Obdach auf Zeit

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Hohenschönhausen Gestern und Heute

ObdachaufZeit Zur Geschichte der Ausländerwohnheime in der Gehrenseestraße in Berlin-Hohenschönhausen Rolf Meyerhöfer

Herausgeber: Förderverein Schloß Hohenschönhausen e.V. Hauptstraße 44 13055 Berlin Verein für ambulante Versorgung e.V. Ribnitzer Straße 1 13051 Berlin 1


Im vorliegenden Buch wurden Fakten und Meinungen zur Geschichte der Wohnheime in der Gehrenseestraße zusammengetragen. Es werden Beiträge und Aussagen verwendet, die entweder in schriftlicher Form vorliegen oder durch Aufzeichnungen von Gesprächen durch Susanne Harmsen oder Dr. Rolf Meyerhöfer entstanden sind (siehe Anhang 3: Verzeichnis der Gesprächspartner und Autoren). Dank gilt Frau B. Olhagaray und Frau E. Ulrich für die konkrete Hilfe bei der Erarbeitung und Auswahl der Beiträge. Titelbild: Heime in der Gehrenseestraße in Hohenschönhausen im Jahre 1994 Die Broschüre wurde mit Unterstützung des Bundesprogramms „Toleranz fördern - Kompetenz stärken“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren Frauen und Jugend gedruckt.

Redaktion: Bettina Grotewohl Susanne Harmsen Dr. Rolf Meyerhöfer Bärbel Olhagaray Evelyn Ulrich Layout: Dr. Rolf Meyerhöfer Herausgeber: Förderverein Schloß Hohenschönhausen e.V. Hauptstraße 44 13055 Berlin Verein für ambulante Versorgung e.V. Ribnitzer Straße 1 13051 Berlin Berlin, Dezember 2012

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Inhaltsverzeichnis Einführung ........................................................................................ 5 Die Errichtung der Heime in der Gehrenseestraße............................... 11 Ausbildung von ausländischen Jugendlichen in der DDR ...................... 14 Vertragsarbeiter ............................................................................... 17 Unterbringung von Vertragsarbeitern ................................................... 23 Vertragsarbeiter nach den gesellschaftlichen Veränderungen 1989 ........ 27 Zigarettenverkauf .............................................................................. 31 Sozialleistungen für Migranten ........................................................... 39 Spätaussiedler und Kontingentflüchtlinge ............................................ 44 Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien ............................. 50 Offene Jugendarbeit mit Bürgerkriegsflüchtlingen ................................. 53 Asylbewerber ................................................................................... 59 Arbeit von Institutionen und Vereinen .................................................. 64 Ausländerbeauftragter in Hohenschönhausen ................................. 64 Selbsthilfe - Förderung Ausländischer Bürger e.V. (SFAB) .............. 70 Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen e.V. (BI) ..................... 74 Verein für ambulante Versorgung Hohenschönhausen e.V. (VaV): .... 84 Verein Ball e.V. ........................................................................... 90 Verein Reistrommel e.V. .............................................................. 95 Rückblick und Ausblick .................................................................... 99 Nachwort ....................................................................................... 101 Anhang 1 ...................................................................................... 103 Begriffsbestimmung .................................................................. 103 Anhang 2 ...................................................................................... 105 Zeittafel .................................................................................... 105 Anhang 3 ...................................................................................... 106 Gesprächspartner und Autoren ................................................... 106 Anmerkungen ................................................................................ 109

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Einführung Die Geschichte der Wohnheime in der Hohenschönhausener Gehrenseestraße erfordert einige wesentlichen Vorbemerkungen zu den Entwicklungen des Verhältnisses der Bürger in der DDR und in der BRD zu den Migranten. Diese Tatsachen sollen das Verständnis für Ereignisse, Entwicklungen und der Nutzung von Heimen als zeitweilige Wohnstätte von Ausländern in den Jahren 1982 bis 2003 fördern. Die Migration von Menschen, d.h. die dauerhafte Abwanderung von Individuen und Gruppen von Menschen von einem geographischen oder sozialen Raum in einen anderen, ist so alt wie die Menschheit selbst. Dennoch gibt es Zeiten, in denen die Migration einzelner Gruppen von Menschen besonders stark ist. Erinnert sei die Auswanderungsbewegung aus Europa nach Amerika im 19. und 20. Jahrhundert. Diese vom Einwanderungsland unterstützte Migrationen ist aber von den durch Verfolgung und Bedrohung des Lebens von Menschen hervorgerufenen Migrationen zu unterscheiden. In der Zeit des Nationalsozialismus entwickelte sich in Deutschland eine besonders menschenfeindliche Einstellung zu bestimmten Menschengruppen. Der staatlich geprägte Antisemitismus und der Ausländerhass, der sich besonders in der Überschätzung der eigenen Herkunft zeigte, führte zu einer systematische Verfolgung und Vernichtung von jüdischen Bürgern und anderen Gruppen von Menschen. Um Leib und Leben zu retten wurden so viele Deutsche gezwungen, ins Ausland zu fliehen. Obwohl diese Migranten in den Gastländern nicht immer willkommen waren, erhielten sie Unterstützung, um überleben zu können. Die Ideologie des Rassenhasses hatte nach dem 2. Weltkrieg noch immer erhebliche Wirkung. Daher war es notwendig, nicht nur diesen Rassenhass zu überwinden, sondern auch demokratische Verhältnisse zu schaffen und ein auf gegenseitige Achtung basierendes Verhältnis zu den Nachbarvölkern herzustellen. Gerade um nicht wieder zuzulassen, dass Ängste gegenüber Fremden genährt werden, wurde 1949 im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben, dass politisch Verfolgte Asylrecht besitzen. Die Verfassung der DDR sah vor, dass fremde Staatsbürger weder 5


ausgeliefert noch ausgewiesen werden, wenn sie wegen ihres Kampfes für die in der Verfassung niedergelegten Grundsätze im Ausland verfolgt werden. Die Menschen in Deutschland sahen sich nach dem 2. Weltkrieg gezwungen, unter den Augen von Besatzungsmächten das Land wieder aufzubauen und die Lebensverhältnisse entsprechend zu ordnen. Beziehungen zu Ausländern spielten nur dann eine wesentliche Rolle, wenn man mit den Besatzungsmächten zu verhandeln hatte. Deren Kontakte zur Bevölkerung waren zunächst nur gering entwickelt und waren auch kaum gewollt. Die Bildung unterschiedlicher Besatzungszonen und dann die Gründung zweier deutscher Staaten im Jahre 1949 führte zu sehr unterschiedlichen Entwicklungen der Beziehungen zu Ausländern und Flüchtlingen. Im Westen Deutschlands kam es zu stärkeren freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Amerikanern und den Deutschen. Der Marshallplan spielte hier eine positive Rolle. Damit konnten die Betriebe die Produktion schnell wieder aufnehmen und die Bevölkerung profitierte von den Lebensmittelpaketen der Hilfsorganisation CARE, die das Überleben in den ersten Jahren nach dem Krieg erleichterten. So entwickelte sich eine eher positive Einstellung der Menschen zu den Soldaten der Besatzungsmächte. Auch die Reisemöglichkeiten der Bürger der Bundesrepublik in andere Länder bewirkten, dass weniger Scheu vor Bürgern anderer Staaten aufkam oder zumindest die Vorbehalte gegen Ausländer und Zugereiste in Grenzen blieben. Eine zunehmende Rolle spielten Ende der 1950er Jahre Flüchtlinge, die auf Grund der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse die DDR verließen und in die BRD übersiedelten. In beiden deutschen Staaten wurde nur eine deutsche Staatsbürgerschaft zugrunde gelegt. Folglich wurden Bürger der DDR in der Bundesrepublik genauso behandelt wie die Bürger der BRD. Sie erhielten die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Bürger der Bundesrepublik. Entsprechendes galt für Übersiedler der BRD in die DDR. In der sowjetisch besetzten Ostzone Deutschlands zwangen die unübersehbaren Schäden, die durch die deutschen Truppen in der 6


Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten verursacht worden waren, die Sowjetunion, die im Potsdamer Abkommen festgeschriebenen Reparationsleistungen einzufordern. Die Bevölkerung sah, dass von dem Wenigen, was nicht im Krieg zerstört worden war, ein Großteil Richtung Sowjetunion abtransportiert wurde. Kontakte zwischen den Armeeangehörigen und der (ost)deutschen Bevölkerung blieben in den Nachkriegsjahren marginal, der Kontakt zu den Deutschen war für die Soldaten nicht erwünscht. Nur zu wenigen Anlässen wurden gegenseitige Einladungen für ausgewählte Bürger ausgesprochen. Noch gravierender wurde die Abschottung der Bevölkerung gegen Ausländer in der DDR nach Schließung der Grenzen im Jahre 1961. Nur ausgewählte Bürger konnten in das westliche Ausland fahren und es gab nur wenige Kontakte zu ausländischen Bürgern, die in die DDR reisen durften. Reisen blieben oft weitgehend auf die osteuropäischen Länder beschränkt. So kam es, dass die Bevölkerung in Westdeutschland, später der Bundesrepublik, zumindest einen etwas engeren Kontakt zu Ausländern fand, als die Bevölkerung in Ostdeutschland, der späteren DDR. Hinzu kam, dass Ausländer auf Grund der im kalten Krieg propagierten Ideologie und der nur im Westen gültigen konvertierbaren Währung leichter in die BRD als in die DDR einreisen konnten. In der BRD wurde durch das Wachstum der Wirtschaft und die Schließung der Grenzen zur DDR Anfang der 1960er Jahre ein Arbeitskräftemangel ausgelöst, der durch staatliche Maßnahmen beseitigt werden sollte. Zu Hilfe kam das Angebot aus der Türkei, Arbeitskräfte zeitweise in der BRD einzusetzen. So kamen erste Gastarbeiter in die Bundesrepublik, die hier zunächst als Ungelernte in privaten Betrieben zumeist Tätigkeiten ausführten, die von den Deutschen gemieden wurden. Später kamen auch Gastarbeiter aus anderen Ländern hinzu. Die zeitweilig Beschäftigten sollten nach einigen Jahren wieder in ihre Heimat zurückkehren. Aber es zeigte sich, dass bei vielen Gastarbeitern der Wunsch entstand, in Deutschland zu bleiben, eine eigene Existenz und eine eigene Familie zu gründen. So wurden sie in Deutschland vorwiegend durch ihre Arbeit in der Industrie und im Handel heimisch, hatten ein Auskommen und ließen schließlich ihre Familienangehörigen in die Bundesrepublik nachkommen. 7


Erfahrungen bei der Unterbringung und Eingliederung von Flüchtlingen hatte man in der BRD schon gesammelt, denn vor 1961 waren zahlreiche Bürger aus unterschiedlichen Gründen aus der DDR in die BRD gekommen. Diese Flüchtlinge wurden nach und nach mit Wohnungen versorgt und in das gesellschaftliche Leben einbezogen. Bei den Gastarbeitern war dieser Prozess schwieriger, denn hier spielten die Sprachbarrieren und die kulturellen Unterschiede eine wesentliche Rolle. Aber auch hier unterwarf sich ein großer Teil der Migranten den deutschen Traditionen. Andere blieben ihrer Sprache und Kultur treu und bildeten in einigen größeren Städten Wohngebiete mit dominantem Ausländeranteil, die letztlich von den deutschen Mitbewohnern nach anfänglichen Unruhen und rassistischen Übergriffen weitgehend akzeptiert wurden. Nach 30 Jahren waren die Bürger der BRD um 1990 wesentlich stärker an das Leben mit ausländischen Bürgern gewöhnt als die Bürger der DDR. In der DDR war der Zuzug von Ausländern in den Jahren bis 1980 sehr gering. Insgesamt erhielten einige Tausend Studenten aus jungen Nationalstaaten hier eine Ausbildung, kehrten aber danach in der Regel in die Heimat zurück. Vor allem politische Flüchtlinge, die in ihrem Land verfolgt wurden, fanden in der DDR eine Bleibe, z.B. Bürger aus Chile und aus arabischen und afrikanischen Staaten. Das waren aber nur sehr wenige Personen, die in der Bevölkerung kaum auffielen und denen oft besondere Fürsorge galt. Als sich in den 80er Jahren auch in der DDR der Arbeitskräftemangel, vorwiegend für monotone und schwere Arbeiten, bemerkbar machte, wurden auch hier Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben. Diese kamen zunächst aus der Volksrepublik Polen, Ungarn und Bulgarien aufgrund von Staatsverträgen und hießen daher „Vertragsarbeiter“. Sie wohnten in der Regel in Wohnheimen und hatten hauptsächlich bei der Arbeit Kontakt zur deutschen Bevölkerung. Viele Polen arbeiteten auch grenznah und wohnten weiter in ihrem Land. Als die sozialistischen Länder ihre Arbeitskräfte selbst benötigten, wurden auch Vertragsarbeiter aus nichteuropäischen Ländern angeworben. Die Anwerbung erfolgte aber in der DDR anders als in der BRD. In der BRD wurden von vornherein die Arbeiter als Gastarbeiter durch private Firmen in einzelnen Betrieben eingestellte. In die DDR ka8


men die Ausländer auf der Grundlage von Regierungsabkommen zwischen den Regierungen der DDR und den Ländern Kuba (1978), Mosambik (1979), Vietnam (1980), Mongolei (1982), Angola (1985) und China (1986) zur Facharbeiterausbildung in die DDR. Die Regierung der DDR sah das als eine Form der Solidarität mit den Ländern der Dritten Welt an, die einen sozialistischen Weg eingeschlagen hatten. Auch handfeste politische, geopolitische und wirtschaftliche Interessen führten zur Aufnahme ausländischer Auszubildender und Studierender in der DDR. Die jungen Menschen sollten nach der Ausbildung bzw. Arbeit wieder in ihr Heimatland zurückkehren, um beim Aufbau ihrer Länder zu helfen. Sie besuchten Sprachkurse und wurden so ausgebildet, wie das in der Berufsausbildung in der DDR üblich war. Die Ausländer wurden in Heimen untergebracht, die ähnlich geführt wurden, wie Lehrlingswohnheime, also mit strengen Auflagen und Reglementierungen. Die Bürger der DDR hatten kaum Kontakt zu den Ausländern, hatten nur Kontakte in den Betrieben. Die Integration und Kontakte der Auszubildenden zu den Bürgern der DDR waren nicht erwünscht. Die Zahl der Vertragsarbeiter aus Vietnam nahm nach einer Modifizierung der staatlichen Abkommen vom Jahr 1987 an erheblich zu. Nun konnten Vertragsarbeiter angeworben werden, die zu Arbeiten eingesetzt wurden, für die kaum andere Arbeitskräfte bereit waren. Sie erhielten nur eine notdürftige Ausbildung, die Berufsausbildung wurde reduziert. Die Vertragsarbeiter, vor allem aus Vietnam und Mosambik, aber auch aus anderen Ländern, erhielten eine kurze Sprachausbildung. Sie wurden in fast 1000 Volkseigenen Betrieben eingesetzt. Ein persönlicher Kontakt zwischen den Vertragsarbeitern und den Bürgern der DDR wurde auch durch die Sprachbarriere weitgehend verhindert. Da die DDR keine frei konvertierbare Währung hatte, konnten die Vertragsarbeiter ihre Familien zu Hause nur mit Warensendungen unterstützen. Als auf Grund der sozialen Lage der Bevölkerung in Vietnam viele Vietnamesen verstärkt von dem hier verdienten Geld Waren nach Vietnam schickten, die auch dringend in der DDR gebraucht wurden, kam es Ende der 1980er Jahre zu nur notdürftig unterdrückten aggressiven Stimmungen gegen die Vietnamesen. Nach dem Beitritt der DDR zur BRD gab es erhebliche Veränderungen der Lage der Vertragsarbeiter. Die meisten Betriebe waren 9


aufgrund der D-Mark-Einführung nicht in der Lage, weiter zu produzieren, mussten Arbeiter entlassen und meist den Betrieb schließen. Mit dem Arbeitsplatz verloren die Vertragsarbeiter auch die Unterkunft und ihren sozialen Satus. Die Wohnheime wurden nicht mehr von den Betrieben finanziert und die Mieten schnellten in die Höhe. Auch ihr Aufenthalt, der an den Arbeitsplatz geknüpft war, stand in Frage. 1990 verhandelte die letzte DDR-Regierung mit den Entsendeländern, worauf Mosambik, Angola und Kuba ihre Bürger zurückholten. Nur wenige, die in der DDR inzwischen familiäre Bindungen hatten, blieben. Vietnam aber war mit 60.000 Vertragsarbeitern für eine Rückkehr überfordert. Es gab für sie in Vietnam weder Wohnung noch Arbeit. Deshalb versuchten viele Vietnamesen nach 1990 bis zum Auslaufen der Verträge und auch darüber hinaus in Deutschland zu bleiben. Der Zustrom von Migranten nahm nach 1990 erheblich zu. Ursache waren die offenen Grenzen, denn Deutschland war leicht zu erreichen. Auch in den anderen sozialistischen Ländern verloren Vertragsarbeiter ihre Existenz, übersiedelten häufig nach Deutschland und lebten hier zunächst meist illegal. Die Bundesregierung stand nun vor dem Problem einerseits einen Teil der Migranten, die Asyl beantragten oder eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erhielten, in Deutschland aufzunehmen, andererseits die Anzahl der Asylbewerber und illegal hier lebenden Migranten durch Abschiebungen in ihre Heimatländer zu begrenzen. Dieses Buch ist als Ergänzung der Ausstellung gleichen Namens hergestellt worden. In den Ausführungen dieses Buches wird einerseits die Entwicklung der Heime in der Hohenschönhausener Gehrenseestraße betrachtet, die letztlich ein Spiegelbild der Gesamtentwicklung der Migration in den östlichen Bundesländern ist. Andererseits sollen einige Probleme aufgezeigt werden, die den weiteren Aufenthalt von ausländischen Bürgern in Hohenschönhausen nach 1989 betreffen. Es liegt hier keine wissenschaftliche Arbeit vor, sondern eine Beschreibung der Lebensumstände an Hand von Erfahrungen, die deutsche Bürger und Migranten in BerlinHohenschönhausen gemacht haben. Durch die Ausführungen der Betroffenen (kursiv geschrieben) waren Dopplungen von Aussagen nicht zu vermeiden. 10


Die Errichtung der Heime in der Gehrenseestraße In den 1970er Jahren war die Wohnungsnot in der Hauptstadt der DDR, im Osten Berlins, noch sehr groß. Im Jahre 1971 wurde deshalb vom VIII. Parteitag der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands – führende Partei der DDR) ein Wohnungsbauprogramm beschlossen, das bis zum Jahre 1990 die Beseitigung der Wohnungsnot als soziales Problem durch Neubau und Modernisierung von Wohnungen vorsah. In Berlin wurde entsprechend der Planung zunächst zwischen 1973 und 1979 ein völlig neues Wohngebiet im Osten der Stadt errichtet, das den Namen des darin integrierten Dorfes Marzahn bekam. Ab 1978 folgten Neubauten am Süd- und Ostrand von Hohenschönhausen und schließlich 1983 bis 1989 ein völlig neues Wohngebiet mit fast 30 000 Wohnungen im Nordosten von Hohenschönhausen, das heute den Namen Neu-Hohenschönhausen trägt. Auch bei Hellersdorf entstand ab 1986 ein neues Wohngebiet. Beim Aufbau dieser großen Wohngebiete mit fast 300 000 Einwohnern wurden viele Arbeitskräfte aus allen Bezirken der DDR gebraucht. Sie mussten während ihrer Tätigkeit in Berlin auch untergebracht werden. Es bot sich an, einen kleinen Wohnkomplex im Osten von Hohenschönhausen zu errichten, in dem die Arbeiter wohnen konnten und wo auch ihre Versorgung gesichert war. Die Planung begann 1975. In dem Gebiet zwischen der Hohenschönhausener Hauptstraße, der damaligen Falkenberger Straße (heute Gehrenseestraße) und der Anfahrt zum Plattenwerk (heute Wollenberger Straße) lagen Hausgärten und landwirtschaftlich genutzte Flächen. Der sogenannte Schlangengraben, der verfüllt wurde, durchzog das Gelände. Die Baugrunduntersuchung 1977 ergab, dass eine normale Bebauung möglich ist. Geplant wurden Wohnbauten, die zwischen 1977 und 1980 errichtet werden sollten. Der Planträger war HAG Berlin komplexer Wohnungsbau, der Investauftraggeber der Magistrat von Groß-Berlin. Als Projektant und Hauptauftragnehmer wurde der VEB (B) Wohnungsbaukombinat 11


Neubrandenburg verpflichtet. Sowohl die Projektierung als auch die Bauausführung oblagen dem Betriebsteil Malchin des VEB Wohnungsbaukombinats Neubrandenburg. Einige Planungsarbeiten übernahmen der VEB Ingenieurhochbau Berlin und der VEB Wohnungsbaukombinat Berlin. Um Baufreiheit zu schaffen, mussten einige Dorfhäuser abgerissen werden. Dadurch und durch den späteren Abriss weiterer Häuser im Dorfkern wurde der dörfliche Charakter von Hohenschönhausen vollständig vernichtet. Mit dem Bau der 6-geschossigen Wohnblöcke wurde im Jahre 1977 begonnen und 1980 waren neun Häuser mit den notwendigen Versorgungseinrichtungen für Strom, Wasser, Abwasser und Fernsprecheinrichtungen fertig gestellt. Die Schule auf dem angrenzenden Gelände gehörte nicht zum Wohnkomplex, wurde aber in der gleichen Zeit errichtet. Bereits ab 1978 waren Bauarbeiter in den Heimen untergebracht. Sie errichteten die Wohnblocks in den Wohngebieten an der Landsberger Allee, in der Nähe der Hohenschönhausener Hauptstraße und wurden auch in Marzahn und in Neu-Hohenschönhausen eingesetzt. Als die Wohngebiete fertig gestellt waren erhielt ein Teil der Bauarbeiter eine eigene Mietwohnung in den neuen Wohnblocks. Dadurch sank ab 1982 die Zahl der Arbeiter in den Heimen. Der Planung des Gebäudekomplexes großzügige Wohnan der Gehrenseestraße komplex erforderte deshalb eine neue Nutzung. Neben ausländischen Studenten wurden ausländische junge Menschen untergebracht, die in der DDR auf Grund von Regierungsvereinbarungen mit einigen jungen Nationalstaaten eine Ausbildung als Facharbeiter erhielten. In den Heimen befanden sich einige Wohnungen, dazu gab es Zimmer, die für die Belegung mit zwei Personen vorgesehen waren. 12


Die Unterkünfte waren so eingerichtet, dass man in kleinen Gruppen dort in notdürftig möblierten Zimmern wohnen konnte. Auf den Fluren waren Küchen, Waschräume und Toiletten als gemeinschaftlich genutzte Einrichtungen vorgesehen. Verwaltet wurden die Heime im Auftrag des Magistrats von Berlin durch die Arbeiterwohnheimverwaltung Die Heime kurz nach der Fertigstellung (ARHV), oft kurz als ARWOBAU (Arbeiterwohnungsbaugesellschaft) bezeichnet. Nach 1989 gingen die Heime in Privateigentum über. Die ARWOGE (Arbeitnehmerwohnungsbau-Gesellschaft) übernahm die Heime im Auftrag des Senats einschließlich des zugehörigen Geländes. Die daneben liegende Schule blieb allerdings in Landesbesitz, wobei ein Teil des Schulgebäudes auch privatisiert wurde. Als privater Eigentümer erhielt die ARWOGE keine staatlichen Mittel zum Erhalt der Bausubstanz, so dass die Mieten im Heim erheblich anstiegen. Bis 2003 wurden die Heime für die Unterbringung von Vertragsarbeitern, Migranten und für Vereine genutzt. Danach standen die Heime leer. Die ARWOGE erhielt dann eine Genehmigung zum Abriss der Heime, verkaufte aber das Grundstück mit den Heimen an einen privaten Nutzer. Obwohl der Umbau der Heime vorgesehen war, kam es mehrfach zum Weiterverkauf. Ein Um- oder Ausbau erfolgte aber nicht. 2010 begann eine Firma mit dem Rückbau der Häuser, ein Teil der Fenster und Türen wurden ausgebaut. Aber dann wurde das Grundstück wieder verkauft. Geplant ist nun der Umbau zu Wohnungen. Da sich das Grundstück in Privateigentum befindet, hat das Bezirksamt kaum Möglichkeiten, Einfluss auf die Rekonstruktion, den Rückbau oder die künftige Nutzung der Gebäude zu nehmen. 13


