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Textbuch (dt.)
DIE FRAU IN WEISS
Frei nach dem Roman von Wilkie Collins
Musik von ANDREW LLOYD WEBBER Gesangstexte von DAVID ZIPPEL Buch von CHARLOTTE JONES
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Fassung London 2017 rev. Februar 2019
Deutsch von Wolfgang Adenberg
Bühnenvertrieb:
Musik und Bühne Verlagsgesellschaft mbH
Bahnhofstraße 44-46 | 65185 Wiesbaden ----------------------------------------------------------------e-mail: post@musikundbuehne.de Internet: www.musikundbuehne.de 07/20
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Alle Rechte vorbehalten. Hierzu zählen insbesondere das Recht der Übersetzung, Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und sonstige Medien, der mechanischen Vervielfältigung und der Vertonung (Neuvertonung), die Verwendung zu Bühnenzwecken, Vorlesungen und Aufführungen, gleich ob von Amateur- oder Profibühnen sowie anderen Interessenten.
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Text, Komposition sowie Text- und Musikmaterial des Bühnenwerks werden Bühnen / Veranstaltern ausschließlich für Zwecke der Aufführung nach Maßgabe des jeweiligen Aufführungsvertrags zur Verfügung gestellt. Jede darüber hinausgehende Verwertung von Text und /oder Musikmaterial des Bühnenwerks bedarf der ausdrücklichen vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für dessen Vervielfältigung, Verbreitung, elektronische Verarbeitung, Übermittlung an Dritte und Speicherung über die Laufzeit des Aufführungsvertrags hinaus. Die vorstehenden Sätze gelten entsprechend, wenn Bühnen / Veranstaltern der Text oder das Musikmaterial des Bühnenwerks ohne vorherigen Abschluss eines Aufführungsvertrages zur Ansicht zur Verfügung gestellt wird. Weitere Einzelheiten richten sich nach den zwischen Bühnen / Veranstaltern und Verlag getroffenen Vereinbarungen. Dieser Text und die damit verbundene Komposition gilt bis zum Tag der Uraufführung / deutschsprachigen Erstaufführung / bis zur Erstübersetzung / der Neuübersetzung als nicht veröffentlicht im Sinne des Urheberrechtsgesetzes. Es ist nicht gestattet, vor diesem Zeitpunkt das Werk oder einzelne Teile daraus zu beschreiben oder seinen Inhalt in sonstiger Weise öffentlich mitzuteilen oder sich öffentlich mit ihm auseinanderzusetzen. Nicht vom Verlag genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.
Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Dieses Material darf weder verkauft, noch verliehen, noch sonst irgendwie weitergegeben werden.
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Wird das Stück nicht zur Aufführung angenommen, so ist das Manuskript umgehend zurückzusenden an:
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Personenbeschreibung Walter Hartright
Ende 20, Anfang 30. Er ist attraktiv, herzlich, tatkräftig, aufrichtig, impulsiv, leidenschaftlich. Er sieht gut aus, aber dahinter lauert etwas Dunkleres, Raueres als bei dem aristokratischen, manikürten Äußeren von Sir Percival. Stimmumfang: Bariton A2 bis A4
Die Frau in Weiß (Anne Catherick)
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22, 23. Sie sieht aus wie Laura – aber das Leid hat seine Spuren bei ihr hinterlassen. Sie wirkt älter als sie ist. Sie ist ein Missbrauchsopfer, und die Totgeburt ihres Kindes hat sie leicht in den Wahnsinn abgleiten lassen. Über ihrer Zurechnungsfähigkeit sollte immer ein Fragezeichen stehen, obwohl wir ihr trotzdem Glauben schenken. Sie hat eine große Unschuld und Reinheit an sich. Stimmumfang: Lyrischer Sopran (mit überraschender Bruststimme) A3 bis G5
Marian Halcombe
Mitte 30. Nach viktorianischen (und heutigen) Maßstäben hat sie ihr Verfallsdatum bereits überschritten. Auf unkonventionelle Weise attraktiv, auf anziehende Weise hässlich. Ihr ist klar, dass ihre Schwester die weit bessere Partie ist. Dunkel. Temperamentvoll. Geistreich. Leidenschaftlich. Lebhaft. Resolut. Von scharfem Verstand. Sie ist sehr modern – so dass ein modernes Publikum sich ihr verbunden fühlt. Eine starke, unabhängige, kluge Frau, die am Ende alles opfert und ihre eigenen Wünsche zurückstellt, um ihre Schwester zu retten. Stimmumfang: Sopran G3 bis A5
Laura Fairlie
21. Eine präraffaelitische Schönheit. Die perfekte viktorianische Heldin. Hell, wo Marian dunkel ist. Sie sind wie Tag und Nacht. Sie ist sanft, zerbrechlich, pflichtbewusst, loyal, von atemberaubender Schönheit. Im Roman wird ihr Lächeln als leicht schief beschrieben – ihr einziger winziger Makel, der ihre Schönheit sogar noch verstärkt. Stimmumfang: Lyrischer Sopran (mit überraschender Bruststimme) G3 bis A5
Frederick Fairlie
In den 60ern, aber er benimmt wie sich 80. Ein hauptberuflicher Hypochonder, der seine Diener schlecht behandelt und seine Nichten vernachlässigt. Er ist egozentrisch, griesgrämig, besessen von seiner Gesundheit. Dürr und schwächlich, extrem verweichlicht. Er ist im ersten Akt hauptsächlich für den Humor zuständig, der Darsteller muss also komisches Talent haben! Im zweiten Akt entpuppt er sich als etwas bösartiger, er muss also Ecken und Kanten haben. Stimmumfang: Bass/Bariton: B2 bis G4
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Sir Percival Glyde
Anfang 30. Ein paar Jahre älter als Walter. Attraktiv, gutaussehend. Der perfekte Heiratskandidat für die damalige Zeit. Er wirkt aristokratisch und kultiviert. Zuerst ist er charmant und überzeugend, ehrbar und vertrauenswürdig. Dann wird er unangenehm. Und zwar so richtig. Übergriffig und unbeherrscht. Er ist ein Tyrann, ein Spieler und letztendlich ein Mörder. Am Schluss wollen wir nur noch, dass er stirbt! Stimmumfang: Bariton: B2 bis G#4
Graf Fosco
Ende 40 bis Ende 50. Unser charismatischer Schurke. Ein großer Bär von einem Mann. Mit einem ebenso großen Appetit. Ein Original. Ein Exzentriker, der sich Mäuse hält und eine Menagerie von Tieren in seiner Londoner Wohnung einquartiert hat. Elegant und von gutem Geschmack. Er sieht nicht auf konventionelle Weise gut aus, aber er weiß genau, wie er die Frauen beeindrucken kann. Er ist sinnlich und leidenschaftlich. Er legt immer einen großen Auftritt hin. Er ist Italiener, hat aber nur einen kaum wahrnehmbaren Akzent. Er ist ein Mann der Verstellung. Messerscharfer Verstand, Schlagfertigkeit, Wortgeplänkel, faszinierende Gespräche: da ist man bei ihm an der
3 richtigen Adresse. Man weiß nie, ob man ihm vertrauen kann oder nicht. Entweder hasst man ihn oder man liebt ihn. Natürlich ist er völlig amoralisch und genauso geldgierig wie Glyde. Aber das Leben ist ein Spiel für ihn, und er spielt es meisterhaft. Er ist ein Schuft. Marian und er sind einander ebenbürtig. Sie ist seine einzige Schwäche. Durch sie erkennen wir seine Verwundbarkeit. Stimmumfang: Ges2 bis Ges4
Der Bahnwärter
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Von undefinierbarem mittleren Alter. Ein Jedermann. Ein aufrichtiger hart arbeitender Mann. Ein Gesicht, das man schnell wieder vergisst. Ein bodenständiger Mann, der seit Jahren als Bahnwärter arbeitet. Stimmumfang: Tenor: H2 bis Fis4
Kind
Das Mädchen, das Walter von dem Geist erzählt, den es gesehen hat. Ein gewöhnliches, leicht unbeholfenes Mädchen von 10 oder 11. Stimmumfang: H3 bis C5
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Kleine Sprech- und Gesangsrollen: Fairlies Diener Vikar Mutter des Mädchens Priester Drehorgelspieler Weitere Bedienstete Bettler und Bettlerin Fremder Betrüger Pfandleiher Krankenschwester Junges Mädchen Croupier Steinmetz Ensemble/Chor Dienstmädchen Männer Trauergäste Dorfbewohner Obdachlose Wäscherinnen Kinder Kneipengäste Komplizen des Betrügers Leichte Mädchen Orchester Piccolo/Flöte/Altflöte Oboe/Englischhorn Klarinette/Bassklarinette Keyboard 1 - Keyboard 2 - Keyboard 3 Bratsche - Cello 1 - Cello 2 Kontrabass/Bassgitarre
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AKT EINS ................................................................... 5 Prolog: Walter begegnet dem Bahnwärter ................................... 5 Szene 1 - Szene 1a: Gesellschaftsspiele .................................. 8 Szene 1b ................................................................ 10 Szene 2: Hartright begegnet Laura ....................................... 11
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Szene 3 - Szene 3a: Zeichenstunden ...................................... 13
Szene 3b ................................................................ 15
Szene 3c: Erntedank ..................................................... 17
Szene 3d: Das Mädchen, das einen Geist sah .............................. 17 Szene 4: Die Frau in Weiß erscheint zum zweiten Mal ..................... 18 Szene 5: Marian teilt Hartright die Verlobung mit ....................... 19
Szene 6: Sir Percival Glyde trifft ein .................................. 21 Szene 7: Fosco trifft ein ............................................... 23
Szene 8: Der Abend, der aus dem Ruder läuft ............................. 24 Szene 9: Der Abschied ................................................... 29 Szene 10: Die Dorfhochzeit .............................................. 29
Szene 10b: Anne Catherick entschließt sich, Laura zu helfen ............. 31 Szene 11: Die Rückkehr von der Hochzeitsreise ........................... 32
Szene 12: Marian erfährt von Laura die Wahrheit ......................... 33
Szene 13: Marians Arie .................................................. 34
Szene 14: Unterschreib! ................................................. 36
Szene 15: Laura begegnet Anne Catherick ................................. 40
ZWEITER AKT ............................................................... 44
Szene 16 - Szene 16a: Laura alleine ..................................... 44
Szene 16b ............................................................... 45 Szene 17 - Szene 17a: Marian auf dem Sims ............................... 46
Szene 17b: Marians Schlafzimmer ......................................... 50 Szene 18: Die Beerdigung ................................................ 51 Szene 19: Hartright in London ........................................... 54
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Szene 20: Marian sucht nach Hartright ................................... 56
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Szene 21: Marian entdeckt das Bild ...................................... 57
Szene 22: Marian findet Hartright ....................................... 58 Szene 23: Glyde setzt die Früchte seines Erfolges aufs Spiel ............ 60
Szene 24a: Der Plan ..................................................... 62
Szene 24b: Die Verführung ............................................... 63
Szene 24c: Marian und Hartright - Das perfekte Team ..................... 69 Szene 24d: In Limmeridge ................................................ 69
Szene 25: An den Toren des Irrenhauses .................................. 70
Szene 26: Das Irrenhaus ................................................. 71 Szene 27 - Szene 27a: Die Bahngleise .................................... 73 Szene 27b: Laura ringt Glyde ein Geständnis ab .......................... 74 Szene 28: Die Schwestern sind frei ...................................... 77
5 AKT EINS Prolog: Walter begegnet dem Bahnwärter
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(Eine Bahnschneise. Eine stürmische Sommernacht. Der Bahnwärter ist in seinem Signalhäuschen - ein gewöhnlich aussehender „Jedermann”-Typ mittleren Alters. Er erhält eine Nachricht über Draht. Er sendet eine Nachricht zurück. Wir hören den seltsamen, unheimlichen Gesang der Drähte. Aus der Dunkelheit sehen wir die Silhouette eines Mannes auftauchen: Walter Hartright. Er ist ca. 30 Jahre alt, attraktiv, dunkel, rechtschaffen. Er trägt eine Tasche und eine Staffelei. Er sieht, wie der Bahnwärter unter ihm mit einer Laterne die Gleise überprüft. Er schwingt die Laterne hin und her.) HARTRIGHT
HALLO! DA UNTEN! HALLO!
(Ein Blitz. Hartright kommt näher.)
BAHNWÄRTER? IHR DA… HALLO!
BAHNWÄRTER WER RUFT MICH DA IN DER FINSTEREN NACHT?
(Hartright tritt aus dem Schatten ins Licht der Laterne des Bahnwärters.)
HARTRIGHT HARTRIGHT. ICH HEIẞE WALTER HARTRIGHT.
BAHNWÄRTER Was macht Ihr hier in so einer Nacht?
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HARTRIGHT Ich habe mich verlaufen. Ich will nach Limmeridge House*. Mein Zug ist liegengeblieben, und jetzt muss ich zu Fuß weiter. BAHNWÄRTER (nachdenklich) JA, DER ZUG BLIEB LIEGEN. DAS IST WAHR.
HARTRIGHT Ich hörte das Singen der Drähte im Wind - ihr Klang hat mich zu Euch geführt. BAHNWÄRTER Warum wollt Ihr nach Limmeridge House?
*
Ausgesprochen: Limm‘ridge
6 HARTRIGHT Ich übernehme dort die Stelle als Zeichenlehrer. Ich muss heute Abend noch dort sein. Morgen fange ich an… SIR, IHR SEHT MICH SO ENTGEISTERT AN.
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BAHNWÄRTER HEUT NACHT HAB ICH GETRÄUMT, SIR, DASS EIN FREMDER HIER ERSCHIEN. Er stand genau da, wo Ihr jetzt steht. Ein Mann, genau wie Ihr. „ALARM AUF DEM GLEIS!” RIEF ER. „ALARM AUF DEM GLEIS!” ALSO GAB ICH ALARM DURCH. DOCH ALS ANTWORT KAM NUR: „ALLES IST RUHIG.”
Aber er sagte: „Ihr werdet noch an meine Worte denken. IN GENAU EINEM JAHR KOMMT ÜBERS GLEIS DER TOD! KOMMT ÜBERS GLEIS DER TOD!“
HARTRIGHT Ich kann Euch versichern, Sir, ich weiß von keiner Gefahr! EIN MANN, GENAU WIE IHR.
BAHNWÄRTER
(Plötzlich erfüllt ein seltsames Geräusch die Luft - der Telegraf im Signalhäuschen empfängt wieder eine Nachricht.)
Da kommt eine Nachricht. Irgendwo auf der Strecke ist Gefahr.
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(Hinter Hartright, aus dem Dunkel des Tunnels, erscheint eine Hand und berührt ihn an der Schulter. Es ist die FRAU IN WEIẞ. Sie ist Anfang 20, blond, attraktiv, aber ihr Gesicht ist verhärmt und sorgenvoll. Ihr Benehmen ist wild und eindringlich.)
HARTRIGHT (erschrickt)
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Oh, mein Gott!
OH, BITTE HELFT MIR! BRINGT MICH IN SICHERHEIT!
Wie kann ich Euch helfen?
FRAU IN WEIẞ
HARTRIGHT
FRAU IN WEIẞ
JEMAND VERFOLGT MICH. DOCH ICH HAB NICHTS GETAN!
HARTRIGHT ES IST SCHON SPÄT. WAS MACHT IHR HIER SO GANZ ALLEIN?
7 FRAU IN WEIẞ IHR MÜSST MIR GLAUBEN. LASST MICH JETZT NICHT IM STICH. HARTRIGHT
SAGT, WER VERFOLGT EUCH?
FRAU IN WEIẞ SEIN NAME ÄNGSTIGT MICH!
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HARTRIGHT WO MÜSST IHR HIN? ICH BRING EUCH GERNE BIS NACH HAUS.
HAB EIN GEHEIMNIS. ES IST GEFÄHRLICH. ABER WER SEID IHR? KANN ICH EUCH TRAUEN?
FRAU IN WEIẞ
(Ihr Ton verändert sich. Sie streckt die Hand nach ihm aus.) ES RAUBT MIR KEINER MEIN GEHEIMNIS. ICH BEWAHR ES IN MIR BIS ZUM SCHLUSS. DOCH DA IST EINE UND NUR EINE, DER ICH MEIN GEHEIMNIS SAGEN MUSS. UND DARUM MUSS ICH SIE FINDEN, WEIL IHR SONST EIN UNHEIL DROHT. WENN ICH ES IHR SAGE, DANN RETT ICH SIE VORM TOD. (Sie ist voller Verzweiflung.)
HARTRIGHT IHR MÜSST MICH NICHT FÜRCHTEN, IHR KÖNNT MIR VERTRAUEN. ICH WÜRD’ EUCH NIE WEHTUN, GLAUBT MIR. ICH BIN WALTER… WALTER HARTRIGHT. ICH HELFE EUCH NACH HAUS.
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ICH HAB KEIN ZUHAUS. HAB NUR MEIN GEHEIMNIS, NICHTS ALS MEIN GEHEIMNIS.
FRAU IN WEIẞ
(Hartright ergreift sanft ihre Hand. Wir hören ein Pony mit einem Einspänner näherkommen. Sie reißt sich los.)
FRAU IN WEIẞ ICH HÖR SIE KOMMEN! SCHNELL, ICH MUSS WEG VON HIER! SIE SIND SCHON HINTER MIR! (Sie läuft auf den Tunnel zu.) KANN ICH EUCH TRAUEN? GEHT DA NICHT REIN! ER SAGT, IM TUNNEL IST GEFAHR!
HARTRIGHT
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FRAU IN WEIẞ HAB EIN GEHEIMNIS. ES MUSS HINAUS ANS LICHT. (Sie verschwindet im Tunnel. Ein Diener tritt auf.) Ihr müsst Mr. Hartright sein.
DIENER
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(Hartright nickt.) Ich soll Euch so schnell wie möglich nach Limmeridge House bringen. WAS NUR WAR DAS? SAHT IHR DIE FRAU IN WEIẞ?
ICH SAH NIEMAND.
HARTRIGHT
DIENER
HARTRIGHT
WER WAR DIE FRAU IN WEIẞ? HERR, ICH SAH NIEMAND, ICH SAH NIEMAND.
DIENER
(Der Diener nimmt Hartrights Gepäck und geht damit ab. Hartright sieht sich noch einmal um und geht dann hinter ihm ab. Langsam beginnt der Tag zu dämmern.)
