Schwimmen ohne Wasser Portraits aus fĂźnf Jahren Neubad
Impressum Texte Laura Ritzenfeld Fotografie Christian Felber, MIGN Grafik Erich Brechbühl und Studio Lametta Redaktion Laura Ritzenfeld Lektorat Jonas Wydler Korrektorat Petra Meyer Herausgeber 041 – Das Kulturmagazin Neubad Luzern Verlag 041 – Das Kulturmagazin/IG Kultur Luzern, Bruchstrasse 53, Postfach, 6000 Luzern 7 Druck UD Medien AG, Luzern Auflage 4000 © Netzwerk Neubad / Laura Ritzenfeld Luzern, September 2018
Vorwort
«Alles ist in Bewegung und nichts bleibt stehen.» Recht hat er behalten, der gute alte Heraklit. Seit fünf Jahren nun befindet sich das Neubad in Bewegung und wandelt sich stetig. Es wird auch weiterhin keinesfalls stehen bleiben – zumindest nicht bis zum natürlichen Ende dieser Zwischen nutzung im ehemaligen Hallenbad der Stadt Luzern. Der Geist und der Charakter des Neubads werden vor allem geprägt von Menschen, die da arbeiten und leben, die sich für dessen gute Idee eines offenen Hauses mit viel Herzblut engagieren. Von Menschen, die das Neubad in irgendeiner Form bespielen und beleben – gleichermassen wird der Geist dieses Kultur hauses von seinen Gästen beflügelt und geformt. Neubad-Menschen kommen und gehen – sie alle sind in Bewegung und bleiben nicht stehen – gestern, heute und morgen. Die vorliegende Publikation soll die fünfjährige Geschichte bis heute – das spezifische Wesen und den Geist des Neubads – anhand von 20 portraitierten Menschen im und rund um das Neubad, mit ihren ganz persönlichen Neubad-Geschichten, erzählen und illustrieren. Diese Geschichten gewähren unter anderem einen Blick in den Rückspiegel, fangen den heutigen Moment ein – oder eröffnen einen Ausblick, was und wer da noch für das Neubad kommen möge… Erhalten Sie hiermit einen vielfältigen und spannenden Einblick in den bunten Kulturkosmos des Neubads und dessen bewegte sowie bewegende Geschichte. Das Portrait-Büchlein, das Sie in den Händen halten, ist Bestandteil eines gemeinsamen Projekts vom Neubad und «041 – Das Kulturmagazin»: die durch das Neubad vollständig kuratierte September-Ausgabe 2018 von «041 – Das Kulturmagazin» anlässlich des fünfjährigen Neubad-Bestehens. Für die erfolgreiche, inspirierende und konstruktive Zusammenarbeit gebührt allen Beteiligten herzlichen Dank. Ich wünsche Ihnen nun eine anregende und vergnügliche Lektüre sowie spannende Begegnungen mit Menschen im und rund um das Neubad. Tauchen Sie ein. Schwelgen Sie in Ihren eigenen Neubad-Erinnerungen und träumen Sie dessen Zukunft. Und: Bleiben auch Sie in Bewegung! Philipp Seiler Leitung Verlag «041 – Das Kulturmagazin»
Andi Weibel und Silvio Bibu Brunetti
Der Morgen beginnt für Bibu und Andi noch vor dem ersten Vogel zwitschern. Um zwanzig nach vier Hausdienst, seit 2013 schrillt Bibus Wecker, binnen zehn Minuten ist er angezogen. Zum Das Neubad in einem Wort Frühstück raucht er eine Zigarette. Wenn er im Neubad ankommt, liegt noch die Stille der Nacht über dem Gebäude. Er holt den Mop aus der Kammer, bereitet den Putzwagen vor «und was sich sonst gehört». Bibu sitzt meistens schon bei seinem ersten Kaffee auf dem Vorplatz, wenn Andi zu ihm stösst. Selten treffen sie auf Nachteulen von der Bar, die eben noch die Abrechnung abschliessen. Um kurz nach fünf Uhr besprechen Andi und Bibu bei einer heissen Tasse Kaffee den bevorstehenden Tag. Sie bringen das Haus dann zum Funktionieren, wenn noch alle schlafen. Auf ihrem Weg durch das Gebäude beginnen das Bistro, der Pool und die WCs zu glänzen. Das Neubad erwacht. Andi weiss noch, wie er die Arbeit, die sie heute zu dritt mit Samuel erledigen, in den ersten Monaten alleine bewältigt hat. Er erinnert sich daran, wie er eines Samstagnachmittags seinen alten Bekannten Bibu auf einer Bank sitzend antraf und ihm eine Stelle anbot. Bibu hat den Job sofort angenommen, hat am Montag darauf begonnen und ist laut Andi seitdem die zuverlässigste Person im Neubad. Mit dem Betriebsteam, das jetzt langsam ins Büro tröpfelt, kreuzen auch noch ein paar weitere Aufgaben auf. Ob sie nicht noch die kaputte Türe reparieren können oder ob sie die Heizung ansehen können, es sei so kalt … Andi ist zwar gelernter Schreiner, aber durch seine fünf Jahre Neubad weiss er mittlerweile auch, wie man die veralteten Lüftungen und Heizungen steuert. Das Neubad funktioniert nur, weil alle Seiten bereit sind, so viel Liebe, Fleiss und freiwillige Arbeit hineinzustecken. Das fällt Andi besonders auf, wenn er als Gast in seiner Freizeit Veranstaltungen besucht. Pro Jahr streicht er sich zwei Höhepunkte in seinem Kalender an, das ist zum einen das Neusicht-Festival von Viva con Agua und zum anderen der «Kitchen Battle», ein Kochevent, bei dem vier Restaurants im Pool gegeneinander ankochen. Bibu kommt seltener in seiner freien Zeit ins Neubad. Hat er zu Hause einmal seine Trainingshose an, möchte er nicht mehr vor die Türe. Allerdings trifft man ihn zurzeit oft an Spielen der WM-Live-Übertragung, leibhaftig und auf Fotos. Denn er blickt einem von allen WM-Werbeplakaten des Neubads entgegen. Fragt man ihn, ob er stolz auf die Kampagne sei, winkt er bescheiden ab und senkt den Blick. Da schlägt ihm Andi lachend auf die Schulter und bejaht für ihn. Die Gäste, die gegen elf Uhr das Bistro kontinuierlich füllen, kündigen Bibus und Andis Feierabend an. Sie schwingen sich auf ihre Fahrräder und legen sich zu Hause erst noch einmal hin, bevor der Tag für sie ein zweites Mal beginnt.
A nie langweilig B selbstständig
Daniela Küttel
Das alte Hallenbad Biregg ist für Daniela vor allem eines: Erinnerung. Sie erinnert sich an eine Zeit, in der in den Becken noch Wasser war. Das Neubad in einem Satz Ganze Samstage verbrachte sie unfreiwillig hier. Daniela ist nie besonders gern geschwommen. Bereits beim Öffnen der Schwingtür schlug ihr eine Rauchfahne ins Gesicht, eine Handvoll Vormittagsgäste trank Bier und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Auf dem Weg zu den Garderoben fragte sie sich, ob hier überhaupt je geputzt werde. Viel lieber erinnert Daniela sich an das Hallenbad, das den Pool mit Kultur füllt. Nie hatte sie eigene persönliche Interessen an dem Haus, wollte kein Projekt verwirklichen, weder einen Atelierplatz noch eine Anstellung; sie war Mitglied des Vorstands. Manchmal ist es gut, wenn man im Vorhinein nicht weiss, worauf man sich einlässt. Ein knappes Jahr vor der Eröffnung traf sich das Netzwerk Neubad im Bourbaki zu Kaffee und Bier, Gedankenaustausch und Organisation. Daniela leitete neben ihrem Einsatz für das Neubad den Betrieb. Und so wechselte sie zwischen dem Zapfhahn hinter der Bar und ihrem Cappuccino am Sitzungstisch, während sich die offenen Fragen türmten. Fragen, von denen man nicht dachte, dass sie sich stellen würden, und Fragen, die sich bis heute nicht beantworten lassen. Jede Woche sortierte Daniela Briefe. Welche Rechnung ist dringend und welche kann man aufschieben, wo kann man Ratenzahlungen anfordern? Welche Stellen müssen – und vor allem können – geschaffen werden? Wer erhält einen Lohn? Wie lange geht es noch weiter? Und wie putzt man ein so grosses Haus eigentlich? Ständig ging es nur um Geld. Aus heutiger Sicht lag der Fokus nicht nur dort, wo er hätte liegen müssen. Entscheide mussten getroffen werden, die auch etwas Unfaires an sich hatten. Die Bereitschaft im Quartier und darüber hinaus, das Neubad freiwillig zu unterstützen, war gross. Freiwillige übernahmen Sanierungsarbeiten, halfen bei Rück- und Aufbau. Mithilfe der Rettungsschwimmenden war es schliesslich möglich, das Haus zu eröffnen. Zum Zeitpunkt der Eröffnung waren die Schulden hoch, die Lage prekär. Aber die Anziehungskraft des alten Schwimmbads war von Anfang an gross. Sie ermöglichte und ermöglicht dem Neubad seine Existenz. Die Utopie schüttelte langsam den Traum ab und wurde zur Wirklichkeit. Heute arbeitet Daniela in Zürich und erzählt von der Strahlkraft, die das Neubad über die Luzerner Stadtgrenze hinaus hat. Menschen, die mit dem Neubad in Berührung kommen, tragen Freude und Geschichten nach draussen. Daniela empfand das Projekt immer als sehr wertvoll für Stadt und Gesellschaft. Viel Zeit, viel Energie und viel Herz hat sie investiert, schlicht weil sie an die Idee geglaubt hat.
ehemaliger Vorstand, 2012 bis 2015
Das Neubad ist ein Hallen bad, in dem man alles macht, ausser zu schwimmen – wobei das ja nur die halbe Wahrheit ist.