Ausbildung von ausländischen Jugendlichen in der DDR Die Solidarität mit den Völkern der Dritten Welt war in der DDR stark ausgeprägt, teilweise auch durch den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) und andere Organisationen bewusst organisiert. Im Rahmen dieser Solidaritätsbewegung, aber auch auf Grund politischer, geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen, sah sich die Regierung veranlasst, junge Menschen aus einigen Ländern zu Facharbeitern in der DDR auszubilden oder sie zum Studium in die DDR einzuladen. Seit 1978 wurden so junge Vietnamesen, Mosambikaner, Kubaner und Angolaner von ihren Regierungen mit dem Ziel in die DDR geschickt, hier eine Ausbildung zu erhalDie Heime um 1994 ten, die dann als Grundlage für eine berufliche Tätigkeit im eigenen Lande dienen sollte. Diese jungen Ausländer lernten in verschiedenen Städten der DDR, einige wurden auch in den Heimen in der Berliner Gehrenseestraße untergebracht. Zwei Erfahrungsberichte sollen für diese Phase der Nutzung der Heime in der Gehrenseestraße stehen. Der Mosambikaner U. A. berichtete 1991: „Ich bin seit 1979 hier. Damals nach der Befreiung in unserem Land im Jahr 1975 suchte das Ministerium für Arbeit in Mosambik Leute für eine Weiterbildung aus. Es gab diese Möglichkeit durch Verträge zwischen der DDR und Mosambik. Natürlich war ich begeistert, dass ich einmal später, wenn ich etwas gelernt habe, meinem Land helfen könnte. Damals war ich 18 Jahre alt. Bis dahin hatte ich die Schule in Maputo besucht. Wir wussten zwar, in welches Land es geht, aber wir hatten keine Vorstellung, wie die Menschen dort leben. In der ersten Zeit gab es einige Schwierigkeiten mit der deut14


schen Sprache. Nach drei, vier Wochen besuchten wir erst einmal einen Deutsch-Kurs. Nach drei Monaten gingen wir in die polytechnische Ausbildung. Mit diesem Tag wurden wir nach Berufsgruppen eingeteilt: Elektriker, Kfz-Schlosser, Instandhaltungsmechaniker usw. Ich habe Schlosser gelernt. Wir hatten während der Ausbildung Kontakt mit den Leuten. Bei Gesprächen mit den Arbeitskollegen ging es auch darum, warum uns unsere Regierung hierher geschickt hatte. Die Ausbildung war für etwa vier Jahre vorgeseDie Heime im Jahre 2012 hen. Nach diesen vier Jahren konnte man nach Hause fliegen. Es gab damals noch die Perspektive, in Mosambik Arbeit zu bekommen. Die Lage war noch nicht so wie später, als durch die Auseinandersetzungen das Land kaputt gemacht wurde. Von den ersten Mosambikanern, die 1983 nach Hause geflogen sind, haben viele noch Arbeit erhalten. Der Bürgerkrieg in Mosambik führte dazu, dass inzwischen fast alles stillgelegt ist, sehr viele Betriebe sind zerstört, auch Krankenhäuser und Schulen. Trotzdem hat die Regierung Leute hierher geschickt, damit sie eine Ausbildung erhalten. Von 1979 bis 1988 kamen Mosambikaner in die ehemalige DDR zur Ausbildung und dann auch noch zur Arbeit. Nach Abschluss meiner Ausbildung flog ich nach Hause, habe zwei Monate Urlaub gemacht. Danach kehrte ich zurück und habe ein Meisterstudium begonnen. Während dieser Zeit war ich als Gruppenleiter für die Mosambikaner eingesetzt, die im Betrieb in C. als Vertragsarbeiter gearbeitet haben. 1991 ist dort allen Mosambikanern gekündigt worden, mir als letztem.“1 15


Die Hoffnungen und Wünsche von U. A. sind im vereinigten Deutschland nicht aufgegangen. Aber er hat hier geheiratet und eine Familie gegründet. Die Sehnsucht nach dem eigenen Land ist aber geblieben. Er wollte zurück nach Mosambik. Auch ein vietnamesisches Ehepaar hat sich 1991 bereit erklärt, über die Ausbildung in der DDR zu berichten. Der junge Mann Herr Q. berichtete: „Als wir 1982 in die DDR gekommen sind, waren wir noch jung und neugierig, ein neues Land kennenzulernen, andere Menschen, eine andere Kultur. Das Wichtigste war eigentlich die Berufsausbildung, damit wir später bei uns etwas anfangen können. Die Erwartungen, die wir hatten, haben sich nicht erfüllt. Für mich persönlich schon, ich habe hier einen Beruf erlernt und dann eine Qualifizierung gemacht. Zuerst habe ich intensiv Deutsch gelernt, sechs Monate lang. Danach habe ich Maschinenschlosser im Landtechnischen Instandsetzungswerk in H. gelernt. Dann wurde ich nach L. delegiert, wo ich eine Qualifizierung als Schweißer erhielt. Ja, und dann habe ich eine Prüfung als Sprachmittler absolviert und bin nach Berlin delegiert worden. Dort bin ich seit 1988 als Sprachmittler in einem Betrieb tätig.“ Seine junge Frau H. kam erst 1987 in die DDR und hat andere Erfahrungen gemacht: „Ich bin 1987 in die DDR gekommen. Dort sollte ich eine Ausbildung als Teilfacharbeiter erhalten, aber zum Schluss hatte ich gar nichts, denn eine richtige Ausbildung habe ich nicht erhalten. Ich war Näherin in einer Schuhfabrik, habe in drei Schichten gearbeitet, drei Jahre lang. Die Deutschausbildung dauerte nur zwei Monate, das war zu wenig. 1990 bin ich arbeitslos geworden, ich zog deshalb nach Berlin. Meinen Mann kenne ich schon seit vier Jahren, habe ihn in L. kennengelernt und 1990 haben wir geheiratet. Heute (Oktober 1991) darf ich eigentlich offiziell nicht hier im Wohnheim leben. Es ist nicht erlaubt den Ehepartner und Kinder mit ins Wohnheim zu nehmen. Die Leute von der Wohnheimverwaltung haben aber Verständnis für uns. Wir können ja nicht anders. In diesem Jahr wurde unsere Tochter geboren, sie ist ein Wunschkind. Im Moment ist es ganz gut, denn wir haben im Wohnheim ein eigenes Zimmer. … Wir haben 16


einen Wohnungsberechtigungsschein mit Dringlichkeit und wir hoffen jede Woche auf eine Wohnung.“2 Die Ausbildung von Facharbeitern als Unterstützung der Regierungen vor allem in den jungen Staaten Afrikas und Asiens war ein Versuch, der letztlich durch die Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den Ländern, die restriktive Ausländerpolitik in der DDR sowie Sprachbarrieren ein Ende fand. Aber diejenigen Ausländer, die ihre Ausbildung hier abgeschlossen haben und in ihrem Land oder in anderen Ländern eine neue Heimat gefunden haben, sind dankbar für die Ausbildung. Für sie war die solidarische Hilfe ein Sprungbrett in ein besseres Leben.

Vertragsarbeiter (In den folgenden Ausführungen wird häufig nur die männliche Form der Bezeichnung von Personen verwendet. Gemeint sind aber immer männliche und weibliche Personen.) Seit 1987 wurden verstärkt Arbeitskräfte in den großen Betrieben der DDR, vor allem im Maschinenbau, in der Leichtindustrie und im Verkehrswesen, benötigt. Um einerseits den Arbeitskräftemangel zu überbrücken und andererseits den Aufbau in den Staaten, wie

Junge Vietnamesen lernen in der DDR

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Vietnam, Mosambik und später auch Angola und Kuba zu unterstützen, wurden aus diesen Ländern verstärkt Arbeitskräfte angeworben und in die DDR geschickt. Nach vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Regierungen dieser Länder und der Regierung der DDR erhielten die Bürger befristeter Aufenthaltsgenehmigungen, wohnten in Heimen und arbeiteten in Großbetrieben der DDR. Diese Arbeitskräfte wurden als Vertragsarbeiter bezeichnet. Beschäftigt waren die Vertragsarbeiter in Berlin z. B. im VEB Narva, dem Fleischkombinat, dem Universalbau und bei der Deutschen Reichsbahn. In anderen Heimen wohnten auch Vertragsarbeiter, die bei REWATEX, Sternradio Berlin, Treffmodelle, Elpro, Ingenieurbetrieb Leipzig, der Gesundheitswäscherei, Berliner Lederwaren, Transformatorenwerk Berlin, Funkwerk Köpenick, den Berliner Verkehrsbetriebe und anderen Betrieben beschäftigt waren. Die Vertragsarbeiter wohnten ausschließlich in Wohnheimen. Sie wurden von Mitarbeitern der Einsatzbetriebe betreut. Auch in den Betrieben waren Betreuer tätig, die oftmals die einzigen Deutschen waren, die einen engeren Kontakt zu den Vertragsarbeitern hatten. Die Abtrennung Junge Vietnamesin von der DDR-Bevölkerung war Absicht. Eine Integration war nicht vorgesehen. Vertragsarbeiter waren auch in der Gehrenseestraße untergebracht. Strenge Vorschriften herrschten im Heim und die Heimbewohner hielten sich an die Regeln. Die Staatsverträge wurden erst nach Öffnung der Archive nach 1990 bekannt. Sie enthielten Festlegungen zu Bedingungen, Aufenthaltsdauer, Rechte und Anzahl der Vertragsarbeiter, die den Vertragsarbeitern oft nur teilweise bekannt waren. So kannten die Menschen 18


die Bedingungen kaum, zu denen sie entsandt wurden. Ohne dieses Wissen konnten sie ihre Rechte nicht einfordern. Folgende Rahmenpunkte waren in den Verträgen festgelegt: - Alter der Vertragsarbeiter 18 bis 35 Jahre; - Gute Gesundheit, die durch eine ärztliche Untersuchung bestätigt werden musste; - Einreise wurde nur ohne Familienangehörige gestattet; - Die Vertragsdauer betrug drei bis fünf Jahre, konnte auf maximal 7 Jahre verlängert werden; - Ein Einfluss der Vertragsarbeiter auf Arbeitsort und Unterbringung, auch bei Ehepaaren, war nicht möglich; - Es gab genaue Regelungen für den privaten Lohn und für Warensendungen; - Ein Lohnanteil wurde direkt an das Heimatland überwiesen, damit wurden z.B. Schulden dieser Länder, die durch Warenlieferungen aus der DDR entstanden waren, getilgt; - Die Unterbringung erfolgte in Gemeinschaftsunterkünften, in denen pro Person fünf Quadratmeter zur Verfügung standen und maximal vier Personen in einem Zimmer untergebracht waren; - Ein zweimonatiger Heimaturlaub alle 2 Jahre wurde vom Betrieb bezahlt; - Bei längerer Krankheit, Schwangerschaft oder Schwangerschaftsabbruch drohte Entlassung und Rückkehr. Eine Kündigung war nur möglich, wenn dies von Vertretern beider Länder entschieden wurde. Einseitig konnte der Vertrag von der DDR gekündigt werden, wenn ein Vertragsarbeiter oder eine Vertragsarbeiterin in der DDR straffällig geworden war. Auch aufgrund von Krankheit, Schwangerschaft oder eines Arbeitsunfalls, war eine vorzeitige Auflösung des Vertrages möglich. Ein Arbeitsverhältnis wurde auch aufgelöst, wenn ein ausländischer Beschäftigter nicht rechtzeitig aus dem Urlaub zurückkehrte. Dies stand jedoch nicht gesondert im Vertrag, den die Vertragsarbeiter unterschrieben. Vorgesehen war die Teilnahme an einem Deutschintensivkurs zu Beginn des Arbeitsverhältnisses sowie ein anschließender einjähriger Sprachkurs. Die Durchführung dieser Sprachkurse wurde in den ein19


zelnen Betrieben verschieden gehandhabt. Sie war jedoch auch abhängig davon, wann die Vertragsarbeiter in die DDR kamen. Ab 1987 wurde die Zeit für Deutschkurse erheblich reduziert. Ziel der Regierungsabkommen war erklärtermaßen nur der Erwerb von Grundkenntnissen der deutschen Sprache, um die „notwendige sprachliche Verständigung im Arbeitsprozess“ zu gewährleisten. Auf das Allernötigste beschränkte Intensiv- oder auch nur Tageskurse wurden (mit wachsender Anzahl der Vertragsarbeiter) Mitte der 80er Jahre zunehmend die Regel. Viele Arbeiter konnten anschließend nicht ausreichend Deutsch sprechen und ihre Sprachkenntnisse auch nicht durch Umgang mit Deutschen trainieren. Nguyen Thi Minh Thu berichtete 2008 in einem Gespräch über ihre Erfahrungen als Vertragsarbeiterin in der DDR: „Ich war etwas über 20 Jahre alt, als ich im März 1988 in die DDR kam, direkt nach Berlin. In Vietnam war ich schon verheiratet und hatte ein fast vierjähriges Kind. Es war sehr schwer zu Hause als Verkäuferin genug Geld für die Familie zu verdienen. Darum habe ich mein Glück im Ausland versucht. Ich habe schon vor dem Abflug in einem Abendkurs einige Monate Deutsch gelernt und bin dann in Berlin gleich zur Arbeit gegangen. Man hat uns auch geraten, uns warm anzuziehen, aber für uns war es so noch nicht warm genug, wie wir feststellen mussten. Vieles war Nguyen Thi Minh Thu überraschend für uns. Mir fiel zum Beispiel auf, dass niemand einen Hut trug, wie bei uns, und dass man ganz andere Schuhe hatte. Bei uns tragen wir meist nur Sandalen, hier hatte man Stiefel an. Auch beim Einkaufen war ich anfangs verwirrt. Bei uns gibt es nur kleine Läden oder Marktstände, jede Ware wird sofort bar bezahlt und man weiß, wie viel Geld man noch hat. Aber hier in der Kaufhalle war alles Selbstbedienung und man kann seinen Wagen erst voll packen ohne zu bezahlen und geht dann erst zur Kasse. Für uns war es schwer herauszubekommen, was in 20


der Verpackung ist. Darum haben wir immer ein kleines Loch gemacht, um zu kosten und zu gucken. Ich habe bei Sternradio in Berlin-Springpfuhl in der Montage am Fließband gearbeitet. Die Kollegen waren sehr nett. Der Betrieb hat für uns extra eine Feier zum Têtfest (Neujahr) ausgerichtet. Auch wenn es andere Feiern gab waren wir eingeladen. Wir fühlten uns anerkannt und unsere Arbeit wurde sehr gebraucht.“3 In einem Gespräch 2012 berichtete Renate Mohrs über ihre Erfahrungen mit Vietnamesen, die in ihrem Betrieb VEB Sternradio tätig waren: „Ich wohne ganz in der Nähe der Heime in der Gehrenseestraße. Dadurch konnte ich die Entwicklung des Gebietes recht genau verfolgen. Allerdings habe ich mich erst für die Heime interessiert, als ich mit den vietnamesischen Vertragsarbeitern in engeren Kontakt kam. Ich arbeitete damals im VEB Sternradio als Arbeitsökonomin, habe mich vor allem mit Normen und Löhnen beschäfRenate Mohrs tigt. Dadurch kannte ich den Betrieb und die Notwendigkeiten für die Sicherung der Produktion sehr genau. In den 1980er Jahren arbeiteten wir mit japanischen Maschinen, durch die zwar viele Arbeitsgänge automatisch ausgeführt wurden, aber es blieben noch Feinarbeiten, die von Arbeitern an Fließbändern ausgeführt werden mussten. Für diese oft monotonen und kniffligen Arbeiten fanden sich in der DDR kaum Arbeitskräfte, so dass auf vertraglicher Basis mit der vietnamesischen Regierung Vertragsarbeiter für solche Tätigkeiten eingesetzt wurden. Diese Vietnamesen, vorwiegend junge Frauen, kamen gern in die DDR, weil sie hier Arbeit hatten und auch etwas verdienten, um so ihre Familien in Vietnam zu unterstützen. Vertraglich wurde eine Aufenthaltsdauer von zwei bis vier Jahren vereinbart. Vom Betrieb wurde ein Verbindungsmann eingesetzt, der sich um die Belange der Vietnamesen kümmerte. 21


Im Betrieb hatte ich wenig Kontakt mit den vietnamesischen Arbeitern. Aber es wurden Hoffeste gefeiert, an denen die Vietnamesen teilnahmen. Solche Feste wurden später in den Heimen von den dort tätigen Vereinen organisiert. Die Vietnamesen haben dabei gekocht und auch ihre kulturellen Traditionen sichtbar gemacht. Dadurch sollten zumindest geringe Kontakte zwischen den heimischen Arbeitern und den Vietnamesen hergestellt werden. In den Heimen in der Gehrenseestraße waren in der unteren Etage Läden, praktizierten Ärzte, es gab eine Sauna und es wurden verschiedene Dienstleistungen angeboten. Erst nach 1990 wurde von Vietnamesen ein Laden geöffnet, im dem sich die Heimbewohner mit den notwendigsten landestypischen Lebensmitteln und Gebrauchsgütern versorgen konnten. Das war notwendig, weil sich mit den gesellschaftlichen Veränderungen in dieser Zeit Existenz- und Zukunftsangst ausbreitete. Es entwickelten sich im Heim Dienstleistungen, denn auf Grund der Schließung der volkseigenen Betriebe und Handelseinrichtungen waren die Beschäftigten arbeitslos geworden und konnten nur so für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen. Wir hatten damals auch eigene Existenzsorgen. Weil klar war, dass die Produkte unseres Betriebes nicht mehr abgenommen werden, habe ich schließlich im Betrieb gekündigt und mich um Arbeit im neu entstehenden Arbeitsamt beworben, wo ich eine Stelle im Bereich Analyse und Öffentlichkeitsarbeit fand. Ich habe die Mitglieder der Vereine bewundert, die sich nach 1990 um die Belange der Vietnamesen gekümmert haben. Am „Runden Tisch“ in Hohenschönhausen hörte ich einiges über die Probleme, die sich für die Vietnamesen in der Wendezeit ergaben. Selbst hatte ich kaum Kontakte zu Vietnamesen, konnte von ihnen aber Kleidungsstücke kaufen (Morgenmantel mit schwarzem Drachen), die von Vietnamesinnen, die in der Gehrenseestraße wohnten, bei „Treffmodelle“ gefertigt wurden. Heute habe ich den Eindruck, dass sich die Vietnamesen gut in unsere Gesellschaft einfügen. Die Kinder sind fleißig und wissbegierig. Sie lernen unsere Sprache und versuchen, sich unsere Kultur anzueignen, ohne ihre eigene zu vergessen oder zu verleugnen. Ich sehe sie als angenehme Mitbürger an.“ 4 22


Unterbringung von Vertragsarbeitern Die Vertragsarbeiter in Berlin, aber auch andere ausländische Bürger, wohnten in Heimen, die in der DDR von der Arbeiterwohnheimverwaltung (AWHV) seit 1990 von der ArbeitnehmerwohnungsbauGesellschaft (ARWOGE) verwaltet wurden. Heime in Hohenschönhausen befanden sich in der Gehrenseestraße, in der Falkenberger Straße 1-11, in der Ahrenshooper Straße 74-80 und in der Zingster Straße 61-67. Das war kein frei verfügbarer Wohnraum. Erst als

Kinderfest in der Gehrenseestraße

die ARWOGE die Gebäude 1997 an die HOWOGE verkaufte, konnten nach Rekonstruktion einiger Gebäude die Wohnungen vermietet werden. In den Heimen herrschte ein strenges Reglement, das erst nach den gesellschaftlichen Veränderungen 1990 erheblich lockerer gehandhabt wurde. In den ersten Jahren der Tätigkeit von Vertragsarbeitern galten etwa folgende Regeln: - Männer und Frauen wurden getrennt untergebracht, wenn möglich sogar in verschiedenen Etagen oder Gebäuden. Dabei ging es nicht nach persönlichen Wünschen, selbst Ehepaare hatten keinen Anspruch auf ein gemeinsames Zimmer. 23


- Jeder Vertragsarbeiter bekam ein Bett, einen Nachttisch, einen Stuhl, einen Schrank, einen Satz Geschirr, Besteck, Handtücher und Bettwäsche. Im Zimmer gab es zudem einen Tisch, der aber oft gemeinsam genutzt werden musste. Toilette, Dusche und Küche waren in der Regel für eine Wohnung oder eine Etage gemeinsam zu nutzen. Diese Bedingungen waren oft besser, als es die Vertragsarbeiter von zu Hause gewohnt waren, besonders wenn sie gerade aus dem Armeedienst kamen oder aus kriegszerstörten Gebieten. Dennoch hatten sie gegenüber Lehrlingen oder Studenten in der DDR den entscheidenden Nachteil, nicht am Wochenende nach Hause fahren zu können und jahrelang ununterbrochen ohne Privatsphäre zu leben. Zudem mussten Sie zumeist im Zweioder Dreischichtsystem arbeiten, ohne dass bei der Zimmerbelegung darauf Frisieren auf dem Flur (1993) Rücksicht genommen worden wäre. So standen einige um vier Uhr auf, während andere erst um 23 Uhr von der Arbeit zurückkamen. Auch ein Raum für Unterhaltungen, Feiern, Beisammensein war anfangs nicht eingeplant. Wegen des mangelnden Kontakts nach außen waren die Wohnheime Schutzzone, Heimat und Rückzugsort in einer Gemeinschaft gleicher Sprache und Lebensbedingungen. Zugleich waren sie aber auch ein Ghetto, das Kontakte zur deutschen Umwelt nur über Pförtner oder deutsche Betreuer zuließ. Echte Beziehungen zur Bevölkerung kamen deshalb nur selten zustande. Die Wohnheime wurden bewacht, man kam nur mit einem Heimausweis hinein oder als Gast unter Vorlage eines Personalausweises. Die Gruppenleiter waren verantwortlich für die Ordnung im Haus. Es gab Stubendurchgänge und auch Disziplinarstrafen. 24


Die Unterkünfte wurden regelmäßig von Mitarbeitern der Abteilung Inneres der Bezirke besucht und kontrolliert. Es ist verständlich, dass die jungen Menschen immer Mittel und Wege fanden, diese Regeln zu umgehen. An den Wochenenden waren viele unterwegs, um Freunde in anderen Städten zu besuchen, wo sie dann auch übernachteten, mit oder ohne Genehmigung. Die bei der Bahn arbeitenden Vietnamesen hatten, ebenso wie ihre deutschen Kollegen, Freifahrtscheine, die sie rege nutzten. Es entstanden natürlich auch Liebesbeziehungen, gelegentlich auch zu Deutschen. Junge vietnamesische Frauen, die schwanger wurden, mussten nach Hause fahren. Mit einem unehelichen Kind war aber eine Mutter, besonders in ihrem Heimatdorf, gesellschaftlich geächtet und für die ganze Familie war ein uneheliches Kind eine schreckliche Schande. Erst ab 1988 durften auch schwangere Frauen in Deutschland entbinden und im Betrieb weiter arbeiten. Eher selten gab es echte Freundschaften zwischen DDR-Arbeitern und ihren ausländischen Kollegen oder Kolleginnen. Einladungen nach Hause und gemeinsame Treffen und Abende waren von den Betrieben eigentlich nur im offiziellen Rahmen der Arbeitskollektive gewünscht. Die Abgeschlossenheit der Wohnheime mit Einlasskontrollen und die beengte Unterbringung erschwerten Einladungen. Ausgangsverbote ab 22 Uhr und die Kontrolle der Gruppenleiter machten Besuche bei Deutschen schwierig. Die mangelnden Deutschkenntnisse der meisten Vertragsarbeiter ließen engere Beziehungen selten zu. Bei Besuchen in Gaststätten oder Diskotheken gab es häufig Auseinandersetzungen mit Deutschen wegen rassistischer oder ausländerfeindlicher Bemerkungen, manche Lokale verwehrten Vertragsarbeitern auch den Zutritt. Nguyen Thi Minh Thu berichtete über die Wohnsituation: „Im Wohnheim waren wir vier Frauen in einem Zimmer mit gemeinsamem Bad. Wir arbeiteten in drei Schichten. Die Küche war auf dem Gang für mehrere Zimmer gemeinsam. Da war vor allem an den Wochenenden nicht genug Platz für alle. Eine Kollegin von mir wurde in der Zeit nach Hause geschickt, weil sie schwanger wurde. Wir wussten auch nicht wie wir verhüten sollten, das hat uns niemand erklärt. 25


Gemeinschaftsküche

Eine andere Frau aus der Nebengruppe hat ihre Schwangerschaft lange versteckt, damit sie nicht weggeschickt wird. Als sie doch entdeckt wurde hat sie sich immer in anderen Wohnheimen versteckt, damit sie nicht weg musste. Ihr Freund, der Vater des Kindes, war ja noch hier. Und ihre Familie hätte sie nicht mehr mit dem unehelichen Kind aufgenommen. Das ist nämlich eine Schande für alle. Als sie dann doch einmal in ihrem Wohnheim war, wurde sie gemeldet und sollte nach Hause. Aber da war sie schon im achten Monat schwanger und konnte eigentlich nicht mehr fliegen. Der Fall wurde dem Marzahner Bürgermeister bekannt, und er hat sich für eine Ausnahme eingesetzt. Die Frau konnte ihr Kind bekommen und dann wieder arbeiten. Das Kind ging dann in eine Krippe. Das war eine große Befreiung für uns alle, eine große Last wurde von uns genommen.“5

