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Konrad Willeit: Die Borneo Mission um 1900
Die Borneo Mission
¦ Konrad Willeit, Vinzentinum, Brixen um 1900
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Müde und am Ende seiner Kraft sucht Msgr. Thomas Jackson mehrmals in Mill Hill um Entlassung aus dem Amt als Apostolischer Präfekt von Sarawak, Labuan und British Nordborneo an.
Kardinal Vaughan will davon zunächst nichts wissen. Er ist der Meinung, ein Missionar dürfe keine Schwäche zeigen, müsse durchhalten. Erst als mehrere Mitbrüder sich über unhaltbare Zustände beklagen und auf lange depressive Phasen ihres Vorgesetzten hinweisen, lenkt der Generalobere ein und akzeptiert den Rücktritt am 20. Oktober 1895. Nach 15 Jahren anstrengender Erkundungs- und Aufbauarbeit kehrte Msgr. Jackson im Jänner 1896 zurück nach Liverpool. Nachdem er sich etwas erholt hat, gelingt es ihm, in England ein System zur finanziellen Unterstützung der Mission auf Borneo ins Leben zu rufen. 20 Jahre später stirbt er am 1. April 1916 in Manchester.
Nach seinem Rücktritt wird Anton Haidegger aus Rust bei Sterzing vorübergehend zum Administrator der Apostolischen Präfektur bestellt. Missionar Jan Aelen, der 1889 das Missionshaus in Roosendaal gegründet hatte und mittlerweile wieder in Indien im Missionseinsatz war, wird von Mill Hill zur Visitation nach Borneo geschickt. Nachdem er sämtliche Missionsstationen besucht und mit allen Missionaren gesprochen hat, lässt er abstimmen, wen sie als Vorgesetzten haben möchten. Nur drei Namen werden genannt, in der Reihenfolge der Stimmenanzahl: Haidegger, Westerwould und Dunn. Aelen übermittelt den Kandidatenvorschlag nach Mill Hill, nicht ohne kritische Bemerkungen anzufügen. Denn unter der Hand ging das Gerücht, dass eine Gruppe sich abgesprochen habe, für Haidegger zu stimmen, um den eigenwilli-
Oben:
Eine der frühen Kapellen im Busch von Borneo.
In einem Karren fährt ein Kuli (Taglöhner) in Kanowit Kinder an ihr Ziel.
Jesselton 1900. Der erste Bahnhof am Ende der ab 1896 errichteten Eisenbahn zwischen Jesselton und Beaufort. Oben rechts ein kleines Dampfschiff am gerade im Bau befindlichen Hafenkai. gen Holländer Westerwould zu verhindern. Dass man in Mill Hill weder den Tiroler noch den Holländer zum Apostolischen Präfekten in einem britischen Protektorat habe wollte, entbehrt nicht einer gewissen Logik.
Folgerichtig übermittelt Mill Hill den Namen von Edmund Dunn, eines „Mannes mit ordentlichem Charakter und sauberen, britischen Manieren“, zwar in Dublin geboren, aber schon in jungen Jahren nach Stockport in England umgezogen, zur Entscheidung nach Rom. Dort will man der Sache gründlich auf den Grund gehen, warum der Drittgereihte den beiden anderen vorgezogen werden soll. Nahezu zweieinhalb Jahre vergehen, bis Propaganda Fide am 4. Mai 1897 Msgr. Edmund Dunn zum Apostolischen Präfekten von Borneo ernennt. Als erstes bereist der neue Vorgesetzte sämtliche Niederlassungen der Mission, spricht mit allen Mitbrüdern. Er versucht, Möglichkeiten für eine gemeinsame Missionsstrategie auszuloten, um so Kräfte zu bündeln und die spärlichen Mittel effizienter einzusetzen. Wegen des negativen Visitationsberichts von Missionar Aelen und aus eigener Erfahrung erkennt er die dringende Notwendigkeit, den Eigeninitiativen einzelner ein Ende zu setzen und die Missionsarbeit nach einem gemeinsamen, durchdachten Plan auszurichten. Dazu ruft Msgr. Dunn 1897 das erste Regionalkapitel zusammen. Diese Treffen, die mit einem Einkehrtag und gemeinsamen Gebet beginnen, bieten Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen, Freud und Leid miteinander zu teilen, Probleme und Wünsche sichtbar zu machen und gemeinsame Lösungen zu suchen. Aber auch theologische Fragen, Finanzierungsprobleme, Fragen der Liturgie, der Ehepastoral, der Schule und Bildung, Kultur und Sprache, Beziehung untereinander und zu den Einheimischen können besprochen werden. Auch das Gesellige unter Gleichgesinnten erweist sich als Quelle der Entspannung und Ermutigung. Auf diese Weise entwickeln sich diese Regionalkapitel, die alle vier Jahre stattfinden, zu einem bewährten Leitungsinstrument und stärken den Zusammenhalt unter den Missionaren. Ein großer Nachteil nur: wegen der riesigen Entfernungen können wenige der Missionare aus Nordborneo an den Regionalkapiteln persönlich teilnehmen. Es wird fleißig Protokoll geführt, und die Beschlüsse werden für alle verbindlich gefasst.
