motorsport-guide_07-09_Aero

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Fahrphysik im Motorsport Physikalische Zusammenh채nge eines Rennfahrzeugs sind ein komplexes Thema, bei dem das Gesamtfahrzeug als ein System betrachtet wird, das statischen und dynamischen Krafteinwirkungen auf seine Komponenten ausgesetzt ist. Diese Reihe lenkt den Blick auf einige Detailaspekte, beginnend mit der Aerodynamik. Text: Hans Fiedler, Joachim Wenzkus


Aerodynamik

N

eben Glück und fahrerischem

Talent ist ein solides Verständnis der technischen Zusammenhänge

am Fahrzeug notwendig, um erfolgreich Motorsport zu betreiben. Auch dem interessierten Zuschauer erschließt sich durch die Kenntnis der wichtigsten physikalischen Abhängigkeiten eine zusätzliche Facette dieses faszinierenden Sports. Ziel der mit diesem Artikel beginnenden Serie soll es sein, dem Leser diese Zusammenhänge vorzustellen. Der Autor will Mut machen, sich intensiver mit den physikalischen Gegebenheiten auseinander zu setzen und gegebenenfalls auch selbst mit verschiedenen technischen Lösungen zu experimentieren. Eine der größten technischen Herausforderungen des Motorsports ist die Beherrschung der hohen Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit hat direkten Einfluss auf die Kräfte, die auf Fahrzeug und Fahrer wirken. Diese Kräfte sind im Wesentlichen der Rollwiderstand, der Beschleunigungswiderstand und natürlich der aerodynamische Widerstand. Speziell dem aerodynamischen Anteil kommt eine besondere Bedeutung zu, denn dieser steigt mit der Geschwindigkeit quadratisch an. Deutlicher wird dieser Einfluss an einem einfachen Beispiel: Beträgt der Anteil der Aerodynamik am Gesamtfahrwiderstand bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h nur etwa 10 %, so sind es bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h bereits etwa 60 %. Die Geschwindigkeitsabhängigkeit der Aerodynamik ist somit die Ursache, warum diesem technischen Aspekt gerade im Motorsport eine sehr hohe Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Ausgehend von den Zusammenhängen der Aerodynamik sollen in dieser Artikelserie die Abhängigkeiten zu weiteren technischen Aspekten, wie beispielsweise der Fahrwerksauslegung, aufgezeigt werden. Es gilt unter anderem diese Fragen zu klären: • Wie genau entsteht der aerodynamische Widerstand? • Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen aerodynamischem Auf- bzw. Abtrieb und dem Fahrverhalten des Fahrzeugs? • Wie stark ist der Einfluss von Kühlluftöffnungen und Anbauteilen wie Flügel oder Splitterplatten auf die Performance des Fahrzeugs? Der vorliegende einführende Artikel gibt einen ersten Überblick über den Bereich der


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Aerodynamik

motorsport-guide

Motorsportaerodynamik, verweist auf Abhängigkeiten zu anderen Teilaspekten wie Motor

A

und Fahrwerk und spannt allgemein den Rahmen auf, der dann in den folgenden vier Artikeln im Detail ausgeleuchtet wird. Grundlagen der Aerodynamik im Motorsport

W

Der Begriff Aerodynamik setzt sich aus den

S

Teilbegriffen Aero (Luft) und Dynamik (Bewegung unter dem Einfluss von Kräften) zusam-

A = aerodynamischer Auftrieb W = aerodynamischer Widerstand Y = aerodynamische Seitenkraft V = Anströmgeschwindigkeit

men. Die Aerodynamik ist Teil der Fluiddynamik und betrachtet speziell das Verhalten von Körpern, die sich durch die Luft bewegen

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oder von der Luft umströmt werden. Die Vorhersage der an dem jeweiligen Körper angreifenden Kräfte ist ein wesentlicher Untersu-

Abb. 1 Kraftkomponenten an einem Fahrzeug

chungsschwerpunkt dieser Wissenschaft.

