Magazin FĂźr Glaube & Gegenwart Nr. 1 2017
Glauben hier und heute
Unfertig
ausgabe 1 | 2017
2
editorial
Glauben hier und heute
editorial
Unfertig, was? So manches liegt unfertig auf dem Schreibtisch:
Die erste Ausgabe von present haben wir mit
Texte, die überprüft und Briefe, die beantwor-
dem Thema unfertig überschrieben. Das bezieht
tet werden wollen, zuhause wartet mein Tisch,
sich sowohl auf die Zeitschrift selbst, mit der
den ich seit Wochen abschleife und neu lackiere
wir Neuland betreten und mit jedem Heft dazu
und viele andere Dinge. Und, wenn ich mich im
lernen wollen und werden, als auch auf die Erleb-
Spiegel betrachte oder den Tag über beobachte –
nisse der Autoren, die in dieser Spannung des Un-
auch ich selbst fühle mich unfertig.
fertigseins leben.
Ich lebe in einem Dilemma zwischen Anspruch
Lasst euch hineinnehmen in die Lebenswelt von
und Wirklichkeit. Bin eigentlich schon erwachsen
Karsten, der nach dem Urlaub immer wieder viel
und fühle mich bei vielen Aufgaben, die ich als
zu schnell im Alltag landet. Oder auf die Pilger-
Erwachsene zu erledigen habe, so kindlich, dass
reise, an deren Ende Jessica in gewisser Weise
ich mich jedes Mal wundere, dass es doch irgend-
noch immer unfertig dasteht und doch auch et-
wie klappt.
was erreicht hat. Zusammen mit vielen anderen
Dürfen und können wir trotzdem glücklich sein,
kleinen Beiträgen, die mal zum Schmunzeln, mal
so unfertig wie wir sind? Es uns auf der Baustelle
zum Stirn runzeln einladen, formiert sich so ein
des Lebens gemütlich machen, ohne bei all dem
vielfältiges Ganzes, das erste present.
Chaos durchzudrehen oder zu verzweifeln? Dürfen wir uns in unserem Unfertigsein trotzdem geborgen und geliebt wissen oder gibt es irgend-
Viel Freude beim Lesen wünschen Jessica Schultka und das Redaktionsteam
wann sogar den Punkt, an dem wir fertig sind?
editorial
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ausgabe 1 | 2017
Inhalt // 3
// 16 – 17
EDITORIAL
HÖLLENKESSEL ODER WUNDERMASCHINE?
// 6 – 7 SCHÖN UNFERTIGES
// 18 – 20 DIE WELT IST FERTIG
// 8 – 9
KREATIVER ELEKTROPUNK
NOAH WAR EIN TRINKER // 21 YUMMIE KOCHEN
// 31 – 39
EXOTISCHER REZEPT-TIPP
VON EINER, DIE AUSZOG, DAS PILGERN ZU LERNEN
// 22 – 25
Abenteuer beginnen damit, dass
URLAUB IM ALLTAG
sich jemand auf den Weg macht und losgeht. Auf die eigenen
// 26 – 29
Füße gestellt. Mit dem Ruck-
DAS LEBEN IM KONJUNKTIV
sack auf dem Rücken und vielen
// 10 – 14
Erwartungen im Gepäck.
WACH AUF, PRINZESSIN!
// 30
Wiebke Ritz plädiert für mehr
GLAUBEN HEUTE IN ZAHLEN
Mut, sich selbst zu mögen, statt einem Schönheitsideal hinterherzuhecheln.
Impressum Herausgeber: Saatkorn-Verlag GmbH, Abt. Advent-Verlag, Pulverweg 6, 21337 Lüneburg | Feedback, Fragen, Anregungen? E-Mail: info@advent-verlag.de Redaktion: Jessica Schultka (Chefredaktion), Nicole Spöhr, Thomas Lobitz, Daniel Wildemann Bildredaktion: designstudio.monoflosse.com (Mario Reineking, Anna Schäfer) Creative & Art Direction: designstudio.monoflosse.com (Mario Reineking, Anna Schäfer) Produktion/Druck: Ulenspiegel Druck GmbH & Co. KG, Birkenstraße 3, 82346 Andechs Die Umweltdruckerei - Ökodruck seit 1999 Praktikanten: Luzie Funke, Benedikt Braun (Danke!) 4
inhalt
Glauben hier und heute
// 40 – 41 FIX UND UNFERTIG
// 51 GESUNDHEITSTIPPS
UNFERTIGE KREATIONEN // 42 – 45 KOMM ZUR QUELLE INTERVIEW MIT ANDREA ADAMS-FREY
HUUAA
// 46 –49 AUGENBLICKE IN LEIPZIG
// 56 – 59 ICH LIEBE DICH NICHT!
EINE KLEINE BILDERSERIE
// 52 – 55 WANN KOMME ICH
Alltagsgespräch zwischen einem
// 50
ENDLICH AN?
Vater und seiner pubertierenden
CD- UND BUCHTIPPS
Wo genau werden Erwachsene
Tochter. Warum sie sich trotz-
gemacht? Und gehöre ich jetzt
dem mögen und was Gott damit
auch schon dazu?
zu tun hat.
„Ich liebe dich.“ „Ich dich nicht!“
Daniel Wildemann auf Spurensuche
// 60 – 61 GRINDELBERG-BLOG // 62 ABO
Bildnachweis SHUTTERSTOCK: Underworld (Cover), Sebra (S. 2, 63) Andreea Grosu (S. 4), file404 (S. 5, 56, 57, 58), margouillat photo (S. 21), Vadim Georgiev (S. 22), Andrei Mayatnik (S. 24), Freedom Life (S.25), Evgeny Atamanenko (S. 25), korkeng (S.25), Kumer Oksana (S. 25), Vitalii Gaidukov (S.27), BERNATSKAYA OXANA (S. 27, 28, 29), schankz (S. 27,28,29), rsooll (S. 31), Collin Quinn Lomax (S. 32), Mega Pixel (S.33), Belovodchenko Vadim (S. 33), Kar Tr (S.34), Gena Melendrez (S.35), Ameumi (S. 36), kl_ foto (S. 37), Adventure_ 4_the_Soul (S. 37), Elena Dijour (S. 37), Roxana Bashyrova (S. 38), AjayTvm (S. 40), Durch Ovu0ng (S. 40), Aynur_sib (S. 41), Eric Isselee (S. 41), SeDmi (S. 51), Infinite Sum LTD (S. 52), topform (S. 53, 54, 55), Anysh (S. 60), MoQcCa (S. 61) || WEITERE FOTOS: Wiebke Ritz (S. 4, 10, 14), Ikea (S. 5), Hello Fresh (S. 5), Deichkind (S. 18), Karsten Stank (S. 24), Clara Emilia Eißner (S. 46– 49), Rinaldo G. Chiriac (S. 26), Sergej Falk (S. 42) || SEITE 6 – 7: Holzwürfel (radbag.de), UN-Fertig Timer (grafik-werkstatt.de), Scratch Map (Christoph Spöhr), DiY-Butterset (BOSKA Holland/ geschenkbox.de)
inhalt
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ausgabe 1 | 2017
Schön Unfertiges
STREICHBAR Die meisten brauchen von Zeit zu Zeit Abwechslung – besonders auf dem Tisch. Mit dem Do-it-youself Butterset kann das schon beim Brotbestreichen beginnen.
Terminplaneruch Kritzelb
201 8
rtig (Un-)fe Mitmach-Timer
n, tigmache zum Fer hreiben, Weiterscitzeln . . . Vollkr
Mein
den Alltag ultimativ kreativ durch
PFLANZBAR Lieber selbst etwas wachsen und entstehen lassen, als etwas Fertiges vorgesetzt zu bekommen. Ob Minze, Sonnenblume oder Lavendel, In dem kleinen Holzwürfel Ecocube
PLANBAR
stecken die passenden Samen umgeben
Die einzigen Begrenzungen sind
von Nährgranulat.
der 1.1. und 31.12. – dazwischen darf munter festgelegt, verworfen und neugeplant werden. © www.grafik-werkstatt.de
6
alltag
Glauben hier und heute
KOCHBAR ERLEBBAR
Minimiertes Risiko – gleicher Kochspaß. Wie Malen
Richtig multifunktional, denn mit der
nach Zahlen, nur mit Gemüse.
Scratch Map kann man sich gleich-
Du gibst an, wie oft und für wie viele Personen du
zeitig an vergangene Reisen erinnern
kochen möchtest. Hello Fresh schickt dir eine Box, in
und für neue inspirieren lassen. Das
der sich ein gesundes Rezept und die exakte Menge
Freirubbeln erhöht den Spaßfaktor.
der benötigten Zutaten plus Anleitung befinden.
Diese Karte funktioniert wie ein großes Rubbellos. Mit einer Münze o. Ä. können auf der grau-bronzenen Fläche Orte, Regionen oder Länder
HÄNDELBAR
freigekratzt werden. Je mehr man
Mindestens einmal im Leben mehr oder weniger
reist, desto bunter wird‘s.
erfolgreich aufgebaut: Klippan, Ektorp, Poäng oder Billy.
alltag
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ausgabe 1 | 2017
Die Liga der Unfertigen
Noah war ein Trinker Wer kennt die Vorstellung nicht, perfekt sein zu müssen? Erstmal einen gewissen Standard erreicht zu haben, bevor man dann die wirklich wichtigen Dinge des Lebens anpackt wie zum Beispiel die Welt retten, Karriere machen, ein richtig guter Vater sein, die perfekte Partnerschaft führen. Und schnell merken wir, an wie vielen Punkten wir scheitern und wie unfertig unser Lebenskonzept ist.
C
hristen malen gerne ein Bild des schon
Ziel angekommen.“ Ein Heiliger, der noch nicht
Fertigen,
Angekommenen
am Ziel ist? Jep. Davon gibt es eine ganze Menge
von sich. Doch in der Bibel, dem Buch,
in der Bibel: Noch-nicht-Angekommene, Unfer-
auf das sich das Christentum beruft, sucht man
tige. Da könnten wir uns problemlos einreihen
diese Supermänner und -frauen vergebens. Sie
und – so wie wir sind – Geschichte schreiben.
stellt uns Menschen im Werden vor, die suchen
Ganz unfertig.
Perfekten,
und finden, aber die noch unterwegs sind. Bezeichnenderweise hießen die ersten Christen so-
Patrick Nave – Ex-Dealer, Sohn eines Ma-
gar „der Weg“. Und sie machten sich auf diesem
fia-Bosses und heute Harley fahrender Pastor
Weg immer wieder die Füße schmutzig. Paulus,
– greift in seinem autobiographischen Buch Gib
einer der Chef-Theologen der Bibel, bekannte
niemals auf eine verbreitete Auflistung einiger
einmal: „Ich weiß genau: Noch bin ich nicht am
Personen auf, die in der Bibel auftauchen:
Abraham war zu alt. Isaak war ein Tagträumer. Jakob war ein Lügner. Lea war hässlich. Mose s to tter te. Gideon war ängs tlich. Simson ha tte lange Haare und war ein Frauenheld. Rahab war eine Pros ti tuier te. Jeremia und Timo theus waren zu jung. 8
bibel und theologie
Glauben hier und heute
David ha tte eine Affäre und war ein Mörder. Elia war selbs tmordgefährdet. Jesaja predigte nackt. Jona floh vor Go tt. Naomi war eine Wi twe. Noah war ein Trinker. Hiob war plei te. Petrus verleugnete Chris tus. Die Jünger schliefen beim Beten ein. Mar ta mach te sich um alles Sorgen. Maria Magdalena war ... na, du weiß t schon … Die Samari terin war geschieden – mehr als einmal. Zachäus war zu klein. Saulus war fana tisch. Timo theus ha tte Magengeschwüre ... und Lazarus war to t! Die Bibel ist voll von Menschen wie du und ich,
unvollkommene Menschen, die ihr Leben für Je-
auf die Gott sein Scheinwerferlicht lenkte, damit
sus leben wollen, in einer komplizierten Welt.
wir erkennen können, wie sie schlimme Situationen überwinden konnten. Die Bibel gibt uns
Daran lässt sich gut ablesen, dass auch Men-
allen Hoffnung, weil sie einen Weg der Gnade
schen, die an Gott glauben, mit ihren Fehlern und
und des Gebrauchtwerdens aufzeigt. Wir sind
Problemen kämpfen. Das ist herausfordernd und anstrengend – wie das Leben selbst. Es erfordert
Patrick Nave, Gib niemals auf, Advent-Verlag, 2017. ISBN: 978-3-8150-1965-8 Bestellmöglichkeiten unter 0800 2383680 oder adventist-media.de
Mut und Kraft, mit den Brüchen und offenen Fragen im eigenen Leben ehrlich umzugehen. Die vielen Geschichten der Menschen aus der Bibel zeigen, dass nicht immer alles perfekt läuft, wir aber trotz allem darauf vertrauen können, dass Gott da ist und mit uns geht. Von Daniel Wildemann & Jessica Schultka
bibel und theologie
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Waaach auf, Vom unfertigsein
Prinzessin!
