Preis: EUR 6,-
ZEITSCHRIFT DES | naturschutzbund | HEFT 2-2016
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ARTENKENNTNIS – EINE VERLORENE KOMPETENZ?
MIT UNTERSTÜTZUNG VOM
Reihe
WAS SPENDENGELDER ERMÖGLICHEN… PROJEKT 12 Fotos v. l.: Luchsproje kt Österreich Nord-W est/Thomas Engled er (2);Peter Gerngroß
In jeder Ausgabe stellen wir Ihnen jeweils ein beispielhaftes Naturschutzprojekt vor, das mit Spendengeldern an den | naturschutzbund | ermöglicht wurde oder daraus mitfinanziert werden konnte.
Projekt: Luchsmonitoring Mühl- und Waldviertel
LUCHSFORSCHUNG MIT KAMERAFALLEN Luchse sind seit der Wiedereinbürgerung im tschechischen Böhmerwald (Šumava) vor mehr als 30 Jahren auch wieder fester Bestandteil der Natur des Mühlviertels. Seither ist der Ökologe Thomas Engleder dort auf der Suche nach Luchsen und seit ein paar Jahren auch im Waldviertel. Im Rahmen des Luchsprojektes „Österreich Nordwest“ stellen er und seine Kollegen hochwertige Kamerafallen vom Böhmerwald bis ins Waldviertel auf, um mittels der gewonnen Bilder das Wissen um den Luchs in diesen Bereichen zu verbessern und Artenhilfsmaßnahmen zu setzen. Ein Teil der Projektkosten, insbesondere für die Aufstockung der Kameraausrüstung, konnte auch mit Ihrer Spendenunterstützung abgedeckt werden. Da Luchse weit wandern, ist die Kooperation über Grenzen hinweg ein Schlüsselfaktor: Sowohl nach Tschechien und Bayern als auch in das Waldviertel und die OÖ Kalkalpen reicht heute die Zusammenarbeit. In Absprache mit Grundbesitzern, Naturschützern und Jägern wird speziell im Waldviertel (bis zur Wachau und dem Dunkelsteiner Wald) versucht große Gebiete mithilfe dieses Monitorings abzudecken. Das Waldviertel bildet den südöstlichsten Teil des geschlossenen Verbreitungsgebietes der böhmisch-bayerisch-österreichischen Luchspopulation („Böhmerwaldpopulation“). Ob Fotos von Luchs Duveros Wanderung von der NÖ Donau bis an die Moldau, einer Luchsmutter mit zwei Jungen 2013/14 bei Gmünd oder Bilder vom Weitwanderer Ludek – diese Farbfoto-Belege mithilfe qualitativ hochwertiger Kamerafallen sind für die Luchsforschung unersetzlich. Ingrid Hagenstein
Kamerafallen sind ein wichtiges „Werkzeug“ für die Luchsforscher. Aber nur die hochwertigen liefern auch gute Aufnahmen wie von Luchs Tomáš, von dem die Kamera oft auch nur das Hinterteil erwischt, weil er so schnell vorbeiflitzt!
Ihre Spende unterstützt dieses Projekt.
Spendenkonto P.S.K. IBAN AT74 6000 0501 1014 0425 BIC BAWAATWW
Sommerausgabe | natur&land | 102. JG. – Heft 2-2016
EDITORIAL
Liebe Leserinnen, liebe Leser! „Habt ihr keine anderen Sorgen?“ bin ich kürzlich gefragt worden, als ich vom Themenschwerpunkt dieser Ausgabe erzählte. Bei all den Problemen weltweit kann ich diese Frage nur zu gut verstehen, besonders von Mitmenschen, für die die schwindende Artenkenntnis eine neue Thematik darstellt und die sich im Alltag mit ganz anderen Dingen beschäftigen. Bei näherem Hinhören meinte mein Gegenüber dann doch, dass auch das eigene Wissen um Tier-, Pflanzen- und Pilzarten eher dürftig wäre und hier vielleicht doch Nachhofbedarf bestünde. Für eine Naturschutzorganisation ist es auf jeden Fall ein Alarmsignal, wenn Menschen nicht einmal unterscheiden können, ob der schwarze Vogel, der vorbeifliegt, eine Amsel oder eine Krähe ist. Deshalb arbeiten wir derzeit an einem Konzept, wie wir die Artenkenntnis fördern können – sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen. Wir tun das gemeinsam mit Partnern wie dem BUND Naturschutz Bayern und der Österreichischen Naturschutzjugend, die diese Entwicklung ebenso mit Sorge sehen.
Ihre
Ingrid Hagenstein Chefredakteurin
Wir hoffen mit dieser Ausgabe die Problematik bewusster zu machen, nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch bei BiologieLehrpersonen in Schulen und an Universitäten. Nur jene, die selbst eine gute Artenkenntnis haben, werden diese an ihre Schülerinnen und Schüler, an die Studierenden weitergeben. Wie sonst sollen in Zukunft Arten geschützt werden können, wenn sie kaum mehr jemand kennt?
ELBOGEN AST B –
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Balzender Kammmolch
CH! , hilf dem MOL KAMM on Zusammen mit der Naturillustratorin Esther Lindner entwickelten der Verein AURING und die Österreichische Naturschutzjugend einen Kammmolch-Bastelbogen. Jedes Kind kann sich dabei seinen eigenen kleinen, „Kammmolch-Tümpel“ aus Papier basteln und anschließend seine „Wasserdrachen“ als Bewohner darin arrangieren. Beim Ausmalen, Ausschneiden und Basteln bekommen bereits die Kleinsten spielerisch spannende Einblicke in die Lebensweise der Molche und die Bedeutung amphibienfreundlicher Gewässer. Im Rahmen des Amphibienfonds (Stiftung Artenschutz in Deutschland und u. a. Tiergarten Schönbrunn) werden internationale Schutzprojekte gefördert. AURING und die önj setzen sich gemeinsam für die stark gefährdeten Kammmolche ein.
.at gend u j z t u tursch www.na Download:
Sommerausgabe | natur&land | 102. JG. – Heft 2-2016
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INHALT 44
48 28
10 AKTUELL 01
BLICK ZUM NACHBARN BUND Naturschutz Bayern: Artenkenner auf der Roten Liste? Dr. Kai Frobel
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Artenkenntnis: Das große Einmaleins der Biologie Dr. Robert Hofrichter
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UNIVERSITÄTEN: Der Mangel an Taxonomen ist spürbar Assoz.-Prof. Dr. Sabine Agatha
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Abol: Projekt zur Erfassung und Analyse der Vielfalt von Tieren, Pflanzen und Pilzen Priv.-Doz. Dr. Elisabeth Haring, Dr. Nikolaus Szucsich, Mag. Michaela Sonnleitner
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SCHULISCHE BILDUNGSEINRICHTUNGEN:
Editorial | Kammmolch
02/03 Inhaltsverzeichnis | Lesermeinung 04
Naturschonende Pflege von Gemeindeflächen
05
Wildbienen-Nisthilfen-Baukurse mit der önj
06
CIPRA: Offener Brief an die Raumplanungskonferenz der Alpenstaaten
08
Resolution des Naturschutzbundes zum Wolf
THEMA 10
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TITEL: Artenkenntnis – eine verlorene Kompetenz?
Gymnasium: Wie wird Artenkenntnis vermittelt? Dr. Wolfgang Mayer
Ingrid Hagenstein
13
Biodiversität-Artenvielfalt-Artenkenntnis Univ.-Prof. i.R. Dr. Roman Türk
30
Erfahrungen einer AHS-Biologielehrerin Mag. Karin Widerin
14
Lehrplanauszüge
32
15
Brief des Naturschutzbundes an das Bildungsministerium
Ökolog-Neue Mittelschule: Erfahrungen eines Biolgogielehrers Dipl.Päd. Johann Radinger
16
FAMILIEN: Naturerfahrung im SchneckentempoMag. Dagmar Breschar
34
Lehrer-Interview Hat die Artenkenntnis abgenommen? Hubert Salzburger & Wolfgang Schruf
?Titelbilder v. l. o. n. r. u.: Hauhechel-Bläuling (Polyommatus icarus), Dunkle Erdhummel (Bombus terrestris), Regenbogen-Blattkäfer (Chrysolina cerealis), Dichter-Narzisse (Narcissus poeticus), Haubentaucherfamilie (Podiceps cristatus), Moschusbock-Paarung (Aromia moschata), Rotfrüchtige Säulenflechte (Cladonia macilenta), EichblattKreuzspinne (Aculepeira ceropegia), Larve des Gewöhnlichen Grashüpfers (Chorthippus parallelus), Teichfrosch* (Pelophylax kl. esculentus), Smaragdeidechse** (Lacerta viridis)/, Echter Pfifferling, Eierschwammerl (Cantharellus cibarius), BlässhuhnKüken (Fulica atra), Europäisches Ziesel (Spermophilus citellus), Jungtier Fotoautoren: Wolfgang Schruf, *Robert Hofrichter, **Josef Stefan
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IHRE MEINUNG
LESERMEINUNG
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24 36 38
Naturparkschulen: Bewusst gewusst Gabi Peters AUSSERSCHULISCHE BILDUNGSEINRICHTUNGEN: Naturschutzjugend Mag. Susanne Plank
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Waldpädagogik Dipl. Päd. Katharin Bancalari, MA
40
natopia Mag. Andreas Jedinger
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ARTENKENNTNIS IN DER PRAXIS In der Naturschutzpraxis braucht es Rundum-Wissen DI Dr. Thomas Kaufmann
43
Standpunkt: Das große Dilemma Markus Gastl
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ARTENKENNTNIS VERMITTELN: Umweltberater Mag. Astrid Bayer-Schragl
Frühjahrsausgabe 1-2016 Ich möchte zwei außergewöhnlichen Menschen danken: Peter Weish und Bernd Lötsch. Vielen Menschen ist heute vielleicht gar nicht mehr bewusst, was wir dem mutigen Einsatz dieser beiden Wissenschaftler zu verdanken haben. Ohne ihre überzeugenden und medienwirksamen Beiträge wäre das Kernkraftwerk Zwentendorf wahrscheinlich in Betrieb gegangen und in Hainburg hätten wir anstatt eines Nationalparks ein weiteres Donaukraftwerk stehen. Sie mussten sich von einem griesgrämigen Bundeskanzler „Lausbuben“ nennen lassen. Von Teilen der damaligen Öffentlichkeit wurden sie als verkappte Kommunisten, wenn nicht gar als Terroristen verdächtigt und führende Vertreter der E-Wirtschaft prophezeiten, dass in Österreich die Lichter ausgehen würden, sollten die Kraftwerke Zwentendorf und Hainburg nicht in Betrieb gehen. Nun, heute wissen wir, wer damals nicht nur die besseren Argumente, sondern voll und ganz recht hatte: Univ.-Prof. Dr. Bernd Lötsch und Univ.-Doz. Dr. Peter Weish. Mit der gleichen Überzeugung für eine gerechte Sache zu kämpfen und mit ihrem fundierten Wissen setzen sie sich nun zu Recht für die Rehabilitierung von Konrad Lorenz ein. Danke! Dr. Reinhard Kikinger 3541 Senftenberg
Landwirte Wir schauen drauf! Mag. Wolfgang Ressi 46
online-Naturbeobachtung
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Citizen Science – Award: Abenteuer Faltertage
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Fest: 10 Jahre naturbeobachtung.at Mag. Gernot Neuwirth & Magdalena Meikl, MSc
50
Schule des Lebens Marion Spielmann
51 52 37 54 55 56 57
Termine Kinderseite Buchbesprechung: Für Sie gelesen Buchtipps allgemein Bücher der Landesgruppen Adressen der Landesgruppen Abobestellschein
58 60 U2
U3
Shop Vorschau & Geschenkabos Reihe „Was Spendengelder ermöglichen“: Grundstücksankauf mithilfe von Leserinnen und Lesern Meldeaufruf für die Wiesenhummel
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Fotografie im Blut ? Natur im Herzen ?
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Die Naturbildagentur
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Was nützt es, mit dem Bürgermeister eine naturfreundliche Pflege der Gemeindeflächen zu vereinbaren, wenn Gärtner oder Bauhofmitarbeiter nicht wissen, worauf sie achten sollen? Nun initiierte der | naturschutzbund | gemeinsam mit dem Lebensmittelhändler Hofer zwei Pilotseminare in Tirol, die den Praktikern zeigten, wie man bei der Grünflächenpflege auch Bienen, Schmetterlingen & Co etwas Gutes tun kann.
Foto o.: Die Referenten W. Ammann, J. Neumayer, M. Karadar, E. Seidemann (v. l.) mit Bgm. Hans Lintner (Schwaz; Mitte). Foto u.: Organisatoren der ATM A. Würtenberger & A. Bayer-Schragl (h. l.), J. Stocker (v. r.), Vbgm. Cornelia Hagele (Telfs; 3. v. r.), Silvia Schaller (2. v. r.)
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es Projekt d HUTZBIENENSC FONDS
Wildbienenspezailist Johann Neumayer verstand es die Zuhörerinnen und Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Fotos: Alexander Würtenberger/ATM (2)
Naturschonende Pflege von Gemeindeflächen
DIE AKTEURE SCHULEN – DANN KLAPPT´S AUCH MIT DER BLUMENWIESE! Immer wieder gab es deshalb in der Vergangenheit enttäuschend verlaufene Projekte, denn die Pflege öffentlicher Blühflächen und das naturnahe Gärtnern in den Gemeinden ist eine Herausforderung. Zahlreiche Menschen wünschen sich aber mehr Blühflächen in ihrer Gemeinde: blühende Straßenränder und Böschungen, Wildblumeninseln an Straßen und Gehwegen sowie den Verzicht auf Kunstdünger und Pestizide. Doch die Umsetzung bedeutet eine große Umstellung. Deshalb hat sich nun in Tirol ein breites Netzwerk verschiedenster Institutionen mit dem Ziel gebildet, Praktikern, die tagtäglich in diesem Bereich aktiv sind, mögliche Wege zu mehr Natur im öffentlichen Bereich der Gemeinden aufzuzeigen. Naturschutzbund und Abfallwirtschaft Tirol Mitte GmbH (ATM) veranstalteten diesen April zwei Seminare im Rahmen des Bienenschutzfonds. Ziel war es, den Blick der Teilnehmenden für die Tierund Pflanzenwelt und deren Bedürfnisse zu schärfen, damit die gewonnenen Kenntnisse in die tägliche Arbeit einfließen können. An die 70 Personen kamen der Einladung nach und erfuhren in den einzelnen Vorträgen Wichtiges für ihre Arbeit: „Informativ, kurzweilig und praxisnah“, „Freu mich schon darauf möglichst viel davon auszuprobieren“, waren einige der Reaktionen, die die Referenten – Wildbienenexperte Johann Neumayer (Naturschutzbund), Biogärtner Erwin Seidemann, Wilfried Ammann, Bauhofleiter von Rankweil und Matthias Karadar, Biologe des Tiroler Bildungsforums – bestärkten. Diese „Pilotseminare“ von Praktikern für Praktiker sollen als Vorbild für ähnliche Seminare und weitere Aktivitäten und Maßnahmen auch in anderen Bundesländern dienen. All diese Bemühungen haben das Ziel mehr Natur-Vielfalt in unseren Gemeinden zu schaffen.
Dagmar Breschar & Ingrid Hagenstein www.naturschutzbund.at (Bienenschutzfonds) Weitere Fotos auf www.facebook.comabfallwirtschaft.tirolmitte
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Projekt des BIENENSCHU TZFONDS
AKTUELL
Nisthilfen-Baukurse
DIE NATURSCHUTZJUGEND GREIFT WILDBIENEN UNTER DIE FLÜGEL Weil Wildbienen sich oft schwer tun geeignete Nistplätze zu finden, hat die Naturschutzjugend (önj) Volksschulkinder in NÖ und der Steiermark eingeladen gemeinsam Nisthilfen zu bauen. 20 Kinder der 2B-Klasse aus der Volksschule Mistelbach 2 waren mit ihrer Lehrerin Brigitte Böhm im März mit Feuereifer bei der Sache. Alle wollten zum Schutz der gefährdeten Insekten beitragen, als Franziska Denner und Benjamin Knes von der önj-Gruppe „AURINGHüpfer“ einen Workshop über Wildbienen und ihre Nisthilfen durchführten. Die Kinder schnitten Pflanzenstängel von Bambus, Schilf, Fetthenne und Lauch zu und füllten diese in eine Konservendose, an der bereits eine Büroklammer zum Aufhängen der Nisthilfe montiert war. Damit die Stängel später nicht von Vögeln herausgepickt werden können, wurden sie mit Gips fixiert. Auch die 22 Kinder der 3a Klasse der VS Berlinerring in Graz bohrten, schraubten und nagelten Mitte April fleißig unter Anleitung von Susanne Plank und Verena Wöhry von der önj an ihren Wildbienenhotels. Besonderen Spaß machte das Schneiden der Schilfmatte mit der riesigen Schere. Die langwierigste Arbeit war aber das Schleifen und Reinigen der Bambusröhrchen, bei der sich die Kinder viel Mühe gaben, um die Kanten zu glätten, damit sich die Bienen nicht verletzen können. Drei Stunden lang werkelten die Kinder, tatkräftig unterstützt von ihrer Lehrerin Martina Künstner, und bastelten 11 Häuschen. Dabei kamen auch die Biologie, Ökologie, Bedeutung und Gefährdung der Wildbienen anhand von Bildern und Anschauungsmaterial nicht zu kurz. Besonders fasziniert waren die Kinder, als sie eine kleine Auswahl der 690 Bienenarten Österreichs im Stereomikroskop betrachten konnten. Die Nisthilfen-Bastelkurse sind ein Projekt des Bienenschutzfonds von Naturschutzbund und Hofer und werden 2017 an anderen Schulen fortgeführt.