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Vertragsarbeiter nach den gesellschaftlichen Veränderungen 1989 Die Zeit nach 1989 war für die Vertragsarbeiter eine sehr unsichere und wenig erfreuliche Zeit. Mit der Eingliederung der DDR in die BRD und der Umstrukturierung und Schließung der DDR-Betriebe, verloren die Vertragsarbeiter ihre Arbeit und ihren Status. Für sie entstand eine völlig neue Situation. Der Zusammenbruch der Betriebe in der ganzen DDR veranlasste viele Vertragsarbeiter, insbesondere Vietnamesen, nach Berlin überzusiedeln. Die Gehrenseestraße als eines der größten Wohnheimkomplexe in der DDR war ein klassischer Anlaufpunkt. Auch aus anderen ehemaligen sozialistischen Ländern kamen die Vertragsarbeiter, meist illegal, nach Deutschland, insbesondere nach Berlin. In der Gehrenseestraße führte das um 1992 kurzzeitig zu einer Überbelegung der Heime. Hier wohnten teilweise bis zu 10 Personen illegal in einem Zimmer. Die Wohnheimverwaltung verlor teilweise die Übersicht über die Belegung. Im Einigungsvertrag von 1990 wurden einige Festlegungen für die in Produktionsbetrieben tätigen ausländischen Bürger getroffen. Danach hatten diese Bürger ein Aufenthaltsrecht in Deutschland bis zum Ablauf der ursprünglich vereinbarten Vertragsdauer, selbst wenn sie inzwischen eine Kündigung von ihrem deutschen Vertragsbetrieb erhalten hatten. Sie hatten Anspruch auf Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, ergänzende oder volle Sozialhilfe. Es konnte ihnen vorübergehend eine Aufenthaltsberechtigung von der Ausländerbehörde erteilt werden. Gastarbeiter in der Bundesrepublik konnten nach 8jährigem Aufenthalt in Deutschland ein Bleiberecht erwerben. Das wurde für die Vietnamesen lange Zeit verhindert. Deshalb kämpften die Vereine, die die Migranten unterstützten, um die gleichen Rechte für die Vietnamesen, wie sie die Gastarbeiter in den alten Bundesländern hatten. Erst 1997 wurde eine Gleichstellung erreicht. Die meisten der ausländischen Arbeitskräfte wurden bis Ende 1990 entlassen und fanden auch nur selten wieder eine Arbeit in einem Betrieb. Eine große Zahl von Vertragsarbeitern erhielt nach zähen Verhandlungen eine Abfindung von 3.000 DM. Damit wurden sie in 27


die Heimatländer zurückgeschickt. Die Kubaner wurden alle zurückbeordert. Etwa zwei Drittel der Vietnamesen ging bis 1993 in die Heimat zurück, ein Drittel blieb in Deutschland. Diese hatten aber kein Bleiberecht und lebten deshalb illegal oder halblegal in Berlin. Die Möglichkeit für den Erhalt einer Arbeit im „Beitrittsgebiet“ war gering und obwohl in Westberlin Arbeitskräfte gebraucht wurden, konnten die Vietnamesen dort kaum arbeiten, weil ihre Arbeitserlaubnis auf Ostberlin und die neuen Länder beschränkt war. Die Wohnheimmieten waren bereits bis 1992 für ein Einzelzimmer auf 280 DM, für eine Wohnung zwischen 450 und 1070 DM gestiegen. Das war erheblich mehr als für eine gleichwertige Wohnung in Neu-Hohenschönhausen verlangt wurde. Die ARWOGE musste sich selbst finanzieren, daher waren die Mieten so hoch. Vielen Vietnamesen blieb kaum eine andere Wahl, als sich dem Handel mit illegal eingeführten Zigaretten zu widmen, um ihren Heimbewohner 1992 Lebensunterhalt zu verdienen. Sie suchten sich auch neue Tätigkeitsfelder, insbesondere den Handel mit Lebensmitteln und Textilien, den Betrieb von Imbissständen und Gaststätten, Lohnarbeit in Dienstleistungsbereichen, Mitarbeit in Wirtschaftsberatungs- und Dolmetscherbüros, Angebote in gegenseitigen Dienstleistungen (Friseur, Kochen, Waschen). Die staatlichen Institutionen regten an, Vertragsarbeiter auf ABM-Stellen zu beschäftigen und sogenannte „Nationalitätenmärkte“ einzurichten, um illegale Gewerbetätigkeiten in den Heimen einzudämmen. 28


Im Januar 1991 waren in den Heimen der ARWOGE insgesamt 3.831 Ausländer in 16 Heimen in den Bezirken Lichtenberg, Marzahn, Hellersdorf, Mitte und Hohenschönhausen gemeldet. Allein in der Gehrenseestraße, dem größten Heimkomplex in Berlin und einem der größten in der DDR, wohnten 212 Vietnamesen, 160 Mosambikaner, 103 Polen und 165 Bürger anderer Nationen. Insgesamt lebten Anfang 1992 etwa 1.300 ausländische Bürger in den Hohenschönhausener Wohnheimen. In den folgenden Jahren gab es durch nicht integrierte hinzuziehende Vietnamesen keine verlässliche Übersicht der hier lebenden ausländischen Bürger mehr. 6 Um den nun arbeitslosen Vertragsarbeitern eine Lebensgrundlage zu schaffen, mussten von der BRD-Regierung neue Regelungen getroffen werden. Die neu gegründeten Vereine in Hohenschönhausen, vor allem der Verein Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen e.V., nutzten zahlreiche Möglichkeiten, um ihnen zu helfen. Sie erreichten, dass ein Ausländerbeauftragter in Hohenschönhausen eingesetzt wurde. Erster Ausländerbeauftragter in Hohenschönhausen war Diedrich Wulfert, der 1994 von Bärbel Olhagaray abgelöst wurde. Am 21. Januar 1992 gab es schließlich einen „Runden Tisch der Ausländer im Bezirksamt Hohenschönhausen“. Hier wurde nach einer umfangreichen Analyse der gegenwärtigen Lage der ehemaligen Vertragsarbeiter „eine politiDeckblatt des Protokolols zum „Runden Tisch“ sche Forderung nach einer generellen Neuregelung des Aufenthaltsrechts … als haltbar und erstrebenswert“7 erhoben. Es wurde auch festgestellt, dass die Tendenz zur Rückkehr von Vietnamesinnen und Vietnamesen nach Deutschland zunimmt, weil es in Vietnam zur Ausgrenzung und Verfolgung von Rückkehrern kam. Wohnungsmangel, Arbeitsstellenmangel, politische Verfolgungen oder überholte Moralvorstellungen in Vietnam sowie die wirtschaftliche Besserstellung in Deutschland waren Ursachen, dass diese VietnamesInnen nicht mehr in Vietnam leben wollten. Der Kampf um die politische Anerkennung der VietnamesInnen durch die Bundesregierung, dauerte bis Ende der 1990er Jahre an. 29


Nguyen Thi Minh Thu berichtete: „VEB Sternradio ging 1990 bankrott und von einem Tag zum anderen waren wir für alles selbst verantwortlich: eine Arbeit zu finden, einen Wohnheimplatz zu bezahlen, mit Behörden zu verhandeln, alles! Die meisten meiner Gruppe sind mit den als Abfindung gezahlten 3.000 DM nach Hause geflogen, weil uns niemand geholfen hat. Für uns waren die letzten 20 Jahre sehr schwer, ständig mussten wir ums Bleiberecht kämpfen, um Arbeit, eine Wohnung, alles war immer unsicher. Aus heutiger Sicht war es in der DDR-Zeit leichter für uns. Alles war klar geregelt und man war freundlich zu uns. Wenn wir irgendwo Arbeit suchten, hatten wir es noch schwerer. Uns wurde oft gesagt, wenn es eine Stelle gibt, dann zuerst für deutsche Leute und nur wenn sie keiner will, dann könnt ihr die Stelle haben. Ohne Ausbildung ist es auch schwer, eine Arbeit zu finden. Seit 10 Jahren betreiben wir jetzt ein kleines Restaurant. Es war und ist nicht leicht wegen der vielen Behörden und Vorschriften. Gewerbegenehmigung, Gesundheitsamt, Bauamt, Finanzamt, Umweltamt, alle wollen etwas von uns und es war schwer alles zu verstehen und richtig zu machen. Ich hatte mich in Vietnam scheiden lassen und versucht, meine Tochter aus Vietnam hierher zu holen. Das war ein langer Kampf. Über ein Jahr wurde ich immer zwischen Meldestelle und Ausländerbehörde hin und her geschickt, bis ich endlich die Erlaubnis hatte. 1996 durfte meine Tochter kommen. Damals war sie 12 Jahre alt. Und als sie endlich da war, mussten wir uns auch erst wieder kennenlernen. Ich hatte sie ja in der Zwischenzeit nur einmal gesehen. Hier war alles fremd für sie, Deutschland und die Mutter. Heute hat sie sich eingewöhnt, die Schule abgeschlossen und eine Ausbildung gemacht. All die verlorenen Jahre mit meiner Tochter und die vielen Schwierigkeiten sind ein hoher Preis, den wir für das Leben in der neuen Heimat zahlen mussten. Aber noch immer denken wir an unsere Heimat und unsere Familie. In der DDR haben wir Pakte geschickt, heut schicken wir etwas Geld und unterstützen damit vor allem unsere Eltern.“8 30


Zigarettenverkauf Die Zimmer im Wohnheim in der Gehrenseestraße dienten manchen VietnamesInnen nicht nur als Schlafplatz sondern auch als Warenumschlagplatz für Lebensmittel und gelegentlich für Zigaretten. Vor allem durch den Verkauf von Zigaretten sicherten sich viele VietnamesInnen ihren Lebensunterhalt. In der Gehrenseestraße wohnten Zigarettenhändler, die meist an ihren Verkaufsstellen mit den Zigaretten beliefert wurden. Der Zigarettenverkauf war von vornherein illegal. Die verkauften Zigaretten kamen vorwiegend aus Polen. Wegen der Umgehung des Zolls waren die illegal eingeschmuggelten Zigaretten erheblich billiger als die legal verkauften. Anfang der neunziger Jahre wurden sie in Berlin in den östlichen Stadtteilen von VietnamesInnen vor allem an U- und S-Bahnhöfen, aber auch vor Kaufhallen, verkauft. Dabei bildeten sich auch mafiöse Strukturen, wo vor allem Schutzgelderpressung und Kleinkriminalität eine Rolle spielten. Aber unter den verschiedenen Banden des Zigarettenhandels, die um lukrative Verkaufsplätze bemüht waren, gab es Rivalitäten. Das ging so weit, dass Bandenkriege in den neunziger Jahren mehrere Opfer forderten. Auch in der Nähe der Gehrenseestraße gab es Tote aufgrund dieser Auseinandersetzungen. Polizeieinsätze in den Heimen wurden notwendig, um den illegalen Handel mit den unverzollten Zigaretten zu unterbinden. Die deutschen Behörden hatten 5. März 1996 zunächst wenige Möglichkeiten, den Zigarettenhandel einzuschränken. Verhaftungen der Verkäufer und der Transporteure von Zigaretten hatten nur begrenzte Wirkungen. Daher griffen einige Polizisten zur „Selbsthilfe“ und verprügelten verhaftete Vietnamesen, um sie einzuschüchtern. 31


Christa Dentler berichtete: „Anfang 1994 bekam ich engeren Kontakt zu der Leiterin des Vereins „Reistrommel“, Tamara Henschel, die ich bereits früher kennengelernt hatte. Sie berichtete, dass vorwiegend in Bernau Polizisten Vietnamesen misshandelten, die beim Verkauf illegal eingeführter Zigaretten in Haft genommen worden waren. Wir wollten das zunächst nicht glauben, beschlossen dann aber, das direkt zu überprüfen. Ich erklärte ich mich bereit, mit nach Bernau zu fahren, um mit Vietnamesen zu sprechen. Wir suchten uns einen Dolmetscher, mit dem wir zu dritt nach Bernau fuhren. In Bernau fanden wir einen vietnamesischen Zigarettenhändler, der uns zu einer anderen Gruppe von Vietnamesen schickte. Einer davon konnte etwas deutsch, das er als Auszubildender in der DDR gelernt hatte. Er bestätigte uns, dass es tatsächlich in zunehmenden Maße Misshandlungen, die teilweise an Folter grenzten, in der Bernauer Polizeidienststelle gegeben habe. In nachfolgenden Gesprächen berichteten Opfer von diesen Misshandlungen, wobei besonders ein Polizist, „der Frischrasierte“, sich durch seine Brutalität hervortat. (Später stellte sich heraus, dass dieser Kampfsportlehrer war). Die Betroffenen berichteten, dass der Polizist systematisch die Vietnamesen verprügelte und diese nach der Entlassung z.T. kaum noch laufen konnten und längere Zeit im Bett liegen bleiben mussten. Aber auch andere Polizisten beteiligten sich an der Misshandlung der Vietnamesen. Die Opfer trauten sich nicht, die Schläger anzuzeigen, weil sie Angst vor einer Abschiebung hatten, denn sie waren alle Asylbewerber, ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Nach systematischen Befragungen von Vietnamesen informierten wir die Presse, insbesondere die Berliner Zeitung. In dieser sowie in der Märkischen Oderzeitung wurden mehrere Artikel über die Misshandlungen veröffentlicht. Wir ermutigten einige Vietnamesen, Anzeigen gegen die misshandelnden Polizisten zu erstatten. Einige von ihnen wohnten in der Gehrenseestraße. Die damalige Eberswalder Polizeipräsidentin Uta Leichsenring ordnete daraufhin eine Untersuchung an und bildete eine 32


Ermittlungsgruppe. Nach Vernehmungen und mit der Hilfe von Rechtsanwälten wurden bald darauf Polizisten von ihrem Dienst suspendiert, vier von ihnen auch später verurteilt. Durch die Pressemitteilungen wurden auch in Berlin Übergriffe von Polizisten öffentlich gemacht. Die damalige Ausländerbeauftrage forderte die Vietnamesen auf, Anzeige zu erstatten, weil sonst keine Ermittlungen durchgeführt werden können. Auf Grund von eingehenden Anzeigen konnten nun Ermittlungen gegen Unbekannt eingeleitet werden. Im Gegensatz zu Bernau, wo es sich um eine bestimmte Einheit handelte, fiel es den Vietnamesen jedoch schwer, Polizisten hier eindeutig zu identifizieren. Dadurch wurden in Berlin damals fast alle Verfahren eingestellt bzw. wurden die Polizisten frei 22. Juni 1994 gesprochen. 1993 war eine Bleiberechtsregelung für die ehemaligen Vertragsarbeiter getroffen worden. Das bedeutete, sie konnten eine Aufenthaltsbefugnis erhalten, wenn sie drei Bedingungen erfüllten: - wenn sie einen Arbeitsplatz mit einem bestimmten Mindesteinkommen hatten oder Arbeitslosengeld erhielten, - wenn sie einen geeigneten Wohnraum mit ausreichend großer Quadratmeterzahl nachweisen konnten, - wenn sie nicht straffällig geworden waren. Als straffällig galten auch die Zigarettenverkäufer, die illegal Zigaretten vertrieben, in Gewahrsam genommen und verurteilt wurden. Das Strafmaß für den Zigarettenverkauf war in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich. In Berlin wurde vielen bereits der Aufgriff mit 5-6 Stangen Zigaretten zum Verhängnis, in Brandenburg oder Sachsen-Anhalt bekamen noch Vietnamesen eine Aufenthaltsbefugnis, die mit 20 oder 30 Stangen erwischt worden waren. In Berlin gab es 1994 für 6 Monate die 33


Weisung des Innensenators, nach der Vietnamesinnen und Vietnamesen bis zu einer Strafe von 90 Tagessätzen eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen war. Diese Weisung wurde Ende 1994 vom Verwaltungsgericht gekippt, die bereits erteilten Aufenthaltsbefugnisse wieder rückgängig gemacht.“9

Niederbarnimeche vom 22.6.1994

1993 lebten noch etwa 15 000 vietnamesische Vertragsarbeiter in Deutschland. Etwa drei Viertel von ihnen erhielten eine Aufenthaltsbefugnis. Wenn sie acht Jahre eine befristete Aufenthaltsbefugnis für Deutschland besaßen, war es ab 1997 möglich, einen unbefristeten Aufenthalt zu erhalten. Christa Dentler sagte dazu: „Es gab aber ein Problem: Die Jahre des Aufenthaltes in der DDR wurden nicht anerkannt, der „offizielle“ Aufenthalt begann erst nach der Wiedervereinigung. Außerdem wurden mit der 34


Zeitungsausschnitte von 1996

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Stichtagsregelung vom 31.12.1988 diejenigen ausgeschlossen, die im Jahr 1989 nach Deutschland kamen. Viele, die während dieser acht Jahre zwischenzeitlich ihre Arbeit verloren, mussten erneut um ihren Aufenthalt zittern. Übrigens erhielten sie mit dem befristeten Aufenthaltstitel kein Kindergeld. Viele Jahre nahm Vietnam damals jedoch seine Landsleute nur sehr schleppend zurück. Ein Grund war, dass das arme Land die Devisen dringend benötigte, die die Auslandsvietnamesen nach Hause schickten. Wir erhielten damals die Information, dass die BRD den staatlichen Stellen in Vietnam eine Liste derjenigen Vietnamesen übermittelte, die abgeschoben werden sollten. Daraufhin prüfte die vietnamesische Seite diese Liste jeweils über Monate. Stets kam dann die Rückmeldung, dass ja gar nicht sicher sei, ob dies alles Vietnamesen seien etc. Auf diese Weise wanderten die Listen über Monate hin und her. Es gab natürlich Abschiebungen, jedoch nicht in großem Maßstab. Ich erinnere mich gut an Aussagen einzelner Polizisten damals, die sehr unzufrieden darüber waren, dass Vietnam seine Landsleute nicht zurücknahm. Durch etwas Prügeln und Druck auf die hier lebenden Asylbewerber sollte nachgeholfen werden, um die Ausreisewilligkeit zu erhöhen.

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Vietnam begann erst Anfang 1995, mit der BRD über ein Rückführungsabkommen zu verhandeln. Dies trat dann am 23.07.1995 in Kraft. Auch danach verliefen die Rückführungen jedoch noch relativ schleppend. Heute sind staatliche Regelungen durchgesetzt. Die hiergebliebenen Vietnamesen integrieren sich überwiegend sehr gut in die Gesellschaft, lernen deutsch, haben Kinder, von denen sehr viele Gymnasien besuchen und anschließend studieren. Der Fleiß der vietnamesischen Kinder wird in vielen Schulen hervorgehoben.“10 In den Jahren nach 1990 kamen zahlreiche Vietnamesinnen und Vietnamesen nach Deutschland. Die hier gebliebenen Vertragsarbeiter holten ihre Ehepartner und Kinder in die Bundesrepublik. Teilweise nutzten sie einen Besuch, um im Lande zu bleiben und wohnten dann illegal bei Verwandten oder Bekannten. Andere bezahlten Schleppern hohe Summen, um nach Deutschland zu kommen. Aber auch legale Einreisen gab es. Erst mit der gesetzlichen Rahmenreglung, dem gesicherten Aufenthaltsstatus und der Sicherung des Lebensunterhalts konnten Wohnungen angemietet werden und eine Integration beginnen. Viele VietnamesInnen haben sich selbständig gemacht und sind nicht von Transferleistungen abhängig. Die zweite Generation, also die hier geborenen und aufgewachsenen Kinder, ist in der Regel bereits erfolgreich in Deutschland integriert. Waren die Kinder über 18 Jahre, wenn sie nach Deutschland eingereist waren, hatten sie keine eigene Aufenthaltsgenehmigung und wurden abgeschoben oder mussten selbst einen Antrag auf Bleiberecht stellen. 37


Nguyen Truong Son Luu berichtete dazu: „Ich kam im Jahre 1995 nach Berlin. Seit 1987 lebte ich in Ungarn und studierte dort. Ich schloss die Ausbildung als Elektronikingenieur ab. Es war allerdings schwierig, eine entsprechende Tätigkeit zu finden, zumal ich festgestellt hatte, dass dieses Studium nur wenig zu meinen beruflichen Wünschen passte. Mein älterer Bruder ist schon in den 1980er Jahren nach KarlMarx-Stadt (heute Chemnitz) gekommen, studierte dort Maschinenbau und arbeitete dann als Maschinenbauingenieur. Dabei hat er Deutsch gelernt und nutzte seine Fähigkeiten als Dolmetscher. Er erhielt später eine Aufenthaltsgenehmigung. Da sein Betrieb in Karl-Marx-Stadt geschlossen wurde, hatte er keine Arbeit mehr und kam deshalb nach Berlin. Hier fand er eine Unterkunft in einem Heim in der Zingster Straße. Er erhielt Arbeit als Dolmetscher beim Verein „Reistrommel e.V.“ in Hohenschönhausen. Nun bestand Anfang der 1990er Jahre die Möglichkeit, dass mein Bruder unsere Eltern und einen weiteren Bruder nach Berlin holen konnte. Sie erhielten in Ahrensfelde eine Wohnung. Dort lebte die ganze Familie. Nach dem Abkommen zwischen den Regierungen der BRD und Vietnams im Jahre 1995, in dem die Rückführung und die Einbürgerung von Vietnamesen vertraglich vereinbart worden waren, konnte ich nach Deutschland kommen. Ich lernte hier schnell deutsch, unterstützte meinen Bruder bei Übersetzungstätigkeiten, und das ist auch heute noch so. Mein Bruder machte sich bald selbständig und eröffnete ein Dolmetscherbüro in der Gehrenseestraße im Haus G. Dort befand sich auch die Rezeption der Heime. Die Verhältnisse waren damals noch ziemlich chaotisch, denn die Umsetzung der Vereinbarung gestaltete sich recht schwierig. Zahlreiche Vietnamesen hatten noch keine Papiere, sie lebten illegal im Heim. Kam zu uns ein Kunde, mussten wir ihn beim Pförtner abholen, denn ohne Ausweis kam er nicht ins Heim. Im Haus F gab es Möglichkeiten zum Kauf vietnamesischer Lebensmittel, in einigen Räumen waren Garküchen eingerichtet, 38


wo man essen konnte, es gab Friseure und es wurden andere Dienstleistungen angeboten. Die hygienischen Verhältnisse waren allerdings nicht besonders gut, obwohl die Miete für ein Zimmer enorm hoch war. Heute arbeiten mein Bruder und ich im vietnamesischen Handelscentrum in der Herzbergstraße als Dolmetscher. Wir haben unsere eigenen Mietwohnungen in Lichtenberg. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. So wie man es von den Vietnamesen gewöhnt ist, sind unsere Kinder sehr fleißig und fühlen sich auch sehr wohl in der Schule. Die Kinder sind schon voll in das hiesige Leben integriert, das kann man von vielen erwachsenen Vietnamesen allerdings noch nicht sagen. Hier wird sicher noch eine gewisse Zeit vergehen. Es gibt noch immer Vereine in Lichtenberg, die sich um die Belange der Vietnamesen kümmern, das empfinde ich als positiv. Auch die Pflege der Kultur spielt eine größere Rolle, als das nach den gesellschaftlichen Veränderungen der Fall war. Noch immer ist die Einbürgerung von Asylbewerbern recht kompliziert, manchmal fehlt das Verständnis in den Behörden.“11

Sozialleistungen für Migranten Diejenigen Vietnamesen, die in der ersten Hälfte der 1980er Jahre eine Ausbildung in der DDR absolviert hatten und danach in Deutschland geblieben sind, hatten zumindest ab 1993 die Chance eine Aufenthaltsbefugnis zu erhalten. Da sie in der Regel arbeitslos waren, lebten sie vom Arbeitslosengeld, das ihnen genauso gezahlt wurde, wie den deutschen Arbeitslosen. Aber diese Zahlungen waren befristet, so dass dann Bedürftige Sozialhilfe beantragt mussten. Hannelore Mouton war in Hohenschönhausen eine der Amtsleiterinnen im Sozialamt. Sie berichtete: „Vor 1989 war ich im Sozialwesen der DDR tätig. In dieser Zeit hatten wir keinen Kontakt zu den in den Heimen der Gehrenseestraße lebenden Bauarbeitern, die aus den Bezirken der DDR kamen und beim Aufbau der neuen Stadtgebiete eingesetzt waren. Auch Kontakte zu den Vertragsarbeitern waren nicht nötig, 39


denn sie wurden von den Betrieben betreut und sie benötigten keine Fürsorgeleistungen der Abteilung Soziales des Rates des Bezirkes. Erst durch die Probleme, die durch die Entlassung der Vertragsarbeiter und die Schließung der meisten Betriebe in der DDR nach 1989 entstanden, wurde es notwendig, sich um die Bewohner zu kümmern, die nun keine finanzielle Grundlage für ihren Lebensunterhalt hatten. Dazu gehörten auch in Einzelfällen die arbeitslos gewordenen Vertragsarbeiter. Von der Volkskammer der DDR wurde am 1.7.1990 ein Sozialhilfegesetz in Kraft gesetzt, das letztlich eine Miniversion des bundesdeutschen Sozialhilfegesetzes war. Die Leiter der Sozialämter wurden in einem dreitägigen Lehrgang mit diesem Gesetz vertraut gemacht. In Folge des Einigungsvertrages trat mit Wirkung vom 1.1.1991 das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) auch für die neuen Bundesländer in Kraft. Ich war damals Amtsleiterin des Amtes 3 des Sozialamtes in Hohenschönhausen, dem die offene Sozialhilfe oblag, das heißt, alle Bürger, Deutsche und Ausländer, konnten sich an uns wenden, wenn sie Hilfe benötigten. Für Pflegebedürftige oder Menschen mit Behinderungen waren andere Ämter unserer Abteilung zuständig. Ende 1990 kamen die ersten Ausländer aus den Heimen in der Gehrenseestraße zu uns, vorwiegend Vietnamesen. Sie erhielten Sozialhilfe, wenn ihr Aufenthalt durch die Ausländerbehörde legitimiert worden war, zum Beispiel durch Duldung oder eine begrenzte Aufenthaltserlaubnis. Das waren vor allem vietnamesische Vertragsarbeiter, die nicht in ihre Heimat zurückgegangen waren. Hier gab es manchmal sehr schwierige Fälle, die individuell entschieden werden mussten, weil die Verhältnisse recht unklar waren. Die Berechtigten erhielten entsprechend dem Sozialhilfegesetz Unterstützung für den Lebensunterhalt und für die Kosten der Unterkunft. Es gab aber auch viele Vietnamesen, die nicht zum Sozialamt kamen, weil sie sich illegal hier aufhielten und Angst vor einer Abschiebung hatten. Unter den Vietnamesen entstanden so Netzwerke, in denen sie sich gegenseitig unterstützten, um hier 40


leben zu können. Da vom Sozialamt die Betriebskosten der Unterkünfte bzw. Wohnungen bezahlt wurden, hatten wir manchmal auf Grund deren Höhe den Eindruck, dass nicht nur die angegebenen Bewohner in dieser Unterkunft lebten, sondern acht bis zehn, weil die Kosten so hoch waren. Ein Bewusstsein für Sparsamkeit bei Strom und Wasser war nicht entwickelt. Auch die Mitarbeiter der Hygieneinspektion stellten Überbelegungen fest und fanden nicht selten in den Zimmern Handelsware, z.B. vor Weihnachten eine Wanne voller Karpfen oder eine Reihe geschlachteter Hühner. Sprachliche Schwierigkeiten gab es mit diesem Personenkreis selten, weil insbesondere die Vietnamesen Landsleute mit Deutschkenntnissen mitbrachten, wenn sie nicht selbst ihr Anliegen vortragen konnten. Um 1990 lebten in den Heimen in der Gehrenseestraße auch Afrikaner aus Mosambik und Angola, aber auch Vertragsarbeiter aus Kuba. Die wurden nach den gesellschaftlichen Veränderungen meist wieder in ihre Länder zurückbeordert, so dass wir im Sozialamt wenig mit ihnen zu tun hatten. Aber einige dieser Vertragsarbeiter hatten einen Asylantrag gestellt. Sie wurden zunächst durch eine zentrale Asylbewerberstelle betreut, kamen bei Erteilung eines berechtigten Aufenthalts dann aber in die Bezirke zurück, so dass die Sozialämter für die Betreuung verantwortlich wurden. Eine gute Zusammenarbeit hatten wir in dieser Zeit mit dem Ausländerbeauftragten Herrn Wulfert. Unsere Arbeit wurde erleichtert, als wir die Verbindung zu den existierenden Vereinen herstellten, insbesondere zum Verein „Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen e.V.“ (BI), dem Verein „Selbsthilfe-Förderung Ausländischer Bürger e.V.“ (SFAB), dem „Verein für ambulante Versorgung e.V.“, dem neu gegründete Arbeitslosenverband und später auch zum Verein „Reistrommel e.V.“. Wenn wir von der staatlichen Seite keine Möglichkeit hatten Einfluss zu nehmen, unterstützten uns die Vereine, z. B. um nicht gemeldete Kinder zur Schule zu schicken, für Sprachkurse zu werben und Hilfe bei sozialen Problemen in den Familien zu geben. Für die Mitarbeiter des Sozialamtes wurden Informationen zusammengestellt, die es ermöglichten, die Migranten zu den Vereinen zu schicken, die ihnen am ehesten Hilfe geben konnten. 41


