Neue Bürder Zeitung

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14­3­2016

Hieronymus Bosch – eine grosse Retrospektive: Eine Stadt und ihr Maler ­ NZZ Kunst & Architektur

Hieronymus Bosch – eine grosse Retrospektive

Eine Stadt und ihr Maler Die Stadt 's­Hertogenbosch feiert in einer prächtigen Schau ihren berühmtesten Sohn Hieronymus Bosch. Es ist seine bisher grösste Einzelausstellung. von Hanne Weskott

10.3.2016, 05:30 Uhr

Das ehemalige Wohnhaus von Hieronymus Bosch ist ebenso wie sein Geburtshaus, in dem er seine Werkstatt hatte, heute in Privatbesitz. Beide stehen auf dem Markt, der in seiner Anlage auch nach 500 Jahren unverändert erscheint. In 's­Hertogenbosch erzählt man, dass sich ihr berühmter Sohn Hieronymus Bosch auch heute noch mit verbundenen Augen in der Stadt zurechtfinden würde, weil die Struktur des mittelalterlichen Zentrums immer noch dieselbe ist. Staunen aber würde der Maler sicher, sofern er die Augen öffnete, darüber, wie sehr sich seine Stadt anlässlich seines 500. Todestages in «Bosch's City» verwandelt hat. Nicht nur dass man an mehr oder weniger versteckten Plätzen den typischen Bosch­Figuren aus buntem Kunststoff begegnet. Es gibt auch «Bosch by Night» am Marktplatz, eine Show mit Bild und Ton, eine sehr spezielle Ballettaufführung mit Boschs Figuren im Theater und vieles mehr. Seine moralisierende Fabulierkunst, die die Hässlichkeit und Sündhaftigkeit der Welt nach der Vertreibung aus dem Paradies in Bild­ und Formfindungen umsetzte, liefert heute Stoff für eine bunte Plasticwelt, die in jeden Vergnügungspark bis hin zur Geisterbahn passt. Man will eben den Tourismus ankurbeln und auch ein junges Publikum für Bosch begeistern.

Riesige Vogelwesen Seinen ersten Höhepunkt erreichte dieses Beiprogramm im Umzug zur Eröffnung der Ausstellung «Jheronimus Bosch – Visionen eines Genies» im Noordbrabants Museum, der von riesigen Vogelwesen und anderen Fabeltieren begleitet wurde. Im Museum aber herrscht konzentrierte Ruhe. Hier sind aus aller Welt immerhin 17 Bilder des nur etwa 24 umfassenden gesicherten malerischen Werks, 19 Zeichnungen, einige Kopien, vergleichendes Bildmaterial und Dokumente zusammengekommen. Die Grosszügigkeit mancher Häuser, zu denen immerhin das Metropolitan http://www.nzz.ch/feuilleton/kunst_architektur/eine­stadt­und­ihr­maler­1.18709429