Ute Nüsken & Susi Plank & Ingrid Hagenstein
In der VS Berlinerring in Graz bohrten und hämmerten die Kinder fleißig an ihren Wildbienenhäuschen. (o.). Per Mikroskop konnten sie Wildbienen genau unter die Lupe nehmen. Die Mädchen und Buben der VS Mistelbach 2 wiederum befüllten leere Dosen mit Pflanzenstängeln. Fotos: önj
www.naturschutzbund.at (Bienenschutzfonds)
Unterstützt aus Mitteln des Bienenschutzfonds
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AKTUELL
An die Ministerinnen und Minister für Raumplanung der Alpenländer Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, Slowenien, Liechtenstein, Monaco und Schweiz
Schaan/LI, 14. April 2016
Raum ist endlich: Offener Brief an die Raumplanungskonferenz der Alpenstaaten vom 18./19. April 2016 in Murnau, Deutschland Sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrter Herr Minister Sehr geehrte VertreterInnen der Alpenkonvention Wir, die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA, wenden uns in einem Offenen Brief an Sie, um einerseits Ihre Bemühungen für eine nachhaltige Raumordnungspolitik in den Alpen zu unterstützen, und um Ihnen andererseits unsere besonderen Anliegen darzulegen im Vorfeld der Raumplanungskonferenz der Alpenstaaten in Murnau, Deutschland. Wir fordern Sie auf, Ihre Aktivitäten zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen in den Alpen zu verstärken. Als Dachorganisation von über 100 Umweltvereinen im Alpenraum sind wir immer wieder konfrontiert mit fragwürdigen Entwicklungen, die einer integrierten und zukunftsweisenden Raumplanung im Dienst von Mensch und Natur zuwiderlaufen. Aktuelle Beispiele finden sich viele in den Alpen. Namentlich hinweisen möchten wir auf den derzeitigen forcierten Ausbau von Skigebieten. CIPRA Deutschland, CIPRA Österreich und CIPRA Südtirol haben kürzlich mit einer Karte eindrücklich aufgezeigt, welches Ausmass dieser Ausbau annehmen könnte – ungeachtet der wirtschaftlich wenig rosigen Aussichten im Wintertourismus angesichts zunehmender Temperaturen und steigender Schneegrenzen. Bedroht sind sogar bislang unerschlossene und geschützte Räume, so am Riedberger Horn in Deutschland, wo der bewährte Bayerische Alpenplan geschwächt werden soll. Die Forderung der CIPRAVertretungen nach einer international abgestimmten Raumplanung, die der flächenhaften Erweiterung von Skigebieten Einhalt gebietet, entspricht einem Erfordernis der Zeit. Umso mehr begrüsst CIPRA International den Vorstoss der für Raumplanung zuständigen Ministerinnen und Minister in Form einer Deklaration, die an der Konferenz vom 18./19. April 2016 verabschiedet werden soll. Einzig eine integrierte und sektorübergreifende Vorgehensweise, wie in der Deklaration gefordert, kann verhindern, dass Partikularinteressen vor das Gemeinwohl gestellt werden. Der ganzheitliche Ansatz, den auch die Alpenkonvention verfolgt, scheitert indes leider allzu oft an der nach Sektoren und Einzelinteressen orientierten nationalen Politik. Nachhaltige Entwicklung und Raumplanung sind nicht nur Sache der Umweltministerien, sondern sollten in allen Ministerien verankert sein. Als Instrument, welches das tägliche Leben und Wirtschaften organisiert, hätte die Raumplanung für einen Interessensausgleich zu sorgen zwischen teils gegenläufigen Kräften auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Doch in raumplanerischen Verfahren werden politische oder wirtschaftliche Interessen oftmals höher gewichtet als nicht-
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AKTUELL
monetärr mes e sbare Werte wie Lebensqualität, Landschaft, Biodiversität oder ökologische Vernetzung. Der Rückgang an Vielfalt, Freiflächen und Korridoren e ist Beweis dafür. Vergesssen geht dabei, dass die Natur nicht ein Fa F ktor unter vielen ist, der uns u er Leben beeinflusst, sondern Quelle, Inspiration und Rahmen jedweden Lebens. Im Lichte dieser Entwicklungen fordert CIPRA International, dasss bislang wenig erschlossen e e Räume kons n equent vor dem Zubau bewahrt werden. Diese Räu ume errffüllen unbezahlbare und unwiederbrringliche Funkktionen für die Natur und auch für uns Menschen, so genannte Ö osystemleistungen. Bereits bestehende gesetzliche Instrumen Ök e te wie derr Bayerische Alpenplan müssen respek kttiert, gestärkt r und umgesetzt werden. Neue Konzepte sind zu prüfen und zu optimieren. Die Umsetzung raumplanerischer Massnahmen zurr Sicherung von Ökosystemleistungen erfordern neue Herangehensweisen. Neue Erkenntnisse aus anderen Fachbereichen wie Psychologie, Soziologie oder Kulturrw wissenscha aften helfen, Verständnis und Akzeptanz fürr solche Masssnahmen zu sichern. Damit nicht nurr ExperrttInnen teilhaben können, braucht es den Einbezug, die Befähigung und die Mitwirkung aller Betroffenen. Im Dialog mit BürgerInnen, n InteressensvertreterInnen und Fachleuten müssen politische EntscheidungsträgerInnen ne eue Kompetenzen wie Moderation oder Mediation entwickeln. Auch CIPRA A International handelt. Jugendliche und ExpertInnen entwickelten im Februar 2016 2 in einem partizipativen Workshop Visionen und Lösungen fürr raumplanerische Herausforderungen. Im Herbst doppeln wir nach mit einem CIPRA-Themenheft SzeneAlpen und einer Veran nstaltung an der AlpenWoche in Grassau, Deutschland n . Um die Anliegen über die Konferenz in Murnau hinaus weiterzuvverrffolgen, regen wir an, das Th hema R Raum u planung im Mehr hrjähr h igen Arbeitsprogramm der Alpenkkonvention, d das an de d r XIV. Alpenkonferenz vom 13. Okktober 201 16 verabschiedet wird, mit konkreten Massnahmen zu gruppen und Plattformen in verankern. Das würde ein gemeinsames Vorgehen der Arbeitsg dieserr Sach he bedingen. Darüber hinaus laden wir Sie ein, sich gemeinsam mit der CIPRA und ihren Mitgliedsorganisationen mit Sensibilisierungs-, Austausch- und Erprobungsmassnahm h en fürr eine zukkunftsfähige und integrative Raumplanung einzusetzen, die im Einklang mit der Natur, der Alpenko onvention und dem Protok koll «Raumplanung und nachhaltige Entwicklung» steht. Mit freundlichen Grüssen
Katharina Conradin Präsidentin
Claire Simon Geschäftsführerin
Am 5. Mai 1952 fand am Tegernsee die Gründungsversammlung der „Internationalen Alpenkommission“ statt. Unter den 22 GründerInnen aus den verschiedenen Alpenstaaten befanden sich auch sechs österreichische Vertreter: HR Dr. Friedrich Mader (OeAV, Innsbruck), Prof. Dr. h.c. Eduard Paul Tratz (Vertreter des österreichischen Naturschutzes, Salzburg), Dr. Lothar Machura (Österreichischer Naturschutzbund, Wien), Prof. Dr. Gustav Wendelberger (Wien), Prof. Dr. Helmut Gams (Tiroler Bergwacht, Innsbruck) und Hofrat Dr. Gustav Pichler (Vertreter des amtlichen österreichischen Naturschutzes, Salzburg). 1975 wurde auf Initiative von Dr. Curt Fossel, steiermärkischer Naturschutzhofrat und ehrenamtlicher Präsident des Naturschutzbundes Steiermark, CIPRA Österreich in Salzburg aus der Taufe gehoben. Damit erfolgte der Startschuss für die Entwicklung und Arbeit der Vertretung der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA (Bezeichnung seit 1984) in Österreich.
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AKTUELL
Resolution des Naturschutzbundes EINE CHANCE FÜR DEN WOLF inst war Europa flächendeckend von Wölfen besiedelt. Noch vor etwa 200 Jahren waren sie fast in ganz Österreich heimisch. Die letzten autochthonen Wolfspopulationen in Österreich sind im Laufe des 19. Jahrhunderts durch intensive Verfolgung erloschen. Im 20. Jahrhundert haben nur mehr vereinzelt Wölfe aus benachbarten Ländern das österreichische Staatsgebiet erreicht. Mit der Zunahme von Rotwild- und Rehbeständen sowie der Einführung von Schutzbestimmungen in vielen europäischen Ländern haben sich die Wolfspopulationen im Umfeld von Österreich stabilisiert bzw. haben wieder zugelegt. Das gilt im besonderen Maße für die italienische Population, die sich in den letzten 30 Jahren über den Apennin bis in die Westalpen ausgebreitet hat. Zudem sind Wölfe sehr anpassungsfähige Tiere, die mit der menschengeprägten, mitteleuropäischen Kulturlandschaft gut zurechtkommen. Es war daher nur eine Frage der Zeit, wann Wölfe selbständig in unser Land zurückkehren. Im Laufe der letzten 20 Jahre sind die sporadischen Wolfsbesuche in Österreich etwas häufiger geworden. Ab 2009 hat sich die Entwicklung beschleunigt. Wölfe aus dem Apennin, den Dinariden, dem Baltikum und den Karpaten erreichen unser Land. Noch sind ihre Auftritte in verschiedenen Regionen Österreichs von kurzer Dauer. In einigen Gebieten zeichnet sich der Übergang zur Sesshaftigkeit von Einzeltieren ab. Da bei den Wölfen beide Geschlechter weit wandern können, ist in näherer Zukunft auch mit Familiengründung zu rechnen. Konflikte mit viehhaltenden Landwirten sowie mit Jägern insbesondere in den Regionen mit Rotwildvorkommen sind hier vorprogrammiert. Die lange Zeitspanne ohne die Anwesenheit von großen Beutegreifern wie Luchs, Bär und Wolf hat dazu geführt, dass es bei uns weder ein tradiertes Verhalten zur Vermeidung von Verlusten von Weidetieren bei den LandwirtInnen gibt, noch die Bereitschaft und auch die Möglichkeit, kurzfristig einen effektiven Herdenschutz zu etablieren. Auch die Jäger haben insbesondere bei ihren Fütterungskonzepten das Vorkommen des Wolfes nicht mehr „vorgesehen“ und können mit der Fütterungspraxis zu Schäden erheblich beitragen. Obwohl es in allen Bundesländern außer Wien und
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dem Burgenland Entschädigungen für Wolfsrisse bei Nutztieren gibt, fehlt die Akzeptanz des Wolfs in der Bauernschaft und vor allem bei deren Interessenvertretungen fast vollends. Vielmehr wird häufig die Forderung nach einem wolfsfreien Alpenraum aufgestellt und bei Nichterreichung ein Ende der Almwirtschaft prophezeit.
DER WOLF SCHLIEßT EINE LÜCKE IM ÖKOSYSTEM Die Lebensbedingungen für Wölfe im Alpenraum haben sich seit Jahrzehnten spürbar verbessert. Die Waldfläche ist in den meisten Ländern gewachsen und die heutigen Bestände der primären Beutetiere wie Reh, Rothirsch und Wildschwein sind so hoch wie in den letzten Jahrhunderten noch nie. Große Beutegreifer spielen eine ökologische Schlüsselrolle an der Spitze der Nahrungspyramide, da sie als „Gesundheitspolizei“ für die Fitness der Wildbestände sorgen. Die Rückkehr des Wolfs nach Mitteleuropa schließt demnach die Lücke, die in natürlichen Ökosystemen den Großraubtieren zukommt.
SCHUTZSTATUS Der Wolf ist in der FFH-Richtlinie in den Anhängen II und IV aufgeführt. Erklärtes Ziel der Richtlinie ist die Erhaltung bzw. die Erreichung eines günstigen Erhaltungszustandes für die betreffenden Arten und Lebensräume. Davon sind wir in Österreich, was den Wolf betrifft, noch weit entfernt. Für den Wolf besteht die Gefahr, dass die Art ein zweites Mal für immer verloren geht. Daher muss dafür Sorge getragen werden, dass bei Erhaltung der aktuellen landund forstwirtschaftlichen Nutzung auch die Bildung einer lokalen Wolfspopulation möglich ist. In der Berner Konvention ist der Wolf in Anhang II (streng geschützte Tierarten) angeführt. Diese Tierarten dürfen weder gestört, noch gefangen, getötet oder gehandelt werden. er Wolf gehört zum natürlichen Arteninventar Österreichs. Er verdient es, mit Respekt behandelt zu werden, nicht nur in Bezug auf seine Rolle im Naturhaushalt. Der Naturschutzbund sieht die selbstständige Rückkehr des Wolfs dementsprechend positiv. Dem Naturschutzbund ist bewusst, dass die Rückkehr mit Herausforderungen verbunden ist und alle – von den (Alm)Bauern, den Jägern, deren Interessensvertretungen, bis hin zum amtlichen Naturschutz und den Naturschutz-
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AKTUELL
Die Zeit ist reif für einen besonnenen Umgang mit der Rückkehr des Wolfes in unser Land. Foto: John Linell/IUCN
Resolution organisationen – gefordert sind gemeinsame Lösungen für den Umgang mit dem Wolf zu finden. Der böse Wolf als „Tiermörder“ muss ebenso ausgedient haben wie die Verniedlichung von Nutztieren, die in erster Linie für die Fleischversorgung des Menschen gehalten werden. Die Dämonisierung des Wolfes ist in einer aufgeklärten Gesellschaft überholt.
UM EIN KÜNFTIGES ZUSAMMENLEBEN MIT WÖLFEN ZU ERMÖGLICHEN, BRAUCHT ES VORSORGE, AUSGLEICH UND KOMMUNIKATION: Prävention (Vorsorge): Durch geeignete Vorsorgemaßnahmen sollen Schäden an Weidetieren weitestgehend verhindert oder zumindest gemildert werden. Neben der Behirtung geht es hier um wirksame Maßnahmen des Herdenschutzes, die vom Einsatz von Elektrozäunen bis zum Einsatz von Herdenschutzhunden auf den Sommerweiden reichen. Der Naturschutzbund setzt sich für finanzielle Beihilfen für Präventivmaßnahmen ein. Kommunikation: Notwendig ist eine umfassende, zielgruppenspezifische Information über den Wolf an sich, über Möglichkeiten der Schadensverhinderung und Schadensabgeltung sowie über Verhaltensregeln im Umgang mit Wölfen. Überdies ist vor allem ein intensiver Dialog mit der Jägerschaft über
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mögliche Auswirkungen des Wolfs auf die jagdliche Nutzung zu führen. m dem Wolf auch bei uns wieder seinen angestammten und ökologisch wichtigen Platz in der Natur einräumen zu können – der rechtlich vorgegeben ist – sind alle Beteiligten gefordert, ernsthaft und ohne Polemik an fachlich orientierten Lösungen zu arbeiten. Von allen Parteien/ Beteiligten ist Verständnis für die Position des jeweils anderen notwendig. Die Gesellschaft und die politischen Entscheidungsträger müssen sich darüber im Klaren sein, dass die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen nur dann sichergestellt werden kann, wenn auch die entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfügung stehen. Die ersten Wölfe sind in Österreich angekommen, weitere werden folgen, und damit auch die ersten Rudel. Um für diese Entwicklung gerüstet zu sein, muss jetzt gehandelt und mit der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen begonnen werden. Ein Blick über die Grenzen zeigt uns, dass Landwirte und Wölfe gut nebeneinander existieren können!
