – FG 1: 1 person.
Age
3.1. Definition of performance Shared terminology: Public and private providers use different terminology for performance. For managers, performance is a subjective measure and has different meanings for different participants. The difference between the social value derived from public and private money spending and the fulfilment of quality standards defined by legal norms is a pertinent example. Performance is a key element in social EJMH 10:2, December 2015
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and healthcare services and very much reflects the managerial capacity to identify and to cover the most important needs of beneficiaries. The ability to set objectives, to correlate them with reality, the clear communication of these objectives to the personnel and beneficiaries, and cost efficiency are further examples of how perform ance is understood. In the area of social and healthcare services for older persons, performance becomes difficult to define and to express quantitatively, and there are no specific key indicators for its measurement. In the absence of such indicators, agencies working in this field are unable to make comparisons and development strategies because of the lack of detailed quantitative information, and they can only get the feeling that a certain level of economic performance has been achieved. Without the collection of comprehensive information on the services provided, managers are not able to develop the ability to think strategically and to select the information needed in the decision making process. 3.2. Key factors of performance management in healthcare and social services Public finances allocated to the sector: Public resources allocated to the social and healthcare sector determine the level of development of this type of services for older persons. Contracting, public–private partnerships and subsidies are the main channels through which private providers can access financial resources within the system. The current level of available financial resources is an expression of the policy makers’ low interest in this segment of the population. Furthermore, this limited attention generates a certain way of building and managing public budgets both at the local and the national levels. In case of private providers, the current level of resources also depends on the knowledge of the legal framework of various types of funding for the social and healthcare sector. The capability to develop partnerships between the public and the private sectors determines the ability of suppliers to meet the local needs. A high efficiency in the use of public resources entails changes in the financing of social services through outsourcing, cost efficiency, harmonising legislation on the funding of social services, and increased awareness among bene ficiaries. Lack of cooperation between the national and local level: A strategic vision of social and healthcare services for older persons should include all categories of stakeholders: beneficiaries, their families, personnel, providers, and employers’ organisations. Communication is unsatisfactory not only between different levels of decision making but also between organisations within the sector. Public providers voiced their dissatisfaction with the ineffectiveness of communication between the local and central level: most of the time the views and observations of practitioners are not considered.
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3.3. Available human resources In the analysis of different perspectives on the labour force, three main themes were identified: the competencies of the personnel, difficulties related to the insufficient number of social and healthcare workers, the need to develop training programs to improve communication skills. Both public and private managers as well as representatives of public authorities concluded that employees in this sector had the necessary competencies to perform daily tasks at work. Most employees are devoted to the activities they perform. Because of the low level of payment within the system and the ageing of the Rumanian population, a significant proportion of those professionals chose to migrate to Western European countries. The weak point of their professional development is thought to be communication skills. Given the prevalence of old-age-related diseases among the clients, workers in this field must possess strong communication skills. Both public and private providers spoke of difficulties encountered in the relationship and in the communication not only with the beneficiary, but also with their family members. High commitment is expected by employers, beneficiaries and their families. As a result of the decline of the number of employees in the system, it has become increasingly difficult to establish a clear description of the tasks a worker must perform. Multiple tasks and an increased workload affect the ability to satisfy the needs of beneficiaries and ultimately impact the overall performance of the whole organ isation. Research participants suggested that the main issues related to the workers in the system were generated by labour turnover, low wages, and labour migration. In the public sector, financial rewards depend on payment scales defined by law. In the private sector, financial rewards depend on the managers’ ability to identify new beneficiaries, donors and on the existence of a performance management system that quantifies the contribution of each member of the organisation to the final results. 3.4. Relationship with older persons and their families The relationship of public and private providers participating in the focus groups with the beneficiaries is based on communication, cooperation and collaboration. An increasing number of users and their families know their rights and expect high quality services from providers. They request attention and understanding of their own needs as family members and older persons have great emotional expectations of the social and healthcare providers: elderly people with age-related pathology often want to feel valued, and their families seek support and understanding. Responses to this question in the focus groups revealed that there was an increased interest on the part of providers to develop a long-term relationship with the beneficiaries. The relationship with older beneficiaries often depends on the professionals’ ability to manage the emotional response of the beneficiaries. The interviews conducted with representatives of the central and local authorities highlighted the need for a meas-
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urement of performance based on the level of satisfaction among beneficiaries and their families. The analysis of answers revealed a gap between the micro and macro levels of decision: the macro level (normative framework) shows a limited interest in the elderly and their needs, while the micro level (providers) is struggling to cover as much as it can of the complexity of older persons’ and their family members’ needs, within the framework of limited resources and legal constraints. Working with family members involves transparency and respect for confidentiality. Public providers stressed that the quality of communication with older persons and family members depends on the emotional availability of professionals. Indicators such as the number of beneficiaries or satisfaction level among recipients are considered to be relevant to the measurement of performance. 4. Discussion and conclusion The analysis above has focused on the specific problems social and healthcare service providers face in the process of performance achievement and on how those influence the relationship with the beneficiaries and their families. Different termin ology of the concept leads to difficulties in measuring performance for both public and private organisations. These results are in line with previous research by Boland and Fowler (2000) and Marr (2010). Another difficulty in the process of performance achievement is the low level of public finances allocated to the sector. Studies by Profiroiu and Profiroiu (2007), Abdel-Kader and Wadongo (cf. n. 3), and Saunila and colleagues (2012) show that in both public and private organisations performance depends on the means (financial and human resources). In terms of available human resources, the development of communication skills and the ability to face emotions were also found in studies of Meričková and colleagues (cf. n. 1) and Czerw and Borkowska (2010). The current study reveals that private and public providers recognise that their organisations’ dependence on beneficiaries and their families is important and take this into account when they are shaping strategies of organisational development. Both public and private providers as well as the local and central authorities focus more on beneficiaries and available human resources and less on performance, development of appropriate performance measurement and performance improvement. The understanding of performance is split between local and central authorities and between them and providers. To conclude, the results show that performance in the social and healthcare sector is related to human resources (significant drive factor of social innovation), material resources, and managerial capacity to balance the quantity and quality of services provided, and last but not least to the ability to manage the relationship with the beneficiaries.
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FORMAL AND INFORMAL LONG-TERM CARE AND THE ROLE OF FAMILY CARERS Czech Republic** (Received: 31 January 2015; accepted: 15 September 2015)
Formal and Informal Long-Term Care and the Role of Family Carers: Czech Republic: The article discusses developments in long-term care and the availability of support for informal carers in the Czech Republic. Population forecast suggests that the process of demographic ageing in the Czech Republic will accelerate with the ageing of the baby boom cohorts of the 1940s and 1950s. Health and social policy has to address challenges of availability and quality of long-term care, and to develop support services to meet the needs of an ever growing number of older people and their families. The article analyses the long-term care system and the situation of family carers, and explores the challenges to be faced on the way to a more comprehensive long-term care system. Keywords: long-term care, seniors, family carers, ageing, social and health care services Die offizielle und Langzeitpflege älterer Menschen in der Familie und die Rolle der Hausund Familienpfleger/innen in der Tschechischen Republik: Der Artikel beschäftigt sich mit der Entwicklung der Langzeitpflege älterer Menschen und mit den Möglichkeiten der Förderung der *
**
etr Wija, Department of Management and Supervision in Social and Health Organisations, Faculty of HuP manities, Charles University, Máchova 7, CZ-120 00 Praha, Czech Republik; petr.wija@fhs.cuni.cz. This article was written as part of the project ‘Long-term care for seniors: Quality of care in institutions, organisational culture and support for dignity of frail patients’, supported by the grant No. NT11325 of the Ministry of Health of the Czech Republic. This paper uses data from SHARE wave 4 release 1.1.1, as of 28 Mar 2013 (DOI: 10.6103/SHARE.w4.111). The SHARE data collection has been primarily funded by the European Commission through the 5th Framework Programme (project QLK6-CT-2001-00360 in the thematic program Quality of Life), through the 6th Framework Programme (projects SHARE-I3, RIICT-2006-062193, COMPARE, CIT5-CT-2005-028857, and SHARELIFE, CIT4-CT-2006-028812) and through the 7th Framework Programme (SHARE-PREP, No. 211909, SHARE-LEAP, No. 227822 and SHARE M4, No. 261982). Additional funding from the U.S. National Institute on Aging (U01 AG0974013S2, P01 AG005842, P01 AG08291, P30 AG12815, R21 AG025169, Y1-AG-4553-01, IAG BSR06-11 and OGHA 04-064) and the German Ministry of Education and Research as well as from various national sources is gratefully acknowledged (see www.share-project.org for a full list of funding institutions).
ISSN 1788-4934 © 2015 Semmelweis University Institute of Mental Health, Budapest
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Haus- und Familienpfleger/innen in der Tschechischen Republik. Laut demografischen Prognosen wird sich der Vorgang der Bevölkerungsalterung in der Tschechischen Republik durch die Alterung der in den 1940er- und 1950er-Jahren des Babybooms geborenen Personen voraussichtlich beschleunigen. Die Gesundheits- und Sozialpolitik sollen Lösungen für die Herausforderungen der Verfügbarkeit und Qualität der langfristigen Altenpflege finden und die Dienstleistungen entwickeln, um die Bedürfnisse der immer mehr werdenden älteren Menschen und deren Angehörigen zu befriedigen. Die Studie analysiert das System der langfristigen Altenpflege und die Situation der Haus- und Familienpfleger/innen und weist auf die Herausforderungen hin, die bei der Erreichung eines umfassenderen langfristigen Altenpflege-Systems auf uns warten. Schlüsselwörter: langfristige Altenpflege, Senioren, Haus- und Familienpfleger, Alterung, Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen
1. Introduction The issue of population ageing and long-term care for seniors has been gaining visi bility in both policy and public debate in the Czech Republic, especially in the context of the capacity, quality and financing of long-term care services. This article focuses on the key characteristics of formal and family care in the Czech Republic and the main trends in social and health care services there. Long-term care is a specific segment of social protection that includes a variety of support services and combines provision of both health and social care. It includes help with basic activities of daily living (ADL), rehabilitation, medical and nursing care such as help with wound dressing, pain management, medication, health monitoring as well as prevention, rehabilitation, or services of palliative care (Colombo et al. 2011; OECD 2005; 2013). 2. Demographic developments in the Czech Republic An increasing number of the oldest-old seniors with a higher risk of frailty and disability leads to a rising demand for both formal and informal long-term care. At the same time family carers face obstacles and lack of support, which contributes to a growing demand for formal long-term care services. According to the population forecast of the Faculty of Science, Charles University, Prague, demographic ageing will be accelerated by the transition of the cohorts born in the 1940s and 1950s over the next decades and will be faster in the Czech Republic than in other European countries (Burcin & Kučera 2010). According to the latest population forecast by the Czech Statistical Office, the share of persons aged 75 years and over will increase from under 7% to almost 17% and their number will increase 2.3 times between 2013 and 2050.1 The share of people aged 85 and over will increase from less than 1
eský statistický úřad, ‘Úmrtnostní tabulky’, life tables of the Czech Statistical Office, retrieved 30 Jun 2015 Č from the CZSO website, www.czso.cz/csu/redakce.nsf/i/umrtnostni_tabulky.
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2% to 6%, and their number will grow 3.5 times. The share of the population aged 65 and over will increase from under 17% in 2013 to over 30% in 2050 (see Table 1). Census data show that the number of people aged 95 and over doubled between 2001 and 2011, while the number of centenarians tripled during the same period.2 Table 1 Expected change in the number and share of selected age groups between 2013 and 2050
0–14 0–14 (%)
2013* 1,560,296 14.8%
2020 1,616,190 15.4%
2030 1,398,151 13.4%
2040 1,309,250 12.8%
2050 1,332,721 13.3%
15–64 15–64 (%)
7,188,211 68.4%
6,744,462 64.2%
6,570,871 63.0%
6,182,981 60.3%
5,656,010 56.3%
65 and over 65 and over (%)
1,767,618 16.8%
2,141,793 20.4%
2,459,340 23.6%
2,763,530 26.9%
3,062,047 30.4%
75 and over 75 and over (%)
708,147 6.7%
861,358 8.2%
1,298,759 12.5%
1,470,041 14.3%
1,663,490 16.6%
85 and over 85 and over (%)
168,148 1.6%
215,252 2.0%
330,386 3.2%
544,205 5.3%
590,346 5.9%
10,516,125
10,502,445
10,428,362
10,255,761
10,050,778
Total
Source: Population forecast, Czech Statistical Office (see n. 2). * Actual figures.
Between 1990 and 2000, there was a sharp increase in life expectancy, especially for Czech men (4.1 years compared to 2.9 for women). The development after 1990 is characterised by a ‘cardiovascular revolution’ (Ministerstvo zdravotnictví ČR 2014). The increase continued at a slower pace in the decade between 2000–2010 (2.7 years for men and 2.3 for women). In 2013 life expectancy was 75.2 years for men and 81.1 years for women (see n. 2 and Table 2). Despite these developments, life expectancy in the Czech Republic remains below the EU28 average (Eurostat 2015b), and the gap in life expectancy by education is the biggest in the Czech Republic and Central Europe, especially for men (OECD 2012). The increase in life expectancy in health significantly lagged behind the increases in average life expectancy (Ministerstvo zdravotnictví ČR 2014). In 2012 healthy life expectancy at birth (HLY) was 64.1 years for women and 62.3 years for men, and at the age of 65 it was 8.3 years for women and 8.9 years for men (Eurostat 2015a). Between 2005–2013, the gap between total and healthy life expectancy slightly narrowed as healthy life expectancy increased faster (see Table 2). 2
eský statistický úřad, ‘Výsledky sčítání lidu, domů a bytů 2011’, retrieved 30 Jun 2015 from the website of Č the Czech Statistical Office, www.scitani.cz.
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236
p. wija Table 2 Life expectancy and healthy life expectancy at birth and age 65, 2005–2013
LE(0) women
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
79.1
79.7
79.9
80.1
80.1
80.6
80.7
80.9
81.1
HLY(0) women
60.0
59.9
63.3
63.4
62.7
64.5
63.6
64.1
N/A
LE(0)–HLY(0) women
19.1
19.8
16.6
16.7
17.4
16.1
17.1
16.8
N/A 75.2
LE(0) men
72.9
73.5
73.7
74.0
74.2
74.4
74.7
75.0
HLY(0) men
58.0
57.9
61.4
61.2
61.1
62.2
62.2
62.3
N/A
LE(0) – HLY(0) men
14.9
15.6
12.3
12.8
13.1
12.2
12.5
12.7
N/A
LE(65) women
17.6
18.0
18.2
18.4
18.3
18.7
18.8
18.9
19.1
6.6
6.8
8.1
7.5
8.1
8.5
8.4
8.3
N/A
LE(65) – HLY(65) women
11.0
11.2
10.1
10.9
10.2
10.2
10.4
10.6
N/A
LE(65) men
HLY(65) women
14.4
14.8
15.0
15.1
15.2
15.3
15.5
15.6
15.7
HLY(65) men
7.0
7.1
8.4
8.2
8.5
8.8
8.7
8.9
N/A
LE(65) – HLY(65) men
7.4
7.7
6.6
6.9
6.7
6.5
6.8
6.7
N/A
Source: Life tables of the Czech Statistical Office (see n. 2) for life expectancy (LE). European Community Health Indicators (ECHI) – European Commission (Heidi data tool) (Eurostat 2015a) for health expectancy (Healthy Life Years, HLY).