Als Erstes zu nennen sind hier der aerodyna-

Dazu ist es das Ziel, die Bewegung der Luft-

mische Widerstand, der Auftrieb und die

partikel beim Umströmen des Körpers mög-

aerodynamische Seitenkraft.

schnittsfläche des Fahrzeugs (F) und Geschwindigkeit (v) bezogen.

lichst exakt zu beschreiben. 1/ ·ρ·v ·c ·F 2 2 W 1/ ·ρ·v ·c ·F 2 2 A 1/ ·ρ·v ·c ·F 2 2 Y

W

=

Wenn soeben von angreifenden Kräften

A

=

gesprochen wurde, so muss dies etwas präzi-

S

=

eine Luftkraft R1, welche aus den sich einstel-

A

= Aerodynamische Auftriebskraft (N)

die anliegende aerodynamische Widerstands-

lenden Druckverhältnissen am Körper resul-

W

= Aerodynamischer Widerstand (N)

(Auftriebs-, Seiten-)kraft berechnen möchte,

tiert. Die bekannten aerodynamischen Größen

S

= Aerodynamische Seitenkraft (N)

muss der im Windkanal ermittelte Beiwert

Auftrieb (A) und Widerstand (W) sind wie

ρ

= Luftdichte

(kg/m3)

nur mit dem dann herrschenden Luftdruck,

auch die Seitenkraft Komponenten dieser

v

= Strömungsgeschwindigkeit (m/s)

der interessierenden Geschwindigkeit und der

resultierenden Luftkraft R1, parallel, senkrecht

cA

= Auftriebsbeiwert (dimensionslose

Bezugsfläche multipliziert werden (siehe

F1.1 F1.2 F1.3

siert werden. Genau genommen gibt es nur

2·W ρ·v2·F

F1.5

F1.1).

Größe) cW

= Widerstandsbeiwert (dimensionslose

cY

= Seitenkraftbeiwert (dimensionslose

Die sich einstellende Luftkraft R1 hängt in

Doch wie entsteht nun eigentlich die ange-

Größe)

tern des Körpers und auch der umströmenden Luft ab. So üben beispielsweise die Geometrie

=

Wenn man dann später (an der Rennstrecke)

und quer zur Bewegungsrichtung des Körpers.

komplexer Weise von verschiedenen Parame-

cW

Größe) F

= Bezugsfläche

des Körpers und auch seine Oberflächenbe-

sprochene Luftkraft R1? Dies lässt sich am besten mit Hilfe der sogenannten Bernoulli-

(m2),

häufig die Quer-

schen Gleichung erläutern.

schnittsfläche des Fahrzeugs g

= pstat+1/2·ρ·v2

nen auch als Staudruck oder dynamischer

g

= Gesamtdruck

Druck (pdyn) bezeichnet und beinhaltet neben

pstat = statischer Druck

der Dichte das Quadrat der Geschwindigkeit.

1/ ·ρ·v2 = 2

schaffenheit einen Einfluss aus. Gleichzeitig sind verschiedene Eigenschaften der Luft, wie

Der erste Teil der Formeln wird im Allgemei-

die Temperatur oder die Dichte, mitbestimmend für die auftretenden Kräfte.

F1.6

dynamischer Druck (Staudruck)

Sogenannte Kompressibilitätseffekte der Luft, die auftreten, wenn am Fahrzeug lokale Über-

pdyn =

1/ ·ρ·v2 2

F1.4

geschwindigkeiten ab etwa 360 km/h erreicht

Sie stellt einen Zusammenhang zwischen den Größen Druck (pstat) und Geschwindigkeit

werden, können vorerst vernachlässigt wer-

Um final auf eine Kraft zu kommen, muss

(v) her und besagt, dass entlang einer Strom-

den. Nur in bestimmten Sonderfällen oder

dieser Druck noch mit einer Fläche (F) und

linie die Summe aus statischem Druck und

beispielsweise bei der Betrachtung von

dem so genannten Beiwert (cW, cA, cY) multi-

dynamischem Druck (Staudruck) konstant

Geschwindigkeitsrekordfahrzeugen muss die-

pliziert werden.