Ganz im Sinne der Mode-Kampagne #ImPerfect wirbt Autorin Wiebke Ritz mit klaren Worten fĂźr mehr Mut, sich selbst zu akzeptieren, statt einem erfundenen Ideal hinterherzuhecheln, dessen SchĂśpfer es ohnehin nur auf den Geldbeutel abgesehen hat.
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sinn
Glauben hier und heute
sinn
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ausgabe 1 | 2017
W
er hat mir nur eingebläut, die Lieb-
erkenne ich, dass ich tatsächlich schön bin, aber
liche, Schöne sein zu müssen, deren
nicht so, wie ich es mir immer ersehnt habe. Nicht
Aura vom Frühling gespeist wird und
das typische Hollywood-schön, sondern besonders;
deren Lachen, wie der Mond, direkt durch die Sonne
eckig und kantig in meiner Form, hager und enorm
leuchtet. Wer hat mir gesagt, dass ich duften muss,
in meinem Lachen. Ich bin sportlich und kann trotz-
wie ein paar blühende Rosen mitten im Winter-
dem elegant, irgendwie auch zierlich sein und trotz-
wald, und dass Anmut einzig Zierlichkeit und Form-
dem wie ein weiblicher Schrank von Zeit zu Zeit. Ich
perfektion gleichkommt. Und wer beherrscht es,
bin einfach anders als perfekt und vielleicht gerade
mir diesen innerlichen Zwang als Willen zuzulallen
dadurch so echt, dass man mich manchmal bewun-
und meinem Herzen aufzubürden.
dert. Denn oft ist das Außen-Schöne innen so leer und einsam wie es die Welt ganz am Anfang war. Das Dunkel im Herzen speist sich nur vom Meer der
Woher nehme ich die Einbildung, dass Schönheit ein festes Prinzip ist, dem man nur entsprechen
Tausend Likes auf Instagram.
kann oder nicht. Und dass man, wenn man aus dem
Ich schrie innerlich, ...
Wenn ich so nachdenke und die anderen auf den Fotos betrachte, erkenne ich auch an vielen von ihnen etwas, das nicht glamourös und makellos ist. Plötzlich will ich, so unzufrieden ich oftmals bin, mit keiner von ihnen tauschen. Ich genüge mir nicht, die anderen auch nicht – was ist das für ein
Rahmen fällt, einzig noch im Bio-Regal als Natur-
Wahn. Nur Perfektion könnte die Bahn brechen,
produkt vermittelbar ist, das nichts für sein Schick-
sich zu grämen über das ‚Fehlerhafte‘. Warum nur
sal kann, von der Norm abzuweichen. Warum habe
strebt man nicht nach Imperfektion, alles andere
ich nie gelernt, dass nichts zu groß oder zu klein an
ist doch Spott und Hohn, dass man denkt, man
mir ist, sondern dass, wie ich bin, einfach gut und
könne übermenschlich sein.
vollkommen ist. Die paar Gesichter, die tatsächlich so himmlisch Warum hat mir niemand gesagt, dass es nicht
sind, werden meist verkauft, bis sie nur noch käuf-
lohnt nach dem Prinzessinnen-Dasein zu streben,
lich sind und ausgeweidet, bis innen nichts als
sondern nur so zu leben, dass es mich innerlich
gähnende Leere bleibt. Denn Schönheit lässt sie
auszufüllen vermag. Warum wurde ich nicht ein-
einsam sein. Was ist es, das den Menschen erfüllt?
fach behandelt wie jeder-Mann, dass unbestreit-
Ist es ein göttliches Abbild oder Gemeinschaft,
bar bleibt, dass das Äußere nicht das Wesentliche
die ein wundes Menschenherz umhüllt? Ich bin es
im Leben ist. Wenn ich mir heute Fotos anschaue
leid, wissentlich nach dem Irrweg zu streben. Bit-
und mich betrachte, ganz ehrlich und karg, dann
te, gib mir doch mein Leben, so wie es sein könnte,
12
sinn
Glauben hier und heute
wenn ich es ließe – denke ich oft verdrießlich, wenn
dass sich investieren lohnt und dass man jede Men-
die Selbstannahme wieder einmal retour geht.
ge zu verschwenden hat. Sich verschenken, wo man
Leider bekomm ich nur Rechnungen für die Re-
sich doch vorher so arm und unnütz fühlte, bringt
tour, denn es kostet mich mehr als eine Spur von
Sinnhaftigkeit hervor. Man überrennt jeden Zweifel,
Liebe, mir ein neues Selbst zu kaufen. Neue Klei-
wie ein Siegesschrei über den armen Tor in sich, der
dung hier, neues Körperteil da und immer noch ist
einen jeden Tag zu brechen sucht. Mein Herz sang
das Göttliche nicht da. Abgöttisch betrachte ich
nun mit anderen im Chor, von Freiheit und Gleich-
einzig die Photoshopfigur, die ich über mein Spie-
heit und es war wirklich so gemeint, nicht nur ein
gelbild kleb.
Slogan aus einem Wohltätigkeitsverein.
Es ist so dreist, nur für mich selbst zu leben.
So will ich irgendwann sein. Das Leben, das fängt ja dann erst an. Was denkt ihr, werde ich diesem Kreislauf entlaufen? Oder Tage, Wochen, Jahre mit ihm raufen, bis ich untergeh? Manchmal gab es Zeiten, an denen mich das Leben so ergriff, dass ich mich einen Scheiß um ein Idealbild scherte. Ideal schien mir dann nur jetzt und hier, ganz im Moment zu sein. Ich atmete tief ein und spürte, wie mein Herz wie die erste Schneeglocke durch die Eisschicht brach, die meinen Geist umgab. Es sprang wie eine Knospe auf und strahlte solch eine Wärme aus, dass selbst das Eis im Nachbarsgarten brach. Dieser Moment, als ich erkannte, wie armselig es ist, sich nur um sich selbst zu drehen, während tausend andere im Meer
Bitte, bitte liebes Leben, wenn du es kannst, dann
untergehen oder von Bomben zerrissen und
lass nie wieder das Märchenland mein Äußeres
Mäulern seelisch zerfleischt werden. Ich schrie
ergreifen. Die wahren Wunder wirken von innen
innerlich, Herr bitte erde mich und meinen Geist.
heraus und lassen mein Gesicht erstrahlen, als sei
Es ist so dreist, nur für mich selbst zu leben.
es nicht von dieser Welt. Dann holt es wahrlich das Himmelszelt unter das irdisch versklavte Leben.
Dann atmete ich lange aus und aus mir brach so viel heraus, als hätte ich ein Leben lang mein Ver-
Und weil dieses wahre Glück so selten zu finden
mögen eingesperrt. Aus meinem Geist kämpften
ist, wird es gephotoshopt und inszeniert, weil wir
sich Gedanken und Visionen frei, die ungeahnte
doch wissen, dass es das Echte und Einzige ist, was
Kräfte in mir hervorbrachten. Plötzlich erkannte ich,
zählt, und man es nur leben, nicht besitzen kann.
sinn
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ausgabe 1 | 2017
Der Mensch baut sich beständig seine Illusion und
für alle, die ihr Leben als wertlos erachten oder als zu
weidet sie aus, bis Argwohn, Neid und Herrsch-
höllenähnlich, als dass Hoffnung lohnenswert er-
sucht entstehen. Er macht sich selbst klein und
scheint. Bitte lieber Verstand, liebes Menschen-
meint erhaben zu sein. Er peinigt sich, um durch
denken, zieh uns endlich dieses Pflaster ab und lass
wahre Not nicht angreifbar zu sein. Er peitscht sich
uns unsere Wunden offenbaren oder uns erkennen,
voran, um Elend als normal anzusehen, denn sonst
dass dort nie welche waren.
würde seine Seele in all dem Leid, das außerhalb Denn nur dann können wir endlich fortfahren,
von unserem Glanz geschieht, in Scham und Ver-
unser Leben im himmlischen Sinne zu leben und es
zweiflung untergehen.
am Ende als Segen anzusehen. –
Ein totes Herz bleibt vor Verletzung bewahrt.
Wenn wir auch nur
Einem toten Herzen bleibt aber auch das Leben er-
einen Funken Demut besäßen,
spart, das wir uns ersehnen, das für uns bestimmt
würden wir heute beginnen
ist. Zufriedenheit braucht die Unbeständigkeit des
für eine bessere Welt einzustehen,
Lebens, wie wir Wasser und Brot, denn es ist das
statt für ein Maximum an Größenwahn,
Leid, der Schmerz, Verzagen und seelische Not, die
um uns selbst ins beste Licht zu (d)rücken.
dem Nehmen und Geben, dem Geborenwerden und
Denn jede annähernd gesunde Seele
Wiederaufleben, dem Gewinn an Liebe und Gebor-
sollte mit einer Entzweiten
genheit erst Bedeutung, erst vollen Wert verleihen.
um das Licht des Lebens kämpfen!
Wenn es Sinn gibt in diesem Leben, dann uns dem Leben hinzugeben und es lebenswerter zu machen,
14
Von Wiebke Ritz (donvaleros.de)
sinn
–
rubrik: kultur
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ausgabe 1 | 2017
Höllenkessel oder Wundermaschine? Willkommen im Thermoversum, lese ich in einer der unzähligen Streitschriften für oder gegen das stark umstrittene Technikwunder, das in der Lage ist die friedlichsten Pazifisten in zwei bitter verfeindete und sich bekämpfende Lager zu spalten: der Thermomix.
2,2 Li ter
Wiegen, kneten, pürieren, erhi tzen
120
4
Grad Celsius
10700
Kochebenen
Umdrehungen pro Minu te
PRO
D
ie Wundermaschine kann alles: wiegen,
ich muss keine Töpfe schrubben, meine Nerven
kneten, pürieren, erhitzen, dampfgaren.
sind geschont und ich habe mindestens eine
Keine tränenden Augen beim Zwiebelschnei-
halbe Stunde in der Küche gespart. Wenn mich
den, alles nur noch grob gehackt reinschmei-
dann doch mal die Kochlust packt und ich eine
ßen und heraus kommt eine fertige Suppe.
richtig klassische Marmelade machen möchte,
Währenddessen lackiere ich noch meine Nä-
funktioniert es genauso: Obst und Gelierzucker
gel oder springe unter die Dusche. Zeitgleich
reinwerfen, anstellen. Zack. Fertig. Nix ist an-
mit mir ist auch mein Mittagessen fertig, be-
gebrannt. Was wäre mein Leben nur ohne den
vor ich ins Büro gehe. Nichts ist übergekocht,
Thermomix?
16
alltag
Glauben hier und heute
Mach t keinen Krach!
Pass t in jeden Küchenschrank
Entschleunigt!