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21. April 2016, Resolution des | naturschutzbund |
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Artenkenntnis – EINE VERLORENE KOMPETENZ? „NUR WAS MAN KENNT, KANN MAN AUCH SCHÜTZEN!“ IST EIN GERN BENUTZTER SLOGAN IN NATURSCHUTZKREISEN. DAS WERDEN ALL JENE BESTÄTIGEN, DIE SICH SCHON EINMAL NÄHER MIT PFLANZEN- ODER TIERARTEN BESCHÄFTIGT HABEN. WARUM ABER KÖNNEN HEUTZUTAGE NUR MEHR WENIGE MENSCHEN SELBST HÄUFIGE ARTEN IN IHRER UMGEBUNG BEIM NAMEN NENNEN? WIE WIRD MAN ÜBERHAUPT ZUM ARTENKENNER, ZUR ARTENKENNERIN? DIESE UND WEITERE FRAGEN VERSUCHEN WIR IN DIESEM HEFT ZU BEANTWORTEN UND VON VERSCHIEDENEN SEITEN ZU BELEUCHTEN. VON INGRID HAGENSTEIN
Tagpfauenauge
Die gute Nachricht zuerst: Der Naturschutzbund kann sich glücklich schätzen, eine große Zahl an Artenspezialisten der unterschiedlichsten Tier- und Pflanzengattungen, Pilze und Flechten unter seinem Dach zu beherbergen. Bestes Beispiel dafür ist Roman Türk, ein herausragender Flechtenkenner, der an der Spitze unserer Vereinigung steht. Angesprochen sind hier neben den Fachexpertexperten auch die vielen Amateurbiologen des Naturbeobachtungsnetzwerkes. Gute Fotos zur Artenbestimmung sind ein Schlüssel für gute Naturschutzarbeit: Mithilfe hervorragender Fotografen kann der Naturschutzbund seinem selbst auferlegten „Bildungsauftrag“ in seinem Wirkungskreis bestens entsprechen. Ob als Expertise bei Gutachten und Verfahren, ob in den eigenen Zeitschriften, auf der Homepage oder Projektwebsites, ob auf Facebook oder Infofoldern – ohne die Artenkenntnis dieser Spezialisten wären wir arm dran.
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Fotos: Hofer (großes Bild); pixabay (3)
TITELTHEMA
Insektenkästen faszinieren Jung und Alt: So können Kenntnisse über heimische Insektenarten sehr gut vermittelt werden – auch im elektronischen Zeitalter.
Weinbergschnecke
Die schlechte Nachricht: Sie alle zählen zu einer raren und schwindenden „Spezies“. Und: für viele Wissensbereiche gibt es inzwischen kaum noch Experten. Das ist nicht ganz neu, wird aber immer deutlicher, wenn man sich ansieht, auf wie wenige Stunden der Biologieunterricht von den Neuen Mittelschulen bis in die Unterstufe der Allgemeinbildenden Höheren Schulen (AHS) in den letzten Jahrzehnten reduziert wurde: Von ehemals 2-3 Wochenstunden pro Jahrgang werden heute nur mehr die Hälfte für nötig befunden. An Berufsbildenden Höheren Schulen (BHS) sieht es teilweise noch schlimmer aus: „In manchen Schultypen sind Biologie und Ökologie, Chemie und Physik zum Gegenstand „Naturwissenschaften“ ‚vermantschgert‘ und dadurch die ehemals zwei Wochenstunden pro Jahrgang nur für Biologie auf die Hälfte eingekürzt. Auch müssen Chemie/Physiklehrer, die keine Ausbildung in Biologie haben, diesen Gegenstand unterrichten“, kritisiert Naturschutzbund-Obmann Ernst Breitegger (Burgenland), selbst Lehrer für Biologie, Physik und Che-
„Arten und ihre Lebensweise zu kennen, wirkt wie ein Freundschaftsband zwischen Mensch und Natur.“
Taubenkropf-Leimkraut Sommerausgabe | natur&land | 102. JG. – Heft 2-2016
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TITELTHEMA
INFOBOX ARTENSPEZIALISTEN: BILDUNGSMODELL IN DER SCHWEIZ Die Arbeitsgruppe „Bildung Artenkenntnis“ der Swiss Systematics Society hat ein fünfstufiges Bildungsmodell für die Aus- und Weiterbildung von Artenkennern und -spezialisten der einheimischen Flora und Fauna entworfen. Dieses Modell dient der Sicherung der Qualität von Kenntnissen und ermöglicht das eigenständige Einschätzen des verfügbaren Wissens. Für verschiedene Organismengruppen und Bildungsstufen sollen mittels national anerkannter Zertifikate die entsprechenden Kompetenzen ausgewiesen werden können. Diese Zertifikate werden durch regelmäßig durchgeführte Prüfungen erworben und erneuert. Des Weitern sollen Coaching-Programme durch ausgewiesene Experten das Erwerben der Kenntnisse unterstützen. Entsprechende Programme werden unter „Angebote“ ausgewiesen. Die fünf Stufen der Kompetenz in Artenkenntnissen zur heimischen Flora und Fauna: Sensibilisierung – Einführung – Grundausbildung – Weiterbildung zum Spezialisten – Weiterbildung zum Experten. www.artenspezialisten.ch Zeichnung: önj-Kinder
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mie an einer BHS (HBLA für Wirtschaftliche Berufe). „Es gibt Schultypen, die weisen überhaupt keine Biologie, keine Physik mehr auf. Es ist wunderbar, sich vorzustellen, dass diese Absolventen sich in einer Position befinden, die schwerwiegende Entscheidungen als Architekt, als Landschaftsplaner, als Jurist etc. fällen. Man kann sich ausmalen, wie diese Entscheidungen ausfallen, die dann unsere Landschaft, unsere Lebensräume und unsere Lebewelt betreffen“, gibt er zu bedenken. Immer wieder ist zu hören, dass die Lehrkräfte oft keinen Mut bzw. Tatendrang in der Weiterbildung haben, da so viele bürokratische Hindernisse und Erschwernisse im Schulalltag sämtliche Energie und Engagement für die einzelnen Gegenstände, auch der Biologie, erlahmen lassen. Auch an vielen Universitäten werden seiner Ansicht nach die Lehramtskandidaten für das Fach Biologie und Umweltkunde falsch ausgebildet: „Sie werden alle Genetiker und Mikrobiologen. Das ist nicht die ‚Naturkunde‘, die in den Schulen gelehrt werden sollte.“ Ihm ist es unerklärlich, wie dieser Gegenstand in einigen BHS so verkommen konnte. Den Entwurf eines neuen Lehrplans für die AHS-Oberstufe nahmen der Naturschutzbund und die Bundes-Arge-Biologie Anfang des Jahres zum Anlass, beim Bildungsministerium zu intervenieren, die Vermittlung von Artenkenntnis in den Lehrstoff zu verankern (siehe Schreiben S. 15). Noch ist der Lehrplan in der Begutachtungsphase, viel Hoffnung auf Berücksichtigung besteht allerdings nicht. Es liegt viel an den Lehrkräften: Sie müssen einiges wissen, begeistert sein, Engagement zeigen. Das alles soll aber auch ermöglicht werden, indem sie unterstützt und in ihrem Engagement bekräftigt werden.
Und doch gibt es auch Erfreuliches auf dem Bildungssektor, was die Artenvermittlung betrifft: Unglaublich vielfältig und bestens aufbereitet ist das Angebot zur Artenkenntnis in Schulbüchern für die 10-14Jährigen an den Neuen Mittelschulen und der AHS-Unterstufe. Es liegt also in diesem Bereich nicht an den Lehrplänen und den Lehrbüchern – diese enthalten ausreichend Stoff, um Artenkenntnisse zu vermitteln und neugierig zu machen. Schulen können Schwerpunkte setzen und etwa eine ÖKOLOG- oder eine Naturparkschule werden. Der Lehrstoff an Landwirtschaftlichen Fachschulen beinhaltet naturgemäß vieles, was mit dem Kreislauf der Natur und Artenkennenlernen zu tun hat. Außerschulische Bildungseinrichtigungen wie die Waldpädagogik, Umweltspürnasen, Natopia, die Naturschutzjugend (önj), die sechs Nationalparks Österreichs oder die Natur- und Wildnisschule Nawisho unterstützen Pädagoginnen und Pädagogen mit einer Fülle an Erlebnisprogrammen direkt in der Natur. Hinzu kommen noch einschlägige Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrpersonen z. B. an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik Wien in Form von Lehrgängen. Sehr hilfreich beim Artenkennenlernen, aber auch beim Vertiefen der Artenkenntnis sind die Naturkundemuseen und Tiergärten hierzulande – nicht umsonst ziehen sie Schulen magnetisch an. Das gleiche Ziel haben auch die zahlreichen Exkursionen der Naturschutzbund-Landesgruppen und die Meldeplattform naturbeobachtung.at (siehe auch Seite 46). „Arten und ihre Lebensweise zu kennen, wirkt wie ein Freundschaftsband zwischen Mensch und Natur“, so poetisch drückt es Andreas Jedinger, Obmann der Landesgruppe Tirol in seinem Beitrag auf Seite 40 aus.
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TITELTHEMA Die Naturschutzjugend beim Aufspüren von Totholzinsekten. Mit der Becherlupe lassen sich die Tierchen recht gut beobachten.
Foto: Archiv önj
BIODIVERSITÄT ➔ARTENVIELFALT➔ ARTENKENNTNIS
Für Naturschutzbund und Naturschutzjugend steht außer Zweifel, dass die Vermittlung von Artenkenntnis und Artenschutz ein zentraler Punkt in der Ausbildung vom Kindergarten bis zur Universität sein sollte. Auch Behördenmitarbeiter sollten eine gute Artenkenntnis besitzen und dementsprechend ausgebildet und sensibilisiert werden. ❒
WEITERFÜHRENDE LINKS (Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit): SCHULISCHES: www.schule.at (Naturschutz; Ökosysteme) http://biologie.schule.at/ Schulportal f. Biologie & Umweltk. www.virtuelleschule.at www.agrarumweltpaedagogik.ac.at: Fortbildungsangebote: u.a. Seminare für PädagogInnen aller Schultypen/Kindergarten (Naturwissenschaft, Botanik, Natur-, Gartenpädagogik, Boden) www.abc.berufsbildendeschulen.at (Land- und Forstwirtschaftliche Schulen; Schwerpunktschulen für diesen Bereich: u.a. für ökologische Gartengestaltung und Naturanimation; ökologischer Lebensraum; Wald und Holz) AUSSERSCHULISCHES: www.nawisho.at: Natur- und Wildnisschule Nawisho, A-2851 Krumbach www.umweltspuernasen.at | www.nationalparksaustria.at (Geo-Tag der Artenvielfalt; Umweltbildung: Schulbroschüre; Leitarten-Malvorlage) Naturkundemuseen: www.inatura.at | www.hausdernatur.at | www.biologiezentrum.at | www.nhm.at | www.museum-joanneum.at | www.stiftadmont.at | www.tiroler-landesmuseen.at (Ferdinandeum) | www.landesmuseum.net
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Die Biodiversität ist ein Überbegriff: Sie umfasst die Vielfalt der Arten, die genetische Vielfalt und die Vielfalt der Ökosysteme. Die Artenvielfalt ist die augenfälligste Form der Biodiversität, während die genetische Vielfalt und die Vielfalt der Ökosysteme intensive Untersuchungen im Labor bzw. im Freiland erfordern. Der Sehsinn ist also der Schlüssel zur Erfassung der Artenvielfalt. Und diesbezüglich hat die Natur im Laufe der Evolution ein fantastisches Spiel in Gang gesetzt, das etwa 2.000.000 oder mehr Organismen unterschiedlichster Form und unterschiedlichsten Aussehens vom Einzeller bis zum Vielzeller (Pflanzen, Tiere, Pilze, Prokaryoten etc.) entstehen ließ. War das biologische Interesse früher weitgehend auf das Erkennen und die Beschreibung von Arten beschränkt, so stehen heute die Interaktionen, also die Prozesse zwischen den verschiedenen Arten im Mittelpunkt der Forschung. Als Beispiel sei hier die Bestäubung von Blüten durch Insekten und andere Mechanismen genannt. Die wissenschaftliche Bearbeitung setzt allerdings eine genaue Artenkenntnis voraus. Das heißt, dass einerseits die unterschiedlichen Erscheinungsformen einer Art erkannt werden müssen, andererseits sehr ähnliche Organismen als unterschiedlich erkannt werden sollten. Pilzkenner wissen, wovon hier die Rede ist, denn von einer soliden Unterscheidungsfähigkeit der einzelnen Pilzarten kann das Überleben abhängen. Das gilt auch für den Bärlauch, den man nicht mit dem Maiglöckchen oder der Herbstzeitlosen verwechseln darf. Allerdings gibt es auch noch eine andere Dimension: die Freude an der äußerst unterschiedlichen Erscheinungsform der einzelnen Arten. Sie ist oftmals der Anlass dazu, sich mit der einen oder anderen Insektengruppe, Pflanzenfamilie (am häufigsten Orchideen) oder Pilzen im Allgemeinen zu beschäftigen. Das kann bei einigen Menschen zu einer Leidenschaft führen, dem Studium von Bestimmungsschlüsseln, womit sie zu „Experten“ werden. Es ist z. B. faszinierend, wenn man als Flechtenexperte über vierzig Arten von Flechten auf einem Felsblock sehen und unterscheiden kann. Das setzt allerdings eine intensive Einarbeitung voraus. So gesellt sich zum Wissen auch die Verantwortung gegenüber den unterschiedlichen Lebensformen, die uns Menschen umgeben. Und diese kann nicht früh genug – schon von Kindesbeinen an – geweckt werden. Denn erleben wir die Elemente der Natur als Freude, sind wir auch bereit für deren Erhaltung. Roman Türk, Präsident | naturschutzbund |
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THEMA
AUSZÜGE AUS VERSCHIEDENEN LEHRPLÄNEN (OHNE GEWÄHR)
wandtschaftliche Beziehungen zwischen den Lebewesen sollen die Schülerinnen und Schüler Verständnis für die Einordnung der Organismen in ein System entwickeln.
ALLGEMEIN BILDENDES SCHULWESEN
de“ von der 5.-8. Schulstufe (je nach Schultyp variierend); spezifische Artenkenntnis wird nicht angeboten. Bildungsbereich Natur und Technik: Phänomen Leben; Vernetzung belebter Systeme, Auswirkung menschlicher Aktivitäten auf Ökosysteme; Artenkenntnis und Artenschutz (dieser Eintrag war der Erfolg der Intervention der Arge-Biologie (AHS) und des Naturschutzbundes – im konkreten Lehrstoff kommt die Artenkenntnis jedoch nicht vor); Umweltbildung für nachhaltige Entwicklung; Bioethik; Energie als Erhaltungsgröße; naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen.