According to the OECD (2014) Czech women can expect to live 10.6 years with activity limitation compared to the EU28 average of 12.7 years, and men 6.7 years compared to the EU28 average of 9.4 years. 3. The increasing demand for long-term care in the Czech Republic According to The 2012 Ageing Report of the European Commission (2012), the number of care recipients is expected to rise to 946,000 in 2060, which is a 50% increase. The report expects the rise especially of users of formal long-term care services as their number will more than double by 2060. Projected long-term care expenditures in the Czech Republic will reach 1.5% of the GDP in 2060. This requires the adaptation of the social protection system to demographic changes and the addressing of potential staff shortages (European Commission 2013). Epidemiological transition leads to an increase in the incidence of neurodegenerative diseases and a need for long-term care (Holmerová et al. 2011; 2012). Other factors contributing to the increasing demand for long-term care include more expensive hospital care and the pressure to shorten hospital stay. Many developed countries have already transferred long-term care for the elderly from hospitals to social services. Concomitantly, a significant portion of the cost was transferred from the health care to the social care budget (McKee & Healy 2002). EJMH 10:2, December 2015
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As social services are not covered by health insurance, this ‘paradigmatic shift’ has an impact on both persons in need of care and their carers. A further factor is the growing specialisation of medicine, which leaves a number of frail people with complex needs beyond the competence of any specialisation (Kalvach 2008; 2011; Kalvach et al. 2004). The key drivers of rising expenditure can be seen on the supply side, such as the rising costs of new medical technologies. New technology does not necessary mean higher costs, and using new technology can lead to saving, but here I refer to expensive new treatments and drugs rather than to the increasing number of the oldest-old on the demand side (McKee & Healy 2002). 4. The capacity and availability of formal long-term care in the Czech Republic Similarly to other European countries there is no single long-term care scheme in the Czech Republic. Long-term care is provided under different conditions in the social and health care services (separate registration of providers, financing, quality monitoring and inspection, or personnel standards) (Wija 2013a; 2013b). The provision of social and health services is regulated especially by the Social Services Act (Zákon č. 108/2006 Sb. 2006) and the Health Services Act (Zákon č. 372/2011 Sb. 2011). In the health care system, long-term inpatient health care is provided in different settings: hospitals, facilities for long-term patients, psychiatric and rehabilitation hospitals, and other facilities. Some facilities are also registered to provide social services under the Social Services Act (Wija 2013a; 2013b). The Health Services Act defines long-term inpatient care as care that is provided to patients whose health condition cannot be significantly improved and whose condition requires complex nursing care. In the social care system, social services are regulated by the Social Services Act. They are registered by the regional authorities under that Act. People with limited self-care capacity who at the same time receive formal or informal care are entitled to a ‘care allowance’. There are four levels of the benefit corresponding to four degrees of ‘care dependence’. The degree of need for care is determined by an assessment of functional health and ability to perform activities of daily life. The assessment is provided by a physician of the Medical Assessment Service employed by the Czech Social Security Administration and by a social worker employed by the Labour Office. The minimum age of a person who can receive/apply for the allowance is 1 year. The allowance is financed by the state (tax-funded) and is not means-tested. Recipients aged 65 and over make up more than two thirds (68%) of all recipients and 12% of the given age group (see Table 3). Recipients of the allowance in Degree I represent 35%; in Degree II, 32%; in Degree III, 20%; and in Degree IV, 13% of all recepients. Since the introduction of the care allowance in 2007 the number of recipients has increased by 35,700 to almost 313,000 in 2012 (Wija 2013a; 2013b).
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p. wija Table 3 The number and share of care allowance recipients in selected age groups, 2012 Share of care allowance recipients within the given age group
No. of recipients
Share of all recipients
99,600
32%
1%
65 and over
213,100
68%
12%
75 and over
170,900
55%
24%
85 and over
80,700
26%
48%
312,700
100%
3%
Under 65
Total
Source: Ministry of Labour and Social Affairs (MPSV 2011a; 2012; 2013).
Critical challenges in formal long-term care include the rise of unregistered providers of residential social care for seniors and people with dementia, uneven quality and standards of health care provided to similar patients in the social and health care sectors (Wija 2013a; 2013b), and the low availability of community social and health services in small towns, which is crucial in the Czech Republic, where 27% of the population lives in communities of 2,000 or fewer inhabitants (Český statistický úřad 2012, section 1–14). Despite the activity of the Czech Alzheimer Society and broad coverage of the issue of dementia and social services in media, the Alzheimer Plan, which the government declared to prepare, has not yet been adopted (Holmerová et al. 2013). 5. The availability of family (informal) care as a supplement to formal care Informal care plays an important role in the sustainability of long-term care (BörschSupan et al. 2013). The definition of informal care varies according to specific criteria such as the minimum weekly hours or minimum duration of care provision. Informal carers provide about 70–90% of all long-term care in OECD countries. Most of the care is directed to close relatives, especially parents and partners. Men are more likely to provide care to their spouses than to other persons (Colombo et al. 2011). Informal carers are usually women above 50, and their average age is going to increase further (Börsch-Supan et al. 2013). The availability of informal care depends on both macro- and micro-level factors, such as the type of welfare system or exiting the labour market through retirement, deterioration in the household’s financial situation, or a change in the household composition. Different welfare systems assign different roles to the family, combining cash and in-kind support. Familialism regimes can be classified as ‘im-
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plicit’, ‘explicit’, or ‘optional’. In explicit familialism regimes the responsibility of care for older individuals is assigned to the family, which receives financial benefits and limited support services, for example in Austria, Belgium, France and Germany. Although such classification is only informatory, the Czech Republic or Hungary can be classified as ‘explicit familialism’ welfare regimes. ‘Implicit familialism’ regimes primarily encourage family care through a strong normative system, especially in some Southern European countries such as Greece, Italy, Spain or Portugal. ‘Optional familialism’ is marked by generous professional and financial services and is typical of Scandinavian countries (Börsch-Supan et al. 2013). In the Czech Republic, there are different estimates of informal carers, and the prevalence and intensity of care are not sufficiently explored in research. According to the Ministry of Labour and Social Affairs, there are 250,000 care allowance recipients, of all ages, receiving some form of informal care and using the allowance to pay for informal care exclusively or in combination with some formal social services3 (MPSV 2011a; 2012; 2013) (see Table 4). The number does not reveal much about the intensity of informal care. However, about two thirds of care recipients receive first or second degree care allowance, which means they require less intensive informal support and care. According to recent research (Jeřábek 2013) there are about 75,000 seniors in the Czech Republic in the ‘intensive care’ of their families, and their number is expected to double by 2050. People in need of more care receive third or fourth degree care allowance (see amounts below). Table 4 Care allowance recipients by type of care received, 2007–2011
Residential social care
2007
2008
2009
2010
2011
34,500
48,600
55,300
57,200
58,700
Home (domiciliary) social care
10,100
19,300
24,400
24,800
25,700
Informal care (of other person)
209,100
237,100
252,400
254,500
248,400
Source: Ministry of Labour and Social Affairs (MPSV 2011a; 2012; 2013).
However, as the SHARE survey indicates, the extent of exchange of informal support and care is larger. The SHARE data has demonstrated that older people are both giving and receiving support and care (Börsch-Supan et al. 2013). According to SHARE (2015), 60% of people aged 80 and above in the Czech Republic say that they have received help from outside the household over the last 12 months, approximately twice as much as in the age group 65–79 years. Nearly one in five 3
are allowance is paid to the care recipient, and the family/informal caregiver receives it from him or her. The C recipient of care allowance is always the person in need of care.
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persons aged 80 and above also reported that they had given help to others outside the household over the past 12 months (see Tables 5 and 6). The SHARE results indicate geographical patterns in intergenerational provision of help. While giving help to grandchildren or receiving help from children is similar in all European count ries, the mean frequency of caregiving is higher in the Mediterranean countries and Poland than in Nordic or Central European countries. Care allowance presents a significant, often the only, source of income for informal carers, although the allowance is not primarily intended as a reward for informal caregivers but rather as income support for care recipients, enabling them to buy professional social services. There are four levels of the allowance corresponding to the four degrees of ‘care dependence’. The monthly allowance amounts to 800 CZK (appr. €28, Degree I), 4,000 CZK (€144, Degree II), 8,000 CZK (€287, Degree III), or 11,000 CZK (€395, Degree IV). The allowance is higher for recipients under the age of 18. For comparison, in 2014 the minimum wage was 8,500 CZK (appr. €305), the average old-age pension 11,050 CZK (€396) or 12,237 CZK for men (€439) and 10,028 CZK for women (€360).4 There is no mechanism of valorisation in the law, and the amount depends on government decision. Some caregivers thus face problems when the person in need of care (the recipient of the allowance) is hospitalised for an extended period, for allowance payment is suspended for the period of hospitalisation if it exceeds one month. Table 5 The share of respondents in the Czech Republic who reported having received help from outside the household over the past 12 months, by age and gender Received help from outside the household Male Female Total
Under 50 29% 17% 18%
Age group 50–64 65–79 20% 25% 23%
27% 37% 33%
Total 80 and over 49% 67% 60%
26% 33% 30%
The period of providing informal care to a recipient of second, third or fourth degree allowance is considered by law as ‘non-contributory periods of insurance’ (Zákon č. 155/1995 Sb. 1995). The carer is thus considered as employed for the purposes of old-age pension. However, reduced income during informal caregiving is not compensated for in pension income. Informal carers in the Czech Republic, similarly to other European countries, have lower income and face difficulties in the labour market (Colombo et al. 2011). In the Czech Republic about 59% of caregivers stated that they had to interrupt or leave their employment, which can trigger early 4
As of 11 Jan 2015, the exchange rate was €1 = 27.87 CZK.
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retirement. One in twenty economically inactive pensioners states that the cause of retirement was the loss of job and the inability to find a new one. Family/informal carers in the Czech Republic may face multiple discrimination as carers, people over 50 and women (Sokačová 2014) Table 6 The share of respondents in the Czech Republic who reported having given help to others outside the household over the past 12 months, by age and gender Gave help to others outside the household Male Female Total
Under 50 43% 44% 44%
Age group 50–64 65–79 35% 37% 36%
27% 26% 27%
Total 80 and over 23% 15% 18%
31% 31% 31%
Source: SHARE 2015.
The carers of people with dementia face special challenges. There are currently some 140,000 people with dementia (Holmerová et al. 2013). Up to 80% of the people with Alzheimer’s or another form of dementia receive care from family at home in the Czech Republic (Holmerová 2003; Holmerová et al. 2006). People who care for people with dementia often perceive themselves as overburdened. For many carers the demands of daily care exceed their emotional capacities (Schindler et al. 2012). According to European studies, up to 78% of caring partners and 47% of adult children are suffering or have suffered from depression (MPSV 2011b). Caregiving significantly interferes with their family relationships. People with dementia receive the care allowance. However, there seems to be some bias in the assessment of cognitive impairment. Evaluation design is focused on physical disability and ADL, while people with dementia loose independence in IADL, and dementia is underdiagnosed in both institutional populations and the general population (Holmerová et al. 2013). 6. Reflections The quality of formal long-term care system has substantially improved over the last years with investments in the life-long education of workers and other initiatives. The residential capacities in social services have increased, while the availability of health care and health staff in such facilities as homes for seniors remains a challenge. In recent years there have been attempts to adopt legislative reform of long-term care to define the relationship between health and social sectors in order to ensure interdisciplinary long-term care (MPSV 2011b). However, the reform reguEJMH 10:2, December 2015
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lating interaction and cooperation between health and social services has not yet been adopted. The availability of support for family carers and ageing at home remains fragmented, insufficient and geographically uneven, especially in smaller towns which hugely rely on informal support. The main reason and ‘motive’ for caregiving is a combination of emotional relationship and moral obligation. Awareness of the needs of family carers is increasing, and more and more residential and in-home social services provide respite care as well. In addition to the low availability of support and services for informal carers, the unaffordability of paid services is a barrier for care seekers as the price of services is considered high. Moreover, in small towns and villages the use of professional home care is often perceived as socially stigmatising for the family. The preference for home care over residential care is also stronger in small towns. As informal carers often face financial stress, the low availability of flexible working arrangements, such as part-time jobs or work from home, remains a substantial problem and barrier for informal carers. Patients’ organisations and NGOs doing advocacy for frail seniors and their carers play an important role in policy changes and in raising public awareness of the issue. The challenge remains timely, however, and a system of coordinated social and health care, of integrated outpatient, in-home and respite services, and an adequate support system for informal carers are still goals to achieve. Despite all difficulties, the number of initiatives, training courses for carers, information and awareness projects has increased over the past years. References Börsch-Supan, A., M. Brandt, H. Litwin, G. Weber, eds. (2013) Active Ageing and Solidarity between Generations in Europe: First Results from SHARE after the Economic Crisis (Berlin & Boston: De Gruyter). Burcin, B. & T. Kučera (2010) Prognóza populačního vývoje České republiky na období 2008– 2070 (Prague: PřF UK) retrieved 30 Jun 2015 from www.mpsv.cz/cs/8838. Colombo, F., A. Llena-Nozal, J. Mercier & F. Tjadens (2011) Help Wanted? Providing and Paying for Long-Term Care (Paris: OECD), retrieved 30 Jun 2015 from http://dx.doi. org/10.1787/9789264097759-en. Český statistický úřad (2012) Demografická příručka 2011 (Prague: Author) retrieved 30 Jun 2015 from www.czso.cz/csu/czso/demograficka-prirucka-2011-lmv6bp775h. European Commission (2012) The 2012 Ageing Report: Economic and Budgetary Projections for the 27 EU Member States (2010-2060), European Economy 2/2012 (Brussels: European Union), retrieved 30 Jun 2015 from http://ec.europa.eu/economy_finance/publications/european_economy/2012/pdf/ee-2012-2_en.pdf. European Commission (2013) Evidence on Demographic and Social Trends: Social Policies’ Contribution to Inclusion, Employment and the Economy (Brussels: Author), retrieved 30 Jun 2015 from http://aei.pitt.edu/45913/1/SWD_(2013)_38_2.pdf. Eurostat (2015a) Healthy Life Years Statistics, database, retrieved 10 Jul 2015 from the Statis
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FORMAL AND INFORMAL LONG-TERM CARE
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European Journal of Mental Health 10 (2015) 245–255 DOI: 10.5708/EJMH.10.2015.2.10
Zsuzsa Széman*
TRANSITION OF LONG-TERM CARE IN HUNGARY Problems and Solutions (Received: 20 April 2015; accepted: 15 September 2015)
The study presents the challenges of long-term care for the elderly from 1993 to the present, which arise from the poor state of health of the population over 65. It analyses the related trend in policy on the elderly, how a positive trend up to 2008 took a negative turn. Against this background, it examines the role family carers play in caregiving. Their task has become increasingly difficult as a result of the state shifting responsibility to the families, strong demographic ageing and the appearance of declining health in an early stage of the life cycle. Alternative solutions must be found to relieve this burden, and one possible direction is the incorporation of ICT into long-term care. The study presents innovative solutions facilitating care: the WebNurse developed for family carers and Skype Care to ease the loneliness of the elderly. Keywords: ageing, long-term care, family carer, infocommunication (ICT), innovation Wandlung der Langzeitpflege älterer Menschen in Ungarn: Probleme und Lösungen: Die Studie zeigt die Herausforderungen von 1993 bis zum heutigen Tag, mit denen sich die langfristige Altenpflege wegen des schlechten Gesundheitszustandes der Menschen über 65 Jahre konfrontiert sieht. Die Studie analysiert den damit verbundenen Trend in Bezug auf die Altenpolitik, wie sich die positive Entwicklung bis zum Jahr 2008 in einen negativen Trend verwandelte. In diesem Rahmen werden die Folgen der Verantwortungsabwälzung des Staates erörtert. Bei den älteren ungarischen Menschen treten die Verschlechterung der Funktionen und der schlechte Gesundheitszustand bereits in einer früheren Lebensphase auf, gleichzeitig steigt die Lebenserwartung, was die Erhöhung der mit Krankheiten verbrachten Jahre bedeutet, das heißt den Familien fallen immer längere und schwierigere Pflege- und Betreuungsaufgaben zu. All das erfordert die Entwicklung von alternativen Lösungen, die die Pflege erleichtern. Eine mögliche Richtung ist die Anpassung der Informationskommunikation an die Langzeitpflege für ältere Menschen. Die Studie präsentiert Lösungen, welche die Pflege erleichtern: die speziell für die Haus- und Fami-
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suzsa Széman, Institute of Mental Health, Semmelweis University, Nagyvárad tér 4., H-1089 Budapest, Z Hungary; szemanzs@hu.inter.net.