Sibylle Peter
Gleichzeitig mit dem ersten Bier, das über die Bar ging, hat Sibylle ihre Möbel in der WG aufgebaut. Viel Bier wurde 2013 allerdings noch nicht Das Neubad in einer Fotografie verkauft – niemand war im Neubad. Abends sass meist eine einsame Person rauchend vor dem alten Schwimmbad und wartete auf Arbeit. Wenn die Kellnerin Sibylle kommen sah, hob sie freudig den Kopf, weil sie sie mit einem Gast verwechselte. Die nachfolgende Enttäuschung konnte man in ihrem Gesicht lesen wie in einem Buch. Heute ist das nicht mehr denkbar; es wimmelt an der Bar von Gästen. Einmal ging das Gerücht um, das Neubad müsse schliessen, weil kein Geld mehr da sei. Das hat die Leute mobilisiert, noch einmal ins Bistro zu kommen. Seitdem ist es immer so voll wie an Blick auf die WG-Terrasse jenem Abend und man kann es sich gar nicht mehr anders vorstellen. Trotzdem nimmt Sibylle selten den Seiteneingang. Lieber läuft sie quer durchs Bistro, ihre erweiterte Stube. Auf dem Weg zum Lift stolpert sie manchmal über Kinder oder Kinderwagen. Der Lift verbindet die Stockwerke – den Keller mit dem Bistro, das Bistro mit dem Pool, den Pool mit der Wohnung, den privaten Wohnraum mit dem öffentlichen Leben. Hier zu leben ist auch mit der Faszination verbunden, ein Teil des Neubads zu sein. In ihrer Wohnung fühlt sich Sibylle, als throne sie auf dem Neubad. Die Partys, die Konzerte, die Filmabende, sie bekommt alles mit, kann aber jederzeit die Türe schliessen und ist trotzdem noch mittendrin. Sie befindet sich in der Schwebe über dem Gewusel. Der Lift als Verbindungsstück führt die Geräusche aus dem Gebäude in die Wohnung und Sibylle direkt in ihre Waschküche in den Keller. Manchmal steht sie dann plötzlich in Birkenstocks und mit ihrem Waschkorb unter dem Arm in einer Party im Klub. Ein andermal verirrt sich ein Partygast auf der Suche nach seinem Freund in ihr Wohnzimmer. Vieles wird zur Gewohnheit. Und in den Jahren, in denen sie hier wohnt, konnte sie nur fünf Mal nicht schlafen, weil es ihr zu laut war. Lieber sitzt sie noch bis in die frühen Morgenstunden am Klavier und freut sich, dass ihr Spiel das Neubad nicht stört. Dabei erinnert sie sich an seine jungen Tage: Wenn früher ein Konzert mit Flügel im Pool stattgefunden hat, stand das Instrument noch ein paar Tage dort, bis es abgeholt wurde. Dann hat sich Sibylle nachts manchmal in den leeren, grossen Raum geschlichen und an den Flügel gesetzt. Im Neubad prallen so viele Facetten aufeinander, aus der die Kultur entsteht, die Sibylle an diesem Ort schätzt. Sie sieht ein Plakat, das sie als Grafikerin anspricht, oder hört einen Soundcheck und besucht spontan das Konzert, nachdem sie ihre zwei Bienenvölker im Neugarten begrüsst hat. Wenn es das Neubad einmal nicht mehr gibt, werden viele gute Erinnerungen an eine WG inmitten kultureller Wellen bleiben. WG-Bewohnerin, seit 2013
Mario Stübi
Das alte Hallenbad Biregg hatte sich für die erste öffentliche Begehung nach seiner Schliessung herausgeputzt. Die Räumlichkeiten und Das Neubad als Formel die Ideen, die sie generierten, zogen viele in ihren Bann. Die meisten Interessierten waren das letzte Mal mit dem Schulschwimmen zu Gast in dem Hallenbad. Mario kann sich zwar schwimmend über Wasser halten, war aber froh, dass der Pool jetzt leer war. Er war immer neugierig, womit sich das Hallenbad wohl bald füllen würde, und war stets in Kontakt mit der Gruppe Leute, die sich bald Netzwerk Neubad nannten und die Zusage von der Stadt für das Gebäude erhielten. Demnächst kristallisierte sich ein Vorstand heraus, zu dem auch Mario zählte. Er koordinierte die freiwilligen Helfenden, startete fast täglich Aufrufe über Facebook und E-Mail. Er nannte sie Rettungsschwimmende, viele sind bestimmt heute noch im Verteiler. Als die Begrünung für den Co-WorkingBereich geliefert wurde, reichte das Geld nur für eine Lieferung bis auf den Vorplatz. Stundenlang füllten Freiwillige Erde und Pflanzen in kleine Töpfe und gingen damit vom Vorplatz in das ehemalige Kinderschwimmbecken und wieder zurück. Dieses Engagement war ansteckend und berührend. In der Zeit waren schöne Begegnungen genauso an der Tagesordnung wie nervenaufreibende Sitzungen. Finanzierungspläne scheiterten und Absagen erforderten ein ständiges Umdenken, aber der stete Glaube an das Projekt erzeugte ungekannte Emotionen. Die Vergänglichkeit der Zwischennutzung verstärkt den Identifikationscharakter. Aus all den Tränen und dem Schweiss, die geflossen sind, wurden Erfahrungen. Damals wie heute identifiziert sich Mario stark mit dem Haus. Auch wenn er nicht mehr im Vorstand ist, trifft man ihn dennoch regelmässig im Neubad beim Kaffee oder als Veranstalter an. Er organisiert seit Herbst 2015 einmal monatlich den Neubad Talk, eine Diskussionsrunde um politische Themen. Das Konzept funktioniert vor allem, weil das Neubad mit seiner politisch unvoreingenommenen Einstellung die Türen für alle öffnet. Es ist Marios Art, sich auszudrücken. Andere machen Sport, Mario den Neubad Talk. Die Energie, die er in das Projekt hineinsteckt, erhält er mehrfach daraus zurück. Die Vorstellung, dass das Neubad nach ein paar Jahren schon wieder Geschichte sein sollte, machte Mario anfangs noch unglücklich. Je länger das Neubad besteht, desto besser findet es Mario für Stadt und Gesellschaft, wenn wieder etwas Neues aufgebaut werden muss und daraus ein Kreislauf entsteht. Die Vergänglichkeit schüttelte ihren negativen Beigeschmack mittlerweile ab und hat gezeigt, wie viel Möglichkeiten aus ihr wachsen.