Neue Mittelschule NMS (ab dem Schuljahr 2015 wurden alle Hauptschulen zu NMS) Fach „Biologie und Umweltkunde“ in allen 4 Schulstufen Bildungsbereich Natur und Technik: Die Natur als Grundlage des menschlichen Lebens tritt in vielfältiger, auch technisch veränderter Gestalt in Erscheinung. Die Kenntnisse über die Wirkungszusammenhänge der Natur sind als Voraussetzung für einen bewussten Umgang und die Nutzung mit Hilfe der modernen Technik darzustellen. Verständnis für Phänomene, Fragen und Problemstellungen aus den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaft und Technik bilden die Grundlage für die Orientierung in der modernen, von Technologien geprägten Gesellschaft. Die Schülerinnen und Schüler sollen sich daher […] grundlegendes Wissen, Entscheidungsfähigkeit und Handlungskompetenz aneignen. Die Schülerinnen und Schüler sind zu befähigen, sich mit Wertvorstellungen und ethischen Fragen im Zusammenhang mit Natur und Technik sowie Mensch und Umwelt auseinanderzusetzen. […] Didaktische Grundsätze: […] Naturbegegnung ist anzustreben (z. B. Durch Exkursionen, Arbeiten im Freiland, pflegenden Umgang mit Tieren und Pflanzen). […] heimischen Arten bzw. jenen Arten, die typisch für die jeweils zu bearbeitenden Ökosysteme sind (siehe „Ökologie und Umwelt“), ist der Vorzug zu geben.[…]
AHS Unterstufe Fach „Biologie und Umweltkunde“ von der 1.-4. Schulstufe: Bildungs- und Lehraufgabe: Die Schülerinnen und Schüler sollen ein biologisches „Grundverständnis“ erwerben, welches sie bei ihrer zukünftigen Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungen unterstützen kann. Werte und Normen, Fragen der Verantwortung bei der Anwendung naturwissenschaftlicher bzw. biologischer Erkenntnisse sollen thematisiert werden. Bildungsbereich Natur und Technik: Phänomen Leben, Mensch als Lebewesen, Vernetzung belebter Systeme, Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf Natur, Umwelt und Gesundheit, Naturwissenschaften und Ethik, naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsstrategien. Themenbereiche Mensch und Gesundheit, Tiere und Pflanzen (u. a. heimische Arten und deren Ökosysteme; Einblick in die Vielfalt der Organismen) sowie Ökologie und Umwelt (u. a. Kennenlernen von Organismen und ihr Zusammenwirken) Didaktische Grundsätze beim Themenbereich „Tiere und Pflanzen“ ist heimischen Arten bzw. jenen Arten, die typisch für die jeweils zu bearbeitenden Ökosysteme sind (siehe „Ökologie und Umwelt”), der Vorzug zu geben. Die Schülerinnen und Schüler sollen einen Einblick in die Vielfalt der Organismen erhalten und deren wesentliche Charakteristika kennenlernen. Durch den Hinweis auf ver-
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AHS Oberstufe (neuer LP) Fach „Biologie und Umweltkun-
BERUFSBILDENDES SCHULWESEN HLF – Höhere land- und forstwirtsch. Lehranstalten: 5 Jahrgänge Fach „Angewandte Biologie“ – allgemeines Bildungsziel: […] Die Absolventinnen und Absolventen sollen die Anforderungen von Natur, Wirtschaft und des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts im Sinne des Schutzes und der Verbesserung der Lebensgrundlagen, der Erhaltung einer gesunden Umwelt vereinen und aufeinander abstimmen können. Bildungs- und Lehraufgabe: Die Schülerinnen und Schüler sollen […] den Zusammenhang zwischen Artenvielfalt und Stabilität von Ökosystemen erklären und Standorte von Leitpflanzen charakterisieren […] können. Lehrstoff „Zoologie und Botanik“ […] Systematik, Zeigerarten, land- und forstwirtschaftlich sowie ökologisch bedeutende Vertreter Lehrstoff „Geobotanik“: Vegetationskunde Lehrstoff „Ökologie“: Grundlagen, Kreisläufe, Vernetzung, Humanökologie und Ökosystemlehre, Ökologie der Lebensräume, Natur- und Umweltschutz
HBLA – Höhere Bundeslehranstalt für wirtsch. Berufe: 5 Jahrgänge Fach „Naturwissenschaften“ (Biologie und Ökologie, Chemie, Physik), Lernergebnisse des Clusters Mathematik, Naturwissenschaft und Ernährung: Die Schülerinnen und Schüler haben grundlegende Kenntnisse in allen Fachbereichen des Clusters und naturwissenschaftliches Verständnis Didaktische Grundsätze des Pflichtgegenstandes Naturwissenschaften: Die Arbeitsweise der Naturwissenschaften (z. B. Experimente, praktische Übungen) ist durchgängig in den Unterricht zu integrieren. Die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Disziplinen der Naturwissenschaften werden durch unterschiedliche Methoden sichtbar gemacht und ermöglichen so eine ganzheitliche Wahrnehmung. www.bmbf.gv.at/schulen/unterricht/index.html (Lehrpläne)
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THEMA
An Bundesministerium für Bildung und Frauen Frau Bundesministerin Heinisch-Hosek Minoritenplatz 5 1014 Wien Salzburg, 19. 1. 2016 Vermittlung von Artenkenntnissen in der AHS Sehr geehrte Frau Ministerin Heinisch-Hosek! Wie wir erfahren haben, soll der neue Lehrplan für die Oberstufen der Allgemeinbildenden Höheren Schulen bald feststehen. Daher möchten wir an Sie appellieren, folgenden Sachverhalt in Bezug auf den Biologieunterricht und der Vermittlung von Artenkenntnissen zu beachten: Artenkenntnis ist der Schlüssel zum Erhalt der Biodiversität. Trotz dieses Wissens, trotz internationaler Verpflichtungen und der dringenden Notwendigkeit der Inventarisierung von Flora und Fauna als die grundlegende Basis für Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in Österreich, hat der Kenntnisstand über Tier-, Pilz- und Pflanzenarten in erschreckender Weise abgenommen. Schon seit langem fällt auf, dass im Bildungsbereich – von der Volkschule über die Universität bis zu den Erwachsenenbildungseinrichtungen – die Schulung der Artenkenntnis absolut zu kurz kommt. Das bedeutet nicht nur, dass weite Kreise der Bevölkerung kaum mehr über Artenkenntnisse verfügen und deshalb die ökologischen Zusammenhänge von Arten und ihren Lebensräumen nicht verstehen bzw. beurteilen können. Das hat auch zur Folge, dass es gravierende Defizite bei entsprechenden Berufsgruppen gibt, die diese Fachkenntnisse für Gutachten etc. in ihrer täglichen Arbeit bräuchten: Ökologie- und Landschaftsplanungsbüros, Naturschutzbehörden, Umweltverbände etc.
SCHREIBEN des Naturschutzbundes an das Bundesministerium für Bildung und Frauen in Sachen Vermittlung von Artenkenntnissen in den Oberstufen der AHS. (Anmerkung: Seit Mai 2016 ist Dr. Sonja Hammerschmid für das Ressort zuständig)
Gerade die Allgemeinbildenden Höheren Schulen könnten hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Leider wurde aber mittlerweile sogar der klassische Biologieunterricht mit dem allgemeinen Fach „Naturwissenschaften“ ersetzt. Der pädagogische Mainstream heißt derzeit Kompetenzorientierung. SchülerInnen sollen vor allem „Wissen organisieren“ können. Als „Kollateralschaden“ wird die Vermittlung von Artenkenntnis weiter in den Hintergrund gedrängt. Wer Tiere, Pilze und Pflanzen nicht kennt, kennt auch nicht deren Bedürfnisse und kann im Bedarfsfall auch nicht für sie eintreten. Damit wird dem Artenschwund bzw. Artenverlust Tür und Tor geöffnet. Hier braucht es unbedingt einen Richtungswechsel. Mit diesem Ziel bitten wir Sie um einen dringenden persönlichen Gesprächstermin, um mögliche Lösungen und Adaptierungen im Lehrplan zu beraten. Insbesondere sollte „die Kenntnis der wichtigsten heimischen Tier-, Pilz- und Pflanzenarten als konkretes Ziel in der Präambel und im Basiskonzept des Biologie-Lehrplans“ angeführt werden. I In diesem Sinne danke ich für Ihr Wohlwollen und Aufmerksamkeit unser Anliegen betreffend und verbleibe mit freundlichen Grüßen,
Ihr Univ.-Prof. Dr. Roman Türk Präsident
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Familien
Fotos: Wolfgang Schruf
NATURERFAHRUNG IM SCHNECKENTEMPO
Oma, welches Tier ist das? Besonders für jüngere Kinder ist alles interessant – wenn sich die Erwachsenen nur die Zeit zum Entdecken und Beobachten nehmen. Man muss auch nicht alles kennen – allein schon das bewusste Wahrnehmen sensibilisiert die Kinder.
„Eltern und Grosseltern haben grossen Einfluss auf das Naturinteresse der Kinder.“
s war ein sehr aussagekräftiges und prägendes Erlebnis: Während des Studiums betreute ich manchmal zwei Mädchen. Vor allem mit der Vierjährigen war ich oft in der Natur unterwegs und dabei begab es sich, dass wir „nebenbei“ auch einige Beobachtungen machten. So ließ uns eine Amsel an ihrer Futtersuche und ihrem Gesang teilhaben. Wir sahen ihr zu, tauschten ein bisschen unsere Eindrücke aus und zogen weiter. Ich hatte dieses kleine, für mich fast selbstverständliche Erlebnis schon vergessen, als ich einige Tage später hörte, wie die Kleine ihrer großen Schwester vom Fenster aus eine Amsel zeigte. Die Elfjährige reagierte mit Erstaunen: „Wieso kennst du eine Amsel???“
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Dieses Erlebnis bestätigte mir zwei Dinge: Kleine Kinder sind höchst interessiert an ihrer Umwelt, nehmen alle Informationen mit Begeisterung auf, beobachten mit großer Genauigkeit und haben riesige Freude an Entdeckungen. Die zweite Erkenntnis war, dass die Prägung für Interessen in einer sehr frühkindlichen Phase passiert. Eltern, Großeltern und alle Personen, die Kontakt zu kleinen Kindern haben, können deren Interessen fürs ganze Leben massiv beeinflussen. Was man bis zum 15. Lebensjahr nicht schätzen gelernt hat, wird man als Erwachsener kaum noch lieben lernen. Vor allem Eltern und Großeltern haben einen großen Einfluss auf ihren Nachwuchs. Sind Vater oder Mutter Autofans, kennen sehr oft auch die Kinder jede Automarke. Das reicht bis zur Ausbildung. Beim Interesse für die Natur ist das ganz ähnlich.
Naturerfahrung im Schneckentempo. Wenn Eltern oder Großeltern mit den Kindern in die Natur hinausgehen, und sei es nur auf den Spielplatz, dann wartet dort eine Menge an Erlebnissen: Die Ameisenstraße, auf der sich die Tiere gegenseitig betasten und ihre Zugehörigkeit zum Volk kontrollieren. Die Schnecke, die die Fühler schnell einzieht, wenn man sie berührt. Oder auch ein angefressenes Blatt, das zeigt, dass es
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THEMA
„Lässt man den Kindern Zeit fürs Beobachten und Erfahren ihrer kleinen Welt, dann verstehen sie später auch eine komplexe Welt viel besser. “ sich hier jemand schmecken ließ. Schon Kinder mit ein oder zwei Jahren beobachten diese Dinge mit Begeisterung und entwickeln dabei eine große Ausdauer. Genau da liegt die Chance für das gemeinsame Abenteuer Neues zu entdecken und kennenzulernen!
Kinder probieren und lernen. Lässt man den Kindern Zeit fürs Beobachten und Erfahren ihrer kleinen Welt, dann verstehen sie später auch eine komplexe Welt viel besser. Sie haben die einzelnen Dinge für sich bewertet und als interessant, aber harmlos eingeordnet. Hat man ihnen diese Zeit nicht zugestanden, können Begegnungen mit kleinen Lebewesen Verunsicherung und Abneigung auslösen: „Ihh, ein Frosch!“ Die Zeit, die wir den Kindern geben, solche Dinge zu erfahren, kann für uns Erwachsene ebenso großartige Erlebnisse bieten. Denn, seien wir einmal ehrlich: Wer nimmt sich normalerweise die Zeit und beobachtet den „Verkehr“ auf einer Ameisenstraße 15 Minuten lang? Gerade die Natur bietet viele Möglichkeiten, sie „einfach nur so“, ohne großartiges Artenwissen zu genießen, Beobachtungen zu machen und durch Sinneseindrücke zu lernen. Der Duft eines blühenden Obstbaumes – welche Früchte werden daraus? Ein neuerlicher Besuch im Herbst kann Klarheit schaffen. Die Pflanze, die brennende, rote Flecken auf der Haut hinterlassen hat: Die Brennnessel werde ich mir merken! Im vergessenen Blumentopf mit Wasser am Balkon sind plötzlich kleine schwarze Larven. Werden daraus wirklich die lästigen Gelsen? Geht man den Dingen auf diese Weise nach, können kleine Kinder bereits etliche Tier- und Pflanzenarten kennenlernen und damit etwas verbinden. Das ist die Basis für weiteres Interesse und vielleicht sogar die Initialzündung für zukünftige Experten. Hilfestellungen. Was aber soll man tun, wenn Kinder sich nicht mehr damit begnügen selbst zu beobachten und beginnen Fragen zu stellen? Vor allem Fragen, die man selbst nicht so recht beantworten kann? Die meisten Eltern und Großeltern halten ihre Kinder und Enkel deshalb von Themen fern, bei denen sie selbst nicht sattelfest sind und konzentrieren sich auf ihre eigenen Fachbereiche. Das ist gut, aber ist es auch genug? Wenn es für die Erwachsenen dann doch über ihr eigenes Wissen hinausgeht, bieten Bestimmungsbücher („Schauen wir doch gemeinsam nach!“) oft recht einfache Unterstützung, z. B. durch Pflanzenbestimmung nach Blütenfarben. Auch Online-Plattformen wie www.naturbeobachtung.at sind eine großartige Hilfe, weil man sich zusätzlich mit anderen Interessierten austauschen kann. Das gemeinsame Nachforschen mit einem Kind kann also auch die Erwachsenen weiterbilden! Die damals Vierjährige hat übrigens heute noch einen wesentlich intensiveren Zugang zur Natur als ihre große Schwester! ❒
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„Schau, dort oben, eine Baumhöhle! Welcher Vogel wohnt denn da?“ Gemeinsam mit der Familie auf Entdeckungsreisen in der Natur zu gehen sind Erlebnisse, die prägen.