Szene 1 - Szene 1a: Gesellschaftsspiele
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(Limmeridge House. Am nächsten Morgen. Das Morgenzimmer. Hell und sommerlich. Marian Halcombe ist da. Sie ist in den Dreißigern, dunkel, lebhaft und attraktiv, wenn auch nicht auf konventionelle Art schön. Hartright tritt ein, müde nach den Strapazen der Nacht. Marian gibt ihm die Hand.)
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HARTRIGHT Ihr seid sicher Miss Halcombe. Es tut mir entsetzlich leid… MARIAN (ihn unterbrechend)
WIE HERRLICH! IHR SEID DA! IHR ARMER SEID AB JETZT MEIN ZEICHENLEHRER. KEIN MENSCH HAT’S SCHWERER. Es wird schon gehen.
HARTRIGHT
9 MARIAN ES IST IN UNSERM DORF SEHR ÖDE, GLAUBT ES MIR. WIR GEHN KAUM RAUS AUS LIMM’RIDGE HAUS. ICH HOFF’, IHR MÖGT ES HIER. Ganz bestimmt.
MARIAN
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WIR DACHTEN SCHON, IHR WÄRT EIN ALTER, GRAUER MANN.
HARTRIGHT
Ach?
HARTRIGHT
MARIAN WIE FALSCH WIR LAGEN. ICH MUSS SCHON SAGEN. DRUM GEBEN WIR EUCH AUCH SEHR GERN BEI UNS QUARTIER. MIT EUCH ZIEHT HIER MEHR LEBEN EIN. IHR BRINGT UNS FRISCHEN WIND HEREIN. ICH HASS’ ES, AUF DEM LAND ZU SEIN. Wirklich?
HARTRIGHT
MARIAN ICH HOFF’, IHR MÖGT ES HIER. IHR BRINGT MIR UND MEINER SCHWESTER ALSO JETZT DAS MALEN BEI. Richtig, es gibt zwei…
HARTRIGHT
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MARIAN SIE IST DARIN SEHR VIEL BESSER. MIT MIR WIRD’S ‘NE QUÄLEREI. UNS’RE MUTTER IST DIE GLEICHE, DOCH DIE VÄTER SIND VERSCHIEDEN. MEINER WAR OFFENBAR, VON TALENT VOLLKOMMEN FREI. MEINE SCHWESTER SEHT IHR AUCH BALD. ALSO, HALBSCHWESTER GENAU. SIE UND ICH SIND UNZERTRENNLICH. EINE WUNDERBARE FRAU. SIE IST BEI ALLEN GERN GESEHN. VIEL JÜNGER UND BEZAUBERND SCHÖN. NACHDEM IHR VATER STARB, HAT SIE SEHR VIEL GEERBT. DOCH AUCH ALS REICHE BLIEB SIE DIE GLEICHE. WIR STEHN UNS ÄUẞERST NAH. UND DARUM FÜHLEN WIR NUR SYMPATHIE UND HARMONIE. ICH HOFF’ IHR MÖGT ES HIER.
10 (MARIAN) BALD SCHON TREFFT IHR MEINEN ONKEL, EINEN STERBENSKRANKEN MANN. UND DAS REDEN UND DAS DENKEN STRENGT IHN LEIDER HÖLLISCH AN. AUS DEM GRUNDE IST ER SCHLIEẞLICH IMMER MÜRRISCH UND VERDRIEẞLICH, AUCH WENN KEIN ARZT BEI IHM JE EINE KRANKHEIT FINDEN KANN.
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NA GUT, WAS GIBT ES NOCH, WAS IHR HIER WISSEN MÜSST? JA, NICHT VERGESSEN: UM SECHS GIBT’S ESSEN. UND STÖRT EUCH NICHT DARAN, WIE GERN ICH DISKUTIER. ICH SAG’S NOCH MAL: IHR SEID BEI UNS WILLKOMMEN ALLEZEIT BEI UNS. ERBLÜHET UND GEDEIHT BEI UNS. ICH HOFF‘, IHR MÖGT ES HIER. Szene 1b
(Ein Diener erscheint und führt Hartright in Mr. Fairlies düsteres Arbeitszimmer. Fairlie sitzt neben einem Porträt seines Bruders Philip Fairlie. Er ist in den Sechzigern, sieht aber älter aus. Er ist gebrechlich, griesgrämig, bleich, nervös und sitzt im Rollstuhl. Der Diener meldet Hartright an.)
Mr. Walter Hartright.
DIENER
(Fairlie mustert Hartright von oben bis unten.)
FAIRLIE SEID ERSCHRECKEND JUNG. JUNGEN SIND MEIST DUMM. SOLLT DIE NICHTEN HIER UNTERRICHTEN. HOFFE, DAS GELINGT. WIRD NICHT NUR GESCHMIER. (zum Diener) STEH NICHT SO DUMM IM WEG HERUM. (zu Hartright) IHR MÖGT ES SICHER HIER. (Er zeigt auf das Porträt.)
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IHR DIE IHR ICH UND
DIESES BILD ZEIGT MEINEN BRUDER, EINEN WAHREN MANN VON WELT. ER IST TOT. ICH LIEG IM STERBEN, DOCH ICH LEB… VON SEINEM GELD. ER FIEL IMMER AUS DEM RAHMEN, JAGTE RUHELOS DIE DAMEN, ABER DANN, IRGENDWANN, HAT EIN HERZSCHLAG IHN GEFÄLLT.
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DOCH GENUG VON DER FAMILIE.
(FAIRLIE) (zum Diener)
RÜCK DEN STUHL ETWAS HIERHER.
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(zu Hartright) BESSER WÜRDET IHR NOCH REIFEN WIE EIN GUTER CAMEMBERT. ICH WÜRD’ EUCH GERNE WIEDER LOS. ABER DER AUFWAND WÄR ZU GROẞ. (zum Diener, der wieder erscheint) ICH SAGTE DOCH, GEH RAUS! ICH HALT DAS NICHT MEHR AUS. DIE NERVEN BEBEN. WO WAR ICH EBEN? ACH JA, DENKT BITTE DRAN, DAS WICHTIGSTE IST MIR: ICH MÖCHTE RUHE RINGSHERUM, AN STÖRUNGEN EIN MINIMUM. WENN IHR VERSTEHT, DANN NICKT NUR STUMM. IHR MÖGT ES SICHER HIER.
Szene 2: Hartright begegnet Laura
(Limmeridge House. Der Wintergarten. Später am Morgen. Laura sitzt am Klavier und spielt. Sie ist einundzwanzig, außerordentlich schön und blond. Sie sieht der Frau in Weiß verblüffend ähnlich. Hartright kommt herein. Er sieht Laura an. Im selben Moment sehen wir die Frau in Weiß (Sie erscheint vor seinem geistigen Auge.) Wir erkennen die große Ähnlichkeit.)
Mein Gott.
(Laura erschrickt und hört auf zu spielen.)
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IHR SEID WOHL MISS FAIRLIE? ICH BIN WALTER HARTRIGHT. VERGEBT MIR, WENN ICH STÖRE.
HARTRIGHT (leise)
ABER NEIN! WILLKOMMEN! ICH BIN GLÜCKLICH, EUCH ZU SEHN.
LAURA
(Sie sehen einander an. Sie lächeln. Marian kommt herein.)
MARIAN IST SIE NICHT GENAU WIE ICH BESCHRIEB? WIR SIND VERSCHIEDENER ALS TAG UND NACHT. TROTZDEM BESTE FREUNDINNEN.
LAURA
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MARIAN WIE FÜR UNS GEMACHT. KEINER WÜRDE UNS FÜR SCHWESTERN HALTEN. DAMIT FINDEN WIR UNS GERNE AB. SIE SAGT, DASS ICH SEHR GESCHWÄTZIG BIN. LAURA DOCH ICH SAG’S KURZ UND KNAPP.
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(Hartright lacht.)
LAURA Eure Reise muss ja höchst mühsam gewesen sein. HARTRIGHT Vor allem endete sie sehr dramatisch. EIN RÄTSELHAFTER ZWISCHENFALL, GANZ PLÖTZLICH STAND DA DIESE FRAU WIE HERGEWEHT AM GLEIS. UND SIE WAR GANZ IN WEIẞ. SIE SAGTE, JEMAND QUÄLTE SIE, UND DASS SIE EIN GEHEIMNIS KENNT. VERÄNGSTIGT UND GEHETZT. ES SCHAUDERT MICH NOCH JETZT. DANN LIEF SIE FORT VON MIR.
(zu Laura)
SIE SAH SO AUS WIE IHR.
MARIAN
SIE WAR GANZ IN WEIẞ!
LAURA Vielleicht habt Ihr einen Geist gesehen? HARTRIGHT (zu Laura)
SIE SAH SO AUS WIE IHR.
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LAURA Den Geist einer Frau, die ein tragisches Ende fand.
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HARTRIGHT Geist oder nicht, sie verfolgt mich noch immer.
Seht Euch vor!
MARIAN (legt scherzhaft ihren Schal um Lauras Kopf.) MARIAN
DIE FRAU GANZ IN WEIẞ!
SIE VERFOLGT EUCH EWIG!
LAURA MARIAN
DIE FRAU GANZ IN WEIẞ!
13 LAURA
SIE VERFOLGT EUCH EWIG!
HARTRIGHT Schluss mit den Geistergeschichten. Wir müssen unbedingt dieses herrliche Licht ausnutzen! Szene 3 - Szene 3a: Zeichenstunden
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(Ein wunderschöner Sommertag für ihre erste Zeichenstunde. Sie sind draußen im formalen Garten von Limmeridge House mit einigen Dienern. Alle drei sitzen vor ihren Staffeleien. Laura zieht Schal und Hut an. Wir hören sowohl das, was sie offen sagen, als auch ihre Gedanken.)
MARIAN TRIVIAL IST ALLES, WAS ICH MAL. MIR FEHLT DIE TECHNIK UND DAS POTENTIAL. BEI MIR IST ES GANZ ANNEHMBAR.
LAURA
MARIAN BEI MIR NUR EINE QUAL. MEIN GEKRAKEL IST SOLCH EIN DEBAKEL! WIE EIN AFFE AN DER STAFFELEI.
DOCH WIR LERNEN TROTZDEM GERN.
WÄR’S DOCH SCHON VORBEI!
LAURA
MARIAN
HARTRIGHT LICHT UND SCHATTEN TREFFT IHR SCHON, UND DIE PERSPEKTIVE.
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ALLES FÜHLT SICH AN WIE HOHN. SEHT DAS POSITIVE. DAS GELINGT SCHON IRGENDWANN.
WIE CHARMANT ER LÄCHELN KANN.
ES IST GAR NICHT VIEL DABEI.
ICH FÜHL MICH BEI IHM SO FREI.
MARIAN
HARTRIGHT
MARIAN
HARTRIGHT LAURA
14 (Ein paar Wochen später. Es ist Hochsommer.) HARTRIGHT DRÜCKT IM BILD DAS AUS, WAS EUCH ERFÜLLT, EURE GEFÜHLE, EUER WAHRES ICH. MARIAN
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WÜRD’ ICH DAS TATSÄCHLICH TUN, DAS WÄR UNSITTLICH. LAURA MANCHMAL GLAUB ICH, ICH LERN’S NIE. GEBT MIR MEHR MOTIVE. LEIDER GIBT’S FÜR MICH UND SIE KEINE PERSPEKTIVE.
UND AUCH ER WIRKT WIE GEMALT.
HARTRIGHT
MARIAN
HARTRIGHT WIE DAS LICHT IHR HAAR UMSTRAHLT. ICH VERTIEF MICH BESSER NICHT
IN SEIN MÄNNLICHES GESICHT.
LAURA
LAURA & MARIAN
(Die Dienstmädchen bereiten ein Picknick. Die drei essen. Es wirkt, als würden wir durch einen langen heißen Sommer voller Zeichenstunden gleiten. Dann zurück zu ihren Zeichnungen.)
[BEGINN DER VOM KOMPONISTEN BEVORZUGTEN KÜRZUNG:]
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MARIAN ICH WILL MENSCHEN MALEN, NICHT NUR APFELSCHALEN, NICHTS, WAS REGLOS IST UND STILL. STILLLEBEN SIND UNBRAUCHBAR, WENN MAN LEBEN WILL.
[ENDE DER VOM KOMPONISTEN BEVORZUGTEN KÜRZUNG]
HARTRIGHT JA, JETZT KLAPPT ES. WIRKLICH GUT, IHR HABT ES! DAS IST EINDEUTIG EIN MURMELTIER. MARIAN VIELEN DANK. SEHR NETT VON EUCH. ABER DAS SEID IHR!
15 ALLE DREI
DIESES DRÄNGEN IN MIR DRIN, DIESES INTENSIVE. UND ICH SUCHE WEITERHIN NACH MEINER PERSPEKTIVE.
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HEUTE WILL KEIN WINDHAUCH WEH’N. UND DIE WELT SCHEINT STILLZUSTEHN. DOCH DER SOMMER ZIEHT VORBEI MIT SO MANCHER TRÄUMEREI. Szene 3b
(Der Sommer schreitet fort. Wir sind jetzt in einer etwas wilderen Landschaft. Es ist heiß. Aufgeknöpfte Kragen, beiseitegelegte Schals. Hartright beginnt Laura zu zeichnen.)
MARIAN HOCHSOMMER TRÜBT DEN SINN. JA, ICH WEIẞ, UND DOCH: WAS IST DAS NUR? ER SITZT VOR MIR, UND ICH WEIẞ NICHT, WOHIN. ICH DARF NICHT ZU IHM RÜBERSEHN, WEIL ICH SONST WEHRLOS BIN.
HARTRIGHT NICHT STARREN! TU ES NICHT! DAS SAG ICH MIR SELBER JEDEN TAG. WO ICH AUCH BIN, SEH ICH NUR IHR GESICHT. ICH DARF NICHT ZU IHR RÜBERSEHN. WIE SCHAFFE ICH DAS BLOẞ?
N
IC
ICH DARF NICHT ZU IHM RÜBERSEHN UND TU‘S DOCH PAUSENLOS. SEIN BLICK, SEIN GANZES WESEN ZIEHN MICH WIE MAGISCH AN. UND ES VERWIRRT MICH SEHR. TÄGLICH IMMER MEHR. ICH MUSS MICH VON IHR LÖSEN UND WEIẞ NICHT, OB ICH’S KANN.
LAURA
HARTRIGHT
MARIAN
ES WÄLZT MEIN INN’RES UM, DOCH ICH BLEIBE STUMM.
ALLE UNHÖRBAR, UNGESAGT, UND DOCH LAUTER ALS EIN WASSERFALL. HÖRT NIEMAND HIER, WIE MEIN HERZ TOBT UND SCHREIT? VIELLEICHT IST MIR NICHTS ANZUSEHN, DABEI IST ES SO KLAR. ICH WILL NICHT MEHR DORT RÜBERSEHN, DOCH DAS GEFÜHL BLEIBT DA.
16 (Ende der Zeichenstunde. Marian und Laura packen ihre Pinsel und Farben zusammen. Sie wollen abgehen. Laura merkt, dass sie etwas vergessen hat. Sie kommt zu Hartright zurück. Beide verweilen für einen Moment.)
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HARTRIGHT WANN IMMER DU VOR MIR STEHST, WIE EINE VISION, SEH ICH DEIN BILD IN STRAHLENDER KLARHEIT. ES IST SO, ALS KENN ICH DICH MEIN LEBEN LANG SCHON. DOCH IST DAS, WAS ICH FÜHLE, DIE WAHRHEIT? LAURA WAS MEIN HERZ MIR SAGT, KANN SO FALSCH NICHT SEIN. IN JEDEN SCHLAG, DEN MEIN HERZ TUT, SCHLIEẞT ES DICH MIT EIN.
HARTRIGHT WAS MEIN HERZ MIR SAGT, DARAUF HÖRE ICH. BISHER HAT ES MICH NIE GETÄUSCHT. UND ES SCHLÄGT NUR NOCH FÜR DICH. LAURA
MEIN LEBEN, BEVOR DU KAMST, SCHEINT MIR HEUT SO LEER.
HARTRIGHT WIE KONNT’ ICH OHNE DICH EXISTIEREN? ES IST, ALS OB ICH MIT DIR ERST VOLLSTÄNDIG WÄR.
LAURA
N
IC
HARTRIGHT ICH WEIẞ, ICH WILL DICH NIE MEHR VERLIEREN. WAS MEIN HERZ MIR SAGT, HÖRT SICH RICHTIG AN. ES SAGT MIR, DASS ICH OHNE DICH NICHT MEHR LEBEN KANN. LAURA WAS MEIN HERZ MIR SAGT, IST DER BESTE RAT. ES SAGT MIR, MIT DIR FÜHL ICH MICH, WIE ICH ES NIE VORHER TAT.
BEIDE WAS MEIN HERZ MIR SAGT, MUSS DIE WAHRHEIT SEIN. ICH WEIẞ, ES SCHLÄGT VON HEUTE AN NUR FÜR DICH ALLEIN.
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WAS HÖR MIT EIN
MEIN HERZ MIR SAGT, ICH TIEF IN MIR. ALLEN SINNEN MALT ES MIR PERFEKTES BILD VON DIR.
(BEIDE)
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(Er nimmt die Zeichnung, die er von ihr gemacht hat, und gibt sie ihr. Marian sieht das. Ihr wird klar, was vor sich geht. Sie hat allerdings keine Zeit, darauf zu reagieren: Übergang mit Kirchenorgel.)
Szene 3c: Erntedank
(Der Vikar steht an der Tür der Dorfkirche. Fairlie im Rollstuhl wird von einem Diener geschoben. Die Dorfbewohner gehen in ihren Sonntagskleidern in die Kirche. Eine festliche Atmosphäre.)
VIKAR Ein gesegnetes Erntedankfest, Mr. Fairlie!
FAIRLIE Der Gottesdienst dauert hoffentlich nicht zu lange. Gott gebe Euch Geduld, Sir.
VIKAR
FAIRLIE Da kann er gerne noch ein paar neue Beine drauflegen.
(Alle gehen in die Kirche, gefolgt vom Vikar. Hartright will als Letzter eintreten. Bevor er in die Kirche geht, sieht er auf dem Friedhof ein kleines weinendes Mädchen.)