Wenn der Aufenthalt der Migranten durch die Ausländerbehörde legalisiert war, konnten sich diese eine Wohnung suchen und einen Antrag auf Wohngeld stellen. Wir haben dann die Kaution für die Wohnung, die Miete und die Kosten für den Lebensunterhalt gezahlt, wenn die Mieter diese Kosten nicht durch eigenes Einkommen tragen konnten. Die Vietnamesen und andere Ausländer wurden dann den deutsche Bedürftige gleichgestellt.12 Die Migranten benötigten nicht nur materielle Hilfe sondern sie erwarteten auch religiösen und sozialen Beistand. Einige Kirchen wurden deshalb zu Refugien kleiner Gruppen von Migranten. Almuth Berger, Pastorin in einer Berliner Kirchengemeinde, später Ausländerbeauftragte in Brandneburg, schreibt über eine Gruppe von Mosambikanern: „1986 zog in unser Gemeindehaus ein mosambikanischer Pfarrer mit seiner Familie ein, der zu einer Weiterbildung eingeladen worden war. Es hatte sich unter den mosambikanischen Vertragsarbeitern herum gesprochen, dass ich den Pfarrer in den ersten Monaten bei der Eingewöhnung unterstützte. Eines Sonntags standen ungefähr 20 junge Mosambikaner vor meiner Tür, die einen Gottesdienst abhalten wollten, weil es jetzt hier einen Pastor gibt. Der mosambikanische Pfarrer wollte aber den Gottesdienst nicht abhalten, weil er ja als Student hier sei, ich solle den Gottesdienst abhalten. Das war natürlich schwierig, denn ich konnte kein Portugisisch und die jungen Leute nur wenig Deutsch. Wir haben ihnen einen Raum in der Gemeinde angeboten, wo sie sich treffen konnten, ihre Gottesdienste und andere Feiern abhalten konnten. Das war wichtig, weil sie in den Wohnheimen keine religiösen Feiern abhalten durften. Sie kamen dann jeden Sonntagnachmittag zu uns und ich sollte immer dabei sein. Also habe ich angefangen Portugisisch zu lernen, damit wir uns entgegenkommen konnten. So entstand 42


eine richtige portugisische Gemeinde, die auch ein Zentrum für die ganze DDR wurde, denn auch in anderen Orten hatten sich die afrikanischen Vertragsarbeiter Gemeinden angeschlossen. Wir haben dann Chortreffen, Gemeindetreffen und ähnliches bei uns organisiert. Im Sommer unternahmen wir Fahrten, boten christliche Urlaubszeiten an und haben uns dabei natürlich viel besser kennengelernt. Wir haben viel gesungen, getanzt und sie haben viel von sich erzählt. Es war damals bei ihnen zu Hause Krieg und sie waren jung, 18, 19 Jahre alt! Wenn sie Angst um ihre Angehörigen hatten oder schlechte Nachrichten von zu Hause kamen, konnte man mit ihnen darüber sprechen. So entstand in unserer Gemeinde die „Cabana“ das heißt Hütte, eine Begegnungsstätte für Aus- und Inländer. Da waren nicht nur Mosambikaner, auch Südafrikaner, Namibier, Nikaraguaner, alle möglichen Leute, die zum Studium oder zur ärztlichen Behandlung in Berlin waren. Ich habe in dieser Zeit viel über die Probleme der Vertragsarbeiter gehört und habe sie auch im Wohnheim besucht. Vorfälle von Ausländerfeindlichkeit konnten nicht diskutiert werden, weil es das laut offizieller Doktrin in der DDR nicht gab. Die Kontakte zu den Deutschen bestanden meist nur am Arbeitsplatz, viele Kollegen kannten sie nicht mehr, sobald sie außerhalb des Werktors waren. … Ich denke heute (2001), dass die Vertragsarbeit für die Länder und die hierher Entsandten eine Hilfe war, trotz aller Schwierigkeiten. Sie kamen aus kriegszerstörten Ländern, konnten hier in relativer Sicherheit zum Teil eine Ausbildung bekommen, Geld verdienen und ihre Familien und ihre Länder unterstützen. Auch wenn die Vertragsbedingungen durchaus kritikwürdig waren, hat die Arbeit in der DDR ihnen doch Chancen eröffnet, die die Betroffenen sonst nicht gehabt hätten. Es war ungerecht, dass sie nicht wussten, inwieweit sie Schulden ihrer Länder an die DDR begleichen mussten. Als ich das erfuhr war ich sehr enttäuscht von der DDR, die sich immer der Solidarität mit ihren befreundeten Bruderländern gerühmt hatte.“

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Spätaussiedler und Kontingentflüchtlinge Durch eine humanitäre Hilfsaktion, die 1991 von der Innenministerkonferenz der BRD beschlossen wurde und die bis 2004 gültig war, hatten jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion die Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen in Deutschland einzuwandern. In Hohenschönhausen wurde solche Migranten teilweise in Heimen der Gehrenseestraße, aber auch in der Falkenberger Chaussee untergebracht. Sie nannte man Kontingentflüchtlinge, weil diese Migranten entsprechend vorgegebener Kontingente auf die einzelnen Bundesländer verteilt wurden. Die Bundesrepublik Deutschland bekannte sich 1991 zu der Verantwortung gegenüber den Angehörigen der deutschen Minderheit, die - insbesondere in der ehemaligen Sowjetunion - unter den Folgen des Zweiten Weltkrieges gelitten haben. Die erleichterten Einreisebestimmungen für deutsche Bürger, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den Nachfolgeländern wohnten, führten zu einer verstärkten Zuwanderung von Spätaussiedlern zwischen 1991 und 1998. Aber bereits vor 1990 gab es Aussiedler, die in der DDR und der BRD eine neue Heimat suchten. Das waren Bürger, die als deutsche Staatsangehörige bzw. deren Nachkommen in ehemals deutschen Gebieten östliche der Oder/Neiße nach 1945 verblieben waren und nun nach Deutschland übersiedeln wollten. Im 2. Weltkrieg wurden nach dem Überfall der Hitlertruppen auf die Sowjetunion Bürger deutscher Abstammung aus den westlichen Gebieten der Sowjetunion nach Osten zwangsausgesiedelt. Die Deutschen lebten nun in Kasachstan, dem westlichen Sibirien und in anderen Landesteilen der Sowjetunion. Diese deutschen Bürger und deren Kinder wurden in das sowjetische staatliche System integriert und fühlten sich durch die Sprache und die Kultur einerseits als Angehörige der Sowjetunion, aber verleugneten auch nicht ihre deutsche Herkunft. Die Lebensbedingungen dieser Bürger waren oft sehr schlecht. Als die Möglichkeit bestand, die eigene Lebenslage zu verbessern, nutzen viele Familien und deren Nachkommen diese Chance und baten um Aufnahme in der BRD. Ein Teil der heute als Russlanddeutsche bezeichneten Bürger waren auch in 44


der Gehrenseestraße und in anderen Heimen in Hohenschönhausen zeitlich befristet untergebracht. Sie erhielten dann in der Regel eigene Wohnungen, z.B. in Marzahn in der Nähe von Ahrensfelde, aber auch in Hohenschönhausen. Hannelore Mouton vom Amt für Sozialhilfe berichtet 2012: „In den Jahren 1991 bis 1998 kamen vor allem Aussiedler und jüdische Bürger aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion nach Hohenschönhausen. Die jüdischen Bürger nutzten die Möglichkeit, im Rahmen einer humanitären Hilfsaktion als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland zu kommen. Alle Bezirke erhielten die Aufgabe, ein Kontingent jüdischer Bürger aufzunehmen. Sowohl bei den Aussiedlern wie auch bei den Kontingentflüchtlingen gab es wenige Schwierigkeiten, denn diese Aussiedler waren von vornherein für Sozialhilfe empfangsberechtigt und wollten in Deutschland bleiben. Für die Aussiedler wurden die Wohnheime vom Berliner Landesamt für soziale Aufgaben akquiriert. Sie befanden sich in der Josef-Höhn-Straße und in der Degnerstraße. Meist gaben vorher eingereiste Aussiedler, die schon länger in Deutschland weilten, ihren Landsleuten Hilfe und Unterstützung beim Einleben in Deutschland. Die jüdischen Bürger hatten in der Regel Verbindungen zu anderen jüdischen Bürgern oder zu jüdischen Einrichtungen in Deutschland, so dass für sie schnell eine Wohnung gefunden wurde, meist in Westberlin. Diese Flüchtlinge hatten oft sehr hohe Ansprüche, vor allem, wenn sie Wohngeld für sehr teure Wohnungen beantragten. Nicht immer konnte dafür die Miete bewilligt werden. Dem Amt standen auch Dolmetscher zur Verfügung, um die Verständigung mit den oft nur russisch sprechenden Bürgern zu sichern.“12 Die jüdische Emigrantin B. Pinskaja erlebte die Umsiedlung als Kontingentflüchtling: (68 Jahre alt aus Dnjepropetrowsk, Ukraine, nach einem Tonbandprotokoll vom 1992) „Ich komme hier zum Deutschkurs bei der Bürgerinitiative, damit ich in Deutschland leben kann. Wir sind im März 1991 hergekommen, mein Sohn, seine Frau, ihre beiden Söhne und ich. 45


Mein Mann ist schon gestorben. Ich gebe mir sehr viel Mühe, deutsch zu lernen. Jeder muss ja auf den Markt gehen, in Geschäfte, zum Amt. Und wenn man dann die Sprache nicht kennt, ist das schrecklich. Wenn man nicht einmal nach dem Weg fragen kann. Letztens habe ich erst erfahren, dass „tramway“ „Straßenbahn“ heißt. Ja ohne Sprachkenntnisse, wenigstens die grundlegenden, ist es unmöglich, in einem Land zu leben. Wir sind alle gut aufgenommen worden. Mein Sohn und meine Schwiegertochter gehen auf Lehrgänge des Arbeitsamtes. Mein Sohn ist Juweliermeister, ein guter Meister, und meine Schwiegertochter unterrichtet Musik. Wir haben hier praktisch keine deutschen Nachbarn. In diesem Arbeiterwohnheim wohnen vor allem Leute aus der Sowjetunion. Das ist ja vorübergehend. Später muss man uns dann Wohnungen geben. Aussiedlertreff In der letzten Zeit wurde die Situation bei uns in der Ukraine immer komplizierter. Erstens ist die Umweltverschmutzung schrecklich. Ich wurde krank und dann die Kinder. Mein Sohn entschloss sich auszureisen. Die Lage bei uns in der Ukraine ist ja jetzt insgesamt nicht sehr gut. Es reicht für nichts, Lebensmittelmangel. Keiner weiß, wie das alles enden wird. Wir hatten eigentlich nicht die Absicht, in ein anderes Land zu gehen. Ich war immer der Auffassung, dass Deutschland ein Land hoher Kultur ist, mit einem recht hohen Lebensstandard. Und deshalb haben wir uns doch entschlossen, hierher zu kommen. Es waren auch schon Freunde von uns hier. Wir erhalten alle Sozialhilfe. Deutschland hat uns also in seine Familie aufgenommen. Man hilft uns, wir haben eine Unterkunft. Mir gefällt es 46


hier jedenfalls. Man hat mich auf dem Sozialamt gut aufgenommen. Es sind sehr nette Leute. Und ich gehe zu den Ärzten in die Poliklinik und werde auch dort gut aufgenommen. Ich komme aus einer jüdischen Familie, aber bei uns gab es keine jüdischen Schulen, keine jüdischen Einrichtungen, Theater. Nichts. In meiner Generation war das alles verboten. Natürlich hatten wir auch Befürchtungen, als Juden nach Deutschland zu gehen. Die Zeiten Hitlers brachten uns sehr viel Leid. Ich glaube dennoch, dass es jetzt eine neue Generation gibt, die die Ausländer und speziell die Juden anders betrachtet. Ich sehe um mich herum normale Menschen. Dann gibt es da vielleicht einige ganz junge Leute mit irgendwelchen Ideen, die sich seltsam anziehen. Aber das ist ihre persönliche Angelegenheit. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass meine Kinder Arbeit finden, wir in eine eigene Wohnung ziehen und auch nette deutsche Nachbarn haben.“ Die Spätaussiedlerin Alida Muth, die sowohl im Verein SFAB als auch im Verein für ambulante Versorgung tätig war, beschreibt 2012 ihren Lebensweg, der sie nach Deutschland geführt hat: „Ich bin Spätaussiedlerin. Ich bin am 20.12.1996 mit meinem Sohn aus Russland kommend in Frankfurt am Main gelandet. Meine Mutter stammt aus der Wolgadeutschen Republik und mein Vater ist auf der Krim geboren. Beide wurden im Jahre 1941 nach dem Überfall Hitlers nach Sibirien ausgesiedelt und lernten sich dort im Ural kennen. Ich bin 1954 als viertes Kind meiner Eltern geboren. Wir lebten in der Ortschaft Tawda in der Nähe von Swerdlowsk im Ural. Meine beiden älteren Schwestern, die 1948 und 1950 geboren sind, sprachen bis zu ihrer Einschulung nur deutsch, denn auch meine Großmutter und meine Eltern sprachen zu dieser Zeit zu Hause vorwiegend deutsch. Meine Eltern erlernten Russisch und nutzten dann diese Sprache, weil sie den anderen Kindern ersparen 47


wollten, dass sie ohne Russischkenntnisse die erste Klasse besuchen mussten. Zu Hause war es dann verboten, deutsch zu sprechen. Als ich nach Deutschland kam, konnte ich deshalb auch kaum ein Wort Deutsch. Als ich mit meinem 18jährigen Sohn 1996 in Frankfurt ankam, war ich sehr verunsichert und hatte auch sehr große Angst, denn ich verstand die Sprache nicht, wusste nicht wie es weiter gehen soll und welche Formalitäten zu erledigen waren. In unserer Familie wurde aber schon früher über die Möglichkeit der Übersiedlung nach Deutschland gesprochen. Ein Cousin hat bereits 1987 einen Antrag auf Übersiedlung gestellt. Aber meine Eltern wollten auf keinen Fall noch einmal eine solche Umsiedlung erleben. Den Entschluss zur Übersiedlung nach Deutschland habe ich nach dem Tod meiner Eltern (1987 und 1990) und dem Tod meines Mannes selbst gefasst, wurde aber von meiner älteren Schwester sehr unterstützt, denn sie war 1996 schon einige Jahre in Deutschland.

Hilfe für Russlanddeutsche im Verein für ambulante Versorgung

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Als ich in Frankfurt ankam, erhielt ich von meinem Cousin die Telefonnummer meiner Schwester. Ich rief an und meine Schwester riet mir, mich an das Rote Kreuz zu wenden. Sie selbst kam sofort nach Frankfurt und wir fuhren zunächst in das Auffanglager Friedland und am 30.12.1996 über Marienfelde nach Berlin. Mein Sohn und ich erhielten zunächst einen Wohnraum in einem Heim in der Degnerstraße in Hohenschönhausen. Andere Aussiedler kamen in die Gehrenseestraße. Nach zweieinhalb Monaten erhielten wir eine Wohnung in einem Wohnblock der HOWOGE in Hohenschönhausen. Eine Bekannte hat uns geholfen, die Wohnung zu suchen und den Antrag dafür zu stellen. Für uns begann ein völlig neues Leben. In Russland hatten wir ein sehr schweres und unsicheres Leben. In Tschetschenien war Krieg und mein Sohn sollte zur Armee. Das konnte ich damals verhindern. Es gab kaum Lebensmittel, nur gelegentlich bekamen wir einen Sack Kartoffeln oder Zucker oder Mehl. Man arbeitete zwar, erhielt aber kein Geld. Man musste sehen, wie man über die Runden kam. Unser Leben bestand vorwiegend aus Angst vor der Zukunft. In Deutschland hatten wir anfangs auch Angst, sahen aber vor allem das Positive. Man konnte alles kaufen. Wir erhielten etwas Geld, alles war neu, wir hatten genug zu essen, die Häuser waren ordentlich und sauber, wir erfreuten uns an der Natur und wir wurden freundlich aufgenommen. Ich konnte in einem halbjährigen Lehrgang Deutsch lernen und diese Kenntnisse in einem weiteren Jahr vertiefen, schließlich wollte ich ja künftig in Deutschland leben. Nach meinem Deutschlehrgang habe ich bei der „Brügge GmbH“ ein dreimonatiges Praktikum gemacht und bin dann dort über das Sozialamt für ein Jahr eingestellt worden. Ich habe Büroarbeiten ausgeführt und dabei eine Menge gelernt. Nach sieben Monaten Arbeitslosigkeit erhielt ich mit Hilfe meiner Schwester, die bereits dort arbeitete, einen Arbeitsvertrag in der SFAB (Selbsthilfe-Förderung Ausländischer MitbürgerInnen Hohenschönhausen e.V.). Dieser Verein unterstützte vor allem russische Migranten bei der Eingewöhnung in Deutschland. Als der 49


SFAB aufgelöst wurde, kam ich zum Verein ambulante Versorgung, der sich ebenfalls mit Spätaussiedlern und Asylbewerbern aus Weißrussland, der Ukraine und dem Kaukasus beschäftigte. Hier gab ich als Dolmetscherin den russischsprachigen Bewerbern Unterstützung bei Behördengängen und bei den Asylbewerberverfahren. Zu einer afghanischen Familie, in der sehr gut Russisch gesprochen wurde, habe ich eine besondere Beziehung geknüpft. Sie wohnte hier und ich habe auch noch Verbindung zu ihnen. Zuletzt habe ich noch bei dem Verein Jyra e.V. gearbeitet, der sich mit der Beratung und Begleitung von Künstlern beschäftigt. Ich werde auch künftig meine Verbindungen zum Verein für ambulante Versorgung im Nachbarschaftshaus in der Ribnitzer Straße aufrecht erhalten und meinen Enkel betreuen. Obwohl ich schon viermal nach meiner Übersiedlung in Russland war, habe ich keine Sehnsucht nach diesem Land. Ich fühle mich hier wohl, habe mich eingelebt und möchte auch hier bleiben.13

Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien Mit dem Zerfall des sozialistischen Lagers ab 1989 wurden in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien die Bestrebungen der sechs Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Mazedonien und Serbien nach Unabhängigkeit stärker. Zwischen diesen entstanden erhebliche Interessenkonflikte, die sich auf politische, ethnische, religiöse und wirtschaftliche Belange gründeten. Das führte zum Zerfall der Republik Jugoslawien und zu verheerenden Kriegen auf dem Balkan. Etwa 100 000 Menschen der unterschiedlichen Völkerschaften kamen in dieser Zeit dort ums Leben. Erst 1995 konnten die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien durch den Vertrag von Dayton (USA) teilweise beendet werden. Viele Menschen in Jugoslawien sahen ihre Überlebenschance nur in der Flucht in die sicheren Länder Europas. Insbesondere in Folge der Belagerung von Sarajewo durch die serbisch dominierte jugoslawische Volksarmee flüchteten Tausende Bürger aus den 50


betroffenen Landesteilen nach Westeuropa. Dabei spielten der Schutz von Leben und Gesundheit aber auch wirtschaftliche Überlebensaspekte eine Rolle. Zahlreiche Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber aus dem ehemaligen Jugoslawien, vornehmlich aus Bosnien-Herzegowina kamen in dieser Zeit nach Deutschland, denn die Bundesrepublik Deutschland sah sich dabei in einer besonderen Verpflichtung. Die Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, die in Berlin Zuflucht fanden, wurden in zahlreichen Heimen in Berlin untergebracht, auch in der Gehrenseestraße. Vor allem Bosnier, Serben, Kroaten und Kosovo-Albaner fanden hier Unterkunft und eine gewisse Geborgenheit.

Bosnische Künstler gestalten eine Ausstellung im Heim

Die jugoslawischen Kriegsflüchtlinge erhielten jeweils für die Dauer eines halben Jahres eine Duldung und Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dieses Gesetz trat am 1. November 1993 in Kraft und wurde seitdem mehrmals geändert. Es definiert Personengruppen von Ausländern, die im Falle der Hilfebedürftigkeit keine Leistungen der Sozialhilfe (oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende) zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten, sondern nur die erheblich 51


geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Aufgrund einer Änderung konnten in wenigen Ausnahmefällen auch Inhaber einer befristeten Aufenthaltserlaubnis leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sein. Diesem Gesetz entsprechend waren Leistungen für Unterkunft, Hausrat, Ernährung, Kleidung und Körperpflegebedarf vorrangig in Form von Sachleistungen zu gewähren. Ein Bargeldbetrag von 134 Euro sollte ergänzend die Deckung von Grundbedürfnissen, wie Mobilität und Kommunikation, ermöglichen (z. B. notwendige Fahrtkosten für öffentliche Verkehrsmittel, Kommunikation und Information). Hinzu kommen gegenüber dem Leistungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung eingeschränkte Leistungen zur medizinischen Versorgung. Eine Arbeitsaufnahme war für die Kriegsflüchtlinge nicht möglich. Die Kinder besuchten jedoch die Schule. Ein dauernder Aufenthalt war nicht vorgesehen. Einige der Flüchtlinge strebten über ein Asylanerkennungsverfahren einen dauernden Aufenthalt in Deutschland an. Die Mehrheit der Flüchtlinge kehrte nach dem Abkommen von Dayton in ihre Herkunftsländer zurück. Ein kleiner Teil lebt heute gut integriert in der Bundesrepublik. Für die Sozialämter bestand die Aufgabe, den Lebensunterhalt für die Flüchtlinge zu sichern. Hannelore Mouton beschreibt ihre Tätigkeit in der Zeit des Flüchtlingszustroms: „Schwierig wurde die Situation im Sozialamt als die erste Welle von Kriegsflüchtlingen aus Jugoslawien hierher kam. Da kaum jemand die serbische oder kroatische Sprache kannte, mussten schnell Dolmetscher besorgt werden, weil sonst eine Verständigung kaum möglich war. Die ersten Flüchtlinge wurden auf Grund einer humanitären Hilfsaktion aus den Kriegsgebieten nach Deutschland gebracht. Die Ausländerbehörde entschied, ob eine Duldung in Deutschland gegeben war, wenn ein Ankömmling aus einem Kriegsgebiet kam. Später kamen weitere Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien hierher, die auch untergebracht werden mussten. Sie meldeten sich beim Sozialamt des Bezirkes, in dem sie wohnen sollten. Das Sozialamt in Hohenschönhausen konnte damals sehr viele Kriegsflüchtlinge in der Gehrenseestraße unterbringen, nutzte aber auch andere Unterkünfte, die erst hergerichtet 52


werden mussten, z.B. ein Gebäude in der Gärtnerstraße. Die Kriegsflüchtlinge hatten keine lang wirkende Aufenthaltserlaubnis, sondern nur eine begrenzte Duldung. Nach Kriegsende wurden viele Flüchtlinge wieder in ihre Heimatländer zurückgeschickt. Es gab aber auch Asylbewerber, die auf Grund von Kriegserlebnissen nicht wieder in ihr Land zurück wollten und deshalb aus politischen Gründen Asyl beantragten. Diese wurden dann nicht mehr vom Sozialamt des Stadtbezirkes, sondern vom Landessozialamt betreut. Es gab aber auch Flüchtlinge, die die Ausreisewelle nutzten, um nach Deutschland zu kommen, ohne dass sie vom Krieg in Jugoslawien betroffen waren. Besonders alleistehende junge Männer wollten nicht wieder zurück, sie träumten davon, eine Frau in Deutschland zu heiraten und dadurch eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Asylanträge wurden dann aber abgelehnt.14

Offene Jugendarbeit mit Bürgerkriegsflüchtlingen Nach Beginn des Bürgerkrieges in Jugoslawien kamen nicht nur Erwachsene nach Deutschland, sondern manchmal ganze Familien mit Kindern und Jugendlichen. Immer stärker wurde es notwendig, gerade für die Jugendlichen Möglichkeiten zu sinnvoller Betätigung zu schaffen. Über Jugendklubs und die bestehenden Vereine wurden verschiedene Angebote unterbreitet, die halfen, Konflikte in den Familien und Wohnheimen zu mindern. Das Sozialgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland legt für Kinder und Jugendliche fest: „§ 11 (1) Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.