ehemaliger Vorstand, 2013 bis 2016
Begegnungen + Möglichkeiten Netzwerk + Ideen
Ramona Schneider
Die Eingangstüren waren noch verschlossen, dahinter Baustellenstaub Co-Geschäftsführung/Netzwerkarbeit, und Farbkübel. Das Neubad steckte 2012 bis 2014 inmitten von Renovierungsarbeiten. Wasser war keines mehr im Pool, Das Neubad in einem Moment aber noch standen die Garderoben, in denen sich einst Schwimmbegeisterte entkleideten, an Ort und Stelle. Das heutige Bistro war zu grossen Teilen mit Teppichboden ausgekleidet. Ramonas Arbeitswochen verstrichen in organisiertem Chaos und chaotischer Organisation. Das Neubad-Betriebsteam bestand damals nur aus Ramona und Adrian. Irgendwann verlangte das Haus nach einem Hauswart. Zu dritt haben sie tagelang den verleimten Teppichboden herausgezerrt. Die Arbeiten verliefen teils nach Plan, teils wurde experimentiert. Noch vor der Eröffnung wurden Atelierplätze vermietet, interessierte Neubadende wählten Grösse und Standort selber aus. So haben die ersten Mietenden bestimmt, wo sich die Atelierflächen heute befinden. In einer besonders chaotischen und intensiven Woche öffnete das Neubad schliesslich Bistro und Veranstaltungen für Gäste. Das Haus sollte sich gemeinsam mit seinen Nutzenden entwickeln. Eigenveranstaltungen waren nur in sehr geringem Ausmass geplant. Egal ob Hochkultur oder profane Anlässe, die Räumlichkeiten sollten vom Quartier bespielt und gestaltet werden. Potenzial sah Ramona darin, einen Raum zur Verfügung zu stellen. Auch wenn das bedeutete, Herausforderungen und Spannungsfelder in Kauf zu nehmen. Im Wissen, dass das alte Bad monatliche Kosten von über 10‘000 Franken verursachte, die Einnahmen gleichzeitig aber bei null lagen, war damals das Scheitern des Projekts viel wahrscheinlicher. Diese Ungewissheit war ständig präsent. Diskussionen mit der Stadt wurden geführt, aber um strategisch zu planen, fehlte oft die Zeit. Ramona war stets skeptisch. Was will die Stadt Luzern für einen Ort und was bedeutet das finanziell? Wieso haben nicht alle den gleichen Lohn? Braucht es einen Chef? Was unterscheidet das Neubad von anderen Kulturhäusern, abgesehen von seiner Hülle? Wie bleibt das Neubad wandelbar? Wenn es hier nicht möglich ist, verstaubte bürokratische Strukturen aufzubrechen, wo dann? Das Haus hätte, Ramonas Meinung nach, als Instrument im Diskurs über Kulturförderung anders eingesetzt werden können. Gespräche über Kulturfinanzierung hätten viel radikaler geführt werden müssen, auf die Gefahr hin, dass es damit endet, dass das Projekt eben nicht funktioniert. Dieser kritische Blick hat Ramona dazu bewegt, das Betriebsteam zu verlassen. Zurück bleiben viele kleine Fragezeichen und die grosse Frage nach dem Was-wäre-wenn. Heute vergleicht Ramona das Neubad mit einem «eingezäunten Spielplatz», trinkt aber trotzdem ab und zu ein Bier auf dem Vorplatz.
Fussball-WM 2014: Röhrenfernseher auf dem Vorplatz, Kabelsalat auf dem Boden, begeisterte Zuseher vor den Übertragungsgeräten. Wenn ein Bild zu flimmern begann, musste man dem Fernseher einen Schlag versetzen. Es ging nicht um Fussball, sondern um das gemeinsame Erlebnis.
Kim Schelbert
Die Idee für das Netzwerk Neubad ist lange oben im Dachsaal im Paulusheim herumgeschwebt. Damals war Kim eine der vielen Interessierten, Das Neubad in einem Satz die sich über die mögliche zukünftige Nutzung des Hallenbads austauschten. Nach ihrem Auslandsaufenthalt und Bachelorabschluss 2013 war inzwischen aus der Idee das Neubad im alten Hallenbad gewachsen und ein Betriebspraktikum ausgeschrieben. Zu ihrem Bewerbungsgespräch wurde Kim von der Geschäftsführung Adrian und Ramona sowie Mario als Vertreter für den Vorstand in der alten Männerdusche neben dem heutigen Betriebsbüro empfangen. Sie hatte kurz darauf knapp vor der Eröffnung ihren ersten Arbeitstag. Das Eröffnungsfest im September 2013 spülte eine Menschenflut in das halbfertige Haus, die nach dieser Nacht wieder abebbte. In seiner Anfangszeit besuchten hauptsächlich einige wenige Mütter aus dem Quartier mit ihren Kindern das Bistro. Die Gastronomie lief nicht so gut wie erhofft. Die Vermietungen des alten Schwimmbeckens dafür umso besser. Kim hatte viel zu tun. Das Telefon schellte pausenlos, Reservationsanfragen gab es sogar bis ins Jahr 2017. Obwohl das System zum Erfassen dieser Anfragen noch nicht ganz ausgereift war, koordinierte Kim die Veranstaltungen. Die Abläufe waren teilweise unklar, die Verantwortlichkeiten nicht geklärt und das Tagesgeschäft dadurch fehleranfällig und schwierig zu bewältigen. Der Betrieb war zu seiner Eröffnung noch nicht bereit. Die administrativen Schritte mussten sich parallel zur Betriebszeit entwickeln. Obwohl Kim «nur» als Praktikantin angestellt war, verlangte die Situation sehr selbstständiges Arbeiten. Chaos und Ungewissheiten sorgten im Team manchmal für Verzweiflung und ermutigten dennoch, Strukturen zu schaffen. Neben dem Tagesgeschäft nahm sich Kim scheinbar belangloser Aufgaben an, wie dem Aufsperren eines Schlosses. Links des heutigen Getränkelagers, vis-à-vis der Frauentoiletten, gab es einen riesigen Wandschrank. Der Schlüsselkasten des alten Hallenbads wurde komplett übernommen, allerdings war nicht immer klar, welcher Schlüssel zu welchem Zylinder gehörte. Und so spazierte Kim mit den Schlüsseln durch das ganze Haus und suchte das passende Schloss. Einige Türen konnten nicht mehr abgeschlossen werden, andere bekam sie nie auf. Inzwischen wurde der Schlüsselschrank umfunktioniert – Kaffee, Chips und Süssigkeiten werden darin gelagert – bezeichnend für das Neubad, das sich auch nach fünf Jahren Betriebszeit stetig im Wandel befindet.
Betriebspraktikum, 2013 bis 2014
Vielleicht existiert die Villa Kunterbunt doch tatsächlich.
Rosie Bitterli Mucha
Als früher die Luzerner und Luzernerinnen im Pool ihre Runden schwammen, roch es noch nach Chlor und der Hall im Bad verzerrte die Stimmen in unkenntliches GeDas Neubad in einem Satz wirr. Rosie war eine dieser schwimmenden Stimmen und erhielt mit zehn Jahren stolz ihr Rettungsschwimmer-Diplom. Jahrzehnte später half sie, dem Netzwerk Neubad den Weg in die alten Schwimmhallen zu ebnen. Als Chefin der Abteilung Kultur und Sport der Stadt Luzern sah Rosie es als ihre Aufgabe, dem leeren Gebäude neue Ideen zu schenken, und setzte sich für die Zwischennutzung ein. Das kulturelle Denken in Luzern sollte frisch belebt werden, denn die Stadt hatte klar das Bedürfnis nach Räumen, die Neues zulassen. Rosie war zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Sie wusste, dass das alte Hallenbad bald frei würde, und zog aus ihren Informationen die Konsequenz, Luzern eine Zwischennutzung zu ermöglichen. Zunächst musste der damalige Baudirektor überzeugt werden – vielleicht war er sogar viel mehr Wegbereiter, indem er dem Projekt nach einiger Überzeugungsarbeit schliesslich zugestimmt hat. Nach dem Beschluss, das Gebäude als Zwischennutzung einzusetzen, wurde eine Ausschreibung gestartet. Interessierte konnten sich mit ihrem Konzept bewerben. Von fünf eingegangenen Betriebskonzepten schafften es zwei in die Entscheidung. Rosie war als Jurymitglied zwar zu Objektivität, Gleichbehandlung und Verschwiegenheit verpflichtet, doch schlug ihr Herz immer klar für das eine Projekt. Am Ende hat sich das Neubad als ihr Wunschprojekt durchgesetzt. Neben dem Verdienst, die Zwischennutzung ermöglicht zu haben, ist Rosie gleichzeitig mitverantwortlich für die anfänglichen Schwierigkeiten und die Steine, die dem Neubad in seinen Kinderschuhen in den Weg gelegt wurden. Sie hatte keine andere Wahl, als das Gebäude ohne finanzielle Unterstützung abzugeben. Die Angst in politischen Kreisen, dass das Haus riesige Mengen an Steuer- und Kulturgeldern koste, war viel zu gross. Diese Ausgangslage führte zu enormen Schwierigkeiten beim Aufbau. Zudem mussten sich die Stadt und das Neubad erst im Austausch üben, sich als Partner finden und verstehen, vor allem, wenn die Interessen auseinandergingen. Dabei war wichtig, nicht gegeneinander, sondern miteinander an der Idee zu arbeiten. Man hat eine gemeinsame Sprache gefunden. Rosies Freude über das Neubad ist gross. So gross, dass sie vor Kurzem ein Fest zu ihrem 60. Geburtstag im Pool gab. Sollten die laufenden Verhandlungen über eine Verlängerung der Nutzungsdauer zugunsten des Neubads entschieden werden, wird Rosie womöglich auch noch ihren 70. hier feiern.
Chefin der Abteilung Kultur und Sport, Stadt Luzern, seit 2006
Ein Mix an Kultur und Menschen.