N
IC
Szene 3d: Das Mädchen, das einen Geist sah
(Auf dem Friedhof vor der Kirche. Wir sehen, wie alle in die Kirche gehen.)
MUTTER (zu ihrer kleinen Tochter) Du bleibst hier draußen, bis du wieder Vernunft angenommen hast, junge Dame!
(Hartright geht zu dem Mädchen. Wir hören den Abendgesang im Hintergrund, als Hartright mit ihr alleine bleibt.)
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HARTRIGHT Stimmt etwas nicht, mein Kind?
CHOR WIR PFLÜGEN UND WIR STREUEN
MÄDCHEN Sie glaubt mir nicht. Sie sagt, ich hab mir alles nur ausgedacht.
DEN SAMEN AUF DAS LAND,
HARTRIGHT
STEHT IN DES HIMMELS HAND.
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Was denn?
DOCH WACHSTUM UND GEDEIHEN
DER TUT MIT LEISEM WEHEN
MÄDCHEN Glaubt Ihr an Geister, Sir?
SICH MILD UND HEIMLICH AUF
HARTRIGHT Ich glaube, dass die Toten weiterleben. Wir tragen sie in uns.
UND TRÄUFT, WENN HEIM WIR GEHEN,
MÄDCHEN Ich hab’ einen Geist gesehen, Sir. Gestern, in der Dämmerung. Ganz in Weiß, Sir. So wie Geister aussehen.
AMEN
Eine Frau?
WUCHS UND GEDEIHEN DRAUF.
HARTRIGHT
MÄDCHEN Ja, Sir. Eine Frau, ganz in Weiß. HARTRIGHT Wo hast du sie gesehen?
MÄDCHEN Da drüben, auf dem Friedhof, Sir. Ich hab‘ mich fast zu Tode erschreckt!
IC
(Das Mädchen zeigt auf ein Grab, das sich aus dem Boden erhebt. Es trägt die Inschrift „Fairlie”. Das Mädchen läuft weg. Hartright geht zu dem Grab hinüber.)
N
Szene 4: Die Frau in Weiß erscheint zum zweiten Mal
(Der Friedhof im Dämmerlicht. Die Frau in Weiß kommt hinter einem Grabstein hervor.)
FRAU IN WEIẞ WALTER HARTRIGHT, ICH ERINN’RE MICH.
HARTRIGHT SEID IHR WIRKLICH DA? SEID IHR KEIN HIRNGESPINST? (Sie berührt ihn.)
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FRAU IN WEIẞ IHR SEHT, ICH BIN KEIN GEIST. HIER STEH ICH. SCHAUT MICH AN. ICH BIN AUS FLEISCH UND BLUT. MEIN HERR, ICH HEIẞE ANNE, ANNE CATH’RICK, BITTE GLAUBT MIR. DANN WIRD ALLES GUT. ALS KIND WAR LIMM’RIDGE MEIN ZUHAUSE. ABER NICHT FÜR LANGE ZEIT. SCHULDLOS FORTGERISSEN IN EIN LEBEN VOLL SCHMERZ UND LEID. INS IRRENHAUS GESPERRT VON EINEM, DER VOLL GRAUSAMKEIT UND BOSHEIT IST. DOCH BALD ENTHÜLLE ICH DIE WAHRHEIT, DAMIT KEINER HIER SIE JE VERGISST.
ICH TRAGE IN MIR MEIN GEHEIMNIS. UND BALD LIEGT ES OFFEN DA. ICH MUSS EINE FRAU VOR DEM BEWAHREN, WAS MIR GESCHAH. DER MANN, DER MICH SO GRAUSAM QUÄLTE, DESSEN ANBLICK MICH ERSCHAUERN LÄSST, ICH WILL EUCH SEINEN NAMEN NENNEN, WENN IHR SCHWÖRT, DASS IHR IHN NIE VERGESST. (Hartright nickt eifrig.) SIR PERCIVAL GLYDE. SIR PERCIVAL GLYDE. HARTRIGHT
SIR PERCIVAL GLYDE.
(Im selben Moment ist sie verschwunden. Hartright muss nach ihrer verstörenden Geschichte erst seine Fassung zurückgewinnen und geht dann ab.)
Szene 5: Marian teilt Hartright die Verlobung mit
N
IC
(Im formalen Garten von Limmeridge House. Morgen. Herbstliche Atmosphäre. Marian sitzt im Salon. Hartright kommt herein.)
MISTER HARTRIGHT, MIR LIEGT ETWAS AUF DER SEELE, UND DARUM BAT ICH EUCH HER.
MARIAN
HARTRIGHT HOFFENTLICH NICHTS ERNSTHAFTES?
MARIAN ES ZU SAGEN, FÄLLT MIR SCHWER. EHE IHR ZU UNS KAMT, WART IHR OHNE GELD UND OHNE HEIMAT, IST DAS SO? HARTRIGHT OHNE GELD, DOCH SELTEN OHNE HEIMAT. MEIN ZUHAUSE WAR’N DIE KNEIPEN VON SOHO.
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DANN VERMUTE ICH, IHR WERTSCHÄTZT EURE STELLUNG? MEHR ALS ALLES AUF DER WELT.
MARIAN
HARTRIGHT
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MARIAN LAURA IST ALS KIND SCHON NACHTS IM SCHLAF GEWANDELT. ICH BIN OFT ERWACHT UND FAND SIE DA, AUF DER TREPPE, ZITTERND UND STARR. WIR SIND MEHR ALS SCHWESTERN. UNSER EIN UND ALLES. ICH MUSS SIE BESCHÜTZEN.
HARTRIGHT
WARUM ERZÄHLT IHR MIR ALL DAS?
ICH SEH IN EUER INNERES.
MARIAN
HARTRIGHT
ICH WEIẞ NICHT, WAS IHR MEINT.
Meine Schwester ist verlobt!
MARIAN
(streng) IHR VERLOBTER IST HÖCHST EHRENWERT, MIT ADELSTITEL UND BESITZ. IHR VATER WÄHLTE IHN. Was?
HARTRIGHT
MARIAN Es war meine Pflicht, Euch darüber aufzuklären.
N
IC
HARTRIGHT (entsetzt) Dann wird Laura einen anderen heiraten.
MARIAN Ihr müsst jegliches Gefühl für sie begraben. Es kann keine Hoffnung auf eine Bindung geben. Keine Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft… Es tut mir leid, wenn Euch das verletzt. HARTRIGHT Tut Euch das wirklich leid, Miss Halcombe? Was soll das heißen?
MARIAN
HARTRIGHT (gerade heraus) Vielleicht bin ich nicht der einzige mit einem Geheimnis. Mit Gefühlen, die ich lieber verbergen würde?
21 MARIAN Ihr seid äußerst herzlos. Ihr geht jetzt besser. Ihr habt genug gesagt. Ich tue das, um Euch zu helfen, um Euch vor Euch selbst zu schützen! (Er wendet sich zum Gehen, hält dann inne und dreht sich zu ihr um.) HARTRIGHT
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DOCH SAGT MIR, WIE ER HEIẞT. Sein Name geht Euch nichts an.
MARIAN
HARTRIGHT (erregt)
DOCH. SAGT MIR, WIE ER HEIẞT.
MARIAN
GUT, ER HEIẞT GLYDE SIR PERCIVAL GLYDE.
Szene 6: Sir Percival Glyde trifft ein
(Am nächsten Tag. Fairlies Arbeitszimmer. Laura und Marian warten zusammen mit Fairlie. Ein Diener meldet Glydes Ankunft. Glyde ist Anfang bis Mitte 30, gutaussehend, aristokratisch, elegant. Sein Benehmen ist lässig und charmant.)
SIR PERCIVAL GLYDE.
DIENER GLYDE
ICH FREU MICH SEHR, HIERHIERZUKOMMEN.
FAIRLIE
N
IC
SIR PERCIVAL GLYDE, IHR SEID BEI UNS STETS GERN GESEHEN.
GLYDE (zu Fairlie)
UND SEHT EUCH NUR AN! WIE MUNTER UND GESUND IHR AUSSEHT.
REDET ER DA VON MIR?
FAIRLIE
GLYDE WAS FÜR EIN MUSTER AN KRAFT UND FRISCHE! MARIAN IHR, SIR, SEID WIRKLICH ERFRISCHEND. SCHÖN, DASS IHR WIEDER HIER SEID.
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GLYDE
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WIE FREUNDLICH IHR ZU MIR SEID. UND LAURA ZU SEHN, MACHT MICH SO FROH. ES IST SO LANGE HER. UND DU BIST SO SCHÖN. MEIN GANZES HERZ SCHLÄGT FÜR DICH. DIE HOCHZEIT SOLL IM MAI SEIN. DOCH WARUM WARTEN WIR?
LAURA
Was?
GLYDE WARUM NICHT SCHON AN WEIHNACHTEN? ICH WÜRDE JUBILIEREN. (zu Laura) MEIN HERZ UND HAUS GEHÖR’N DIR. UND WAS SAGST DU DAZU?
(Eine Pause.)
LAURA DAS, WAS ICH MEINEM VATER AUF DEM STERBEBETT VERSPRACH, DAS WERD ICH TUN.
GLYDE ICH DANKE DIR SEHR. DU WEIẞT NICHT, WAS MIR DAS BEDEUTET. DU WIRST MEINE FRAU. GLÜCKLICHER IST WOHL KEIN MANN AUF ERDEN. SIR PERCIVAL GLYDE! VIEL GLÜCK FÜR EUCH UND DIE BRAUT!
MARIAN & FAIRLIE
N
IC
GLYDE MEIN BESTER FREUND GRAF FOSCO TRIFFT HEUTE NOCH HIER EIN. EIN EDLER, KULTIVIERTER MANN. GESTATTET IHM, DER TRAUZEUGE ZU SEIN. SIR PERCIVAL GLYDE!
ALLE
GLYDE (zu Marian) IHR SEID AB HEUTE MEINE SCHWESTER. MARIAN
GERN BIN ICH BEREIT!
GLYDE (sanft) UND UNSER HEIM WIRD DANN AUCH EUER HEIM.
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FAIRLIE WELCH EINE SELIGKEIT. SIE WIRD DIE FRAU VON GLYDE. UND SCHON ZUR WEIHNACHT GESCHIEHT DIE HEIRAT. UND MARIAN GEHT MIT UND WOHNT BEI GLYDE UND IHR. DANN ZIEHN SIE ALLE BEIDE AUS, UND RUHE HERRSCHT IN LIMM’RIDGE HOUSE. MAN HÖRT NICHT MAL MEHR EINE MAUS, UND ENDLICH MAG ICH’S HIER! Szene 7: Fosco trifft ein
(Später am selben Tag. Graf Fosco trifft in Limmeridge House ein. Er ist ein Bär von einem Mann - Mitte bis Ende vierzig, mit einem leichten, kaum wahrnehmbaren italienischen Akzent. Er ist ein Mann mit großem Appetit, ein Schleckermaul, ein Mann mit vielen exzentrischen Eigenschaften, aber unleugbar charismatisch. Er ist tadellos gekleidet. Sein Gepäck beinhaltet mehrere Vogel- und Tierkäfige. Er lässt scheinbar aus der Luft eine Maus erscheinen und spricht mit ihr.)
N
IC
FOSCO KLEINER FREUND, NUN SIND WIR ENDLICH DA. UND FÜR DIE NÄCHSTEN TAGE BIN ICH HAUSGAST. DARUM WÄR ES GUT, WENN DU DICH JETZT VERSTECKST. (mit einem schnellen letzten Blick in den Spiegel) ICH FÜRCHTE, DIE HIER WOLLEN KEINEN MAUSGAST.
(Er küsst die Maus und steckt sie in die Tasche. Er holt eine Dose hervor und isst ein Bonbon. Marian erscheint, um ihn zu begrüßen. Mit einer verschnörkelten Bewegung bietet er ihr ein Bonbon aus der Dose an.)
UND IHR SEID BESTIMMT DIE HOLDE BRAUT.
MARIAN (das Bonbon ablehnend) ICH BIN LEIDER NUR DIE HOLDE ZWEITWAHL.
FOSCO OH, VERZEIHT. IHR SEID SO EINE SCHÖNE FRAU. DA HAB ICH GEDACHT, IHR WÄRET GLYDES WAHL.
MARIAN UND IHR SEID MIT SICHERHEIT GRAF FOSCO. FOSCO SCHMEICHELHAFT, DASS ICH SOGLEICH ERKANNT BIN.
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MARIAN ICH BIN LAURAS SCHWESTER. ICH BEGRÜẞE EUCH. FOSCO (küsst ihr die Hand) REICHT MIR DOCH ZUM KÜSSEN EURE HAND HIN.
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MARIAN WENN IHR ETWAS KNABBERN WOLLT, DANN KOMMT ZU TISCH. ALLES IST SCHON ANGERICHTET. ES GIBT FISCH. FOSCO OB DAS FÜR DEN HUNGER AUSREICHT, DEN ICH HAB?
MARIAN DANN BEISST NICHT GLEICH SO VIEL AUF EINMAL AB.
FOSCO ES IST WIRKLICH FREUNDLICH, DASS ICH HIER SEIN KANN.
MARIAN WIR SEHN IMMER GERNE EINEN EDLEN MANN.
FOSCO UND ICH SEHE EUCH DAS INN’RE FEUER AN.
(Die Essensglocke läutet.)
MARIAN ES GIBT ESSEN. KOMMT, SEID MEIN BEGLEITER.
FOSCO DOCH UNSER SCHLAGABTAUSCH GEHT HOFFENTLICH BALD WEITER.
(Er lächelt sie an und zwinkert. Sie führt ihn hinein. Diener kommen dazu und nehmen sein Gepäck auf, darunter die Vogelkäfige, Katzenkäfige, etc.)
N
IC
Szene 8: Der Abend, der aus dem Ruder läuft
(Am selben Abend, nach dem Essen. Im Wohnzimmer. Laura spielt Klavier, Glyde sitzt bei ihr. Marian, Fairlie, Fosco und Hartright sehen zu. Hartright sitzt alleine in einer Ecke. Laura beendet ihr Spiel. Applaus, angeführt von Fosco.)
FOSCO Bravissima, meine Liebe! Ihr spielt wie ein Engel. Ach, ich bin nur mittelmäßig.
LAURA
FOSCO Meine Liebe, stellt Euer Licht nicht unter den Scheffel! Wenn man ein Talent hat, muss man es auch zur Schau stellen.
25 MARIAN Und was habt Ihr für Talente, Sir? Stellt sie doch auch einmal zur Schau! (Fosco sieht bescheiden zu Boden.) FOSCO
ICH BIN EIN MANN DER MEDIZIN. KEIN OPERNHELD,
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(mit Leidenschaft) ICH SING NUR DÜNN. ES GIBT NICHTS, WENN ICH EHRLICH BIN, WAS NICHT EIN AND‘RER BESSER TUT. DOCH EIN TALENT, DAS HABE ICH: GENUSS UND LUST SIND LEICHT FÜR MICH. GUT LEBEN KANN ICH GUT.
ICH LIEB’ ES, SCHÖNES ANZUSCHAU’N, SCHÖNE KUNST, SCHÖNE FRAU’N, (Er sieht Marian an.) LIEBESGLUT SPÜR ICH MIT ALLEN SINNEN. (Er nimmt sich von einem Diener Wein und füllt sein Glas.) MIT GUTEM WEIN STOẞ ICH GERN AN. ICH LAUF NIE, WENN ICH TANZEN KANN. (Eine kleine Pirouette für die Damen.) GUT LEBEN KANN ICH GUT.
IC
ICH SINGE SOLO, GRUNDSÄTZLICH. UND NUR ICH SELBST BEGLEITE MICH. (Er spielt ein Arpeggio auf dem Klavier.) NICHTS LASS ICH UNGENUTZT VERRINNEN. EIN BON VIVANT, AUS EIG’NER KRAFT, MIT LEBENSLUST UND LEIDENSCHAFT. GUT LEBEN KANN ICH GUT.
N
Aber genug von mir!
(Die Musik ändert sich. Fosco erhebt sein Glas auf die Braut und den Bräutigam.)
SIR PERCIVAL GLYDE!
ALLE (erheben die Gläser) DAS IST EIN TAG VOLLER GLÜCK UND FREUDE! SIR PERCIVAL GLYDE! FOSCO DOLCE VITA UND LIEBE FÜR EUCH BEIDE. WIE SEHR ICH DAVON GETRÄUMT HAB.
GLYDE
26
MÖG‘ EUER WEG NIE SCHWER SEIN. MÖGE DIES HAUS BALD LEER SEIN.
MARIAN FAIRLIE
ALLE FÜR EWIGE ZEIT SOLL GOTTES SEGEN UND GLÜCK MIT EUCH SEIN.
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(Hartright unterbricht plötzlich die Glückwünsche. Er wendet sich an Glyde.)
HARTRIGHT DARF ICH GANZ KURZ EUREN JUBEL UNTERBRECHEN? HÖRT BITTE AN, WAS ICH EUCH ZU SAGEN HABE. ES GEHT UM EINE FRAU. IHR NAME IST ANNE CATH’RICK. SIE SAGT, IHR QUÄLTET SIE. WAS KÖNNT IHR DAZU SAGEN?
FAIRLIE Was für eine Unverfrorenheit. Mr. Hartright, was erlaubt Ihr Euch?
GLYDE Nein, nein, Mr. Fairlie, ich bin froh, dass er das anspricht. Das mit Anne Catherick kläre ich sehr gerne auf. DAS GANZE IST EIN TRAUERSPIEL. SO TRAGISCH UND BEKLAGENSWERT, DASS ICH’S KAUM SAGEN KANN. WO FANGE ICH NUR AN? ANNES MUTTER WAR IN DIENST BEI MIR. (zu Fairlie) VON EUREM BRUDER MIR EMPFOHL’N. SIE DIENTE AUCH MAL HIER. FAIRLIE
Catherick? ICH WEIẞ NICHTS MEHR VON IHR.
N
IC
GLYDE ANNE WAR ALS KIND GANZ ENTZÜCKEND, FRÖHLICH UND IMMER VERGNÜGT. BELIEBT BEI GROẞ UND KLEIN. SOLCH EIN SONNENSCHEIN. DOCH ALS SIE WEITER HERANWUCHS, WURDE SIE DÜSTER UND WILD, VERHIELT SICH SONDERBAR, SCHIEN IM KOPF NICHT KLAR.