und gleich dem Gesamtdruck bleibt. In Berei-

ser Aspekt berücksichtigt werden.

chen des Fahrzeugs, wo eine hohe lokale StröDie Beiwerte müssen vorab beispielsweise in

mungsgeschwindigkeit vorliegt, herrscht ein

Für die Beschreibung und Vorhersage der sich

Windkanalversuchen individuell für jedes

geringer statischer Druck und umgekehrt.

ergebenden Luftkraft(-komponenten) und

Fahrzeug (bzw. jede Fahrzeugkonfiguration)

Strömungsverhältnisse nutzt die Aerodynamik

bestimmt werden. Hierfür werden die Kraft-

Es gibt Bereiche des Fahrzeugs, wie beispiels-

viele verschiedene Kennzahlen und Formeln.

komponenten (Auftrieb, Widerstand und Sei-

weise die Fahrzeugfront, an welchen die Strö-

Im Rahmen dieser Artikelserie wollen wir uns

tenkraft) über die Windkanalwaagen gemes-

mungsgeschwindigkeit auf Null abfällt. An

auf die wichtigsten und wesentlichen Größen

sen. Diese gemessenen Kräfte werden dann

diesen sogenannten Staupunkten ist der stati-

konzentrieren.

auf die bekannten Größen Staudruck, Quer-

sche Druck gleich dem Gesamtdruck (gleich


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Aerodynamik

hierbei ist die Anpresskraft, mit welcher die Räder auf die Fahrbahn gepresst werden. Neben dem Fahrzeuggewicht ist hier der beschriebene aerodynamische Auftrieb des Fahrzeugs von entscheidender Bedeutung. Zusätzlich zu diesen offensichtlichen Kopplungen zwischen Aerodynamik und Antrieb bzw. Fahrwerk existieren noch weitere Abhängigkeiten. Bedingt durch den Wirkungsgrad des Verbrennungsmotors entsteht neben der Antriebsleistung auch ein sehr hoher Anteil an Verlustwärme, die im Renn- und Fahrbetrieb abgeführt werden muss. Neben Wärmestrahlung und Wärmeleitung ist die Konvektion eine wichtige Komponente, die zur Kühlung beiträgt. Konvektion ist nichts anderes Ein wesentliches Ziel im Motorsport ist es

als der Übertrag der thermischen Energie auf

allerdings, genau dies zu verhindern. Das

ein Fluid (z. B. Luft). Die richtige Positionie-

Fahrzeug soll mit einer hohen Kraft auf die

rung und ausreichende Dimensionierung von

dem Ruhedruck der Umgebung), welcher

Fahrbahn gepresst werden, um hohe Kurven-

Kühlluftöffnungen ist somit ein wesentlicher

gleichzeitig den maximal erreichbaren Druck

geschwindigkeiten zu ermöglichen. Aus die-

Aspekt der Aerodynamik von Rennfahrzeu-

darstellt (siehe F1.5 mit v=0 km/h).

sem Grund versucht man mit Splitterplatten

gen. Hierbei spielt beispielsweise die bespro-

im Frontbereich, Diffusoren, Heckflügeln und

chene Druckverteilung um das Fahrzeug eine

verschiedenen anderen technischen Lösungen

Schlüsselrolle. Idealerweise sind Kühlluftein-

Abb. 2 Druckverteilung an einem Fahrzeug

Aufgrund der Fahrzeuggeometrie ergeben sich allerdings auch

eine möglichst hohe, nach

tritte an der Außenhaut des Fahrzeugs so zu

Bereiche, an

Unten gerichtete Kraft zu

positionieren, dass sie sich in Bereichen eines

erzeugen.

hohen statischen Drucks befinden (dies

welchen sehr hohe Strömungsgeschwindigkeiten auftreten. Der dynamische

Richtige Positionierung und Dimensionierung von Kühlluftöffnungen ist ein wesentlicher Aspekt der Aerodynamik von Rennfahrzeugen

erleichtert das Einströmen). Kühlluftauslässe Es kann also folgendes

hingegen sollten so positioniert und gestaltet

zusammengefasst werden:

werden, dass sie eher einen niedrigen stati-

Aufgrund der Fahrzeugform

schen Druck aufweisen (dies erleichtert das

stellt sich eine gewisse

Ausströmen).

