Farben des kroatischen Mährens

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Volkskultur

Herbens Reisen durch Niederösterreich gingen 1885 weiter.22 Er besuchte die Gemeinden Bischofswarth (Hlohovec), Oberthemenau (Charvátská Nová Ves), Unterthemenau (Poštorná), Feldsberg (Valtice), Rabensburg (Ranšpurk), Hohenau (Cahnov), Ringelsdorf (Lingašdorf), Waltersdorf (Přílep), Sindorf, Pernital, Drösing und Zistersdorf (Čistějov). Aus der Sicht des Autors war die Lage der hiesigen Einwohner trist, deutsche Sprache durchdrang sich mit slawischer Kleidung. Herben und seinen Freunden gelang es trotzdem, einige Volkslieder aufzuzeichnen, die bis heute in der Mährischen Slowakei bekannt sind.23 Ein interessanter Brauch faszinierte den Autor in der Gemeinde Waltersdorf – am Pfingstmontag fand hier regelmäßig das Waldfest statt. Das ganze Dorf begab sich an die March, an eine vorher ausgewählte und vorbereitete Stelle, wo man sich mit Tanz und Gesang bis spät in die Nacht hinein vergnügte. Herben führt auch einige Lieder an, die bei diesem Anlass gesungen wurden: „Husári, husári, vrané koně máte“24, „Můj starý tatíčku, vyplacte mia z vojny“ und „Štyry bilo, pět bilo“.25 Wenngleich Herben das Ereignis als Rarität beschrieb, haben gemeinsame Ausflüge in die Natur während der Pfingstfeiertage in der christlichen Welt eine lange Tradition und werden in Mähren als ganz normal empfunden.26 Kiritof in Fröllersdorf. 30er Jahren des 20. Jahrhunderts Jahrhunderts. Foto: Othmar Ruzicka. SOCHN

mehr von deutscher Blechblasmusik ersetzt: „Danach kam nichts mehr“, fügte er hinzu. Gleichzeitig gab Herben in Druckform auch einen Teil seiner Erkenntnisse von einer Reise zu den mährischen Kroaten in Bischofswarth (Hlohovec) heraus.18 Er besuchte die Gemeinde in der Zeit des dortigen Kirtags. Aus seinen Beobachtungen geht hervor, dass mit einem Tanzpartner immer fünf Tänze absolviert wurden. Es wechselten sich langsamere und schnellere Tänze ab, z. B. Polka, Walzer, Nachbarschaftstanz und Galopp. Der fünfte und letzte Tanz war immer der Drehtanz vrtěná, der von den Einheimischen als mährischer Tanz bezeichnet wurde. Danach klatschten die Tänzer gegenseitig zweimal auf die Handflächen und trennten sich, der junge Mann ging zur charubka (Baude vor dem Gasthaus), das Mädchen in den Reigen unter dem Maibaum. Diese Information ist für das Studium der Entwicklung der Tanztradition von einigem Wert, denn sie belegt, dass im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts der Tanz vrtěná nur noch als Ergänzung

zu den Modetänzen getanzt wurde. Zum Tanz vrtěná merkte Herben noch an: „Da man mit vrtěná jedes Mal endet, sagen die nichtslawischen Nachbarn, die Slowaken grüben den toten Punkt aus.“19 Die Kirtagsfeierlichkeiten von Bischofswarth zogen viele Besucher an, einige kamen sogar aus Wien. Herben ist bisher der erste Autor, der den eigenständigen Tanz cifrování beschrieb, wo es „auf die Gewandtheit, das Geschick, die Eleganz, den Erfindungsreichtum und die Stimmung jedes Tänzers ankommt. Sobald die Musikanten einen Marsch spielen, tanzt dabei die Gruppe der jungen Leute. Sie springen, hopsen, werfen den Kopf hin und her, drehen sich auf dem Metallabsatz, klatschen in die Hände, winden sich, schnipsen mit den Fingern und johlen; oder es fassen sich zwei-drei bei der Schulter, so wie wenn Serben einen Reigen tanzen, sie stampfen zusammen und bewegen sich einer mit dem anderen in verschiedensten Wendungen, auf unterschiedlichste Arten und Ideen – doch alles harmonisch, anmutig und geschmackvoll“.20 Unter die Kirtagstänze reihte Herben auch das sog. „Springen vor der Musik“ ein: die Jungen traten einer nach dem anderen vor die Musikanten, sangen (normalerweise irgendein ausgelassenes Liedchen), und wenn die Musik spielte, sprangen sie mehrmals in die Höhe, wobei sie bei jedem Sprung auf ihren Stiefel oder den Absatz schlugen. Die übrigen Jungen klatschten

18 Vgl. HERBEN, Jan. Na dolnorakouském pomezí [Im niederösterreichischen Grenzgebiet]. Světozor. 1882, Jg. 16, S. 554–604. 19 Ebenda, S. 567. 20 Ebenda, S. 568.