ISSN 1788-4934 © 2015 Semmelweis University Institute of Mental Health, Budapest
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lienpflegerinnen entwickelte „WebPflegerin”, bzw. auch das für Familien geeignete Skype Care, das eine Lösung für die Einsamkeit älterer Menschen darstellen sollte. Schlüsselwörter: Alterung, langfristige Altenpflege, Haus- und Familienpfleger, Information und Kommunikation, Innovation
1. Healthy ageing and care in Hungary and Europe The proportion of the population over 65 years of age increased substantially in Hungary between 2002 and 2013 from 12.4% to 13.1%,1 and that of the 80+ age group from 2.9% to 4.1%.2 In 2012 life expectancy for men over 65 was 14.3 years, and for women 18.1 years,3 but the healthy life years (HLY) expectancy fell far below that level to only 6.4 years for both men and women, indicating considerable care needs, especially in the case of women, who can expect a much longer period with restricted functions, 11.7 years compared to 7.9 years for men. The figures are much lower for both sexes than in the majority of the EU countries (Eurostat 2015); the appearance of declining health in an early stage of the life cycle represents an especially serious problem. According to the most recent census (2011), 40% of those over 60 (more than 900,000 persons) have a chronic illness in Hungary; more than one in ten are restricted in caring for themselves, one third in their everyday life and more than one quarter in the use of transport. A further 11% of those over 60 live with some form of disability (physical disability, impaired sight, impaired hearing) (KSH 2014). On the other hand, long-term care expenditure as a share of the GDP is very low, less than 0.5% with lower levels found only in Estonia, Portugal and Greece among the OECD countries. The difference compared to the Netherlands and Sweden is especially striking (3.8% and 3.6%, respectively, in 2011).4 This is not exclusively related to the more cost-intensive illnesses occurring in old age, but also to the fact that these countries have recognised the challenge of long-term care and developed a policy to deal with it (OECD 2013). EU ageing policy places emphasis on active ageing, and this concept has recently been extended to include the life stage spent in long-term care. In this interpretation, improving the quality of life of the elderly within a complex system incorporating the following elements is of key importance: coordination of the health and social sectors, creation of interlinked forms of service, reconciliation of work and care, a suitable financing structure, creation of a suitable environment, 1 2
3
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This is the same as the average of the EU28. ‘Népesség korcsoportonként (2003–2014)’, Eurostat data table, retrieved 28 Apr 2015 from the website of the Hungarian Central Statistical Office, www.ksh.hu/docs/hun/eurostat_tablak/tabl/tps00010.html. ‘65 éves korban még várható élettartam, nemenként (1990–2012)’, Eurostat data table, retrieved 13 Apr 2015 from the website of the Hungarian Central Statistical Office, www.ksh.hu/docs/hun/eurostat_tablak/ tabl/tsdde210.html. The OECD average is 1.8% with Norway, Denmark, France, Belgium, Japan and Iceland between 1% and 1.5%.
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easing the life of the elderly based on ambient assisted living and the introduction of solutions making use of ICT, the elaboration of other solutions enhancing the activity of informal carers, especially family carers, launching technical and medical-biological research aimed at reducing the need for long-term care, the involvement of civil and nonprofit actors in problem-solving, creating suitable communication, and in general, the exploration of new potential within frameworks supported by the EU.5 The European Union gives attention to programs developed at the regional, local government level in different countries, and to presenting good examples (Olsson 2014). All this reflects a growing positive trend in the EU countries in facing the challenge of long-term care. Hungary has moved in the opposite direction; to understand the reasons we need to consider the milestones in the legislation of long-term care between 1993 and 2015. 2. The trend in long-term care in Hungary, 1993–2015 Replacing the earlier poverty principle, the Social Welfare Act of 1993 (1993. évi III. törvény) made it mandatory for local authorities to provide home care (for a maximum of 4 hours a day) and meals for persons over 60 in a normative-based financing system. It required towns with over 2,000 inhabitants to operate what is called a seniors’ club (providing meals, activities, personal hygiene) as a specialised service. The service could also be provided by NGOs, churches or the private sector. The hard standards of the 1994 regulation (e.g. sqm/person in residential homes, 2/1994. (I. 30.) NM rendelet, 9/1999. (XI. 24.) SzCsM rendelet) resulted in further qualitative improvement, but small towns and disadvantaged regions were unable to meet the requirements and provide basic services. An examination by the State Audit Office in 2004–2005 clearly showed that the reason why home care coverage stood at only 66.6% (Állami Számvevőszék 2007) was post-payment financing.6 In 2009, 75% of towns with fewer than 400 inhabitants were able to provide home care, and 70% meals (KSH 2011, 1–3). In 2006 the model of home care with emergency alarm developed by HCSOM in 1992–1994 was incorporated into the Social Welfare Act (1993. évi III. törvény). The organisation became a Centre of Methodology with the right to monitor and train. A negative trend began in 2008 (36/2007. (XII. 22.) SZMM rendelet¸ 340/2007. (XII. 15.) Kormányrendelet). In that year the methodological authorisation was withdrawn from the organisation. In 2009 the budget provided for the emergency alarm system was reduced from the earlier (2006) level of 4 million EUR to 3.6 million EUR, and in subsequent years this amount was further reduced despite growing demands. Another measure with a negative impact in the same period was that only 5
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OPACT (2013–2017) Mobilising the potential of active ageing in Europe. European Commission under the M 7th Framework Programme: http://mopact.group.shef.ac.uk/ (accessed 10 Mar 2015). In 2004, 3% of all persons over 60 received home care; 5% meals on wheels; 2% attended clubs for the elderly; home nursing was provided for 0.4% (Papházi 2005).
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towns with more than 3,000 inhabitants were required to operate a seniors’ club. That meant the elimination of 8% of towns from this provision (Állami Számvevőszék 2007). In the case of residential homes the threshold for mandatory provision was raised from 10,000 to 30,000 inhabitants. The conditions for admission to a residential home were also changed. Only persons requiring over 4 hours of care a day could be accepted, thereby shifting the care towards nursing without providing the necessary health services or strengthening home care. Home nursing that could be provided for two weeks (financed by the Health Fund) solved only the problem of acute need for health care, and did not constitute a supplement to long-term home care in the social sphere. The ministry’s obstacle-free model program between 2003–2005 represented a slight positive change (Széman & Pottyondy 2006). On the basis of an invitation for tenders announced by the ministry, the possibility arose to extend the program to a wider target group of persons receiving care at home, but in subsequent years it was discontinued. By 2012 the formal care system was struggling with serious problems of quantity and quality. The number of persons receiving home care increased threefold between 2000 and 2012 (from 40,212 to 125,281), but this was not followed by a similar increase in the number of carers. The net result was a upsurge in the number of recipients of care per carer: from 4.3 elderly persons per carer in 2000 to 7.3 by 2011 (KSH 2012, Table 7.3). Such a workload made it impossible to provide the four hours of care a day allowed under the law. The following dilemma arose: to provide less intensive care, or to offer more intensive care in which case some elderly persons would not be included in the system, and the care burden on families would increase. The Fundamental Law (Constitution) of 2011 further exacerbated the trend of shifting the burden of care to the families by enjoining the duty of caregiving on them. In 2015 the threshold score in the system of rating the state of physical and mental health was raised, thereby pushing home care in the direction of nursing without providing the necessary resources, and simply leaving families to shoulder a new care task.
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Table 1 1993
Social Welfare Act (1993. évi III. törvény): – h ome care and meals on wheels for people over 60 years are basic mandatory task of local government; – towns with over 2,000 inhabitants must operate clubs for pensioners that provide meals and activities preventing mental decline; – towns with over 10,000 inhabitants must operate a residential home; – possibility for temporary care (for up to 1 year); – nursing allowance, with automatic entitlement in case of care given in the home to a child or adult with serious disability, or to an older person.
1994
Two weeks of home nursing financed by the Health Fund.
1994 Regulation defining the quantitative and qualitative criteria of services and the professional tasks and operating conditions of institutions providing personal care (2/1994. (I. 30.) NM rendelet). 2000 Further development of the professional tasks and operating conditions of institutions providing personal care (1/2000. (I. 7.) SzCsM rendelet). 2006 Addition of a new service under the Social Welfare Act (1993. évi III. törvény): – inclusion of the emergency alarm system into home care for the elderly; – Hungarian Charity Service of the Order of Malta (HCSOM) set up a centre of methodology. The organisation developed the service into a model program between 1992–1994. 2008 HCSOM was authorised to operate the National Centre of Methodology. 2008
Change in conditions for services linked to population size: – club for the elderly to be maintained by towns with over 3,000 inhabitants (as opposed to the earlier 2,000); – residential home mandatory in towns with over 30,000 residents.
2009 Change in conditions for admission to a residential institution: persons must require 4 hours of care a day (as opposed to 2 hours earlier). 2009
Decrease in the budget for emergency alarm.
2011
New Constitution declares care to be a family task.
2013
Centralisation of home care with emergency alarm.
2013
Decrease in the financing of home care.
2015
Criteria for receiving home care become stricter.
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3. The role of families in care Since 2004 the problem of family care has occupied an increasingly prominent place among EU research projects (e.g. EUROFAMCARE 2003–2005 and CARICT 2011).7 It is well known that in the EU some 19 million family carers spend more than 20 hours a week on caregiving and more than half of them devote at least 35 hours to caregiving (Colombo et al. 2011). In some countries care is an especially big burden on families. According to Błędowski and colleagues (2004) in Poland more than 2 million family carers spend 100 hours a week on caregiving, which means an extremely intensive care. At the same time in Hungary, apart from estimates and a qualitative investigation by the Hungarian Charity Service of the Order of Malta, there are no representative figures on family carers providing care for people living with a serious illness or in need of lengthy rehabilitation. According to the estimate made by the Centre of Methodology, in the 2000s some 400,000 persons over 65 lived with various degrees of (severely) reduced function, but only 170,000 of them received some form of health or social care, while 230,000 persons received none. They were not in residential homes, in hospital or nursing wards, in chronic internal wards, or in the social home care system, but they might have been cared for by family/informal carers, risking a negative effect on the life of the carers.8 The findings of qualitative research on family carers based on 18 in-depth inter views by the HCSOM Centre of Methodology in 2011 show the negative effects of caregiving on the carer. The majority of family carers in the sample lived far away from their relatives (even in the same town) and very often had to provide intensive care even if their relatives received care in the public sector. The need to leave the workplace in case of an emergency and then having to work overtime to make up for time spent away from the job caused stress for almost all of them, producing somatic symptoms in many cases, hastening the deterioration of their own health, and making them potential care-receivers. There is a growth in the care burdens of family carers on the one hand, and on the other hand, the Fundamental Law (Constitution) made caregiving an obligation of families without providing the necessary means of support. The nursing allowance is an automatic entitlement for full-time carers of disabled children or adults with serious disability, but the allowance can be awarded to those caring for elderly persons only on the merits of the case, and cost-saving considerations prompt local governments to withhold such support. According to the latest figures available, there was a steady increase in the number of supports based on automatic entitlement between 2000 and 2012 and a decline in supports based on merit over the same period. The former grew nearly fivefold, from 8,456 persons in 2000 to 47,458 in 7
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UROFAMCARE (2003–2005): Supporting Family Carers of Elderly People in Europe: Characteristics, E Coverage and Usage. The National Background Reports can be read on the website of the project EUROFAMCARE: www.uke.de/extern/eurofamcare/publikationen.php?abs=2 (accessed 10 Mar 2015). Further on the project CARICT (2011), see Carretero et al. 2012. Oral interview with Zoltán Tarnai (2015), head of the HCSOM Centre of Methodogy.
