deutsche bauzeitung Zeitschrift für Architekten und Bauingenieure
db-Metamorphose KLÖSTERDÄMMERUNG
{ 156. Jahrgang. EURO 19,00. Ausland EURO 19,60. 24,60 CHF 1569 ISSN 0721–1902.
09.2022
BEGRÜNTE GEBÄUDE
db-Metamorphose 09.2022 TITELTHEMA : KLÖSTERDÄMMERUNG
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Lageplan, M 1:20 000
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HIMMLISCHE RUHE
Lageplan, M 1:20000
HOTEL »MONASTERO ARX VIVENDI« IN ARCO (I) alt ohne Umbau
In der Nähe des Gardasees hat das Architekturbüro noa* hinter 7 m hohen Klostermauern ein Wellnesshotel eingerichtet. Wer das Gebäude besichtigt, gewinnt den Eindruck, dass es kaum eine geeignetere Nachnutzung für die Ordensräume hätte geben können. Beinahe wäre ich am Hoteleingang in der Via Mantova vorbeigegangen. Keine Vorfahrt, kein Vordach, kein Schild – lediglich zwei Pflanzkübel mit Zypressen vor einer schweren alten Holztür deuten an, dass man hier auf Besucher eingestellt sein könnte. Es ist die einzige Öffnung in einer sehr langen, sehr hohen Mauer. Jahrhundertelang hatte sie das Kloster der Dienerinnen Marias von der Umgebung getrennt und dem Konvent trotz der Nähe zum Stadtzentrum von Arco ein weltabgewandtes Leben garantiert. Heute schirmt sie das Hotel »Monastero Arx Vivendi« vom städtischen Treiben ab und ermöglicht einen ruhigen, entspannenden Wellnessurlaub. Vor Jahren schon hatte der Orden wegen sinkender Mitgliedszahlen einen Teil seines Klosters aufgegeben, um sich in den nördlichen Trakt neben der Kirche zurückzuziehen. Für den Rest der Anlage suchte man nach einem tragfähigen Konzept, das die beiden Hoteliers Stephanie Happacher und Manuel Mutschlechner nun zusammen mit dem Architekturbüro noa* 78
{ Architektur: noa* network of architecture Tragwerksplanung: Baubüro { Text: Christian Schönwetter Fotos: AndreaDalNegro, Alex Filz gefunden haben: Der Südflügel, 1689 errichtet, wurde in Absprache mit dem Denkmalamt substanzschonend umgebaut, sodass er 40 Zimmer eines Boutiquehotels aufnehmen kann, während der zugehörige Wellnessbereich mit Schwimmbecken und diversen Dampfbädern, die viel Haustechnik erfordern, in einem Neubau im Garten Platz fand. Auf Wunsch der Denkmalpflege duckt er sich als niedriger, leichter, gläserner Pavillon an die Klostermauer und macht dem alten dreigeschossigen Südflügel architektonisch keine Konkurrenz. Unter dem Pavillon versteckt sich eine Tiefgarage, um den Außen- und Erholungsraum frei von Autos zu halten. »VERKEHRTE WELT« IM EG Da ich zu Fuß unterwegs bin, betrete ich das Hotel über besagten diskreten Eingang. Für ein Gebäude mit Publikumsverkehr mag er reichlich unauffällig sein, dafür wahrt er aber das au-
alt neu
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thentische Erscheinungsbild des Klosters. Zunächst gelange ich alt in einen Vorbau neu direkt hinter der Straßenmauer, der als eine Art Pufferzone einst die Novizinnen beherbergte, die mehr Kontakt mit der Außenwelt pflegten als die Schwestern. Von dort geht es geradeaus weiter in den großen Südflügel. Er überrascht beim Rundgang durchs EG mit einem unkonventionellen Grundriss: Hinter den vier Fassaden verläuft ein heller breiter Flur und umrahmt die Gebäudemitte, in der die Haupträume im Halbdunkel liegen. Was aus heutiger Sicht als irrationales Vertauschen von Erschließungs- und Aufenthaltsflächen erscheint, war zur Erbauungszeit vollkommen sinnvoll, ermöglichte der umlaufende Gang den Schwestern doch endloses Wandeln im Gebet, während sich im Gebäudekern eine Enfilade profaner Wirtschaftsräume befand. Dort werden Gäste heute, vom Haupteingang kommend, zur Linken von der Rezeption empfangen. Zur Rechten sind in einem kleinen Ausstellungsraum einige Möbel und weitere Exponate aus der Klosterzeit zu sehen. Daran ›
[1] Der
Garten links und der Gebäudeflügel oben im Bild gehören zum Hotel. Den Rest der Klosteranlage bewohnen noch einige Schwestern
[2] Frühstücksraum
im EG: Der lange Tisch in der Mitte lässt sich als Anspielung auf ein Refektorium auffassen
[3] Das
Granatapfelmotiv des alten Bogenfreskos haben die Hoteliers in ihr Logo aufgenommen, es erscheint heute auf Visitenkarten und Website des Gästehauses