MIT SECHZEHN SCHLUG SIE PLÖTZLICH AUF IHRE MUTTER EIN, ERFÜLLT VON WUT UND HASS, OHNE UNTERLASS.
27 (GLYDE) UM SCHLIMM’RES ZU VERHINDERN, NAHM ICH MICH IHRER AN. ICH LIEẞ SIE PFLEGEN, UND ICH HOLTE ÄRZTE HER. DAS ALLES SCHMERZTE MICH SO SEHR.
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ABER KEIN ARZT KONNTE HELFEN. SO FAND ICH SCHLIESSLICH EIN HEIM. EIN STILLER ZUFLUCHTSORT. MAN BEHIELT SIE DORT. ANNE GLAUBT, ICH WOLLTE IHR BÖSES. DOCH ICH WAR IMMER IHR FREUND. ICH ZAHL DAS HEIM FÜR SIE. SIE VERSTEHT ES NIE.
(Fosco scheint von der Geschichte sehr gerührt und schüttelt Glyde die Hand.) FOSCO
ICH BIN VON DEINER GÜTE IM INNERSTEN GERÜHRT.
GLYDE
ACH, JEDER AND’RE MANN HÄTT’ DAS DOCH AUCH GETAN.
(Hartright erhebt wieder das Wort.)
SIE NANNTE EIN GEHEIMNIS, DAS SIE ENTHÜLLEN WILL.
HARTRIGHT
GLYDE SIE FANTASIERT JA NUR. ARME KREATUR. ES WÄR GUT, WENN MAN SIE BALD FINDEN KANN UND SIE ZURÜCKBRINGT IN IHR HEIM.
IC
DIE ARME ANNE. SIE TUT MIR LEID.
N
DAS KLÄRT DIE ANGELEGENHEIT.
WÄR GLYDE NICHT FÜR SIE DA, WÄR SIE JETZT TOT, GANZ KLAR.
LAURA
MARIAN FOSCO
FAIRLIE Genug davon! Meine Nerven sind wie erschossen!
FOSCO Dann verschreibe ich Euch einen Schuss Cognac, Signor!
FAIRLIE Ja, meine Herren, ziehen wir uns in mein Arbeitszimmer zurück.
28 GLYDE
Danke, Sir.
(Glyde verbeugt sich noch einmal dankbar vor Hartright. Glyde, Fosco und Fairlie gehen ab. Hartright bleibt mit den beiden Frauen zurück.)
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HARTRIGHT ICH GLAUB IHM NICHT. DAS SIND DOCH ALLES GLATTE LÜGEN! MARIAN
BITTE VERLASST DAS HAUS. GEHT UND KOMMT NIE ZURÜCK!
LAURA
Aber Marian…
MARIAN
WARUM SOLL‘N DAS LÜGEN SEIN? DAFÜR GIBT‘S KEINEN ANLASS!
LAURA
Bitte, Marian…
DENK DOCH AN UNSERE ZUKUNFT. DU BIST SCHON BALD LADY GLYDE. MIT DIESEM EDLEN MANN FÄNGT DEIN GLÜCK ERST AN. ER IST VOLL RÜCKSICHT UND GÜTE. SELBSTLOS HALF ER DIESER FRAU. ER IST SO WÜRDEVOLL. SO WIE EIN MANN SEIN SOLL!
MARIAN
(Sie sieht Hartright an.)
N
IC
ICH HAB HIER NICHTS VERLOREN. DA HABT IHR VÖLLIG RECHT. ICH WERD NACH LONDON GEHN.
Seid Ihr nun glücklich?
HARTRIGHT
(Laura rennt aufgebracht hinaus.)
HARTRIGHT (zu Marian)
(Er geht ab. Marian bleibt alleine zurück. Sie bricht zusammen und beginnt zu weinen.)
MARIAN UNHÖRBAR, UNGESAGT, UND DOCH LAUTER ALS EIN WASSERFALL. WO ICH AUCH BIN, SEH ICH NUR SEIN GESICHT.
(Sie geht ab.)
29 Szene 9: Der Abschied (Hartright steht da mit seinem Koffer und der Staffelei. Er ist kurz vor der Abreise. Laura tritt eilig ein. Sie trägt ein weißes Nachtgewand.) LAURA Sag mir, dass das nicht wahr ist. Sag mir, dass ich nur schlafwandle. HARTRIGHT
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(Sie umarmen sich.)
WAS MEIN HERZ MIR SAGT, MUSS DIE WAHRHEIT SEIN.
LAURA
LAURA & HARTRIGHT ICH WEIẞ, ES SCHLÄGT VON HEUTE AN NUR FÜR DICH ALLEIN.
(Sie gibt ihm die Zeichnung, die er ihr in der Zeichenszene gegeben hat.)
LAURA Nimm das… als Erinnerung an mich.
(Er geht ab.)
N
IC
Szene 10: Die Dorfhochzeit
(Laura bleibt alleine zurück. Die Kirchenglocken beginnen zu läuten. Dorfbewohner erscheinen zur Hochzeit. Es ist, als würde Laura durch die Zeremonie schlafwandeln. Ihre Brautjungfern legen ihr einen Schleier an und geben ihr einen Strauß aus Stechpalme und Efeu. Das kleine Mädchen, das den Geist gesehen hat, beginnt „Im Walde wächst ein Baum” zu singen. Die Frau in Weiß tritt auf und sieht Laura.)
FRAU IN WEIẞ
Nein!
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(Laura sieht sie einen Moment verwirrt an, bevor die Frau in Weiß wieder in der Menge verschwunden ist. War sie überhaupt je da? Oder hat Laura das nur geträumt? Marian tritt auf und küsst Laura. Laura gibt ihr das Medaillon, das sie immer um den Hals trägt. Marian zieht Lauras Schleier herunter und geht mit ihr ab. Fosco und Glyde treten auf. Glyde wird von den Dorfbewohnern beglückwünscht. Fosco nimmt Marians Arm. Die ersten beiden Strophen können alternativ auch von dem Mädchen als Solo gesungen werden.)
FRAUEN & MÄNNER IM WALDE WÄCHST EIN BAUM, DEN MAN STECHPALME NENNT. DER HEILIGSTE UND DER FROMMSTE BAUM, DEN MAN AUF ERDEN KENNT.
DENN ER TRÄGT EINE BEERE, SO LEUCHTEND ROT WIE BLUT. UND MARIA TRUG DAS JESUSKIND. DAS MACHTE ALLES GUT.
MÄDCHEN DER BAUM TRÄGT SPITZE BLÄTTER, NOCH SCHÄRFER ALS EIN DORN. UND UNTER SCHMERZEN HAT MARIA UNS DEN HEILAND GEBOR’N.
DER DIE UND VON
BAUM HAT EINE RINDE, BITTER WIE GALLE SCHMECKT. JESUS WURDE FÜR UNS DEN TOTEN AUFERWECKT.
MM MM MM MM
MÄNNER
MM MM MM
(Die Frau in Weiß erscheint unbemerkt in der Kirche.)
N
IC
Nein! Nein!
FRAU IN WEIẞ
(Die Festgemeinde ist irritiert. Laura dreht sich verwirrt um. Die Frau in Weiß ist schon wieder verschwunden. Die Zeremonie geht weiter.)
ALLE IM WALDE WÄCHST EIN BAUM, DEN MAN STECHPALME NENNT. DER HEILIGSTE UND DER FROMMSTE BAUM, DEN MAN AUF ERDEN KENNT. UND VOM HELLEN SONNENAUFGANG BIS SONNENUNTERGANG ERKLINGT DIE MELODIE DER ORGEL UND FROHER CHORGESANG.
31 (Der Priester erscheint. Glyde wartet. Marian führt Laura zum Altar. Glyde und Laura werden getraut. Die Gemeinde jubelt und wirft Konfetti. Laura gibt Marian ihren Strauß. Die ganze Zeit war es, als würde sie schlafwandeln. Fosco nimmt wieder Marians Arm. Glyde und Laura gehen ab.)
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ALLE EWIG VERBUNDEN VOR DEM ALTAR. LIEBENDES PAAR. FREUET EUCH, FREUET EUCH! AUF, DASS DIE SONNE HELL FÜR EUCH SCHEINT, INNIG VEREINT! FREUET EUCH, FREUET EUCH! NUN LIEGT VOR EUCH EINE GOLDENE ZEIT. SEGEN UND GLÜCK FÜR DAS LEBEN ZU ZWEIT. JUBELT UND KÜSST EUCH UND MACHT EUCH BEREIT. HOCH AUF DAS JUNGE PAAR! FROH SEI DAS JUNGE PAAR! HOCH AUF DAS JUNGE PAAR!
Szene 10b: Anne Catherick entschließt sich, Laura zu helfen
(Die Dorfbewohner zerstreuen sich nach der Hochzeit. Wir sind auf dem Friedhof. Die Frau in Weiß taucht aus dem Schatten auf. Sie ist allein und voller Verzweiflung.)
FRAU IN WEIẞ LADY LAURA GLYDE! LADY LAURA GLYDE! DIE GLOCKEN, SIE LÄUTEN. SIE WOLLEN DICH WARNEN. DOCH ES IST ZU SPÄT, UND NICHTS KANN DICH MEHR RETTEN.
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IC
DU WIRST DIE HERRIN VON BLACKWATER HOUSE. ALLE RÄUME VOLL SCHRECKEN, DER SEE VOLLER TRÄNEN. DOCH HOFF NICHT AUF GNADE. ER KENNT KEINE GNADE. NEIN, ICH LASS ES NICHT GESCHEHN, DASS DU WIE ICH UNENDLICH LEIDEST. NEIN, ICH FAHR DIR HINTERHER. ANDERS ALS ICH HAST DU EINE FREUNDIN. ANDERS ALS ICH HAST DU EINE FREUNDIN.
(Sie geht ab.)
32 Szene 11: Die Rückkehr von der Hochzeitsreise
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(Die Szene wechselt zu Glydes Wohnsitz. Wo Limmeridge House überall hell und luftig war, ist Blackwater House dunkel, stickig und bedrückend, die Wände leicht krumm. Marian und Fosco sind in Blackwater House und erwarten die Rückkehr von Glyde und Laura. Um sie herum herrscht einige Aktivität: Diener bereiten das Haus vor. Laura und Glyde kommen von ihrer Hochzeitsreise zurück. Sie sind sehr ernst, und Laura trägt Schwarz.)
Willkommen zuhause, Lady Glyde!
MARIAN
(Laura sieht sie ernst an. Sie sagt nichts, drängt sich an ihr vorbei und geht in ihr Zimmer.) MARIAN
Laura? Was hast du denn? Laura!
GLYDE Fosco? Wir haben Geschäftliches zu besprechen. Ich bin in meinem Arbeitszimmer.
(Glyde geht in die andere Richtung ab. Fosco bleibt noch kurz zurück, um mit Marian zu sprechen.)
Irgendetwas stimmt nicht. Sie ist nur müde. Ich muss zu ihr.
MARIAN FOSCO
MARIAN
IC
FOSCO
N
Sie wird schon wiederkommen.
Ihr lebt in ihrem Schatten!
(Er hält sie einen Moment lang zurück.)
MARIAN Wenn das so ist, dann nur, weil ich mich dort wohlfühle!
FOSCO Sie ist eine schöne Frau. Aber Ihr, Miss Halcombe, seid einfach ohnegleichen!
(Sie sieht ihn einen Moment an und geht dann ab.)
33 Szene 12: Marian erfährt von Laura die Wahrheit (Lauras Schlafzimmer. Marian tritt ein, als Laura gerade ihre Zofe wegschickt.) LAURA (zur Zofe) Lass mich alleine. Ich brauche deine Hilfe nicht.
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
(Die Zofe macht einen Knicks und geht ab. Laura weicht Marians Blick aus.) MARIAN
LAURA, DU KANNST MIR VERTRAUEN. SAG MIR, WAS IST DENN GESCHEHN? DU BIST SO KALT ZU MIR. WAS IST LOS MIT DIR?
WARUM SOLL ICH DIR VERTRAUEN? ICH BIN NUR DURCH DEINEN RAT IN DIESER HÖLLE HIER. DAS VERDANK ICH DIR. ER WILL NUR MEIN VERMÖGEN, MEHR WILL ER NICHT VON MIR. WEIL SEINE SCHULDEN IHN IMMER TIEFER ZIEHN. ICH ZEIG DIR SEINE LIEBE. SIE IST SO WUNDERVOLL.
LAURA (wütend)
(Laura streift ihre Ärmel hoch und zieht den Ausschnitt nach unten, so dass blaue Flecken zu sehen sind.)
WIE HEFTIG ER MICH MAG, ZEIGT ER MIR SCHLAG AUF SCHLAG! DU SAGTEST: „WIE EIN MANN SEIN SOLL!”
(Marian sieht das voller Entsetzen.)
N
IC
34 Szene 13: Marians Arie (Marian lässt ihre Schwester im Bett zurück und rennt in die Nacht hinaus, zutiefst aufgewühlt von dem, was Laura ihr gerade erzählt hat. Sie geht in Richtung Blackwater Pool und Bootshaus.) MARIAN
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
INN’RE STIMMEN HALTEN MICH HELLWACH. FIND ICH JEMALS WIEDER SCHLAF? DENN IM RÜCKBLICK KANN ICH NICHT VERSTEHN, WELCHE WAHL ICH FÜR DICH TRAF. NUR FÜR LAURA. ICH TAT ES FÜR DICH. NUR FÜR LAURA DOCH NICHTS WAR RICHTIG. ES WIRD NIE MEHR WIE ES EINMAL WAR. DAZU IST ZU VIEL PASSIERT. OH, VERGIB MIR, WAS HAB ICH GETAN? WOHIN HAB ICH DICH GEFÜHRT?
NUR FÜR LAURA SOLLTE ALL DAS SEIN. DOCH NUN SEH ICH: WIR SIND ALLEINE.
N
IC
EIN MANN WAR FÜR UNS DA. WIR BEIDE LIEBEN IHN, UND ICH HAB IHN DAVONGEJAGT. NUR FÜR LAURA. HABE ICH AN DICH ODER NUR AN MICH GEDACHT? NUR FÜR LAURA. WAR DAS DENN WAHR? WAR ICH WIRKLICH FÜR DICH DA?
NUR FÜR LAURA, VON HEUTE AN. ICH BEFREI DICH. ICH WEIẞ, ICH KANN ES! ICH SCHWÖRE DIR BEI GOTT, ICH FINDE EINEN WEG, UM DIESER HÖLLE ZU ENTGEHN. NUR FÜR LAURA. BIS ZU MEINEM TOD WERD ICH DIR ZUR SEITE STEHN. ICH WERD STARK SEIN, ICH WERD NICHT RUH’N! (Die Frau in Weiß erscheint hinter ihr und hört, was sie sagt.) ICH WERD ALLES FÜR DICH TUN!
ICH KANN HELFEN.
FRAU IN WEIẞ
35
Mein Gott! ICH BIN EUER SCHUTZ GEGEN DIESEN BÖSEN MANN.
MARIAN FRAU IN WEIẞ
MARIAN Ihr seid es! FRAU IN WEIẞ
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de ICH VERTRAU EUCH UND WEIẞ EINEN WEG, WIE MAN IHN VERNICHTEN KANN. WIE IHR AUSSEHT. GENAU WIE SIE!
MARIAN
FRAU IN WEIẞ EURE SCHWESTER, ICH KANN SIE RETTEN. KOMMT MORGEN MIT IHR HER, ZUR SELBEN ZEIT WIE JETZT. DOCH SCHWÖRT, DASS IHR ALLEINE KOMMT. MEIN GEHEIMNIS, WENN ICH ES IHR SAG, WIRD DAS SEIN VERHÄNGNIS SEIN. SAGT ES JETZT SCHON!
NEIN, NUR FÜR LAURA!
MARIAN
FRAU IN WEIẞ
(Die Frau in Weiß hört ein Geräusch. Sie verschwindet wieder. Plötzlich erscheint Fosco. Marian fährt vor Schreck zusammen.)
N
IC
FOSCO Miss Halcombe! Vergebt mir, ich wollte Euch nicht erschrecken. Ich sah, dass Euer Zimmer leer war. Ich zählte zwei und zwei zusammen und kam auf fünf! Ich konnte nicht schlafen.
MARIAN
FOSCO Hier im Dunkeln herumzuwandern, ohne Mantel! Ts ts. Ihr englischen Ladys seid so unvorsichtig bei Euren nächtlichen Ausflügen! Ihr müsst mir gestatten, Euch zurückzubegleiten. MARIAN
Das ist nicht nötig.
36 FOSCO Ihr zittert ja - Miss Halcombe. Per piacere – nehmt meinen Arm. (Sie tut es widerstrebend. Kann sie ihm vertrauen? Was hat er mitgehört? Sie gehen zusammen ab.) Szene 14: Unterschreib!
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
(Am nächsten Tag. Januar/Februar. Blackwater House. Die Bibliothek. Glyde wartet auf Laura. Sie kommt mit Marian herein.) LAURA
Du hast nach mir verlangt?
GLYDE ICH HAB EIN SCHRIFTSTÜCK HIER. KOMM, UNTERSCHREIB. LAURA
WAS IST ES DENN?
GLYDE
KOMM HER UND NIMM DEN STIFT.
LAURA EIN SCHRIFTSTÜCK SAGST DU? WORUM GEHT ES DENN? GLYDE HIER MUSST DU UNTERSCHREIBEN, UND DAS WAR’S. LAURA
JETZT?
GLYDE
ES IST NICHTS WICHTIGES. UNTERSCHREIB, LADY GLYDE. HIER AUF DEM STRICH.
N
IC
ABER WAS IST DAS, FRAG ICH DICH.
LAURA
(Fosco tritt ein, ein Ausbund an Höflichkeit.)
FOSCO PERCIVAL, ES HIEẞ, DU BRAUCHST MICH HIER. STETS ZU DEINEN DIENSTEN. Ah, buongiorno, meine Damen. UND? GUT GESCHLAFEN?
GLYDE ICH BRAUCHE ZEUGEN FÜR LAURAS UNTERSCHRIFT.
NOCH EINMAL: WORUM GEHT ES DA?
LAURA
37
UNTERSCHREIB, LADY GLYDE. SIR! SIE HAT EIN RECHT DARAUF.