Adrian Steiger
«Was passiert mit dem in die Jahre gekommenen Biregg-Hallenbad, wenn es am 1. Juli geschlossen wird? Es soll anderweitig genutzt werden Das Neubad in einem Wort können – für 100’000 Franken im Jahr», titelte die Luzerner Zeitung im März 2012. Als Adrian den Artikel las, konnte er sich schlecht vorstellen, dass dieses riesige Bad als selbsttragendes Kulturhaus funktionieren soll. Wenig später fand er sich mit dem damals schon grossen Netzwerk Neubad, nach einer ersten Begehung in dem noch betriebenen Bad, im trockengelegten Pool wieder. Der Raum war aufgeheizt von der Sonne, die ihre Strahlen erbarmungslos durch die Glasfront streckte und die Dimensionen des alten Bades beleuchtete. Der Pool glänzte verheissungsvoll und strapazierte das Vorstellungsvermögen – noch war alles möglich in dem freien Raum. Die Ideen überschlugen sich wie einst die Wellen im Becken. Gemeinsam brachte man sie in eine Form; Adrian bastelte aus Zahlen und Spekulationen einen Businessplan – dann kam tatsächlich der Zuspruch der Stadt. Und mit einer unverhofften Geldspende der Genossenschaft Widder der Wendepunkt. Adrian und Ramona als Co-Geschäftsführende sowie ein Schwarm freiwillig helfender Hände trugen Bauschutt, Blumenerde und Farbkübel, der Vorstand das Risiko. Die Abrissarbeiten hatten begonnen, Brandschutzund Sicherheitsmassnahmen wurden installiert. Doch die unklare finanzielle Lage schwebte wie ein Schatten über dem Gebäude. Das Neubad hätte leicht als Bauruine enden können. Dennoch bezog Adrian zwischen den Bauarbeiten sein Büro. Wo seinerzeit der Bademeister Wächter über den Beckenrand war, versuchte er nun als Geschäftsführer, Entscheidungen zu treffen und gegenüber Partnern vertrauenswürdig aufzutreten. Kurz vor der Eröffnung erreichte das Chaos seinen Höhepunkt. Beim Bau ging es drunter und drüber: Hier passierte ein Planungsfehler, da mussten provisorische Alternativen gefunden werden, und mittendrin hielt die Hochschule Luzern einen Workshop ab. Das permanent klingelnde Telefon war kaum mehr zu hören. In Nacht und Nebel montierte Adrian die Veranstaltungstechnik für die erfolgreiche Eröffnung. Musik auf dem Vorplatz, Theater im Pool und überall Menschen. Die Offenheit des Hauses versprühte von Beginn an eine ansteckende Energie. Der einst leere Pool wurde vom freien Raum zum Freiraum. Nach der intensiven Bau- und Startphase konnte man langsam an die Schaffung nachhaltiger Betriebsstrukturen denken. Adrian, der ehemalige Geschäftsführer, Hauswart, Veranstaltungstechniker, Bauleiter und Buchhalter (nur an der Bar hat er im Neubad nie gearbeitet), entschied sich, Platz für Neue(s) zu machen.
Co-Geschäftsführung, 2012 bis 2014
Das Neubad ist, was wir von unseren Utopien in die aktuelle Luzerner Realität gerettet haben.
Dominic Chenaux
Kultur soll verbinden und zum Dialog anregen. Dieses Potenzial besitzt das Neubad. Das hat Dominic schon gesehen, als er noch stiller BeobDas Neubad in einem Satz achter war. Seit er im Frühjahr 2014 seine Stelle als Geschäftsführer angetreten hat, fliessen seine Energie und sein Herzblut rastlos in das alte Bad. Durch seine Erfahrung mit Zwischennutzungen, als Kulturmanager und Grafiker hat er den notwendigen Blick für das Hallenbad. Dennoch war Dominics Anfang überschattet von schwierigen Entscheidungen und radikalen Änderungen. In einem langen Prozess, zwischen Spüren des Hauses und Priorisieren, welche Massnahmen die wichtigsten waren, lernten sich das Neubad und sein neuer Geschäftsführer langsam kennen. Er zog seine Konsequenzen, hat klare Kompetenzen im personellen Bereich eingefordert, Preise angepasst, kostendeckende Offerten erstellt und für Sichtbarkeit gesorgt. Als Freiraum war das Haus nicht zu führen, dazu sind die Kosten viel zu hoch. Investitionen flossen in kaputte Heizungen und tropfende Rohre. Betriebswirtschaftliche Grundsteine zu legen, ist keine einfache Aufgabe, und die Gefahr, dass man dabei missverstanden wird, wächst mit den Entscheidungen, die man trifft. Dominic versucht die Balance zu halten, auf seine Meinung zu vertrauen und sich gleichzeitig immer selbst zu hinterfragen. So hat er das Neubad aus manch kritischer Situation manövriert. Noch heute ist das Betriebskonzept von 2013 die Vision, Dominic sein Wächter. Dominic hat seine Augen überall und überall gleichzeitig, ständig bedacht auf die Liebe zum Detail. An Führungen durch das Gebäude geht er allen pfeifend voran. Freudig lotst er durch das Labyrinth, das sich aus Ateliers, Bistro, Kinderschwimmbecken, Lüftungskeller und Klub zusammensetzt, und untermalt dieses mit Anekdoten. Auf dem Weg von Bistro zu Schreibtisch trinkt er die Hälfte seines Kaffees und sinniert über die um sich greifende Statik, an der die Kulturlandschaft erkrankt ist. Kunsthallen und Staatstheater stehen seit Jahrhunderten still. Wieso baut man riesige Hallen für ein paar Bilder, wo doch Platz eigentlich ein sehr grosses Bedürfnis ist? Werden wir immer grössere Hallen bauen, je mehr Kunstwerke wir besitzen? Wieso besetzt sie niemand? Persönlich ist Dominic erstaunt davon, dass er jetzt Klassik und die Ruhe mag, er dachte, das würde ihm nie passieren. Allerdings würde dann ja auch seine eigene Kultur stillstehen. Bestünde das Neubad noch bis ins nächste Jahrzehnt, es wäre für ihn eine Tragödie. Die Statik würde dann auch im alten Hallenbad eintreten, der Zwischennutzungscharakter wäre weggewischt. Damit die Stadt spannend bleibt, braucht sie Veränderung. Das Neubad muss in Bewegung bleiben, denn das alte Hallenbad hat sein Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft. Co-Geschäftsführung, seit 2014
Nur wer selbst brennt, kann Feuer in anderen entfachen.
Michelle Grob
Michelle fährt bei jedem Wetter mit dem Fahrrad ins Neubad. Bei strömendem Regen ist sie wie ein Fischer von Kopf bis Fuss in wasserabweisende Materialien gekleidet. Bei Das Neubad in einem Wort Sonnenschein hält sie am Weg zum Haupteingang im Garten an, wirft ein paar Schnecken auf die Strasse und Unkraut in die Tonne. Schon von Weitem sieht sie die beiden Hauswarte Andi und Bibu an einem Tisch auf dem Vorplatz sitzen und rauchen. Durch die gläserne Schwingtür geht es ins Bistro, dort steht meistens Milena an der Bar und macht Kaffee. Jeden Morgen erzählt Michelle ihr, wie der Milchschaum gelinge, stehe in direktem Zusammenhang mit einem guten oder schlechten Tagesverlauf. Im Büro wirft sie als Erstes einen Blick in ihr Postfach, sie bekommt kaum E-Mails, viel mehr Post und Rechnungen in Papierform. Früher noch arbeitete Michelle in einem der Neubad-Ateliers für die GWI (Gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft Industriestrasse) und übernahm dann ein Mandat im Betriebsbüro. Dieses fand man damals nicht ebenerdig, sondern einen Stock weiter oben im Kinderschwimmbecken im sogenannten Aquarium. Jedes Wort hallte dort wider, die Akustik war nicht besonders förderlich für das Betriebsklima. Es traf sich gut, dass ein paar Mieter ihr Büro wechseln wollten, der Hall von oben wurde gegen Kinderlachen unten im Bistro getauscht. So ist das Team viel direkter am Puls des Hauses. Seither verirren sich hin und wieder Menschen mit Badehosen in ihren Taschen zu Michelle, die ihnen dann geduldig erklärt, dass das Neubad kein Schwimmbad mehr sei. Michelle ist Künstlerin, ist fasziniert von