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2012. While the number of persons receiving the nursing allowance based on the merits of the case increased until 2005 (20,540 persons), by 2012 their number had fallen by half (to 10,514) (KSH 2012, 89–90, Tables 6.7–6.8). These figures also clearly indicate the negative trend in the policy on the elderly from the second half of the 2000s on, irrespective of which party is in power.9 At the same time, starting in 2011 a process was initiated by researchers, the civil sphere and local governments wishing to confront this situation by developing model programs based on innovation, the exploration of the possibilities of ICT and the mobilisation of new human resources. 4. New turning point 4.1. WebNővér Family and informal carers without suitable care and nursing skills have to carry a big burden in long-term care in Hungary as the state gradually began to withdraw. To answer the challenges and ease this situation, in the framework of the HELPS project of the Central European Programme of the European Union, the Hungarian Charity Service of the Order of Malta (HCSOM) drawing on earlier research began to elaborate and test a web-based pilot program called WebNővér (WebNurse; www.webnover.hu), which comprises six elements: 1. short explanatory videos teaching nursing tasks, 2. service map, 3. mental support, 4. nutrition advice, 5. care advice, 6. legal advice (Report on Pilot Findings 2014, 24–26). Access is free, ensuring quick dissemination. The pilot program was presented to the media, governmental and local decision-makers, experts and a wider audience in January 2014. Since then it has begun to spread and raise awareness of how a web-based solution can help family carers and informal helpers. 4.2. Skype Care Another model program started in 2011 targeted lonely, depressed, digitally illiterate persons over 75 years of age receiving care because of their deteriorated physical and mental state. It covered different settlement types (Budapest, a big town, a small town and villages) and involved 50 persons with an average age of over 80 years and various levels of schooling. Its aim was to demonstrate that the loneliness and isol ation of the frail, lonely elderly can be overcome by teaching them the use of Skype. Sick elderly persons in need of care are usually regarded as incapable of acquiring digital skills10 – an understandable prejudice in view of the 2008 statistics: even 9 10
2002–2010: Socialists/Free Democrats; since 2010: FIDESZ/Christian Democrats. The findings of an MSW student’s 2015 study based on in-depth interviews with 23 general practitioners in Budapest confirm the continued existence of this prejudice. The majority of interviewees considered their elderly patients incapable of acquiring technical skills of any kind.
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among those aged 65–74 years barely more than 5% used the internet (KSH 2009a; 2009b). However, the program hypothesised that the very elderly in need of care are capable of learning if they are taught by young people aged 14–16 years in possession of up-to-date ICT skills and still free of prejudices. Within a very short time, already by the sixth month, old people were learning to use Skype, something entirely new to them, as they had the motivation to use video communication particularly with their grandchildren. Their earlier restricted contacts gave way to expanding interpersonal connections. By using the internet, they were not only able to acquire new knowledge, but the daily occupation also kept them busy, and their loneliness disappeared. The program also revealed a previously underutilised new human resource, secondary school students who taught the elderly, first as an experimental element in 2011 then as a regular arrangement from 2012, when voluntary service was incorporated into the school curriculum. Through their voluntary activities the ICT knowledge gap between the youngest and the oldest generation was bridged, which also helped foster closer intergenerational contacts (Széman 2012). 4.3. Complex care for the elderly In 2013 a representative survey of 25,000 elderly persons explored what kind of services they needed to enable them to continue living at home for as long as possible. The demand for company expressed by 76% of the interviewees exceeded the 67% demand for primary and specialised health care. Further typical answers included board games mentioned by 15% and someone to read aloud for them, mentioned by 16%. These answers can and must be interpreted as ways to counter loneliness. Similarly, walking in groups (mentioned by 49%) cannot be categorised under either social or health care services.11 Taken together, the findings drew attention to loneliness as a social problem (Jeneiné Rubovszky 2014). In response to those findings, a model program of virtual care was launched in the spring of 2015 in Budapest’s 5th district and in Kisvárda, a town in NorthEastern Hungary. It is financed by the Ministry of National Development but participating institutions also include the Ministry of Human Resources and the Ministry of Interior. Workers of a care centre are in virtual contact with elderly persons re ceiving care. Participants are provided with a personal alarm bracelet, a computer and a smartphone by the Ministry of Human Resources. The virtually provided care is mental care, including regular virtual visits, conversation and games. In the future, services offered by the centre will be expanded to include help for family members caring for the elderly. They will include the creation of a database, information, advice. The centre is in regular contact with the elderly persons’ home carers, informing them of their clients’ needs. 11
he other categories included: meals (32%), manicure/pedicure (32%), spring cleaning (24%), home T assistance (24%), exercises to improve physical movement (14%), help through the home emergency alarm system (12%), help with official affairs (10%), hairdresser (4%), care of the yard/garden (1%).
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In the Skype Care program, secondary school students teach computer skills to the elderly. Another new human resource in caregiving may be persons participating in the public work program. This program was introduced by the government as a way of dealing with unemployment. Participants in the program can be trained to acquire caring skills, and the public workers’ involvement in virtual care may create a possibility to return them to the labour market. In addition to making use of the possibilities offered by ICT, the model program thus also draws on human resources not previously used in care: secondary school students and persons in the public work program. 5. Reflection The brief survey above throws light on the positive trend that began with the 1993 reform and lasted up to 2008, but then gradually gave way to an increasingly strong trend of withdrawal by the state. After the downward turn, new research based on the initiatives of local governments and non-governmental agencies appeared in which actors from below developed model programs making use of ICT and sought ways to incorporate them into care. 2015 has seen the simultaneous beginning of a negative and a positive trend. The stricter conditions for inclusion in home care without the provision of adequate resources definitely need to be changed as has apparently been realised at the macro level as well. At the same time, with the appearance of a new factor we have reached a milestone, and spring 2015 must be regarded as a turning point in home care for the elderly in Hungary. For the first time in recent history, three ministries have made a coordinated effort to improve care for the elderly: the ministry responsible for technical innovation is financing the program, the Ministry of Human Resources assumes responsibility for the home care of older people in the program, and the Ministry of Interior responsible for the public work program is also a partner. This cooperation underlines the importance of the recognition that care for the elderly must move beyond an exclusively social approach. In 2015 we are witnessing a new complex policy on the elderly that points in the right direction and is expected to have a positive effect in the near future. References 1993. évi III. törvény: A szociális igazgatásról és szociális ellátásokról (1993) retrieved 28 Apr 2015 from http://net.jogtar.hu/jr/gen/hjegy_doc.cgi?docid=99300003.TV. 2/1994. (I. 30.) NM rendelet a személyes gondoskodást nyújtó intézmények szakmai feladatairól és működésük feltételeiről (1994) retrieved 28 Apr 2015 from www.kazalkolos.lapok.hu/ keret.cgi?/2-94.htm. 9/1999. (XI. 24.) SzCsM rendelet a személyes gondoskodást nyújtó szociális ellátások igénybevételéről (1999) retrieved 28 Apr 2015 from http://net.jogtar.hu/jr/gen/hjegy_doc. cgi?docid=99900009.SCM.
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European Journal of Mental Health 10 (2015) 256–268 DOI: 10.5708/EJMH.10.2015.2.11
Andreas Wittrahm*
Familienwissenschaft als Praxiswissenschaft im Interesse einer lebensfreundlichen Gesellschaft (Erhalten: 17. Juni 2015; angenommen: 15. September 2015)
Die Familie ist die wesentliche Institution, um Generativität und generative Sozialisation in unterschiedlichsten Gesellschaftsformen zu gewährleisten. Die Bedingungen und Möglichkeiten, unter denen Familien dies leisten, können nicht von einer einzelnen Wissenschaft erforscht werden. Knapp ein Dutzend empirische, hermeneutische und normative Wissenschaften bearbeiten mit verschiedenen Fragestellungen und Methoden Themen, die in irgendeiner Weise die Familie berühren. Diese zahlreichen Wissenschaften interdisziplinär zusammenzuführen zu können scheint noch weit entfernt. In der Zwischenzeit, so wird vorgeschlagen, könnten sich die verschiedenen Disziplinen im Diskurs – etwa in dem einer Lehr- und Lerngemeinschaft – auf gemeinsame Optionen für die Förderung der Familie und ihrer einzelnen Mitglieder in der spätmodernen Gesellschaft verständigen, mit dem Ziel, ihre je eigenständigen Forschungen hinsichtlich der Bedingungen der Familiengründung, der Rollenvielfalt und Spannung der Familienmitglieder oder der langfristigen Sorge unter den Bedingungen der Gesellschaft des langen Lebens zusammenzuführen. Schlüsselbegriffe: Interdisziplinarität, konvergierende Optionen, Familienwissenschaft, Definition Familie, Familiengründung, Rollenvielfalt, Generation, Generativität Family Science as a Practical Science in the Service of a Life-Friendly Society: The family is considered to be an essential institution of generativity and generative socialisation in a wide variety of societies. No single discipline can examine all the conditions and possibilities of how families perform that task. Approximately a dozen different empirical, hermeneutic and normative sciences explore family-related issues with the help of different methods and approaches. However, an interdisciplinary convergence of these sciences still seems quite far off. In the meantime, we recommend that the various disciplines work together, as a kind of teaching and learning community with the aim of somehow coordinating their research on the conditions of founding a family, the diverse roles and stresses of family members and on long-term care
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ndreas Wittrahm, Caritasverband für das Bistum Aachen, Kapitelstraße 3, D-52066 Aachen; A wittrahm@t-online.de.
ISSN 1788-4934 © 2015 Semmelweis University Institute of Mental Health, Budapest
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provided in the context of ageing societies, to adopt common options that support late modern families and their members. Keywords: interdisciplinarity, converging options, family science, definition of family, starting a family, diversity of roles, generation, generativity
1. Einführung: Familienwissenschaft – oder Wissenschaften mit gemeinsamen Optionen „Familienwissenschaft“ im Singular ist ein in Europa eher ungebräuchlicher Begriff. Das ist nicht verwunderlich. Jede wissenschaftliche Disziplin braucht einen einigermaßen einheitlichen Gegenstand, eine Fragestellung und eine Methode. Schon die Bestimmung einer von möglichst vielen geteilten Definition des mittlerweile sehr unscharfen Gegenstandes „Familie“ fällt nicht leicht. Denn einerseits scheinen die konstitutionellen Elemente „Vater – Mutter – Kind“ nicht mehr unumstritten, andererseits erfährt der Familienbegriff in jüngster Zeit auch wieder Ausdehnungen über die sogenannte „Kernfamilie“ hinaus. Die möglichen Fragestellungen wiederum sind mannigfaltig, sie reichen vom Erleben und Verhalten des Einzelnen als Familienmitglied bis hin zur gesellschaftlichen Funktion der Familie im kulturellen und historischen Vergleich. Die Methoden unterscheiden sich entsprechend den Fragestellungen. Sie erstrecken sich von den quasi-experimentellen Ansätzen der Medizin und Psychologie über die statistischen Methoden der Sozialforschung und die hermeneutischen Arbeitsformen der Soziologie sowie der Kulturwissenschaften bis zu den normativen Ansätzen von Pädagogik, Recht, Ethik und Theologie. Also lässt sich von einer integrierten Familienwissenschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum reden. Zu vielfältig erweisen sich die Bereiche menschlichen (Zusammen)lebens, die von der sozialen Wirklichkeit „Familie“ tangiert werden, und zu ungeklärt sind die Interessen, mit denen sich die verschiedenen Disziplinen diesem Gegenstand annähern. Hilfreicher scheint es darum, „Familienwissenschaften“ im Plural zu betrachten und als eine Schnittmenge vieler Natur-, Human-, Sozial- und Kulturwissenschaften zu konzipieren, insofern diese sich mit ihren Fragestellungen und Methoden dem Forschungs- und Lehrgebiet „Familie“ zuwenden.1 Dann gilt es allerdings zu akzeptieren, dass sich die verschiedenen Disziplinen zunächst nach ihrem je eigenen Verständnis und ihren eigenen Regeln mit der Familie befassen, das Feld also bestenfalls multidisziplinär bearbeiten. In der Folge bedarf es einer komplexen 1
I m Zuge der Ausdifferenzierungen von Studiengängen in der Folge des Bologna-Prozesses haben sich z. B. in Deutschland erste Masterstudiengänge der „Familienwissenschaften“ gebildet, etwa an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg im Department „Soziale Arbeit“. Vor etwa 10 Jahren hat sich an der Universität Basel das „Centrum für Familienwissenschaften“ als Zusammenschluss von Wissenschaftlern gebildet, „die sich mit der Familie in all ihren Erscheinungsformen auseinander setzen.“ Das Zentrum „bündelt Kompetenzen und fachspezifische familienrelevante Angebote“ – „mit Blick über die nationalen Grenzen hinaus“ (www.famwiss.ch).
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Integrationsleistung, um einen Überblick über die – bei aller gemeinsamen Betroffenheit von den Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung und der radikalen gesellschaftlichen Modernisierung – differente Lebenswirklichkeit von Familien in den verschiedenen europäischen Ländern und Regionen zu gewinnen. Schließlich erscheint es als noch größerer Schritt, sich auf gemeinsame Empfehlungen zum Handeln im Interesse der Familien auf individueller, gemeinschaftlicher und gesellschaftlich-politischer Ebene zu einigen. Dieser zusammenfassende und abschließende Beitrag des vorliegenden EJMH-Themenheftes zur Familienwissenschaft stellt sich dennoch dieser Aufgabe. Zunächst einmal erstaunt es den Beobachter, dass nur wenige Wissenschaftsdisziplinen der Familie eine eigenständige Subdisziplin widmen. Neben dem Familienrecht ist dies vor allem die Familiensoziologie, die sich allerdings, wie Burkart (2006) in einem zentralen Übersichtsartikel feststellt, ihrerseits immer weiter ausdifferenziert. Demgegenüber hat die Pädagogik, die sich um Erziehung als einer wesentlichen Kernfunktion der Familie kümmert, bisher keine eigene Familienpädagogik hervorgebracht (vgl. Ecarius 2007). Die anthropologische und soziale Wirklichkeit „Familie“ scheint sich als so komplex darzustellen, dass nicht nur fast ein Dutzend Wissenschaften, sondern innerhalb dieser Wissenschaften weitere Unterdisziplinen jeweils mit Teilaspekten den Fragen nach der Familie, ihren Mitgliedern sowie ihren Binnen- und Außenbezügen befasst sind – ohne den Anspruch, das Ganze der Familie in den Blick zu bekommen. Wie also lassen sich die Beiträge aus den eher beschreibenden Disziplinen Psychologie, Soziologie, Demografie, Ethnologie und Geschichte, aus den normativen Wissenschaften Ethik, Pädagogik, Theologie und Recht und schließlich den praktischen Disziplinen Sozialpädagogik, Wirtschaft und Politik so zusammenbringen, dass ihre Erkenntnisse nicht einfach addiert werden, sondern verknüpft werden können?2 Gesucht wird eine wissenschaftstheoretisch seriöse Möglichkeit, die Erkenntnis- und Wissensbestände der verschiedenen Disziplinen zum Gegenstand „Familie“ zu integrieren und damit ein umfassendes und vor allem stimmiges Bild der Familie, ihrer Voraussetzungen, ihrer Aufgaben, ihrer Kohäsion, ihrer Bedrohungen und ihrer Entwicklungsperspektiven zu erstellen. Dazu bietet sich ein pragmatisches Verfahren an, das in der Praktischen Theologie entwickelt wurde. Es ging darum, die Theologie auf der einen und die Human- und Sozialwissenschaften auf der anderen Seite im Interesse einer Weiterentwicklung der Seelsorge miteinander ins Gespräch zu bringen, ohne die komplexen wissenschaftstheoretischen und methodenkritischen Voraussetzungen einer echten Interdisziplina2
Im Handbuch der Familie (Ecarius 2007), dem gegenwärtig umfassendsten Überblick zu den Entwicklungen rund um die Familie im deutschsprachigen Raum, versucht die Herausgeberin erstmalig eine Konzeption, allerdings beschränkt auf die pädagogische Perspektive, bei der die Autorinnen und Autoren aufgefordert sind, ihr jeweiliges „Themengebiet mit Familie zu konfrontieren, nach Zusammenhänge zu fragen und theoretische Überlegungen anzustellen“ (Ecarius 2007, 10). Den gemeinsamen Fokus bilden pädagogische Fragen im Lebenslauf der Familienmitglieder. Dennoch beschränkt sich auch dieses Handbuch eher auf eine multidisziplinäre Zusammenstellung der Erkenntnisse vieler Wissenschaften.