GLYDE MARIAN
GLYDE DAS BETRIFFT AUSSCHLIEẞLICH MEINE GATTIN UND MICH. LAURA
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DANN LASS ES MICH DOCH SEHN. IST DAS ZUVIEL VERLANGT?
GLYDE MACH SCHON! MEINE KUTSCHE WARTET.
MARIAN (zu Fosco) WISST IHR AUCH NICHT, WAS DA DRINSTEHT?
FOSCO NEIN, ICH WEIẞ SO VIEL WIE IHR UND LADY GLYDE.
LOS!
SAG MIR, WAS ES IST. ZEIG ES MIR DOCH HER.
FÜR DEIN KLEINES HIRN IST DAS VIEL ZU SCHWER. DU KANNST MIR VERTRAU’N. STELL DICH NICHT SO AN. ERST LES ICH ES DURCH UND VERTRAU DIR DANN.
LAURA
GLYDE
LAURA
MARIAN
N
IC
LASST DAS DOKUMENT UNSERN ANWALT SEHN. DANN SOLL EUREM WUNSCH NICHTS ENTGEGENSTEHN.
GLYDE
DIESE DREISTIGKEIT DULDE ICH NICHT HIER.
OH, DAS TRIFFT SICH GUT. DANN GEHT’S EUCH WIE MIR.
UNTERSCHREIB, LADY GLYDE, IHR BLÖDEN WEIBER, HABT DOCH DAVON KEINE AHNUNG!
GLYDE
MARIAN
GLYDE
38 FOSCO RUHIG, MEIN LIEBER FREUND. LADY GLYDE KRIEGT ANGST. AUCH IHRE SCHWESTER. HAT DAS ALLES NICHT NOCH ETWAS ZEIT? GLYDE NEIN, ES IST ÄUẞERST DRINGEND, UND ES MUSS JETZT SEIN.
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LAURA UND ICH UNTERSCHREIB, WENN ICH WEIẞ, WAS ES IST.
FOSCO BESTEH NICHT AUF DIE UNTERSCHRIFT, ICH BITTE DICH SEHR. ALS EIN MANN VON EHRE, BEHERRSCH DICH. UND DIE KUTSCHE SCHICKT FORT.
MARIAN
FOSCO ICH KANN JETZT AUCH NICHT MEHR EIN GLAUBHAFTER ZEUGE SEIN.
GLYDE VERDAMMT, WEIB, UNTERSCHREIB! Oder ich werd’s dir zeigen! Warte, du!
(Glyde will Laura schlagen. Er wird von Fosco und Marian daran gehindert.) MARIAN
Hört auf! Hört auf!
ALS MEINE FRAU TUT SIE, WAS ICH WILL!
N
IC
DAS GEHT JETZT ZU WEIT!
IHR SEID LIEBER STILL! DU WIRST EINGESPERRT BIS ZUM MORGENLICHT! DAS IST UNERHÖRT!
GLYDE, SO GEHT DAS NICHT.
SIE IST VOLLER TROTZ! BOCKIG BIS ZUM SCHLUSS. SIE IST WIE EIN KIND, DAS MAN PRÜGELN MUSS!
GLYDE (drohend)
FOSCO
GLYDE
MARIAN FOSCO GLYDE
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HALTE DICH ZURÜCK! NICHT EIN WEIT’RES WORT! DENK AN DEINEN RUF. BITTE GEH! SOFORT! KEINE ANGST, LADY GLYDE.
(Glyde geht ab.) LAURA
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
FASST MICH NICHT AN.
FOSCO (mit Nachdruck)
SEID UNBESORGT. EGAL, WAS WAR. IHR SEID BESCHÜTZT, FREI VON GEFAHR. ICH BIN ENTSETZT. DAS WAR NICHT SCHÖN. SO HAB ICH GLYDE NOCH NIE GESEHN. IHR GABT UNS SCHUTZ. HABT DANK DAFÜR.
FOSCO (beruhigend)
MARIAN
FOSCO
DAS TAT ICH GERN.
BLEIBT WEG VON MIR! ER IST EIN FREUND. ER HÄLT ZU DIR.
LAURA
MARIAN
LAURA
ICH TRAU IHM NICHT. UND KEINEM HIER.
N
IC
KEINE ANGST, LADY GLYDE.
FOSCO
(Marian nimmt seine Hand, ein „Danke” in den Augen. Fosco geht ab.)
40 Szene 15: Laura begegnet Anne Catherick (Laura und Marian ziehen ihre Mäntel an und stehlen sich in die Nacht hinaus. Sie kommen zum Bootshaus am Blackwater Pool.) LAURA Sie ist nicht hier! MARIAN
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de Hab Vertrauen. Sie wird kommen.
LAURA (erschrickt)
Was ist das?
MARIAN
Pscht. Keine Angst.
(Die Frau in Weiß erscheint. Sie und Laura sehen einander fasziniert an.)
LAURA ICH SEH DICH AN UND SEH MICH SELBST.
FRAU IN WEIẞ ICH SEH DICH AN UND SEH MICH SELBST.
LAURA & FRAU IN WEIẞ ALS KÖNNT‘ ICH GERADEWEGS IN MEINE SEELE SEHN. FAST MEIN GENAUES EBENBILD.
LAURA
MARIAN
Oh ja.
FRAU IN WEIẞ ALS WÜRD ICH VOR DEM SPIEGEL STEHN.
IC
MARIAN
N
WIE SONDERBAR.
WIE ICH MIT MEHR BITTERKEIT.
DIE AUGEN VOLLER LEID.
LAURA
LAURA & FRAU IN WEIẞ (zueinander)
41
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
LAURA, FRAU IN WEIẞ & MARIAN ALS KENN ICH DICH MEIN LEBEN LANG. UND NUN IST NEUE HOFFNUNG DA. DU MACHST MICH VOLLKOMMEN. ICH KANN DIR VERTRAUEN. HIER BEI DIR FÜHL ICH SICHERHEIT. DU WARST DA, DU WARST IMMER DA. SO ALS OB DEIN HERZ IN MIR SCHLÄGT. UND DIE WAHRHEIT MACHT UNS NUN FREI. JETZT, WO WIR VEREINT SIND, KÖNNEN WIR GEWINNEN.
(Plötzlich hört man Schüsse und den verzerrten Klang von Jagdhörnern.)
FRAU IN WEIẞ
Oh nein!
ICH HÖR SIE KOMMEN. SIE SPERR’N MICH WIEDER EIN. LASST SIE NICHT ZU MIR! BRINGT MICH IN SICHERHEIT!
(sie fleht die beiden an.)
(Glyde erscheint mit mehreren Männern.)
MÄNNER Da ist sie! DIE FRAU IN WEIẞ! LASST SIE AUF KEINEN FALL ENTFLIEHN!
GLYDE (zu Laura und Marian)
ICH DANK EUCH SEHR! IHR HABT MICH ZU IHR HINGEFÜHRT!
MARIAN
Rührt sie nicht an!
N
IC
Nein!
DAS WAR ‘NE FALLE! IHR HABT MICH VERRATEN!
NEIN, BITTE GLAUB MIR!
LAURA
(Die Männer versuchen sie zu fangen. Die Frau in Weiß beschimpft Laura.)
FRAU IN WEIẞ
LAURA
FRAU IN WEIẞ Fluch über Euch, Lady Glyde! Fluch über Euch!
42
Bringt sie zurück ins Irrenhaus!
GLYDE
(Die Männer greifen nach ihr. Sie flieht.)
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FRAU IN WEIẞ (zu Glyde) IHR KÖNNT MICH FÜR IMMER WEGSPERR’N, ICH SCHAFF ES TROTZDEM IRGENDWIE. ICH SAG ALLES, WAS ICH WEIẞ. GEWINNEN WERDET IHR NIE!
GLYDE Stopft ihr das Maul mit ihren dreckigen Lügen!
(Die Männer packen sie und versuchen sie zu knebeln.)
Lasst sie los!
LAURA
MARIAN
Graf Fosco, helft uns!
(Fosco geht zur Frau in Weiß. Sie wehrt sich, und es gelingt ihr, den Knebel loszuwerden.)
FRAU IN WEIẞ Ich werde dich heimsuchen! Ich werde dich heimsuchen, bis ich sterbe!
FOSCO Es tut mir leid, aber die Frau ist eine Gefahr für sich selbst. Ich habe keine Wahl.
(Fosco injiziert der Frau in Weiß ein Beruhigungsmittel. Sie fällt ohnmächtig in die Arme der Männer, ihrer Jäger. Fosco weicht ihr geschickt aus.)
N
IC
FOSCO Das ist das Beste! Ich bin Arzt. Vertraut mir!
(Glyde geht mit der Frau in Weiß und den anderen Männern ab. Fosco steckt sich ein Bonbon in den Mund und verbeugt sich vor Laura und Marian.)
Guten Abend, meine Damen.
(Fosco geht ab. Laura und Marian bleiben alleine zurück, verängstigt und zitternd.)
LAURA (frei) WIR SIND MACHTLOS, DIESEN MÄNNERN AUSGELIEFERT. (Marian legt die Arme um Laura.)
43 MARIAN DOCH WIR WERDEN KÄMPFEN, LAURA. WIR BEFREIEN UNS. (Laura und Marian bleiben so stehen, während das Licht einzieht und irgendwo in der Ferne ein Gewitter zu grollen beginnt.)
N
IC
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ENDE DES ERSTEN AKTES
44 ZWEITER AKT Szene 16 - Szene 16a: Laura alleine
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(Blackwater House. Lauras Schlafzimmer. Später in derselben Nacht. Laura ist noch immer sehr aufgewühlt von den Geschehnissen der Nacht. Sie trägt ihr weißes Nachthemd und sitzt alleine auf ihrem Bett.) LAURA KÖNNT’ ICH IM TRAUM NUR DIESER WELT ENTFLIEHN UND MIT DIR GLÜCKLICH SEIN. GÄB’S DOCH FÜR MICH EIN LEBEN OHNE IHN, NUR MIT DIR, GANZ ALLEIN.
KÖNNT’ ICH DOCH EWIG SCHLAFEN UND WÄR IM TRAUM BEI DIR. DOCH NEIN, SELBST DIESER TRAUM IST NUR EIN TRAUM VON MIR. KÖNNT’ ICH IM TRAUM NUR DIESER WELT ENTFLIEHN UND MIT DIR GLÜCKLICH SEIN. KÖNNT’ ICH DOCH EWIG SCHLAFEN UND WÄR IM TRAUM BEI DIR. DOCH NEIN, SO VIELE NÄCHTE BLEIB ICH SCHLAFLOS HIER.
(Wir sehen Marian allein in ihrem Schlafzimmer.)
N
IC
MARIAN WAS KANN ICH TUN FÜR UNS’RE SICHERHEIT? WENN ICH NUR STÄRKER WÄR. ICH SEHNE MICH NACH DER VERGANGENHEIT. SIE SCHEINT SO LANGE HER. ICH DARF NICHT AN DICH DENKEN, DOCH BIN IM TRAUM BEI DIR. UND WEIẞ: SELBST DIESER TRAUM IST NUR EIN TRAUM VON MIR.
KÖNNT’ ICH DOCH EWIG SCHLAFEN
(Marian steht auf und geht zu Lauras Zimmer.) LAURA
LAURA & MARIAN UND WÄR IM TRAUM BEI DIR. DOCH NEIN, SO VIELE NÄCHTE BLEIB ICH SCHLAFLOS HIER.
45 Szene 16b (Marian kommt herein. Laura schrickt zusammen - ihre Nerven sind zum Zerreißen gespannt.) MARIAN Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Oh, Laura, du bist so bleich!
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LAURA
Was tun sie?
MARIAN Sie haben sich in die Bibliothek zurückgezogen. LAURA
Bleib bei mir!
WIR KÖNNEN NICHT NUR WARTEN, ICH FIND RAUS, WAS SIE PLANEN.
ICH HAB ANGST. BLEIB BITTE BEI MIR.
MARIAN
LAURA
MARIAN WAS SIND IHRE NÄCHSTEN SCHRITTE? Nein!
DAS MUSS ICH ERFAHREN. UND DU SCHLAF NUR EIN.
LAURA
MARIAN
(Marian legt Laura sanft ins Bett. Laura spricht ein Gebet.)
N
IC
LAURA OH HERR, HALT ÜBER MICH WACHT, BESCHÜTZ MICH IN DER DUNKLEN NACHT.
(Marian geht ab.)
46 Szene 17 - Szene 17a: Marian auf dem Sims
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(Der Sturm, der am Ende des ersten Aktes in der Ferne grollte, ist viel näher gekommen. Blackwater House. Wir sehen die Fassade des Hauses mit einem Sims unter den Fenstern im ersten Stock. Im Erdgeschoss führen Flügeltüren ins Arbeitszimmer. Fosco ist im Arbeitszimmer und füttert seine Maus. Während der folgenden Szene spricht er immer wieder mit der Maus.)
FOSCO ISS, MEIN FREUND, UND LASS ES DIR GUT SCHMECKEN. DAS HAUS IST RUHIG UND ALLER TRUBEL SCHWEIGT JETZT. DAS IST DER MOMENT, WO ES GEFÄHRLICH WIRD. WIE SAGT MAN IN ITALIEN? „SPANNUNG STEIGT JETZT.“
(Marian erscheint außen auf dem Sims. Glyde kommt ins Arbeitszimmer. Fosco lässt die Maus über seinen Körper laufen und versteckt sie dann.)
Die Frauen schlafen?
GLYDE In ihren Betten verstaut. Mein Diener hat ein wachsames Auge auf sie. Können wir jetzt also Klartext reden? Eine Zigarre, mein Freund?
FOSCO Nein! Nein! Eklige Angewohnheit! (Fosco öffnet die Flügeltür.) Ich bleibe bei meinen Bonbons.
Der Sturm ist fast über uns.
N
IC
(Glyde geht nach hinten, um ihnen Drinks zu machen. Fosco nimmt seine Dose heraus und isst ein Bonbon. Er späht in die Nacht hinaus.)
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(Nun sehen wir, wie Marian beginnt, über das Sims zu balancieren. Es ist schmal und gefährlich. Hinter dem ersten Fenster, an dem sie vorbeikommt, sind die Vorhänge zugezogen, und es scheint kein Licht. Aber als sie das zweite Fenster erreicht, geht dahinter ein Licht an, und eine Silhouette erscheint hinter der Jalousie - einer der patrouillierenden Diener. Marian schrickt zurück und bleibt still stehen. Es scheint, als wolle der Diener das Fenster öffnen - er tut es aber nicht. Das Licht geht wieder aus, und Marian kann weitergehen. Sie erreicht das schmale Vordach über dem Arbeitszimmer. Von hier aus kann sie hören, was die Männer sagen. Glyde gibt Fosco einen Brandy.)
TRINKEN WIR DARAUF, DASS DAS SPIELCHEN KLAPPT. NOCH IST NICHTS ERREICHT. ALLES WIE GEHABT. ES IST SEHR VIEL GELD. EIN PERFEKTER GRUND.
FOSCO
GLYDE
FOSCO GLYDE
SIE HAT GUT UND GERN ZWANZIGTAUSEND PFUND. WAS KANN ICH NUR TUN, DASS SIE UNTERSCHREIBT?
WIE WÄR’S MAL MIT CHARME, DER SIE DAZU TREIBT?
FOSCO
N
IC
GLYDE ACH, ALS DIPLOMAT EIGNE ICH MICH NICHT.
ES GIBT MANCHE ART, WIE MAN WILLEN BRICHT. UNS FEHLT NUR NOCH EIN PLAN.
Aber ich will das Geld jetzt!
FOSCO
GLYDE
FOSCO NUR DIE RUHE. EINE LÖSUNG WIRD ES GEBEN. UND DIE FÄLLT MIR SICHER EIN. VERTRAU MIR NUR. WENN WIR SCHLAU SIND, KRIEGEN WIR, WAS WIR ERSTREBEN. OHNE FINGERABDRUCK, OHNE JEDE SPUR. Aber…
GLYDE
48
FOSCO WIE WÄR’S ERSTMAL MIT ‘NEM ZWEITEN SCHLÜCKCHEN BRANDY? ES GIBT IMMER WEGE AUS DEM TEUFELSKREIS. (Fosco geht nach hinten, um den Getränkewagen zu holen. Wir können ihn nicht hören, bis er wieder zurückkommt.)
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IRGENDWIE WERDEN WIR SIE SCHON ÜBERZEUGEN. (Ein Donnerschlag macht die Worte unhörbar.) (ODER TÖTEN SIE GANZ EINFACH STILL UND LEIS.) (Marian reagiert unwillkürlich, verärgert, dass sie nichts hört.)
Was war das? Was?
FOSCO GLYDE
(Fosco späht nach draußen. Es hat begonnen zu regnen.)
FOSCO Nein, nein, das war nur der Sturm.
GLYDE (während er die Zutaten eines Drinks abmisst) ABER WAS ZUM TEUFEL TUN WIR MIT ANNE CATH’RICK? WAS IST, WENN MAN IHR GEHEIMNIS DOCH ENTDECKT?
FOSCO OH, ICH WEIẞ, WO WIR SIE UNTERBRINGEN KÖNNEN…
(Das Geräusch von Glydes Umrühren übertönt Foscos Worte.)
N
IC
EINE
(Ein Donnerschlag macht die Worte unhörbar.) (IRRENANSTALT GLEICH BEI LIMM’RIDGE,) WÄR DAS NICHT PERFEKT? REDEN DARF SIE NIE. NICHT EINMAL EIN WORT.
GLYDE
(Fosco findet ein Blatt Papier und holt einen Stift hervor. Er beginnt zu schreiben.)
SIE WIRD WEGGESPERRT, MORGEN FRÜH SOFORT.
FOSCO
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DENN SIE IST VERRÜCKT.
GLYDE (Fosco unterschreibt das Papier mit einem Schnörkel und zeigt es Glyde.) FOSCO
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SIE HAT EINEN SPRUNG. UND ICH SCHREIB ALS ARZT DIE BESCHEINIGUNG. HEB DAS DOKUMENT GUT UND SICHER AUF.
JA, BEI MIR ZUHAUS. DA KOMMT KEINER DRAUF. UND DANN MEINE FRAU.
GLYDE
FOSCO
GLYDE
FOSCO
WIE KRIEGT MAN SIE KLEIN?