Verbindet Genera tionen Gu t für die Mo torik CONTRA
D
a gibt es aber auch die Verfechter der Kochlöf-
eine roboterähnliche Maschine zulegen? Der Ther-
fel und Messersets. Die iPhone-Verweigerer
momix wird uns noch die letzten Kochkünste und
der Küche sozusagen. Kochen bedeutet Genuss,
-fähigkeiten rauben. Ist das nicht nur überflüssiger
Kreativität und handwerkliches Geschick. Wer Le-
Schnickschnack und eine elegantere Form der Geld-
bensmittel mit dem Schlagmesser traktiert, sie an-
verschwendung? Wenn dann der Thermomix der
schließend zu einem Brei verarbeitet und das dann
Person davor diktiert, was sie wann hineinzuwerfen
Mittagessen nennt, der hat noch nicht mal ansatz-
hat und bei der kleinsten Abweichung streikt, muss
weise etwas vom Kochen verstanden. Und über-
man sich sowieso fragen, wer von den beiden jetzt
haupt, muss man sich denn für jede Anstrengung
der Roboter ist.
alltag
Von Jessica Schultka
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ausgabe 1 | 2017
niveau weshalb warum
Die Welt ist fertig! „Ein Traum aus Schutt und Asche, ‘ne richtig runde Sache.“ Das ist sie, unsere Welt, Traum und Albtraum zugleich. Können wir Menschen was dafür oder dagegen tun? Eine musikalische Antwort DER Elektropunkband Deutschlands.
18
kultur
Glauben hier und heute
I
ch weiß nicht, ob dieses Phänomen auch eine
Begeisterung für diese Band mit ihren krea-
wissenschaftliche Bezeichnung trägt, wenn man
tiven, entlarvenden Texten erst reifen musste,
auf der einen Seite an etwas baut und bastelt,
weil so manche Lieder (Bon Voyage – bääh)
während das Ganze auf der anderen Seite beginnt,
und musikalische Umrahmung der Stücke
in sich zusammen zu fallen. Die verrückten Kerls
so gar nicht meinem Geschmack entsprach.
von Deichkind haben dieses Prinzip gleich mal
Aber hey, man entwickelt sich ja weiter
auf die höchste Stufe gestellt und es auf die Welt
und so staunte ich ein ums andere Mal, als
selbst bezogen – erinnert irgendwie an ihren Song
ich den Überredungskünsten meiner kleinen
„Denken Sie groß“. Ich muss zugeben, dass meine
Schwester erlag und das grandiose Album
kultur
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ausgabe 1 | 2017
„Niveau, weshalb, warum“ anhörte – allein
vorstellbar ist das aber längst nicht. Denn wir
der Name ist es schon wert reinzuhören.
sind unaufhaltbar – „keine Ampel zeigt mehr
Zu meinen Lieblingsliedern gehört auch „Die
rot“ – wir wollen alles begreifen – „Alle Gro-
Welt ist fertig“, weil sich die teekesselchenar-
schen sind gefallen. Alles zu Ende gedacht.
tige Doppeldeutigkeit des Wortes fertig und
Keine Fragen mehr“ – alles unter Kontrolle
damit des ganzen Satzes erst beim Hören er-
haben, alles vollenden können. Dass dieses
schließt. Vielleicht ist es typenabhängig, ob
Unterfangen sowohl in die eine als auch in die
man „fertig“ eher im negativen Sinne: kaputt,
andere Richtung kippen kann, macht der Re-
ausgelaugt benutzt oder es ganz positiv meint:
frain immer wieder deutlich. Das unverkenn-
alles geschafft, erledigt, abgeschlossen. (Für
bare Mikrowellen-Bing nach dem ersten „Die
mich übrigens ein Grund mehr, die deutsche
Welt ist fertig“ lässt vermuten, dass wir es nun
Sprache zu lieben, wenn sie es schafft einem
wirklich geschafft haben, die Welt zu vervoll-
Wort zwei Bedeutungen zuzuweisen, die sich
ständigen, aber der Eindruck trügt, denn gleich
eigentlich gegenseitig ausschließen.) Genau
im nächsten Halbsatz folgt die Erläuterung:
darum geht es in dem Song. Er beschreibt,
„so richtig fertig“, „völlig fertig“ und schon ist
dass die Menschen stets damit beschäftigt
die Perfektion wieder futsch. Eine treffende
sind, aus allem das Beste rauszuholen, aus
Beschreibung, wie das Leben hier auf der Erde
sich selbst, ihren Kindern, der Steuererklärung,
funktioniert. Es scheint gar nicht anders zu
dem Hotelaufenthalt – oder wie Deichkind es
gehen, denn wir sind einfach so: Wir wollen
ausdrücken: „Ganz Dubai hochgezogen, alle
verändern, verbessern, behalten, zurückha-
Straßen sind geteert, alle Rekorde gebrochen“.
ben. Wir sind mit Eifer dabei an einem Fertig
Das kann natürlich schnell überhand nehmen
zu arbeiten, obwohl die stete Veränderung das
und/oder absurd werden: „Gelsenkirchen liegt
Erreichen dieses Ziels unmöglich macht.
am Meer. In Grönland wachsen Palmen.“ Un-
Alles ist Stückwerk, lasst uns fertig werden. Von Nicole Spöhr
20
kultur
Glauben hier und heute
Yummie Koriander-Chili-Naan
Z U TAT E N
Mit dem Rezepte-Blog „Lust auf
500 g Dinkelmehl 1050 / 250 ml Wasser
kneten und in 10 gleich große
Lecker“ stellen wir vegane Rezepte
/ 20 g Hefe / 1 EL brauner Zucker oder
Kugeln formen. Den Teig 10 min.
vor, die einfach nachzukochen sind. Wer nicht nur lesen, son-
Honig / 2 EL Olivenöl / 1 TL Meersalz / 1-3 rote Chilischoten / Bund Koriander
ruhen lassen und zu einem 1/2 cm dicken länglichen Fladen ausrol-
dern die Kochkünste direkt unter
ZUBEREITUNG
len. Eine beschichtete Pfanne er-
Videoanleitung verfeinern möch-
Hefe, Zucker und lauwarmes Was-
hitzen, die Fladen auf einer Seite
te, kann sich dazu das passende
ser verrühren. Mehl in eine Rühr-
mit Olivenöl bestreichen und mit
Kochvideo unter diesem Link anse-
schüssel sieben und fein geschnit-
der eingeölten Seite nach unten
hen: www.lustauflecker.de
tene Chilischoten zusammen mit
bei mittlerer Hitze ca. 1-2 min. ba-
dem Hefe-Wassergemisch, Salz,
cken, bis der Teig goldbraun ist.
Olivenöl und gehacktem Korian-
Dann die obere Seite mit Olivenöl
der dazugeben. Alles zu einem
bestreichen, die Fladen wenden
glatten Teig verarbeiten. Den Teig
und nochmal ca. 1 min. fertig ba-
zugedeckt an einem warmen Ort
cken. Die Naanbrote am besten
ca. 40 min. gehen lassen, bis er
im Geschirrtuch heiß halten und
sich verdoppelt. Nochmals durch-
frisch servieren.
TIPP: Dinkel enthält Spurenelemente wie Zink, Kupfer, Silizium (Kieselsäure): Gut für den Stoffwechsel, die Nerven und die Konzentration.
kultur
21
ausgabe 1 | 2017
Wenn Karsten alles plant und packt, stellt sich schon das ersehnte UrlaubsgefĂźhl ein.
22
alltag
Glauben hier und heute
Träume
Urlaub im Alltag „Was, schon die dritte Urlaubsreise dieses Jahr?!“ Statt neidisch auf den Nachbarn zu gucken, der sich auf Lanzarote bräunt, während du im tristen Norddeutschland versauerst, ist es viel erfüllender, sich bereits in den Alltag ein paar Urlaubsmomente einzubauen, meint Karsten Stank.
N
un hielt ich ihn in der Hand. Den Reiseführer für Apulien. Dort haben wir als Familie nämlich in diesem Jahr unseren Sommerurlaub verbracht.
Eigentlich hatte mein Urlaubsgefühl schon be-
oder Monate warten müssen, bis unsere eigene freie Zeit beginnt.
gonnen, als wir im letzten November diesen
Woher kommt das? Ist es eine Art selbst er-
wunderschönen Gutshof mit Pferden im Süden
zeugte Spannung, auf der einen Seite, die
Italiens gebucht hatten. Diese Vorfreude gab mir
Pflicht des Alltags auszuhalten, damit im An-
das Gefühl, ein wenig von der wärmenden, ita-
schluss die erwünschte Freiheit ohne Pflichten
lienischen Sonne schon im grauen Alltag Nord-
und Termine genossen werden darf? Ist es Un-
deutschlands erleben zu können. Erst recht, da
zufriedenheit, in Zwängen gefangen zu sein,
ich nun mit dem Reiseführer und der Straßenkar-
die ich im Urlaub mit dem Ausschalten meines
te in die Planung gehen konnte.
Smartphones hinter mir lasse? Oder ist mein
Woran liegt es, dass ich so stark auf den Gegen-
Alltag so angefüllt mit Aufgaben, To-do-Listen
satz zwischen dem wunderschönen, sonnigen
und Terminen, dass ich mich selbst, als Mensch
Urlaub und dem tristen, grauen Alltag poche? Ich
mit meinen ganz persönlichen alltäglichen
erlebe, dass wir einander bedauern, wenn der Ur-
Bedürfnissen hinten anstelle und mir darum
laub vorbei ist und ein wenig neidisch auf unsere Nachbarn oder Freunde schauen, wenn sie sich auf die Reise begeben, während wir noch Wochen
alltag
23
ausgabe 1 | 2017
oft selbst verwehre, was ich gebraucht hätte?
„Das, was ich mir im Urlaub gönne,
Oft gebe ich mich am Ende eines Tages mit dem
kommt im Alltag viel zu kurz.
(sogenannten) Glücksgefühl zufrieden, viel ge-
Dabei könnte ich eigentlich jeden Tag
schafft zu haben. Allerdings reicht mir das auf
ein Stück Urlaub gebrauchen.“
Dauer nicht aus, um meinen Lebensfreude-Tank gut gefüllt zu halten. Im Urlaub nehme ich mir morgens die Zeit, in Ruhe meinen frisch zubereiteten Espresso mit einem Schuss Sahne zu trinken und dabei entweder im Garten die laue Morgenbrise zu genießen oder einfach nur von der Fensterbank der Küche aus meine Blicke schweifen zu lassen. Morgens zuhause, im Alltag, schmiere ich nebenbei die Schulbrote für meine Mädels. Bevor wir unsere Wohnung in Richtung Urlaub verließen, hatte ich mein iPad sorgfältig mit meiner wichtigsten Musik versorgt. Ich brauche zu den verschiedenen Eindrücken des Tages passende Musikstücke. Ein Sonnenuntergang ist zwar auch ohne Musik wunderbar, manchmal allerdings wirkt solch ein Mittelmeerabend am Strand mit den passenden Jazzklängen in den Ohren noch tiefer in mir nach. Wenn ich mir an einem Arbeitstag im Büro vornehme, zwischen zwei zu bearbeitenden Themen vier bis fünf Minuten bei einem passenden Musikstück auf den Ohren zu entspannen, erlaube ich mir das eigentlich nur, wenn ich vorher noch die eine Mail geschrieben, den dringenden Anruf getätigt habe usw. … naja; und dann ist die Zeit um und ich habe die Gelegenheit verpasst. Das, was ich mir im Urlaub gönne, kommt im Alltag viel zu kurz. Dabei könnte ich eigentlich jeden Tag, jede
24
alltag
Glauben hier und heute
Woche, ein kleines Stückchen Urlaub gebrauchen.
und Freiheit erleben, mit meiner Frau den Tag
Geht das denn?