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(2) Jugendarbeit wird angeboten von Verbänden, Gruppen und Initiativen der Jugend, von anderen Trägern der Jugendarbeit und den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe. Sie umfasst für Mitglieder bestimmte Angebote, die offene Jugendarbeit und gemeinwesenorientierte Angebote.“15 Barbara Ewert war in den 1990er Jahren in der offenen Jugendarbeit, insbesondere in Jugendclubs, tätig. Grundlage ihrer Arbeit im Verein für ambulante Versorgung e.V. in der Gehrenseestraße war obiger Gesetzestext, der nun auch für die ausländischen Jugendlichen wirksam werden sollte. Sie berichtete 2012: „Im Jahr 1994 wurden auf Grund der Flüchtlingsströme aus dem ehemaligen Jugoslawien, wo 1991 der Bürgerkrieg ausgebrochen war, Angebote für junge Menschen auf dem Gelände des Ausländerwohnheims in der Gehrenseestraße dringend benötigt.

Jungen im Jugendclub

Die Wohnverhältnisse für die Familien und das ungeklärte Aufenthaltsrecht führten zu vielen Konflikten. Das äußerte sich im besonders aggressiven Verhalten und Körperverletzungen außerhalb der Jugendeinrichtungen, an Schulen und im öffentlichen Raum. Dieses Verhalten war besonders bei männlichen 54


Clubbesuchern festzustellen. Mädchen lebten im Spannungsfeld zwischen traditionellem und modernem Frauenbild und hatten dadurch eher Konflikte, die sich oft in Selbstverletzungen äußerten, wie z. B. Essstörungen und mangelndem Selbstvertrauen. Das machte Grenzüberschreitungen und Gewalttätigkeiten durch männliche Jugendliche möglich. Teilweise waren auch die Feindbilder des Balkankrieges unter den Jugendlichen allgegenwärtig und die ethnischen Konflikte wurden auf die nächste Generation übertragen, wenn die Verletzungen und Kriegstraumata keine Bearbeitung erfuhren. … Die Familien lebten unter engsten räumlichen Bedingungen, teilweise mit drei Generationen in einem Raum, so dass die unterschiedlichen Bedürfnisse der Familienmitglieder, besonders in der kalten Jahreszeit, kaum Raum fanden. Die Eltern waren oft von Kriegstraumata betroffen und hatten im Krieg alles verloren. Die muslimischen Roma hatten besonders unter dem Bürgerkrieg gelitten, denn bis heute haben sie keine politische Vertretung. In dieser Situation benötigte die offene Jugendarbeit ganz andere Kompetenzen, um die komplexen Aufgabenstellungen zu bewältigen. Der Vertrauensaufbau war wegen der gesellschaftlichen Isolation und Ausgrenzungserfahrungen der Jugendlichen viel schwieriger als in anderen Jugendfreizeiteinrichtungen. Es war

Besuch des Tierparks

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deshalb notwendig, ein Netzwerk aufzubauen, um die vielfältigen Aufgaben zu bewältigen. Deshalb wurden Beziehungen zu anderen Trägern der Migrantenarbeit hergetellt. Das waren in Hohenschönhausen im Wesentlichen die BI e.V. und der SFAB e.V., aber auch das Süd-Ost-Europa-Zentrum in der Großbeerenstraße in Kreuzberg, die Heilig-Kreuz-Kirche in der Zossener Straße und der Paritätische Wohlfahrtsverband. Die sozialen Kompetenzen der Jugendlichen waren gut ausgeprägt. So gab es einen intensiven Austausch über kulturelle Hintergründe und Herkunft sowie Religion zwischen ihnen. Viele Jugendliche waren sehr sportlich, so dass aus ihren Bedürfnissen ganz konkrete Angebotsstrukturen entwickelt werden konnten. Mit Unterstützung der Marzahner Füchse gab es ein regelmäßiges Fußballtraining und viele Turniere mit anderen Fußballvereinen.

Sportliche Jugendliche nahmen an Turnieren teil

Auch eine sehr erfolgreiche Break-Dance-Gruppe entstand, die auch überregional in Bremen auftrat und den 3. Platz belegen konnte. Durch die muslimischen Traditionen waren weibliche Besucherinnen, besonders in der Zeit der Adoleszenz, stark benachteiligt. Eine Studentin der Freien Universität der Fachrichtung Erzie56


hungswissenschaft konnte durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit in der Einrichtung eine Mädchengruppe installieren, die sich regelmäßige traf. Die Mädchen wurden fachlich begleitet und konnten die sie interessierende Themen ansprechen. So erhielten sie die Möglichkeit, alle Themen der Pubertät vertrauensvoll zu besprechen. Aus der Arbeit mit den Mädchen entstand eine Tanzgruppe, die im Mädchensportclub PIA-Olymp einen eigenen Trainingsraum erhielt. Die Tanzgruppe nahm regelmäßig an Tanzturnieren teil,

Eine Tanzgruppe übte bei PIA-Olymp

wodurch das Selbstvertrauen der Mädchen gestärkt wurde und sie auch Kontakt zu einheimischen Jugendlichen bekamen. Es gab auch viele Veranstaltungen, Feste und Feiern im interkulturellen Kontext, z.B. zur Fastenzeit für die überwiegend muslimischen Jugendlichen ein abendliches Ramadanessen mit Speisen der Heimatländer. Trotz all dieser Entwicklungen standen die Angst vor der Abschiebung und der ungeklärte Aufenthalt im Vordergrund. Besonders bei den Eltern der Jugendlichen wurden psychosomatische Krankheiten hervorgerufen.

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In den Jahren 1999 bis 2001 reisten viele Familien in Drittländer aus, um sich und ihren Kindern eine Zukunftsperspektive zu eröffnen. Viel wurden abgeschoben und manche versuchten eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, wir unterstützten sie dabei. Im Jahre 2003 wurde das Ausländerwohnheim geschlossen. Die hiergebliebenen Familien erhielten in Lichtenberg geeigneten Wohnraum, so dass sich die Bedingungen für die Familien verbessern konnten. Es gibt heute noch Kontakte zu den jetzt schon erwachsenen Jugendlichen und ihren Familien. Die gemeinsame Zeit in der Jugendeinrichtung war eine wichtige Erfahrung des gemeinsamen Lernens und Wachsens.“16 Nachdem die Kriegsflüchtlinge bis etwa 2001 die Heime in der Gehrenseestraße verlassen hatten, gab es nur noch wenige Mieter in den Heimen, einige Vietnamesen, einige Afrikaner und die Praxis der Ärztin Frau Dr. K. Im Jahre 2003 wurden die letzten Mietverträge von der ARWOGE gekündigt, seitdem stehen die Gebäude leer, sind dem Verfall preisgegeben und wurden mehrfach verkauft.

Die Heime 2012

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Asylbewerber Ein Staat kann Bürgern eines anderen Staates Asyl gewähren, wenn sie durch ihre wissenschaftliche, religiöse oder politische Tätigkeit im Heimatland verfolgt werden. Der Staat gewährleistet dem Asylsuchenden einen sicheren Aufenthalt auf seinem Territorium. Nicht jedem Asylbewerber kann Asyl gewährt werden. Wenn die Einzelfallprüfung ergibt, dass keine Berechtigung für ein Asyl vorliegt, führt die Ablehnung des Asylantrages in der Regel zur Abschiebung des Bewerbers in das Heimatland. In der DDR wurde auch Bürgern anderer Länder Asyl gewährt, z.B. Bürger aus Chile, Mosambik und einigen arabischen Staaten. Die Aufnahme von Asylbewerbern spielte in der öffentlichen Wahrnehmung aber nur eine untergeordnete Rolle. „Der Inhalt des Asyls und seine Grenzen für die Bundesrepublik ergeben sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Eine politische Verfolgung, die für Asylsuchende zugrunde gelegt wird, liegt vor, wenn dem Einzelnen durch den Staat oder durch Maßnahmen Dritter, die dem Staat zuzurechnen sind, in Anknüpfung an seine Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, politische Überzeugung oder vergleichbare persönliche Eigenschaften oder Verhaltensweisen gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen, ihn aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen und in eine ausweglose Lage bringen. Das Asylverfahrensgesetz bestimmt das behördliche Verwaltungsverfahren, das dem Asylbewerber den Status als Asylberechtigter zuerkennt. Zur Durchführung des Asylverfahrens erhält der Asylbewerber eine Aufenthaltsgestattung.“17 Nach den gesellschaftlichen Veränderungen 1990 nutzten neben Asylbewerbern aus Vietnam und dem zerfallenden Jugoslawien auch Flüchtlinge aus anderen Ländern das zunächst sehr offene Asylrecht der Bundesrepublik, um hier Asyl zu beantragen. Vor allem aus Osteuropa, den arabischen Staaten Irak, Iran, Syrien und Palästina suchten Menschen dieser Staaten in Deutschland Aufnahme und Schutz vor politischer, ethnischer und religiöser Verfolgung. 59


Auch Verfolgung wegen des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung gab es in einigen Ländern. Häufig spielten wirtschaftliche Faktoren bei der Antragstellung eine Rolle. Asylbewerber müssen ein staatlich geregeltes Anerkennungsverfahren durchlaufen um den Status „Asylberechtigter“ zu erhalten. Während des Verfahrens ist es ihnen nicht gestattet den Wohnort zu wechseln oder zu arbeiten. Sie erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die gesetzlichen Regelungen wurden in Folge der deutschen Einheit und einem verstärkten Aufnahmebegehren 1993 durch die Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes und seine Ergänzung durch den Artikel 16a durch den Bundestag erlassen. Das bisher einzigartige Individualrecht auf politisches Asyl in der Bundesrepublik wurde dadurch modifiziert. Die Änderung zielte darauf hin, unberechtigte Asylbewerber abzuweisen und damit die Aufnahme von Migranten einzuschränken. Anfang der neunziger Jahre wurden auch in der Gehrenseestraße zeitweise Asylbewerber untergebracht. Besonders in der Zeit zwischen 1995 und 2000 kamen sehr viele Asylbewerber nach Berlin. In der Gehrenseestraße blieben sie in der Regel nur einige Wochen und wurden dann verlegt oder wenn der Asylantrag abgelehnt wurde, wieder in das Heimatland zurückgeschickt. Verantwortlich für die Betreuung der Asylbewerber war die Ausländerbehörde. Nach Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung wurden die Flüchtlinge wieder in die zugewiesenen Stadtbezirke geschickt, die dann für Unterkunft und Sozialleistungen zuständig waren. Bis 2010 hatte sich die Anzahl der Asylbewerber erheblich verringert, weil nun eine Reihe von Staaten, vor allem im Osteuropa,der EU begetreten war und Auswanderer dieser Staaten keinen Asylantrag mehr stellen brauchten. Der aus Kongo stammende Asylbewerber Bernard Mayo Nke berichtete 2010 über seinen Lebensweg: „Ich wurde 1964 in Kisangani, Kongo, geboren. In der Hauptstadt Kinshasa wuchs ich auf und studierte Journalistik und Kunst. Ich arbeitete als Musiker, Maler, Karikaturist, Werbegrafiker und freier Journalist bei Jugend- und Kulturzeitschriften. Dann habe ich ein kritisches Buch über unseren Diktator Mobutu veröffentlicht: „Profile d’un dictateur“. Dafür wurde ich verfolgt 60


und musste fliehen. Bei Nacht habe ich in einem Ruderboot den Fluss überquert, der Kinshasa vom Nachbarland KongoBrazzaville trennt. Fluchthelfer haben mir dann ein Flugticket nach Polen beschafft. Von da wollte ich weiter nach Frankreich oder Belgien, weil ich ja französisch spreche und dort schon mit Verlegern zusammengearbeitet hatte. Als das Flugzeug Ende 1993 landete, war ich aber in Berlin. Ohne Visum musste ich Asyl beantragen, um nicht zurückgeschickt zu werden. Bernard Mayo Nke Ich kam in ein Asylbewerberheim in BerlinFriedrichshagen. Dort waren Afrikaner, aber auch Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, ein buntes Völkergemisch. Aber es war deprimierend, weil ich ohne sinnvolle Beschäftigung wochenlang nur warten sollte. Wegen der Residenzpflicht durfte ich Berlin nicht verlassen. Kurze Zeit später zog ich in ein anderes Heim unweit der S-Bahn Station Landsberger Allee. Das war eine schwierige Zeit. Um der Depression zu entkommen, begann ich wieder zu malen. Durch den Tipp eines Freundes wandte ich mich an den Verein Ausländische MitbürgerInnen in der Gehrenseestraße in Hohenschönhausen, die mir tatsächlich halfen. Die Leute dort waren sehr nett und freundlich. Das gab mir ein gutes Gefühl, das hatte ich schon lange nicht mehr. Seitdem ging ich oft dorthin. Ich erinnere mich noch gut daran, dass die Leiterinnen der BI mir 50 DM liehen, damit ich Farben zum Malen kaufen konnte, denn ich hatte ja kein Geld. Im Wohnheim in der Landsberger Allee bekam ich einen Platz zum Malen, außerdem fing ich in Eigenregie an, Deutsch zu lernen mit Comics, Micky-Maus-Heften und Büchern aus der Bibliothek. Trotz allem hielt ich das Warten nicht länger aus und wollte mein Asylverfahren beschleunigen. Dazu schrieb ich einen Brief ans Bundesamt und wechselte auch noch den Anwalt, weil es nicht vorwärts ging. Nach neun langen Monaten hatte ich endlich meine Anhörung, und noch 1994 wurde endlich mein Asylantrag genehmigt. Nun konnte ich einen Sprachkurs an der 61


Benediktschule besuchen. Bei der Bürgerinitiative wurde 1994 eine erste Ausstellung mit meinen Bildern gezeigt. Die Zusammenarbeit mit der BI hat mir viel gebracht. Durch viele Musik- und Schulprojekte, Seminare über Afrika und Workshops mit Kindern konnte ich neue Kontakte knüpfen. Das Arbeitsamt ermöglichte mir dann einen Kurs in Computerund Multimediadesign. Der Bürgerinitiative blieb ich eng verbunden, habe Feste musikalisch begleitet. Zum 20. Jubiläum der BI 2010 habe ich eine Broschüre gestaltet und Illustrationen angefertigt. Erst seit drei Jahren kann ich wieder mit meinen Geschwistern im Kongo korrespondieren, obwohl Diktator Mobutu 1997 entmachtet wurde und starb. Sein Nachfolger Kabila blieb aber nicht lange an der Macht, wurde ermordet und an seiner Stelle wurde sein Sohn Präsident. Trotz Wahlen besteht bis heute Unsicherheit im Kongo. Die Diktaturen in Afrika werden von den Großmächten aus ökonomischen Interessen unterstützt. Das ist das Hauptproblem. Abgesehen von den ganzen politischen Problemen hat Afrika auch seine positiven Seiten. Leider erscheint davon nur wenig in den Medien. Deshalb halte ich Vorträge, um einen besseren Einblick in die Situation in meiner Heimat und in Afrika überhaupt zu vermitteln. Ich bin in Berlin geblieben, habe Künstlerkollegen kennengelernt und Freunde. Fünf Jahre lang organisierte ich das Festival „Jambo Afrika“ und holte afrikanische Musiker nach Deutschland. Ich habe bei Radio MultiKulti drei Jahre lang eine Sendung moderiert. Bei der Bürgerinitiative habe ich als pädagogischer Mitarbeiter gearbeitet und studiere nebenbei noch einmal. Derzeit habe ich vor, Prüfungen zum Erzieher abzulegen, um meine Arbeit mit den Kindern zu perfektionieren. Außerdem gebe ich Kurse am Computer und in Französisch in der BI, mache Projekte mit Kindern, zum Beispiel zum Comic- und Trickfilmzeichnen. In Frankreich war ich inzwischen schon öfter besuchsweise, aber nun werde ich hierbleiben, weil ich mich inzwischen zu Hause fühle.“18 62


Seit etwa 2010 wird Flüchtlingen in Deutschland die Flüchtlingseigenschaft förmlich zuerkannt. Dadurch werden Flüchtlinge und Asylbewerber als gleichwertig angesehen. Sie werden bezüglich Sozialleistungen, Teilhabe am Arbeitsmarkt, Ausstellung von Reisedokumenten gleichwertig behandelt. Aber nur Asylberechtigte erhalten die gleichen Leistungen wie Einheimische. Asylberechtigte und Asylbewerber sind bisher nicht gleich gestellt. Auch heute noch werden Flüchtlinge und Asylbewerber in ausgewiesenen Wohnheimen gesammelt. Sie unterstehen bestimmten Zwangsmaßnahmen und können sich nur begrenzt frei bewegen. Verschiedene Organisationen, die Migranten unterstützen, forderten vom Bundestag, auch für die Flüchtlinge und Asylbewerber ein Leben in Würde und eine soziale Gleichstellung zu gewähren. Im Jahre 2012 wurden nach Intervention des Bundesverfassungsgerichts die Geldleistungen für Asylbewerber von 225 Euro auf 336 Euro monatlich erhöht, weil die bisherigen Sätze gegen die Menschenwürde verstoßen, die gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes unantastbar ist. Nach vier Jahren Aufenthalt in der BRD erhalten die Asylbewerber den Betrag von Hartz IV. In Deutschland gab es Mitte des Jahres 2012 etwa 130.000 Asylbewerber, Kriegsflüchtlinge und Geduldete. Die meisten kamen im vergangenem Jahr aus Afghanistan, gefolgt vom Irak, Serbien, Iran, Syrien und Pakistan. Russische Flüchtlinge bilden in Berlin die größte Gruppe. Die Asylbewerber sind froh, hier leben zu dürfen, denn „es ist immer noch besser als die Katastrophe in der Heimat“. Asylbewerber erhalten zu Beginn ihres Aufenthalts in Berlin Sachgutscheine und Essenspakete, nach drei Monaten Bargeld, das sie selbst nutzen können, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Gefordert wird vom Flüchtlingsrat das Recht auf Arbeit für die Asylbewerber, damit sie sich selbst versorgen können. Die Kinder sollen nicht nur zur Schule gehen können, sondern auch eine Berufsausbildung absolvieren dürfen.19 Aber auch in Zukunft wird es notwendig sein, die Aufnahme von Migranten zu begrenzen, um nur denjenigen Flüchtlingen eine Heimstatt zu geben, die auch ihren Anteil an der Schaffung des Reichtums im Lande leisten und nicht nur die Unterstützung des Staates erwarten. Eine menschenwürdige Behandlung soll aber für alle Betroffenen gesichert werden. 63


Arbeit von Institutionen und Vereinen Die Vereine, die in Hohenschönhausen die Ausländer unterstützten, entstanden nicht als Eigenorganisation von Migrantinnen und Migranten zur Selbsthilfe, wie z.B. in Westberlin, sondern als Vereinsgründungen auf der Basis des örtlichen Bedarfs und der Möglichkeiten der Förderung durch den 2. Arbeitsmarkt. Daher arbeiteten in den Vereinen sowohl arbeitsuchende Deutsche, wie auch ausländische Bürger, die mit ihren Sprachkenntnissen die Verständigung mit den Migranten sicher stellen konnten. In Hohenschönhausen unterstützten folgende Vereine die hier lebenden Migranten mit besonderem Engagement: die „Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen e.V.“ (BI), der Verein „Selbsthilfe-Förderung Ausländischer Bürger e.V. (SFAB)“, der „Verein für ambulante Versorgung e.V. (VaV)“, der Verein „Ball e.V.“, der Arbeitslosenverband und später auch der Verein „Reistrommel e.V.“. Einige dieser Vereine sollen hier vorgestellt werden. Durch die Bemühungen der Vereine wurde bereits im Jahre 1990 ein Ausländerbeauftragter eingesetzt. Diedrich Wulfert war der erste Ausländerbeauftragte im damaligen Bezirk Hohenschönhausen. Von 1994 bis 2001 folgte ihm Frau Bärbel Olhagaray in diesem Amt. Mit der Fusion der Bezirke Hohenschönhausen und Lichtenberg übernahm 2001 Heike Marquardt die Aufgabe als Integrationsbeauftragte.

Ausländerbeauftragter in Hohenschönhausen Diedrich Wulfert berichtete 2012 über seine Erfahrungen als Ausländerbeauftragter von 1990 bis 1994: „Ich habe in der DDR Sprachen studiert, war auch im Ausland und habe dann beim Rundfunk der DDR gearbeitet. Ich hatte in der DDR oft mit Ausländern zu tun und war dadurch mit dem Fremden sehr vertraut. Nach den gesellschaftlichen Veränderungen und der Abwicklung des DDR-Rundfunks besuchte ich zahlreiche Veranstaltungen des Berliner Senats, um mich über die Situation von Migranten zu informieren. Da ich mich neu orientieren musste, habe ich mich für die Stelle des Ausländerbeauftragten im Bezirk Hohenschönhausen beworben und bin auch angenommen worden. 64


Die neue Aufgabe erforderte die Kontaktaufnahme zu bereits vorhandenen Einrichtungen, also zu den Vereinen und staatlichen Institutionen. Es war notwendig, neue Strukturen aufzubauen, sich mit den neuen Gesetzten vertraut zu machen und immer wieder Gespräche zu führen, die die Einarbeitung in ein neues Aufgabengebiet erfordern. Ich musste mich mit dem Arbeitsrecht für Ausländer, dem Sozialrecht, dem Asylrecht und dem Aufenthaltsrecht vertraut machen. Schwierig war anfangs die Verständigung mit den Westberliner Ausländerbeauftragten, weil die dortige Situation sich Didrich Wulfert völlig von unserer unterschied. Es gab dort keine Vertragsarbeiter und die Ausländer waren nicht von staatlichen Stellen ins Land geholt worden, sondern von Betrieben. Dadurch waren die Ausländer stärker in die Betrieben integriert und unabhängiger von staatlicher Unterstützung. Dennoch waren die regelmäßigen Diskussionsrunden mit den anderen Ausländerbeauftragten wichtig für uns, um uns zu den politisch notwendigen Veränderungen der gesetzlichen Bestimmungen zu schulen. Wir konnten so die staatlichen Gremien und viele Beratungen nutzen, um unsere Erfahrungen und Meinungen öffentlich zu machen und so auf notwendige Veränderungen hinweisen. Wir beschäftigten uns zunächst vor allem mit den vietnamesischen Vertragsarbeitern, die hier geblieben waren. Es gab vor allem in der Zingster Straße doch einige Probleme mit den Anwohnern, die über die in der Nähe wohnenden Migranten nicht glücklich waren. Ungern erinnern sich die Bewohner an notwendige Polizeieinsätze, die zu einem großen Medieninteresse führten und wobei die Häuser von Kamerateams belagert wurden. In der Gehrenseestraße hatten wir diese Probleme nicht in diesem Maße, weil die Heime hier nicht in unmittelbarer Nähe der Wohnhäuser standen und Gegenmaßnahmen getroffen wurden. Rechtsextremistische Übergriffe gab es aber hier auch. 65


Über Polizeieinsätze war ich oft nicht informiert, konnte mit der Polizei aber verlässliche Absprachen treffen. Bei Überprüfung der Heime wurde manchmal die Polizei hinzugezogen, z.B. bei gewalttätigen Ehekonflikten, Verkehrsdelikten, Haltung, Schlachtung und Verarbeitung von Tieren im Heim und bei Durchsuchungen nach illegalen Zigarettenlagern. Erhebliche Diskussionen gab es, bevor das Asylrecht von der damaligen großen Koalition verändert wurde und den Asylbewerbern eine soziale Unterstützung zugesagt wurde. Anfang der 1990er Jahre kam eine große Anzahl Kontingentflüchtlinge nach Hohenschönhausen, die untergebracht werden mussten und deren Versorgung gesichert werden musste. Ihre Integration verlief in der Regel ohne große Probleme. Vor 1993 wurde stärker über die unwürdigen Bedingungen in der Asylbewerberstelle in der Westberliner Amrumer Straße diskutiert. Die damalige Bürgermeisterin von Hohenschönhausen, Brunhilde Dathe, setzte es damals gegen den Willen von Anwohnern durch, dass die Berliner Asylbewerberstelle in die Hohenschönhausener Ferdinand-Schulze-Straße verlegt wurde (heute befindet sich dort die Kfz-Zulassungsstelle). Hier waren die Bedingungen für die Angestellten und die Asylbewerber erheblich besser, obwohl der Anfahrtweg meist länger war. Über Abschiebungen von Migranten sind wir in der Regel nicht informiert worden. Es gab allerdings Fälle, wo sich Migranten an uns gewandt haben, um eine Duldung zu erlangen. Hier haben wir versucht, gemeinsam mit der Bürgermeisterin und den Vereinen Einfluss auf die Härtefallkommission der Innenverwaltung des Senats zu nehmen, um die Abschiebung zu verhindern. Gelegentlich gewährten auch die Kirchen den Betroffenen Asyl, hier konnten wir entsprechend der Rechtslage auch den Kirchenvertretern Unterstützung geben, wenn es notwendig und möglich war. Ich habe als Ausländerbeauftragter sehr eng mit den hier für Migranten tätigen Vereinen zusammengearbeitet. Wir waren der Meinung, dass die Vietnamesen, die hier lange Zeit gelebt und gearbeitet haben, sehr ungerecht behandelt werden, weil sie immer mit den Vertragsarbeitern in Westberlin verglichen wurden. Die Situation war im Osten aber ganz anders als im Wes66


ten. Wir setzten uns für eine gesetzliche Regelung für den Aufenthalt der Vertragsarbeiter ein. Damals gab es eine Duldung des Aufenthalts, die Vietnamesen bekamen damit aber keine Arbeitserlaubnis. Ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht gab es gar nicht. Erst als 1993 ein entsprechendes Gesetz verabschiedet wurde, konnten die Vietnamesen nach achtjährigem Aufenthalt in Deutschland eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung erhalten, wenn sie ein eigenes Einkommen und eine Wohnung hatten und nicht vorbestraft waren. Die aus Russland kommenden Spätaussiedler, die ab 1991 nach Deutschland kamen, wurden auch vorübergehend in Heimen in Hohenschönhausen untergebracht. Sie erhielten sofort Sozialhilfe. Aber die meisten älteren Aussiedler waren zunächst enttäuscht, weil sie nicht in ihrem Beruf arbeiten konnten. Arbeitsplätze gab es zu dieser Zeit nur begrenzt. Die Jugendlichen konnten sich schneller eingewöhnen, sie lernten leichter Deutsch und hatten weniger Schwierigkeiten sich anzupassen. Dennoch gab es auch kriminelle Delikte einzelner Jugendlicher. Die Aussiedler erhielten bald Wohnungen, gelegentlich auch Arbeit, so dass sie zumindest ihre Lebensgrundlage selbst sichern konnten. Die Wohnsituation der aufenthaltsberechtigten Vietnamesen verbesserte sich bis Ende der 1990er Jahre. Sie wurden in freien Wohnungen untergebracht, wobei es allerdings in manchen Straßen zu einer Konzentration der vietnamesischen Mieter kam. Man sollte das aber nicht als Nachteil empfinden, denn die Vietnamesen sind mental recht stark gruppenorientiert und helfen sich gegenseitig. Wohnt man zusammen ist das natürlich einfacher. Die Vietnamesen sind Schulkinder auch sehr darauf bedacht, ihre Kinder gut zu erziehen, sie zu befähigen einen Beruf zu erlernen und sich in die Gesellschaft zu integrieren. Sie unterscheiden sich darin sehr von anderen Migranten.“20 67