HALT! GOTT, BIN ICH GUT! MIR FÄLLT ETWAS EIN. WAS WIR TUN, IST:
(plötzlich mit Begeisterung)
(Draußen verliert Marian den Halt. Beide Männer hören sie.)
DAS WAR NICHT DER STURM.
GLYDE
(Fosco rennt zum Fenster und sieht hinaus. Marian versucht verzweifelt wieder auf das Sims zu kommen.)
Wer ist da?
N
IC
FOSCO (amüsiert) Ich konnte nichts sehen, aber ich habe eine ziemlich klare Ahnung. Dieses kleine Luder. Überlass das mir.
(Seelenruhig schüttet Fosco Brandy aus einem Flachmann in ein Glas. Dann nimmt er ein kleines Fläschchen aus seiner Arzttasche, schüttet daraus ein Pulver in den Brandy und den so behandelten Brandy in den Flachmann zurück.)
FOSCO UNS’RE MAUSEFALLE IST NOCH NICHT VOLLKOMMEN. DENN DIE BEUTE HAT SCHON DIE GEFAHR ERKANNT. ALSO MÜSSEN WIR ZU HÄRT’REN MITTELN GREIFEN. UND DANN FRESSEN SIE UNS BALD SCHON AUS DER HAND.
50 (Er bietet Glyde ein Bonbon an. Glyde nimmt es und nickt besänftigt. Fosco geht aus dem Zimmer und nach oben zu Marians Zimmer.) Szene 17b: Marians Schlafzimmer
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(Marian steht nass und zitternd in ihrem Zimmer. Sie steht unter Schock und weiß nicht, was sie tun soll. Fosco klopft an und tritt ein, ohne eine Antwort abzuwarten.)
FOSCO ICH WOLLTE NUR MAL SEHN, OB IHR EUCH WOHLFÜHLT.
MARIAN (ausweichend, gespielt fröhlich) ICH BIN IN EINEN REGENGUSS GEKOMMEN.
FOSCO ZU SOLCH SPÄTER STUNDE SEID IHR UNTERWEGS? (gespielt verletzt) WARUM HABT IHR DENN MICH NICHT MITGENOMMEN? IHR SEID JA NASS BIS AUF DIE KNOCHEN UND HABT FIEBER. HIER, ICH GEB EUCH ETWAS, DAS EUCH SCHLAFEN LÄSST.
(Er nimmt den Flachmann heraus und gießt ihr einen Brandy ein.)
MARIAN Nein! Wirklich, ich fühle mich gut.
FOSCO TRINKT DAS. DANN WIRD’S EUCH BESSER GEHN. DANN SOLL’N DIE DIENER NACH EUCH SEHN. MARIAN
Nein danke.
(Er gibt ihr den Brandy.)
N
IC
FOSCO ICH BIN DER DOKTOR. SEID SCHÖN BRAV. (Marian trinkt.) UND ICH VERSCHREIB EUCH LANGEN SCHLAF.
(Ihr wird schwummrig, und sie sinkt auf das Bett. Fosco streichelt ihr die Stirn.)
Süße Träume, mia carissima, süße Träume.
(Er küsst sie und geht dann langsam ab. Sie schläft.)
51 Szene 18: Die Beerdigung
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(Die Bühne verändert sich, und wir sind wieder in Limmeridge, einige Tage später. Die Dorfkirche, in der Laura geheiratet hat. Es ist Anfang Mai. Ein freundlicher, kühler Frühlingstag. Es findet eine Beerdigung statt. Ein Sarg wird hereingetragen. Das Publikum soll (fälschlicherweise) annehmen, dass Marian darin liegt.
Das Dorf hat sich zu Lauras Beerdigung versammelt. Ein Priester steht am Kopfende des Grabes. Als der Sarg herabgelassen wird, macht der Priester das Kreuzzeichen zum Schluss des Gottesdienstes.)
PRIESTER Ich bin die Auferstehung und das Leben, so spricht der Herr. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.
(Glyde, ganz in Schwarz, trägt den (überzeugenden) Ausdruck tiefer Trauer. Fairlie sitzt in seinem Rollstuhl. Marian nimmt ihren Platz unter den Trauernden ein. Sie steht immer noch unter einem schweren Schock. Das kleine Mädchen tritt vor und legt ein Strohpüppchen auf Lauras Grab. Dies stellt das Ende der Zeremonie dar. Die Trauergäste beginnen abzugehen. Jeder gibt Glyde die Hand. Er nimmt ihre Beileidsbezeugungen mit Würde entgegen.)
MARIAN Das kann nicht sein. Ich verstehe das nicht.
N
IC
FOSCO Sie… wie sagt man? …wandelte im Schlaf. Sie ging zum Fenster und fiel aus großer Höhe hinunter, versteht Ihr.
Nein, nein.
MARIAN (untröstlich)
FOSCO Ihr Gatte fand sie am nächsten Morgen auf dem Boden liegen - wie einen kleinen gefallenen Vogel. Ein tragischer Unfall. Miss Halcombe – Marian – es tut mir so schrecklich leid. Ich fahre heute nach London. Aber wenn Ihr irgendetwas braucht - was immer es sei - non aver timore, cara – dann findet Ihr mich hier. (Fosco gibt Marian eine Visitenkarte. Sie nimmt sie.)
52 GLYDE WIE KANN DER LIEBE GOTT SO GRAUSAM SEIN? NIMMT SIE MIR VIEL ZU FRÜH. HIER STEH ICH HOFFNUNGSLOS UND GANZ ALLEIN. WAS TU ICH OHNE SIE? WIE SOLL ICH WEITERLEBEN OHNE MEINE FRAU?
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
ICH KANN KAUM DENKEN VOR TRAUER. SIE WAR DAS LICHT MEINER WELT. NUN STRAHLT ES NIEMALS MEHR. ES IST SCHRECKLICH SCHWER. UND NUN AUCH NOCH IHRE ERBSCHAFT. SO VIEL ZU REGELN FÜR MICH. KANN ICH’S AUCH KAUM VERSTEHN, ES MUSS WEITERGEHN.
WIE KÖNNT IHR DARAN DENKEN? ES IST NOCH VIEL ZU FRÜH.
FAIRLIE (verärgert)
GLYDE
NATÜRLICH WARTEN WIR. AUS RESPEKT VOR IHR.
FAIRLIE (nervös)
DAS GEHT MIR AN DIE NERVEN. ICH BIN JETZT ZU BEDRÜCKT. KOMMT DIESEN JUNI DOCH ZU MIR.
(Glyde nickt. Marian hat den Anfang der Reihe der Kondolierenden erreicht. Sie weigert sich, Glyde die Hand zu geben.) FAIRLIE (entsetzt)
Marian!
N
IC
GLYDE SIE TRAUERT, DAS VERSTEHE ICH. DU ARME, DU HAST GAR NICHTS MEHR. (Glyde lächelt Marian an.) Ich hoffe, du siehst mich noch immer als deinen Bruder an.
(Ein Moment voller Anspannung, dann geht Glyde mit den anderen ab. Marian und Fairlie bleiben alleine am Grab zurück.) MARIAN (zu Fairlie)
ICH GLAUBE IHM KEIN WORT! ALLES IST GELOGEN, WAS ER SAGT! ES WAR MORD! ES WAR EINE FALLE VON GLYDE UND FOSCO! Was fällt dir ein!
FAIRLIE
53
MARIAN ICH WEIẞ, ER HAT SIE UMGEBRACHT UND LÜGT UNS EINFACH SCHAMLOS AN. MARIAN ICH TUE, WAS ICH KANN. ICH KRIEG IHN DAFÜR DRAN!
FAIRLIE
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
Was für ein Unfug!
FAIRLIE Das reicht, Marian!
MARIAN
Onkel, Ihr müsst mir glauben!
FAIRLIE Ich sagte, es reicht. Bringt mich nach Hause.
(Fairlie geht mit einem Diener ab.)
LAURA! ICH FIND ALLES RAUS, ALLES, WAS MIT DIR GESCHAH. WO IST WALTER? KEINER AUẞER IHM WAR JE WIRKLICH FÜR UNS DA. NUR FÜR LAURA WERD ICH NICHT RUHN. ICH WERD ALLES DAFÜR TUN!
MARIAN
(Sie geht entschlossen ab.)
N
IC
54 Szene 19: Hartright in London
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
(Die Bühne verwandelt sich. Wir sind in London am Themseufer. Der Abend dämmert - ein seltsames grünliches Licht und Nebelschwaden - ein trostloses, unheimliches London, bevölkert von Ausgestoßenen. Am Fluss halten sich Gruppen von Obdachlosen auf, in Lumpen gekleidet. Manche sitzen um Kohlepfannen herum, wärmen sich die Hände und trinken Wein aus Flaschen. Es ist Anfang Mai, aber nachts immer noch eisig kalt. Plötzlich sehen wir Hartright. Er hat sich stark verändert. Seine Kleider sind schäbig, er ist unrasiert. Er ist nicht völlig am Ende, aber kurz davor. Er läuft ziellos am Ufer entlang durch den Nebel, in diesem Reich der Ausgestoßenen. Ein paar der Obdachlosen strecken die Arme nach ihm aus. Hartright bleibt stehen, sucht in seiner Tasche und zieht eine Münze heraus.)
HABT IHR ‘NEN PENNY, SIR? DAS IST MEIN LETZTER.
DEN WILL ICH EUCH LASSEN.
NEIN, NEHMT IHN. WAS SOLL‘S?
BETTLER 1
HARTRIGHT
BETTLER 1
HARTRIGHT
(Er wirft ihn dem Bettler zu. Der Bettler nimmt das Geld und sieht ihn an. Eine Bettlerin spricht ihn an.)
N
IC
BETTLERIN HIER, TRINKT EIN SCHLÜCKCHEN, DAS HILFT BEIM VERGESSEN.
(Sie reicht ihm eine Flasche Gin. Er schüttelt den Kopf.)
55 HARTRIGHT NUR MEINE ERINNERUNG IST MIR GEBLIEBEN. (Er nimmt das Gemälde von Laura aus seiner Tasche und sieht es sich an. Er geht am Ufer entlang.)
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
DU BIST NICHT MEHR DA. ICH HAB DICH VERLOREN. ICH HAB GEGLAUBT, WIR BEIDE WÄR’N FÜREINANDER GEBOREN.
JEDE FRÖHLICHKEIT IST DAHINGESCHWUNDEN. ALLES, WAS ICH AUCH TU UND DENKE, IST MIT DIR VERBUNDEN.
DU BIST NICHT HIER, ABER ICH WEIẞ, DU WIRST IMMER EIN TEIL VON MIR SEIN. JEDER NEUE TAG BLICKT MIR LEER ENTGEGEN. WIEDER EIN TAG, SO GRAU UND DUNKEL, AUF EINSAMEN WEGEN. OHNE DICH FÜR IMMER. WARST DU NIE FÜR MICH BESTIMMT?
(Er sieht die Fassade eines Pfandleihhauses. Er sieht auf das Bild. Er entscheidet sich, das Bild zu verpfänden. Er geht in das Geschäft. Er kommt wieder heraus.)
JEDE FRÖHLICHKEIT IST DAHINGESCHWUNDEN. ALLES, WAS ICH AUCH TU UND DENKE, IST MIT DIR VERBUNDEN.
N
IC
DU BIST NICHT HIER, ABER ICH WEIẞ, DU WIRST IMMER EIN TEIL VON MIR SEIN. WAS FÜR EINEN SINN KANN ES JETZT NOCH GEBEN? ICH LAUFE WIE BETÄUBT UND TROSTLOS ALLEIN DURCH MEIN LEBEN. OHNE DICH FÜR IMMER. WARST DU NIE FÜR MICH BESTIMMT?
(Lauras Bild wird ins Schaufenster gehängt. Hartright sieht zu. Dann geht er weiter.)
JEDER NEUE TAG BLICKT MIR LEER ENTGEGEN. WIEDER EIN TAG, SO GRAU UND DUNKEL. OHNE DICH FÜR IMMER. (Er trifft die Entscheidung, ohne sie weiterzuleben.) DU WARST NIE FÜR MICH BESTIMMT.
56 Szene 20: Marian sucht nach Hartright
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
(Am nächsten Tag, später Nachmittag. Nebel liegt dick wie Erbsensuppe über einer bevölkerten, dreckigen Londoner Straße bei Holborn. Eine Straße mit heruntergekommenen Mietskasernen. Menschen laufen hin und her, von Armut gezeichnet und unterernährt: Wäscherinnen, Bettler und Kinder. Ein Leierkastenmann spielt.)
MARIAN BITTE, SIR, WISST IHR DEN WEG ZUM ROSE AND CROWN? KENNT IHR EINEN PUB IN SOHO, DER SO HEIẞT? MANN Lady, es gibt unzählige Pubs, die so heißen.
(Er geht weiter. Sie hält eine Frau an.)
MARIAN Ich suche die Orte, wo in Soho die Trinker hingehen!
(Die Frau lacht sie aus und geht weiter. Marian erreicht die erste Bar, eine schäbige Spelunke im Souterrain, in der sich nur ein paar Nachzügler aufhalten. Sie geht zu einem Mann.)
MARIAN SIR, VERZEIHT, ICH SUCHE EINEN FREUND VON MIR. WALTER HARTRIGHT IST SEIN NAME. KENNT IHR IHN?
(Der Mann schüttelt den Kopf und wendet sich ab. Die übrigen Kneipengäste lassen sie abblitzen, und so muss sie in die nächste Bar.)
N
IC
ENSEMBLE IN LONDON, VERLOREN IM GEWÜHL DER STADT! IN LONDON! IN LONDON!
(Marian kommt in die zweite Bar. Hier ist es etwas belebter, aber nicht weniger abstoßend. Sie spricht wieder einen Fremden an.)
MARIAN KENNT IHR JEMAND NAMENS WALTER, DER HIER TRINKT? WALTER HARTRIGHT IST SEIN NAME. KENNT IHR IHN?
57 ENSEMBLE IN LONDON, WO KEINER WAHRE FREUNDE HAT. (Wieder wird sie zurückgewiesen. Ein Betrüger, der weiter hinten sitzt, hört sie und kommt nach vorne.) BETRÜGER
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
HARTRIGHT? IHR SAGTET WALTER HARTRIGHT? JA, ICH KENN IHN. ICH BRING EUCH ZU IHM.
(Er nimmt sie am Arm und führt sie in die letzte Kneipe.)
ICH KENN IHN, ICH BRINGE EUCH ZU DIESEM MANN. ICH FREUE MICH, WENN ICH EUCH HELFEN KANN.
(Er führt sie in eine schmale Gasse, wo schon seine Komplizen warten. Sie rauben ihr mit vorgehaltenem Messer das Medaillon, das Laura ihr geschenkt hat. Hilflos und erniedrigt bleibt sie zurück.)
Szene 21: Marian entdeckt das Bild
(Marian geht verloren durch die Straßen. Da sieht sie die Pfandleihe und Lauras Porträt. Marian bleibt stehen, das Herz schlägt ihr bis zum Hals. Sie geht in das Geschäft. Wir sehen, wie sie mit dem Pfandleiher spricht.)
N
IC
MARIAN WO HABT IHR DIESES BILD HER? WER HAT ES EUCH GEGEBEN? SAGT MIR, WAR ES WALTER HARTRIGHT? SAGT ES MIR. ICH MUSS IHN FINDEN. DAS BILD ZEIGT MEINE SCHWESTER. (Der Pfandleiher holt sein Register hervor, sieht es durch und findet die Adresse.) ICH KANN ES FAST NICHT GLAUBEN. HIER IST GELD. ICH LÖS ES AUS UND BRINGE ES DEM MALER WIEDER. HELFT MIR, ICH BIN GANZ VERZWEIFELT. GEBT MIR DIE ADRESSE BITTE. (Er gibt ihr eine Adresse.)
PFANDLEIHER DIE ANSCHRIFT KANN AUCH FALSCH SEIN. SEID NICHT ALLZU HOFFNUNGSVOLL.
58 (Der Pfandleiher nimmt das Porträt herunter und gibt es ihr. Die Adresse in der einen Hand, das Porträt in der anderen, geht Marian mit neuer Entschlossenheit ab. Szene 22: Marian findet Hartright
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(Marian kommt bei der Adresse an. Es sieht aus wie ein verrufenes Haus. Sie klopft. Niemand öffnet. Glücklicherweise kommt in diesem Moment ein junges Mädchen, das aussieht wie eine Prostituierte, und öffnet die Tür. Marian folgt ihr ins Haus. Sie öffnet die Tür zu einem armseligen Zimmerchen. Kein Lebenszeichen. Ein behelfsmäßiges Bett. Leere Flaschen. Durcheinander, aber kein Hartright. Marian bricht verzweifelt zusammen. Eine hoffnungslose Pause, und dann sehen wir Hartright nach Hause kommen. Er umklammert eine halb ausgetrunkene Flasche Rotwein.)
Ich habe Euer Pfand ausgelöst.
HABT IHR KEIN MITLEID? WARUM VERFOLGT IHR MICH? IHR WAGT EUCH NOCH HIERHER?
UND DER IHR WIE
MARIAN
HARTRIGHT
(Sie will ihm das Bild geben. Er nimmt es nicht an.)
NEHMT DAS BILD WEG. ANBLICK BRINGT MICH UM. HATTET RECHT. KONNT‘ ICH GLAUBEN, SIE WÄR MEIN?
MARIAN
N
IC
ES IST SO SCHRECKLICH, WAS ICH EUCH SAGEN MUSS.
HARTRIGHT ICH WEIẞ ES AUS DER TIMES: DA STAND DER NACHRUF AUF LADY LAURA GLYDE.
MARIAN ICH BIN MIR SICHER, ES WAR EIN FEIGER MORD. GLYDE UND FOSCO. DIE BEIDEN SOLL’N DAFÜR BEZAHL’N! SIE SOLL’N DER STRAFE NICHT ENTGEHN. IHR MÜSST MIR HELFEN. ICH WEIẞ SONST NICHT WOHIN.
(Hartright wendet sich von ihr ab. Sie stellt das Bild auf die Staffelei.)
59 (MARIAN) WENN IHR KÖNNT, DENKT NICHT MEHR DRAN, WAS ICH EUCH ANGETAN HAB, UND FANGT VON VORNE AN. GANZ VON VORN, IRGENDWIE.