Materialien und Problemstellungen. Kunst ist für Michelle stets prozessorientierte Projektarbeit. Die Arbeit im Neubad hat damit durchaus ihre Ähnlichkeiten, lässt Raum zur Gestaltung und nimmt all die Energie dankbar auf, die sie in das Haus investiert. In Form von neuen Bistrostühlen, einer gehäkelten Lampe hier, einem Blumenstrauss da oder liebevoll gestalteter Aufklebe-Tattoos beseelt Michelle das Neubad. Ihre Arbeit bietet in diesem Sinne auch die Freiheit, ein Kunstprojekt zu sein. Seit sie vom Neubad angefragt wurde, sieht sie in der Buchhaltung pure Entspannung und einen schönen Ausgleich zu ihrem künstlerischen Schaffen. Zahlen sind klar und strukturiert, während Kunst irgendwo in der Luft schwebt. Einmal im Neubad angefangen, rutscht man langsam immer mehr und mehr in das Labyrinth des Hauses und wird am Ende selbst ein Teil seines Wirrwarrs. Für das Neubad wünscht sich Michelle, dass es so richtig fulminant zu Ende geht. Ein Ende, an dem alle in schönen Erinnerungen tanzen. Ein Ende, an dem die Stadt Raum freigibt für viele weitere Zwischennutzungen, die beleben und Grossartiges schaffen. Finanzen/Personal, seit 2014 Co-Geschäftsführung, seit 2017
Banana Accounting Software
Frank und Yves Matter
Das Neubad gab es damals schon – oder erst? – ein Jahr. Ihre erste Stammgäste und Rettungsschwimmer, Verabredung hatten Frank und Yves seit 2014 an genau dem Tisch, an dem sie jetzt fast täglich sitzen und ihren FeierDas Neubad in einem Wort abend gemeinsam geniessen. Yves fand damals, das Neubad sei ein ruhiger und gemütlicher Ort für ein erstes Treffen, und hatte es kurzerhand vorgeschlagen. Und nicht nur weil die Tapete im 70er-Jahre-Stil, die Yves Wohnung zierte, so schrecklich war, sind die beiden wenig später zusammengezogen. Schliesslich und endlich heirateten die beiden und schmissen ein rauschendes Fest – wie könnte es anders sein – im Neubad. Der schicksalhafte Tisch steht treu links neben der Bar als Sinnbild vieler gemeinsamer Stunden. An der Hochzeitsfeier fanden sie eine Tafel darauf, beschrieben mit weisser Kreide: «Reserviert für die besten Stammgäste: Yves und Frank». Und drehte man das Schild um «2 Grosse, bitte» – geschenkt. Erst war die Bar einfach nah, wuchs ihnen mit der Zeit aber immer mehr ans Herz. Schliesslich sind sie ein Teil davon geworden und gehören nun zum Inventar – und umgekehrt das Inventar zu ihnen. Das Neubad strahlt eine Kultur des Willkommenseins aus. Ein offenes Haus für alle, die seit der Eröffnung 2013 das Neubad nach und nach gestalten. Eine Zeitlang wurde das Bistro nicht nur wegen des guten Kaffees gefühlt jeden Tag voller. Die bunte Auswahl an Veranstaltungen lockte und lockt immer mehr neugieriges Publikum, das das alte Hallenbad zu verändern begann. Auch Frank und Yves verbringen ihre Stunden am Valentinstag im Poolkino, an Sonntagen vergessen sie die Zeit am Flohmarkt und hin und wieder stehen sie lauschend an einem Konzert im Keller. Als Rettungsschwimmer wollen sie etwas zurückgeben, helfen an der Kasse oder schenken Getränke an der Poolbar aus. Die als freiwillige Helfer verdienten Gutscheine verwandeln sich bald an ihrem Stammplatz in zwei Grosse. Oft hören sie dabei Gäste in Erinnerungen schwelgen, wie sie sich gegenseitig die Einrichtung des ehemaligen Hallenbads ins Gedächtnis rufen. Hier verflechten sich alte Erinnerungen an Schwimmunterricht und Pommes frites mit neuen an Konzerte und Pizza auf dem Vorplatz. Am Tisch links von der Bar trifft man verlässlich auf Frank und Yves. Dort verschluckt das Stimmengewirr im Bistro ihre Gespräche und die Gedanken daran, wie es sein wird, wenn es das Neubad einmal nicht mehr gibt.
F In einem Wort? Das geht gar nicht! Dann müsste es ja eigentlich sein: unbeschreiblich. Y Ein Treffpunkt für Jung, Alt und alle Kulturen. F Die kulturelle Perle im Quartier... für alle. Y Ja, das ist gut. F Wenn ich vom Neubad erzähle, dann selten in einem Satz.
Urs Emmenegger
«Was würdest du dich selbst bei diesem Interview fragen?» Nach einer Denkpause: «Arbeitest du eigentlich gerne im Das Neubad in einem Satz Neubad? Du schaust immer so ernst.» Ja, der ernste Blick trügt. Urs bezeichnet seinen Job im Neubad nicht nur als Beruf, sondern vielmehr als Berufung. Morgens geht er über den noch leeren Vorplatz ins Büro und verliebt sich dabei immer wieder neu in das alte Bad. Er knipst das Licht über dem Tisch und dann seinen Computer an. Die Mailbox ist immer voll. Auch wenn alle zehn Minuten das vertraute Geräusch einer eingehenden Mail eine Konzertanfrage ankündigt, hat er nur minim Zeit, sich mit Musik auseinanderzusetzen. Urs ist alles andere als Booker. Urs ist Veranstaltungsleiter. Er könnte zwar den ganzen Tag Musik hören, aber manchmal sind die Kopfhörer in seinen Ohren stumm. Sie erfüllen trotzdem ihren Zweck, denn sie schirmen ihn gegen das Bürogewusel ab. Auch diesmal kommt aus den Kopfhörern keine Musik, weswegen Urs die Theatergruppe, die zur Besichtigung des Pools ankommt, gleich bemerkt. Er führt sie durch den Künstlereingang auf die Bühne. Eine der Schauspielerinnen ist sichtlich verwirrt und fragt: «Oh. War das mal ein Pool?» Solche Fragen hört Urs zur Genüge und macht sich dann und wann einen Spass daraus. «Ach», winkt er ab, «das haben wir originalgetreu so nachgebaut.» Eigentlich trifft Urs gerne Entscheidungen, fragt man ihn aber nach seiner liebsten Veranstaltung in all den Jahren, zögert er. Von den Hunderten Anlässen, die Urs schon im Neubad erlebt hat, liegen ihm die schrägen und wilden besonders am Herzen. Ausufernde Partys im Keller oder Andy Shaufs Gartenkonzert wecken goldene Erinnerungen und versetzen ihn in Faszination. Das Wunderbarste an diesem Haus aber ist, dass alles möglich ist. Egal ob Theater, Podium, Konzert, Ausstellung, Installation … in allem entdeckt Urs etwas Schönes, Spannendes, Zusehens- und Zuhörenswürdiges. Auch nach fünf Jahren hat er noch so manches Mal Gänsehaut, wenn er am Poolgelände lehnt und von oben auf Bühnengeschehen und Publikum blickt. Dort unten sammeln sich all die aussergewöhnlichen Komponenten, die das Haus einmalig machen. Fast am liebsten steckt Urs als soziokultureller Animator und Kulturmanager andere mit Ideen an, ist Raumermöglicher. Er schätzt es, mit so vielen unterschiedlichen Menschen zusammenzuarbeiten. Sie alle bringen eine lebendige Mischung aus Chaos, Leidenschaft, Kreativität und Organisation ins Neubad. Dieses Schwimmbad ist ein Ort, den man erst von seiner alten Nutzung befreien und sich aneignen musste. Es war viel Improvisationsarbeit notwendig, aber die entstandenen Ideen, die gemeinsam vom Team hineinflossen, schaffen ein hohes Mass an Identifikation. Früher noch versetzte der begrenzte Zeithorizont viel mehr in einen Rauschzustand. Die Abende, an denen man Pingpong gespielt hat und ewig an der Bar verhockt ist, haben abgenommen. Das Kribbeln aber ist geblieben. Die zukünftige Herausforderung ist, sich entgegen der Kritik nicht in ein reines Kulturzentrum zu verwandeln. Man darf nicht aufhören, sich frisch zu erfinden, glaubt Urs. Wenn ihn der Hunger auf Kultur kurzzeitig verlässt, wünscht er sich ein Ruhetage-Festival im leeren Pool, in dem gleichzeitig alles möglich ist und nichts passiert. Leitung Veranstaltungen, seit 2014
Ich musste 40 Jahre alt werden, um meine Traumstelle zu finden.
