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Im Gespräch mit Maßschneider Stephan Görner
MODE UND INDIVIDUALITÄT
(IR) In Zeiten von modischer Individualisierung, Nachhaltigkeitsdebatten und Dresscodes, die immer legerer werden, kann man sich mit maßgefertigter Kleidung wunderbar abgrenzen und ein Zeichen für Slow Fashion, also nachhaltige und bewusste Mode, setzen. Welche Aspekte noch für Maßkleidung sprechen, woran Sie einen guten Maßschneider erkennen und was sich in der Maßbekleidung seit der Pandemie verändert hat, erfahren Sie aus unserem Interview mit dem Frankfurter Maßschneider Stephan Görner.
Wie kamen Sie dazu, Maßschneider zu werden?
Stephan Görner: Gelernt komme ich aus dem Marketing. Ich bin kein ausgebildeter Maßschneider. Die technischen Kenntnisse, um Menschen zu vermessen und Maße richtig zu interpretieren, habe ich mir in den letzten fast 20 Jahren angeeignet.
Welche Gründe sprechen für Maßkleidung, insbesondere für Maßanzüge?
SG: Das vergleiche ich gerne mit Autos. Der süße Käfer während des Studiums war toll. Auf den heutigen schnittigen Dienst- oder Sportwagen will man trotzdem nicht mehr verzichten. Das soll heißen: Ein Stangenanzug kann einen Mann auch gut kleiden. Ein Maßanzug ist jedoch eine Mischung aus hochwertigen Stoffen, einer guten Passform und der Individualität seines Trägers, der sich diesen ja in puncto Farbe, Stoff, Futter, Knöpfe usw. selbst zusammenstellen kann und somit zum Teil seiner Persönlichkeit macht. Wer Maßanzüge trägt, kombiniert Qualität mit Individualität. Letztlich ist Mode auf Maß auch nachhaltig. Sie wird ausschließlich auf individuelle Bestellung gefertigt. Bei uns ausnahmslos aus englischen oder italienischen Stoffen in Europa. Große Kollektionen, die in großen Mengen nach der Saison auf Müllkippen in Afrika landen, sind somit ausgeschlossen.
Wer gehört zu Ihrer Zielgruppe?
SG: Das sind zu 90 % Männer, die meistens aktiv im Berufsleben stehen. Dazu kommen natürlich Herren, die heiraten möchten. Maßanzüge für Damen bieten wir ebenfalls an. Maßschneiderei ist jedoch schon aus der Historie eine Männerdomäne gewesen und wird es auch bleiben. Ein Maßanzug hat seinen Preis. Wie viel Geld sollte man in die Hand nehmen?
SG: Maßanzüge gibt es heutzutage in fast allen Preiskategorien. Grundsätzlich sollte der Preis für einen guten Maßanzug, der seinem Träger längerfristig Freude bereitet, bei ca. 800 Euro beginnen. Nach oben gibt es kaum Grenzen. Der Preis hängt auch vom Anteil der Handarbeit ab. Ein vollständig von Hand gefertigter Maßanzug kostet mindestens ca. 2.000 Euro.
Wie viel Zeit muss man für den gesamten Entstehungsprozess eines Maßanzugs einplanen?
SG: Die Produktionszeit dauert 4 bis 6 Wochen. Im Anschluss wird mindestens eine Anprobe durchgeführt. Minimum sollte der Kunde 6 bis 8 Wochen einplanen.
Woran erkenne ich einen guten (Maß-)Schneider?
SG: Auf den „ersten Blick“ ist das für Laien nicht ganz einfach. In unserer Branche verlassen sich viele Kunden auf Empfehlungen. Wer zum ersten Mal auf der Suche nach einem Maßanzug ist, dem empfehle ich die Recherche via Internet und im Anschluss den Besuch im jeweiligen Atelier zu einem ersten Gespräch. Hier kann man sich neben fachlichen Fragen nach Stoffen und Produktion, ähnlich wie beim Arzt oder Anwalt, auch ein wenig von seinem Bauchgefühl leiten lassen. Versteht der Anbieter, was Sie sich wünschen und vorstellen? Diese Fragen klärt man am besten in einem persönlichen Kennenlerngespräch.
Was hat sich seit der Coronapandemie in Ihrem Business geändert? Hat Maßkleidung noch einen gleich hohen Stellenwert wie vor der Krise oder geht der Trend weg von maßgeschneiderter Kleidung und mehr hin zum Casual Look?
SG: Zum Beginn von Corona wurde unsere Lebens- und Arbeitswelt teilweise auf den Kopf gestellt. So auch die Art wie wir uns kleiden. Dazu gehört sicherlich, dass der klassische Maßanzug etwas weniger getragen wird als vor Corona. Wobei diese Entwicklung nicht ganz neu ist. Sie hat ja schleichend bereits vor 10 Jahren eingesetzt. Jede gesellschaftliche Entwicklung hat aber auch immer eine Gegenentwicklung. Wir bemerken jetzt, nach zwei Jahren Corona, dass vor allem wieder junge Menschen gerne Anzüge tragen und sich mit schönen Stoffen und Schnitten ausstatten lassen. Das kommt auch daher, dass die meisten Menschen das Büro teilweise vermissen und auf Dauer nicht im Homeoffice arbeiten wollen. Aber auch wir haben uns dem gesellschaftlichen Trend angepasst und schneidern heute viele Casual-Produkte wie Jeans, Chinos, Pullover oder Casual-Sakkos auf Maß.