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
ICH HAB ALLES FALSCH GEMACHT UND NUR TRAUER UND ELEND ÜBER UNS GEBRACHT. FANGT NEU AN, IRGENDWIE. WENN NICHT FÜR MICH, FÜR SIE. JA, ICH TAT EUCH UNRECHT. UND DARUM STEH ICH HIER. ICH HABE VIEL ZU SPÄT ERKANNT: MEIN WAHRER FREUND SEID IHR.
ICH TRAG SO VIEL SCHULD IN MIR. UND FÜR DEN REST MEINES LEBENS BÜẞE ICH DAFÜR. FANGT NEU AN, IRGENDWIE. WENN NICHT FÜR MICH, FÜR SIE.
(Hartright antwortet noch immer nicht. Marian gibt auf.)
IHR WART LAURAS LIEBE. MIT EUCH WAR SIE GLÜCKLICH. DAS SOLL MIR EIN TROST SEIN. UND DAFÜR BIN ICH IMMER DANKBAR. WENN IHR MIR NICHT VERZEIHEN KÖNNT, WERD ICH GEHN UND EUCH NIE MEHR LÄSTIG SEIN.
(Sie wendet sich zum Gehen.)
N
IC
HARTRIGHT UM ZU SIEGEN, BRAUCHEN WIR ANNE CATH’RICK. WENN UNS JEMAND HELFEN KANN, KANN SIE‘S.
UND IN FOSCOS AKTEN STEHT, WOHIN ER SIE BRINGEN LIEẞ.
MARIAN
HARTRIGHT
WO IST FOSCO?
ER IST HIER IN LONDON.
MARIAN
HARTRIGHT DOCH WIE KOMMEN WIR ZU IHM HEREIN?
MARIAN ICH GLAUB, MICH LÄSST ER GERNE EIN.
60
GUT. ICH KÜMMER MICH UM GLYDE.
HARTRIGHT
MARIAN HEIẞT DAS DENN, IHR SEID BEREIT? WERDET IHR MIR HELFEN? HARTRIGHT SIEHT AUS, ALS HÄTT’ ICH GERADE ZEIT.
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
(Er wirft die Weinflasche weg. Sie lächelt.)
Danke.
MARIAN
Szene 23: Glyde setzt die Früchte seines Erfolges aufs Spiel
(Ein Casino in London, später Abend. Glyde und Fosco am Roulette-Tisch. Glyde ist von leichten Mädchen umgeben, mit denen er ungeniert flirtet. Er ist betrunken. Fosco ist nüchtern und zeigt mehr Zurückhaltung. Der Croupier dreht das Rad. Glyde gewinnt und bekommt seine Chips.)
Sechsundzwanzig, Schwarz.
SIR PERCIVAL GLYDE! SCHON WIEDER GLÜCK! IHR HABT GEWONNEN!
CROUPIER ALLE
GLYDE ICH SPRENGE DIE BANK! ENDLICH ERFÜLLEN SICH ALL MEINE WÜNSCHE!
IC
Faites vos jeux!
N
Sieben, Rot. Alles!
CROUPIER GLYDE
(Glyde setzt seine Chips auf eine Zahl.)
HALT DICH ZURÜCK, GLYDE. SEI NICHT SO LEICHTSINNIG. DU SETZT HIER GELD EIN, DAS DU NOCH LANG NICHT HAST.
FOSCO
(Das Rad dreht sich wieder.) GLYDE AM ERSTEN JUNI ZAHLT MIR FAIRLIE ALLES AUS.
61
Acht, Schwarz.
CROUPIER (Glyde verliert. Die Gäste rufen „Aah”.)
Verflucht nochmal!
GLYDE
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
FOSCO DU SETZT MEHR EIN ALS DEIN GANZES ERBE WERT IST. SOGAR MEINEN ANTEIL SETZT DU HIER AUFS SPIEL. DEIN BENEHMEN IST IM HÖCHSTEN GRAD BESCHÄMEND. DU BIST UNMORALISCH, DUMM UND INFANTIL.
GLYDE HALT MIR KEINE PREDIGT, WAS ICH TU. AUSGERECHNET DU SPRICHST VON MORAL. Ich setze auf den ersten Juni. Alles auf die Eins!
(Das Rad dreht sich. Glyde gewinnt.) CROUPIER
Eins, Rot.
SIR PERCIVAL GLYDE, SCHON WIEDER GLÜCK! SO VIEL SAMMELT IHR AN!
ALLE
(Glyde gibt Fosco eine große Menge Chips.)
GLYDE HIER, MEHR ALS DEIN TEIL. SIEH DAS ALS ABSCHIEDSGESCHENK VON MIR AN!
(Fosco nimmt sie ungerührt entgegen.)
N
IC
FOSCO GUT. ICH WEISS, WANN ES GENUG IST. UND ICH WEISS, WANN EINE SCHNELLE TRENNUNG KLUG IST. SIR PERCIVAL GLYDE, ICH DENKE NICHT, DASS WIR UNS NOCH MAL SEHN. FOSCO, LEB WOHL.
GLYDE
(Fosco verbeugt sich und geht ab. Das Rad dreht sich wieder.) GLYDE (zum Croupier)
So kann es gerne weitergehen.
62 Szene 24a: Der Plan (Marian zieht sich für ihr Rendezvous mit Fosco an. Ein Wandschirm schützt sie vor Hartrights Blicken. Er wartet unbehaglich.) MARIAN Ich habe mich entschieden, heute Abend zu Fosco zu gehen. HARTRIGHT
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de Ich komme mit.
MARIAN Nein, das geht nicht. Ich muss ihn alleine sehen.
HARTRIGHT Marian, das haben wir doch besprochen. Der Mann ist skrupellos. Er ist zu allem fähig. MARIAN Ja, aber ich weiß, was seine Schwäche ist. Was hast du vor?
HARTRIGHT
MARIAN Ich will die Einweisungsverfügung finden, die er an dem Abend in der Bibliothek unterschrieben hat. Marian…
HARTRIGHT
MARIAN Ich werde herausfinden, wo er Anne Catherick untergebracht hat.
HARTRIGHT Und wie willst du das schaffen?
N
IC
Mit den Waffen einer Frau.
Was ist?
MARIAN (lächelnd)
(Sie kommt hinter dem Schirm hervor und trägt ein rotes Kleid, in dem sie umwerfend aussieht. Hartright ist für einen Moment verblüfft. Er sieht sie an. Sie zögert.)
MARIAN (unsicher)
HARTRIGHT Nichts. Es ist nur, dass ich dich noch nie so gesehen habe.
Danke.
MARIAN
63 HARTRIGHT Vielleicht wäre es besser, wenn ich zu ihm gehe. Walter…
MARIAN
HARTRIGHT Ich kann nicht zulassen, dass du dich so in Gefahr bringst.
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
MARIAN Du musst mir erlauben, das alleine zu tun.
HARTRIGHT Ich warte draußen. Wenn du mich brauchst, musst du nur rufen.
Danke.
Er hat keine Chance.
MARIAN
(Sie bricht auf.) HARTRIGHT
Szene 24b: Die Verführung
(Foscos Wohnung in London. Wir sehen ihn zuhause in einem seltsamen surrealen Schlupfwinkel - voll mit Tieren in Käfigen - Vögel und Mäuse. Er packt gerade seine Koffer.)
FOSCO Es ist Zeit, uns aus dem Staub zu machen, meine Täubchen! Arrivederci, Londra! Nicht weinen, bambini. Ihr müsst lernen fare la bella figura! Eine gute Figur zu machen! So ist Graf Fosco - er macht immer eine gute Figur! (Während er singt, packt er seine Koffer, verschlingt Kuchen und Bonbons und unterhält seine Tiere.)
N
IC
FOSCO ES IST VOLLBRACHT. MEINE FREUNDE, WIR HABEN DAS GELD. GLEICH GEHT ES LOS. DAS SCHIFF LIEGT SCHON AM KAI. DOCH ERST GESTATTET MIR EIN BISSCHEN ANGEBEREI. IRGENDWIE KOMMT MAN MIT ALLEM DURCH. MAN MUSS NUR CLEVER SEIN. DENN WENN DU GEIST UND CHARME VERSPRÜHST, DANN WICKELST DU SIE EIN. JA, DU KANNST LÜGEN UND BETRÜGEN, UND TROTZDEM HIMMELN SIE DICH AN. UND DOCH KOMMT MAN NUR DANN MIT ALLEM DURCH, WENN MAN AUCH RENNEN KANN.
Ciao, englisches Wetter! Ciao, scheußliches Essen.
64 (FOSCO) ALS VERBRECHER BIN ICH VORBILDLICH, GENIAL UND KREATIV. UND DOCH, EGAL WIE GUT ICH BIN, GEHT’S AB UND ZU DOCH SCHIEF. JA, SELBST FÜR EINEN MEISTERSCHURKEN, DA WIRD ES MANCHMAL ZIEMLICH KNAPP. DOCH DAFÜR GIBT ES EINE HINTERTÜR. UND DADURCH HAUT MAN AB.
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
Und nichts wie weg. Raus aus der Tür…
WIR STEHLEN UNS GANZ SCHNELL HIER FORT, MIT UNSERER GESAMTEN BEUTE. AN EINEN SEHR MONDÄNEN ORT, ALS REICHE, REUELOSE LEUTE. UM AN DER WARMEN MEERESLUFT ZU SEIN, DA LOHNT ES SICH, EIN BÖSER SCHUFT ZU SEIN. DENN GLAUBT MIR, DASS DAS LEBEN HELLER IST, WENN MAN EIN GUTER KRIMINELLER IST. IRGENDWIE KOMMT MAN MIT ALLEM DURCH. UND ICH BIN DER BEWEIS. ICH TESTE JEDE GRENZE AUS UND SPRING AUS JEDEM GLEIS. ICH NUTZE EINFACH MEINE GABEN, DIE ICH VOM HERRGOTT MITBEKAM. DENN EINES GIBT ES, WAS MAN HABEN MUSS. UND DAS IST KEINE SCHAM. JA, ICH KOMM KINDERLEICHT MIT ALLEM DURCH, DENN ICH HAB KEINE SCHAM.
Foscos Zugabe
N
IC
IRGENDWIE KOMMT MAN MIT ALLEM DURCH. NUR LANGWEIL’N DARF MAN NICHT. UND DANN STIEHLT MAN AUCH ’NEN BANKTRESOR IM HELLEN RAMPENLICHT. ICH BRACH NEUN ODER ZEHN GEBOTE, WOBEI ICH JEDES MAL ENTKAM. JA, ICH KOMM KINDERLEICHT MIT ALLEM DURCH, DENN ICH FÜHL NIE, NIE NIE-NIE-NIE-NIE, NIE NIE-NIE-NIE-NIE, NIE NIE-NIE-NIE-NIE, SCHAM-SCHAM-SCHAM-SCHAM, SCHAM-SCHAM-SCHAM-SCHAM. NIE NIE-NIE-NIE-NIE, NIE-NIE-NIE-NIE-NIE, NIE-NIE-NIE-NIE-NIE, NIE NIE NIE NIE SCHAM!
(Er hat fast fertig gepackt und ist zur Abreise bereit, da kommt ein Diener und meldet Marians Ankunft.) DIENER
Miss Marian Halcombe.
(Fosco ist freudig überrascht. Er scheucht den Diener weg. Er streicht sich das Haar zurück und zieht seine Hausjacke zurecht. Der Diener geht ab.)
65 FOSCO MISS HALCOMBE, WAS VERSCHAFFT MIR DIESE EHRE? EUER ANBLICK MACHT MICH ENTHUSIASTISCH. (Sie zieht den Mantel aus und zeigt zum ersten Mal ihr rotes Kleid.) MARIAN ICH HAB MIR GEDACHT, VIELLEICHT VERMISST IHR MICH.
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FOSCO ICH MUSS SAGEN, ROT STEHT EUCH FANTASTISCH.
MARIAN ICH KANN NICHT MEIN LEBEN LANG NUR TRAUERN. WENN ICH MEINE SCHWESTER AUCH VERMISSE.
FOSCO DAS IST EINE HALTUNG, DIE MIR SEHR GEFÄLLT.
ICH BIN ZUM ERSTEN MAL ALLEIN.
MARIAN
FOSCO GLAUBT MIR, DAS MÜSST IHR NICHT MEHR SEIN. SPAẞ IST DIE BESTE THERAPIE.
MARIAN IHR KÖNNT MIR SICHER ZEIGEN, WIE.
FOSCO ICH FAHR MORGEN FRÜH SCHON AUF DEN KONTINENT.
MARIAN WIE SEHR MEIN HERZ NACH ABWECHSLUNG UND SPANNUNG BRENNT.
FOSCO DA WÄRT IHR MIT MIR IN EUREM ELEMENT.
N
IC
MARIAN JA, ICH FÜHL, DASS ZWISCHEN UNS NOCH MEHR IST. DOCH ICH SEHE, DASS MEIN GLAS SCHON WIEDER LEER IST. (Fosco nimmt ihr Glas und füllt es reichlich wieder auf. Währenddessen sucht sie schnell und heimlich auf seinem Schreibtisch nach dem Dokument, bevor sie sich hastig auf dem Sofa drapiert. Er gibt ihr den Drink.) Köstlich! DÜRFTE ICH SO KÜHN SEIN UND DIE SCHUHE AUSZIEHN? FOSCO FÜHLT EUCH HIER GANZ WIE ZUHAUS UND LASST EUCH GEHN. ICH WÜRD FREUDIG IN DIE WEITE WELT HINAUSZIEHN, NUR UM EURE SCHÖNEN FÜẞE ANZUSEHN. MARIAN KEINE REUE HEMMT MICH, KEINE SCHAM BEDRÜCKT MICH. ICH GEB OFFEN ZU, ICH FREU MICH, HIER ZU SEIN. (Er setzt sich neben sie aufs Sofa.)
66
FOSCO UND DAS KLEID, AUS DEM IHR DA FAST FALLT, ENTZÜCKT MICH. MARIAN WENN ICH ZITTERE, DANN NICHT AUS ANGST, OH NEIN. (Er steckt ihr eins seiner Bonbons in den Mund.)
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FOSCO WENN ZWEI SEELEN SO KLAR ZUEINANDER SPRECHEN, IST DIE ZEIT DER LEEREN WORTE LÄNGST VORBEI. UNS ZURÜCKZUHALTEN, WÄR JETZT EIN VERBRECHEN. WIR SIND ÜBER EINUNDZWANZIG UND GANZ FREI.
MARIAN ALL MEIN LEBEN WART ICH SCHON AUF ABENTEUER.
FOSCO WORAUF IHR SO LANG GEWARTET HABT, BIN ICH. ALSO BEGINNEN WIR DEN TANZ.
MARIAN UND ICH GENIEẞ IHN VOLL UND GANZ. HAB ICH NICHT AUCH DAS RECHT AUF GLÜCK?
FOSCO (intim) ICH WERD’S EUCH ZEIGEN, STÜCK FÜR STÜCK. SCHON VOM ERSTEN TAG AN WAR’S MEIN WUNSCHTRAUM, DIESES FEUER IN EUCH ZU ENTFACHEN. MARIAN HEIMLICH HAB ICH MICH SO OFT NACH EUCH GESEHNT.
FOSCO HEIMLICH TAT ICH NOCH GANZ AND’RE SACHEN. (Sie küssen sich.) WENN ICH EUCH NICHT ENDLICH HABEN KANN, DANN PLATZ ICH. VIEL ZU LANGE ÜBTE ICH MICH IN VERZICHT.
N
IC
MARIAN DOCH ICH FÜRCHTE, EUER BART IST ETWAS KRATZIG. MEINE UNSCHULD RETT ICH NICHT, DOCH MEIN GESICHT. WÜRDET IHR EUCH BITTE VORHER NOCH RASIEREN? FOSCO UMSO BESSER WERDEN WIR DANN HARMONIEREN.
(Fosco geht ab, um sich zu rasieren. Marian flitzt durch das Zimmer auf der Suche nach dem Dokument. Sie öffnet Schubladen und sieht auf Regalen nach.)
67
Wo ist es? Wo ist es?
MARIAN (für sich)
(Sie sucht weiter und geht Papiere durch.) (laut zu ihm) Ich mache es mir ein bisschen gemütlich! (Sie findet das Dokument und liest es.) (für sich)
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de Ja!
(Sie hat keine Zeit mehr, das Papier zurückzulegen, als sie ihn kommen hört. Sie versteckt es an ihrem Körper. Fosco kommt wieder herein, ganz auf Liebe eingestellt. Sie setzt sich schnell.)
FOSCO NUN, DA ICH NOCH WEICHER ALS EIN BABYPO BIN, NUN BIN ICH ZU JEDER SÜNDE GERN BEREIT.
(Sie setzt sich von ihm weg.)
MARIAN NUR DASS ICH MIT UNSERM PLAN JETZT NICHT MEHR FROH BIN. UND ICH KRIEGE KALTE FÜẞE, TUT MIR LEID.
(Sie zieht sich die Schuhe wieder an.)
FOSCO ALS ICH GERADE GING, WART IHR DOCH NOCH SO WILLIG. WO KOMMT DIESER SINNESWANDEL PLÖTZLICH HER? (Sie steht auf.)
N
IC
MARIAN TJA, ICH FÜHLE MICH AUF EINMAL SCHRECKLICH BILLIG. SCHEINT, ALS OB ICH DOCH NICHT SO EIN MÄDCHEN WÄR.
(Fosco hält inne und sieht sie scharf an.)
FOSCO IHR ERWEIST EUCH ALSO LEIDER ALS ZU BIEDER. DOCH WAS IHR MIR GESTOHL’N HABT, HÄTT ICH GERNE WIEDER.
(Wortlos gibt sie ihm das Dokument zurück. Er hält sie einen Moment fest.)
Bitte lasst mich los.
MARIAN
(Er tut es.)
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N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
FOSCO IHR GLAUBT, IHR STEHT ALS SIEGER DA. DOCH DENKT DARAN, WAS MÖGLICH WAR. DIE LIEBE WAR ZUM GREIFEN NAH. DOCH DAZU FEHLTE EUCH DER MUT. WAS TAUSCHT IHR FÜR DIE LIEBE EIN? BALD SEID IHR ALT (mit Gehässigkeit) UND ALLEIN! (Er wirft ihr das Dokument zu.) VIEL GLÜCK DABEI. MACHT’S GUT.