Im Jahre 1992 gab es eine Konferenz zu den Problemen der Integration von VietnamesInnen, die in der DDR als VertragsarbeiterInnen tätig waren und durch die gesellschaftlichen Veränderungen kaum eine Perspektive für ihr Leben hatten. Eine Broschüre „HinterGründe“ gibt Auskunft über diese Konferenz. Frau Almut Berger war damals als Ausländerbeauftragte in Brandenburg tätig. 68


Presseerkl채rung zur Vietnamkonferenz 1992

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Selbsthilfe - Förderung Ausländischer Bürger e.V. (SFAB) Der Verein „Selbsthilfe - Förderung Ausländischer Bürger e.V.“ (SFAB) wurde im Jahre 1991 von den Palästinensern Nabil Koulailat und Suat Nasralla sowie einigen Bürgern aus Hohenschönhausen gegründet. Herr Koulailat war zuvor der erste Botschafter der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in der DDR. Er führte zunächst einige in Deutschland lebende Palästinenser zusammen, knüpfte Verbindungen zu anderen Organisationen, die ausländische Bürger unterstützten, und sah es als Aufgabe an, Toleranz, Offenheit, Verständnis und Vertrauen zwischen deutschen und ausländischen Bürgern herzustellen. Die Mitgliederzahl wuchs und bald erhielt der Verein Unterstützung durch Arbeitskräfte, die vom Arbeitsamt Kontakte zwischen Bürgern benannt worden waren. unterschiedlicher Staaten Das waren geeignete Mitarbeiter, die im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) oder mit Lohnkostenzuschlägen (LKZ) im Verein eingesetzt wurden. Das Ziel des Vereins war es, solche Menschen selbstlos zu unterstützen, die bei ihrem Leben in Deutschland aufgrund einer fremden Herkunft auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Der Verein hat dazu den Gedanken der Toleranz und des wechselseitigen Verständnisses zwischen Menschen verschiedener Kulturen gefördert. Durch Kontakte und Begegnungen zwischen Menschen verschiedener Herkunft, durch Informationen über andere Lebensweisen und Werte sollten Vorurteile abgebaut werden, Verständnis geweckt und Handlungskompetenz in einer fremden Umwelt vermittelt werden. Es sollten Flüchtlingen, Asylbewerbern und Aussiedlern Beratungen zur Eingliederung in ihre neue Umgebung gewährt werden. 70


Die Solidarität mit dem palästinensischen Volk blieb aber fortan eines der Haupttätigkeitsgebiete des Vereins. Mit zahlreichen Vorträgen und einer jährlichen Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welten unterstützte der Verein die Solidarität mit Palästina. Der Verein nutzte zunächst einige Räume in den Heimen in der Gehrenseestraße und zog 2001 dann in Räume des Gebäudes „Am Hechtgraben 1“. Die Ziele wurden durch die staatlichen Institutionen des Bezirkes und weitere Vereine unterstützt, zeitweise waren insgesamt 30 Mitglieder und MitarbeiterInnen des Vereins Mitarbeiter im Verein tätig. Langjähriger Mitarbeiter im SFAB war Karlheinz Plottek. Er berichtete 2012 über seine Tätigkeit im Verein: „Ich habe Anglistik studiert und war 25 Jahre lang zunächst als Redakteur und dann als Redaktionsleiter beim DDR-Sender „Radio Berlin International“ tätig. Viele Sendungen wurden in Englisch ausgestrahlt, so dass ich während meiner Tätigkeit sehr viel mit Ausländern zu tun hatte. Nach Auflösung des Senders im Jahre 1990 und einer Ausbildung als PR-Manager kam ich 1993 über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zum Verein, um dort die Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen. Ich wurde später fest angestellt und nach der Rückkehr von N. Koulailat 1998 nach Palästina wurden Rita Kohlhagen Vorsitzende und ich stellvertretender Vorsitzender des Vereins. Das blieb so bis zu meiner Berentung im Jahre 2007. In diesem Jahr wurde der Verein auch aufgelöst, da alle staatlich geförderten Stellen für die Tätigkeit wegfielen. Wir sahen unsere Hauptaufgabe in der Hilfe zur Selbsthilfe, um ausländischen Bürger das Leben in Deutschland zu erleichtern und sie bei der Bewältigung der Lebensaufgaben zu unterstützen. Es gab zahlreiche Aktivitäten der Vereinsmitglieder, die vor allem darauf gerichtet waren, Sprachen zu vermitteln, kulturelle 71


Angebote zu machen und öffentlich auf die Probleme der Migranten aufmerksam zu machen. Wir nutzten den Verein, um Veränderungen im Ausländerrecht anzuregen. Den Kindern der Migranten galt unsere besondere Aufmerksamkeit, um gerade diesen die Integration zu erleichtern bzw. einen erträglichen Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Dazu organisierKinderfest 1993 ten wir gemeinsam mit anderen Vereinen Hof- und Kinderfeste in der Gehrenseestraße, Märchenwochen, Kinderfasching, Kinderferienlager, Baden im Orankesee, Malstunden und zahlreiche andere Veranstaltungen. Aber auch für die Erwachsenen organisierten wir viele Möglichkeiten zur Betätigung. Dazu gehörten Hilfe für Aussiedler beim Besorgen und Einrichten von Wohnungen, Ausflüge und Stadtrundfahrten, Nähkurse, Computerkurse und Sprachkurse, Kosmetik- und Gesundheitsberatungen, Feste und Feiern (z.B. das Bajram-Fest, das Fastenbrechen, das Têtfest zum vietnamesischen Neujahr, russische Abende u.a.) sowie Sport- und Kulturveranstaltungen. Zu den Veranstaltungen unseres Vereins kamen Vietnamesen und Palästinenser, ehemalige Vertragsarbeiter und illegal hier lebende Migranten, russische Aussiedler und Asylanten aus arabischen Staaten, sie suchten Unterstützung, um sich ein besseres Leben aufzubauen. Als eine große Zahl von Flüchtlingen nach dem Massaker von Srebrenica aus Bosnien zu uns kam, haben wir uns vorwiegend um diese, meist traumatisierten Menschen gekümmert. Es ka72


men aber nicht nur Bosnier, sondern auch Serben, Kroaten und Kosovaren. Meist waren es ältere Menschen, die zum Teil auch Analphabeten waren. Für diese wurden die Deutschkurse mit einem Alphabetisierungskurs verbunden. Besonders beeindruckt hat uns eine Frau, die nie eine Schule von innen gesehen hatte. Sie hat geweint, als sie zum ersten Mal ihren Namen selbst schreiben konnte. Unterstützt wurde unsere Arbeit vor allem durch Mitarbeiter, die neben ihrer Muttersprache auch Deutsch sprachen. Das betraf vor allem Vietnamesen, die schon längere Zeit in Deutschland lebten, aber auch Bürger anderer Nationen. Rechtsanwälte und Ärzte, die aus diesen Ländern mit hierhergekommen waren, sind für uns eine große Hilfe gewesen, weil sie sich als Betreuer ihrer Landsleute engagierten.

Deutschkurs

Wir hatten auch gute Kontakte zur Ausländerbehörde, zum Ausländerbeirat, der Ausländerbeauftragten (damals Bärbel Olhagaray) und zum Sozialamt. Leider hatte auch die Polizei gelegentlich im Heim zu tun. Sie musste sich mit kriminellen Delikten, vorwiegend aus dem Bereich des illegalen Zigarettenverkaufs, beschäftigen, aber auch mit anderen Delikten. Die Arbeit mit ausländischen Migranten wird auch heute noch durch die anderen Vereine fortgesetzt, denn noch immer gibt es Migranten, die Unterstützung für die Gestaltung ihres Lebens in Deutschland benötigen.“21 73


Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen e.V. Die Diskussionen, die Anfang 1990 am „Runden Tisch“ geführt wurde, waren im März 1990 Ausgangspunkt für die Gründung des Vereins „Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen e.V.“ (oft nur „BI“ genannt) unter der Leitung von Bettina Grotewohl. Es war eine politische Initiative, die zur Aktivierung von Bürgern gegen Gleichgültigkeit, Intoleranz und Fremdenhass führen sollte, denn es gab verstärkt ausländerfeindliche Aktivitäten von Jugendlichen. Das Gebäude der alten Dorfschule in der Hauptstraße 43 in Hohenschönhausen, in der die „Anne-Frank-Bibliothek“ untergebracht war, ist der Gründungsort des Vereins. Der Verein nutzte zunächst Räume im Gebäude der „Arche“ in der Schöneicher Straße und dann ab 1991 in den Wohnheimen in der Gehrenseestraße 6. Der Verein wurde in erster Linie zur Unterstützung der in Hohenschönhausen lebenden Ausländer gegründet. Auch war er als Selbsthilfeorganisation für ausländische Ehepartner von DDR-Bürgern gedacht. Ziel des Vereins war die direkte Kommunikation zum gegenseitigen Kennenlernen von ausländischen Mitbürgern und Deutschen sowie die Beratung der Vertragsarbeiter bei der Bewältigung ihrer speziellen Probleme. In der Folge waren vorwiegend ABM-Kräfte (Menschen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) in Projekten tätig und übernahmen spezielle Aufgaben bei der Unterstützung der ausländischen Mitbürger. Das waren z. B. die Vorbereitung interkultureller Veranstaltungen und Diskussionen, Erarbeitung von Informationen und Dokumentationen zur interkulturellen Erziehung an den Schulen, Vermittlung von Sprachkenntnissen und Fähigkeiten zur gleichberechtigten Teilnahme am Kommunikationsprozess. Karin Hopfmann berichtete 2012: „Die Ereignisse im Jahre 1989 führten mich mit Bettina Grotewohl zusammen und wir machten uns Gedanken, wie in Zukunft mit den ausländischen VertragsarbeiterInnen und MigrantInnen umgegangen werden soll. In dieser Zeit, aber auch später, gab 74


es zunehmend ausländerfeindliche Aktivitäten durch Jugendliche, die vor allem durch rechtsextreme gut organisierte Gruppen von ausländerfeindlichen Organisationen in Westberlin gesteuert wurden. Es kam vor, dass die Heime von jugendlichen Skinheads belagert wurden und dabei Scheiben zu Bruch gingen. Unser Ziel war es, solche Aktivitäten zu unterbinden und den MigrantInnen Hilfe und Unterstützung zu geben. Ich war von Beginn an im Vorstand des Karin Hopfmann Vereins und war lange Zeit in diesem Verein tätig. Der Verein erhielt auch Fördergelder und ABM-Stellen. Dadurch wurde die Organisation der Arbeit erheblich unterstützt. Wir mussten lernen Projektanträge zu stellen, uns mit den gesetzlichen Bestimmungen der BRD vertraut machen und unserem politisches Engagement durch den Aufbau von Strukturen eine Grundlage geben. Unsere Arbeit begannen wir mit Beratungen und organisierten Begegnungen mit ausländischen BürgerInnen. Wir haben mit unserer Tätigkeit erreicht, dass ein Ausländerbeauftragter eingesetzt wurde. Wir organisierten Gegendemonstrationen zu den rechtsextremistischen Aktivitäten und erreichten, dass es weniger Übergriffe gab. Wir führten DeutschBildungsangebot kurse durch und organisierten kulturelle Veranstaltungen. Zu uns kamen nicht nur VietnamesInnen zu Beratung sondern auch jüdische RussInnen, Spätaussied-lerInnen, AngolanerInnen, MosambikanerInnen, Palästinenser-Innen und andere. Zu einigen der Hilfesuchenden hatten wir so guten Kontakt, dass sie mit uns zusammenarbeiteten und wir dadurch eine enge Verbindung zu den Bewohnern in der Gehrenseestraße erhielten. Wir konnten Hilfe bei sozial75


rechtlichen und arbeitsrechtlichen Fragen geben, berieten zum Aufenthaltsrecht und zu Abfindungen. Außerdem vermittelten wir Kontakte zu Behörden und Dienststellen. Die hier lebenden VietnamesInnen, die 1990 arbeitslos geworden waren, wussten nicht, wie ihr künftiges Leben weiter gehen sollte. Trotzdem wurden Familien gegründet, denn bei vielen VietnamesInnen bestand der Wunsch, sich in Deutschland eine neue Existenz aufzubauen. Bis Mitte der 1990er Jahre wurde aber über die Integration der VietnamesInnen zwischen den

Beratungsgespräch

Regierungen der beiden Länder verhandelt. Wir sorgten dafür, dass die Kinder, die mittlerweile hier geboren oder aus Vietnam eingereist waren, zur Schule gehen konnten. Es gab sowohl legal als auch illegal eingereiste VietnamesInnen. Sie wohnten dann in den Zimmern ihrer früher her gekommenen Verwandten, so dass kaum noch ein genauer Überblick über die hier Wohnenden vorhanden war. Der illegale Zigarettenhandel blühte auf, er diente dem Überleben vieler Familien. Dabei bildeten sich auch mafiose Strukturen, wobei vor allem Schutzgelderpressung und Kleinkriminalität eine Rolle spielten. Die Anführer waren vorwiegend Asylbewerber. Das führte auch dazu, dass Polizeieinsätze in den Heimen notwendig wurden, um den illegalen Handel mit den zollfreien Zigaretten einzuschränken. 76


Viele VietnamesInnen konnten mit Kleinhandel und Dienstleistungen im Heim und außerhalb des Heims ihren Lebensunterhalt bestreiten. Einige wurden nach einer Qualifizierung als SozialarbeiterInnen in den Vereinen eingestellt. Nach 1993 entspannte sich die Wohnungssituation etwas, als klarer wurde, wer

bleiben kann und wer nicht. Nun konnten sich die VietnamesInnen nach Erteilung des Bleiberechts auch Wohnungen mieten, wenn sie eine Arbeit gefunden hatten, die Miete bezahlen konnten und nicht straffällig geworden waren. Der Schwerpunkt unserer Tätigkeit veränderte sich 1996/1997 mit der Einweisung von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem frü77


heren Jugoslawien, vorwiegend aus Bosnien, in die Heime in der Gehrenseestraße. Viele der Flüchtlinge waren traumatisiert und benötigten psychologischen Beistand. Der Druck, der sich durch die begrenzte Aufenthaltsdauer ergab, führte bei den Betroffenen oft zu Depressionen und gesundheitlichen Folgen. Hier konnten wir erreichen, dass für diese Flüchtlinge der Aufenthalt verlängert wurde, um eine gesundheitliche Behandlung zu sichern. Wohnungen erhielten die Flüchtlinge nicht, weil sie kein Bleiberecht hatten. Erst 2001 wurden hier gesetzliche Regelungen verabschiedet. Die Bürgerkriegsflüchtlinge gingen zum großen Teil wieder in ihre Heimat zurück, andere wanderten in andere Länder aus, wenige erhielten Bleiberecht.“ 22 Einige Aktivitäten der im Verein Beschäftigten beschreibt 2012 auch Dr. Dietrich Lederer, der seit der Gründung im Verein aktiv war: „Die Zeit der „Wende“ hatte eine Gruppe von Menschen zusammengeführt, die meinten, dass die Gesellschaft erst dann gewendet wäre, wenn auch die Menschen, die wir „Ausländische MitbürgerInnen“ genannt haben und die unter anderem zu dieser Zeit in den Heimen in der Gehrenseestraße wohnten, etwas davon merken. Daraus entstand die Initiative von anfangs knapp zwanzig Menschen, die 1990 erst einmal in der Gründung der „Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen in Hohenschönhausen e.V.“ gipfelte und im Laufe der Jahre und Jahrzehnte allerhand zu einem selbstverständlichen Zusammenleben aller Menschen im Kiez, im Stadtbezirk und in der Stadt beigetragen hat . Und das nicht zuletzt dadurch, dass die Menschen, die „aus dem Ausland“ kamen und fest entschlossen waren, ihren Lebensmittelpunkt hier zu begründen und für die Zukunft zu gestalten, dabei Unterstützung erhielten. Diese Unterstützung hatte zum Kern, dass sie beim Prozess ihrer sozialen Integration Hilfe erfahren haben und das nicht zuletzt dadurch, dass sie darin bestärkt wurden, ihre kulturelle Identität deutlicher zu sehen, zu behaupten und in die Gesellschaft einzubringen. 78


Das Gebäude der alten Dorfschule in der Hohenschönhausener Hauptstraße 43 beherbergte zu dieser Zeit die öffentliche „AnneFrank-Bibliothek“ und war der Schauplatz der Diskussionen über das Für und Wider einer Vereinsgründung, den künftigen Namen – politisch korrekt natürlich – und die Ziele eines solchen Vereins. Als der Verein in der „Arche“ in der Schöneicher Straße, zu dieser Zeit ein Jugendclub, sein erstes Domizil nahm, waren die Ziele schon klar umrissen: Wir wollten, dass Einwanderer und die Menschen der Mehrheitsgesellschaft einander kennenlernen, die Kultur und die Erfahrung des anderen kennen- und schätzenlernen. Wir wollten erreichen, dass Einwanderer ihr Anliegen, hier zu bleiben und sich sozial zu integrieren, umsetzen konnten und dass sie Unterstützung beim Erlernen der deutschen Sprache erhalten. Mit den BesucherInnen des Jugendklubs gab es eine engagierte Zusammenarbeit in jedem Punkt: Feste, Länderabende, Informationsaustausch, eine Beratungsstelle konnte eingerichtet und ehrenamtlich betrieben werden, Deutschkurse wurden aus der Taufe gehoben. 1991 zogen wir in die Gehrenseestraße 6, in das Haus F des Wohnheimkomplexes, in dem Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter wohnten, die zumeist bis 1990 in Berliner Betrieben gearbeitet hatten. Sie waren vor allem aus Kuba, Vietnam, Mosambik und Angola gekommen und wir waren näher sowohl an den „Problemen“ als auch an den Menschen, die am meisten damit zu tun hatten, sich sozial zu integrieren. In der Mehrzahl waren es vietnamesische und mosambikanische VertragsarbeiterInnen. Zu dieser Zeit wohnten vietnamesische VertragsarbeiterInnen aus Wäschereien wie Rewatex in Berlin in diesem Heim, teils waren aber auch schon Menschen aus der Schuhfabrik Storkow, teils aus dem Gleisbau zugezogen. Mosambikaner aus dem Schlachthof in der Storkower Straße wohnten hier, zu diesem Zeitpunkt auch schon aus den Braunkohle-Tagebauen der Lausitz und aus Stahlwerken. Alles das, was die Bürgerinitiative, die bald nur noch BI hieß, in der „Arche“ begonnen hatte, wurde nun mit Initiative und Ideen 79


besser, kompetenter, engagierter weiter geführt. Zunächst gab es einen kulturellen und sozialen Ansatz: Die Chance, aus der relativ starken Isolierung bei der Arbeit und in den Wohnheimen auszubrechen, hatte die Wende gebracht. Gemeinsam wurden die Möglichkeiten des Zusammenlebens von Einwanderern und Bevölkerung diskutiert, erprobt, verworfen, neu in Gang gebracht. Kommunikation, gegenseitiges Kennenlernen, demokratisches Miteinander durch kulturelle Veranstaltungen wurden gefördert. Abende mit Informationen zu den Herkunftsländern und bald schon mit Kultur, Kunst, Kulinarischem standen am Anfang der Arbeit. Informationen zu sozia-

Tanzvorführung beim Hoffest

len, kulturellen bis hin zu rechtlichen Verhältnissen im Einwanderungsland, nicht zuletzt Sprachunterricht wurden intensiviert. In der Beratungsstelle, gleich neben dem Eingang, suchten wir gemeinsam nach Lösungen, den Aufenthalt sicher zu machen, wo doch für die VertragsarbeiterInnen alles viel problematischer war als für die Bevölkerung, die sich auch völlig neu orientieren musste. Der Erwerb von Rechtskenntnissen über die neuen Verhältnisse und der gemeinsame Kampf für ein Bleiberecht nahmen einen breiten Raum ein. Wir fanden, dass VertragsarbeiterInnen Einwanderer sind und nach Jahren der Arbeit in den DDR-Betrieben das Recht haben, sich ihren Lebensmittelpunkt zu wählen, wo sie wollen. Durch die Entlassung der VertragsarbeiterInnen hatte sich ihre Lage vollständig destabilisiert, denn statt der 10 Mark der DDR für ein Bett im Viererzimmer in der Gehrenseestraße, mussten bald 80


100 DM und mehr für den gleichen Platz gezahlt werden, obwohl es für sie keine Einnahmen gab. Hier entstand die Mähr um die Zigarettenschmuggler, die gezwungen waren, irgendwie Geld für ihre Lebenshaltung zu beschaffen. Viele Prozesse wurden bald und noch lange geführt. Und dabei ging es um Kriminalisierung der VertragsarbeiterInnen, die nach der DDR-Arbeit ins tiefe Loch gefallen waren. Ihr Anspruch, sich in Berlin und in der BRD sozial zu integrieren, sollte delegitimiert werden. Die Gegenmacht war der Kampf ums Bleiberecht, in dem sich die VertragsarbeiterInnen selbst organisiert haben. Sie handelten selbst und wurden von den Menschen der BI und anderen Organisationen wie der „Reistrommel e.V.“ unterstützt. In dieser Zeit entstand die „Vereinigung der Vietnamesen in Berlin und

Demonstration gegen Abschiebung

Brandenburg e.V.“. Auf dem Alexanderplatz, vor den Tagungsorten der Innenministerkonferenz, vor den Parlamenten standen die Anhänger der Vereinigung, der BI, der Reistrommel und viele, viele andere und forderten Bleiberecht, Recht auf Familienzusammenführung und Recht auf Arbeit. Inzwischen lockte die De-Maizière-Regierung die VertragsarbeiterInnen mit der Zahlung von 3.000 Mark für den Rückflug in die Heimat. Die Gelder sind teils nie ausgezahlt worden. Die Menschen saßen im Flugzeug zurück in die alte Heimat, aber ohne Geld, das ihnen ja den Start dort erleichtern sollte. Solche Rückführungsversuche gab es regelmäßig, teils gegen das In81


Aussicht-Stellen einer „Anschubfinanzierung“ für eine Existenzgründung, teils durch regressive Anwendung des Strafrechts. Der Verkauf unverzollter Zigaretten, vor allem durch vietnamesische VertragsarbeiterInnen war die einzige Chance, zwischen Lebenshaltungskosten, hohen Mieten und Arbeitslosigkeit ohne soziale Absicherung zu überleben. Wurde ein Händler ertappt war es nur noch eine Frage der Quantität des Vergehens, das über die Anzahl der Tagessätze entschied und damit über gesetzlich legitimierte Abschiebung oder Bleiben. Verhandlungen über die Rückführung mit „Entsende-Staaten“ begannen 1994, die dann 1995 in ein Abkommen zwischen Vietnam und der BRD mündeten. Die Konsequenzen dieses Pokers hatten die VertragsarbeiterInnen zu tragen – keine Passverlängerung, kein Bleiberecht, damit allenfalls Duldung und ohne das Recht zu arbeiten, denn die Arbeitserlaubnis war an eine Stufe des Aufenthaltsrechts gebunden und war für Geduldete nicht zu erlangen. Nun wurde für die gebliebenen VertragsarbeiterInnen das Ausländerrecht der BRD angewendet.