Jackson hatte den Sitz der Präfektur in Labuan aufgeschlagen. Dem neuen
Präfekten Dunn raten die Mitbrüder, zumindest nach Kuching zu übersiedeln. Er jedoch will in Kanowit am Rejang Fluss im Landesinneren von Sarawak bei seinen geliebten Iban bleiben. Schließlich gibt Dunn nach, nicht nur weil er die Mühen des Reisens am eigenen Leib erfahren hat und Anliegen aus den Missionen oft erst nach Monaten eine Antwort erhalten, sondern weil ein tragisches Ereignis ihn zum Sinneswandel bringt. Am 12. März 1900 ertrinkt der junge, erst kürzlich aus Europa angereiste Missionar Bernhard Wensink im Rejang Fluss, als er unweit der Missionsstation Kanowit ein Bad nehmen will. Dunn ist geschockt und fühlt sich für den Tod des jungen Priesters schuldig. 1902 verlegt er den Sitz der Präfektur nach Kuching, lernt HakkaChinesisch und Tamil-Urdu, um voll am pastoralen Geschehen teilnehmen zu können. Msgr. Dunn hat sich als Glücksgriff und echter „Team Player“ erwiesen. Er ist ein Mann, der die Missionsarbeit von der Wurzel her kennt. „Seinen Leuten“, egal ob Iban, Chinesen oder Mitbrüdern, ist er menschenfreundlich zugetan. Damit haben es nicht nur die Einheimischen, sondern auch die Missionare mit einem durch und durch pastoral eingestellten Vorgesetzten zu tun, der ihre Probleme und Sorgen versteht. Ihm wird allmählich klar, dass in Nordborneo etwas geschehen muss, wenn dort die Mission nicht vollends abgehängt werden soll. Aktuelle wirtschaftliche und politische Entwicklungen lenken inzwischen ein verstärktes Augenmerk auf Nordborneo. Schon seit längerer Zeit sind europäische Handelsgesellschaften auf der Suche nach einem größeren Hafen für Hochseeschiffe. Um 1900 findet man günstiges Küstengebiet und beginnt mit den Bau-
Die Franz Xaver Kirche heute in Kanowit.
Was ein Taxistand in der modernen Großstadt ist, dem entspricht in Borneo dieser Anlegeplatz für Boote am Flussufer. arbeiten. Es entstehen erste Handelsbüros und Lagerhäuser. Der Ort für die geplante Hafenstadt, der von den einheimischen Api-Api genannt wird, liegt äußerst günstig am Ende der Schmalspureisenbahn, die ab 1896 in das Landesinnere gebaut worden war. Die neu gegründete Stadt erhält den Namen Jesselton, benannt nach dem Vizevorsitzenden der Handelsgesellschaft Charles Jessel. Innerhalb weniger Jahre läuft Jesselton der früheren Hauptstadt Sandakan den Rang ab. Jesselton wird Hauptstadt, und der unscheinbare Küstenort Api-Api wird zum bedeutendsten Handelszentrum British Nordborneos ausgebaut.
Im Jahresbericht an Propaganda Fide von 1902 schreibt Msgr. Dunn: „Kürzlich ist in Britisch Nordborneo eine Eisenbahn durch unser Missionsgebiet an der Westküste gebaut worden. Das erleichtert die Kommunikation zwischen unseren Missionsstationen unter den Dusun-Stämmen enorm. An beiden Enden der Bahnlinie entstehen rasch wachsende Städte, Beaufort & Jesselton. Beide sind mit einem Krankenhaus ausgestattet und unter den vielen chinesischen und indischen Zuwanderern sind eine beträchtliche Anzahl Katholiken. Wir werden an beiden Orten bald eine Missionsstation und eine Schule errichten müssen, um den spirituellen Bedürfnissen der Zuwanderer entgegenzukommen.“
In der Tat wird der ehemalige Mitarbeiter von Anton Haidegger und Lehrer am St. Josephs Kolleg in Kuching, der Holländer Henry van der Heijden, bereits 1903 beauftragt, in Jesselton eine Missionsstation zu eröffnen. Die Missionare Goosens und Prenger treffen die nötigen Vorkehrungen. Sie mieten ein leerstehendes Haus an und kümmern sich um die verstreuten Katholiken. Auch ein Stück Bauland haben sie im Auge, das 1903 mit der Unterschrift von „H.v.d. Heijden“ für die Mission angekauft wird. Damit beginnt die so erfolgreiche Mission in Jesselton, dem heutigen Kota Kinabalu, mit ungefähr 43 Christen, in der Mehrzahl tamilische und chinesische Zuwanderer. Von allem Anfang an wird das Missionswerk unter den Schutz des Heiligsten Herzens Jesu gestellt, wohl auch angeregt durch die Herz Jesu Statue, welche die Mission in Jesselton von Gebern aus Brixen spendiert bekommen hatte.