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Direkt zu den mährischen Kroaten ins Gebiet Nikolsburg reiste 1887 der kroatische Forscher Gjuro Kuten.27 Ein Beispiel für den Tanz skokak 28 führten ihm in Fröllersdorf Ive Šalamoun und Minka Suparićová vor. Auf der Geige wurden sie dabei vom hiesigen Bürgermeister persönlich begleitet. Die Tänzer kreuzten die linken Arme und legten sie sich gegenseitig auf die Schulter, die rechten Arme hingen am Körper herab. In dieser Haltung

gingen sie zwei Schritte nach links und zwei nach rechts, dann sprangen sie in die Höhe und drehten sich um. Diese Figuren wiederholten sie, solange die Musik spielte. Zum Tanz sang die Frau des Bürgermeisters das Lied „Roža, sam ja roža“.29 Kuten hatte ebenfalls die Möglichkeit, eine Hochzeit in Neuprerau zu besuchen. Er vermerkte, dass die Hochzeitsgäste nach dem Mittagessen die Braut in das Haus des Bräutigams führten, und bevor sie es betraten, wurden drei Tänze getanzt. Diese werden jedoch von Kuten nicht namentlich erwähnt. Er schreibt weiter, dass es üblich war, die gesamte erste Hochzeitsnacht durchzutanzen und dass jeder für einen Tanz bezahlen musste.30 Im Jahre 1892 erschienen in der Zeitung Národní listy zwei Erzählungen von Vilém Mrštík: „Perla jižní Moravy“ [Perle Südmährens] und „V tanci“ [Im Tanz].31 Diese dokumentieren die künstlerische literarische Verarbeitung der eigenen Beobachtungen des Autors bei dem Kirtag in Eisgrub (Lednice). In der Geschichte „Perla jižní Moravy“ beschreibt der Schriftsteller, wie sich am Sonntag nach St. Jacobi sogar Ausflügler aus Wien in Eisgrub einfanden.32 Die umfangreiche Erzählung „V tanci“ ist eine detaillierte Reportage von dem Kirtag, in der der Autor die Trachten und das Verhalten der jungen Leute aus der Mährischen Slowakei in Kontrast zu den deutschen Jugendlichen stellt,33 um dann abschließend resigniert festzustellen, die Schönheit der

21 Ebenda, S. 579. Zur Etymologie des Wortes hošije siehe JEŘÁBEK, Richard (Red). Podluží. Brno: Krajské nakladatelství, 1962, S. 151. Siehe auch MACHEK, Václav. Etymologický slovník jazyka českého [Etymologisches Wörterbuch der tschechischen Sprache]. Praha: 1968, S. 178. Vgl. auch VÁCLAVÍK, Antonín. Výroční obyčeje a lidové umění [Jahresbräuche und Volkskunst]. Praha: Nakladatelství Československé akademie věd, 1959, S. 104, Anmerkung 27. 22 Vgl. HERBEN, Jan. Bratři naši v Dolních Rakousích [Unsere Brüder in Niederösterreich]. Slovanský sborník, 1885, S. 31–34, 94–96, 138–142, 182–186, 253–258, 306–314. 23 Ebenda, S. 183–185 und 256–257. 24 Ebenda, S. 256. 25 Ebenda, S. 257 Ein Kommentar zu diesem Lied mit seinem Vorkommen in gedruckten Sammlungen siehe ŠRÁMKOVÁ, Marta – Marta TONCROVÁ. Ty ranšpurské zvony zvoňá. Brno: Institut für Ethnografie und Folkloristik der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, 1993, S. 72, 73 und 74. 26 Vgl. ZIBRT, Čeněk. Jak se kdy v Čechách tancovalo [Wie in Böhmen getanzt wurde]. Praha: 1960, S. 19. Wo er daran erinnert, dass das getaufte Volk mit seinen heidnischen Tänzen christliche Feiertage und Denkmale rühme. Siehe auch HANUŠ, Ignác Jan. Über die Weihe der Jahrestage der alten Slawen und ihre Überbleibsel bei uns. Koleda 2, 1852, S. 152. Des Weiteren vgl. VÁCLAVÍK, Antonín. Výroční obyčeje a lidové umění [Jahresbräuche und Volkskunst]. Praha: 1959, S. 165. Im Gebiet Těšín werden noch heute an den Pfingstfeiertagen Eier in der Natur gebraten – jaječina, und es finden zahlreiche „festyny“ statt, Tanzvergnügen in der Natur, oft in Verbindung mit Benefizaktionen zum Bau irgendeines öffentlichen Gebäudes. 27 Vgl. KUTEN, Gjuro. Tri dana medju moravskimi Hrvati. Vienac. 1887, Jg. 19, S. 58–60, 78–79, 90–91, 104–106, 119–122, 139–140, 152–154, 167–170, 185–187, 203–206, 216–219. 28 Vgl. KUTEN, Gjuro. Tri dana medju moravskimi Hrvati, S. 204. 29 Lieder mit dem gleichen Incipit vgl. BARTOŠ II Nr. 265, BARTOŠ III Nr. 811 30 Ebenda, S. 170. 31 In Buchform herausgegeben wurden sie 1894. Vgl. MRŠTÍK, Vilém. Obrázky [Bilder]. Praha: 1894. 32 Ebenda, S. 128. 33 Ebenda, S. 159–162.

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dazu im Takt. Die Tänzer wurden von Blechbläsern begleitet. Der Dudelsackspieler spielte zu dieser Zeit nur noch den Männern im Gasthaus auf.21


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