Text: Mag. Dagmar Breschar ehemalige önj-Bundesleiterin dagmar.breschar@ naturschutzbund.at
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BLICK ZUM NACHBARN
BUND Naturschutz Bayern
ARTENKENNER AUF DER ROTEN LISTE? Innerhalb des ehrenamtlichen Engagements für Natur- und Umweltschutz vollzieht sich bei jenen, die sich durch besondere Tier- und Pflanzenkenntnis auszeichnen eine tiefgreifende Änderung: Die Artenkenner werden immer weniger. VON KAI FROBEL ährend die politischen Konzepte zur Erhaltung der Biodiversität in den letzten Jahren einen Aufschwung erfuhren (z. B. Biodiversitätsstrategien von Bund und Ländern in Deutschland), bricht die Artenkenntnis auch dort ein. Damit ist die naturschutzfachliche Basis gefährdet. Ohne ausreichende Anzahl von Experten, die aus eigener Anschauung und Geländekenntnis Biodiversität qualifiziert erleben und dokumentieren, droht ein regelrechter „Blindflug“ durch diese Thematik. Gerade die genaue Kenntnis von Pflanzen und Tieren und ihrer Lebensräume ist von besonderer Bedeutung für eine gute und nachhaltige Arbeit im Naturschutz wie die aktuellen Herausforderungen zur Umsetzung von NATURA 2000-Managementkonzepten und Biodiversitätsstrategien zeigen. Die Anzahl von „Experten“ und „Artenkennern“ in allen Bereichen (Behörden, Ehrenamt) hat in den letzten Jahren immer weiter abgenommen. Dies macht es immer schwieriger, die gesteckten Ziele qualifiziert umzusetzen und im Sinne des Natur- und Artenschutzes zu unterstützen. Der BUND Naturschutz Bayern hat in seiner Pilotstudie „Erosion der Artenkenner“ dieses Phänomen untersucht. Demnach sind im Mittel nur 7,6 % der derzeitigen Artenkenner unter 30 Jahre alt. Die gerade noch stabilen Verhältnisse ergeben sich daraus, dass die älteren Artenkenner in Bayern noch aktiv sind. Es ist aber abzusehen, dass diese über 60-Jährigen altersbedingt bald ausfallen werden, während zugleich kein nennenswerter Nachwuchs zu erwarten ist. Daher ist für die nächsten 10 ?Zauneidechse, bis 20 Jahre von einem drastischen Rückgang der Anzahl von Artenkennern auszugehen, falls nicht Admiral, rasch Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Rosenkäfer,
W
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Kohlröschen, Gartenrotschwanz, Klei- Die Gründe für den Rückgang von Artenkennern ber (v.l.o.n.r.u.) sind vielfältig: viele alternative FreizeitgestalFotos: Wolfgang Schruf (6); Birgit Mair Markart (Beobachterinnen)
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tungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, Artenkenntnisverlust bei Lehrern, dramatischer Abbau entsprechender Lehrangebote an den Uni-
versitäten und allgemeine Imageprobleme des Artenschutzes werden im Einzelnen dargestellt und diskutiert. Lösungsansätze für verschiedene Altersstufen (Kindergarten, Schule, Universität, Berufspraxis) und erste Modellprojekte hat der BUND bereits entwickelt oder erprobt, z. B. neue Artenkenntnis-Kurse, gezielte Suche und Förderung von Nachwuchskräften oder Mentorensysteme für Jugendliche und Senioren bevorzugt an naturschutzfachlich versierten Umweltstationen. Eine Herausforderung für die Zukunft ist der Aufbau von Zertifizierungssystemen mit Naturschutzakademien, die Stärkung einer praxisorientierten Naturschutzforschung an den Universitäten und der Ausbau von Koordinationsstellen für Artengruppen. Keine der relevanten Naturschutz-Institutionen hat derzeit ausreichend finanzielle und personelle Kapazitäten, um diese – in vielen Aspekten auch erst zu erprobende – Aufgabe allein oder im Tagesgeschäft erfolgreich zu lösen. Es sind daher dringend neue Zielsetzungen, Modellprojekte und Mittelansätze der Staatsregierung und Staatsministerien notwendig, um künftig Artenkenner zu gewinnen. Dazu haben die Teilnehmer der Fachtagung „Erosion der Artenkenner“ von Bayerischer Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) und BUND Naturschutz in Bayern e.V. (BN) am 16. 10. 2015 eine Resolution verfasst – Auszüge davon in der Infobox. Infos zur Umfrage im Abschlussbericht „Erosion der Artenkenner“: Dr. Kai Frobel, Dr. Helmut Schlumprecht im Auftrag des BUND Naturschutz in Bayern e.V. Nürnberg, 2014: Naturschutz und Landschaftsplanung 48 (4), 2016, 105-113 und http://ibol.org/wpcontent/uploads/2014/11/GS-2013-BerichtErosion-Artenkenner-End-2.pdf
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THEMA
AUSZÜGE AUS DER BUND/ANL-RESOLUTION
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INFOBOX
✗ Die Wertschätzung der Artenkenntnis zu verbessern muss ein zentrales Ziel sein, das über alle Schulstufen zu verfolgen und verbindlich im Lehrplan verankert ist. Arten bieten den stärksten Bezug zu Naturschutzthemen. Verpflichtungen bestehen über die bayerische Biodiversitätsstrategie wie über die eingegangenen internationalen Vereinbarungen. Insbesondere im Zuge von Abschlussarbeiten sind verstärkt Themen zu setzen, die die Beschäftigung mit organismischer Biologie mit der Erhaltung der Biodiversität verknüpfen. Derzeit besteht die akute Gefahr, dass die Anzahl entsprechender Inhalte im Fach Biologie gen Null tendiert. ✗ Biologielehrer waren und sind besonders wichtig zur Motivation für Artenkenntnis. Hoch defizitär ist aber heute deren eigene Artenkenntnis. Von den Didaktikern werden kaum noch Bestimmungskurse bei Lehrerausbildung verlangt und es gibt an den Universitäten viel zu wenig entsprechende Zulassungsarbeiten. In der Lehrerausbildung sollte wieder mehr Gewicht auf die Vermittlung von Artenkenntnis und auf Exkursionsdidaktik gelegt werden. Die Zusammenarbeit der Naturschutzverbände und der ANL mit der Lehrerfortbildung Dillingen sollte weiter intensiviert werden. ✗ Die qualifizierte Ausbildung von Artenkennern ist eine PflichtaufFrüh muss sich gabe der biologisch orientierten Lehrstühle an allen Universitäten. üben, wer ArtenVerbesserte, freilandorientierte Bestimmungskurse, eine wesentlikenner werden will! che Verstärkung der Biodiversitäts- und Naturschutz-Grundlagenforschung an den Hochschulen, Schaffung von Naturschutzlehrstühlen an allen Universitäten sowie Verankerung des Themas „Biodiversität“ in den Lehrplänen vieler Studiengänge sind dafür eine zwingende Voraussetzung. Zoologisch, botanisch und taxonomisch orientierte Lehrstühle sind zu erhalten, zu fördern und neu aufzubauen. Naturkundlich orientierte Museen und wissenschaftliche Sammlungen heimischer Arten sollen damit verknüpft gezielt gefördert werden. ✗ Die heute aktiven Artenkenner sollten sich für die Thematik des eigenen Nachwuchses stärker engagieren und insbesondere als Mentoren für Neueinsteiger mitwirken. Den Experten sollte eine gelingende Nachwuchsarbeit ebenso wichtig sein wie die Verbesserung des eigenen Profils. Dies erfordert aber staatliche Fördermittel für die pädagogische Schulung von Mentoren, für deren Vernetzung zwischen z.B. Verbänden, Universitäten, Umweltstatio„Im Schnitt sind nur 7,6 % nen, zoologischen und botanischen Fachvereinigungen und für den Aufbau eines eigenen Berufszweiges. der Artenkenner in Bayern ✗ Bildungseinrichtungen des Naturschutzes, Umweltstationen und Naturunter 30 Jahre alt. Ohne Maßschutzverbände sollen entsprechende Möglichkeiten für Neueinsteiger nach nahmen droht für die nächsten dem Berufsleben erproben. Kleingruppen und Mentorensysteme scheinen für Senioren eine gute Ansprache zu sein. 10-20 Jahre ein weiterer Rück✗ Die bereits bestehenden Angebote der ANL, die als einzige staatliche gang, weil die älteren ArtenUmweltbildungsstätte ressortübergreifend auch für Artenkenntnisse in der kenner ausfallen.“ Erwachsenenbildung in Bayern aus- und fortbildet, sollten ebenso wie zertifizierte Qualifizierungskonzepte für alle Altersphasen ausgebaut werden. Hier könnte bei entsprechender Mittel- und Personalverbesserung auch ein Mentorensystem unterstützt und Vernetzungsveranstaltungen organisiert werden. ✗ Viele Wege einer modernen Ansprache von neuen Artenkennern und generationenübergreifende Angebote zur Erlernung von Artenkenntnis müssen methodisch und umweltpädagogisch erst erprobt und entwickelt werden. Text: Dr. Kai Frobel, ArtenEntsprechende interdisziplinäre Modellprojekte und der Erfahrungsausschutzreferent, BUND tausch zwischen den Akteuren (Schulen, Hochschulen, Umweltstationen, Naturschutz in Bayern e. V. Naturschutzakademien, Naturschutzverbänden, Naturschutzfachbehörden) Landesfachgeschäftsstelle sind auf der Bundes- und Landesebene gezielt staatlich zu fördern. D-90471 Nürnberg www.bund-naturschutz.de
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ARTENKENNTNIS: DAS GROSSE EINMALEINS DER BIOLOGIE Ob Blumenwiese, Bach oder Korallenriff – ohne Artenkenntnis geht nichts. Sie ist das Große Einmaleins der Biologie innerhalb der Naturwissenschaften. Bevor man ein ganzes Gebäude studieren kann, muss man zuerst die einzelnen Bausteine kennen, möchte man meinen. Doch die Artenkenntnis schwindet zusehends, weil Lehr- und Studienpläne kaum mehr Kurse dafür noch Exkursionen zum Erfahrung sammeln anbieten. Irgendetwas stimmt da nicht mit den Lehrkonzepten der Ministerien. VON ROBERT HOFRICHTER
Leberblümchen Foto: Wolfgang Schruf
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or kurzem spazierte ich mit einem Freund durch das frühlingshafte Salzburg. Erfreulich war die Vielfalt der gerade blühenden Pflanzen auf dem Mönchsberg mitten in der Stadt. Scherzhaft stellte ich dem Biologen die Frage nach der hellblau blühenden Pflanze mit den leberförmigen, dreilappigen Blättern. Hepatica nobilis war ihm nicht geläufig, denn er arbeitet in anderen Bereichen der Biologie. Da waren auch Blausterne, Gelbsterne, Gelbe Buschwindröschen, Primeln. Ich habe die Botanik während des Studiums zwar sträflich vernachlässigt, was ich rückblickend zutiefst bereue. Bei diesem Spaziergang aber war ich doch ein wenig erschüttert. Wo bleibt die gute alte Artenkenntnis, die bei solchen gängigen Allerweltsarten früher selbst für viele Nichtbiologen selbstverständlich war? Anscheinend ist sie es heute nicht mehr. Ich habe das Privileg mein Leben lang naturwissenschaftlicher Generalist sein zu dürfen. Ich weiß es zu schätzen, denn viele meiner einstigen Studienkolleginnen und -kollegen haben ihren Brotberuf in entfernteren Tätigkeitsbereichen gefunden. Manche wurden Spezialisten in einem recht begrenzten Teilbereich der Naturwissenschaft und bedienen hochkomplexe Geräte. Um biologische Arten geht es dabei eher selten. Mein Biologiestudium in Salzburg absolvierte ich in einer Zeit, als Ökologie große Mode war und damit auch die Kenntnis von Arten. Viele Absolventen hielten sich über Gutachten und ökologische Büros über Wasser, und sie haben genau gewusst, dass weder Ökologie noch Naturschutz ohne Artenkenntnis möglich sind und eine gute Artenkenntnis,
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THEMA egal ob von Pflanzen, Vögeln, Reptilien, Amphibien, Schmetterlingen oder Käfern, ihnen einen Job verschaffte. Nach jahrelangen meeresbiologischen Freilandstudien habe ich im Mittelmeer einen winzigen Fisch entdeckt. Für die Menschheit blieb dieses Ereignis wohl völlig unbedeutend, alles ging den gewohnten Lauf weiter, dennoch freute man sich an der Grundlagenforschung teilzuhaben, um so zusammen mit anderen hunderttausenden kleinen Bausteinen (in diesem Fall Arten) am Ende zum Fortschritt der Wissenschaft beizutragen. Das bildete man sich zumindest gern ein. Ich wollte immer schon klassischer Zoologe werden, der so viele Tierarten wie nur möglich kennt, speziell im Meer. Darum lag es für einen Taucher und Fotografen wie mich nahe, Meeresbiologe und Ozeanograph zu werden. Der Sehnsucht nach Exotik folgte eine sich stets verstärkende Liebe zum mediterranen Raum, der am Kreuzungspunkt dreier Kontinente zu den ökologisch reichhaltigsten und vielfältigsten Gegenden überhaupt gehört (also sehr vielen Arten eine Heimat bietet). Artenkenntnis ist faszinierend, gleich, ob es sich um heimische oder exotische Kreaturen handelt. Die 2000er Jahre führten mich jahrelang ans Rote Meer und ich hatte das Vorrecht an Forschungen teilzunehmen, unzählige Korallenarten unter die Lupe zu nehmen und möglichst alle Fischfamilien des indopazifischen Korallenriffs erkennen zu können. Dazu gehörte auch so viele Spezies wie nur irgendwie möglich aus allen möglichen Organismengruppen bestimmen zu lernen. Ich bekam die Chance wiederholt die artenreichsten Gegenden unseres Planeten im so genannten Korallendreieck rund um Papua mit vielleicht 2.500 Fischarten zu untersuchen und in diesen Unterwasserwelten unbeschreiblicher Schönheit und Vielfalt zu tauchen. Galápagos stand ebenso auf dem Programm wie der Amazonas-Regenwald und die Cetaceen, die Waltiere des Atlantiks rund um die Azoren.
„SCHULE AM MEER“ Forschung, Bildung und Meeresschutz rund um das Mittelmeer ist die Devise. Zwischen Mai und Oktober zeigen meine Assistenten und ich Schülern und Studierenden aus dem In- und Ausland mitsamt ihren Lehrern das Felslitoral der Adria. Dabei erfahren diese, wie z. B. der Meerfenchel (Crithmum maritimum) mit dem vielen Salz der Gischt fertig wird oder wie man die allgegenwärtigen Steinseeigel (Paracentrotus lividus) von den Schwarzen Seeigeln (Arbacia lixula) unterscheidet.
„Schule am Meer“: hineinschnuppern in eine wunderschöne, vergessen scheinende Welt, die noch vor 20, 30 Jahren das Wesen eines Biologiestudiums ausgemacht hat: Fernglas, Notizblock, Lupe und die Frage: „Welche Art ist das?“ Sommerausgabe | natur&land | 102. JG. – Heft 2-2016
KONTAKT MareMundi Station Krk im Hotel Omorika, Punat, Insel Krk, Kroatien Leiter: Dr. Robert Hofrichter office@mare-mundi.eu www.schule-am-meer.eu
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UNIVERSITÄT UND SCHULE
„Viele Schüler in der Oberstufe wissen gar nicht, dass es einen Tierstamm namens Echinodermata (Stachelhäuter, z. B. Seeigel, Seesterne) gibt. Die systematische Abhandlung der Tierstämme steht nämlich nicht auf dem Lehrplan.“
Schleichend schwindet die Artenkenntnis. Bei meinen Exkursionen, Vorträgen und beim Unterricht komme ich mit vielen Studierenden verschiedenster Universitäten zusammen, einer internationalen „science community“. Dabei beobachte ich die schleichende Veränderung, die sich von Jahr zu Jahr stärker bemerkbar macht. Da kommt z. B. eine Studentin im dritten Jahr von einer der renommiertesten deutschen Universitäten für Meeresbiologie an eine unserer Feldstationen am Mittelmeer. Nein, über Schwämme (Porifera) habe sie noch nicht besonders viel gelernt. Ich staune: Meeresbiologie ohne Schwämme? Nach sechs Semestern? Immerhin besiedeln an die 8.000 Arten (die genaue Zahl kennt niemand) mit wenigen Ausnahmen ausschließlich die Meere der Welt. Meeresbiologie ist also automatisch auch Schwammkunde. Wenn man den am einfachsten gebauten, dafür aber ökologisch entscheidenden Tierstamm nicht kennt, ist es unwahrscheinlich, einzelne im Mittelmeer elementare Spezies wie den Nierenschwamm (Chondrosia reniformis) oder Feigenschwam (Petrosia ficiformis) unterscheiden zu können. Dann entgeht einem automatisch, dass die Hinterkiemenschnecke Peltodoris atromaculata fast immer auf dem Feigenschwamm zu finden ist. Schulwochen am Meer. Regelmäßig besuchen
Studierende lernenunter Aufsicht von Experten im Labor Arten unter dem Mikroskop zu bestimmen.
uns Gruppen von Schülern. Mal gelangweilt, mal durchaus interessiert, lauschen sie dem mediterranen Unterricht. Sehr viel hängt von den BiologieLehrpersonen ab: Die systematische Abhandlung der Tierstämme steht nämlich nicht auf dem Lehrplan. Viele Schüler in der gymnasialen Oberstufe wissen gar nicht, dass es einen Tierstamm namens Echinodermata (Stachelhäuter) gibt. Da dauert es dann schon eine Weile, den Unterschied zwischen Steinseeigeln und Schwarzen Seeigeln zu erklären, wenn wir erst beim Tierstamm und seinen Besonderheiten beginnen müssen. Das ist aber zum Glück nicht bei allen Schulen so: Ambitionierte Lehrer und Lehrerinnen der „alten Garde“ bringen dem Nachwuchs oft außerschulplanmäßig die Tierstämme bei und, so gut vorbereitet, kommen wir mit dem konstruktiven Unterricht „über Arten“ rasch voran.