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Schnitt, M 1:1 000
Grundriss 1. OG, M 1:1 000
Schnitt, M 1:1000 8
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6 Grundriss EG, M 1:1 000
Grundriss 1. OG, M 1:1000
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1 Eingang
Grundriss EG, M 1:1000 2 Suite 3 Rezeption 4 Büro 5 Ausstellung 16Eingang Frühstück 27Suite Selbstbedienungsbar 3 Rezeption Aufzug 48Büro Küche 59Ausstellung 10 Frühstücksbüffet und Bar 6 Frühstück 7 Selbstbedienungsbar 8 Aufzug 9 Küche 10 Frühstücksbüffet und Bar
[4] Die
ehemalige Wäscherei beherbergt jetzt Frühstücksbüffet und Bar
[5] Lange,
breite Gänge wie dieser umrunden das gesamte EG. Die Leuchten sind eine Spezialanfertigung
[6] Blick
ins 1. OG: Einen Flur von 7 m Breite findet man nicht oft. Die Gemeinschaftsflächen des Klosters waren großzügig, die Zellen hinter den Türen dagegen bescheiden
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schließt ein großer Frühstückssaal an. Neben den üblichen Tischen, die sich entlang der Fenster zum Flur ausrichten, kann man auch an einer langen Tafel in der Mitte Platz nehmen und sich dabei an ein Refektorium erinnert fühlen, auch wenn die Tafel modern gestaltet ist. Weiter geht es in den angrenzenden ehemaligen Wäschereitrakt, hier liegt die Bar, die auch der Ort für das Frühstücksbüffet ist – einige Speisen werden auf Relikten wie einem alten Brunnen und einem Kamin dargeboten. Alle Räume im EG zeigen sich in den historischen Farben des Klosters. Restauratoren haben die Putzoberflächen von Wänden und Gewölben handgekratzt und anschließend weiß lasiert, am Boden liegt größtenteils ein weißgrauer Terrazzo nach altem Vorbild und die Holzfenster tragen nach Befund wieder einen grauen Anstrich. Das Schwarz ihrer Beschläge findet seine Entsprechung in den neuen Metallleuchten und Stahlrohrmöbeln, das Grau der Fensterrahmen in den Polstern der modernen Stühle und Sessel, sodass das Interieur insgesamt sehr zurückhaltend und ruhig wirkt – optische Entschleunigung im Sinne der Wellness. Den lautesten Farbakzent setzen noch die Naturholzoberflächen der Tische. ERSCHEINUNGSBILD BEWAHRT IM 1. OG Mit dem neu angebauten Aufzug an der südlichen Schmalseite des Gebäudes fahre ich ein Stockwerk nach oben und finde mich in einem – klassisch innenliegenden – Flur von beeindruckenden 50 m Länge wieder. Auf den ersten Blick wirkt es, als sei hier die Zeit stehen geblieben, doch im Gespräch mit den Architek-
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ten erfahre ich, dass kaum ein Bauteil unberührt geblieben ist. Am Boden etwa wurden die historischen Cottofliesen ausgebaut und gereinigt, neue Leitungen verlegt und die Fliesen darüber wieder eingebaut, wobei man schadhafte Exemplare durch Replikate ersetzte, die man gleichmäßig untermischte. Glücklicherweise zeigte die Denkmalpflege sich hier aufgeschlossen und beharrte nicht etwa darauf, die Fliesen in situ zu belassen. Im Ergebnis bewahrt der Boden nun Patina und historisches Flair der Klosterzeit und zeigt dennoch ein intaktes Erscheinungsbild, wie es Gäste eines gehobenen Hotels erwarten. Die vorhandenen Holztüren zu den Zellen wurden von der Innenseite an die Außenseite der Laibung versetzt, um dahinter jeweils eine moderne Tür mit elektronischem Zugang und heutigen Schall- und Brandschutzstandards einsetzen zu können. Durch ihren dezenten schwarzen Farbton nehmen diese sich gegenüber den Bestandstüren optisch stark zurück. Sie gewähren Zugang zu den kleinen Klosterzellen, die immer paarweise zusammengefasst wurden – eine dient jetzt als Bad, die andere als Schlafbereich – sodass größere Zimmer mit bequemen 22-30 m² entstanden sind. Dadurch wurde im Flur jede zweite Bestandstür stillgelegt und dient nur noch als Revisionsöffnung für die dahinter versteckte Haustechnik. Die wuchtige alte Holzbalkendecke haben Restauratoren mit Bimssteinsand gestrahlt und anschließend gewachst. Seit dem Umbau erfüllt sie keinen statischen Zweck mehr. Denn direkt über ihr hat man eine neue Decke eingezogen (aus Denkmalgründen als reversibel eingefügte Verbundkonstruktion aus Trapezblech und Beton). Nur so ließ sich auch das darüberliegende DG mit Hotelzimmern ausbauen.