FOSCO Wenn Ihr etwas über Anne Catherick erfahren wolltet, hättet Ihr nur zu fragen brauchen. Lauras Vater hatte eine Schwäche für schöne Frauen. Annes Mutter war schön… den Rest könnt Ihr Euch sicherlich zusammenreimen. Anne ist Lauras Schwester?
MARIAN
FOSCO Uneheliche Schwester. Bitte, ich will Euch nicht aufhalten. (Sie geht ab.) Sir Percival Glyde, schachmatt. IRGENDWIE KOMM ICH MIT ALLEM DURCH. NUR NICHT MIT ALLEN FRAU‘N. SO ETWAS NAGT VORÜBERGEH‘ND AN MEINEM SELBSTVERTRAU‘N. DOCH WENN ES ZEIT WIRD FÜR DEN ABGANG, DANN ACHT‘ ICH AUF DIE RECHTE ZEIT. MAN SOLLTE GEHN, WENN ES AM SCHÖNSTEN IST. DENN DANN TUT‘S ALLEN LEID.
(Er hat es irgendwie geschafft, die gesamte Einrichtung des Zimmers einzupacken. Er geht ab.)
N
IC
69 Szene 24c: Marian und Hartright - Das perfekte Team (Hartright wartet vor Foscos Haus auf Marian. Sie kommt atemlos herausgelaufen.)
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
MARIAN ICH HAB IHN IN SEINEM EIG’NEN SPIEL GESCHLAGEN, UND ICH WEIẞ JETZT, WO SIE IST. GUT, DASS ER SO EITEL IST UND SO EIN NARZISST. ANNE WAR ALL DIE ZEIT IN CUMBERLAND IN EINEM HEIM. WIR MÜSSEN SIE BEFREI’N. DU BIST WIRKLICH FABELHAFT. JA, DAS KANN SCHON SEIN.
HARTRIGHT MARIAN
(Er nimmt ihre Hand.)
HARTRIGHT ICH SPÜRE ES, SIE IST DER SCHLÜSSEL. ALLES NIMMT JETZT EINEN NEUEN LAUF. DU GANZ ALLEIN HAST SIE GEFUNDEN. DAS GEHEIMNIS LÖST SICH ENDLICH AUF.
(Sie fahren nach Cumberland. Sie sind jetzt das perfekte Team.)
Szene 24d: In Limmeridge
NEHMT DIESEN STIFT. SCHAUT HIER. UND UNTERSCHREIBT.
GLYDE
FAIRLIE
NUN GEHÖRT ES EUCH, DAS, WAS SIE BESAẞ.
GLYDE
N
IC
MEINEN BESTEN DANK.
FAIRLIE TRINKT MIT MIR EIN GLAS. TRINKT AUF LAURAS WOHL. WOLLT IHR DAS FÜR SIE TUN? ICH MUSS ZU MEINEM ZUG.
MÖG’ SIE FRIEDLICH RUH’N.
GLYDE
FAIRLIE
GLYDE VERZEIHT. ICH MUSS JETZT ZUM ZUG. (Glyde geht ab.)
70 FAIRLIE Jetzt bin ich also allein und heimatlos. Die Dunkelheit bricht herein, Bruder. Lang begrabene Geheimnisse schwirren mir im Kopf herum. Es flüstert aus dem Grab. Und ich bin müde. Ich kann sie nicht länger zurückhalten. Ich will mich nur noch ausruhen.
Szene 25: An den Toren des Irrenhauses
N H U T R VE FÜ ZU w MU R R R w A T w SI R U AN .m K IE FF S us U B Ü IC ik ND DU HR HT un B R U db Ü C N ue HN H GE hn E N e. de
(Hartright und Marian erreichen das Irrenhaus. Hartright klopft an die Tür. Eine Krankenschwester öffnet.)
Ja? Was wünscht Ihr?
SCHWESTER
HARTRIGHT Wir kommen von Sir Percival Glyde. Wir möchten Anne Catherick sehen.
Wartet hier!
SCHWESTER
(Sie geht wieder hinein.)
MARIAN Mir ist so seltsam nervös zumute.
HARTRIGHT Du warst so mutig. Hier, nimm meine Hand.
(Sie tut es. Es ist ein elektrisierender Moment für sie.)
N
IC
MARIAN ES GIBT EINS, WAS ICH DIR SAGEN MUSS. ETWAS, DAS ICH SCHON SO LANG IN MIR TRAG.
(Sie will ihm gerade ihre Gefühle offenbaren, dass sie ihn auf den ersten Blick geliebt hat, als sich die Tür wieder öffnet. Sie lassen ihre Hände los. Der Moment für Marian ist verstrichen.)
SCHWESTER Sie darf reinkommen. Hier sind nur Frauen erlaubt.
(Die Schwester öffnet die Tür. Hartright nickt Marian zu. Marian tritt ein.)
71 Szene 26: Das Irrenhaus (Die Schwester führt Marian in einen großen weißen Raum.) SCHWESTER Ihr habt fünf Minuten. Nicht, dass Ihr irgendetwas Sinnvolles aus ihr rauskriegen könntet.
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(Die Schwester geht ab. Am entfernten Ende des Raums sitzt bewegungslos eine Frau mit dem Rücken zu Marian. Sie sieht aus dem vergitterten Fenster. Marian geht auf sie zu.) MARIAN
Anne Catherick? Anne?
(Die Frau dreht sich ganz langsam herum. Es ist nicht Anne Catherick.) MARIAN
Laura? Oh mein Gott!
LAURA
Marian! Marian!
(Sie fallen sich in die Arme.) MARIAN
Meine liebe Schwester.
(Marian bricht ab. Sie rennt zur Tür und öffnet sie.)
N
IC
MARIAN Walter! Walter! Du musst sofort kommen! (Hartright tritt ein.) Schau!
Aber wie kann das sein?
(Hartright und Laura sehen einander. Sie gehen aufeinander zu. Er nimmt zögernd ihre Hand. Marian sieht zu. Hartright wird Marians Anwesenheit bewusst, und er bricht ab.) HARTRIGHT
SIE HABEN MICH BETÄUBT UND STECKTEN MICH IN ANNES KLEIDER.
LAURA
MARIAN UND ICH HÖRTE DEINE SCHREIE. DOCH SIE SAGTEN, DASS ICH TRÄUME.
72 LAURA
UND NOCH AM SELBEN ABEND VERSCHLEPPTEN SIE MICH HIERHIN. ALS ICH SAGTE, WER ICH BIN, WOLLTE MIR DAS KEINER GLAUBEN.
MARIAN
LAURA
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UND WER IN DEINEM GRAB LIEGT, IST DIE ARME ANNE. Was?
ANNE WAR DEINE SCHWESTER. GLYDE HAT SIE GETÖTET!
MARIAN
HARTRIGHT
DAMIT KOMMT ER NICHT DAVON!
MARIAN Doch, das kommt er, wenn wir nicht schnell handeln. Er bekommt heute dein Vermögen übertragen. Er hat sicher schon in Limmeridge House die Papiere unterschrieben und ist auf dem Weg auf den Kontinent. HARTRIGHT (ein neuer Gedanke)
WENN WIR SCHNELL SIND, FANGEN WIR IHN AB, EH ER DEN ZUG NACH LONDON NIMMT.
ICH KOMM MIT DIR.
MARIAN LAURA
ER SOLL BÜẞEN. ICH WEIẞ AUCH, WIE. ANNE SUCHT IHN NOCH EINMAL HEIM!
N
IC
73 Szene 27 - Szene 27a: Die Bahngleise (Glyde steht am Bahnhof. Er hat die Papiere bei sich. Sein Benehmen ist wild. Er ist euphorisch, aber kurz vor der Explosion. Er hat zu viel getrunken. Er sieht den Bahnwärter.)
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GLYDE HALLO! DA UNTEN! BAHNWÄRTER! ICH MUSS WEG HIER. WO BLEIBT DENN DER ZUG?
BAHNWÄRTER ICH HAB GEHÖRT, AUF DEM GLEIS GIBT‘S EIN PROBLEM.
Aber kommt er noch?
GLYDE
(Glyde geht zu ihm hinunter.) Meine Geschäfte hier sind abgeschlossen. Ich darf den Zug auf keinen Fall verpassen. (Der Bahnwärter sieht ihn seltsam an.) MANN, WAS SEHT IHR MICH DENN SO SELTSAM AN? ICH HAB NICHTS GETAN! (Die Drähte beginnen zu singen.) Was ist das für ein infernalischer Lärm?
Die Drähte singen im Wind.
BAHNWÄRTER
(Glyde reagiert heftig. Das Geräusch zerrt an seinen Nerven.) BAHNWÄRTER
ICH WURDE INFORMIERT, SIR. GEFAHR IST AUF DEM GLEIS.
GLYDE Dieser schreckliche Lärm in meinem Kopf!
(Der Bahnwärter rennt zu seinem Stellwerk.)
N
IC
74 Szene 27b: Laura ringt Glyde ein Geständnis ab (Das Singen der Drähte erreicht eine schwer erträgliche Höhe. Laura, als „Frau in Weiß” verkleidet, erscheint. Sie streckt die Hand nach Glyde aus. Er fährt entsetzt herum.) GLYDE (Er ringt um Fassung.)
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Mein Gott! Anne Cath’rick! DAS IST NICHT WAHR! DAS KANN NICHT SEIN! DU BIST LANGE TOT. GEH! LASS MICH ALLEIN!
(Er weicht vor ihr zurück. Sie geht ihm nach.)
LAUF NUR DAVON. DU KOMMST NICHT WEIT. WOHIN DU AUCH GEHST, STEH ICH SCHON BEREIT.
LAURA
ICH VERRATE DICH. DAZU BIN ICH HIER. ALLES KOMMT ANS LICHT.
ICH FÜRCHT MICH NICHT VOR DIR.
WAS HAST DU GETAN? SPICH ES ENDLICH AUS.
DAS IST LANGE HER UND KOMMT NIEMALS RAUS.
GLYDE
LAURA
GLYDE
N
IC
LAURA SPRICH ES AUS, PERCIVAL GLYDE! SAG ES, WIE DU MICH GEQUÄLT HAST. DU WARST ALS MÄDCHEN SO SCHÖN. ERST FÜNFZEHN JAHRE ALT. SO GESCHAH ES BALD. UNSER FATALES GEHEIMNIS.
GLYDE
LAURA
75 GLYDE
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DAFÜR GIBT’S KEINEN BEWEIS. UND KEINER GLAUBT ES DIR, EINER FRAU WIE DIR. DU SAGTEST, DU WÄRST SCHWANGER, UND DASS ES VON MIR WÄR. OB ES GELOGEN WAR, WAR DA AUCH EGAL. ICH MUSSTE DICH DOCH SCHLAGEN, SO DUMMDREIST WIE DU WARST!
LAURA (erkennt die Zusammenhänge)
NATÜRLICH! SO WAR DAS! EINE SCHWANGERSCHAFT!
BEI DER GEBURT WAR ES REGLOS UND SOWIESO TODGEWEIHT. ICH HALF NUR ETWAS NACH, DASS ES SCHNELLER STARB.
GLYDE
LAURA DU SCHLUGST MICH UND DU TRATST MICH, SOLANGE BIS ES STARB. UND DANN NOCH OBENDREIN SPERRTEST DU MICH EIN. MEIN UNSCHULDIGES BABY, DAS HERZ, DAS IN MIR SCHLUG, ICH HAB ES NIE GEKANNT. TOT, DURCH DEINE HAND. UND AUCH MEIN LEBEN WARFST DU WEG! GLYDE DOCH DEIN GEHEIMNIS IST NICHTS WERT. KEIN MENSCH ERINNERT SICH AN DICH. GLAUB MIR, DU BIST NUNMAL DER GANZEN WELT EGAL. ES IST, ALS WÄRST DU NIE GEBOR’N. UND KEINER TRAUERT JE UM DICH.
N
IC
(Laura gibt sich zu erkennen.)
LAURA OH DOCH! ICH TRAU‘RE UM ANNE CATHERICK, UND IHR KIND, DAS DU GETÖTET HAST. GLYDE
Laura?
LAURA NUN WIRD DICH IHR GEHEIMNIS RICHTEN UND BEGRÄBT DICH UNTER SEINER LAST. DU HAST SIE UND MICH MISSHANDELT. DOCH JETZT SIND WIR BEIDE FREI. IM GEFÄNGNIS IST ES BALD MIT DEINEM TEUFLISCHEN PLAN VORBEI!
76 GLYDE DU KLEINES AAS! WILLST MICH ÜBERLISTEN? ICH BRING DICH UM, DU! ICH BRING DICH UM WIE SIE! UND DAS SCHÖNE DARAN IST, DASS ES KEIN MENSCH ERFÄHRT. DENN DU BIST TOT, DU BIST LANG SCHON TOT!
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(Er stürzt sich auf Laura und packt sie an der Gurgel. Sie fällt auf die Gleise.) LAURA
Aah!
(Hartright erscheint auf dem Bahndamm. Er läuft herunter, um Laura zu helfen.) HARTRIGHT
Lasst sie los!
(Er kann Laura von Glyde losreißen. Glyde greift nun Hartright an. Marian steht oben auf dem Bahndamm, als Dorfbewohner erscheinen. Sie zieht Laura zu sich herauf.) MARIAN
Laura!
GLYDE Der Zeichenlehrer. Ich hätt‘s mir denken können.
(Die Männer kämpfen.)
HARTRIGHT Das Spiel ist aus, Glyde! Wir haben es alle gehört. Die Polizei ist schon auf dem Weg hierher. Gebt auf!
N
IC
Das Spiel ist niemals aus!
DA IST DER MANN!
DA IST DER MANN!
WIR WISSEN, WAS ER TAT!
GLYDE (wie wahnsinnig)
(Sie kämpfen. Hartright gewinnt die Oberhand, wird dann aber zu Boden geschlagen. Die Dorfbewohner versammeln sich. Ihre Stimmen überschneiden sich.)
DORFBEWOHNER GRUPPE 2
DORFBEWOHNER GRUPPE 1
DORFBEWOHNER GRUPPE 2 DORFBEWOHNER GRUPPE 1
LASST IHN NICHT FLIEHN!
77 ALLE DORFBEWOHNER ER DARF DER STRAFE NICHT ENTGEHN! (Glyde ergreift die Gelegenheit und rennt in den Tunnel hinein.) HARTRIGHT GEHT DA NICHT REIN! ES IST GEFÄHRLICH AUF DEM GLEIS.
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(Er rennt hinter Glyde her. Eine starke Erschütterung auf den Gleisen. Das Geräusch eines herannahenden Zuges. Marian und Laura schreien auf.) MARIAN
Nein! Walter!
LAURA
Walter!
(Überall Dampf. Die Drähte singen. Das Geräusch eines pfeifenden Zuges und das Kreischen von Bremsen.) LAURA
Bitte, Gott! Walter!
(Der Bahnwärter kommt mit seiner Laterne nach vorne. Andere Männer laufen in den Tunnel hinein. Marian hält Laura zurück. Sie weinen beide. Eine Pause. Dann kommt Hartright langsam aus dem Tunnel. Er trägt den toten Glyde auf den Armen. Er legt ihn ab. Zwei Männer tragen Glyde weg. Die Menge beginnt sich aufzulösen.)
N
IC
Szene 28: Die Schwestern sind frei
(Marian und Laura klammern sich aneinander. Laura weint vor Erleichterung.)
MARIAN NUN ENDLICH FÄLLT DIE LAST VON DIR. ES WAR, ALS WÄRE ANNE BEI MIR. IHR GEIST HAT MICH GELENKT, MIR KRAFT UND MUT GESCHENKT.
LAURA
LAURA & MARIAN EIN TEIL VON ANNE BLEIBT IMMER HIER, DER WEITERLEBT IN DIR UND MIR. MARIAN Geh zu ihr.
78 HARTRIGHT Wie kann ich das? Nach all dem, was wir durchgestanden haben… MARIAN (ernst und selbstlos)
Geh.
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(Hartright geht auf Laura zu. Er hält inne und sieht zu Marian zurück, die ihm signalisiert, weiterzugehen. Er dreht sich wieder zu Laura um und geht zu ihr.)
MARIAN WENN DU KANNST, DENK NICHT MEHR DRAN, WAS WIR GETAN HABEN, SONDERN FANG VON VORNE AN. GANZ VON VORN, IRGENDWIE. GEHN WIR AUF DAS NEUE ZU. UND SEHN WIR EIN, DIESE WELT IST MEHR ALS ICH UND DU. ES WIRD GEHN, IRGENDWIE. DU WIRST SEHN, IRGENDWIE. WENN NICHT FÜR MICH, FÜR SIE.
(Laura nimmt ihren Schal ab - den Schal, den sie als Anne Catherick getragen hat – und legt ihn Marian um. Sie geht zu Hartright. Marian sieht zu. Sie beginnt zu weinen.)
HARTRIGHT IN JEDEN SCHLAG, DEN MEIN HERZ TUT, SCHLIEẞT ES DICH MIT EIN.
LAURA & HARTRIGHT
WAS MEIN HERZ MIR SAGT, MUSS DIE WAHRHEIT SEIN.
N
IC
HARTRIGHT VON HEUTE AN FÜR ALLE ZEIT SCHLÄGT ES NUR FÜR DICH ALLEIN.
WAS MEIN HERZ MIR SAGT, IST DER BESTE RAT.
(Laura und Hartright umarmen sich. Sie gehen ab. Marian ist auf einmal alleine. Sie wird von Trauer überwältigt.)
LAURA & HARTRIGHT (Offstage)
79 MARIAN WO ICH AUCH BIN, SEH ICH NUR SEIN GESICHT. TAG FÜR TAG ALLEIN. OHNE IHN FÜR IMMER. UND WENN ICH LEB, DANN NUR FÜR LAURA. ICH HAB EIN GEHEIMNIS.
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(Marian geht auf den Friedhof. Der Steinmetz meißelt gerade den Namen „Anne Catherick” und ihre Daten 1839 1860 auf Lauras Grab ein. Marian sieht ihm zu. Sie fährt mit den Fingern den entstehenden Namen nach. Als der Tag anbricht, ist sie alleine. Sie muss ihre Wünsche und Bedürfnisse unterdrücken. Sie müssen in ihr verschlossen bleiben - ihr kostbares Geheimnis. Sie ist nun die Frau in Weiß. Der Steinmetz meißelt weiter. Klack, klack, klack.)
N
IC
ENDE