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rität endgültig klären zu müssen. Die moderne Theologie hatte erkannt, dass sie ihre Relevanz für die Förderung eines im Leben verankerten christlichen Glaubens nicht behaupten konnte, ohne sich mit den modernen empirischen Wissenschaften auseinanderzusetzen. Dazu gehörte vor allem, sich für deren Erkenntnisse, etwa zur Sozialund Milieuforschung, aus der Entwicklungs- und Sozialpsychologie oder der Theorie hilfreicher Begegnungen zu öffnen. Wie aber sollte das geschehen, ohne dass man sich weder dem fremden empirischen Wissenschaftsverständnis auslieferte noch die humanund sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse den eigenen normativen oder hermeneutischen Theorien einverleibte? Mette und Steinkamp (1983, vgl. auch Wittrahm 2001) etablierten dazu in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Modell der „konvergierenden Optionen”: Verschiedene Wissenschaftsdisziplinen (dasselbe kann auch für Vertreter verschiedener Professionen gelten) respektieren ihre Unterschiedlichkeit und bestimmen im kritischen Dialog gemeinsame Optionen im Hinblick auf die aktuellen Fragestellungen. Anschließend stellen sie die jeweils eigenen Wissensbestände und Handlungsformen in den Dienst von gemeinsam als lohnenswert erkannten Zielen. Doch auch Wissenschaften, die im Rahmen ihres je eigenen Selbstverständnisses und ihrer spezifischen Regeln an gemeinsamen Fragestellungen zur Familie arbeiten, brauchen eine grob übereinstimmende Vorstellung, was zum Gegenstand Familie gehört (und was nicht ), um dann die gemeinsamen Optionen als Leitvorstellungen für Forschung und Lehre zu bestimmen. Das scheint nicht einfach. Burkart (2006) zumindest verzichtet in seinem Übersichtsartikel auf eine Definition von Familie, Fuhs (2007, 27) geht schlicht davon aus, „dass Familie im Plural gedacht werden muss“. Burkart grenzt erst einmal Merkmale ab, die seitens der Familiensoziologen nicht mehr zwingend als „Grundelement der Definition von ‚Familie‘ “ (2006, 181) betrachtet werden (vgl. auch Fuhs 2007). So werden in der gegenwärtigen Theoriebildung und empirischen Forschung zur Familie die Partnerschaft ohne Ehe, die Abwesenheit eines Elternteils („Einelternfamilie“) oder die homosexuelle Partnerschaft mit Kindern integriert (Burkart 2006). Lüscher (2012) geht zur Bestimmung des Forschungsgegenstandes „Familie“ darum nicht vom Vorhandensein bestimmter (umstrittener) Merkmale aus, sondern von der familialen Praxis und vor allem von den anthropologisch vorgegebenen Funktionen der Familie. Ecarius (2007, 9) fächert diese als „Personale Autonomie, Identitätsentwicklung, das Erlernen kultureller Handlungsmuster und die soziale und gesellschaftliche Reproduktion“ auf. Lüscher fasst alle diese Funktionen unter „Generativität“ und „Generative Sozialisation“ zusammen. Sein Ansatz bei der gelebten – hoch variablen – Praxis der Familien rückt weder ein (normativ) bestimmtes Familienmodell in den Mittelpunkt, noch schließt er irgendeines von vornherein aus. Lüscher gibt der Familienforschung auf, die „Mannigfaltigkeit (der gelebten Familienformen, a.w.) als Ausdruck des Bemühens von Frauen, Männern und Kindern zu verstehen, unter den gegenwärtigen sozialen Bedingungen für sich die Sinnhaftigkeit der Aufgaben zu erkennen, die Familie kennzeichnen“ (2012, 212). Als Bezugspunkt für die theoretische Einordnung all der Phänomene, die die so beschriebene Praxis von Familien prägen, schlägt Lüscher vor, „die einfache, jedoch
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unbestreitbare biologische Tatsache zu wählen, dass der menschliche Nachwuchs, jedes einzelne Kind, während mehrerer Jahren einer – wie auch immer gearteten – Zuwendung durch „Ältere“, also „Eltern“ bedarf, um zu überleben“ (2012, 216). Diese Zuwendungen müssen gleichermaßen die Sorge für das biophysische Wohlergehen wie auch um die emotionale, kognitive, soziale und auch transzendente (Erikson 1973) Dimension des Aufwachsens umfassen, stellen also „eine biologisch angelegte kulturelle Aufgabe“ (Lüscher 2012, 216) dar. Die Lösung dieser Aufgabe kann eine Vielfalt möglicher Realisierungsformen je nach physischen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, nach individuellen Wertvorstellungen und persönlichem Vermögen annehmen. „Generativität“ steht also im Zentrum von Lüschers Beschreibung sowohl der gelebten und vorfindbaren Praxis als auch der vorgegebenen Aufgaben von Familien. Gemeint ist damit das menschliche Bewusstsein, „dass die Generationen wechselseitig aufeinander angewiesen sind und die gegenseitige Verantwortung als individuelle und kollektive Verpflichtung zu postulieren ist“ (Lüscher 2012, 217). Die kultur- und gesellschafts-historische Flexibilität dieses Ansatzes zeigt sich darin, dass der Bezug auf eine solchermaßen umschriebene Generativität Wissenschaft und Praxis in die Lage versetzt, die neuzeitlich immer aktuellere und drängendere Aufgabe der Sorge um die hochaltrigen Frauen und Männer ebenfalls als Familienaufgabe zu thematisieren – mitsamt all‘ den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, dass in vielen europäischen Gesellschaften zahlreiche alte Familienmitglieder wenigen Angehörigen der jüngeren (und häufig ebenfalls bereits recht alten) Generationen gegenüberstehen. Umgekehrt sind, „auch wenn Eltern und Großeltern zwar in der Regel keinen gemeinsamen Haushalt führen“, gerade die „ökonomischen, sozialen, kulturellen und emotionalen Transfer- und Unterstützungsleistungen zwischen den Generationen“ (Fuhs 2007, 25) wieder viel deutlicher in den Blick zu nehmen. Aufbauend auf diesen Vorüberlegungen kann Lüscher eine Definition von „Familie“ anbieten, die möglichst vielen Disziplinen, die sich am Diskurs, an der Forschung und diesbezüglichen Lehre beteiligen, eine Verständigungs- und Arbeitsbasis zu vermitteln vermag: Als Familien bestimmt Lüscher „hier und jetzt jene Lebensformen eigener Art . . ., die sich durch die Aufgaben konstituieren, die grundsätzlich lebenslangen Beziehungen von Eltern und Kindern im Generationenverbund sowie – daran orientiert – die Beziehungen zwischen den Eltern zu gestalten“ (2012, 218). Mit Lüscher konzentrieren wir uns also auf die unvertretbaren Aufgaben oder Funktionen der Familie, „die als Generativität und generative Sozialisation umschrieben werden können“ (2012, 218). Wie aber sollten dann die konvergierenden Optionen für die Familienwissenschaften, also alle Disziplinen und Teildisziplinen bestimmt werden, die sich der Erforschung und die Lehre der oben beschriebenen Praxis-Welten und Funktionen von Familien widmen? Wenn wir davon ausgehen, dass jede Gesellschaft solche generative Gemeinschaften braucht, die emotionale Bindung, Sozialisation, verlässliche Versorgung und generationenübergreifende Solidarität gewährleisten und weiterhin „Familie“ heißen sollen, und wenn zu erkennen ist, dass diese Familien sich in der globalisierten, spät-
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modernen langlebigen Gesellschaft mit hohen emotionalen, kognitiven, wirtschaftlichen und alltagspraktischen Belastungsproben konfrontiert sehen, dann können die konvergierenden Optionen für alle mit der Familie befassten Wissenschaften lauten: – Aufklärung der familiären Lebensbedingungen in der spätmodernen Gesellschaft im Interesse der – Unterstützung der Familien zum Erhalt ihrer Stabilität und zur Befähigung zur Generativität und generativen Sozialisation. Dazu bietet sich eine Arbeitsteilung an, die bei der Perspektive der jeweiligen Wissenschaft auf die Lebensform Familie ansetzt: a) Zu beginnen ist bei den einzelnen Individuen im Familiensystem hinsichtlich ihrer Interaktion miteinander. Diesen Fragen widmen sich Psychologie, Pä dagogik, Praktische Theologie. Ihnen ist aufgegeben, die psychosozialen und gesundheitlichen Bedingungen der verschiedensten Konstellationen empirisch aufzuklären, z. B.: Wachsen Kinder mit zwei verschieden geschlechtlichen Eltern besser auf als mit nur einem oder zwei gleichgeschlechtlichen Eltern? Hat die Aufteilung der haushaltlichen und elterlichen Aufgaben einen Einfluss auf die Zufriedenheit der Partner? Welchen Einfluss haben elterliche Erziehungsstile auf den Schulerfolg ihrer Kinder? Mit welchen Unterstützungen lassen sich die Beeinträchtigungen der Kinder im Falle einer Trennung oder des Verlustes eines Elternteils minimieren? b) Die Aufklärung der Bedingungen und Möglichkeiten familiären Lebens im synchronen und diachronen Vergleich leisten Anthropologie, Ethnologie und Geschichtswissenschaften. Diese können mittels historischer und kulturübergreifender Studien ermitteln, welche Möglichkeiten der Gestaltung familiären Lebens sich in welchen Umweltkontexten bewährt oder nicht bewährt haben. Dazu gehören etwa Fragen, wie sozialstaatliche Sicherung und die Bereitschaft zur Familiengründung zusammenhängen, welche Erfahrungen Gesellschaften mit einer selbstverständlichen langjährigen außerhäuslichen Erwerbstätigkeit beider Eltern machen oder wie sich Bilder von „der guten Mutter“ oder „dem guten Vater“ auf die Familiengestaltung in verschiedenen Zeiten und Kulturen auswirken. c) Zum Thema „Familie“ hat jeder Mensch Erfahrungen und Überzeugungen aufgrund positiver oder negativer eigener Erlebnisse. Aus diesem Grunde werden die entsprechenden Themen in normsetzenden Institutionen bis weit in die Politik häufig und intensiv auf der Basis von subjektiven Urteilen diskutiert. Umso wichtiger ist es, die verschiedenen kulturellen und historischen Erfahrungen ebenso wie die tatsächlichen Auswirkungen (oder auch Nicht-Auswirkungen) bestimmter Familienkonstellationen und -dynamiken offen zu betrachten und erst dann mithilfe der empirischen (Demografie) und normativen (Soziologie, Ethik, Recht und Politikwissenschaft) Wissenschaften normsetzende Maßnahmen zu diskutieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass hier verschiedene Werte und Güter konkurrieren, etwa
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– das Kindeswohl und die Chancengleichheit der Kinder auf gesellschaftliche Teilhabe mit dem Recht der Familien, ihre Dinge selbstverantwortlich zu regeln, – das berechtigte Interesse von Staat und Gesellschaft an der Geburt von genügend Kindern und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und Männer darüber, ob sie Kinder bekommen wollen oder nicht, – die ethisch begründbare Notwendigkeit der Generationensolidarität mit den gebrechlich werdenden Eltern und das Recht der Kinder, ihren eigenen Lebenslauf in der mobilen modernen Gesellschaft fern der elterlichen Einflusssphäre zu gestalten. Bei alledem ist zu bedenken, dass Eingriffe in die persönliche Freiheit, gleich ob eher durch Anreizsysteme oder durch Auferlegung von Pflichten in der spätmodernen Gegenwart nicht unbedingt zu den gewünschten Resultaten führen (vgl. die Ausführungen von Kirschner (geb. Guschakowski) zu (sozial)politischen Beeinflussungsversuchen der Fertilität in diesem Heft). Nicht nur weil sie auf Widerstand der einzelnen Individuen treffen, sondern auch, weil das Gefüge der Einflussfaktoren eine solche Komplexität annimmt, dass jeder Steuerungsimpuls neben den erwünschten Wirkungen vielfältige unerwünschte Nebeneffekte produziert. Jede einzelne Wissenschaftsdisziplin in allen drei Gruppen hat ihre eigenen Erkenntnisinteressen und -methoden und kann etwas zu den Grundfragen nach dem Verstehen und der Förderung von Familien wesentliche Elemente beitragen. Es bedarf allerdings einer ausgeprägten Diskurskultur, damit bei allen Fragestellungen hinsichtlich der Gestaltung der Rahmenbedingungen für das Familienleben wirklich alle bedeutsamen Beiträge gleichermaßen hinzugezogen werden können. 2. Aktuelle Brennpunkte in den Familienwissenschaften Im zweiten Teil geht es nun darum, die konzeptionelle Idee der konvergierenden Optionen in den Familienwissenschaften an drei aktuellen Brennpunkten des Diskurses um die Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen des Familienlebens zu verdeutlichen. Dabei handelt es sich um nicht mehr als Skizzen zu wichtigen Fragestellungen, denn der eigentliche Diskurs um die gemeinsamen Optionen und die notwendigen Erkenntnisse zur Unterstützung dieser Optionen ist von Vertretern der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen zu führen.3 Dies im Detail nachzuzeichnen übersteigt die Möglichkeiten eines einzelnen Autors bei Weitem und würde dem Charakter des 3
I m deutschsprachigen Raum gibt es mit der Zeitschrift für Familienforschung (ZfF, geründet 2002) ein bewusst multidisziplinäres Periodikum, das sich allen wissenschaftlichen Fragen rings um die Familie widmet (www. zeitschrift-fuer-familienforschung.de). Die Zeitschrift wird getragen vom Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg und herausgegeben von renommierten Human- und Sozialwissenschaftlern. Die Sprache ist in der Regel deutsch, es erscheinen aber regelmäßig „Special issues“ in Englisch, die häufig eine größere Anzahl von themenspezifischen Beiträgen aus dem mittel-osteuropäischen Raum enthalten. Alle Artikel der Hefte bis 2011 sind kostenlos im Internet abrufbar.