HIMMELSLICHT IM DG Mit seinen kleinen Fenstern unter der Traufe war das oberste Stockwerk ursprünglich zu dunkel für Wohnzwecke. Das Team von noa* hat daher den First mit einer Verglasung geöffnet, die Helligkeit in den mittigen Flur lässt und von dort über Oberlichter in die Zimmer. Die alten hölzernen Dachbinder sind überall sichtbar belassen, die Zimmertrennwände mit etwas Abstand hinter die Binder gestellt. Ein Blick auf den Grundriss zeigt, dass die vorhandenen Fensteröffnungen in unterschiedlichen Abständen in der Fassade sitzen, woraus die Architekten unterschiedliche Zimmergrößen abgeleitet haben – die geräumigeren sind rollstuhlgeeignet. Auf die Unregelmäßigkeiten des Bestands hat man mit einem komplett maßgefertigten Innenausbau reagiert. Statt in der üblichen Nasszelle sind Waschbecken und Dusche bei den meisten Zimmern offen ins Raumkonzept integriert, nur die Toilette bildet einen abgeschlossenen Bereich. So wirken die Zimmer größer. Die Möbel wecken bei allem Komfort mit ihrem schlichten, bisweilen puristischen Design Assoziationen an klösterliche Bescheidenheit. Zum Schluss gehe ich noch ein paar Schritte durch den Garten. Hinter 7 m hohen Mauern verborgen, blendet er die unmittelbare Umgebung aus und wirkt als Hortus Conclusus zunächst einmal sehr introvertiert. Aber nicht beengend. Denn gleichzeitig kann der Blick trotz der stattlichen Einfriedung über die Steilhänge der südlichen Dolomiten schweifen, sogar zur größten Sehenswürdigkeit von Arco, zur Burg, sodass keinerlei klaustrophobische Gefühle aufkommen. › 81
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Grundriss Zimmer DG, M 1:200
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Zimmer 2. OG, M 1:200 7
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Beim Verlassen des Hotels bleibt der Eindruck, dass hier genau die richtige Nachnutzung für die Klosteranlage gefunden wurde. Das Wellnesshotel profitiert enorm von der meditativen Atmosphäre der Klosterräume und des geschützten Gartens, gleichzeitig bewahrt es sie. Andere Gastronomiekonzepte, etwa ein Tagungshotel oder gar eine Jugendherberge, hätten deutlich mehr Trubel mit sich gebracht. Das »Monastero Arx Vivendi« dagegen als Refugium für Entschleunigung, Ruhe und Kontemplation überführt den Genius Loci in unsere Zeit. Das Team von noa* wiederum hat dafür genau den richtigen Gestaltungsansatz gefunden, der mit einer zurückhaltenden, stillen Innenarchitektur sowohl der Vergangenheit der Räume gerecht wird als auch ihrer neuen Bestimmung. •
[7/8] Im
1. OG wecken Himmelbetten, Waschschüssel und angelehnter Spiegel trotz moderner Gestaltung Erinnerungen an frühere Zeiten
[9/10] Das
Dach wurde für eine Firstverglasung geöffnet. Sie belichtet nicht nur den Flur, sondern auch die Zimmer dieser Etage
{ Standort: Via Mantova 13, I-38062 Arco Bauherr: HM Monastero Srl, Stephanie Happacher & Manuel Mutschlechner, Arco (I) Architekten: noa* network of architecture, Bozen (I) Projektmanagement: Baubüro, Bozen (I) Technische Gebäudeausrüstung: Energytech, Bozen (I) Brandschutz: GB Studio & Associati, Trento (I) Restaurierung: Bronzini L. & C. S.a.s., Rovereto (I) Bauleitung: Arker Studio, Rovereto (I) Beleuchtungsberatung: Lichtstudio Eisenkeil, Marlengo (I) { Beteiligte Firmen: Türen: Rubner, Kiens (I), www.rubner.com Fenster: Tecnofenster, Niederdorf (I), www.tecnofenster.it Böden: Simonazzi, Völs am Schlern (I), www.simonazzi-boeden.eu Leuchten: Aldo Bernardi, Pieve del Grappa (I), www.aldobernardi.com; Faro Barcelona, Artemide, Pregnana Milanese, www.artemide.com; Nordlux, Aalborg (DK), www.nordlux.com; Seletti, Cicognara (I), www.seletti.it; Paola Paronetto, Porcia (I), www.paola-paronetto.com WC & Bidet: GSI ceramic elements, Gallese (I), www.gsiceramica.it Waschbecken: Forzalaqua, Cuijk (NL), www.forzalaqua.nl; Kerasan, Civita Castellana (I), www.kerasan.com; GSI ceramic elements, Gallese (I), www.gsiceramica.it Armaturen: Hansgrohe, Schiltach, www.hansgrohe.de 83