MitarbeiterInnen der BI 2007

Die Beratungsstelle gleich rechts neben dem Eingang von Haus F der Gehrenseestraße 6 war stark frequentiert. Hier und in allen anderen Räumen der BI wurde Vertrauen gebildet, Zusammenleben geübt. Politisch ging es gut voran: Migrantenorganisationen wurden gegründet. Ihr Ziel war es, ein Bleiberecht auf dem Niveau der „GastarbeiterInnen“ der BRD zu erhalten, 82


Familienzusammenführung, sicheres Bleiberecht, Arbeitserlaubnis zu erreichen. Warum in dieser Reihenfolge? Die Familie ist ein hohes, vom Grundgesetz geschütztes Gut. Es gab Petitionen an die Gesetzgeber, Parlamentarier aller Ebenen und Parteien und Regierungen aller Ebenen bis hin zur Innenministerkonferenz. Gute Erinnerungen habe ich an die Protestfahrt zur Innenministerkonferenz an einem sehr winterlichen Tag am 26.11.1993 in Oybin. Es ging um das Bleiberecht unter dem Motto: „Gleiches Recht für alle - VertragsarbeiterInnen rechtlich wie GastarbeiterInnen behandeln“. 1996/1997 kam schließlich das Bleiberecht, sehr restriktiv, aber mit Courage und Verstand nutzbar. Man musste sich behaupten, um mit Arbeit, Familie und Wohnung zu bleiben. Daraufhin entstand ein enormer Bedarf nach Unterstützung in rechtlichen Auseinandersetzungen, nach Information, die Vermittlung von Rechtsbeistand, die Begleitung zu Ämtern, häufig aufgrund früherer Überlebensaktivitäten durch ungesetzlichen Zigarettenverkauf auch auf strafrechtlicher Ebene. Und das war die Normalität, um das Bleiberecht überhaupt in Anspruch nehmen zu können. Das Wichtigste war es, dass Menschen einander kennen- und schätzen lernen. Ich lernte so Son kennen. Er war 18 Jahre alt, als er in Fürstenwalde als Gummifacharbeiter ausgebildet wurde. 1990 schloss er die Ausbildung als Facharbeiter ab. 1995 erhielt er den Gesellenbrief als Stahlbauer in Westberlin. Nach der Pleite des Betriebes hat er einen Marktstand betrieben, darauf eine Gaststätte, die er 1998 mit nach München nahm. Dort baute er ein Haus, zeugte einen Sohn, und lebt mit seiner Frau, die er in Vietnam kennengelernt hat. Ich habe ihm manchmal helfen können, wenn es darum ging zu entscheiden, wie es mit dem Aufenthaltsrecht weiter geht. Und ich habe ihn erlebt, er hat die Flinte niemals ins Korn geworfen, niemals. Die BI arbeitet heute an einer anderen Stelle im Kiez. Die Menschen ändern den Ort, Menschen kommen hinzu, Menschen gehen, die Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen e.V. lebt das Miteinander, das schwierige, konfliktreiche, das jeder Mühe wert ist.“ 23 83


Verein für ambulante Versorgung Hohenschönhausen e.V. (VaV): Einer der Vereine, die sich seit den 1990er Jahren um die Unterstützung der MigrantInnen in Hohenschönhausen kümmerte, war der „Verein für ambulante Versorgung Hohenschönhausen e.V. (VaV). Die langjährige Geschäftsführerin, Christina Emmrich (spätere Bürgermeisterin von Berlin-Lichtenberg), und ihre Nachfolgerin, Evelyn Ulrich, berichteten über ihre Tätigkeit im Verein: „Der Verein für ambulante Versorgung Hohenschönhausen e.V. wurde im März 1991 von sieben interessierten Bürgerinnen und Bürgern gegründet. Anlass war die Notwendigkeit, Menschen zu beraten, die Hilfe in den unterschiedlichsten Lebensbereichen benötigten. Unser Ziel war es damals, zunächst einen ambulanten Familienpflegedienst zu gründen, um vor allem den Vätern oder Müttern zu helfen, die sich nicht in der Lage fühlen, ihre Kinder ausreichend zu betreuen. Das Wohnzimmer von Christina Emmrich war unser Treffpunkt und Büro in einem. Die erste Vereinsvorsitzende war Frau Dr. B. Zot. Christina Emmrich war von Beginn an bis 2001 Geschäftsführerin des Vereins. Der Verein benötigte Räumlichkeiten für seine Arbeit und wir bekamen den Hinweis, dass in den Ausländerwohnheimen in der Gehrenseestraße 6 Räume frei seien. Wir zogen im September 1991 in eine Vierraumwohnung im Erdgeschoss des Blocks A. Das reichte zunächst, weil wir ja vor allem in die Wohnungen der Familien gingen, um dort zu helfen. Aber wir hatten so eine Anlaufstelle, zu der die Hilfesuchenden bei Bedarf kommen konnten. Die Heime in der Gehrenseestraße waren zu dieser Zeit wie eine kleine Siedlung – aber zu allen Seiten offen und durchquerbar - egal ob jemand zum Einkaufen, zur Bushaltestelle, zur Berufsschule usw. wollte. Nur ein kleiner Staketenzaun, der eher 84


zur Begrenzung von Beeten, als zur Abschirmung von AnwohnerInnen geeignet war, lud ein, grenzte aber nicht aus. Der Verein begann seine Tätigkeit mit zwei Projekten: dem Treffpunkt BUS (Begleitung, Unterstützung, Selbsthilfe) und dem Familienpflegedienst, dem der Name „Verein für ambulante Versorgung (VaV)“ geschuldet ist. Zwölf MitarbeiterInnen bewältigten die Arbeit. Der Treffpunkt entwickelte sich schnell zu einem tollen Anlaufpunkt für VorruheständlerInnen und SeniorInnen, für Beratung, Freizeitgestaltung, Nachbarschaftshilfe und freiwilliges Engagement.

Geschäftsräume des Vereins für ambulante Versorgung e.V. in der Gehrenseestraße

Da in diesem Wohnblock vorwiegend Vietnamesen wohnten ergab es sich, dass diese auch zu unserem Verein kamen, obwohl auch die Bürgerinitiative ausländische MitbürgerInnen e.V. und der Verein Selbsthilfe - Förderung Ausländischer Bürger e.V. auf dem Gelände ihre Arbeitsstätten hatten. Von Beginn an hatten wir mit beiden Vereinen eine sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Die Betreuung ausländischer Bürger war ursprünglich nicht unser Ziel, die Nähe zu den Ausländern brachte aber diese Zusammenarbeit mit sich. 85


Oft sorgte der Name für Verwirrung und die unmittelbaren NachbarInnen, ob VietnamesInnen, AfrikanerInnen, JugoslawInnen oder SpätaussiedlerInnen standen mit Wunden oder anderen Beschwerden vor der Tür, benötigten Pflaster und Verbände. Andere wiederum wollten eine kulinarische Versorgung. Dies hat allerdings schnell zu interessanten Kontakten geführt, und wir wurden mit den Lebensumständen der BewohnerInnen vertraut. Die Schwerpunkte unserer Arbeit ergaben sich aus dem Bedarf, der von unseren Mitarbeitern festgestellt wurde. Das waren z.B. Beratungen zur Familienpflege, für Arbeitslose, für Wohnungssuchende (z.B. für wohnungslose Männer, die auch im Heim wohnten) und SeniorInnen. Das Miteinander auf dem Gelände hatte sehr gravierende Höhen und Tiefen. Besonders kompliziert gestaltete sich dies kurz nach dem Überfall auf das Ausländerheim in RostockLichtenhagen. Sofort wurde ein hoher Zaun gezogen, man musste sich ausweiHoffest 1994

sen, um auf das Gelände zu kommen und Polizisten liefen mit Hunden Streife – das ganze Gelände wurde gettoisiert. Erst Proteste der ansässigen Vereine änderten diese Situation ein wenig – erst wurden die Hunde, dann die Streifen abgeschafft. Aber die AusländerInnen wurden nahezu alle kriVorschulkinder lernen deutsch minalisiert. Razzien der Polizei waren plötzlich Alltag. Die Polizei hatte Vorurteile, Schwarze wurden als dreckig, alle Vietnamesen als Zigarettenhändler behandelt usw. Nicht die Wohnsituation der Menschen war mehr wich86


tig, sondern die mögliche Straftat. Hier musste auch die Polizei lernen.

Misswahl im Jugendclub 1994

Besonders für die ansässigen Vereine wurde es immer wichtiger, dem etwas entgegenzusetzen. So sind Kinder- und Anwohnerfeste gemeinsam gestaltet worden und der Verein bot einmal wöchentlich Bastel- und Malangebote im Hof des Geländes an. Ab 1993 betreute der Verein vietnamesische Vorschulkinder, ab 1994 kamen die Kinder der Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und später die Kinder der SpätaussiedlerInnen dazu. Da zahlreiche Jugendliche auf dem Gelände wohnten, wurde der Jugendclub „Aquarium“ gegründet, in dem über Jahre eine sehr gut Arbeit geleistet wurde (siehe Beitrag von Frau B. Ewert, der langjährigen Leiterin des Jugendclubs). Der Jugendclub war auf Grund seiner guten Ausstattung und seines Rufes Anziehungspunkt für die Jugendlichen aus den Heimen, insbesondere für Vietnamesen, Jugendliche aus dem ehemaligen Jugoslawien und Spätaussiedler, aber auch für deutsche Jugendliche. 87


Bevor der Jugendclub für ein multikulturelles Miteinander sorgte, wurde ein Raum als Treffpunkt für Kinder bereit gehalten. Natürlich gab es anfangs ein nicht einfaches Konkurrenzverhalten, besonders zwischen SpätaussiedlerInnen und den Kriegsflüchtlingen. Wichtig war ein eigenständiger Ort, der in der untersten Etage im Haus F gefunden wurde. Damit konnten mehr Kinder und Jugendliche erreicht werden und die Situation unter den Jugendlichen entspannte sich wieder. Egal ob Fasching, Miss-Wahl oder Weihnachten – viele Höhepunkte konnten neben dem oft auch anstrengenden Alltag gestaltet werden. 2002 zog der Jugendclub in eine Schule in der Werneuchener Straße. Auch Erwachsene wurden von uns angesprochen. Wir haben einen Second-Hand-Laden Familienfahrt zur Stadtmitte eingerichtet, auch Spenden gesammelt und die Migranten beraten, wenn sie Hilfe brauchten. Konnten wir ein Problem nicht lösen, boten wir die Hilfe der anderen Vereine an, die vor allem bessere Möglichkeiten für die sprachliche Verständigung hatten. Über unsere Wohnhilfe konnten zahlreiche Wohnungen vermittelt werden, aber es gab auch Rückschläge, wenn die Migranten eine angebotene Wohnung nicht annahmen. Auch die Vorstellung des deutschen Schulsystems, die Beratung zur Bewältigung des Alltags in den Heimen, das Kennenlernen des Bezirkes und Berlins, die Auseinandersetzung mit deutscher Kultur, dem Kennenlernen von Kindertageseinrichtungen usw. wurden den MigrantInnen angeboten. Einmal im Monat wurde ein Familiennachmittag gestaltet, der deutsche und ausländische BesucherInnen zusammenbrachte. Immer bemühte sich der Verein um die Lösung aktueller Probleme und reagierte prompt mit neuen Angeboten. So war das 88


Zusammenbringen der unterschiedlichen Kulturen ein wichtiges Anliegen der Arbeit des Vereins. Bis 1998 blieben wir in der Gehrenseestraße. In dieser Zeit waren alle neun Heime vollbesetzt. Wir hatten ein gutes Verhältnis zu den Angestellten der Betreiberfirma ARWOGE. Die Mieten waren wegen der hohen Betriebskosten auch recht hoch, zumal die Bewohner mit Wasser und Strom sehr freigebig umgingen. Um alle AufgaDie Bürgermeisterin, Frau Dathe, zu Besuch ben bewältigen zu können, haben wir immer versucht, über ABM oder SAM Arbeitskräfte für Projekte zu gewinnen. Das brachte vielen Arbeitslosen wieder eine zeitweilige Beschäftigung und der Verein konnte seine Tätigkeitsbereiche erheblich ausweiten. Von Beginn an haben wir aber darauf geachtet, dass die Tätigkeiten durch entsprechende Kostenstellen des Bezirksamtes vergütet werden. Es wurden Vereinbarungen getroffen, so dass über das Jugendamt, das Sozialamt, das Wohnungsamt oder andere Dienststellen in Zusammenhang mit sozialpolitischen Maßnahmen die notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt wurden. Zeitweilig hatten wir bis zu 230 Mitarbeiter, etwa 120 sind auch heute noch fest angestellt. Über den Senat gab es ein Programm „Integration durch Arbeit“. Im Rahmen dieses Programms wurden bei uns zeitweise 60 Arbeitskräfte beschäftigt, vorwiegend Spätaussiedler, die bei uns eine grundlegende Ausbildung erhielten, damit sie auch in anderen Einrichtungen eingesetzt werden konnten. Unser Ziel war es dann, Nachbarschaftszentrum zu werden. Dazu wurde es notwendig, andere Räume zu suchen. 1998 erhielten 89


wir Platz in der bis dahin genutzten Kita am Berl 8 bis 10. Die Kita wurde damals geschlossen, weil die Anzahl der Kinder im Wohngebiet erheblich gesunken war. Wir blieben bis 2011 in diesem Gebäude. Jetzt (2012) wird es wieder als Kita hergerichtet, denn die Anzahl der Kinder nimmt wieder zu. 2011 wurde eine Schule in der Ribnitzer Straße 1 zum Stadtteilzentrum umgebaut, dort erhielt der Verein neueRäumlichkeiten. Auch heute kommen noch Flüchtlinge nach Lichtenberg. Heime gibt es noch in der Degnerstraße, der Werneuchener Straße und in der Rhinstraße. Der Verein sieht aber gegenwärtig nicht die Betreuung der MigrantInnen als Hauptaufgabe, sondern andere soziale Aufgaben, die vorwiegend die deutsche Bevölkerung betreffen.“24

Verein Ball e.V. BALL e.V. (Betreuung arbeitsloser Leute und Lebenshilfe e.V.) ist ein seit Januar 1992 bestehender, gemeinnützig tätiger eingetragener Verein. Mit Unterstützung und im Auftrag verschiedener Senatsverwaltungen des Berliner Senats, der als Treuhänder des Landes Berlin wirkenden „Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung (gsub)“, regionaler Berliner Agenturen für Arbeit und bezirklicher Jobcenter ist der Verein als freier Träger von Maßnahmen zur Arbeitsförderung tätig. Der Verein hat sich zum Dienstleistungsunternehmen im öffentlichen Auftrag im Bereich der personenorientierten und sozialen Dienstleistungen entwickelt. Unter der Maxime: „Sich selber helfen, indem man anderen hilft – anderen helfen, sich selbst zu helfen“, verbindet BALL e.V. in seinen Handlungsfeldern wirtschaftliche Ziele mit sozialem Engagement. Die Arbeit in der Gehrenseestraße begann im März 1992 mit der Entwicklung der Projektidee „Soziale Dienste für ausländische Mitbürger und Aussiedler“. Dazu gehörte die Beratung bei aufenthaltsrechtlichen, sozialrechtlichen und sonstigen migrationsbezogenen Fragen sowie bei Fragen einer Rückkehr. Am 1. November 1992 begannen Mitarbeiter von Ball e.V. im Rahmen einer ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme) das Projekt „Hilfe für ausländische Bürger und Aussiedler“, insbesondere in der Havemannstraße und im Wohnheim Gehrenseestraße 6, Haus D. 90


Im Jahr 1994 richtete Ball e.V. die Projektinhalte neu aus und erweiterten sie um Angebote zur Betreuung bosnischer Kriegsflüchtlinge. Dabei organisierte der Verein eine „bosnische Schule“ in drei Wohnheimen, um insbesondere bei den Kindern die eigene Sprache und Kultur zu erhalten. Das war besonders wichtig im Hinblick auf eine angestrebte Rückkehr der Familien in die Heimat. 1995 schuf der Verein Orientierungshilfen für Aussiedlerinnen in Zusammenarbeit mit dem Frauenzentrum „Am Mühlengrund“ in der Wartenberger Straße 102 in Berlin-Hohenschönhausen. Ab 1996 förderten Ball e.V. besonders das Engagement von Migranten und Migrantinnen in Kooperation mit anderen Projekten, Trägern und Fachdiensten. Ein Jahr später erweiterte er die Angebote für Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, insbesondere für Frauen und Kinder. Im Oktober 1998 stellte das Projekt die Arbeit ein, da für den verringerten Bedarf einige auf Migrantenarbeit spezialisierte Träger ausreichten. Die Wohnheime leerten sich allmählich, da vietnamesische Bürger Wohnungen beziehen konnten, die bosnischen Kriegsflüchtlinge nach dem Friedensschluss größtenteils zurückkehrten und Spätaussiedler und Kontingentflüchtlinge zügig mit eigenen Wohnungen in den Bezirken Marzahn und Hellersdorf versorgt werden konnten. Insgesamt betreuten Mitarbeiter des BALL e.V. von 1992 bis 1998 ca. 35.000 Klienten im Rahmen der Hilfe für ausländische Bürger und Aussiedler. Die Besucher glieBetreuung von Kindern derten sich wie folgt: 46 Prozent vietnamesische Vertragsarbeiter, 26 Prozent bosnische Kriegsflüchtlinge, 18 Prozent Spätaussiedler, 44 Prozent Asylantragsteller, 4 Prozent deutsche Beratungssuchende, 2 Prozent Sonstige. 91


Inhaltlich umfasste die Unterstützung folgende Leistungen: - Hilfe bei der Integration im Alltags- und Berufsleben, vorwiegend für MigrantInnen; - Hilfe zur Selbsthilfe beim Umgang mit Behörden und beim Ausfüllen von Anträgen und Formularen einschließlich Übersetzungen und Schreibhilfen; - Begleitung bei Behördengängen (u.a. Wohnungsamt, Finanzamt, Sozialamt, Arbeitsamt, Jugendamt, Ausländerbehörde, Polizei); - Informationsveranstaltungen über das Rechts- und Sozialsystem der BRD, zur Berufsorientierung; - Unterstützung beim Erlernen der deutschen Sprache als Voraussetzung für Arbeit, Weiterbildung und Schule sowie als Hilfestellung bei der Berufsorientierung; - Beratung und Betreuung von vietnamesischen Vertragsarbeitern zur Bleiberechtsregelung, ArbeitsKinderbetreuung suche, Arbeitserlaubnis; - Beratung und Betreuung bei aufenthalts-, arbeits-, sozial- und familienrechtlichen sowie medizinischen Fragen; - Vermittlung von Rechtsanwälten, Ärzten, besonders auch Schwangerschaftsberatung; - Betreuung von Aussiedlern, besonders solcher im höheren Lebensalter; - Spezifische Formen der Betreuung von Frauen und Kindern mit fürsorglichem Anteil; - Spezifische Angebote für Kinder/Jugendliche, wie Freizeitangebote für die in Wohnheimen lebenden Kinder, Lernhilfe und Hausaufgabenbetreuung für Kinder und Jugendliche; - Organisation multikultureller Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit der Ausländerbeauftragten sowie anderen Einrichtungen; - Exkursionen und Spaziergänge durch Berlin und seine Umgebung; - thematische Veranstaltungen zu Kultur und Lebensweise in der Bundesrepublik Deutschland. 92


Die vietnamesische Sozialarbeiterin Yna Dao beschreibt ihren Lebensweg und ihre Tätigkeit bei Ball e.V.: „Ich wurde 1952 in Hanoi geboren. 1966 kam ich zum Studium der Fernmeldetechnik in die DDR, nach Dresden. Noch heute denke ich gern daran zurück und liebe Dresden über alles. Nach meiner Rückkehr nach Vietnam habe ich im Fernmeldeamt Saigon gearbeitet, geheiratet und bekam zwei Töchter und einen Sohn. 1987 hatte ich die Chance, in die DDR zurückzukehren, als Gruppenleiterin und Dolmetscherin für vietnamesische VertragsarbeiterInnen. Wir haben in Berlin gearbeitet, bei „TreffModelle“ in der Greifswalder Straße. Dort wurden meist Jacken und Mäntel genäht. Mit einer Dolmetscherin und einem Stellvertreter war ich für 300 Vietnamesinnen und 50 Vietnamesen zuständig. Das war sehr anstrengend. 1990 hat „Treff-Modelle“ uns alle entlassen. Etwa die Hälfte der VertragsarbeiterInnen nahm die 3.000 DM Entschädigung und ging zurück nach Vietnam, die andere Hälfte wollte bleiben. Einige stellten in Westberlin Asylanträge. Das war damals eine ausweglose Situation: Mit der Arbeit hatten wir den Wohnheimplatz in der Erich-Glückauf-Straße (heute: Havemannstraße) verloren und wir hatten kein Aufenthaltsrecht mehr. 1988 hatte ich schon meinen damals dreijährigen Sohn zu mir geholt, ich musste schnell eine Wohnung finden. So zog ich dann in die Otto-Winzer-Straße und meldete mich arbeitslos. Wegen meiner Deutschkenntnisse konnte ich bald beim Arbeitslosenverband als Beraterin anfangen, ich bekam dort für zwei Jahre eine ABM-Stelle. Mit der Arbeit bekam ich auch das Aufenthaltsrecht. 1990 habe ich auch meine Töchter nachgeholt, die ich sehr vermisst hatte. Sie mussten hier erst Deutsch lernen, kamen aber in der Schule gut zurecht. Heute haben alle meine Kinder erfolgreich studiert, so dass ich glaube, meine Mühe, sie allein zu erziehen, hat sich gelohnt und sie haben bessere Zukunftschancen. 93


Doch das war damals noch nicht so klar. Nach dem ABM-Projekt war ich wieder arbeitslos und fand zum Glück bei Ball e.V. 1992 eine Stelle im Ausländerprojekt. In diesem Rahmen war ich einmal die Woche als Beraterin vor allem für die Vietnamesen in der Gehrenseestraße. Wir haben aber auch für die Landsleute ein bisschen Kultur organisiert, so das Têtfest zum Neuen Jahr, das Mondfest für die Kinder im Herbst und zum 1. Juni eine Feier zum Kindertag. Denn inzwischen hatten auch die ehemaligen Vertragsarbeiter Kinder bekommen oder sie aus Vietnam nachgeholt. Nebenbei habe ich noch ein Studium angefangen als Sozialarbeiterin und Sozialberaterin, damit ich für meine Arbeit besser bezahlt werde. Im Studium war ich die einzige Vietnamesin. Nach dem erfolgreichen Abschluss 1995 habe ich weiter bei Ball e.V. gearbeitet und noch bis 1998 die Beratung in der Gehrenseestraße fortgeführt. Darüber kannte ich auch die Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen e.V. Dort bekam ich Ende 1998 endlich eine Stelle als Sozialberaterin und arbeite hier bis heute. Bei meinen Beratungen ging es vor allem ums Aufenthaltsrecht, um die Arbeitserlaubnis oder eine Gewerbeerlaubnis, Familienzusammenführung und um Möglichkeiten, Deutsch zu lernen. Beratungsgespräch Dann waren Fragen zu Familie und Kindern zu klären, Kindergeldanträge, die Unterbringung der Kinder in Kindergarten und Schule, Deutschnachhilfe für die Kinder und Vietnamesisch, damit sie die eigene Kultur kennen. Es war enorm viel Arbeit, weil es nur wenige Vietnamesen gab, die genug Deutsch konnten und sich mit dem komplizierten deutschen Rechtssystem auskannten. Ich habe die Arbeit gern gemacht, weil ich helfen konnte. Viele der ehemaligen Vertrags94


arbeiter wurden sozusagen Stammkunden, sie fassten Vertrauen zu mir. Ich konnte ihren Lebensweg verfolgen, heute sind viele schon Großeltern, so wie ich, und ihre Kinder haben sich erfolgreich in Deutschland integriert. Unsere Beratungsstelle bei der Bürgerinitiative zog später in die Liebenwalder Straße um und seit 2007 arbeiten wir in der Neustrelitzer Straße. Es kommen inzwischen neue Generationen von Vietnamesen hierher, die andere Probleme haben. So beraten wir zur Familie, zum Aufenthalt, zur Kindererziehung, helfen bei Behördengängen. Meine Hilfe wird nach wie vor gebraucht. Seit 2005 gibt es auch Integrationskurse, die wir hier durchführen.“25

Verein Reistrommel e.V. Der Verein „Reistrommel e.V.“ wurde im August 1993 nach einer Straßenschlacht zwischen vietnamesischen Bewohnern des Wohnheims in der Havemannstraße in Berlin-Marzahn und der Polizei gegründet. Hauptziele des Vereins sind die Verständigung zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen im Inland und der Einsatz für eine humane Asyl- und Ausländerpolitik, die sich an der Lebenswirklichkeit der Einwanderer orientiert. Der Verein beschäftigt sich vor allem mit der Lebenssituation vietnamesischer Staatsangehöriger in Deutschland. Reistrommel e.V. hatte sein Domizil zwar nicht in den Heimen der Gehrenseestraße, aber seine Ziele betrafen in hohem Maße auch die Bewohner der Heime. Bekannt wurde der Verein „Reistrommel e.V.“ vorwiegend durch seinen Einsatz für die Opfer von Polizeiübergriffen und deren Aufklärung (siehe Beitrag von Christa Dentler), die Mietrechtsaktionen für vietnamesische Bewohner der ARWOBAU-Heime in den Jahren 1991 und 1995 und durch den Kampf für eine Gleichstellung der ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter mit den „Gastarbeitern“ der alten Bundesländer. Die Arbeit von Reistrommel e.V. ist eng mit dem Schicksal dieser Menschen verbunden. Die Mitarbeiter des Vereins haben nicht wenig dazu beigetragen, dass 1997 eine Modifikation des Asylrechts in der Bundesrepublik 95


erfolgte, nach der die Aufenthaltszeiten in der DDR der in der Bundesrepublik verbliebenen Vertragsarbeiter auf die Dauer des Aufenthalts in Deutschland angerechnet werden. Die Situation der Vietnamesen verbesserte sich dadurch in Deutschland erheblich. Die Mitarbeiter des Vereins Reistrommel e.V. verstärkten seit 1996 ihre Aktivitäten zur Integrationsförderung. Migrationsberatung und Betreuung für alle Angelegenheiten der Vietnamesen, Kinder- und Jugendarbeit, Familienberatung, Sprachförderung, Angebote für Kultur und Sport sind gegenwärtig die wichtigstenAngebote. 26