Laura Röösli
Als Laura im September 2013 von ihrer Südamerikareise zurückkam, auf die sie ein Koffer voller Bücher über Schiffsabenteuer begleitete, begann sie im Neubad an der Bar. Kaffee und Bier begleiteten fortan ihre Tage. Dazu kamen Aufrufe zur Das Neubad in einem Wort freiwilligen Arbeit und Laura fand sich auch ausserhalb ihrer Arbeitszeiten im Bistro wieder, um dieses umzuräumen oder die Küche zu putzen. Mit der Zeit verliebte sie sich nicht nur in das Haus. Neben ihrem Studium in Zürich hatte sie eines Tages zuerst die Stellvertretung der Gastroleitung und in der ersten Woche schon zwei grosse Catering-Anlässe übernommen. Die erfolglose Suche nach den Chafing-Dishes endete in der Küche. Ein grimmiger Koch stand dort am Herd, der sich an den Kopf langte, weil er die Behälter ausgeliehen hatte. Auf ihre Bitte nach Hilfe und Improvisation antwortete Pädi knallhart: «Was weiss ich, du bist die Gastro-Leitung.» Laura schoss aus der Küche und eine Träne der Verzweiflung in ihre Augen. Kaum war sie getrocknet, war Laura zurück in der Küche. Patrick war jetzt gar nicht mehr so grimmig, auch er musste etwas weinen im Keller. So hat sie Pädi kennengelernt und ins Herz geschlossen. Schliesslich übernahm Laura nicht nur die Stellvertretung, sondern die Leitung der Gastronomie. Als sie an einem heissen ersten Juli- sowie Arbeitstag das Neubad mit neuem Blick betrat, hiessen sie zwei Informationen willkommen. «Nummer eins: Unsere Köchin bekommt ein Kind und ist ab jetzt nicht mehr da. Nummer zwei: Wir haben allen Barmitarbeitenden einen 3-Tages-Pass für das B-Sides Festival kommendes Wochenende geschenkt. Da musst du ein bisschen schauen, ob überhaupt jemand da ist.» Hinter der Bar liess sich niemand blicken, vor der Bar umso mehr. Für die Gäste gab es Burger, für Laura viel zu tun. Valentin kam da wie gerufen, spazierte mit seinen Bewerbungsunterlagen nichtsahnend in das Chaos und wurde sofort eingestellt. Über die Monate und Jahre stauten sich hinten im Büro die E-Mails, es stapelten sich die Catering-Anfragen und Offerten. Mit dem Arbeitsberg wuchs langsam, aber stetig auch das Gastro-Leitungsteam. Mittlerweile hat Laura den Computerbildschirm zumindest teilweise gegen zischende Pfannen und blubbernde Töpfe getauscht und teilt sich mit Pädi die Küche. Wie Laura in die Leitungsposition hineingewachsen ist, ist sie auch in die Küche hineingewachsen. Als Köchin gibt sie mit jedem Teller Persönliches von sich preis. Beim Essen sollte man so viele Komponenten wie möglich entdecken. Das Schönste für sie ist, zu überraschen und herauszufinden, wie dieser eine Geschmack in das Gericht gekommen ist, der so frech neben dem Kraut und dem Gemüse auf der Zunge hüpft. Das ist wohl der Grund, warum Laura keine Spaghetti mit Pesto mag. Die werden neben Schnecken und Innereien wahrscheinlich nie auf ihrer Karte stehen. Mit dem Frachtschiff braucht man 32 Tage nach Brasilien. Auf Lauras Neubad-Reise ist auch nach 1065 Tagen noch kein Land in Sicht.
Mitarbeit Gastro, 2013 bis 2014 Leitung Gastro, 2015 bis 2016 Co-Leitung Gastro, seit 2016 Co-Leitung Küche, seit 2018
emozionante
Patrick Pädi Schwehm
Die Tofu-Firma, für die Pädi in Deutschland arbeitete, bewilligte ihm einen Winterurlaub. Das war vor 20 Jahren. Seitdem lebt er in der Das Neubad in einem Rezept Schweiz und im Urlaub in Asien, weil er sich in die asiatische Küche verliebte. Schon mit neun Jahren besuchte Patrick einen Kochkurs. Backen lernte er von seiner Grossmutter, viele Stunden verbrachten sie gemeinsam mit Teig und Cremes. Mit seinem Vater stand er am Grill, mit seiner Mutter am Herd. Als im Neubad ein Koch gesucht wurde, schnappte Pädi kurz entschlossen seinen Lebenslauf und spazierte über den blauen Boden der Zwischennutzung auf die Bar zu. Dahinter putzte jemand den Tresen. Betriebsleiter Dominic kam ihm aus dem Büro entgegen. Damals war alles improvisiert. Mittags holte man den Grill von draussen in die Küche. Meistens arbeitete nur eine Person an der Bar, die nebenbei grillierte. Dazu gab es Salat. Diese erste Impression von Improvisation und Fantasie schreckte ihn keineswegs ab. Pädi wurde zur Probe in die Küche gebeten. Er zauberte Hacktätschli, Kartoffelstock und Ratatouille – und blieb. Die Neubad-Zukunft war ungewiss. Ungewiss, ob die nächsten Monate finanziell zu bewältigen waren. Aber dann füllte sich das Bistro mittags zunehmend, Anfragen nach Apéro und Caterings nahmen zu und liessen das Un- vor der Gewissheit verblassen. Vorerst hantierte Pädi alleine mit Messern und Kochlöffeln, schnitt Gemüse und hackte Kräuter. Dann kamen vier helfende Hände dazu: Gnanamanochari und Alan richten an, waschen ab und ertragen Pädis Neigung zum Perfektionismus. Seine Freude am Kochen hat dieser niemals getrübt. Seit Kurzem hat Pädi ein neues Tattoo, der Totenkopf auf seinem Hals kreuzt seitdem Messer und Schneebesen. Das Neubad bietet Raum für Experimente und Selbstständigkeit. 80 Mittagsmenüs wurden gekocht, die Zigarette danach eben geraucht, da ruft Laura an, sie sei krank und könne ihren Einsatz am Abend nicht übernehmen. Laura ist ihm so oft zur Seite gestanden, dass er jederzeit für sie einspringen würde. Also schmeisst Patrick am Abend Pizzateig um Pizzateig in die Luft. Montags überlegt er sich die Speisekarte für die anstehende Woche. Die Menüauswahl ist im Frühjahr besonders einfach, weil Spargelsaison ist. Das erste Gericht, das er mit seiner Oma kochte, steht häufig auf der Karte: Spargel-Omelette. Und auch den Tofu der deutschen Firma verarbeitet Patrick heute in der Neubad-Küche. Küchenchef, seit 2014
Mirjam Steffen
Es gab eine Zeit, in der die NeubadTerrasse langsam erblühte. Der Neugarten war eingezogen, zog Tomatensetzlinge, säte Pflanzen und erntete Kräuter. Mirjam goss an Das Neubad in einer Fotografie manchen Abenden die Blumen. An manchen Nachmittagen topfte sie Gemüse um. Und in manchen Nächten arbeitete sie daran, ein öffentliches Fotolabor im Neubad aufzubauen. Die meiste Zeit aber ging sie ihrem Kunststudium nach und vertiefte ihre Liebe zur Fotografie. Das nahm immer mehr Zeit in Anspruch und so musste Mirjam nach und nach auf Gemüse und Fotolabor verzichten. Jedoch nicht zur Gänze auf die Neubad-Welt, denn an der Bar waren mittlerweile Mitarbeitende gesucht. Dadurch bekamen Kunst und Studium mehr Raum und die Gäste ihre Getränke Neubad-Pool von Mirjam. Am liebsten sind ihr die Abende. Sie kündigen sich bereits am Nachmittag an, wenn sich das Bistro im Schwebezustand befindet: Latte macchiatos mit Sojamilch und Sirup gehen langsam in Foccacias und Proseccos über; Kinder und Eltern weichen langsam einer Bier trinkenden Gesellschaft. Früher zierte ein kleiner Glaskasten das Neubad-Bistro, in dem Design- und Kunsthandwerkzeug zum Verkauf angeboten wurde. Eines Tages war er befreit von Inhalt und Sinn, wurde als Ablage für Gläser benutzt und langsam vergessen. Bis Mirjam und Milena der gläsernen Kiste ein neues Leben an der Aussenmauer des Neubads schenkten. Der winzige Raum wurde zum kleinsten Kunstraum der Stadt, dem Keinraum. Alle Ausstellungen hatten bisher eines gemeinsam: sie waren sehr unterschiedlich. Lotta Gadola spielte mit dem Gedanken, einen toten Fisch hineinzulegen, hat sich dann aber doch für eine Fotografie entschieden. Je nachdem, wie man darauf blickte, sah man erst gar nicht, dass es lediglich ein Foto und nicht der tote Fisch selbst war. Im Spiel mit dem Wort montierte Timo Müller den ganzen Kasten ab. Oft laufen Menschen zufällig vorbei und riskieren einen Blick, ohne zuvor irgendein Hindernis wie Öffnungszeiten oder Eintritte überwinden zu müssen. Der Keinraum ist Kunst für alle, die ihre Augen ein wenig öffnen. Den Keinraum kuratiert Mirjam, in der Neubad-Galerie hingegen war sie 2018 selbst ausstellende Künstlerin. In dem Labyrinth aus Stiegenhaus, Duschsäulen und Plättli ordnete sie ihre Fotografien an. Diese bewegen sich zwischen Spontanität und Inszenierung. Die manchmal unbequemen, aber ehrlichen Fragen, die ihre Bilder spiegeln, geben keine Antworten, sondern erweitern sie visuell. Zur Vernissage wünschte sie sich Prosecco und Pommes. Mirjam fragt sich selbst und die Betrachtenden: «Wem gehört die Welt?» Künstlerin, Keinraum Kuratorin, Mitarbeit Gastro, seit 2015
Dominika Jarotta
