Farben des kroatischen Mährens

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Die ersten Süßkirschen „Ich weiß, dass meine Mutter, wenn es im Mai die ersten Kirschen gab, diese nie aß. Alle Kroaten waren religiös veranlagt, und man sagte, wenn ein Kind sterbe und der Heilige Petrus im Himmel Kirschen verteile, dann würde er demjenigen, dessen Mutter auf Erden Kirschen gegessen habe, keine mehr geben – er würde ihm sagen, seine Mutter habe sie an seiner statt gegessen. Das wurde eingehalten, und Mütter, die ein Kind verloren hatten, aßen die ersten Kirschen nie.“ Magdalena Reichmannová 56

Die Traditionen der kroatischen Gemeinschaft wurden von Generation zu Generation weitergegeben, zum Teil entwickelten und veränderten sie sich mit der Zeit. Doch welche Bräuche begleiteten das Leben eines Menschen von seinem Beginn bis zu seinem Ende? Geburt eines Kindes und Taufe Rituale oder Traditionen, die mit der Zeugung, der Schwangerschaft, der Geburt und dem Wochenbett zusammenhängen, wurden bei den mährischen Kroaten nicht besonders untersucht, es sind nur sehr wenige Notizen in diesem Zusammenhang erhalten geblieben. Wir wissen jedoch, dass die Geburt eines Kindes in den kroatischen Familien, ob arm oder reich, ein festlicher Augenblick war. Die Frauen gebaren die Kinder zu Hause und versuchten, das Wochenbett einzuhalten. Während der ersten neun Tage nach der Geburt brachte die Patin der Wöchnerin nahrhaftes Essen (oft war dies Hühnerbouillon). Die Wöchnerin stand zwar am dritten Tag auf, versuchte jedoch, das Haus nicht zu verlassen. Verwandte und Freundinnen kamen zu Besuch und brachten kleine Geschenke mit. Das Neugeborene stand im Mittelpunkt des gesamten Haushalts und der Besucher, vor allem, wenn es kräftig und gesund war. War ein Kind krank, rief man den Arzt nicht allzu häufig – man ging davon aus, dass das Kind die Kraft für das nicht leichte Leben in sich selbst haben müsse. Starb ein Kind, wenn es noch klein war, so wurden die Mütter in bestimmten Handlungen zurückhaltender.

Teil einer Eckplane, Abmessungen: 147 cm x 140 cm, 1. Hälfte des 19. Jh.s Foto: Olga Tlapáková, 2017. Nationalmuseum. Historisches Museum, Ethnografische Abteilung (NM), H4-20572 (Detail)

55 ŠEMBERA, Alois W. Osady chorwatské v Morawě [Kroatische Siedlungen in Mähren]. Týdeník. 1848, Nr. 2, S. 10. Trans.: „Der Mensch kommt in größter Stille auf die Welt, und wenn er wieder geht, wird er von lauten Glocken begleitet. Von der Geburt eines Menschen spricht niemand, die Eltern erhalten keinen Lohn dafür; niemand lobt diejenigen, die die Generationen der menschlichen Früchte vermehren, während Reichtum, Würde und Ruhm und von Zeitgenossen diejenigen gerühmt werden, die das Licht Tausender Menschen zum Erlöschen bringen.“ 56 Erinnerungen von Magdalena Reichmannová, geb. 1940 in Fröllersdorf. SOCHN

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Teil einer Eckplane, Abmessungen: 85 cm x 110 cm, 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Foto: Olga Tlapáková, 2017. NM, H4-23817

Emílie Šalamon mit Patin Mokruš. Fröllersdorf, 30er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Der erste bedeutende Moment, der den Menschen im Leben erwartete, war die Taufe. Diese fand in alten Zeiten unmittelbar nach der Geburt des Kindes statt, ab dem 19. Jahrhundert bürgerte sich ein, das Kind erst am dritten Tag nach der Geburt zu taufen. Natürlich wurden Kinder, die zu sterben drohten, so früh wie möglich getauft. Die Ankunft des neuen Familienmitglieds feierte die Familie mit einem festlichen Mittagessen im engsten Familienkreis.57 Am Tag der Taufe kamen die Paten und legten ein Geschenk „ins Bettchen“, in der Regel war das Geld. Der Pate (kum) und die Patin (kuma) spielten in den Familien der mährischen Kroaten eine sehr wichtige Rolle. Sie wurden Teil des engsten Familienkreises. Ihre Bedeutung wird auch in der Redewendung: Kumovi – ti su već nek rodina [Die Paten – das ist mehr als die Familie] deutlich.58 So waren es doch gerade sie, die sich, wenn den Eltern etwas passierte, um die minderjährigen Kinder kümmern sollten. Eine wesentliche Rolle spielten sie auch im religiösen Leben ihres Patenkindes. Zu den Paten gingen die Kinder zu Ostern, um Ostergaben zu holen, zu Allerseelen erhielten sie von ihnen štručice und zu Weihnachten ein kleineres Geschenk. Oft wurden sie tatsächlich als zweite Eltern wahrgenommen. Weitere wichtige Zeremonien waren die Erstkommunion (zu der oft die gesamte Klasse gemeinsam ging) und die heilige Firmung.

Anna Sitek bei der Erstkommunion. Fröllersdorf, 1947. SOCHN

57 MELZER, Miloš. Osídlování bývalého německého jazykového ostrova na Drahanské vrchovině moravskými Charváty [Die Besiedlung der ehemaligen deutschen Sprachinsel in den Drahaner Bergen durch die mährischen Kroaten]. Folia ethnographica: Supplementum ad acta musei Moraviae. Scientiae sociales. 1988, Jg. 22, S. 257. 58 Erinnerungen von Herwig Sitek, geb. 1940 in Fröllersdorf. SOCHN

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Volkskultur

Volkskultur

Die Geburt eines Menschen „Človik dohaja na svit v najvetši tihosti a kad gre iz svita, viprovadjan biva šromotnimi zvoni. O splodjenju človika negovori nigdor, a starji ostaju bez odplate; nigdor nepoštuje tje, ki pokoljenje ljudsko urodno rozmnožuju, ale bogatstva, dustojnosti i kralectva bivaju učasni a pamatnikami oslaveni ti, ča sgasaju svitlo života tisute ljudi.“ 55

Der Lebenszyklus des Menschen


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