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Tamara Hentschel, in der DDR Wohnheimbetreuerin vietnamesischer VertragsarbeiterInnen, ist seit seiner Gründung Geschäftsführerin des Vereins. Die Beratung von Vietnamesen begann sie aber schon früher: „Mit der Wende entstand eine große Unsicherheit in der DDR über die Zukunft. Die ersten Betriebe mussten Leute entlassen und da war ganz laut der Ruf zu hören: „Erst die Ausländer, dann die Deutschen!“ Und die Betriebe gaben diesem Druck auch nach. Vertragsarbeiter, also auch die Vietnamesen, waren zu DDR-Zeiten nahezu unkündbar. Das änderte sich mit der Veränderung des Regierungsabkommens im Sommer 1990. Darin war auch die Abfindung von 3.000 DM festgelegt, das wurde ihnen so vermittelt, dass sie damit zur Ausreise verpflichtet seien. Das stimmte aber nicht, denn die Abfindung war ein Ausgleich für den entgangenen Lohn aus den nicht erfüllten Verträgen. Man konnte die 3.000 DM nehmen und hier bleiben. Aber das ist nie so gesagt worden. Dabei war Vietnam gar nicht auf die Rückkehrer vorbereitet, es gab keine Wohnungen und keine Arbeit für sie. Und eigentlich hatten sie das Recht, zumindest bis zum Ende ihrer ursprünglichen Vertragslaufzeit in Deutschland zu bleiben. Dieser Umgang mit den Arbeitern hat mich sehr wütend gemacht. Ich habe in der DDR immer gelernt, solidarisch zu sein. Und mit einem Mal verhielt sich dieses Land, von dem ich auch überzeugt war, völlig entgegengesetzt: unsolidarisch, unmenschlich, vertragsbrüchig. Deshalb dachte ich: Jetzt erst recht! Und tat alles, dass die Vertragsarbeiter wenigstens ihre Rechte wahrnehmen konnten und Bescheid wissen, damit sie sich frei entscheiden können, ob sie gehen oder bleiben wollen. Es gab auch viele kleine Ungerechtigkeiten, Geld wurde nicht gezahlt, das ihnen zustand, Leistungen verweigert und deshalb haben wir die Beratungsstelle in Marzahn aufgebaut. Bei meinem ersten Heimleiter bekam ich dann einen Raum im Wohnheim für die Beratung. Hilfe und Informationen holten wir uns vom Runden Tisch für Ausländer und der Gemeinde von Almuth Berger. 97


Unser erster Beratungsschwerpunkt war die Währungsunion. Die Vietnamesen wussten nicht, wie sie ihr schwer erarbeitetes DDRGeld umtauschen können. Sie bewahrten es ja zur DDR-Zeit im Schrank auf, weil sie keine Konten eröffnen durften. Nun mussten sie es auf ein Konto einzahlen. Wir fuhren auch in andere Städte, wenn Vertragsarbeiter uns riefen, die fristlos aus den Betrieben oder den Wohnheimen herausgeworfen werden sollten. In wenigen Fällen konnten wir ihnen die ausstehenden drei Monate Lohn noch sichern und mit einer Sammelklage überhöhte Wohnheimmieten zurückholen. In dieser Zeit habe ich wahrscheinlich insgesamt 20 Menschen für einige Tage in meiner Wohnung aufgenommen, die über Nacht aus den Wohnheimen überall im Land geworfen wurden und nicht wussten wohin. Dann besorgte ich ihnen in Berlin neue Wohnheimplätze. In der Nachwendezeit gab es dann immer wieder Übergriffe auf die Wohnheime. Jede Nacht haben wir deutschen Heimbetreuer reihum Wache gehalten, damit nichts passiert oder wir rechtzeitig Hilfe holen können. Bis 1997 haben wir für das Bleiberecht gekämpft, mit dem die noch verbliebenen Vertragsarbeiter dann den westdeutschen Gastarbeitern gleichgestellt wurden. All die Jahre hing der Aufenthalt der Vietnamesen immer am seidenen Faden. Teilweise im Monatsrhythmus mussten sie nachweisen, dass sie durch eigene Arbeit und eine eigene Wohnung ihre Existenz sicherten. Dabei bekamen sie am Anfang nicht mal eine Arbeitserlaubnis. Dadurch wurden manche zu illegalen Tätigkeiten wie Zigarettenverkauf gezwungen, wofür man ihnen später wieder das Bleiberecht wegnehmen wollte, weil sie „kriminell“ geworden seien. Inzwischen kümmern wir uns um die Probleme der zweiten Generation, die längst herangewachsen ist. Weil die Eltern so viel wie möglich arbeiteten, um genug Geld für die Familie hier und in Vietnam zu verdienen, entstand Entfremdung zwischen Eltern und Kindern. Familienangehörige sind nachgezogen, die erst in Deutschland ankommen müssen. Es bleibt also weiter viel zu tun, bis sie sich gleichberechtigt einbringen können.“27

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Rückblick und Ausblick Im Rückblick auf ihre Tätigkeit als Ausländerbeauftragte von 1994 bis 2001 schreibt Bärbel Olhagaray: „Der Blick im des Jahre 2012 auf die Wohnheimanlage Gehrenseestraße, ihre wechselvolle Geschichte und besonders auf die Schicksale ihre einstigen Bewohnerinnen und Bewohner, fördert verschiedenste Gefühle und Bewertungen bei mir zu Tage. Diese reichen von menschenunwürdiger Unterbringung über ein Kuriosum der Geschichte bis zu einer Insel des Zusammenhalts und Obdachs in bewegten Zeiten. Als ich 1988 in die Nähe des Wohnheimkomplexes zog, kannte ich als Ostdeutsche bereits die Unterkünfte verschiedenster Ausländergruppen in der DDR von innen und hatte sieben Jahre lang in Dresden in einem separaten Wohnblock mit Lateinamerikanerinnen und Lateinamerikanern, vorwiegend politischen Flüchtlingen aus Chile zusammengelebt. Die Gehrenseestraße erschien mir daher nicht absonderlich und es war auch selbstverständlich, dass ich und mein damaliger Ehemann 1989 angesprochen wurden, uns in das Umfeld der neugegründeten „Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen e.V.“ zu begeben. Mit diesem Verein und anderen neu entstandenen Ausländerprojekten von damals kooperierte ich ab 1990 bei Veranstaltungen und Projekten der interkulturellen Kultureinrichtung „Mikado-Talenteladen“, die ich bis 1994 leitete. Als ich im Frühjahr 1994 mein Amt als zweite Ausländerbeauftragte des Bezirkes Hohenschönhausen antrat, geschah dies auf dem Höhepunkt der durch den Zusammenbruch des Ostblocks und des Krieges auf dem Balkan hervorgerufenen massiven Zuwanderung, die sich besonders in der Belegung in der Gehrenseestraße widerspiegelte. Zuwanderer und Flüchtlinge und ihre vielfältigen Probleme bestimmten meine Arbeit, daher lag es nahe, im Wohnheim bei den Projekten und ihren Beratungsstellen einmal wöchentlich eine Sprechstunde anzubieten. 99


Jeden Dienstagnachmittag wurde ich mit den unterschiedlichsten Schicksalen konfrontiert, ob es Vietnamesen waren, die um ihren Aufenthaltsstatus kämpften, Spätaussiedler auf Arbeitssuche, Schulkinder aus Flüchtlingsfamilien, die der Förderung bedurften, oder kriegstraumatisierte Frauen aus Bosnien ohne ärztliche Behandlung. Geblieben sind bei mir Erinnerungen an die Lebendigkeit der Feste und Veranstaltungen, Menschen aller Art, spielende Kinder auf den Gängen, Sprachgewirr, Hitze und Gerüche. Gerüche der unterschiedlichsten Küchen der Welt, vor allem der vietnamesischen Küche, die damals sehr fremdartig waren. Heute gehören ihre Düfte in der Berliner Gastronomie bei der modernen Hue-Küche aus Vietnam dazu und sind bei den Berlinerinnen und Berlinern und ihren Gästen inzwischen sehr gefragt. Die Heime in der Gehrenseestraße waren kein Fremdkörper des Bezirkes Hohenschönhausen , wenn auch isoliert von den übrigen Wohngebieten. An der Geschichte der Wohnheime lässt sich ein Teil Weltpolitik, Wiedervereinigung und bundesdeutsche Einwanderungspolitik mit all ihren Problemen und Fehlern dokumentieren. Wie sehr war es damals mein Ziel und das vieler Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die Heime zu schließen, und ihre Bewohner in Wohnungen unterzubringen, die doch viel billiger waren als ein Wohnheimplatz. Mit dem Rückgang der Flüchtlingszahlen, auch durch den umstrittenen, sogenannten Asylkompromiss und das wachsende Wohnungsangebot, war eine Schließung der Gehrenseestraße Anfang des neuen Jahrtausends möglich. Die Jahre des Übergangs und der Extreme wurden Geschichte, geblieben sind in der Gehrenseestraße vorerst Ruinen. Es ist gut, wie Flüchtlinge heute in Berlin untergebracht werden, vorübergehend in annehmbaren Wohnheimen, dann in eigenen Mietwohnungen. Doch die Globalisierung schreitet voran, wieder strömen mehr Flüchtlinge nach Berlin. Wieder werden sie von Armut, Diskriminierung und vor allem von Kriegen hierher getrieben. Sie werden zukünftig in Berlin mit anderen sozial schwa100


chen Gruppen um den knapper werdenden billigen Wohnraum konkurrieren müssen. Zu hoffen ist, dass die zahlreichen und auch für mich nicht zu missenden Erfahrungen der neunziger Jahre in Konzepte einfließen, die Flüchtlinge auffangen und ihnen eine gerechte Teilhabe an unserer Gesellschaft ermöglichen, auf Zeit oder für immer. Dafür mag der Wohnheimkomplex Gehrenseestraße und seine Geschichte stehen. Bärbel Olhagaray, Ausländerbeauftragte des Bezirkes Hohenschönhausen 1994-2001"28

Nachwort Nachdem es 2001 rund 22.500 neue Asylbewerber in Berlin gab und diese Zahl bis 2009 auf 10.000 sank, nimmt die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge gegenwärtig wieder zu. Vor allem Flüchtlinge aus Afghanistan, Irak, Iran, Syrien, Pakistan, Bosnien/Herzegowina, und vor allem die Roma aus Serbien/Mazedonien kommen nach Deutschland. Letztere nutzen die ungehinderte Transitmöglichkeit nach Deutschland, um der Ausgrenzung in ihrem Land zu entgehen und hier eine gesicherte Unterkunft zu finden. Von den aus Serbien und Mazedonien eingereisten Asylbewerbern ist noch kein einziger Antrag anerkannt worden. Offenbar werden Menschen mit falschen Versprechungen und für viel Geld nach Deutschland transportiert, um hier Leistungen zu beantragen, die für tatsächlich politisch Verfolgte gedacht sind. Andere flüchten vor kriegerischen Auseinandersetzungen und verweisen darauf, dass man hier mit dem Wenigen, was man erhält, noch besser lebt als in den katastrophalen Verhältnissen im eigenen Land.29 Für diese Flüchtlinge, die auch häufig einen Asylantrag stellen, müssen Unterkünfte bereitgestellt werden. Lichtenberg ist der Berliner Bezirk, der die meisten Asylbewerber aufgenommen hat. Notunterkünfte, die als Sammelunterkünfte bezeichnet werden, müssen hergerichtet werden. Von Asylverbänden und dem Flüchtlingsrat, aber auch von Vertretern einzelner Parteien wird die Forderung erhoben, die Sammelunterkünfte zu beseitigen und die Flüchtlinge 101


in menschenwürdigen Unterkünften und Wohnungen unterzubringen. Flüchtlinge sollen den gleichen Zugang zu sozialen Leistungen haben wie jeder andere Bürger. Andere Forderungen beziehen sich auf die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Den Asylbewerbern soll nach den gültigen Hartz-IV-Gesetzen die notwendige Lebensgrundlage gesichert werden. Auch die Abschaffung der Residenzpflicht und des Arbeitsverbots der Bewerber wird angestrebt. Obwohl die Kinder der Asylbewerber zur Schule gehen dürfen, sind sie von einer folgenden Berufsausbildung ausgeschlossen, das soll verändert werden. Bei der Beschaffung von Wohnraum wird es einen Konkurrenzkampf zwischen den deutschen Bürgern mit niedrigen Verdienst und den Asylbewerbern geben. Hier ergibt sich die Notwendigkeit, bezahlbare Wohnungen bereitzustellen. Dem Staat entstehen durch die wachsende Zahl der Flüchtlinge erhebliche Kosten durch die Zahlung der erforderlichen Sozialhilfe und die Bereitstellung von Wohnungen. Diese Kosten werden aus Steuern gedeckt. Daher ist es notwendig, Asylbewerbern die Möglichkeit zur Arbeit zu geben, damit sie sich selbst versorgen können und sich damit auch in den Dienst der Gesellschaft stellen. Um die ungehinderten Einwanderung von Flüchtlingen einzudämmen, die nur aus wirtschaftlichen Erwägungen und zum Erwerb von Sozialhilfe nach Deutschland kommen, wird es auch künftig notwendig sein, die Asylberechtigung individuell zu prüfen und auch Abschiebungen zu gestatten. Angestrebt wird deshalb, das Verfahren zur Bearbeitung von Asylanträgen zu beschleunigen. 2011 betrug die Anerkennungsquote für Asylbewerber 16,4 %. Mit der Zunahme der Asylbewerber kann diese Quote weiter steigen. Mit der Anwerbung von Facharbeitern, wie sie gegenwärtig stark durch den Mangel an qualifizierten Fachkräften in einzelnen Industriezweigen diskutiert wird, müssen solche gesetzlichen Bestimmungen vorhanden sein, die für die Migranten einerseits ungehinderte Arbeit und akzeptable Wohnverhältnisse in Deutschland sichern, andererseits auch die Rückkehr ins Heimatland ermöglichen. Die Globalisierung in der Welt wird auch künftig neue Anforderungen an die Betreuung und die eventuelle Integration der Migranten in Deutschland stellen. 102


Anhang 1 Begriffsbestimmung Die Wohnheime in der Gehrenseestraße in Berlin-Hohenschönhausen wurden seit 1979 für die Unterbringung verschiedener Bevölkerungsgruppen genutzt. Um die unterschiedlichen Gruppen zu charakterisieren, sollen die verwendeten Begriffe erläutert werden. Die Heime wurden in der Zeit zwischen 1977 und 1980 erbaut, weil sie als Unterkünfte für Arbeitskräfte aus den Bezirken der DDR für den Aufbau des neuen Stadtteils Marzahn benötigten wurden. So fungierten die Heime seit ihrer Entstehung bis zum Jahre 1988 als Unterkünfte für Arbeiter (Arbeiterwohnheime). Seit 1982 wohnten in den Heimen auch ausländische Bürger mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung aus Vietnam und Mosambik, später auch aus Angola, Kuba und anderen Staaten. Diese wurden von ihren Regierungen zur Ausbildung in die DDR geschickt. Nach vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Regierungen wurden ab 1987 aus diesen Ländern auch Arbeitskräfte, ebenfalls mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung und strengen Reglementierungen, zur Arbeit in den Großbetrieben der DDR angeworben. Diese Arbeitskräfte wurden als Vertragsarbeiter bezeichnet. Nach den gesellschaftlichen Veränderungen 1990, die zu Arbeitslosigkeit der Vertragsarbeiter führte, kamen zahlreiche Vertragsarbeiter aus der ganzen DDR, Tschechien, Polen und anderen Ländern nach Berlin. Die Heime in der Gehrenseestraße waren ein beliebter Anlaufpunkt, weil man dort in den Zimmern der hiesigen Vertragsarbeiter eine Bleibe finden konnte. So wohnten hier legal oder illegal Flüchtlinge, was zeitweise zu einer Überbelegung der Heime zwischen 1990 und 1995 führte. Auch Asylbewerber aus Vietnam, dem nahen und mittleren Osten (Irak, Iran, Afghanistan, Syrien) und anderen Ländern wurden zwischen 1991 und 2000 hier zeitweise eingewiesen. Die Bewerber stellten einen Asylantrag und ihnen wurde entweder Asyl gewährt oder sie wurden nach Ablehnung des Antrags in ihr Heimatland abgeschoben. 103


Als 1993 kriegerische Auseinandersetzungen im früheren Jugoslawien ausbrachen, wurden verstärkt Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber aus Bosnien-Herzegowina, Serbien und Kroatien in der Gehrenseestraße untergebracht. In den Jahren 1999/2000 kamen auf Grund der Unruhen im Kosovo vermehrt kriegsvertriebene Kosovo-Albaner nach Hohenschönhausen. Ihr Aufenthalt war begrenzt und nach Beendigung der kriegerischen Handlungen im Heimatland verließen sie Deutschland wieder. Die erleichterten Einreisebestimmungen für deutsche Bürger, die in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wohnten, führten zur verstärkten Einwanderung von russischen Spätaussiedlern zwischen 1991 und 1998. Durch eine humanitäre Hilfsaktion, die 1991 von der Innenministerkonferenz der BRD beschlossen wurde, kamen jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Sie wurde teilweise in der Gehrenseestraße, aber auch in der Falkenberger Chaussee und anderen Heimen untergebracht. Man nannte sie Kontingentflüchtlinge , weil sie entsprechend vorgegebener Kontingente (Anzahlen) auf die einzelnen Bundesländer verteilt wurden. Heute werden fast alle ausländischen Bürger, die ihren Wohnsitz zeitweise oder dauerhaft nach Deutschland verlegt haben, als Migranten bezeichnet. Einige davon haben die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Sie und ihre Nachkommen sind deshalb Deutsche mit Migrationshintergrund.

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Anhang 2 Zeittafel 1977-1980: Errichtung des Wohnheimkomplexes mit 9 Wohnblocks, verwaltet wurden die Heime im Auftrag des Magistrats von Berlin durch die Arbeiterwohnheimverwaltung (ARHV), später Verwaltung durch ARWOGE 1978-1988: Nutzung als Wohnheim für Bauarbeiter der DDR während ihres Einsatzes auf den Baustellen Berlins, Einsatz der Bauarbeiter in Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen Ab 1982: Nutzung als Wohnheim für Vertragsarbeiter aus Vietnam, Mosambik, Angola, Kuba und für Bürger anderer Länder 1990-1995: Zuzug von ehemaligen Vertragsarbeitern aus Vietnam, bisher tätig in Tschechien, Polen usw., sie lebten teilweise illegal bei Freunden oder Bekannten in den Heimen, zeitweise gab es eine Überbelegung 1990-2000: Asylbewerber aus Vietnam, dem mittleren Osten und Afrika werden untergebracht, Bürgerinitiativen organisieren Aktionen und Schutzwachen gegen ausländerfeindliche Demonstrationen vor den Heimen 1993-2000: Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber aus dem ehemaligen Jugoslawien, vornehmlich aus Bosnien-Herzegowina werden eingewiesen 1991-1998: Spätaussiedler aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und jüdische Kontingentflüchtlinge kommen nach Hohenschönhausen 1999-2000: Kriegsvertriebene Kosovo-Albaner erhalten eine begrenzte Aufenthaltserlaubnis Bis 2003: Die Bewohner und Mieter erhalten Kündigungen für den Aufenthalt in den Heimen, den bisherigen Mietern werden Ersatzwohnungen angeboten Seit 2003: Leerstand der Heime, der Abriss wird vom Bezirksamt geplant, aber die Heime werden von der ARWOGE verkauft, verschiedene private Investoren lassen die Gebäude verfallen 105


Anhang 3 Gesprächspartner und Autoren Berger, Almuth Pastorin in der Bartholomäus-Gemeinde, Mitbegründerin von „Demokratie jetzt“, delegiert zum Zentralen „Runden Tisch“, Arbeitsgruppe Ausländer, Ausländerbeauftragte in der DDR, dann in Brandenburg Dao, Yna Vietnamesin, Sozialarbeiterin, die lange Zeit in „Ball e.V.“ und im Verein „Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen e.V.“ gearbeitet hat Dentler, Christa Mitarbeiterin im Verein „Reistrommel e.V.“, heiratete einen vietnamesischen Dolmetscher Ewert, Barbara Leiterin des vom „Verein für ambulante Versorgung e.V.“ eingerichteten Jugendclubs „Aquarium“, heute Arbeit im„Krugwiesenhof“ Emmrich, Christina Geschäftsführerin des „Vereins für ambulante Versorgung e.V.“ (1991-2001), Bürgermeisterin von Berlin-Lichtenberg (2002-2011), ab 2011: Stellvertretende Bürgermeisterin und Stadträtin für Jugend und Gesundheit Grotewohl, Bettina Mitglied des „Runden Tisches“ in Hohenschönhausen (1989/90), Geschäftsführerin des „Vereins Bürgerinitiative ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen e.V.“ (seit 1990) Harmsen, Susanne Journalistin, arbeitet mit Vereinen zusammen, die ausländische BürgerInnen betreuen Hentschel, Tamara Geschäftsführerin des Vereins „Reistrommel e.V.“ seit 1993 Hopfmann, Karin Mitglied des „Rundes Tisches“ in Hohenschönhausen (1989/90), Gründungs- und Vorstandmitglied des Vereins „Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen e.V.“, flüchtlingspolitische Sprecherin der PDS im Abgeordnetenhaus (1995 - 2006)

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Lederer, Dr. Dietrich Langjähriges Vorstandsmitglied des Vereins „Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen e.V.“, hatte verschiedene Funktionen in der Stadtteilkoordination, arbeitet heute bei „Urban consult“ Mayo Nke, Bernard Asylbewerber, wegen eines kritischen Buches über den Diktator Mobuto wurde er in seiner Heimat Kongo verfolgt, ihm wurde Asyl gewährt Meyerhöfer, Dr. Rolf Engagiert sich ehrenamtlich für die Heimatgeschichte in Berlin-Hohenschönhausen (Förderverein Schloß Hohenschönhausen e.V.) Mohrs, Renate Arbeitsökonomin im VEB Sternradio (bis 1990), hatte Kontakte mit vietnamesischen Vertragsarbeitern, wohnt in der Nähe der Gehrenseestraße, Mitglied der Seniorenvertretung Lichtenberg, Kiezaktivvorsitzende Mouton, Hannelore Arbeitete sowohl vor 1989 als auch mehrere Jahre danach im Sozialamt Hohenschönhausen und war Amtsleiterin des Amtes 3 des Sozialamtes Mut, Alida Spätaussiedlerin aus Russland, kam 1996 mit ihrem Sohn nach Deutschland Nguyen, Thi Minh Thu Vietnamesische Vertragsarbeiterin im VEB Sternradio, blieb nach 1990 in Deutschland Nguyen, Truong Son Luu Vietnamesischer Dolmetscher, der durch Familienzusammenführung 1995 nach Deutschland kam Olhagaray, Bärbel Leiterin des „Talenteladen Mikado“ (1990-1994), Ausländerbeauftragte in Hohenschönhausen (1994-2001), Gebietskoordinatorin des Bezirksamtes Lichtenberg für Hohenschönhausen Süd (seit 2011) Pinskaja, B. Jüdische Emigrantin, Kontingentflüchtling aus der Ukraine, kam 1992 nach Deutschland

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Plottek, Karlheinz Bis 1990: Redaktionsleiter beim DDR-Sender „Radio Berlin International“. Seit 1993 Mitglied des Vereins „Selbsthilfe - Förderung ausländischer Bürger e.V. (SFAB)“, stellvertretender Vorsitzender dieses Vereins 1998-2007 Spennemann, Nozomi Mitglied des Vereins „Reistrommel e.V.“, Kennerin der Verhältnisse der vietnamesischen VertragsarbeiterInnen Ulrich, Evelyn Geschäftsführerin des „Vereins für ambulante Versorgung e.V.“ seit 2001 Wulfert, Diedrich Ausländerbeauftragter in Hohenschönhausen (1990-1994), heute: Büroleiter beim Staatssekretär für Kultur in Berlin

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Anmerkungen 1

Quelle: Karin Hopfmann, Am Stadtrand, aber nicht am Rande der Welt, Im Auftrage der „Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen e. V.“, Seite 39, Berlin 1992 2 Quelle: Karin Hopfmann, Am Stadtrand, aber nicht am Rande der Welt, Im Auftrage der „Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen e. V.“, Seite 8 ff, Berlin 1992 3 Gesprächsnotiz von 2008 4 Gesprächsnotiz von 2012 5 Gesprächsnotiz von 2008 6 Information über den Stand der Ausländerzahlen in der ARWOGE vom 30.01.1991 7 Dietrich Wulfert, Ausländerbeauftragter in Hohenschönhausen, Niederschrift der Ergebnisse des Runden Tisches der Ausländer vom 28.01.1992, herausgegeben vom Bezirksbürgermeister Hohenschönhausen 8 Gesprächsnotiz von 2008 9 Gesprächsnotiz von 2012 10 Gesprächsnotiz von 2012 11 Gesprächsnotiz von 2012 12 Gesprächsnotiz von 2012 13 Gesprächsnotiz von 2012 14 Gesprächsnotiz von 2012 15 Sozialgesetzbuch VIII der BRD, § 11 Jugendarbeit 16 Schriftlicher Bericht von 2012 17 Info nach Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Asylrecht 18 Gesprächsnotiz von 2010 19 Berliner Morgenpost vom Donnerstag, 19.07.2012 20 Gesprächsnotiz von 2012 21 Gesprächsnotiz von 2012 22 Gesprächsnotiz von 2012 23 Gesprächsnotiz von 2012 24 Gesprächsnotiz von 2012 mit Frau Christina Emmrich (2012) und Text von Frau Evelyn Ulrich (2012) 25 Nach: 20 Jahre miteinander, ein Heft der Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen e.V. S.16/17 109


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Tamara Hentschel u.a., Zweimal angekommen und doch nicht zu Hause – Vietnamesische Vertragsarbeiter in den neuen Bundesländern, herausgegeben von „Reistrommel e.V.“ Berlin, 1997 27 Gesprächsnotiz von 2008 28 Schriftliche Meinungsäußerung im Jahre 2012 29 Berliner Zeitung vom 26. Oktober 2012: „Flucht ist kein Verbrechen“

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Förderverein Schloß Hohenschönhausen e.V. Hauptstraße 44 13055 Berlin Tel.: 030 9789 5600 E-Mail: FoerdervereinHhn@gmx.de Internet: http://www.schlosshsh.de

Der Förderverein sieht sich als Interessenvertreter der Bürger Hohenschönhausens, die das ehemalige Gutshaus einer angemessenen öffentlichen Nutzung zugänglich machen wollen. Dabei strebt er den Aufbau eines DAIMON-Museums an, widmet sich der Kultur und der Kommunikation und soll das „Lokale Gedächtnis“ von Hohenschönhausen sein. Die Spendenaktion „Steine für das Schloss - Ich bin dabei“ unterstützt die Rekonstruktion des ehemaligen Gutshauses. Auch Sie können zur Rekonstruktion des Gutshauses durch Ihre Spende beitragen: Bankverbindung: Berliner Sparkasse BLZ 100 500 00 Konto: 23 33 33 54 51 111


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