Artenkenntnis ist das Einmaleins in der Biologie. Dass Schüler in der Regel noch keine besondere systematische Kenntnisse haben, überrascht mich in Anbetracht der Menge des Stoffs, den man heutzutage im Rahmen des Biologieunterrichts behandeln muss, nicht: neben Genetik auch die menschliche Reproduktion, wie man sich gesund ernährt und unendlich viele weitere Dinge. Dennoch ist es irgendwie seltsam: Die Basis der Wissenschaft ist das Kleine oder noch besser, das Große Einmaleins. Man muss die einzelnen Bausteine kennen, bevor man ein ganzes Gebäude studiert. Irgendetwas stimmt da nicht mit den Lehrkonzepten der Ministerien. Oder haben an ihrer Schaffung vielleicht Menschen mitgewirkt, die selbst nicht viel von der Bedeutung der Artenkenntnis verstehen? Ist es in anderen Ländern ähnlich? Noch viel unverständlicher ist es aber, wenn Studenten der Naturwissenschaften zu wenig Ahnung über Arten, biologische Systematik und Taxonomie haben, Universitätsstudenten, denen die Artenkenntnis
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THEMA abgeht. Auch solchen, die später Lehrer werden sollen. Allein schon der lateinische Begriff „universitas“ vermittelt den Eindruck von etwas Globalem, einer Gesamtheit, einer (all)umfassenden Bildungseinrichtung, von etwas Universellem. Studierende der Biologie müssten sich an Universitäten in diesem Sinn „allumfassend“ mit Arten beschäftigen. Es müssten akademische Lehrer da sein, die ihnen die Liebe zur Artenkenntnis beizubringen in der Lage sind und ihre Bedeutung vermitteln können. Ohne solche Lehrer werden es nur wenigen Studenten schaffen, die Bedeutung der Artenkenntnis zu verinnerlichen. Meine Kollegen am Roten Meer, die das indopazifische Riff als artenreichsten Lebensraum unserer Erde effektiver schützen wollen, beschäftigen sich seit Jahrzehnten damit, ungezählte Korallenarten auseinanderhalten zu können. Artspezifisch, auf jede Korallenart spezialisiert, leben genauso spezialisierte Schnecken und andere Tiere. Es ist ein harter Job, etwas von dieser Vielfalt zu verstehen, jede Art sicher zu erkennen, wenn man irgendetwas von den ökologischen Zusammenhängen verstehen möchte. Ob Blumenwiese, Bach oder Korallenriff – ohne Artenkenntnis geht nichts. Biowissenschaft ohne Artenkenntnis ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Welche Blume, welcher Vogel, welcher Fisch? NGOs wie der Naturschutzbund oder mare-mundi.eu versuchen Lücken im Bildungssystem zu füllen. Ambitionierte Lehrer sind uns dafür dankbar. Ihre Schüler schnuppern da in jene wunderschöne, vergessen scheinende Welt hinein, die noch vor 20, 30 Jahren das Wesen eines Biologiestudiums ausgemacht hat: Fernglas, Notizblock, Lupe und die Frage: „Welche Art ist das?“ Am Anfang meiner zoologischen Laufbahn gehörte ich zu den glücklichsten Menschen, weil ich einen winzigen, unbedeutenden Meeresfisch von zwei Zentimeter Länge entdeckt und beschrieben habe. Der Traum eines jeden Biologen, eine neue Art zu beschreiben, ist in Erfüllung gegangen. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, habe ich fast fünf Jahre gebraucht. Viele meiner jungen Kollegen von heute bringen schon als Studenten in wenigen Wochen das hart Erarbeitete von früher durcheinander, entdecken spielend weitere Arten und stellen das althergebrachte Wissen in Frage. Bei 13 % genetischer Unterschiede soll es sich bereits um eine neue Spezies handeln... Die Methoden ändern sich rasant. Was bleibt aber von der Art, wie wir sie verstanden haben? Was ist eine Art? Die alte Frage stellt sich neu. Biologen wissen am besten, dass die Definition nicht ganz einfach ist. Das Leben ist ein stetiges Kontinuum, ein Fluss, eine Abfolge von Generationen, die bis zum Verschwinden einer Spezies andauert. Oder auch nicht, weil das Leben weiter geht. Altbekanntes und Bewährtes bleibt erhalten, irgendetwas Neues oder Anderes kommt hinzu. Es wird an uns Biologen liegen herauszufinden, was es ist. Im Licht dieser Überlegungen wird es einem bewusst, dass Biologen vielleicht nicht einmal den Gegenstand ihres Fachs zu definieren vermögen: das Leben selbst und die Arten. Und doch bleibt für mich die Artenkenntnis das Allerschönste im Leben eines Biologen, ein Privileg: Welche Blume, welcher Vogel, welcher Fisch? Ohne mich immer aufs Neue auf die Artbestimmung stürzen zu können – egal wo ich mich gerade befinde, und sei es beim Spaziergang über den Mönchsberg – wäre für mich der Reiz der Biologie und der Reiz meines Berufes wesentlich kleiner. ❒ Sommerausgabe | natur&land | 102. JG. – Heft 2-2016
Mittelmeerbewohner: Violetter Seeigel (Sphaerechinus granularis) und eine Leopardenschnecke (Peltodoris atromaculata), eine Hinterkiemenschnecke, bei der die Kiemen hinter dem Herzen liegen. Foto re.: Wolfgang Schruf
Text & Fotos: (wenn nicht anders angegeben): Dr. Robert Hofrichter, 5020 Salzburg robert.hofrichter@ mare-mundi.eu T +43/(0)664/73 94 80 50
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THEMA
UNIVERSITÄTEN: DER MANGEL AN TAXONOMEN IST SPÜRBAR
Die Bestimmung von Arten wird immer weniger an Universitäten gelehrt, vielfach ist sie fast gänzlich aus den Studienplänen verschwunden. Als verstaubt abgetan, setzt die Wissenschaft seit langem verstärkt auf molekulare Artbestimmungsmethoden. Zunehmend wird jedoch die Bedeutung von Taxonomen, also Artenkennern, offenkundig. VON SABINE AGATHA
Genadelte Insekten aus der Sammlung des Biologiezentrums des Oberösterreichischen Landesmuseums stellen die Fundnachweise oder Beleg-Exemplare für Arten dar. Foto: Sabine Agatha
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ie sichere Bestimmung von Arten, das Handwerk von sogenannten Taxonomen (vom altgriechischen taxis „Einordung“ und nomos „Gesetz“), also von Wissenschaftlern, die Arten identifizieren, beschreiben und einordnen, wird immer weniger an Universitäten gelehrt, vielfach ist es fast gänzlich aus den Studienplänen verschwunden. Es wird oft als verstaubtes, nicht mehr zeitgemäßes Wissen erachtet. Stattdessen versprach vor wenigen Jahren die Molekularbiologie (siehe Infobox; derzeit allerdings noch in länger dauernden Verfahren und mit weitaus größeren Geräten), alle Probleme mit lästigen Artbestimmungen zu lösen. Diese molekulare Biologie wurde im Vergleich zu anderen Disziplinen auch deshalb finanziell enorm gefördert, da schon damals der schleichende Verlust von Artenkenntnis („taxonomic impediment“) offensichtlich wurde. Allerding wurde übersehen, dass ohne eine komplette und verlässliche Datenbank eine Bestimmung der Arten durch Genanalysen unmöglich ist. Die Wissenschaft ist z. B. derzeit bereits in der Lage, alle planktischen Meeresorganismen genetisch zu erfassen (siehe Tara-Expedition), welche Arten mit welchen Lebensweisen sich aber hinter den einzelnen Genabschnitten verbergen, kann in ca. 95 % der Fälle nicht beantwortet werden. Stammbäume, errichtet auf der Ähnlichkeit dieser Genabschnitte, zeigen ebenfalls lediglich Nummerncodes an den Astenden und verfehlen damit oft ihr eigentliches Ziel, nämlich Verwandtschaftshypothesen von Arten zu erstellen.
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Studierende bei der Übung „Vertiefende Tier- & Pflanzenbestimmung“ der Universität Salzburg, vertieft in ihre Proben. Kenntnisse beispielsweise über heimische Baumarten (hier ein Bild eines Lindenblattes und des Samens) werden nur mehr am Rande vermittel. Fotos v.o.: Sabine Agatha; Wolfgang Schruf
Zeit für Gleichberechtigung Es ist in der Tat höchste Zeit, einen Paradigmenwechsel einzuleiten. Und tatsächlich wird inzwischen auf wissenschaftlichen Tagungen
BARCODING – GENETISCHE ARTBESTIMMUNG MITHILFE MOLEKULARER BIOLOGIE Die Idee ist bestechend und man arbeitet bereits seit einigen Jahren an ihrer Umsetzung: Es geht zukünftig um eine Organismenart z. B. Pilz, Pflanze oder Tier – deren Namen wir wissen möchten. Wir entnehmen eine winzige Gewebeprobe, geben sie in ein kleines Gerät, und nach wenigen Minuten erscheint nicht nur der Name der Art auf dem Display, sondern auch Daten zu deren Lebensweise und Verbreitung. Science Fiction? Nein, in 30 oder 40 Jahren sicher Realität!
Was hat es mit diesem kleinen Gerät auf sich? In ihm werden winzige Genabschnitte analysiert und mit Genabschnitten sicher identifizierter Arten einer Datenbank verglichen. Bei 100 % Übereinstimmung wird das Gerät uns den Artnamen präsentieren, ansonsten die nächsten Verwandten nennen. Das erlaubt uns ohne Schwierigkeiten und Expertenwissen Larven jeglicher Insektenarten weltweit zu bestimmen, Soldaten einer Ameisenart zuzuordnen und unterschiedlich aussehende männliche und weibliche Enten als Artgenossen zu erkennen. Klingt wunderbar, oder? Jeder naturkundlich Interessierte braucht
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nicht mehr zahlreiche schwere Bücher auf Ausflüge mitzuschleppen; mit Hilfe eines einzigen kleinen Gerätes können alle Organismen bis hin zu Einzellern und Bakterien in allen Regionen der Erde bestimmt werden. Traumhaft! Das riesige Problem dabei wird allerdings gerne übersehen: Die Datenbank, in der sicher identifizierte Individuen verlässlich analysierten Genabschnitten zugeordnet sind, umfasst derzeit nur einen Bruchteil aller existierenden Arten. Mehr über Barcoding lesen Sie auf Seite 27 (ABOL).
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UNIVERSITÄT
Eine Studierenden-Exkursion nach Rovinj, Kroatien. Hier werden Organismen der Felsküste gesammelt und bestimmt. Foto: Sabine Agatha
zunehmend für gleichberechtigte Kooperationen zwischen Molekularbiologen, die die Genabschnitte untersuchen, und Taxonomen geworben; nur gemeinsam sind die drängenden biologischen Probleme der Zukunft zu lösen. Aber es sind nach dem dramatischen „TaxonomenSterben“ nur noch wenige Kundige übrig. Hier und da gibt es sie noch, die Wissenschaftler, die über Artenkenntnis und die Fähigkeit neue Arten zu entdecken und zu beschreiben verfügen und die sich mit der Evolution der baulichen Merkmale beschäftigen; die Zunft war über Jahrzehnte nicht „in“ und wird auch immer noch oft an Universitäten oder in musealen Sammlungen als veraltet von anderen Biologen betrachtet. Um das verstaubte Image abzulegen, braucht es heutzutage ohne Zweifel auch die Kombination mit molekularen Techniken, aber auch die Einsicht, dass ohne diese Kenntnisse viele Arten nicht vorm Aussterben geschützt werden können. Als Folge des sukzessiven Verlustes von Taxonomen werden taxonomische Fähigkeiten und das Wissen über die Organismen-Arten natürlich auch immer seltener jungen Wissenschaftlern und Biologie-LehrerInnen vermittelt. Während ich selbst während meines Studium an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn vor dreißig Jahren ca. 100 Stunden Exkursionen und ca. 40 Übungsstunden zur Bestimmung von Pflanzen und Tieren verpflichtend im Biologie-Studium hatte, sind es derzeit im Bachelor- und Lehramtsstudium nur noch ein Drittel an der Universität Salzburg. Das ist sogar im Vergleich mit zahlreichen in- und ausländischen Universitäten noch viel, aber versetzt LehrerInnen oft nicht in die Lage, SchülerInnen die gängigsten Arten in ihrem Umfeld nahezubringen, z. B. bei schwarzen Vögeln zwischen Amsel, Star und Krähe zu unterscheiden. Das mag auch wesentlich daran liegen, dass Wissenszuwachs in der Biologie in den vergangenen Jahrzehnten insbesondere auf den Gebieten der molekularen Biologie und Genetik stattgefunden hat. Dem Rechnung tragend, ist viel von dem, was vor dreißig Jahren nur an Universitäten in diesen Fächern gelehrt wurde, heutzutage bereits Schulbuch-Wissen, auf Kosten der Beschäftigung mit „ganzen“ Organismen im knappen Stundenplan. Natürlich ist es damals wie heute möglich sich weitere Artenkenntnis in frei wählbaren Veranstaltungen im Studium oder in Arbeitsgemeinschaften von NaturschutzGruppen anzueignen.
Die Zukunft liegt in der Kombination aus Artenkenntnis und molekularen Techniken
Text: Assoz.-Prof. Dr. Sabine Agatha, Fachbereich Ökologie und Evolution der Universität Salzburg sabine.agatha@sbg.ac.at
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Der Mangel an Taxonomen – egal für welche Organismen-Gruppe – ist jetzt schon offensichtlich und wird sich, so ist zu befürchten, zukünftig noch verschärfen. Daher sollten Lehrende an Universitäten und Schulen explizit darauf hinweisen, dass Wissenschaftler/Gutachter mit einer Kombination aus Artenkenntnis und molekularen Techniken zukünftig begehrte Arbeitskräfte sein werden, und den Studierenden und SchülerInnen anraten sich zusätzlich grundlegende Artenkenntnisse anzueignen. Im gleichen Maße wie Bildungseinrichtungen den Unterricht auf die „modernen“/molekularen Fachgebiete ausrichten, steigt die Bedeutung freiwilliger Aktivitäten und zusätzlicher Angebote: sieht man doch nur, was man kennt, und nur das kann man beginnen wertzuschätzen – die Grundlage für einen sorgsamen Umgang mit der Natur und der ihr innewohnenden Pflanzen, Tiere, Einzeller und Bakterien. ❒
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THEMA
www.abol.ac.at
ABOL: Projekt zur Erfassung und Analyse der Vielfalt von Tieren, Pflanzen und Pilzen
Screenshot der ABOL-Seite
Die ABOL-Initiative zielt darauf ab, alle in Österreich lebenden Tier-, Pflanzen- und Pilzarten genetisch zu charakterisieren und ihre DNA-Barcodes in einer öffentlichen Datenbank zur Verfügung zu stellen. ABOL soll neben dem Artenschutz auch dazu dienen, den öffentlichen Stellenwert von Artenkenntnis und Biodiversitätsforschung zu heben. Die Sonnenseite: Das aktuelle Jahrzehnt wurde zur „Internationalen Dekade der Biodiversität“ ausgerufen. Ein gutes Zeichen, sollte man meinen, dass diesem Phänomen gleich eine ganze Dekade gewidmet wird. Anscheinend hat eine zunehmende Anzahl an Menschen gelernt, „Biologische Vielfalt“ zu schätzen. Die Schattenseite: Wir leben in einer Zeit, in der die Zahl derer, die Arten kennen und damit Biodiversität einschätzen können, abnimmt, vielleicht noch schneller als die Biodiversität selbst. Hingegen nehmen die internationalen Verpflichtungen zu etwas für den Erhalt der Vielfalt zu tun, z. B. Monitoringpflichten. Zunehmende Wertschätzung bei abnehmendem Einschätzungsvermögen also, oder anders ausgedrückt: Immer weniger ArtenkennerInnen stehen immer mehr Monitoringaufgaben gegenüber. Wünschenswert wäre demnach zweierlei: eine Steigerung der Anzahl von BiodiversitätsexpertInnen und schnellere Erfassungs-Methoden. Beides soll durch die österreichische Initiative ABOL (Austrian Barcode of Life) erreicht werden. Das Prinzip von DNA-Barcoding ist einfach. Es ist die DNA, die als genetisches Erbgut von Eltern auf ihre Nachkommen weitergegeben wird. Sie ist innerhalb einer Art meist sehr ähnlich, unterscheidet sich jedoch von der DNA anderer Arten. Anders ausgedrückt – die Reihenfolge der chemischen „Bausteine“ im DNA-Molekül ist artspezifisch und ermöglicht daher die Artbestimmung. Da ein Vergleich des gesamten Erbguts zu teuer und aufwendig wäre, hat man sich beim DNA-Barcoding international auf bestimm-
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te Abschnitte der DNA – die so genannten DNA-Barcodes – geeinigt. Referenzdatenbank: Sie ist Grundlage für die molekulargenetische Artbestimmung. In ihr sind die DNA-Barcodes von sicher bestimmten Individuen möglichst aller Arten gespeichert. Dann reicht schon ein Teil eines Organismus aus, um die Art sicher zuzuordnen, indem man DNA isoliert und die DNA-Barcodesequenz ermittelt. Aber auch bisher nicht identifizierbare Stadien, wie Eier oder Larven von Insekten können dann bestimmt werden. Als Beispiele für wichtige Anwendungsbereiche seien Umweltmonitoring, Forensik (z. B. Zollkontrollen), Kriminalistik und Lebensmittelkontrolle (Kennzeichnung, z. B. Zutaten von Kräutertees) genannt. Anwendung. Die Aktualisierung der Daten zur österreichischen Biodiversität und deren Ergänzung durch Daten zur genetischen Vielfalt hat mehrere positive Nebeneffekte. Durch die fächerübergreifende ABOL-Initiative entsteht ein enges Netzwerk von ExpertInnen, die sich mit Biodiversitätsfragen befassen. Die freie Zugänglichkeit der DNA-Barcodes öffnet die Biodiversitätsforschung für viele Anwendungsbereiche und bietet Möglichkeiten zur Beantwortung von wissenschaftlichen Fragen (z. B. Erforschung von Nahrungsnetzwerken). Die Etablierung des DNA-Barcodings in den unterschiedlichen Anwendungsbereichen ist neben der Befüllung der Referenzdatenbank ein zentrales Anliegen von ABOL.
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Beim Suchen von Landschnecken im Gesäuse
Fotos: AlpineLandSnails
ABOL – BARCODING
GYMNASIUM: Die Vermittlung von Artenkenntnis im Biologieunterricht hat an österreichischen Gymnasien in den letzten beiden Jahrzehnten massiv an Bedeutung verloren. Ihr haftet der Geruch von verstaubter, unzeitgemäßer Methodik an. Ein folgenschwerer Irrtum, wie sich zunehmend herausstellt. VON WOLFGANG MAYER
ABOL bietet uns die Möglichkeit, unser Verständnis von Biodiversität auf umfassenden Daten fußen zu lassen. Zurzeit läuft die auf drei Jahre anberaumte Anstoßphase, die Finanzierung des Gesamtprojekts ist jedoch noch nicht gesichert. Bereits 15 Mio. Euro würden reichen, um im Laufe von 10 Jahren den Großteil aller rund 70.000 österreichischen Organismenarten erfassen zu können.