besprechen oder einfach die Stille wertschätzen
Die Urlaubszeit ist ein geschützter Raum mit ei-
können. Aber während ich dasitze, werfe ich ei-
ner klaren Struktur der Ruhe. Keine Erwartungen
nen prüfenden Blick in meinen Terminkalender
und Pflichten zerren an mir. Auch, wenn das im
und habe auch schon die ersten E-Mails beant-
Alltag völlig anders ist, denke ich an meinen Ur-
wortet. Meine Frau rollt mit den Augen. Sie hat
laub zurück und merke, dass ich vieles
wohl eine Frage gestellt, die ich irgendwie über-
von dem, was ich dort in Ruhe getan
hört habe. Unwillkürlich wandern meine Ge-
habe, im Grunde auch in meinen
danken zum letzten Urlaub zurück, in dem wir
Alltag integrieren könnte. Nichts
gemeinsam dasaßen; sich unterhalten ohne Ter-
außer meinem hektischen Planen
mindruck, E-Mails oder klingelnde Telefone, son-
und meine mangelnde Disziplin zu
dern nur wir zwei.
ruhen, halten mich davon ab und
Ist eine idyllische Familienszene also nur im Ur-
bringen mich dadurch dazu, dem
laub möglich? Oder wie schaffe ich es, hier und
Urlaub hinterher zu trauern.
jetzt Urlaubsstimmung in der Alltagstristesse zu
Jetzt ist der Sommer vorbei.
bewahren? Ich mag meinen Alltag ja, meine Ar-
Ich sitze morgens
beit, das Broteschmieren und auch das E-Mails
am Frühstückstisch
Beantworten. Aber ich möchte darüber nicht ver-
und schmiere wie-
gessen, gut zu mir zu sein, mir etwas zu gönnen –
der Brote. Eigent-
Pausen, Begegnung und lebenswerte Momente.
lich möchte ich auch
Das fällt mir leichter, wenn ich frei habe.
hier ein wenig Ruhe
Etwas Handfestes, das bleibt, sind die Urlaubsfotos, die meine Frau nach jeder Reise in einem Fotobuch zusammenstellt und mit passenden Texten versieht. Von diesen Erinnerungen lasse ich mich dann gerne immer wieder zu meinen Urlaubsmomenten im Alltag inspirieren. Ich werfe gleich mal die Espressomaschine an ...
Von Karsten Stank Karsten ist mit Rahel verheiratet. Sie leben mit ihren beiden Töchtern in Hannover. Karsten arbeitet als Pastor und systemischer Familientherapeut.
alltag
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ausgabe 1 | 2017
Backstage
Leben im Konjunktiv Unser Autor Rinaldo tut sich schwer damit, sich selbst als denjenigen wahr- und anzunehmen, der er ist: ein berufstätiger Vater und Ehemann, und längst noch nicht angekommen. Vor allem, wenn er an Gott denkt, der sich in der Bibel mit „Ich bin, der ich bin.“ vorstellt. Kann man als Mensch überhaupt je ganz erfassen, wer man ist oder bleibt man auf ewig in einer Schleife aus Gelingen und Scheitern gefangen? Ein Dilemma.
in Gedanken) eine Liste der Dinge an, die ich von nun an ändern wollte; eine beunruhigend große Ansammlung vorgezogener Neujahrs-Vorsätze. Disziplin! Weniger von diesem! Mehr von jenem! Ich nahm an, dieser Chor von Imperativen würde eine Wende markieren, diese Absichten würden
S
gewissermaßen zu Geburtshelfern meines idealen Ichs werden. Stattdessen ist eine nicht eneit ich meine Spielzeuge auf dem Floh-
dende Wartezeit angebrochen, denn die Ankunft
markt verkauft habe, befinde ich mich
meines Wunsch-Ichs lässt auf sich warten.
in der Begleitung etlicher Phantasien.
Gott ist schon fertig, ich nicht
Allerdings sind meine Tagträume nur selten
An einer der prominentesten Stellen des Alten
ökonomischer oder materieller Natur. Vielmehr
Testaments bezeichnet sich Gott als „Ich bin, der
stelle ich mir vor, wie souverän, besonnen und
ich bin“. Auf mich trifft diese Beschreibung nicht
selbstbeherrscht ich einmal sein, und welche Ge-
zu. Vielleicht könnte ich sagen „Ich bin, was ich
wohnheiten ich mir aneignen werde. Am ersten
liebe“ oder „Ich bin, was ich fürchte“. Aber eigent-
Tag meines Hauptstudiums, kurz nachdem ich
lich bin ich nicht, sondern ich werde sein und
den Umzugs-Wagen vor dem Studenten-Wohn-
ich werde haben. Denn die Zeitform, die meiner
heim geparkt hatte, ging ich im anliegenden
Grundstimmung und meinem Selbstbewusstsein
Wald spazieren. Und dort fertigte ich (nicht nur
am meisten entspricht, ist das Futur. Obwohl ich
26
sinn
Glauben hier und heute
Wer ich bin? So viel ist sicher: Jemand, der Vulkane bestaunt und Ameisenköder kauft.
mich in der zweiten Lebenshälfte befinde, habe
ich plane einen Abstecher in die Buchhandlung.
ich das Gefühl, in einer Beta-Version festzuste-
Doch ich weiß, dass ich meinem Geschick auch
cken – also der fehlerhaften, noch unausgereif-
weiterhin misstrauen werde. Es gelingt, also bin
ten Version einer Software vor ihrer regulären
ich? Wohl kaum, denn das bereits Überwundene
Veröffentlichung. Alles, was ich tue, scheint le-
schenkt mir keinen nennenswerten Frieden. Seit
diglich These und Versuch zu sein; eine Probe, der
fast 20 Jahren habe ich einen recht häufig wie-
keine Aufführung folgt. Dabei ist es unmöglich,
derkehrenden Albtraum: Ich bin ein Schüler der
ein Leben nur anzudeuten, quasi im Konjunktiv
14. (!) Klasse und sitze gerade im Unterricht;
zu leben.
manchmal sogar in einer Klausur. Und die Abi-
Äußerlich erwachsen, innerlich unfertig
turprüfungen habe ich natürlich noch vor mir.
In einem Interview erwähnt der Schweizer Kin-
Erst einige Sekunden nach dem Aufwachen wird
derarzt und Fachbuchautor Remo Largo zwei
mir bewusst, dass ich die Schulzeit längst abge-
Aspekte, die für die Frage nach unserer Identität
schlossen habe. Und vor Allem – ich besitze die-
entscheidend seien: Unsere Grundbedürfnisse
ses verdammte Zeugnis! Vielleicht verraten die
und unsere Fähigkeiten; Selbsterkenntnis erfor-
Träume folgendes: Ich halte mich nicht für denje-
dere einen ehrlichen Blick auf diese Bereiche. Der
nigen, der diese Herausforderung gemeistert hat;
geschätzte Pädagoge weckt mein Interesse und
ich kann es mir nicht glauben. sinn
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ausgabe 1 | 2017
„HERR, du durchschaust mich, du kennst mich durch und durch. Ob ich sitze oder stehe – du weißt es, aus der Ferne erkennst du, was ich denke. Ob ich gehe oder liege – du siehst mich, mein ganzes Leben ist dir vertraut.“
Ist mein Konflikt ein Ausdruck von Verweichlichung? Ist er typisch für jenen Teil der Weltbevölkerung, der sich nicht um sauberes Trinkwasser, sondern um die Lieferzeit der neuen Küche sorgt? Entlarvt uns diese Unruhe als eine Generation von Narzissten? Könnten unsere Großeltern verstehen, was ich hier beschreibe? Würdigen, wer ich bin Mehrfach widmete sich Max Frisch dem Dilemma der Identität – ihrer Findung und ihrer Verwerfung. Er warnt: Wehe, wenn wir unsere Ehrfurcht verlieren, den inneren Reichtum eines Menschen leugnen und ihm ein atemloses Bildnis errichten! Doch allen Verkürzungen und Unterstellungen zum Trotz möchte ich ein anderes Urteil sprechen: Gerne würde ich erfassen und dulden und eines Tages gar würdigen, wer ich bin.
Psalm 139,1-3
Ein Gott, der mich kennt
(Hoffnung für alle)
Dennoch gibt es eine Überzeugung, die mich erdet und tröstet. Mich selbst überfordert die beschriebene Auseinandersetzung – Gott aber ist nicht verwirrt. Ihm bin ich kein Rätsel. Ein altes Gedicht, das seinen Weg in die Bibel fand, beginnt mit folgenden Sätzen:
28
sinn
Glauben hier und heute
So manches kann einen schnell wieder zurück in die Realität holen: zum Beispiel Ameisen im Haus.
Ich lebe und sterbe nicht als Fremder, weil ich an
kan dänischer Herkunft, den sein bester Freund
einen Gott glaube, der mich kennt. Meine inne-
zum Geburtstag bekommen hat. Und nahezu im
re Verworrenheit kann seinen Blick nicht trüben;
selben Moment betritt auch meine Frau das
vielleicht als Einziger sieht er mich klar und deut-
Arbeitszimmer. Ich erfahre, dass wir – wie jedes
lich. In einer anderen Bibelübersetzung heißt es
Jahr – Ameisen im Haus haben. Und dagegen
im 2. Vers: „Du verstehst“. Immer, wenn ich diese
muss etwas unternommen werden.
Worte lese, betone ich die Anrede. Du verstehst. Ich verstehe mich manchmal wie einen Archäo-
Wer ich bin? So viel ist sicher: Jemand, der Vul-
logen meines eigenen Lebens: Ich grabe, finde
kane bestaunt und Ameisenköder kauft.
aber nur Scherben. Welche Form diese Bruchstücke ergeben, zu welchem Gesamtbild sie sich
Von Rinaldo G. Chiriac
fügen, kann ich bestenfalls erahnen. Doch der
Langeweile? Hatte Rinaldo zum letzten Mal als Teenager. Er betreut
Gott, an den ich glaube, weiß mehr. Die Schön-
mit Gott und der Welt – in Gesprächen und Büchern, bei Filmen
nicht nur zwei Kirchengemeinden, sondern beschäftigt sich gern und auf Twitter. Mit seiner Familie lebt er im Darmstädter Raum.
heit, die ich erst entdecken und freilegen muss, war ihm nie verborgen. Willkommen im Leben Während ich an diesen Zeilen sitze, werde ich plötzlich unterbrochen. Es ist mein 4-jähriger Sohn, der mir etwas Wichtiges mitteilen muss: Detailliert beschreibt er den Kunststoff-Vul-
sinn
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ausgabe 1 | 2017
Zahlen Gesellschaft
Zeit Zeitverwendung von Personen je Tag nach ausgewählten Aktivitäten: Zeit für Persönliches/Körperliche Entspannung:
47%
Arbeitszeit, Zeit für Bildung:
14%
Zeit für Sport, Hobbys, Spiele, Mediennutzung:
16%
Unbezahlte Arbeit:
15%
Zeit für soziales Leben/Begnungen:
10%
Quelle: Statistisches Bundesamt, Stand: 2014
Konsum Ausgaben pro Monat: Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung:
36%
Verkehr:
14%
Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren:
14%
Freizeit, Unterhaltung und Kultur:
12%
Bekleidung und Schuhe:
5%
Sonstiges*
22%
*Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände, Gaststätten- und Beherbergungsdienstleistungen, Gesundheit, andere Waren und Dienstleistungen, Post und Telekommunikation sowie Bildungswesen Quelle: Statistisches Bundesamt, Stand: 2014
Tod Todesfälle in Deutschland 2015:
925 200 Menschen
Nahezu die Hälfte der verstorbenen Frauen und ein Viertel der verstorbenen Männer waren:
85 Jahre und älter
Häufigsten Todesursache:
Herz/Kreislauf
Todesfälle mit nicht natürlicher Todesursache:
4%
Todesfälle durch Suizid:
10 078
Quelle: Statistisches Bundesamt, Stand: 2015
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aktuelles
Glauben hier und heute
Unfertig zurückgekehrt
Von einer, die auszog, das Pilgern zu lernen Abenteuer beginnen damit, dass sich jemand auf den Weg macht und losgeht. Auf die eigenen Füße gestellt. Unsere Autorin Jessica Schultka hat genau das ausprobiert. Was daraus geworden ist? Lest selbst! sinn
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ausgabe 1 | 2017
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sinn
Glauben hier und heute
Die Notdurft im Wald zu verrichten, und einige andere Herausforderungen brachten mich an meine Grenzen.