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bewusst disziplin-übergreifenden Verfahrens nicht gerecht – könnte aber einen guten Leitfaden für einen interdisziplinären Masterstudiengang darstellen. Insofern sollen die folgenden Darstellungen eher anregen, sich in fächerübergreifenden Arbeitsgruppen den hier präsentierten Fragestellungen zu stellen und Lösungsmöglichkeiten, die stets auch nach Kulturen, Lebensräumen und Lebenslagen zu differenzieren sind, zu erarbeiten. 2.1. Familiengründung und Stabilität der Familie „Love and marriage . . . go together like a horse and carriage”4 sang Frank Sinatra Mitte der 50er-Jahre und zitierte als Beleg für die unerschütterliche Unbestreitbarkeit dieses Zusammenhangs sowohl mütterliche Weisheit als auch örtliche gesellschaftliche Autoritäten. Von Kindern ist in diesem Song zwar nicht die Rede, aber sofern nicht Unfruchtbarkeit die Schwangerschaft verhinderte, war die Geburt des ersten Kindes bald nach der Hochzeit zu erwarten. Frauen gebaren in diesen Aufbaujahren nach dem schweren Krieg überall in Europa im Durchschnitt mehr als zwei Kinder, und wem immer es möglich war, der lebte spätestens ab Mitte des dritten Lebensjahrzehntes verheiratet in einer Familie. Keine zwei Generationen später hat sich nach Auskunft der Demografen und empirischen Sozialforscher die Lage grundlegend geändert. Frauen und Männer leben bis weit ins dritte Lebensjahrzehnt häufig eigenständig – zwar zumeist in einer Partnerschaft, die aber mehrmals nacheinander wechseln kann. Solche Partnerschaften sind weder ein hinreichender Grund für Heirat noch für Elternschaft. Kinder werden später und seltener geboren, (Ehe)Paare trennen sich mit und ohne Kinder (Belege s. Wittrahm in dieser Ausgabe). Eine erhebliche Anzahl von Partnerschaften mit und ohne Trauschein bleibt freiwillig kinderlos (dazu gibt es allerdings erhebliche kulturelle Unterschiede in Europa, vgl. Strohmeier & Neu 2011). Auf der anderen Seite steigen die Bemühungen der Reproduktionsmedizin, um zunächst unfruchtbare Paaren zur Elternschaft zu verhelfen. Eine eigene Familie gemeinsam mit einem festen Partner oder einer Partnerin gehört weiterhin zu den vordringlichen Wünschen junger Menschen.5 Wenn sie dann in das dritte Lebensjahrzehnt kommen, scheint es aber bedeutsame hemmende Faktoren für die Familiengründung zu geben. So zeigen es zumindest die Fakten der Bevölkerungswissenschaft, die allerdings im historischen Vergleich aufweist, dass sowohl die Zahl der Heiraten als auch die Reproduktion über die Jahrhunderte abhängig von wirtschaftlichen, gesundheitlichen und politischen Bedingungen 4
5
Text: Sammy Kahn, Musik: Jimmy van Heusen, Verlag: Barton Music Corporation, erstmalig gesungen von Frank Sinatra 1955. Dem Item „Man braucht eine Familie, um glücklich zu sein“ stimmten 2010 von den befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Shell-Studie 71 % der Jungen und 81 % der Mädchen zu, was eine deutliche Steigerung gegenüber den früheren Umfragen ausmachte, und auch der Kinderwunsch dieser Jugendlichen ist auf zwei Drittel der Jungen und drei Viertel der Mädchen wieder angestiegen (Shell-Jugendstudie 2010).
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schwanken konnten, obwohl das einzelne Paar erst seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts unmittelbar in die Zeugung eingreifen kann. Es liegt an der Soziologie, die hemmenden gesellschaftlichen Faktoren und an der Psychologie, die Gründe für die Veränderungen der persönlichen Prioritäten bzw. die mangelnde Synchronisation zwischen den Partnern als potenziellen Eltern aufzuklären. Eine wichtige Rolle scheinen – zumindest in Mitteleuropa – unklare oder gar widersprüchliche familiäre Leitbilder zu spielen (Henry-Huthmacher 2014). Allerdings stellt die entwicklungspsychologische Betrachtung der Lebensspanne angesichts der massiv gestiegenen Lebenserwartung eine Verschiebung der Erfüllung fast aller normativen „Entwicklungsaufgaben“ (Havighurst 1972) fest – eine Entwicklung, die die kollektiven Vorstellungen vom „normalen Lebenslauf“ noch nicht entsprechend verändert hat. Daraus ließe sich folgern, dass die Verzögerung des Erstgeburtsalters in das 4. Jahrzehnt und die Dauer der jungen Elternschaft bis weit in das 5. Lebensjahrzehnt der Mütter und Väter vor allem als ein normatives Problem diskutiert wird, während künftige psychologische Erkenntnisse über die Effekte der späten Erstelternschaft die Debatte versachlichen und Druck von der künftigen Elterngeneration nehmen könnten. Die Reduktion der Heiratsneigung kann ebenfalls aus normativer Sicht kritisch betrachtet, sie könnte aber auch juristisch durch rechtssichere Partnerschaftsformen unterhalb der Ehe entschärft werden. Darum sollte sich die Diskussion nicht in erster Linie um die zunehmende Verweigerung der tradierten Institutionalisierungsformen von Partnerschaft und Elternschaft drehen. Vielmehr geht es darum, die Gründe zu erkennen, warum die Kohäsion von Paaren, insbesondere von Eltern-Paaren anscheinend abnimmt. Sollte die Ursache in einer Reduktion der Bindungsfähigkeit (oder vielleicht eher einer nicht ausreichenden Bindungskraft angesichts massiver zentrifugaler Kräfte in Kultur und Gesellschaft) liegen, sind die Therapeuten und die Politiker gefragt. Die Bereitschaft, eine Familie zu gründen, ist der Freiheit der Frauen und Männer zu überlassen – was niemanden hindert, nach möglichen erschwerenden äußeren Faktoren zu suchen und diese zu reduzieren. Demgegenüber steigt die gemeinschaftliche und öffentliche Verantwortung, wenn es um das Scheitern von Familien geht, weil hier potenzielle Opfer zu beklagen sind. So bedarf es dringend weiterer psychologischer Forschung, wann Kindern eine heftige konflikthafte Beziehung ihrer Eltern mehr schadet als eine Trennung, bei der sie aus Bezügen innerhalb und außerhalb der Familie gerissen werden. Weiterhin sind die juristischen und sozialstaatlichen Bedingungen zu überprüfen, die eine Scheidung zu häufig zur Ursache materieller Not werden lassen. Zusammengefasst könnten für eine gemeinsame familienwissenschaftliche Betrachtung folgende Optionen hinsichtlich der Familiengründung und -stabilisierung leitend sein: Zunächst ist die freie Wahl jedes Menschen, eine Familie zu gründen oder nicht, zu unterstützen. Weil eine eigene Familie von den meisten Menschen gewünscht wird und für den Aufbau der Gesellschaft wesentliche Bedeutung hat, lautet
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die zweite Option, möglichst viele Faktoren, die Menschen hindern, Verantwortung füreinander zu übernehmen, zu identifizieren und zu beseitigen und Wege zur Unterstützung eines verbindlichen Zusammenhalts zu erkunden. Weil Partnerschaften scheitern können und Familien zerbrechen, lautet die dritte Option, die Grundlagen dafür zu erarbeiten, dass die Schäden und Nachteile sowohl für die sich trennenden Partner als auch vor allem für die Kinder so gering wie möglich gehalten werden. 2.2. Familie zwischen Fürsorge, Ökonomie und Selbstverwirklichung In allen europäischen Staaten gilt die Grundüberzeugung, dass Frauen und Männer hinsichtlich aller Formen der gesellschaftlichen Teilhabe gleichberechtigt sind. Das hat den Frauen zunächst einen vollständigen Zugang zu allen Formen der Bildung ermöglicht, und im nächsten Schritt geht es um eine gleiche Teilnahme am Arbeitsmarkt. Diese letztere Entwicklung war in den mittel-osteuropäischen Staaten aufgrund politischer Doktrin und in Nordeuropa aufgrund kultureller Traditionen schon seit der Mitte des 20. Jahrhunderts selbstverständlich, während sich in Mittel-, West- und Südeuropa mit der Entstehung des bürgerlichen Haushaltes im 19. Jahrhundert das Ideal der Familie mit einem erwerbstätigen Ernährer und einer Hausfrau und Mutter durchgesetzt hatte. Die Auflösung der staatssozialistischen Ordnungen in Mittel-Osteuropa mit dem Wegfall vieler Arbeitsplätze führt dort zu Verschiebungen weg von der mütterlichen Erwerbstätigkeit, während im Westen umgekehrt der Arbeitskräftemangel aufgrund des demografischen Wandels sowie die Einschränkungen von Sozialleistungen und der Anstieg von niedrig bezahlten Arbeitsplätzen den Trend zur raschen Rückkehr von Müttern in die Erwerbsarbeit forcieren. In der Konsequenz sehen sich überall in Europa Mütter und Väter mit einer Irritation hinsichtlich der über längere Zeit stabilen Familienrollen konfrontiert. Das setzt sie einer nicht einfach auflösbaren Spannung zwischen einer möglichst umfassenden familiären Präsenz zumindest in der Phase der frühen Elternschaft einerseits und nur begrenzt gestaltbarer beruflicher Verpflichtungen aufgrund ökonomischer Zwänge andererseits aus. Verschärft wird diese Spannung dadurch, dass eine zeitweise Unterbrechung der Berufslaufbahn für beide Geschlechter Karriere-Nachteile mit sich bringt und den gewachsenen beruflichen Selbstverwirklichungsansprüchen entgegensteht, während das kulturelle Klima eher dahin drängt, die individuellen beruflichen Potenziale auszuschöpfen. Die Optionen für die Familienwissenschaften angesichts dieser Rollenspannungen könnten lauten, zunächst die psychologischen, soziologischen, moralischen und rechtlichen Bedingungen für eine wirkliche Wahlfreiheit in der Übernahme der verschiedenen Familienrollen aufzuklären. Sodann sind die tauglichen Modelle zu erforschen, die Familien subsidiär darin unterstützen, eine ihnen gemäße Form der Vereinbarung hinsichtlich der persönlichen, fürsorglichen und beruflichen Anforderungen zu finden und miteinander auszuhandeln. Dazu werden direkte – materielle – Förderungen von Familien ebenso gehören wie indirekte Formen einer qualitativ
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guten öffentlichen Kinderbetreuung sowie – in der Gesellschaft des langen Lebens – Unterstützungen bei der Betreuung und Pflege hochalter Familienangehöriger. Die Orientierung an der Option der echten gemeinsamen Wahlfreiheit verlangt weiterhin ökonomische und politische Anstrengungen, um familiengerechte Arbeitsplätze zu schaffen bzw. berufliche Nachteile durch die Ausübung familiärer Sorge für beide Geschlechter zu verhindern. Neben der Grundlagenforschung und der Politikberatung sind hier weiterhin die pädagogischen und beraterischen Professionen gefordert: Ihr Beitrag liegt einerseits in der Sensibilisierung, wo die Spannung zwischen persönlichen Zielen, beruflichen Pflichten und familiärer Sorge Mütter und Väter zu überlasten droht. Andererseits ist es ihre Aufgabe, taugliche Modelle zu entwickeln, wie sich öffentliche und familiäre Bildung und Erziehung ergänzen könne, statt zu konkurrieren oder die Verantwortung gegenseitig abzuschieben. Der Suche nach den Faktoren, die Frauen und Männer fördern, ihre Geschlechterrollen möglichst flexibel wahrnehmen zu können, werden humanwissenschaftliche, gesellschaftswissenschaftliche, ökonomische und normative Wissenschaften gemeinsam stellen müssen. 2.3. Neue Bedingungen für Familien im demografischen Wandel Der demografische Wandel verändert nicht nur Gesellschaften, sondern auch Familien in ganz Europa. Mit Ausnahme Frankreichs und der skandinavischen Länder werden überall sehr wenige Kinder geboren, wofür letztlich wiederum die geringere Zahl an Familien, die zudem (im Durchschnitt!) nur wenige Kinder bekommen, als Ursache zu betrachten ist. Demgegenüber nimmt die Zahl der alten Menschen überall rapide zu, was ebenfalls die Familienstrukturen und ihre Aufgaben verändert. Diese Entwicklung führt etwa in der Familiensoziologie dazu, die jahrzehntelange Konzentration auf die Kernfamilie aufzuheben und stattdessen die „multilokale Mehrgenerationenfamilie“ neu in den Blick zu nehmen. Die Beziehungen zwischen den mittlerweile fast regelmäßig gemeinsam lebenden drei oder vier Generationen innerhalb einer Familie würden völlig verkannt, wenn man allein die – in zunehmend mehr Fällen notwendige Langzeitpflegebedürftigkeit der sehr alten Menschen am Lebensende in den Fokus rückte. In den Jahren vorher finden rege materielle, soziale, kulturelle und pädagogische Austauschprozesse statt, bei denen die Älteren überwiegend als „Geber“ in Erscheinung treten (vgl. Mahne & Motel-Klingebiel 2010). Viele Familien leben mit der finanziellen Unterstützung der Großeltern, häufiger noch fungieren diese als Betreuer für die Enkelkinder, um der mittleren Generation die Teilnahme am Berufsleben zu ermöglichen. Doch auch die Rolle der Großeltern als kulturelle Mittler, als wichtige psychosoziale Ergänzung zu den Eltern in der Sozialisation ist kaum zu unterschätzen (vgl. Caspari 2012), sodass sie in die Definition von Lüscher von der Funktion der Familie als Ort der Generativität und der generativen Sozialisation unbedingt aufzunehmen sind.