Töne im Ohr, den Fahrtwind noch im Gesicht sperrt Dominika ihr Velo auf dem Vorplatz ab. Dabei erinnert sie sich an ihren ersten Arbeitstag im Neubad vor mittlerweile fast Das Neubad in einem Wort zwei Jahren, an dem sie traditionellerweise erst einmal mit einer Tasse Kaffee begrüsst wurde. Seitdem steckt die Literaturwissenschaftsstudentin ihre Energie und Leidenschaft in das alte Hallenbad. Hier hat sich ihre Liebe zur Musik während des Praktikums mehr und mehr entfaltet und neue Formen angenommen. Die Liebe zum geschriebenen Wort wurde dadurch nicht im geringsten getrübt. Dominika hat «Die Stunde der wahren Empfindung» auf die Keller-Bühne geholt – eine Lesebühne mit Motiv. In intimer Klubatmosphäre teilen Lesende zum ersten Mal vor Publikum zart und stark zugleich ihre Worte. Dabei geht es oft um sehr persönliche Erfahrungen, was die Texte besonders empfindsam macht. Obwohl nur ein Abend von dem Motiv «verliebt» umrahmt wurde, haben sich fast alle Texte immer irgendwie um die Liebe gedreht. Jeder hat Gedanken und Bilder dazu im Kopf, die verschiedenen Interpretationen überdehnen den einzelnen Motivbegriff, das findet Dominika spannend. Ein vergnügtes «Guten Morgen» holt sie aus ihren Gedanken. Inzwischen ist sie nicht mehr Praktikantin, sondern für das Kellerklubprogramm zuständig. Sie erwidert den Gruss und startet ihren Computer, eine Mailflut spült Konzertanfragen in den Posteingang. Sie beginnt Musik zu hören. Dominika hat eine Vorliebe für düstere Klänge mit verträumten Elementen. Sobald die Melodien etwas zu kommunizieren vermögen, das sich nicht in Worte fassen lässt, hört sie genauer hin, lässt sich treiben auf klanglichen Teppichen im Spiel mit feinen Elementen. Das verhält sich wie mit der Literatur, die durch ihre Sprache schafft, für etwas Worte zu finden, wofür es eigentlich keine Worte gibt. Ein Lied kann simpel und reduziert sein, aber durch einen poetischen und intellektuellen Text überzeugen. Dominika stellt sich immer zuerst bildlich vor, wie die Musik den Keller beschallt und wie die Gäste auf sie reagieren, welche Welt der Künstler oder die Künstlerin um sich herum schafft. Diese Welt ergänzt Dominika mit einem Veranstaltungstext auf der Website. Der Moment des Veröffentlichens ist immer der spannendste und erfüllt sie mit Faszination. Im nächsten Moment findet sich Dominika in dem Keller wieder, in dem sie sich gerade ein Konzert vorgestellt hat. Noch bedeckt Staub den Boden, der Klub befindet sich momentan im Umbau. Sie sieht den Raum, wie er ist: roh und industriell, dazu denkt sie sich eine Nuance verspielter Details und lässt den Klub vor ihrem inneren Auge entstehen. Irgendwann wird es das Neubad nur noch im Herzen geben, andere Orten werden die Lücke füllen müssen, die das alte Hallenbad wohl hinterlassen wird. Bis es so weit ist, freut sich Dominika daran, hier ihre Handschrift einbringen zu dürfen und das zu machen, was sie gerne macht: Musik programmieren, Musik hören und Leute zum Tanzen bringen. Dort, wo dunkles Licht den Raum verhüllt. Praktikum Kulturmanagement 2016 bis 2017, Leitung Klub, seit 2018
eintauchen
Anika Zuurendonk, Eleonora Camizzi, Nora Ly
Vis-à-vis der Feuerwehr, hinter dem rosaroten Haus, dort wohnen Anika, Eleonora und Nora. Ihr Haus ist weiss, alt und hat grüne Fensterläden. Die Fenster im zweiten Stock Nachbars-WG, seit 2016 gehören zu der Wohnung, in der sich die drei jungen Frauen seit zwei Das Neubad in einem Satz Jahren ihre Leben teilen. Anika ist Jusstudentin, Nora studiert klassischen Gesang und Eleonora Dokumentarfilm. Als sie einzogen, stand das Neubad schon in voller Blüte. Durch das Fenster im Wohnzimmer fällt der Blick auf die eine Terrassenhälfte des Neubads, die andere versteckt sich hinter dem rosaroten Haus. Im Winter ist die Terrasse trist und grau, aber mit den ersten Sonnenstrahlen erwacht dort auch das Gartenprojekt Neugarten jeweils zu neuem Leben. Dann sehen Anika, Eleonora und Nora abends oft, wie sich winzige Menschen einen Weg durch das Grün bahnen und Tomaten, Kürbisse und Brombeeren bewässern. Auf dieser Seite legt sich am Abend oft eine Stille über das Haus, die der Haupteingang kaum kennt. Nein, laut sei es in all den Jahren noch nie gewesen. Keine Poolkonzerte, keine Disko, keine Laubbläser. Sie haben nur von Lärmbeschwerden gehört. Womöglich liegt es auch daran, dass die WG der Neubad-Rückseite zugewandt ist. Wenn Anika von der Universität nach Hause kommt, ist der Vorplatz vor allem im Sommer immer voll. Die bunten Fähnchen, die warmen Lichter und das Stimmengewirr laden ein, sich unter einen der Bäume zu setzen, zu jassen und etwas zu trinken. Eigentlich trifft Anika immer irgendwen im Neubad. Manchmal nimmt sie mit ihrem Fahrrad bewusst einen Umweg, um dem vollen Vorplatz auszuweichen. Denn auf dem Heimweg ist das Neubad ein gefährlicher Ort, besonders dann, wenn man eigentlich niemanden antreffen möchte. Bis vor Kurzem noch hat sie manchmal Eleonora nach ihrer Arbeit besucht, die im Frühling ihr Film-Praktikum in einem der Ateliers im Neubad absolvierte. Nora blickte schon von der Bühne auf das Neubad. Zwei Konzerte hat sie mit dem Luzerner Chor Molto Cantabile hier gesungen – im Publikum Anika und Eleonora. Gemeinsam lassen die drei gerne ihre Abende bei Pizza oder an Konzerten ausklingen. Das Neubad ist für sie so etwas wie ihr erweitertes Wohnzimmer. Hin und wieder denken sie an einen Tapetenwechsel, aber dann zieht sie das Neubad erneut in seinen Bann.
Ein Nachbar, den man lieb gewinnt.
Laurin Schwob
Bislang existierte das Neubad für Laurin nur im Internet. Auf der Website geben zum Wochenanfang veröffentlichte Texte eine Übersicht Das Neubad in einem Satz über das Programm. Die kurzen Wochenübersichten gleichen einer Kolumne. Laurin las sie immer. Er malte sich mithilfe der Buchstaben diesen Ort aus, der in seinen Gedanken langsam Gestalt annahm. Schliesslich waren zwei Stellen im Neubad ausgeschrieben, die eine zur Mitarbeit an der Bar, die andere als stellvertretende Leitung Gastronomie. Damals studierte er Medienwissenschaft und Wirtschaft an der Universität Basel. Nachdem sich aber Studium sowie Wohngemeinschaft dem Ende zuneigten, entschied Laurin, sich im Neubad zu bewerben – und zwar für die Stellvertretung, obwohl er zu dem Zeitpunkt kaum Gastroerfahrung hatte. An diesem Abend betrat er ein randvolles Bistro. Gesprächsfetzen flogen ihm um die Ohren und der Duft nach Essen stieg in die Nase. Kurz darauf fand er sich Dominic, dem Geschäftsführer, gegenüber. Laurin war überrascht, als er zum Probearbeiten eingeladen wurde, und noch überraschter, als er eingestellt wurde, obwohl schon Bierzapfen eine Herausforderung darstellte. Nach drei Monaten Probezeit bekam Laurin die stellvertretende Position. Anfangs war die Situation speziell, weil er vor nicht allzu langer Zeit vom Barteam instruiert wurde. Ein buntes Team aus Individualisten, das Laurin heute ab und zu vor Herausforderungen stellt, aber gleichzeitig mit Liebe und Engagement begeistert. Das Neubad bestand schon zweieinhalb Jahre und war stetig gewachsen. Zu diesem Zeitpunkt war es wichtig, bestehende Strukturen auszubauen und zu professionalisieren. Nach zwei Jahren Bürotisch an Bürotisch mit dem Veranstaltungsteam liess Laurin sich schliesslich dazu überreden, ein Konzert im NeubadKeller zu spielen. Zusammen mit seinem alten Mitbewohner, dem Luzerner Musiker Sebastian Meyer, hauchte er den Songskizzen in seinem Kopf Leben ein. An diesem Abend schaffte er sogar, die nicht abgeräumten Tische zu ignorieren, und genoss die unaufdringliche Gastfreundschaft des Hauses. Hin und wieder gelingt ihm das auch als Gast an Veranstaltungen, am liebsten an installativen oder performativen, die mit den Räumlichkeiten des Neubads spielen. Die räumliche Erfahrung hat Laurin schon von Anfang an fasziniert. Besuchende werden von dem niedrigen Eingang empfangen, der graue Beton hängt wachend über dem Vorplatz. Wagt man sich aber nach drinnen, öffnet der Pool ein Gefühl, das nur so grosse Räume erzeugen können. Das Besondere ist, wenn es eine Veranstaltung schafft, diesen Effekt einzufangen. Wenn Laurin sich den Platz in einer Zeit vorstellt, in der das Neubad Vergangenheit ist, sieht er nichts mehr von dieser zwar seltsamen, aber auch charmanten Architektur. Er malt sich eine Betonlandschaft aus, unten Vitrinenfenster mit Blick in den künstlichen Garten, oben sterile Wohnungen. Aber vielleicht ist diese Vorstellung auch bloss darum so trostlos, weil das Neubad dann Geschichte ist. Laurin fährt dann jedenfalls erst mal in die Ferien.