Druckverteilung um das

Druckanteil wird somit sehr groß, was dazu führt, dass

Fahrzeug herum ein, welche zu einer resultie-

Wie sich zeigt, ergeben sich vielfältige Abhän-

der statische Druck an der Fahrzeugoberfläche

renden Luftkraft R1 führt, die wiederum in

gigkeiten und technische Zusammenhänge,

niedriger wird, als der statische Druck der

einzelne Komponenten (Widerstand, Auftrieb,

die sukzessiv in den nächsten Artikeln dieser

freien Anströmung. (man spricht dann auch

Seitenkraft) aufgeteilt werden kann.

Serie dargestellt und ausführlich erläutert werden. Im nächsten Heft werden wir uns

von einem Unterdruck). Die Aerodynamikabteilungen der Automobil-

ausführlich dem Thema Widerstand widmen

Der statische Druck ist immer senkrecht zu

hersteller oder auch die Rennsportabteilungen

und neben dem aerodynamischen Anteil auch

der Fläche gerichtet, auf welcher er wirkt

setzen seit vielen Jahren neben den Wind-

Aspekte des Rollwiderstands und des

(siehe Abb. 2). Wenn also von einem Unter-

kanaluntersuchungen zusätzlich auch auf die

Beschleunigungswiderstands beleuchten.

druck gesprochen wird, dann bedeutet dies

Möglichkeiten der numerischen Strömungs-

nichts anderes, als dass der Druck nicht senk-

simulation (CFD). Mittels Simulationspro-

Möglicherweise erschließen sich dem Leser

recht auf die Oberfläche »drückt«, sondern an

grammen wird versucht, ein realistisches Bild

dann beim nächsten Besuch an der Renn-

ihr »saugt«.

der Druckverteilung um ein Fahrzeug zu

strecke oder bei der nächsten Übertragung im

erzeugen. Ziel ist es, die aerodynamischen

Fernsehen schon Details des Motorsports, die

Am Beispiel des Auftriebs kann nun sehr ein-

Kräfteverhältnisse am jeweiligen Fahrzeug

ihm zuvor nicht aufgefallen sind.

fach verdeutlicht werden, wie aus dem Druck

möglichst genau vorherzusagen und zu

eine Kraft entsteht. Die in Abb. 2 dargestellte

beschreiben. Dies ist eine wesentliche Voraus-

Joachim Wenzkus ist Eigentümer, Hans Fiedler

Druckverteilung zeigt, dass die Drücke auf der

setzung für die optimale Abstimmung aller

Mitarbeiter der Firma aem-GmbH, die Schu-

Oberseite des Fahrzeugs sehr viel kleiner sind

Fahrzeugkomponenten. Nur so kann beispiels-

lung und Dienstleistungen für aerodynamische

als auf der Unterseite. Das Fahrzeug wird also

weise eine optimale Abstimmung zwischen

Entwicklung anbietet.

nach Oben gesaugt. Dieser »saugende« Diffe-

Fahrwiderständen und Antriebsleistung erar-

renzdruck zwischen Fahrzeugober- und

beitet werden.

-unterseite wird mit der Fläche auf welcher er

Ausblick auf die weiteren Themen: Teil 2: Fahrwiderstände

wirkt multipliziert (Druck x Fläche = Kraft).

Die Antriebsleistung muss natürlich auch

Teil 3: Abtrieb, Balance und Fahrverhalten

Es ergibt sich eine Kraft, welche nach Oben

über Fahrwerk und Räder auf die Straße

Teil 4: Anbauteile und Kühlung

gerichtet ist.

gebracht werden. Ein wesentlicher Aspekt

Teil 5: Versuchs- und Messtechnik

[•]


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