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Zur Unterstützung der Mehrgenerationalität lässt sich als gemeinsame Option formulieren, die realen Formen der gelebten familiären Generationensolidarität und ihren Wert zu dokumentieren, um die häufig öffentlich gepflegten Erzählungen von der Dominanz der Konkurrenz der Generationen um gesellschaftliche Ressourcen zu begegnen. Zur Festigung der Solidarität zwischen den Generationen kann etwa die Erleichterung der Begegnung zwischen Alt und Jung trotz getrennter Haushalte und Wohnorte etwa mithilfe moderner Kommunikationsmittel beitragen. Weiterhin sind insbesondere Pädagogik und Erwachsenenbildung aufgefordert, in allen Bildungskontexten jeweils auch intergenerationelle Fragestellungen und die Besonderheiten der intergenerationellen Verständigung zu berücksichtigen (Möser 2007; Wittrahm 2010). Der demografische Wandel zwingt Familien, sich zu verändern, aber er stellt die Familie als generative Gemeinschaft keinesfalls infrage. 3. Abschluss „Die“ Familienwissenschaft im Singular wird sich voraussichtlich nicht realisieren lassen. Das scheint jedoch kein Schaden zu sein, denn die je eigenständige Bearbeitung von Fragen des Familienlebens in den verschiedenen Sozial-, Lebens- oder Kultur- und Geisteswissenschaften vermag letztlich ein breiteres Spektrum familiärer Funktionen und Interessen tiefer zu erhellen, wenn es gelingt, sich auf gemeinsame Fragestellungen und Zielsetzungen zu verständigen. Das vorliegende Heft des EJMH eröffnet solch einen Versuch und zeigt Fragestellungen auf, um derentwillen es möglich sein müsste, sich den aktuellen Herausforderungen rund um das Leben in der Familie und mit der Familie vielleicht noch nicht interdisziplinär, aber mittels gemeinsamer Optionen zu widmen. Referenzen Burkart, G. (2006) ‘Positionen und Perspektiven: Zum Stand der Theoriebildung in der Familiensoziologie’, Zeitschrift für Familienforschung 18, 176–205. Caspari, R. (2012) ‘The evolution of Grandparents’, Scientific American 22, 38–43, Ndr. ‘Kultursprung durch Großeltern’, © Spektrum.de, heruntergeladen am 8. Juli 2015 von www. spektrum.de/news/kultursprung-durch-grosseltern/1147977. Ecarius, J., Hrsg. (2007) Handbuch Familie (Wiesbaden: VS Verlag). Erikson, E.H. (1973) Identität und Lebenszyklus (Frankfurt: Suhrkamp). Fuhs, B. (2007) ‘Zur Geschichte der Familie’ in J. Ecarius, Hrsg. (2007) Handbuch Familie (Wiesbaden: VS Verlag), 17–35. Havighurst, R.J. (1972) Developmental tasks and education (New York: McKay). Henry-Huthmacher, Ch. (2014) Familienleitbilder in Deutschland. Ihre Wirkung auf Familiengründung und Familienentwicklung (Bonn: Konrad-Adenauer-Stiftung). Lüscher, K. (2012) ‘Familie heute: Mannigfaltige Praxis und Ambivalenz’, Familiendynamik 37, 212–23.
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Mahne, K. & A. Motel-Klingebiel (2010) ‘Familiale Generationenbeziehungen’ in A. MotelKlingebiel, S. Wurm & C. Tesch-Römer, Hrsg., Altern im Wandel: Befunde des Deutschen Alterssurvey (Stuttgart: Kohlhammer) 188–214. Möser, A. (2007) ‘ “Du trägst noch so schöne Kleider…” Intra- und intergenerationelles Lernen’ in M. Blasberg-Kuhnke & A. Wittrahm, Alter in Freiheit und Würde: Handbuch christliche Altenarbeit (München: Kösel). Shell-Jugendstudie (2010) © Shell, heruntergeladen am 7. Juli 2015 von www.shell.de/aboutshell/ our-commitment/shell-youth-study/downloads.html. Steinkamp, H. (1983) ‘Zum Verhältnis von Praktischer Theologie und Humanwissenschaften’, Diakonia 14, 378–87. Strohmeier, K.P. & M. Neu (2011) ‘Auswirkungen des demografischen Wandels auf die sozialen Dienste in den Städten und Gemeinden’ in A. Evers, R.G. Heinze & Th. Olk, Hrsg., Handbuch Soziale Dienste (Wiesbaden: VS Verlag) 145–67. Wittrahm, A. (2001) Seelsorge, Pastoralpsychologie und Postmoderne (Stuttgart: Kohlhammer). Wittrahm, A. (2010) ‘Intergenerationelle religiöse Bildung: Modelle der Begegnung von jungen und alten Menschen an schulischen, gemeindlichen und öffentlichen Lernorten’, Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 62, 264–386.
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BOOK REVIEWS / REZENSIONEN
European Journal of Mental Health 10 (2015) 271–274 DOI: 10.5708/EJMH.10.2015.2.Rev.1
Andeas Wittrahm
ES MUSS NICHT IMMER FAMILIE SEIN…? Über die Möglichkeiten und Grenzen, das Leben in Freundschaften zu sichern Schobin, J. (2013) Freundschaft und Fürsorge: Bericht über eine Sozialform im Wandel (Hamburg: Hamburger Edition) 264 S., ISBN 978-3-86854-266-0, € 30,00. Ein Vater verstößt seinen gerade volljährig gewordenen Sohn. Dieser muss aus dem elterlichen Haus ausziehen, denn er passt nicht in das Bild, das sein Erzeuger sich von ihm gemacht hat. Später wird der Sohn bis auf den Pflichtteil enterbt. Etwa vierzig Jahre später ist der Vater pflegebedürftig und wird in einem Altenheim versorgt. Weil die Rente nicht reicht, streckt die Sozialbehörde entsprechend der deutschen Sozialgesetzgebung die Kosten vor, um sich dann auf die Suche nach zahlungsfähigen Angehörigen in direkter Linie zu machen. Die Behörde macht – der Vater ist mittlerweile verstorben – den Sohn als Unterhaltspflichtigen ausfindig und stellt ihm € 9.000 als Beteiligung an den Pflegekosten nachträglich in Rechnung. Der Sohn, der seit 30 Jahren trotz eigener Initiativen nichts mehr vom Vater gehört hat, weigert sich zu zahlen. Der Fall geht vor das Sozialgericht und dann durch alle Instanzen. Letztlich akzeptiert der Bundesgerichtshof im Februar 2014 (Aktenzeichen XII ZB 607/12) den Kontaktabbruch durch den Vater nicht als Grund für die Zahlungsverweigerung und verurteilt den Sohn zur Zahlung. Das deutsche Sozialrecht stellt extrem hohe Anforderungen an eine „Kündigung“ der Sorge- und Unterhaltspflichten in einer verwandtschaftlichen Beziehung. Ein solcher Ausstieg ist nur in wenigen Fällen möglich, etwa wenn sich ein Elternteil etwa von Geburt an weigerte, sich um ein Kind und seinen Unterhalt zu kümmern. Ansonsten sind Familienmitglieder – zumindest im gesetzlichen Sinne – ein Leben lang füreinander verantwortlich, unabhängig von der Qualität ihrer Beziehung. Was aber, wenn die Zahl der Angehörigen in den Gesellschaften im demografischen Wandel massiv schrumpft, wenn Menschen immer häufiger Singles bleiben, wenn Partnerschaften zerbrechen oder durch den Tod geschieden werden, wenn Kinder und Enkel nicht vorhanden oder in alle Welt zerstreut sind? Können dann Freundinnen und Freunde den Platz der Verwandten einnehmen, können sie Verantwortung füreinander übernehmen (sogar im materiellen Sinne), kann man auf ihre Fürsorge in Notsituationen bauen, gar hoffen, dass sie im Alter für Versorgung und Pflege zur Verfügung stehen? Es scheint, so eröffnet Janosch Schobin, ein junger Soziologe, der einige Zeit im renommierten Hamburger Institut für Sozialforschung gearbeitet hat, in seinem großen Essay über Erwartungen und Realitäten von Freundschaften in
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der Gegenwart, dass Freundschaft in der spätmodernen Gesellschaft „unter der Hand ein öffentliches Ideal und eine rechtliche Pflicht“ (12) geworden ist. Empirisch nimmt die Zahl derer zu, die von mindestens einem guten Freund berichten, mit dem sie persönliche Dinge besprechen. In den öffentlichen Diskursen (die Schobin anhand von etwa 20 Freundschaftsratgebern analysiert) dominiert ein „weiblich deklariertes Freundschaftsideal“ (10). In der Folge „werden Freundschaftsregeln heute vor allem kontextsensitiv und beziehungszentriert – also fürsorgeethisch – und nicht mehr instrumentell und universell – also zweck- oder wertrational – begründet“ (10). Der (deutsche) Sozialstaat macht sich diese Entwicklung im Zusammenhang des Diskurses um die Zukunft der nicht-staatlichen Fürsorge im demografischen Wandel zunutze und befördert sie zugleich: „Die Semantik der freien Gegenseitigkeit (also Freundschaft, a.w.) tritt ebenbürtig neben die von Abstammung und Ehe. Zumindest auf der Seite der Pflichten ist damit die Freundschaft implizit zu einer rechtlich ansprechbaren, fürsorglichen Sozialform geworden“ (12). Doch wie sieht es in der alltäglichen Praxis aus? Kann Freundschaft diese entstehende Lücke in der Daseinsvorsorge erfüllen, und sind Freunde bereit, sich so weit einander zu verpflichten, dass sie im Falle der Notwendigkeit das Wohlergehen des Freundes selbst dann in den Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen bereit sind, wenn es sie selbst in ihren Möglichkeiten einschränkt (vgl. dazu die Darstellung der aristotelischen Freundschafsdefinitionen bei Westerhorstmann 2015)? Halten sie die Freundschaft durch, wenn sie sich von allen Gegenseitigkeitserwartungen verabschieden müssen und ein Freund ihrer Fürsorge in einem Ausmaß bedarf, das womöglich einen großen Teil ihrer Energie in Anspruch nimmt? Die Proben aufs Exempel bzw. auf die neu entstehende gesellschaftliche Norm unternimmt Schobin anhand von vier Lebensbereichen, in denen Fürsorge in der Freundschaft zum Thema werden kann. Er untersucht per qualitativer Analyse umfassende Gespräche (sowie einen Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Mary McCarthy) mit ca. 50 Frauen und Männern verschiedener Lebensalter zu den Lebensbereichen Geld, tätige Unterstützung, leibliche Fürsorge und Fürsorge im Gespräch. Die Erkenntnisse seiner Gespräche vergleicht er jeweils mit den Ergebnissen der Analyse der Ratgeberliteratur, um die imaginierte gesellschaftliche Wirklichkeit mit dem gelebten Verständnis von Freundschaft zu kontrastieren. Die Resultate fallen gemischt aus: Gegenseitiges Aushelfen mit Geld ist in Freundschaften nicht tabu, die Umgehung des sprichwörtlichen Geldverbotes in Freundschaften macht allerdings eine gehörige Portion an Kreativität notwendig. Die Reziprozitätsnorm in der tätigen Hilfe in Notlagen bleibt zwar generell bestehen, wird aber sehr weit (möglicherweise über ganze Lebensphasen hinweg) ausgedehnt. Ob die leibliche Fürsorge unter Freunden die Pflege bis in den Tod umfassen kann, scheint – das lassen zumindest die Interviews erwarten – schon deshalb fraglich, weil die Interviewpartner sich aufgrund ihres immensen Autonomieverständnisses gar nicht vorstellen wollen, eine solche intensive Fürsorge durch Freunde in Anspruch zu nehmen. Die Analyse des Ge-
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sprächs in Freundschaften (oder der Freundschaft im Gespräch) macht deutlich, dass die gegenseitige Anteilnahme, das ‚Sich-Anvertrauen‘ auf der einen und die gegenseitige Unterstützung in der je eigenen Suche nach dem Platz im Leben einen wachsenden Raum einnehmen, ohne die eher auf einen Zweck ausgerichteten Freundschaften zu verdrängen. Am Ende diagnostiziert Schobin, „dass es mit der Freundschaft ernster wird, dass Staat und Bürger, öffentlicher Diskurs und private Praxis, Erwartung und Wirklichkeit in Richtung der starken Freundschaft rücken“ (245). Allerdings ist nicht zu erkennen, ob diese Bewegung nun so weit gehen könnte, dass sie Defizite im familiären Zusammenhalt oder starke professionelle soziale Dienste ersetzen könnte. Denn „man kann nicht einfach aus den fürsorglichen Bildern des aktuellen Freundschaftsideals und der zarten Verbreitung freundschaftszentrierter Lebensformen auf die durchschnittliche Machbarkeit fürsorglicher Freundschaften schließen“ (248). Freundschaft als Basis der Fürsorge setzt nicht nur eine hohe Kompetenz in der zwischenmenschlichen Interaktion voraus, sie lässt sich vor allem nicht verordnen. So gesehen liegt das Problem vielleicht stärker darin, dass sich die Vorstellungen von Familienmitgliedern hinsichtlich des Charakters ihrer Beziehung dem Freundschaftsideal annähern (Rosenberger 2014). Zu begrüßen ist dabei, dass auch zwischen Familienmitgliedern zunehmend die Norm gilt, das Wohlergehen des Partners, der Kinder, später auch der Eltern um seiner selbst willen anzuerkennen und anzustreben. Doch haben Familien eben auch andere, handfeste Zwecke, etwa der Erziehung, des wechselseitigen Unterhaltes und der Pflege. Deswegen scheint es bedenklich – um an das Beispiel zu Beginn anzuknüpfen –, dass immer mehr Zeitgenossen auch familiäre Bande als kündbar ansehen, wenn sie die mit der verwandtschaftlichen Freundschaft verbundenen Erwartungen nicht mehr erfüllen, und auch Familienmitglieder ihr Einstehen füreinander an der Reziprozitätsnorm messen. Die von Janosch Schobin erkundete Veränderung der Freundschaft hin zur Fürsorge weckt Neugierde zur weiteren Beobachtung dieses Phänomens. Könnten die beiden Megatrends des 20. Jahrhunderts, der demografische Wandel und der Wertewandel, eine solche bedeutende menschliche Interaktionsform nachhaltig verändern? Andererseits ist sozialpolitisch darauf zu achten, dass Freundschaft eine Beziehung in Freiheit bleiben kann und nicht als Lückenbüßer für ausfallende Familiensolidarität und reduzierte Sozialstaatlichkeit instrumentalisiert wird. Wohl stellt sich die Frage, ob sich angesichts von Informalisierung familiärer Beziehungen und der Formalisierung von Freundschaften ein neuer, dazwischenliegender Bereich mit eigenen Verpflichtungen entwickelt, den man vielleicht als „Wahlverwandtschaften“ bezeichnen könnte. Umgekehrt wäre es eine Untersuchung wert, wie sich die Fürsorge-Norm in Familien hinsichtlich der gegenseitigen finanziellen Unterstützung, hinsichtlich der gegenseitigen tätigen Hilfe, der körperlichen Sorge und der Kommunikation verändert. Wer etwa die Diskurse über Berufstätigkeit und Fürsorge verfolgt, kann ein Zurückdrängen der familiären Fürsorge zugunsten professioneller Betreuung und Pflege erkennen.