ABOL BRAUCHT MITHILFE! Die gesamte österreichische Biodiversität zu erfassen ist ein ehrgeiziges Ziel, das nur unter aktiver Mitarbeit vieler Personen erreichbar ist. Die Möglichkeiten beizutragen sind vielfältig. Vor allem für das geplante Gesamtprojekt, das an die Anstoßphase anschließen soll, wird ABOL nur in Kooperation mit vielen WissenschaftlerInnen/Arbeitsgruppen/Institutionen funktionieren. Gesucht werden: ✘ WissenschaftlerInnen/Arbeitsgruppen/Institutionen, die sich aktiv an der Planung und Durchführung von ABOLTeilprojekten beteiligen wollen. ✘ Personen mit fundierten taxonomischen Kenntnissen einzelner Organismengruppen ✘ Firmen, Vereine und Privatpersonen, die das Projekt finanziell unterstützen wollen www.abol.ac.at
Text: Priv.-Doz. Dr. Elisabeth Haring (Projektleitung), Dr. Nikolaus Szucsich (ABOL-Manager), Mag. Michaela Sonnleitner, (ABOL-Team), Naturhistorisches Museum Wien, 1010 Wien, Nikolaus.Szucsich@ nhm-wien.at
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eklariertes Ziel des Unterrichts ist in allen Fachbereichen die Vermittlung von Kompetenzen anstelle von „Lexikonwissen“. Schülerinnen und Schüler sollen Wissensgebiete heute besser verknüpfen können und so genanntes Transferwissen aufbauen. Die Qualität des Unterrichts hat sich durch diesen neuen Zugang in vielen Bereichen zwar verbessert. Als Kollateralschaden scheint die Artenkenntnis dabei jedoch in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen, da sie mit unerwünschtem „totem Wissen“ gleichgesetzt wird. Im aktuellen Entwurf zum neuen Lehrplan der neuen AHS-Oberstufe war Artenkenntnis anfangs gar nicht mehr als Ziel des Unterrichts vorgesehen. Nur die Intervention der Bundes-ARGE-Biologie und des Naturschutzbundes im Unterrichtsministerium bewirkte, dass Artenkenntnis bei den Unterrichtszielen des Lehrplans ergänzt wurde. Im angeführten Lehrstoff ist die Vermittlung der Artenkenntnis weiterhin nicht enthalten. Auch die gesamte Organismengruppe der Pilze soll nach aktuellem Stand im Lehrplan der AHS-Oberstufe nicht mehr vorkommen, obwohl sie in der Systematik als eigenes Reich neben Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen geführt werden. Die Endfassung des neuen Lehrplans ist derzeit noch in der Begutachtungsphase.
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Tatsächlich kennen Schülerinnen und Schüler, aber auch zunehmend Junglehrerinnen und lehrer heute meist nur mehr wenige Pflanzen und Tiere, obwohl sie nach meiner Erfahrung durchaus Interesse und Begeisterungsfähigkeit dafür zeigen. Dabei erleichtert z. B. der Einsatz von
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SCHULISCHE BILDUNGSEINRICHTUNGEN
WIE WIRD ARTENKENNTNIS VERMITTELT?
Smartphones oder Tablets im Unterricht das Kennenlernen von Arten. Kommt eine Art im Biologieunterricht vor, über die Kinder und Jugendliche nichts wissen, hat man als Lehrer gerade in größeren Städten nicht immer die Möglichkeit diese auch mitzubringen. Mit einer kurzen Internetrecherche im Unterricht kann man aber den Spagat zwischen Kompetenzorientierung und Förderung der Artenkenntnis leicht schaffen: Die Informationskompetenz wird gefördert, die Artenkenntnis wird ausgebaut. Schülerinnen und Schüler merken sich bestenfalls die neue Art und lernen, wie man sie rasch bestimmen kann. Das Vermitteln von Artenkenntnis im Biologieunterricht hat zu Unrecht den Ruf von nicht zeitgemäßer Arbeit im Unterricht. Gerade in modernen offenen Lernformen können Schülerinnen und Schüler praktisch mit lebenden Organismen und Bestimmungsliteratur bzw. dem Internet arbeiten. Ein Beispiel: Ich habe meiner Klasse den Blütenstand der Weißen und der Fleischroten Rosskastanie vorgelegt. Der Arbeitsauftrag gab vor, den Zusammenhang der beiden Arten herauszufinden. Fast alle entdeckten, dass die Fleischrote Rosskastanie (Aesculus x carnea) ein Bastard zwischen der Weißen Rosskastanie (A. hippocastanum) und der nordamerikanischen Roten Rosskastanie (A. pavia) ist. Im Zuge der Arbeit wurden ganz nebenbei die Merkmale aller drei Arten erarbeitet. Auch der Wissens-Transfer zwischen Blütenökologie, Vererbungslehre und Artbildung war gegeben.
Wenn keine Möglichkeit für einen Lehrausgang besteht, tut es auch mitgebrachtes Anschauungsmaterial aus der Natur.
Blüten der Weißen (Aesculus hippocastanum) und Fleischroten Rosskastanie (Aesculus x carnea)
Der Mangel an Artenkenntnis bei Kindern und Jugendlichen kann aber auch einen gewissen Teufelskreis bewirken: Da die meisten Arten unbekannt sind, fehlt auch der Reiz sich damit zu beschäftigen. Folglich bleibt die Artenkenntnis bescheiden. Wie beim Erlernen eines Instruments nimmt bei der Beschäftigung mit Pflanzen und Tieren häufig mit
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SCHULISCHE BILDUNGSEINRICHTUNGEN
zunehmender Fähigkeit auch die Motivation zu. Es wäre also wünschenswert, dass Kinder bereits in der Volksschule wieder mehr über heimische Arten lernen. Gerade in diesem Alter entwickeln sie rasch Begeisterung für die Natur. Das beobachte ich auch an meinen eigenen Kindern. Der Erwerb einer grundlegenden Artenkenntnis in der LehrerInnenausbildung ist dafür jedoch Voraussetzung. Leider galt dies vor 15 Jahren vielfach als unmodern und überholt. Auch die Vorbildwirkung der Eltern ist für Kinder prägend. Wie sollen aber die Schülerinnen und Schüler von heute als Eltern von morgen Begeisterung für die Vielfalt der Natur weitergeben, wenn sie diese selber nie erworben haben?
ERFAHRUNGEN EINER AHS-BIOLOGIELEHRERIN Kann es sein, dass unsere Jugend nicht einmal mehr unseren häufigsten Laubbaum kennt? An den Kindern kann es nicht liegen, denn sie sind von Natur aus neugierig. Woran liegt es dann? VON KARIN WIDERIN
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Foto: Karin Widerin
Wo ist die Biberburg?
Die Vermittlung von Artenkenntnis sollte unbedingt wieder als Basis eines guten Biologieunterrichts wertgeschätzt werden. Darauf können spätere Generationen aufbauen, egal ob im Naturschutz oder als Lehrende an Schulen und Universitäten. Ganz nach dem Motto: Nur was man kennt, kann man auch schützen oder sich dafür einsetzen! Text & Fotos: Dr. Wolfgang Mayer, Biologie-Lehrer einer AHS, Lehrender an der Pädagogischen Hochschule, Schulbuchautor und Leiter der Bundes-ARGE Biologie, wolfgang.mayer@sbg.ac.at
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oller Vorfreude wandern 18 Volksschüler, die sich für das Freifach „Natur erforschen“ angemeldet haben, mit mir in den nahegelegenen Buchenwald. Sie sind schon gespannt darauf, was wir dort alles entdecken werden. Es ist immer wieder eine Freude zu sehen, wie leicht Kinder sich für die Natur begeistern lassen. Doch irgendwann meine Frage: „Kennt jemand diesen Baum, aus dem der ganze Wald besteht?“ Schweigen. O.k., war wohl noch zu bald. Ich versuche es nochmals in der 6. Klasse Gymnasium, Wahlpflichtfach Biologie. Dieselbe Frage, dieselbe Antwort: keine Ahnung. Kann es sein, dass unsere Jugend nicht einmal mehr unseren häufigsten Laubbaum kennt? Auch bei anderen Pflanzen sieht es nicht viel besser aus. Eine deutsche Untersuchung zur Artenkenntnis von 600 Schülern zwischen 11 und 13 Jahren kam zu dem erschütternden Ergebnis, dass es nur drei Pflanzenarten gab, die alle Schüler kannten: Gänseblümchen, Löwenzahn und Sonnenblume. Wie ist das möglich? An den Kindern kann es nicht liegen. Die Neugier ist uns Menschen angeboren. Als ich neulich mit meinen 11-jährigen Schülern im Auwald Buschwindröschen entdeckte, kannten immerhin fünf Schüler das hübsch blühende Pflänzchen. Als ich sie fragte, wo sie das gelernt hätten, bekam ich zur Antwort: „…vom Opa, Papa, Mama.“ und „…in der Volksschule haben wir einmal…“.Genau hier dürfte der Hauptgrund liegen, warum unsere Kinder keine Arten mehr kennen. Oft gibt es keine Großeltern mehr, die in der Nähe wohnen, keine Eltern mehr, die sich Zeit nehmen ihren Kindern die Natur zu zeigen, keinen Garten mehr, in dem ein Kind Staunen lernt über alles, was da krabbelt, fliegt oder wächst. Die Kinder verlieren damit ein wunderbares Interesse und Wissen, einen Schatz, den sie ihr Leben lang besitzen und an dem sie immer wieder Freude finden könnten – kostenlos und ohne Strom. Was man nicht kennt, sieht man oft gar nicht. Es hat dann auch keine Bedeutung mehr und wenn es plötzlich weg – sprich ausgerottet – ist, fällt es auch niemandem auf. Das ist eine traurige Geschichte. Aber was tun? So wie es
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aussieht, bleibt wieder einmal das, was die Eltern versäumt haben, an den Lehrern hängen. Dies gestaltet sich aber aus mehreren Gründen nicht so einfach.
Lehrpläne. Im Gymnasium stehen Pflanzen- und Tierarten vor allem in der Unterstufe im Lehrplan. Aber für den Erwerb einer fundierten Artenkenntnis lässt der Umfang des Lehrplans keine Zeit. In der Oberstufe mit der neuen Zentralmatura sind Lehrer damit beschäftigt, alle ihre vorgeschriebenen Themenpools durchzubringen und ihre Schüler auf Kompetenzen, wie Einsicht in Zusammenhänge, eigenständiges Denken, Anwendung des Lehrstoffes vorzubereiten. Die Wissenskompetenz tritt dabei im Vergleich zu früher mehr in den Hintergrund. Außerdem lässt sich im derzeitigen Lehrplan der Oberstufe bestenfalls noch in einem ökologischen Thema ein Hauch von Artenkenntnis einbauen. Außer im Wahlpflichtfach Biologie ist daher so gut wie kein Platz mehr für den Erwerb von Artenkenntnis. Organisatorische Probleme kommen oft dazu. Selbst wenn man das Glück hat, dass man im direkten Umfeld der Schule einen Lehrausgang machen kann und auch das Wetter gerade passt, vergeht schon fast die Hälfte einer Unterrichtsstunde mit Umziehen und Hin- und Zurückgehen. Trotzdem sollte man sich nicht davon abschrecken lassen. Untersuchungen haben gezeigt, dass eine überschaubare Anzahl von Arten in schüler- und lehrerzentriertem Unterricht, möglichst mit Lehrausgang, zur Steigerung der Artenkenntnis führen. Um meine Schüler dazu zu bringen sich mehr mit Pflanzen auseinanderzusetzen, lasse ich sie ein Herbarium anlegen, einmal krautige Pflanzen und einmal Bäume. Oft sind sie mit der Bestimmung der Pflanzen überfordert, aber das führt dazu, dass sie bei Eltern oder Großeltern nachfragen und somit beschäftigt sich nicht selten die ganze Familie mit dem Thema. Bei manchen Schülern kann man mit entsprechender Motivierung eine wahre Sammelleidenschaft auslösen. Fehlende Artenkenntnis beim Lehrpersonal ist das nächste Problem. Auch an der Uni wurden Exkursionen eingespart und somit lernen angehende Pädagogen auch keine ausreichende Artenkenntnis mehr. Die
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Lebensraum Bach: Auch wenn es zeitaufwändig ist einen Lehrausgang durchzuführen, lohnt es sich allemal und die Jugendlichen kennen wieder ein paar Arten mehr, z. B. die Imago einer Eintagsfliege (gr. rundes Bild) oder die Larve einer Steinfliege (kl. rundes Bild), die im Bach lebt. Foto (gr, rund): Wolfgang Schruf
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SCHULISCHE BILDUNGSEINRICHTUNGEN muss man sich in seiner Freizeit selbst erwerben. Manche Lehrer scheuen sich mit Schulklassen hinauszugehen, weil sie sich einfach zu unsicher im Erkennen der Arten sind. Hilfreich wären Fortbildungsseminare und Exkursionen für Biologielehrer, die Pflanzen oder Tierarten zu verschiedenen Jahreszeiten zum Inhalt hätten. Eine andere Möglichkeit wäre, wenn didaktisch geschulte Experten zu verschiedenen Artengruppen zur Verfügung stünden, die von den Lehrern eingeladen werden könnten. Die Kosten dürften dabei aber nicht auf die Eltern abgewälzt werden.
Es braucht Hilfestellungen für Pädagogen. Ganz wichtig wäre es aber, nicht erst im Gymnasium oder der Neuen Mittelschule, sondern schon im Kindergarten und in der Volksschule verstärkt Augenmerk auf die Natur zu richten. Je jünger die Kinder sind, desto leichter lassen sie sich dafür begeistern und wenn die Begeisterung einmal geweckt ist, ist schon viel gewonnen. Besonders in dieser Zeit könnte der Unterricht noch zeitlich flexibel gestaltet werEs ist nie zu den. Da wäre noch Zeit zum früh: Ist die Begeisterung Schauen, Suchen, Riechen, Höeinmal geweckt, ren, Anpflanzen, Beobachten, zu ist schon viel spielerischem Lernen in der gewonnen. Natur. Vielleicht lernen sie daFoto: Wolfgang Schruf durch eine spannende reelle Welt kennen, die sie davor bewahrt später in virtuellen Welten zu versinken. Aber auch diese Pädagoginnen und Pädagogen brauchen unbedingt eine Unterstützung, um die uns umgebende Natur kennenzulernen, damit das Wissen an die Kinder weitergegeben werden kann und nicht in der nächsten Generation völlig verschwunden ist.
Text & Fotos (wenn nicht anders vermerkt): Mag. Karin Widerin, Biologielehrerin einer AHS in Salzburg, Biber- und Fledermausexpertin karin.widerin@fledermausschutz.at
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Erfahrungen beim Verkosten des Schlehdorns. Den Namen werden sie sich sicherlich merken!
ERFAHRUNGEN EINES BIOLOGIELEHRERS AUS EINER ÖKO-NMS Noch vor wenigen Jahrzehnten waren es primär die Eltern und das soziale Umfeld, die das Grundwissen schufen und Interesse an Tieren und Pflanzen weckten. Heute sieht das anders aus und der Biologieunterricht hat dies mehr oder weniger übernommen. Schwerpunktschulen und Schulen, die nach dem ÖKOLOG-Programm ausgerichtet sind, lassen hier kaum Wünsche offen und haben Vorbildwirkung. VON JOHANN RADINGER einahe alle Großeltern und Eltern hatten mit der Natur und der Landschaft zu tun und waren somit täglich damit involviert. Sie sagten nicht einfach: „Das ist eine Blume.“ Sie sprachen sie mit dem Namen an. Das ist nun vorbei. Erstens kommen weder Eltern noch Kinder auf Wiesen. Zweitens sind auch den Eltern die Namen fremd. Drittens sind Blumenwiesen sehr rar geworden. Manche Schulen können hier durchaus Maßstäbe setzen, etwa mit einem Schwerpunkt Biologie – das ÖKOLOG-Programm zur Umweltbildung hilft dabei. Ich unterrichte seit 26 Jahren an der ÖKO-NMS Pöchlarn, einer ÖKOLOG-Schule mit dem Schwerpunkt Biologie, wo Unterricht im Freien im Schulprofil verankert ist. Lehrausgänge in die Natur sind also
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fester Bestandteil im Unterricht. In solchen Schulen mit besonderem Fokus auf Naturerfahrungen lernt man u. a. ökologische Zusammenhänge, die Bedeutung der Biodiversität und die heimische Flora und Fauna verstehen. Sie thematisieren Abfallvermeidung und Recycling und schaffen Bewusstsein für nachhaltigen Konsum und den ökologischen Fußabdruck. Sie kooperieren auch mit ihrem Schulumfeld, so dass die Jugendlichen das in der Schule Gelernte mit ihrem Alltag verknüpfen können. Seit über fünfzehn Jahren gibt es ÖKOLOG als Programm, das für Lehrer Unterstützung und Hilfe in der Naturerziehung und Umweltkunde bietet. Es ist als Service des Bundesministeriums für Bildung und Frauen zur Umweltbildung an Schulen (VS, HS, NMS, AHS, BBS) und Pädagogischen Hochschulen etabliert.