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Museum New York, das Wiener Kunsthistorische Museum und natürlich der Prado in Madrid mit seiner grossen Bosch­Sammlung gehören, verdankt das kleine Noordbrabants Museum dem seit 2007 in 's­Hertogenbosch angesiedelten Bosch Research and Conservation Project, das forscht, restauriert und Neuzuschreibungen oder Aberkennungen ausspricht. Der spektakulärste Erfolg ist sicher die Autorisierung der kleinen Tafel mit der «Versuchung des heiligen Antonius» aus dem Nelson­Atkins Museum of Art in Kansas City, die bisher nicht als eigenhändig angesehen wurde und immer im Depot ruhte. Aber es gibt auch Probleme wie mit dem Prado. Hier wurde bei einigen Werken, darunter der berühmte «Tisch der sieben Todsünden», die Autorschaft von Bosch angezweifelt, was das Museum nicht akzeptiert. Aber trotz allen Differenzen kam immerhin ein Hauptwerk aus Madrid, das «Heuwagen­Triptychon», das das Cover des Kataloges ziert. Auf Leihgaben war das Museum mehr als jedes andere angewiesen, denn es besitzt wie die Stadt selbst nicht ein einziges Werk von Bosch, der hier immerhin an die sechzig Jahre gelebt und gearbeitet hat und sogar seinen Familiennamen «van Aken» aufgab, um in aller Welt als Maler von 's­ Hertogenbosch identifiziert zu werden. Er selbst hat seine Heimatstadt allerdings kaum je verlassen, nicht einmal für Kurzreisen oder zum Ausführen von Aufträgen. Trotz dieser Sesshaftigkeit sind die überlieferten Daten ausgesprochen dürftig. Nicht einmal Tag und Jahr seiner Geburt sind sicher. Anhand von späteren Eintragungen in den Büchern der Stadt, in denen es in erster Linie um Abrechnungen geht, nimmt man an, dass er um 1450 auf die Welt kam. Häufiger wird seine Name später erwähnt, als er bereits eine bekannte Malerpersönlichkeit war und diverse Aufträge für die Stadt, die Kirche und vor allem für die «Bruderschaft unserer Lieben Frau», deren Mitglied er war, erledigte. Aber nicht nur 's­Hertogenbosch besitzt kein einziges Werk von Hieronymus Bosch, auch alle anderen niederländischen Museen mussten bis 1931 in der Beziehung passen. Dann aber erwarb das Rotterdamer Museum Boijmans Van Beuningen das Bild «Der verlorene Sohn», das heute «Der Landstreicher» heisst. Mit ihm beginnt die Ausstellung. Die Figur dieses Mannes mit den zwei unterschiedlichen Schuhen, der zerrissenen Hose und dem verbundenen Bein mit Wanderstock und Kiepe ist fast ebenso bekannt wie manche der Mensch­Tier­Gestalten aus dem http://www.nzz.ch/feuilleton/kunst_architektur/eine­stadt­und­ihr­maler­1.18709429

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berühmten «Heuwagen­Triptychon», wo eine ganz ähnliche Gestalt auf den Flügeln zu finden ist, allerdings in einer wesentlich farbigeren Umgebung als im Rotterdamer Bild, in dem es keinen einzigen leuchtenden Farbton gibt. Es zeigt Hieronymus Bosch als einen Maler, der auch die unbunte Farbenwelt vorzüglich beherrschte, während die anderen zum «Landstreicher­Triptychon» gehörigen Flügel, die aus Paris, Washington und New Haven gekommen sind, eine breite Farbpalette aufweisen. Das Entscheidende ist die Stimmung. Der Landstreicher, der heute oft als Mensch auf seiner Lebensreise gedeutet wird, sieht die Welt nicht so bunt wie seine Zeitgenossen, die im Narrenschiff trinken, musizieren und feiern. Selbst dem in seinem Bett sterbenden und vor seinem Tod noch verhandelnden «Geizhals» gesteht Bosch einige Rottöne zu.

Seltsame Stimmung Beeindruckend ist auch die seltsame Stimmung in der «Anbetung der Könige» aus dem Metropolitan Museum New York. In diesem weitläufigen ruinösen Gemäuer aus hellem Stein sitzt Maria leicht verloren auf einer Art Behelfsthron, einer Erhöhung, über die eine goldfarbene Decke gebreitet ist. Aber Maria ist hier nicht die thronende Himmelskönigin, die besonders in der italienischen Renaissance ein beliebter Darstellungstypus ist. Hier ist sie die «reine Magd» ohne Heiligenschein, die durch die Geburt des Christkindes einen neuen Status erworben hat, was sich in ihrem goldenen, aufs Feinste gelockten Haar ausdrückt. Ihre Bescheidenheit schafft Distanz, so dass sich keiner der Könige näher heranwagt, auch Joseph nicht oder die Hirten, die sich im Hintergrund die Hände am Feuer wärmen. Das ist eine andere Szenerie als beispielsweise die des um 1455 entstandenen Columba­Altars in der Münchner Pinakothek von Rogier van der Weyden, dessen Werk Bosch vermutlich gekannt hat. Hier drängt alles herein. Der älteste der Könige fasst sogar die Händchen des Kindes. Maria, eingehüllt in ihren blauen Mantel und am Kopf von einem Strahlenkranz umgeben, zeigt bei aller Demut schon eine königliche Würde. Bei Bosch hingegen fällt der Prunk der Könige gegenüber dem einfachen blauen Gewand der «reinen Magd» Maria umso mehr auf. Und da zieht Bosch alle Register seines Könnens. Ist der Mantel des Knienden noch relativ schlicht, steigert sich das bei den beiden anderen zu einer stofflichen Pracht mit viel Gold, die in den feinst gearbeiteten goldenen Gefässen einen http://www.nzz.ch/feuilleton/kunst_architektur/eine­stadt­und­ihr­maler­1.18709429