Die unausweichliche Nähe in den nächsten Tagen macht mir Angst.
Inspiriert hat mich der Film Pilgern für Anfänger. Drei Geschwister, die aufgrund eines Testaments ihrer verstorbenen Mutter den Jakobsweg gehen mussten, um ihr Erbe zu erhalten. Verstritten, chaotisch und nur selten liebevoll quälten sich die drei bis nach Santiago de Compostela. Was hatten sie dort entdeckt? Gott? Einander? Waren sie am Ende wieder vereint – so wie es sich die Mutter wohl erhofft hatte? Mich hat beeindruckt, dass sie auf dem Weg nach Santiago nicht voreinander fliehen konnten, sich ertragen mussten. Jeder trug – neben dem normalen Gepäck – seine eigene persönliche Last. Und obwohl es so oft krachte und die Fetzen flogen, hielten sie einander aus, hielten zusammen und erreichten gemeinsam das Ziel.
So wollte ich also auch losgehen. Ich hatte viel zu viel Gepäck dabei, was mir später noch auffallen sollte. Bevor meine Reise begann, fragte ich mich: Willst du dir diesen Stress, diese Strapazen wirklich antun? Und dann noch in einer unbekannten Gruppe. Wenn ich Gott finden will, warum dann ausgerechnet auf diesem Weg? Einen Weg, den schon viele Menschen vor mir gegangen sind. Vielleicht, weil ich genau wie sie insgeheim erwarte, Gott dadurch näher zu kommen. Könnte ich Gott finden, sinn
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ausgabe 1 | 2017
Willst du dir diesen Stress, diese Strapazen wirklich antun? Wie findet man eigentlich Gott?
Ich wollte das Erlebnis mit Gott, Freiheit von allen
indem ich also einen bestimmten Weg ging? Wie
Dingen, die mich ablenken, um zu erleben, was er
findet man eigentlich Gott? Im Grunde hatte ich ihn ja schon entdeckt, dachte
über mich denkt, wie er mich findet und so. Und
ich zumindest. Mein Glaube an Gott trägt mich
manchmal entdeckt man all das, wenn man die
doch jeden Tag! Und doch wollte ich mehr. Ich
Perspektive wechselt, wenn man die altbekannten
wollte Gott nochmal neu verstehen, ihm neu be-
Texte aus der Bibel nun im Kontext des eigenen Un-
gegnen. Genauso wie sich Paare nach vielen Jah-
terwegsseins liest, hört und zu sich sprechen lässt.
ren Partnerschaft wieder neu nach den Wünschen,
Diese ganzen Wünsche im Gepäck machte ich mich
Träumen und Ansichten des anderen fragen, ja –
auf den Weg. Ja, was würde nun kommen?
sich vielleicht sogar immer wieder neu in einander
Kurz bevor ich auf meine Reisegruppe treffe, liegt
verlieben müssen, so wollte ich mich neu in Gott
mir der Rucksack schon schwer auf dem Rücken und
verlieben. Kitschig, ich weiß.
ich denke mir wieder einmal: Warum machst du das?
34
sinn
Glauben hier und heute
Ich werde diesen Menschen in den nächsten zehn
wollte loswandern! Die anderen nahmen es schein-
Tagen nicht entkommen können. Diese unausweich-
bar locker, genossen die freie Zeit. Wir sprachen da-
liche Nähe macht mir Angst. Vielleicht schnarcht ei-
rüber, was wir von dieser Reise erwarteten und wa-
ner ganz furchtbar (oh ja, das tat er tatsächlich!) oder
rum wir mitgekommen waren. Wie viel sollte ich von
du selbst wirst den anderen zur Last. Gleichzeitig bin
mir preisgeben? Erst später verstand ich den Sinn
ich gespannt auf diese Zeit mit Menschen, die ihr ei-
des Ankommens; den Anfang zu machen, anders
genes Gepäck mitbringen und das nicht nur auf dem
zu sehen und die Zeit, die in meinem eigenen Leben
Rücken; auf den toskanischen Spätsommer, sanfte
so schnell dahinfloss, wieder neu zu erfassen. Mich
Hügel, Zypressen, Bauernhäuser aus Stein und eine
hat es überzeugt, nicht sofort loszulaufen, sondern
Zeit ohne Handy und Ablenkung.
einen Tag Pause zu machen, bevor es losgeht. Davon
Die ersten beiden Tage galten dem Akklimatisieren.
kann ich mir einige Scheiben im Alltag abschneiden.
Dabei stand ich innerlich schon in den Startlöchern,
Die nächsten Tage liefen so ab: 5 Uhr Wecken, Frühsinn
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ausgabe 1 | 2017
Die nächsten Tage liefen so ab: 5 Uhr Wecken, Frühstück im Stehen und Schweigen, bis 9 Uhr wandern, immer noch schweigend.
Die Erfahrung, gemeinsam mit 20 fremden Personen in einem Raum zu schlafen, muss sich nicht allzu schnell wiederholen.
stück im Stehen und Schweigen (Bruder Andreas
lästiges Extrakilo, das nach einigen Tagen Schwit-
und Melanie, die in einem Orden lebt, unsere Reise-
zen total sinnlos erschien. Überhaupt hatte ich beim
leiter und –begleiter, bereiteten es täglich vor.), dann
Wandern die ersten Tage immer Angst, die Letzte zu
6 Uhr losgehen, bis 9 Uhr wandern, immer noch
sein, wenn wir die Berge hochgeklettert sind. Ganz
schweigend, meistens mit schwerem Aufstieg. In
besonders schlimm war es, als wir am frühen Abend
dieser Zeit sank oft mein Mut, die Frage, wie ich den
nochmal auf einen Berg mussten, weil dort unsere
Rest des Tages bewältigen sollte, wenn mir schon
nächste Unterkunft stand. Ganz nach dem Motto
die ersten zwei Stunden so schwer fielen. Außerdem
„jeder Zentimeter zählt“ habe ich mir diesen Berg
machte sich schon am ersten Tag die Gewissheit
Schritt für Schritt erschlossen. Oben angekommen
breit, dass ich beim Packen viel zu großzügig gewe-
fühlte es sich an, wie ein riesengroßer Triumph, weil
sen war. Die Montur sauberer Klamotten, die ich
ich es geschafft hatte, den so unbezwingbar aus-
allein für den Rückflug dabeihatte, wurde ein echt
sehenden Berg zu meistern. In diesem Fall war es mir
36
sinn
Glauben hier und heute
auch herzlich egal, dass ich nicht als Erste oben war.
Um der Mittagshitze zu entgehen, hatten wir
Weil wir schwiegen, während wir wanderten,
eine ausgiebige Siesta, in der wir aßen, über The-
konnte ich die Gedanken schweifen lassen. Sie
men nachdachten oder Müßiggang pflegten. Oft
drehten sich um einen Impuls aus der gemein-
verteilten wir uns nach Essen und Andacht auf der
samen Andachtszeit oder auch um etwas kom-
Wiese und hielten ein Mittagsschläfchen. Das war
plett anderes. Es war fast wie eine kurze Wüsten-
irgendwie ganz besonders für mich. Alles, was ich
zeit, in der ich mich Jesus auf ganz neue Weise nah
brauchte, hatte ich ja gleich zur Hand und konnte
fühlte. Auch er zog sich aus seinem Tagesgeschäft
jederzeit schlafen, wann und wo ich wollte, einfach
zurück, um allein zu sein und mit Gott zu reden, zu
so. Ich genoss die Unabhängigkeit in vollen Zügen.
beten. Das bedeutete für mich in diesem Kontext,
Mit Themen, die den Glauben und das eigene Le-
in der Gegenwart Gottes sein und laut oder leise
ben betreffen, wurden wir in die Pause geschickt,
zu denken.
um allein oder im Gespräch das eigene Leben zu sinn
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ausgabe 1 | 2017
Zurück zu Hause war mir alles zu viel: meine Wohnung, meine Klamotten, mein ganzer Kram.
reflektieren. Da wir auf den Spuren des Franz von
nach den Strapazen des Tages eine gewisse Selbst-
Assisi liefen, waren die Themenimpulse von seinem
disziplin. Einige Male – ein echtes Fest! – setzten
Leben, seiner Bekehrung und seiner Art, das Leben
wir uns ganz gemütlich an einen gedeckten Res-
zu sehen und Gott zu erleben, inspiriert.
tauranttisch und konnten die Steinofenpizza und
Das gemeinsame Abendessen war der Höhepunkt
anschließend eine Panna Cotta genießen. Die Stra-
des Tages. Frisch geduscht fühlte ich mich gleich viel
pazen des Tages waren geschafft und der nächste
entspannter. An den meisten Abenden haben wir in
Morgen noch weit weg. Gemeinsam kochen, quat-
kleinen Gruppen für alle gekocht. So schnippelten
schen, unterm Sternenhimmel liegen, die Gastgeber
die müden Hände noch Gemüse, warfen Pasta ins
kennenlernen, am Kaminfeuer sitzen und singen, ein
kochende Wasser und rührten den Salat um – 20
Gespräch vom Tag vertiefen, das alles machte den
Personen mussten ja auch satt werden. Das Kochen
Abend so wunderbar. So lernten wir Bruno und Ma-
erforderte zumindest für die diensthabende Gruppe
ria kennen, ein Ehepaar in den 60ern, die nach ihrer
38
sinn
Glauben hier und heute
Karriere nochmal neu angefangen und einen alten
untergingen. Ist das, was ich mache, sinnvoll? Wie
Hof bei Perugia gekauft hatten. Nun lebten sie von
erlebe ich Gott im Alltag? Ich wollte mich von
dem Ertrag ihres eigens angebauten und hergestell-
Gott korrigieren lassen, meine eigenen Sichtwei-
ten Olivenöls. Sie hatten mehrere Gästezimmer und
sen infrage stellen. David, ein Liedschreiber aus
einen kleinen Andachtsraum, der früher mal ein Stall
dem Alten Testament, hat das so formuliert: Er-
war. An diesem Abend saßen wir am Kamin und un-
forsche mich, Gott, und erkenne, was in meinem
terhielten uns in einem Mix aus Englisch, Deutsch
Herzen vor sich geht; prüfe mich und erkenne mei-
und Italienisch. Maria, die Gastgeberin, erzählte,
ne Gedanken! Sieh, ob ich einen Weg eingeschla-
dass der komplette Umbruch in ihrem Leben auch
gen habe, der mich von dir wegführen würde, und
etwas mit der Suche nach Gott zu tun hatte und
leite mich auf dem Weg, der ewig Bestand hat!
dass diese Suche auch immer mit dem anfänglichen
(Psalm 139,23–24)
Losgehen und immer Unterwegssein zu tun hat.
WICHTIGES VOM UNWICHTIGEN UNTERSCHEIDEN
Vielleicht rührte daher auch ihre Gastfreundschaft für Pilgergruppen, die ja genau das tun.