Lernen in der Natur soll fester Bestandteil des Biologieunterrichts sein.
Die Artenkenntnis der Schüler ist hier sicher wesentlich höher als in Regelschulen, doch sollen diese Bemühungen nicht übertrieben werden. Primär darf es nicht um die Artenkenntnis und die vielen Pflanzennamen gehen. Denn nach dem Motto „Was zu viel ist, ist zu viel“ reagieren die Schüler sehr spontan und ablehnend bzw. desinteressiert. Dann könnte auch die Bereitschaft für begeisterte Naturforschungen vorüber sein. Lehrer müssen die Möglichkeit des Erwerbs der Artenkenntnis sehr diffizil einsetzen. Das gelingt sicherlich dann, wenn pädagogische Tricks und Umwege über Aha-Erlebnisse eingesetzt werden. Artenkenntnis vermitteln ja, aber sehr behutsam.
Das Heuen macht Arbeit und auch Spaß. Die artenreiche Böschung lebt so weiter und ist darauf wieder zu bestaunen – auch die verschiedenen Arten werden bewusster erlebt.
Die erfolgreichste Strategie ums Kennenlernen von Arten ist, diese mit einprägsamen Geschichten zu verknüpfen. Das ist schon die halbe Miete. Ist ein Kind vom Blütenaufbau, der Kombination der verschiedenen Blütenfarben, den Zeichnungen in der Blüte oder den besonderen Härchen angetan, dann hat man schon gewonnen. Gibt es da einen besonderen Geruch oder sehr sauren Geschmack der Frucht, dann kommt es leicht zum Namen, der „hängen“ bleibt. Solche Art von Unterricht ist aber nur im Freien möglich. Biologieunterricht draußen in der Natur kann das erzielen. Dazu sind sehr engagierte Lehrer, Stundenblockungen, Stundenverschiebungen und flexible Direktionen, die spontane Lehrausgänge erlauben, von Nöten. Biologie ist ja nur ein Gegenstand unter vielen. Auch in der Lehrerfortbildung wird über ÖKOLOG einiges angeboten und möglich. Als Lehrender an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Krems für Fachdidaktik Biologie versuche ich, in meinen Veranstaltungen praktische Erfahrungen für Studierende in der Natur zu ermöglichen. Allerdings schränkt auch hier die theorielastige Hochschullehre das Kontingent der Veranstaltungen im Gelände massiv ein – zu gerade einmal einzelnen Lehreinheiten bzw. Exkursionen. Studierende zeigen jedenfalls enormes Interesse an praktischen Erfahrungen und Artenkenntnis. Sie erahnen, wie wichtig es ist, Dinge zu benennen, über die gesprochen wird. Noch dazu gilt: was ich kenne bzw. nenne - schütze und erhalte ich. Junge Lehrer und Lehrerinnen müssen auf alle Fälle in ihren jungen Lehrerjahren autodidaktisch ihre Artenkenntnis vergrößern, draußen in der Natur, damit sie ihren Schülerinnen und Schülern antworten können, wenn es heißt: „Was ist das für eine Pflanze?“
Sommerausgabe | natur&land | 102. JG. – Heft 2-2016
Text & Fotos: Dipl.Päd. SR Johann Radinger, Biologielehrer der ÖKO-Neue Mittelschule Pöchlarn und Lehrender an der Kirchl. Pädag. Hochschule Wien/Krems jradinger@aon.at
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SCHULISCHE BILDUNGSEINRICHTUNGEN Wie macht sich der zunehmende Mangel an Artenkenntnis in der Bevölkerung bemerkbar?
Interview
HAT DIE ARTENKENNTNIS ABGENOMMEN?
Wir haben zwei ehemalige Hauptschul-/NMS-Lehrer und önj-Gruppenleiter gefragt, wie sie die Situation einschätzen und wie ihre Erfahrungen im schulischen wie außerschulischen Bereich sind. Beide haben Generationen von Kindern und Jugendlichen Tiere und Pflanzen nahe gebracht. Hubert Salzburger engagiert sich heute beim Naturund Umweltbildungsverein natopia und unternimmt Exkursionen mit Naturinteressierten. Wolfgang Schruf hat sich ganz auf Naturfotografie verlegt. Mit seinen ausgezeichneten Tier- und Pflanzenporträts unterstützt er den | naturschutzbund | bei dessen Informationstätigkeit zur heimischen Artenvielfalt.
Salzburger: Es gibt zu denken, wenn in diversen Quizsendungen ansonsten belesene Kandidaten bei einfachen naturkundlichen Fragen regelrecht ins Schleudern geraten und schlussendlich dabei scheitern. Es scheint fast so, als ob der Allgemeinheit alles, was sich in freier Natur abspielt, fremd geworden ist. Kinder wie Erwachsene können problemlos 10 Automarken aufzählen, geraten aber schwer ins Stocken, wenn sie das mit 10 Baumarten tun sollen. Es ist wohl so, dass der direkte Kontakt des Menschen zu Tier und Pflanze weitgehend verloren gegangen ist. Die „freie Wildbahn“ wird bestenfalls zur Bühne für Freizeitsportler, die mit Schrittzählcomputer und Kopfhörer total auf sich selbst fokussiert sind und weder sehen noch hören, was am Wegesrand blüht oder im Gras raschelt. Schruf: Dass Kinder ein recht
guter Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen und Prioritäten sind, erfährt man als Lehrperson hautnah: Gestresste Eltern, weniger Zeit für die Kinder, der Einfluss von PC und Handy, die ausgeprägte Konsumorientierung, verbautes Wohnumfeld, Verstädterung ländlicher Gebiete und Bewegungsarmut lassen die Beschäftigung mit der Natur immer mehr in den Hintergrund treten. Es braucht aber Zeit, Geduld und Vorbilder, um die Natur erleben zu können. Wo sollte der Hebel angesetzt werden? Salzburger: Ich habe während
meiner aktiven Zeit als Hauptschullehrer ein paarmal die Gelegenheit gehabt, auch mit
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Volksschulkindern zu arbeiten und gemerkt, welch Potenzial in diesem Alter steckt. Da sind sie in hohem Maße neugierig, wissbegierig und für Natur empfänglich. Ohne Berührungsängste nehmen die Kinder Kröten, Schlangen und anderes Getier in die Hand, wenn ein(e) fachlich versierte(r) Lehrer(in) es ihnen vormacht. Im Umkehrschluss können sich in diesem Lebensabschnitt aber auch Ekelgefühle manifestieren, wenn man dementsprechend auf sie einwirkt. Ich glaube, ein Biologe wird in der Volksschule geboren. Oder aber in einem Elternhaus, das ein entsprechendes Umfeld dafür bietet. Das Interesse für Tier und Pflanze hält im Regelfall bis zur 2. Klasse Mittelschule an, um dann mit dem Eintritt in die Pubertät für einige Zeit auf Eis gelegt zu werden. Schruf: Schulausflüge und Exkursionen in biologisch interessante Bereiche im Umfeld von Wohngebieten, geleitet von Hobbybiologen, Lehrern oder versierten Wissenschaftlern sind Möglichkeiten zur Artenvermittlung. Einiges in dieser Richtung passiert ja schon und findet großen Anklang, wie Biber-, Vogel-, Wildbienen- oder Amphibienexkursionen des Naturschutzbundes zeigen. Tourismusverbände haben dieses Potenzial noch viel zu wenig erkannt. Als Biolehrer hatte ich viele Jahre die Möglichkeit genutzt für die 1. Klasse (10Jährige) außerhalb des regulären Unterrichtes „Biologische Übungen“ anzubieten. Die genehmigte halbe Stunde pro Woche habe ich für Exkursionen in die Natur geblockt. Um die
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zehn Kinder nutzten das Angebot im Durchschnitt – freiwillig! Kann man mit Jugendlichen in der Pubertät überhaupt nichts anfangen? Salzburger: Das will ich nicht
unbedingt sagen. Wir haben in der önj die Erfahrung gemacht, dass Zelt- und Sommerlager ideale Gelegenheiten bieten, Freundschaften zu schließen und sich in freier Natur gemeinsam wohlzufühlen. Ich kann mich noch gut an ein Lager erinnern, bei dem ein Betreuer den erstaunten Jugendlichen ein Stück lumineszierendes Holz zeigte und erklärte, warum dieses Stück eines vermodernden Baumstammes in der Dunkelheit so leuchtet. Solche und ähnliche Erlebnisse prägen sich in das Gedächtnis ein. Irgendwann, wenn Sturm und Drang sich wieder einigermaßen gelegt haben, beginnen diese Erlebnisse in und mit der Natur wieder bewusst zu werden. Wenn ich nach Jahren ehemalige Schüler wieder treffe, dann heißt es nicht: „Kannst du dich noch an diese oder jene Prüfung oder Schularbeit erinnern?“ sondern: „Weißt du noch, damals beim Lagerfeuer…?“ Schruf: Die gemeinsamen Lan-
desjugendlager der önj-Tirol im Sommer waren immer ein Hit und kamen auch bei den Jugendlichen gut an. Kombiniert mit dem Abenteuerhunger der jungen Leute ist da schon einiges möglich. Wie sind eure Erfahrungen mit Erwachsenen in Hinblick auf ihr Interesse an Tieren und Pflanzen? Salzburger: Ich bin in erster Linie
Hubert Salzburger in seinem Element Foto: Privat
mer signalisiert, dass die Nachfrage vorhanden ist. Manche schreiben fleißig mit, andere versuchen mir Löcher in den Bauch zu fragen. Da Wildpflanzen mehr und mehr in den Fokus der gesunden Ernährung rücken, ist das Interesse dafür besonders groß. Das eine oder andere Mal muss ich mich zwar wundern, mit welcher Sorglosigkeit und mangelnder Sorgfalt in der Aneignung der entsprechenden Artenkenntnis angebliche Wunderheilmittel gesammelt werden. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass sich das Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit sensiblen Objekten bessert und vor allem schärft. Manche Teilnehmer entpuppen sich zudem oft als fachlich versierte Autodidakten, von denen ich noch etwas lernen kann. Bei meinen Exkursionen beschränke ich mich zumeist auf wenige Arten, auf die ich dafür aber umso intensiver eingehe. Ein schönes Beispiel dafür ist die Einbeere, zu der ich gerne
Botaniker. Im Schnitt werde ich pro Jahr zwei- bis dreimal für botanische Lehrausgänge angefragt. Die Zahl der Teilneh-
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die Geschichte vom Urteil des Paris erzähle: Im Olymp wird Hochzeit gefeiert, alle Götter sind geladen bis auf Eris, die Göttin der Zwietracht. Sie rächt sich, indem sie einen goldenen Apfel mit der Aufschrift „Der Schönsten“ in die „Ich glaube, ein Biologe Gesellschaft wird in der Volksschule wirft. Sofort entbrennt zwischen geboren!“, H. Salzburger Hera, Athene und Aphrodite ein Streit darüber, wem diese Ehre gebührt. Da Zeus sich der Stimme enthält, soll Paris, der Sohn von König Priamos von Troja, entscheiden. Weil Aphrodite ihm die schöne Helena verspricht, entscheidet er sich für sie. Worauf Hera aus Ärger darüber Paris in die Einbeere verwandelt: Die Beere stellt den Erisapfel dar, die vier Blätter symbolisieren Paris und die drei Göttinnen. Auch wenn die Teilnehmer mit griechischer Mythologie nichts am Hut haben, kommt mit dieser einprägsamen Story Sinn in den Artnamen „Paris quadrifolia“. Noch nach Jahren werde ich von so manchem Teilnehmer bei zufälligen Begegnungen an die Einbeere erinnert.
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SCHULISCHE BILDUNGSEINRICHTUNGEN
Schruf: Bei meiner Fotopirsch
Wie kann Artenkenntnis eurer Ansicht nach vermittelt werden? Salzburger: Mir gefällt der Begriff
fragen mich häufig Spaziergän„Artenverständnis“ besser. Nur ger, Fischer oder auch Kinder was man versteht, prägt sich nach den Tierarten, die ich auf Dauer ins Gedächtnis ein. gerade im Visier habe und sind Ich kann für einen Biologie-Test sehr interessiert, wenn ich Probanden 100 Pflanzen auflisihnen erkläre, was das jetzt für ten und auswendig lernen lasein Tier ist und von seinen sen – spätestens nach einer Besonderheiten erzähle. Nur die Woche wäre bei Testwiederhowenigsten kennen ja die verlung das Ergebnis schiedensten Enten-, „Kinder sind ein Spiegel der mehr als ernüchgeschweige Gesellschaft“, W. Schruf ternd. Wenn man sich aber mit denn Singvoeiner Pflanze oder einem Tier gel- oder Froscharten. Das vernäher befasst, deren Umwelt suche ich auch mit selbst miteinbezieht und begreifen gestalteten Jahreskalendern lernt, warum diese Art gerade voller Tier-, Pflanzen- und Pilhier gedeiht und anderswo nicht zarten in meinem Umfeld zu veranzutreffen ist, dann hat man bessern. bereits eine Beziehung zu diesem Objekt aufgebaut und seinen Namen abgespeichert. VerZum Staunen: ständnis fördert Wertschätzung der Mondvogel, und nur über diesen Weg kann der perfekt die Bereitschaft zum Schutz getarnt ist,… unserer Natur geweckt werden.
NATURPARK-SCHULEN Man kann Wissen auf vielerlei Weise erwerben. In der Regelschule geschieht dies häufig durch Frontalunterricht, Lernen aus Büchern und mittels Stöbern auf Google. Spannender geht es aber über Sehen, Hören, Anfassen, Riechen und manchmal auch Schmecken, wie es in Naturpark-Schulen durchaus üblich ist. VON GABI PETERS
…wenn er auf einem Ast verweilt. Foto: Wolfgang Schruf
Wenn ich aber an meine Zeit als Naturschutzbeauftragter für den Bezirk Schwaz zurückdenke, dann fällt mir wenig Positives ein. Besonders in Tourismusregionen ist die Landschaft das Kapital, das touristisch radikal ausgeschöpft wird. Geldstrafen für unerlaubte Eingriffe etwa in Feuchtgebiete alpiner Lagen wurden von Liftbetreibern schon im Budget einkalkuliert, um Entscheidungsfristen und Auflagen zu umgehen.
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logielehrer empfehlen, die „Natur“ ins Klassenzimmer zu holen: Insekten, spezielle Pflanzen oder Pilze aus der unmittelbaren Umgebung faszinieren die Kinder, besonders, wenn man auch noch Geschichten drumherum erzählen kann. Zur Demonstration der Tarnung bei Schmetterlingen legte ich dürre Ästchen und einen MondvogelFalter in eine durchsichtige Plastikdose. Die Kinder sollten das Tier entdecken, was ob der perfekten Tarnung eine Weile gedauert hat. Es lässt sich immer wieder etwas zum Staunen finden, und das ist auch ein Schlüssel zum Erfolg.
Interview: Ingrid Hagenstein NuP-Schule Attersee-Traunsee
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Fotos v. l. n. r.: Gerhard Fuchs; Franz Grabenhofer; Naturpark Weissensee; Hannes Köhlmeier
Schruf: Ich kann nur jedem Bio-
Namibia/Sossusvlei © Reiner Harscher
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Z Zentrale entrale La Lambach, ambach, Linzer Straße Straße 4-6, zentrale@kneissltouristik.at zentrrale@kneissltouristik.at 07245 07245 5 20700, www.kneissltouristik.at www.kneissltouristik.att Wien 1, Op Opernring ernring 3-5/Eingang Operngasse, Operngasse e, wien@kneisslt wien@kneissltouristik.at ouristik.at 01 01 4080440 St. P Pölten ölten N NEU: Rathausplatz Rathausplatz 15/Eck 15/Ecke e Marktgasse, Markttgasse, st.poelt st.poelten@kneissltouristik.at en@kneissltourisstik.at 02742 02742 34384 34384 Salzburg, Linzer L Gasse 72a, salzburg@kneissltouristik.at salzburg@kneissltouristik.at 0662 0662 877070 877070