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Höhepunkt erreicht. Mit einer Besonderheit wartet Bosch noch bei der Darstellung von Ochs und Esel auf, weil von Letzterem nur das Hinterteil zu sehen ist. Wahrscheinlich galt der Esel wegen seiner Verstocktheit als Ebenbild des Menschen, der nicht erkennt, was da ganz in seiner Nähe geschieht. In dieser frühen Darstellung der «Anbetung», die um 1470/80 datiert ist, ist das der einzige Hinweis auf die Bilder, die Bosch im Laufe seines Lebens für die Blindheit und Dummheit der Menschen finden wird und die ihn in der Geschichte zum «Teufelskünstler» stilisieren. Dabei wollte er immer nur aufzeigen, wie sehr der Mensch, nachdem er vom «Baum der Erkenntnis» gegessen hatte und aus dem Paradies vertrieben worden war, seine neu gewonnene Entscheidungsfreiheit permanent missbrauchte. Deshalb gibt es von ihm auch einige Darstellungen des Jüngsten Gerichts, die er im Triptychon meist in eine Paradies­Darstellung, den Aufstieg der Seligen in den Himmel und den Abstieg der Verdammten in die Hölle teilt, wobei sein Schwerpunkt fast immer im Leben auf der Erde liegt. Hier müssen sich die Menschen bewähren, oder sie scheitern eben. Wie schwierig gerade Ersteres ist, muss seine Phantasie beschäftigt und beflügelt haben, denn hier konnte er seine grosse Fabulierkunst entfalten. Da wird auf Messers Schneide geritten, im Holzpantoffel gesegelt, werden die unmöglichsten Güter transportiert, wird mit dem Hammer ein Mensch auf dem Amboss verdroschen, wird zugestochen, gemordet, getrunken und gefeiert, bis dass die Teufel mit ihren Fratzen sich die ewigen Sünder einfangen. Auch das berühmte «Heuwagen­Triptychon» aus dem Prado hat kein anderes Thema, nur dass hier im Mittelbild der Heuwagen als Symbol für Gold und Geld steht, von dem Arm und Reich, Bürgersmann und Edelmann, Kleriker und Bauer etwas abbekommen möchten. Die einen kommen angeritten, die anderen zu Fuss mit Leitern bewaffnet, der eine schneidet dem anderen die Kehle durch, während andere unter die Räder kommen. Keiner bemerkt, dass teuflische Mischwesen mit Fischkörpern und Affenköpfen den Wagen längst in Richtung Hölle ziehen, wo schon die Feuer lodern und an einer Art Turmgefängnis gebaut wird. Aber Bosch hatte auch eine eigene Vorstellung von der Auffahrt in den Himmel. In den vier Tafeln die «Visionen vom Jenseits» sind zwei der «Aufnahme der Seligen in den Himmel» gewidmet. Hier werden die für gut Befundenen schon auf der Erde von Engeln abgeholt, die ihnen den Weg http://www.nzz.ch/feuilleton/kunst_architektur/eine­stadt­und­ihr­maler­1.18709429

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durch die Wolken in das Dunkel zwischen Himmel und Erde zeigen, bis sich vor ihnen ein leicht erleuchteter Tunnel auftut, an dessen Ende sie in das ewige Licht eintauchen. Das ist eine Darstellung des Himmels, die es vorher in der Malerei noch nicht gegeben hat. «Jheronimus Bosch – Visionen eines Genies». Noordbrabants Museum in 's­ Hertogenbosch. Bis 8. Mai 2016. Anschliessend im Prado Madrid. Katalog € 24.99.Zum 500. Todestag sind auch verschiedene Publikationen erschienen. Der Taschen­Verlag hat unter dem Titel «Hieronymus Bosch – Das vollständige Werk» eine prachtvoll bebilderte Monografie von Stefan Fischer herausgebracht. Bei Schirmer/Mosel ist ein grafisch liebevoll gemachtes Bändchen erschienen, in dem Cees Nooteboom seine «Reisen zu Hieronymus Bosch» beschreibt.

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