Zurück zu Hause war mir alles zu viel: meine Wohnung, meine Klamotten, meine Bücher, mein gan-
Von Jessica Schultka
zer Kram. Alles, was ich besaß, sah ich mit anderen Augen. Brauchte ich das alles überhaupt? Der Gedanke, dass meine derzeitige Situation, also Wohnung, Besitz, ja, selbst die Arbeit, vergänglich sind, wurde mir beim Pilgern so deutlich, dass ich bis heute eine größere innere Freiheit in mir trage. Das macht mich mutiger und unabhängiger in meinen Entscheidungen und zeigt mir, wie gut es ist, auf jemanden zu vertrauen, der außerhalb dieser Dinge ist – Gott. Auch mit meiner Zeit gehe ich seitdem achtsamer um. IM ALLTAG BLEIBEN DÜRFEN
OBWOHL MANCHES INZWISCHEN VERBLASST IST, SIND DIESE DREI DINGE NACH DREI JAHREN NOCH IMMER BEDEUTEND
Klingt das zu kitschig? Nach meiner Rückkehr war ich schnell wieder im Alltag, in gewohnten Bah-
GOTTES NÄHE SPÜREN
nen. Diese Pilgerreise hat mich mutiger gemacht,
Am Anfang hat sie mich herausgefordert, aber
Gottes Nähe bewusst zu suchen, mich auf das
nach einigen Tagen tat mir die Stille gut. Ich kam
Wichtige zu konzentrieren und gleichzeitig auch
auf die wichtigen Fragen des Lebens, die so schnell
das Gewohnte, den Alltag zu genießen. sinn
39
ausgabe 1 | 2017
,. .)
Fix und unfertig
(
FERTIG? Als ältester Baum der Welt gilt (Stand: 2008) die 9.550 Jahre alte Fichte Old Tjikko im Nationalpark Fulufjället in Schweden.
WOLVERINE Durch die Fähigkeit sich immer wieder regenerieren zu können, ist einer der beliebtesten MarvelFiguren zwar nicht dauerhaft SAGRADA FAMÍLIA
verletzbar, aber er steckt dadurch
Der Bau des von Antoni Gaudí entworfenen
auch in einem nicht enden
Gotteshauses ist bis heute unvollendet.
wollender Kreislauf fest, der nur
Er wurde 1882 begonnen. Zusammen mit der
durch eine Kugel Adamantium
Baustelle nimmt die Kirche einen ganzen,
durchbrochen werden kann.
17.822 Quadratmeter großen Straßenblock unweit der Altstadt von Barcelona ein.
40
kultur
Glauben hier und heute
AXOLOTL Der mexikanische Schwanzlurch Axolotl gilt als unfertig, weil er sein ganzes Leben im Larvenstadium verharrt und die Geschlechtsreife erlangt, ohne eine Metamorphose zu durchlaufen. Die kleinen Tiere werden bis zu 20 Jahre alt.
VERSTRICKT Stricken ist ja schon seit einiger Zeit wieder im Trend. Manche stricken ihr ganzes Leben lang. Eine Frau aus dem Emsland hat den bisher längsten Schal der Welt gestrickt. Mehr als sieben Kilometer war ihr Strickwerk lang.
kultur
41
ausgabe 1 | 2017
Interview
Komm zur Quelle Wir werden echt, wenn wir das Schmerzhafte in unserem Leben nicht mehr verbergen müssen. Andrea Adams-Frey ist christliche Musikerin und verbindet in der Musik ihre tiefgehenden Lebenserfahrungen mit Fragen des Glaubens. Sie ist verheiratet mit Albert Frey, der ebenfalls Musik macht. Ihre CD „Komm zur Quelle“, die letztes Jahr erschienen ist, ist ein persönliches Zeugnis ihrer Erfahrungen.
42
leute
Glauben hier und heute
Warum habt ihr diese CD gemacht?
in der Wahrheit. Nur das wahre Selbst, das Echte,
Was ist die Geschichte dahinter?
der Ort, wo Christus in uns wohnt, findet die
Das Thema „zur Ruhe kommen“ und „Wo finde
Quelle und die lebensspendende Kraft, die daraus
ich das echte Leben?“ beschäftigt mich schon
fließt. Ich hoffe und bete, dass diese Musik auch
sehr lange. Ich denke auch, es ist ein zeitloses
anderen ein Lockruf ist, und sie sich aufmachen
Thema. Es gibt allerdings Phasen, in denen es mal
auf diesen oft umkämpften und doch alles erfül-
mehr mal weniger an die Oberfläche kommt.
lenden Weg zur Quelle. Denn der Weg zur Quelle
Ich persönlich würde mich nun nicht gerade als
führt gegen den Strom!
das Paradebeispiel für Ruhe, Frieden und Gelassenheit bezeichnen. Wahrscheinlich sehne ich
Was ist für dich Zerbrochensein? Möchtest du
mich gerade deshalb danach und nehme immer
eigene Erfahrungen darüber mit uns teilen?
wieder Anlauf, diesen Idealen auf die Spur zu
Hm. Ja, ich möchte es versuchen. Zerbrochen
kommen. Der Auftrag für diese CD war wirklich
werden wir, wenn uns die Pfeile treffen, die im
ein Reden Gottes in mir: Ich saß auf der Holzbank
Laufe unseres Lebens auf uns abgeschossen wer-
unter den Obstbäumen auf unserem Grundstück,
den. Bewusst oder unbewusst. Jeden trifft hin
die mir im Sommer 2015 zu meinem persönlichen
und wieder so ein Pfeil. Manche Pfeile stecken
Ruheort geworden war. In meinem Inneren hörte
tief. Wenn man sie einfach herausziehen würde,
ich wie Gott sagte: „Du lebst mit mir in Ewigkeit.
würde man vielleicht verbluten. Manche ent-
Wenn du dein Leben auf diesen Grund stellst
zünden sich und eitern. Manche haben mit ihrer
und betrachtest, bekommt alles eine andere Be-
Spitze den Knochen beschädigt, sodass sie ein
deutung. Fürchte dich nicht vor der Zukunft und
Leben lang wehtun und sich bei jedem Wetter-
dem Älterwerden. Oder davor, dass du Dinge
umschwung
nicht mehr schaffst oder nicht mehr tun kannst.
Manche lassen sich ganz gut herausziehen und
Das Entscheidende hast du bereits getan. Werde
die Wunden sind nur oberflächlich und heilen
satt im Augenblick – im Hier und Jetzt. Atme ein
wieder, sodass kaum eine Narbe zurückbleibt.
und atme aus. Trinke aus der Quelle des Lebens
Durch diese Verwundungen zerbrechen Teile in
und du wirst Frieden finden. Du darfst sein. Sein.
uns. Es tut weh. Es macht uns hilfsbedürftig und
Da sein. Das ist deine Berufung! Dein Auftrag!
abhängig. Wir sind einfach nicht mehr ganz.
Da sein! An der Quelle sein!“ Und er sagte noch:
besonders
bemerkbar
machen.
Ich selber habe immer wieder das Gefühl um
„Locke auch andere an die Quelle“.
mein Geburtsrecht kämpfen zu müssen. Da gibt
Ich hielt diese Worte in meinem Tagebuch fest.
es ganz tief verborgen einen Teil, der einfach
Deshalb haben wir uns aufgemacht, Lieder zu
nicht glauben kann, dass es gut ist, dass er da
schreiben, die auf dem Weg Hilfe sein können,
ist. Obwohl ich es so viele Heilungsjahre wirklich
Lieder, die auch ehrlich ausdrücken, was das Herz
buchstabiert habe... Da steckt ein Pfeil sehr tief.
wirklich fühlt. Denn zur Quelle kommen wir nur
Ich muss diesen Teil immer wieder „nach Hause“
leute
43
ausgabe 1 | 2017
tragen. Ihn versorgen und ihm sagen und zeigen,
erlebt, wie mir Menschen geschrieben haben,
dass er gewollt, geliebt und ganz wunderbar ge-
dass sie sich durch das Ehrlichwerden getröstet
macht ist! Das kann ich aber erst, seitdem ich
gefühlt haben. Sie schrieben: „Du hast Worte
Gottes Liebe und Gnade erlebt habe und weiß,
gefunden in deinen Texten, die genau das aus-
dass es von ihm her auch wirklich stimmt.
drücken, was ich fühle – und das tut so gut und lässt mich hoffen, dass auch ich Gottes Liebe und
(Warum) ist es wichtig, sich über sein eigenes Zerbrochensein bewusst zu werden? Weil wir nur dann unserer Sehnsucht nach dem Wieder-ganz-Sein einen Namen geben können. Und wir können uns auf einen Weg machen, der uns andere Dimensionen von Gottes Liebe und Gnade zeigen kann. Im Bewusstwerden unserer Zerbrochenheit verwandelt sich unsere Abhängigkeit und Hilfsbedürftigkeit in einen Schatz, der uns Gottes Liebe, Gnade und Würde offenbart und erleben lässt, die wir sonst nur vom „Hörensagen“ kennen würden. Wir werden mitfühlend. Wir werden verletzlich. So wie Jesus selber auch verletzlich für uns wurde. Und wir werden echt, weil wir das Schmerzhafte nicht verbergen müssen. Echte Menschen.
Für mich war irgendwie von Anfang an klar, dass ich nicht nur die großen geistlichen Wahrheiten vertonen möchte.
Abhängig von einem echten Gott! Nähe erleben kann.“ Für mich persönlich war irDu schreibst: „Sich einander die Narben zu
gendwie von Anfang an klar, dass ich nicht nur die
zeigen, verbindet auf einer tiefen Ebene, die
großen geistlichen Wahrheiten vertonen möchte.
nur die verstehen, die sich trauen, das zu tun.“
Sondern auch die Kämpfe, das Leiden und Sorgen,
Inwiefern kann es helfen, wenn wir uns über
das menschliche Ringen. Ich habe das Gefühl,
unsere Verletzungen und unser Versagen
heutzutage wird von allen Seiten Perfektion von
austauschen?
einem erwartet, besonders von uns Frauen. Da
Wir merken, dass wir nicht alleine sind mit un-
gerät man schnell in Stress, wenn man Beruf, Kin-
seren Nöten. Allein das tut schon irgendwie gut,
der, Haushalt, Hobby, Glaube … nicht so einfach
oder? Man merkt: „Hey, so unnormal scheine ich
unter einen Hut bekommt.
ja doch nicht zu sein!“ Es bringt uns einander näher. Mit meinen Songs habe ich immer wieder
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leute
Glauben hier und heute
Wie gehst du mit diesem Druck um?
Wert bliebe unverändert. So ein radikaler Schritt
Ich mache gerade ein Sabbatjahr. Ich möchte
hilft, um sich dessen wieder bewusst zu werden
mich eine Zeit lang ganz bewusst herausnehmen
und sich ganz neu anzuvertrauen.
aus diesem Druck, wer ich zu sein habe. Ich möch-
Ich bin froh und dankbar, dass Albert mich darin
te mich auf das konzentrieren, was ich wirklich
unterstützt und mir diese Möglichkeit gibt.
bin und wer Gott in mir und in dieser Welt ist.
Was ich so in diesem besonderen Jahr unter-
Das tut mir gerade sehr sehr gut! Das ist nun eine
nehme und wie genau ich Jesus näher auf die
sehr spezielle Situation und mir ist natürlich klar,
Spur komme, möchte ich, glaube ich, erst zu einem späteren Zeitpunkt mal erzählen. ☺
Sondern auch die Kämpfe, das Leiden und Sorgen, das menschliche Ringen.