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Janosch Schobin gibt jedem, der sich mit der Frage des Charakters sozialer Nahbeziehungen in unserer spätmodernen Gesellschaft beschäftigt, gehörig zu denken. Er tut das mit einem Kenntnisreichtum, einer Lust an der Argumentation und in einer Sprache, dass die Lektüre zur reinen Freude wird und die vorgestellten Gedanken lange nachwirken. Referenzen Rosenberger, M. (2014) ‘Ehe als Freundschaft? Kritische Anmerkungen zur Inflation eines Begriffs’, Lebendige Seelsorge 65, 116–20. Westerhorstmann, K. (2015) ‘Freundschaft in der Ehe – ein Modell für die christliche Ehe und Ehevorbereitung?’ Lebendige Seelsorge 66, 142–46.
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European Journal of Mental Health 10 (2015) 275–277 DOI: 10.5708/EJMH.10.2015.2.Rev.2
Fruzsina Albert
HOW MARRIAGE CAN BE SUCCESSFUL Brenninkmeijer-Werhahn, A. & K. Demmer, eds. (2013) Close to Our Hearts: Personal Reflections on Marriage (Münster: LIT) 21 cm, 232 pp., ISBN 978-3643-90339-6, €24.90. Our age does not seem to be an age of marriage. Although living with a partner (either in marriage or cohabiting) is still the preferred way of life, fewer and fewer people tend to get married, and they do so increasingly later in life; they get a divorce more easily, and more and more often after long years spent with their spouse. This latter phenomenon is, of course, related to the fact that in modern, aging societies what is called the ‘classic’ phase of life (when parents live with their children in a common household) is becoming shorter and shorter relative to the parents’ lives, and life spent together after the children have left home is often longer than the period spent with them was, a phenomenon not common before. Despite all the significant changes we experience, studies indicate that the subjective importance we attribute to partners has not changed, while several differences between countries have diminished. However, research suggests that our expectations towards our partners have even increased, and, especially in the case of younger age groups, these ideals are hard to meet, which often leads to relationship breakdown. Especially data from Germany support that fewer and fewer people, especially (young and more educated) men, are willing to take on the responsibility of starting a family (‘Umfrage: Familiengründung’ 2013). Among other factors, this fear of commitment, experiences of relationship breakdown and changing expect ations have raised an increasing number of issues that make the question how marriage can be successful ever more difficult to answer. No ‘magic recipe’ has been found yet, although large numbers of people are in a desperate quest for points of orientation and practical guidance on how to be successful in their relationships. The book under review is a kind of testimony, often in a very literal sense. It is a mix of theoretical, scholarly and practical, often highly personal insights which exhibit two basic characteristics: they all try to communicate some message about the important ‘ingredients’ of a successful marriage on the one hand, and the import ance of Christianity in this regard on the other. The book is an edited volume and claims to contain not only academic studies but also personal accounts and is meant to be a step towards an interdisciplinary understanding of marriage. The contributors are all internationally recognised marriage specialists, coming from a variety of academic fields and personal backgrounds. One of the editors, Aldegonde Brenninkmeijer-Werhahn is the founder and director of the International Academy for Marital Spirituality in Brussels; the other, Klaus Demmer is a member of the Order
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of the Missionaries of the Sacred Heart and Professor Emeritus for Moral Theology at the Pontifical Gregorian University in Rome. The book is a publication of the International Academy for Marital Spirituality (INTAMS), a non-profit organisation founded in Belgium in 1989 by Hubert and Aldegonde Brenninkmeijer-Werhahn. INTAMS has members who are married laypersons and who are celibates, but all of them are dedicated to the study of and dialogue about the meaning and relevance of marriage in the context of contemporary society, being committed to the intellectual and cultural heritage of Christianity. One of their aims is to promote an interdis ciplinary dialogue between theology and philosophy as well as the humanities and social sciences so as to contribute to the understanding of marriage in its various interpersonal, social, and religious aspects and in its intrinsic spirituality. INTAMS brings together scholars and research findings from different countries and cultural backgrounds, from all Christian traditions. Their intention to foster the integration of theory and praxis is clearly manifest in this publication. The basic aim of the book is to ‘show from a variety of perspectives that it remains profoundly meaningful to understand marriage as a shared path that leads to maturity’ (Brenninkmeijer-Werhahn & Demmer 2013, back cover). Apart from the Preface, the Epilogue and an introductory piece on ‘Sacramental Marriage’ by Demmer (11–17), the chapters in the book are organised into four big thematic blocks, each containing five chapters. The four thematic blocks include ‘Theologic al Focal Points’, ‘Anthropology of Marriage’, ‘Paths to Maturity in Marriage’ and ‘Biographical Perspectives and Experiences’. Although I am a sociologist researching interpersonal relationships, including, naturally, family ties, and I also have personal experiences with marriage, I have gained a wealth of insight from the book. I have to admit my knowledge of theology is limited, and one can learn a lot about marriage as a sacrament, it being the domestic church, its resemblance to the triune God, it being a school of life and other more particular but still interesting aspects such as the theological value of married priesthood. We learn why the space between the couple can be called a sacred, holy space. Apart from the theological background of this sacrament, there are practical details of how to create and make this domestic church visible in our lives, in our homes. However, there are also other messages meant for the widest audience interested in maintaining long-term, loving relationships. How is it possible to ‘live happily ever after’, and what are the conditions of a good marriage, the ‘revolutionary road’, which requires openness and thus vulnerability and which demands a ‘mutuality in self-giving and self-emptying’ (202)? How does trust in each other facilitate the discovery of the other person? How is it possible to become a couple (through ongoing efforts) and yet (together) remain separate? How different can couples be in all respects (see, e.g., ‘Time and Marriage’ by Alfons Vansteenwegen, 149–155) and how can these differences still be managed and lived with? What about growing old together? Why is ‘stickability’/perseverance very important in life in general and in marriage in particular? In the third section ‘Paths to Maturity in Marriage’, one can especially read papers that can help one make one’s relationship better by focusing on a number of key
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issues. In the chapter ‘How Can one Salvage a Relationship?’ by Calvo Rocchetta (113–127), we are reminded that before looking for the suitable person, we ourselves should perhaps become suitable persons first. Crises are almost inevitable and should be viewed as opportunities for growth. Loneliness and monotony are identified as crisis symptoms and tenderness as indispensable for remedy. Ilse Cornu writes about relationship breakdown and urges greater realism and sobriety (‘A Gift for Life’, 129–138): to say farewell to our often fake ideas about the ideal marriage and to ‘say yes to a life together which is good enough’ (130). We should love one another ‘sufficiently’. Divine meekness, that is, love without conditions, is the divine love, which in not perfect but laborious. The topic of sexuality is presented in a very sensitive way. The equality but also the uniqueness of husband and wife are also often highlighted. What I really liked about this book is its honesty about what a challenge it is, and how much effort it takes to maintain a good quality relationship (not only marriage, I must add) throughout the years! Often how illusionary and life-spoiling our unrealistic expectations are, and how unwilling we sometimes prove to be to work on our relationships, although it definitely seems indispensable. For those open to a religious message, the book also has a lot to offer about the additional value and meaning of a Christian marriage. References ‘Umfrage: Familiengründung ist den Deutschen zu teuer’ (2013) faz.net (1 Aug) retrieved 16 Jun 2014 from www.faz.net/aktuell/wirtschaft/umfrage-familiengruendung-ist-den-deutschenzu-teuer-12315053.html.
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CONTRIBUTORS TO THIS ISSUE / AUTOREN DIESES HEFTES Dr. habil. Albert Fruzsina Károli Gáspár Református Egyetem Bölcsészettudományi Kar Szociológia Tanszék H-1088 Budapest Reviczky u. 4. Hungary/Ungarn albert.fruzsina@gmail.com
Paul Glar Caritas Familienberatung Aachen Beratung und Hilfe für Schwangere, Familien, Eltern, Kinder, Jugendliche und Fachkräfte Reumontstraße 7a D-52064 Aachen Germany/Deutschland PGlar@familienberatung.caritas-ac.de
Maria Bushuven Kath. Beratungsdienst für Lebens-, Ehe- und Erziehungsfragen Dionysiusplatz 22 D-47798 Krefeld Germany/Deutschland kath.beratungsdienst@t-online.de
Dr. Herczeg-Kézdy Anikó Sapientia Szerzetesi Hittudományi Főiskola Pszichológia Tanszék Piarista köz 1. H-1052 Budapest Hungary/Ungarn kezdy.aniko@sapientia.hu
Elekes Szende Sapientia Szerzetesi Hittudományi Főiskola Pszichológia Tanszék Piarista köz 1. H-1052 Budapest Hungary/Ungarn elekes.szende@sapientia.hu
Stefan Hoffmanns Kath. Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche Hildegardisweg 3 D-41747 Viersen Germany/Deutschland shoffmanns@mercur.caritas-ac.de
Mihaela Ghenţa Institutul Național de Cercetare Științifică în Domeniul Muncii și Protecției Sociale Str. Povernei 6–8, R-010643 Bucureşti Rumania/Rumänien ghenta@incsmps.ro
Prof. em. Horváth-Szabó Katalin Sapientia Szerzetesi Hittudományi Főiskola Pszichológia Tanszék Piarista köz 1. H-1052 Budapest Hungary/Ungarn horvath-szabo.katalin@sapientia.hu
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CONTRIBUTORS TO THIS ISSUE / AUTOREN DIESES HEFTES
Helene Kirschner (geb. Guschakowski) Caritasverband für das Bistum Aachen Kapitelstraße 3 D-52066 Aachen Germany/Deutschland hguschakowski@caritas-ac.de
Dr. Somogyiné Petik Krisztina Sapientia Szerzetesi Hittudományi Főiskola Pszichológia Tanszék Piarista köz 1. H-1052 Budapest Hungary/Ungarn somogyine.krisztina@sapientia.hu
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Dr. Petr Wija Katedra řízení a supervize v sociálních a zdravotnických organizacích Fakulty humanitních studií Karlovy Univerzity Máchova 7 CZ-120 00 Praha Czech Republic/Tschechische Republik petr.wija@fhs.cuni.cz
Prof. Andreas Wittrahm Caritasverband für das Bistum Aachen Kapitelstraße 3 D-52066 Aachen Germany/Deutschland Wittrahm@t-online.de
Dr. Philipp Staab Hamburger Institut für Sozialforschung Mittelweg 36 D-20148 Hamburg Germany/Deutschland Philipp.staab@his-online.de
Prof. Széman Zsuzsa Semmelweis Egyetem Egészségügyi Közszolgálati Kar Mentálhigiéné Intézet H-1089 Budapest Nagyvárad tér 4., 19. em. Hungary/Ungarn szemanzs@hu.inter.net
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PoLISH PSYCHIATRIC ASSoCIATIoN EDIToRIAL CoMMITTEE Komitet Redakcyjno-Wydawniczy PolskiegoTowarzystwa Psychiatrycznego ARCHIVES OF PSYCHIATRY AND PSYCHOTHERAPY 31-138 Kraków ul. Lenartowicza 14 tel. (12) 633 12 03; 633 38 69; fax. (12) 633 40 67 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica, PsycINFO, EBSCO, Index Copernicus, MNiSW, PBL/ Email: redakcja@psychiatriapolska.pl GBL, DOAJ, CrossRef/DOI, Cochrane Libary, SCOPUS, ERIH PLUS.
Available at www.archivespp.pl.
ARCHIVES OF PSYCHIATRY AND PSYCHOTHERAPY Polish Psychiatric Association quarterly international journal in English offers broad spectrum THE of research reports – from psychiatry to social CONTENT OF THE Nobiological 3/2015 psychiatry and psychotherapy –
Masculinity, femininity, self-appeal, strategies of self-presentation and styles
interpersonal functioning transsexual Inofthe current issue you willinfind among women others: Mandal, Tomasz Jakubowski – Eugenia A quantitative/qualitative study on metaphors used by Persian depressed patients nalysis of alcohol dependence in indigenous peoples in Northern Siberia – A Hossein Kaviani, Robabeh Hamedi Savchenko, Nikolaydisorders Bokhan, Evgenii – Michail The impact of anxiety on the Plotnikov quality of compliance among patients with medicalofconditions: there are manycoping questions but – V alue co-morbid systems andpsychiatric religiosity asor predictors non-religious and religious with stress where we find the answers? in early can adulthood Rafał Jaeschke, Marcin Siwek, Dominika Dudek Dariusz Krok Dynamic Psychotherapy. Application – – PDavanloo’s SDRS, BDI, Intensive MoCA andShort-term MMSE as screening tools for the evaluation of mood and understanding theroretical andattechnical principles of this method in treatment and cognitive the functions in patients the early stage of cerebral stroke of resistant Dorota Anita patients. Przewoźnik, Anna Maria Rajtar-Zembaty, Bogusława Bober-Płonka, Mirosław Bilski-Piotrowski Anna Starowicz-Filip, Ryszard Nowak, Ryszard Przewłocki Neuropsychological characteristic of post-traumatic Klüver-Bucy Syndrome n interdisciplinary team approach of Günter Ammon’s dynamic psychiatry: theory and – – A Stanisław Kwiatkowski, Anna Starowicz, Olga Milczarek practice at Menterschwaige Hospital Maria Ammon, Ilse Burbiel Meditation and psychosis: trigger or cure? E-mail address: Krzysztof Dyga, Radosław Stupak archives@psychiatriapolska.pl Annual subscription for the year 2012 (Vol. 14) - 4 issues, postage included: – Differences between suicide and non-suicidal self-harm behaviours: a literary review Individuals: 30€, Institutions: 45€ Joanna Halicka, Andrzej Kiejna – Apologia Pro Vita Mea: An Intellectual Odyssey. Part One Richard D. Chessick see also our websites: – Aarchivespp.pl pologia Pro Vita Mea: An Intellectual Part of Two – free access to full-textsOdyssey. of “Archives Psychiatry and Psychotherapy” Richard D. Chessick– free access to English, French, German and Russian abstracts and fullpsychiatriapolska.pl texts in Polish and English of bimonthly “Psychiatria Polska” psychoterapiaptp.pl – free access of English abstracts and full -texts in Polish of quarterly We invite you not only to be readers, but also to submit your papers through our electronic “Psychoterapia” psychiatriapsychoterapia.pl – quarterly e-journal “Psychiatry and Psychotherapy” system: http://www.editorialsystem.com/app/login/ –
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