Co-Leitung Gastronomie, seit 2016
Das perfekt koordinierte Chaos.
Loris Ciresa und Marco Baltisberger
Eigentlich wollte Marco mit Loris eine Band gründen, weil der so gut aussieht. Beide haben an der Hoch Ateliermieter, seit 2017 schule Luzern studiert, Loris Film und Marco Kunst. Marco versuchte Das Neubad in einem Bild damals schon fast ein Jahr, selbst Hüte zu herzustellen. Sie sollten aber erst mit Loris die richtige Gestalt annehmen: Moa Hats. Moa ist ein ausgestorbener Urvogel. Loris und Marco haben diesem australischen Dinosaurier ein neues Leben eingehaucht. Auch heute tragen die beiden Hut. Marco anthrazitgrau, Loris weinrot. Schon von Weitem sieht man sie über den Vorplatz in ihr Büro in der alten Sauna des Neubads schlendern. Schliesst man die Augen, riecht es dort noch nach Eukalyptus. Der Raum hat sich über die Jahre in ein Nähatelier verwandelt. Holzspäne, Staub und Filzfussel fliegen dort durch die Luft. In der winzigen Werkstatt, die früher eine Toilette war, türmt sich das Holz, aus dem Kopfformen geschnitten werden. Gleich neben dem Eingang dampft friedlich die Dampfmaschine, macht Filz sowie Stroh geschmeidig und erinnert an die Sauna, die einst hier war. Den Filz ziehen sie über einen der vielen Holzblöcke, je nach Kopfgrösse, für die der Hut bestimmt ist. Das Werkzeug, mit dem Marco anschliessend die Krempe zuschneidet, hat er selbst aus alten Dachlatten gebastelt. Neben ihm türmen sich Stoffreste, Federn und Bänder zur Verzierung, darunter die Nähmaschine und ein fast antikes Bügeleisen. Das Holzschleifgerät daneben glättet zum Schluss die Hutoberfläche. An der Wand gegenüber hängen sorgfältig sortiert die fertigen Exemplare. Zwischendurch gibt es immer wieder längere Phasen, in denen die Hüte trocknen müssen. Dann findet man Marco an Vernissagen in der Neubad-Galerie oder beim Keinraum. Loris arbeitet häufig in der Nacht, wenn seine zweijährige Tochter schon schläft. Er schleift gerade einen Block für ihren Kopf, damit auch sie bald einen Hut tragen kann. Oft schleicht sich die Musik aus dem Pool durch den Türspalt in das Atelier. Dann stehen Loris und Marco manchmal gemeinsam vor der gläsernen Fluchttür, die in den Pool führt, und erhaschen von dort einen Blick auf das Konzert. Am schönsten aber sei es, zu arbeiten und zu wissen, dass das Neubad rund um sie in Bewegung ist. Während sie Filz formen und Hüte nähen, pulsiert das Haus bis ins Atelier. Für beide als Nicht-Luzerner ist das Neubad ein wichtiger Ort, um sich in der Stadt zu Hause zu fühlen. Einmal standen Loris und Marco selbst gemeinsam auf der schummrigen Keller-Bühne. Dort hat Loris italienische Gedichte gelesen, denen Marco auf der Gitarre die zweite Stimme gespielt hat. Ihre Melodien haben sich in dem Gedanken vereint, dass sie für diesen einen Abend doch noch eine Band gegründet haben.
Das Neubad ist wie ein Bienenvolk im Winter, das sich durch Bewegung warmhält. Honigbienen bilden eine Traube, in der sie beharrlich von aussen nach innen laufen. Genauso ist das Haus ständig in Bewegung und verstreut seine kulturellen Pollen in der Gesellschaft.
Eva Schöpfer
Vor Kurzem hat Gastroleiterin Laura ihren Schreibtisch aufgeräumt und ihren Computerbildschirm 90 Grad nach links gedreht. Wenig später Das Neubad in einem Wort stand ein zweiter Computer auf ihrem Pult und kündigte Eva an. Sie ist als Leiterin für Caterings Teil der Teamfamilie geworden. Für die Aufregung, an einem neuen Arbeitsplatz zu beginnen, hatte sie keine Zeit. Eva hatte noch nicht einmal ihren Laptop aktiviert, da fand schon eine Hochzeit im Pool statt. Das kalte Wasser, in das sie geschmissen wurde, bestand in Evas Fall aus Wein. Die ganze Nacht schenkte sie Rot-, Weiss- und Schaumwein aus. Mittlerweile ist der Computer eingeschaltet und das, was man als Gast im Neubad als Chaos wahrnimmt, hat sich hinter der Kulisse als Struktur entpuppt. Langsam ist Eva angekommen an diesem Ort, wo Leidenschaft Rezept ist und sie ihre Kuchen am Betriebsteam testen kann, weil sie selbst nicht gerne Süsses isst. Das Backen hat sie während ihrer Ausbildung zur Köchin gelernt. Morgens schreibt Eva To-do-Listen und wird noch während des Planens unterbrochen. Jemand möchte sich den Pool für einen möglichen Firmenanlass ansehen. Der Interessent in dem dunklen Anzug mit weissem Einstecktuch lässt das alte Bad erst noch älter wirken. Eva blickt gerne hinter Kulissen und findet hinter dem herausgeputzten Jackett bald einen heiteren Menschen, der sich überraschenderweise dem Topf entzieht, in den man ihn schon schmeissen wollte. Obwohl die Veranstaltenden so verschieden sind, scheinen sich alle in der Atmosphäre des alten Hallenbads wohlzufühlen. Vom vorerst nur geplanten Abendessen geht es direkt ins Bistro zu duftenden Menüs, die serviert werden wollen. Klapperndes Geschirr, das Quietschen des Milchschäumers und das Brummen der Spülmaschine untermalen die Hektik, in der die Gedanken zurück zu der unfertigen To-do-Liste und zum Catering-Anlass am Abend schweifen. Für dieses wird im nächsten Moment das Buffet geliefert. Eva lotst die Lieferung in die Meersicht. Was nach rauschendem Wellengang klingt, ist in Wirklichkeit die Eventküche. Dort steht sie jetzt und blickt in den Pool. Die beleuchtete Rutschbahn taucht den Raum in ein kühles Blau, es mischt sich mit dem warmen Gelb der Lichterketten auf dem Vorplatz, das durch die Fensterfront in den Raum bricht – die Ruhe vor dem Sturm. Klappernde Absätze und Stimmengewirr kündigen die Menschen an, die im nächsten Augenblick über die gefliesten Treppen in den Pool stürmen. Als um drei Uhr früh der letzte Teller gewaschen und die letzte Flasche versorgt ist, legt sich eine glückliche Müdigkeit über Eva. Das Lachen und die vor Erschöpfung unsinnigen Gespräche mit den Kollegen hallen noch nach. Ein Tag im Neubad wird selten so, wie Eva ihn sich vornimmt.
pur
Leitung Catering, seit 2018
Laura Ritzenfeld Autorin, erzählt in Worten. Geboren 1993 in Wien AT, lebt in Luzern. Laura Ritzenfeld studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien. Erste Erfahrungen in einem Theaterbetrieb sammelte Laura im Theater in der Josefstadt in Wien im Bereich der Dramaturgie. Zur Leidenschaft zum Theater gesellte sich die Liebe zum geschriebenen Wort. Als freie Mitarbeiterin bei «etc. – Das Magazin» schreibt sie über Kunst und Kultur. Das Neubad Luzern hat Laura schliesslich in die Schweiz verschlagen. Als Assistenz im Bereich Veranstaltungen blickt sie hinter die Kulturkulissen des alten Hallenbads. Für «041 – Kulturteil» besucht sie regelmässig Theatersowie Kunsthäuser und bringt Erlebtes auf Papier. Zudem lauscht sie gerne Geschichten und den Menschen, die sie erzählen… Christian Felber Fotograf, erzählt in Bildern. Geboren 1987 in Luzern CH, lebt in Luzern. Christian Felber arbeitete mehrere Jahre als Editor, Motion Designer und Kameramann beim Fernsehen, bevor er sich mit seiner Filmproduktionsfirma MIGN (Motion desIGN) erfolgreich selbstständig machte. Er erstellt für diverse Kunden und Agenturen Werbe-, Musik- und Imagefilme sowie Motion Design und Visual Effects (VFX) für Spielfilme. 2015 drehte er den Dokumentarfilm «Namaste Nepal» über die Wasserprojekte von Viva con Agua in Nepal, der an zahlreichen Festivals und Anlässen lief. Weiter realisierte Christian die Visual Effects und das Motion Design für den 2017 Oscar® nominierten Kurzfilm «La Femme et le TGV» (2016). Seit 2013 arbeitet er in einem Atelier im Neubad, wo er neben dem Film auch seine Leidenschaft für Fotografie wiederentdeckt hat.