Dieses Interview ist bisher das einzige Öffentliche, das ich in diesem Sabbatjahr tue. Als die Anfrage von euch kam und ich mir das Magazin ansah, in dem es erscheinen sollte, hatte ich direkt den Eindruck, ich solle das tun. Auch wenn es eigentlich gerade nicht passt für mich. ☺ Inwiefern hilft dir dein Glaube dabei? Mein Glaube ist für mich der Boden, auf dem stehe. Er trägt mich. Jesus gibt mir Orientierung
dass das Realisieren so eines Sabbatjahres nicht
in dem Leben, das sich für mich manchmal wie
so einfach ist. Ich habe mir drei Jahre Gedanken
ein Irrgarten anfühlt. Ich weiß, bei ihm darf ich
darüber gemacht, ob wir uns das leisten können,
ruhen. Ich soll ruhen. Für ihn hat das einen sehr
ob ich dann meinen Platz oder meine Bedeutung
großen Wert. Er freut sich darüber, wenn ich ganz
verliere, ob ich es aushalte, dass Albert dann al-
da bin und ihm dann auch ganz begegnen kann.
leine loszieht, um unseren gemeinsamen Auftrag
Das hilft mir, die Prioritäten immer neu zu über-
„die Musik von der Zerbrechlichkeit der Men-
denken und dem wirklich Wichtigen Aufmerk-
schen und der Herrlichkeit Gottes“ zu verbreiten...
samkeit zu schenken. Ansonsten würde ich mich
Aber alleine das Bewusstsein, dass ich mir diese
wohl noch mehr treiben lassen von meinem Um-
Fragen stelle, hat mir gezeigt, dass es gut ist, die-
feld, den ganzen Ansprüchen, dem Internet mit
sen Schritt zu gehen. Ich möchte meine Identität
seinen tausenden Angeboten und überschütten-
nicht zu sehr aus dem Tun ziehen oder daraus,
den Informationen, die ich gar nicht brauche und
welche Rollen ich im Leben einnehme. Ich werde
unserer Gesellschaft mit ihrem zum Teil absur-
auch älter. Ich komme in einigen Bereichen an
den, hemmungslosen und überflüssigem Treiben
meine Grenzen. Aber selbst, wenn alles zerbre-
und Streben.
chen würde, wäre ich doch immer noch da. Mein
Das Interview führte Arja Baindner.
leute
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ausgabe 1 | 2017
Augenblicke Gemeinde in Leipzig
Das Adventhaus in Leipzig ist ein
Fotos von Clara Emilia EiĂ&#x;ner
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Ort der Begegnung. Die Altersspanne zwischen den ungefähr
leute
Glauben hier und heute
200 Personen, die sich hier wö-
Säugling bis zur 95-jährigen Seni-
über Gott und die Welt, bei de-
chentlich treffen, bewegt sich
orin. Gemeinsam wird gesungen
nen man Sorgen teilen kann, Zu-
zwischen dem zwei Wochen alten
und diskutiert, es gibt Gespräche
hörer findet.
Kinder hören Geschichten über Gott und werden selbst kreativ.
leute
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ausgabe 1 | 2017
Aufmerksamkeit schenken
48
leute
Glauben hier und heute
Singen, ZuhĂśren, Reden. Besondere Augenblicke erleben und genieĂ&#x;en.
leute
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1 ausgabe | 2017
CD-Tipp von Arja Baindner
„Komm zur Quelle“ von Andrea Adams-Frey und Albert Frey
M
mernden Sehnsucht nur Worte verleihen. In jedem Fall bewegt mich diese Produktion tief und motiviert mich, auch eine so persönliche und vor allem reale
it Gitarren und Streichern
berührt
sind die Lieder überwie-
zwischen ihm und dem Men-
gend sanft arrangiert. Die Texte
schen, das sich wie ein roter Fa-
richten einen ehrlichen Blick
den durch die CD zieht. Ehrlich,
auf das menschliche Herz, das
manchmal schmerzvoll, dankbar
manchmal so unfertig ist. Da-
und jubelnd, erfährt man aus
bei sind viele Teile der Lieder in
beiden Perspektiven, wieviel der
Moll vertont. Wenn aber die un-
eine dem anderen bedeutet. Da-
beschwerten Durklänge durch-
bei weiß ich nicht, ob die Lieder
brechen, zeigen sie, dass Gott
diesen Wunsch in mir entstehen
uns bereits kennt und trotzdem
lassen, oder ob sie dieser tief
mit uns leben will. Besonders
in jedem Menschen schlum-
„Romeo & Romy“
mich
das
Gespräch
Beziehung zu Gott zu pflegen.
--> Interview mit Andrea Adams-Frey auf Seite 42
lerin als die sie sich gegenüber
Gesamteindruck des Buches und
den Senioren ihres Dorfes prä-
seine Botschaft aus. Der Roman
sentiert und die Senioren sind
will Mut machen, Dinge zu ver-
unzufrieden mit dem Leben, das
ändern und auch nach Nieder-
als
sie führen. Sie sind frustriert und
lagen wieder aufzustehen und
Schauspielerin findet, kehrt sie
haben jeglichen Lebensmut ver-
das Leben gemeinsam mit ande-
in ihr Heimatdorf zurück, will
loren. Doch gerade dieses Schei-
ren anzupacken.
ein elisabethanisches Theater
tern macht sie authentisch: sie
bauen und mit den Bewohnern
sind verzweifelt, frustriert und
Romeo und Julia aufführen. Wird
gleichzeitig liebenswürdig, sym-
das Vorhaben gelingen? Die Fi-
pathisch und schrullig. Zwar sind
guren Izquierdos sind allesamt
einige Wendungen vorhersehbar
gescheiterte Charaktere. Romy
und manche Lösung zu einfach,
ist nicht die bekannte Schauspie-
doch das wirkt sich nicht auf den
Nachdem keinen
50
Romy
Job
kultur
insel taschenbuch 4441 Preis: 14,99 Euro ISBN: 978-3-458-36141-1 Text: Kirsi Müller Kirsi liest für ihr Leben gerne – am liebsten Romane, Krimis, die Bibel und theologische Fachliteratur. Sie lässt sich gerne von den Geschichten anderer inspirieren und schreibt selbst einen Blog über das Leben, die Liebe und ihr Unterwegssein.
Glauben hier und heute
26 Knochen, 20 Muskeln mit ihren Sehnen, 33 Gelenke, 114 Bänder, ca. 1.700 Nervenenden, über 90.000 Schweißdrüsen
Ein standfestes Plädoyer von Bettina Werner
Am besten barfuß!
D
ie Anforderungen an den TIPPS
Fuß sind vielfältig: einer-
seits muss er sehr flexibel
Schuhe regelmäßig wechseln //
sein, andererseits auch sta-
Schuhe nachmittags oder abends
bil. Durch Knochen, Mus-
kaufen // Die richtigen Schuhe
keln, Bänder und einem individuellen
für die jeweiligen Unternehmungen
Fettpolster-
auswählen // Schuhwerk meiden, das
gewebe erhält jeder Fuß sein
durch Rückstände von Gerbstoffen, zwei-
ganz
felhaften Farbstoffen und Weichmachern
eigenes
Fußgewölbe.
Hunderte von Nerven im Fuß
bereits durch einen starken Geruch auf-
und an der Fußsohle analysieren
fällt // Deine Füße werden es dir danken!
die Lage und geben die Infor-
Kinder und Schuhe:
mationen an das Gehirn weiter.
Kinder sollten ohne Schuhe laufen lernen
Durch diese Zusammenarbeit ist
// Je freier und ungezwungener die Füße
es uns möglich, stehen, laufen,
sich bewegen können, desto kräftiger
gehen und springen zu können.
werden Gelenke und Bänder
Unsere Füße tragen uns durch
// Gute Kinderschuhe zeichnen sich
das Leben und brauchen deswe-
vor allem durch hohe Biegsamkeit der
gen besondere Aufmerksamkeit.
Laufsohle aus // Schuhweite ist genauso
Neben kosmetischer Pflege ist
wichtig wie die Schuhlänge.
vor allem eins wichtig, den Fü-
Fazit:
ßen Freiheit vom Schuh zu gön-
Gönn deinen Füßen Freiheit und Aben-
nen. Deswegen ist es hilfreich,
teuer, indem du einfach mal barfuß
so oft wie möglich barfuß zu
folgende Oberflächen erkundest:
laufen. Das Barfußlaufen stärkt
Sägemehl // Pfützen // feuchter Kel-
die Füße und macht sie wider-
lerboden // warmer Asphalt // frisch
standsfähig.
Schuhe schützen
gemähter Rasen // Waldboden // Moos
vor Verletzungen, Nässe und
gefordert und verkümmern. Nur
Kälte. Wenn sie den Fuß aller-
spezielle Sportschuhe wie zum
dings zu sehr stützen, werden
Beispiel Wanderstiefel dürfen
Übrigens: Eine Auflistung und Beschreibung
Muskeln und Sehnen nicht mehr
die Füße stützen.
Homepage www.barfußpark.info!
alltag
// Schnee // ...
aller Barfußpfade Deutschlands gibt es auf der
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ausgabe 1 | 2017
das verschwinden des erwachsenseins
Wann komme ich endlich an?
52
aktuelles
Glauben hier und heute
Daniel Wildemann fragt sich und seine Generation, warum heute eigentlich keiner mehr erwachsen sein mรถchte. Eine Spurensuche.
aktuelles
53
ausgabe 1 | 2017
ls Kind hatte ich die vage Vorstellung,
ten: Schule, Lernen, Ausbildung, Uni, Arbeiten
dass Erwachsene irgendwie fertig
und natürlich unser Leben auf die Reihe bekom-
produzierte Wesen sind. Erwachsene
men. Erwachsenenzeug eben.
eben. Aber wo die genau „gemacht“ wurden und wie sie dazu wurden, fragte ich mich nie. Irgend-
Aber weil das alles viel zu anstrengend gewesen
wann war klar, Erwachsene leben in einem Pa-
wäre – selbst wenn Ernst einmal übers Wochen-
ralleluniversum, das meines nicht berührt, auch
ende verreist war –, erfand jemand das Internet.
wenn es in Sichtweite war. Ich musste mich in
Hier konnten wir uns im Web 1.0 in Chat-Räumen,
meiner Galaxie nach Verbündeten umsehen, die
Foren, kostenlosen (!) E-Mail-Konten mit unseren
ich auch fand. Wir waren ein mächtiger Stamm.
64 kbit/s-Modems austoben. Dann wurde das
Es war unsere Zeit! Auch wenn man uns zu ver-
Internet schneller und stellte kabellos (!) Musik,
unsichern suchte, mit dem Hinweis „Warte nur…“
Spiele, Videos, sogar ganze Filme zur Verfügung.
Es war das erste Mal, dass ich den Spielverderber „Ernst des Lebens“ schemenhaft in der Ferne aufkreuzen sah.
Aber wen überrascht es, auch Ernst loggte sich ins Internet ein, und dank der voranschreitenden Totaldigitalisierung wurde aus unserem Nimmer-
Irgendwann zog dieser dann in unsere Wohn-
land ein Ort der Mühe, der Dornen und Disteln
gemeinschaft ein und spielte sich ziemlich bald
trug. Paradise Lost! Das Land der unmittelbaren
als Vermieter auf. „Du musst…!“ war seine bevor-
Gratis-Gratifikation erhob Steuern und verlangte
zugte Anrede. Es gab eine Menge, was wir muss-
immer mehr von uns zurück… Ich erspare mir hier
54
aktuelles
Glauben hier und heute
HUUAA
die Liste der Aufmerksamkeits-Tributzahlungen.
selbst nicht als „Erwachsenen“ wahrnehme – ich
Als Entschädigung unterhalten uns die Medien
wollte schon damals keiner sein. Das hat sich ge-
aber auch – trotz oder gerade wegen unserer Er-
halten. Neulich fragte mich ein Jugendlicher in
schöpfung.
Sichtweite etwas auf der Straße und siezte mich… Also doch! – Ich weiß nicht wie und wann – doch
Neil Postman befürchtete in den 1980ern mit charmanten Beobachtungen das „Verschwinden
ich habe das Parallel-Universum längst unbemerkt betreten.
der Kindheit“ – einer verhältnismäßig jungen Erfindung. Noch vor weniger als 200 Jahren hatte
Wahrscheinlich war es schon immer so: Erwach-
man die Vorstellung, Kinder seien kleinwüchsige
sene sehen – in jeder Hinsicht – fertig aus, fühlen
Erwachsene und schickte sie zum Schuften in
sich aber nicht so.
Bergschächte, da sie aufrecht darin laufen konnten – praktisch. Postman mahnte, dass die Me-
Von Daniel Wildemann
dien den schützenswerten Raum des Kindseins unwiederbringlich zerstören würden. Medienpädagogen bestätigen das weitestgehend. Wenn ich mich allerdings unter meinem Stamm umsehe, dann sehe ich keine Erwachsenen mehr. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass ich mich
aktuelles
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ausgabe 1 | 2017
Lernen
Ich liebe dich nicht!
„Ich liebe dich“, sagt Karsten zu seiner Tochter im Teenageralter. „Ich dich nicht“, patzt sie zurück. Warum Eltern und Kinder sich dennoch lieben, und welche himmlischen Parallelen der Autor dabei entdeckt.
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bibel und theologie
Glauben hier und heute
bibel und theologie
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ausgabe 1 | 2017
N
eulich verbrachte ich eine Stunde auf dem Flughafen Zürich. Unter den kostenlos angebotenen Zeitschriften zum
Zeitvertreib – so etwas liebe ich, ein Meer kostenloser Zeitschriften – fand ich ein Elternmagazin. In fetten schwarzen Buchstaben las ich gleich auf Seite 1 die Werbung für ein Abonnement derselben: „Werden Sie auch ein Überflieger in Elternfragen – abonnieren Sie Elternkompetenz!“ Ich bin nun seit 16 Jahren Vater und frage mich seit der Geburt unserer älteren Tochter, was meine Kompetenz als Vater wirklich ausmacht. Eigentlich will ich gar kein Überflieger sein. Ich möchte mit meinen Töchtern und mit meiner Frau einfach nur glücklich sein. Wir als Eltern möchten, dass unsere Töchter merken, wie sehr wir sie lieben und wertschätzen. Inmitten all dessen, was wir und andere von ihnen erwarten und trotz all dem Schrott, den sie und wir verzapfen,
Sie scheint sich meiner Liebe sicher zu sein. Wie genial ist das denn?! sollen sie sich geliebt und in allem angenommen fühlen. Während ich diese Worte aufschreibe, wird mir ganz warm ums Herz. Ach, mögen unsere Kinder doch spüren, was wir für sie empfinden! In der Bibel gibt es eine Geschichte über einen Vater, dessen Sohn ihn verlassen hat, nachdem er sich das ganze Erbe hat auszahlen lassen. Seine Pläne scheiterten und er landete ganz unten, auf einem Hof, wo er die Tiere hüten musste. Im Schweinestall. Er ist ein Symbol für die Dinge, die wir in unserem Leben vermasseln. Als der
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bibel und theologie
Glauben hier und heute
Sohn sich dazu durchringt, nach Hause zu gehen,
Vater, sondern das Kind bin. Wie sieht das also bei
macht ihm der Vater keine Vorwürfe, sondern
Gott und mir aus? Erlaube ich mir, ganz echt zu
schließt ihn einfach fest in seine Arme. Und dann
sein und wie meine Tochter Dinge rauszuhauen,
richtet er auch noch ein großes Fest aus. Oh ja,
die ich denke und fühle? Oder schleiche ich vor-
das ist pädagogisch schon diskutierbar! Aber
sichtig um ihn herum, in der Sorge, seiner Liebe
genau diese bedingungslose, vorwurfsfreie Liebe inspiriert mich. Genau so möchte ich meine Kinder verblüffen. Unsere Töchter sind inzwischen in den Teenagerjahren angekommen. So hat sich die Art, wie zumindest unsere Große mir ihre Liebe zeigt zwischenzeitlich verändert. „Ich liebe dich“ kam
… ich hatte Angst, Gott wegen irgendetwas zu verärgern oder seine Liebe zu verlieren.
ihr ein Jahr lang gar nicht (inzwischen wieder
vielleicht nicht würdig zu sein? So ging es mir
ab und zu) über die Lippen. Und meine verbalen
lange Zeit – ich hatte Angst, Gott wegen irgend-
Liebesbekundungen erfuhren in dieser Zeit Kom-
etwas zu verärgern oder seine Liebe zu verlieren.
mentare wie: „Ich dich nicht.“ Oder einfach nur
Heute denke ich anders und das wurde mir neu-
genervte Blicke. Sie haut bis heute einfach raus,
lich nochmal bewusst, als ich diesen Satz meiner
was sie denkt und fühlt oder auch nicht fühlt
Tochter hörte. Gott weiß, dass ich ihn liebe. Ich
und hat offenbar keine Sorge, dadurch meine
bin sein Sohn. Er kennt mich durch und durch.
Liebe zu schmälern oder zu verlieren. Sonst wäre
Versteht einfach alles in mir. Und er wünscht
sie vorsichtiger, schätze ich. Sie scheint sich mei-
sich, dass ich dies alles, ehrlich mit mir selbst, zei-
ner Liebe sicher zu sein. Wie genial ist das denn?!
ge und lebe. Ich bin frei, zu sein, wer ich bin und
Vor einiger Zeit hörte ich zufällig, wie sie zu mei-
angenommen – in allem.
ner Frau sagte: „Papa weiß doch, dass ich ihn
Ich muss mich also nicht anpassen oder auf eine
liebe.“ … Stimmt, an unserer gegenseitigen Liebe
bestimmte Weise verhalten, um liebenswert zu
gibt es keinen Zweifel. Diese Sicherheit meiner
sein – Gott liebt mich so oder so. Und ja, da gibt
Tochter berührt mich. Es ist genau das, was ich
es Dinge in meinem Leben, die brauchen Verän-
mir wünsche.
derung. Ich möchte mich weiterentwickeln und
Als Christ glaube ich an einen Gott, der von sich
wachsen, aber nicht, damit ich angenommen
sagt, er sei unser Vater. Er hat väterliche Gefühle
werde, sondern weil ich angenommen bin – als
für uns, in ihm gibt es eine tiefe leidenschaftliche
Vater und als Kind.
Liebe für uns Menschen, die er seine Kinder nennt. So vergleiche ich manchmal meine Beziehung zu
Von Karsten Stank
meiner Tochter mit dem Verhältnis zwischen mir und Gott – nur dass ich in diesem Fall nicht der
bibel und theologie
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1 ausgabe | 2017
e b l de n i Gr
log B rg
Aus dem Leben einer Gemeinde. Mit den Augen eines Pastors. Staffel 1, Folge 1 „Die Unfertigen“
„MÜSSEN WIR HIER DENN JEDES GESINDEL HINEINLASSEN?!“
Hamburg. Das Tor zur Welt. Eine Stadt, die niemals schläft. Tausend wunderschöne Eindrücke: Der Hafen, die Alster, Planten un Blomen, St. Pauli, die Speicherstadt, die Elbphilharmonie, Musicals, die Schanze, die Elbe. Diese Stadt hat mich in ihren Bann gezogen. Die Skyline ist geprägt von fünf Kirchtürmen: vom
ren, ist den meisten fremd, für viele
Michel, St. Jacobi, St. Katharinen, St. Nikolai
sogar überflüssig. Doch gerade weil
und St. Petri.
viele meiner Freunde gar keinen Bezug
Auch die Adventgemeinde Grindelberg ist
mehr zur Kirche haben, sind sie neugie-
eine Kirche, allerdings ohne Kirchturm. Aber
rig, was ich als Pastor denn so mache,
dafür mit einer großen Gruppe von unterschied-
was mich motiviert, woran ich hin und
lichen Menschen, die sich hier jeden Samstag
wieder auch leide, und was in meiner Gemein-
versammeln, um gemeinsam über Gott und das
de so passiert. Viele sind oft überrascht, weil sie
Leben nachzudenken. Acht Jahre ist es nun her,
sich Kirche und auch den Glauben anders vorge-
dass ich hier angefangen habe als Pastor zu ar-
stellt haben. In meinem Blog GrindelBerg 20144,
beiten. Ich möchte Einblicke in das Leben dieser
erzähle ich die Geschichten einer ganz normalen
ganz besonderen Gemeinde geben. Viele meiner
Gemeinde – als jemand, der hier eine Heimat ge-
Freunde haben mit Kirche nichts am Hut, eini-
funden hat –, um einen Einblick in mein Leben,
ge glauben an eine höhere Macht und manche
meine Gemeinde und vor allem aber meinen
auch an Gott. Doch zu einer Gemeinde zu gehö-
Glauben an Jesus Christus zu geben.
60
grindelberg-blog
Glauben hier und heute
Es war mein erster Gottesdienst, den ich am Grindel erlebt habe. Noch als unbekannter Gast nahm
man schnell von einem Einzelfall sprechen, aber das ist er nicht.
ich zusammen mit Gudrun, der Leiterin des Grin-
Also sagte ich meinem Freund, dass er zwar
dels, mitten unter den Leuten Platz. Der Gottes-
Recht habe, aber dass die Kirche eben kein besse-
dienst hatte gerade erst begonnen, da bellte auf
rer Ort mit besseren Menschen sei. Es ist ein Ort,
der Empore ein Hund. Die erste Reaktion ließ keine
an dem jeder genauso daran leidet, das Gute, das er eigentlich will, oft nicht zu tun, sondern ganz im Gegenteil, das zu machen, was er nicht will. So
„JA, MÜSSEN WIR!“
drückt es Paulus in einem seiner Briefe aus, die man in der Bibel nachlesen kann. Dies kann Sätze wie den obigen nicht entschuldigen oder andere Taten rechtfertigen. Auch in der Kirche läuft viel schief, aber sie ist zugleich ein Ort, wo Menschen versuchen Böses mit Gutem zu besiegen.
Sekunde auf sich warten und
Ein Ort, an dem jemand wie Gu-
kam direkt von der Person vor
drun so eine Aussage nicht einfach
mir: „Müssen wir hier denn jedes
stehen lässt. Ja, nicht immer steht
Gesindel hineinlassen?!“. Ich war
jemand auf. Und doch wollen wir
schockiert. So eine harsche und
daran arbeiten, solch ein Ort zu
intolerante Reaktion von einem
sein, der offen, tolerant und vor
Mitglied dieser Gemeinde. Und da
allem liebevoll ist – auch Men-
sollte ich Pastor werden!? Dabei
schen gegenüber, die andere
dachte ich, dass diese Kirchgemeinde, die sich
Ansichten haben als wir selbst.
selbst liebevoll der Grindel nennt, für Offenheit
Und zwar aus einem ganz ein-
und Vielfalt stehen würde. Doch Gudruns Antwort
fachen Grund: Christ sein, bedeu-
kam, Gott sei Dank, genauso schnell und deutlich
tet, sich Jesus zum Vorbild zu nehmen, und er war
„Ja, müssen wir!“. Trotzdem war ich tief enttäuscht.
all dies! Wir sind nicht perfekt am GrindelBerg. Wir
Nicht nur über diesen Satz, sondern über uns Chris-
sind unfertig!
ten insgesamt. Denn ja, eigentlich sollten wir für
„Vielleicht enttäuscht dich das jetzt“, sagte ich
unser weites, weiches und nicht für ein hartes Herz
meinem Freund, „aber es ist ehrlich.“ Seine Ernüch-
bekannt sein. Als ich einem Kumpel davon erzähl-
terung war ihm anzusehen, aber gleichzeitig auch
te, sagte er, dass dies ja typisch für die Kirche sei:
sein Verständnis. „Wenn ihr da dran seid und das
„Ihr redet von Nächstenliebe und wenn es darauf
echt lebt und nicht unter den Teppich kehrt, dann
ankommt, macht ihr doch einen Rückzieher.“ Wow,
wird sich mit Sicherheit etwas ändern“.
das saß tief. Doch er hatte auch Recht! Hier könnte
Von Sasa Gunjevic
grindelberg-blog
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ausgabe 1 | 2017
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Present eignet sich auch gut für missionarische
meindefächer verteilt. Bei der zweiten Ausgabe
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tenlos beim Advent-Verlag bestellen.
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Glauben interessiert sind, können hier Inspira-
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tion, Antworten und vor allem Gleichgesinnte
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Glauben hier und heute
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