neuwal Ansichtssache (Petra Bernhardt, Andreas Pribersky)

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neuwal.com

Ansichtssache Petra Bernhardt und Andreas Pribersky

Visuelle Strategien zur Wahl


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neuwal Ansichtssache • Inhalt

Petra Bernhardt Andreas Pribersky

analysierten für neuwal.com aufwissenschaftlicher Ebene die Bilder und Themen des Wahlkampfs in Österreich und Deutschland 2013. Die beiden PolitikwissenschaftlerInnen forschen und lehren zu visueller Kommunikation und politischer Ikonographie an der Universität Wien und haben sich in Forschungsprojekten und Publikationen mit unterschiedlichen politischen Kampagnen aufnationaler und internationaler Ebene beschäftigt. Davon ausgehend analysieren sie in einer Reihe wöchentlicher Kommentare kampagnen- und länderübergreifende Motive des Wahlkampfs, mit denen PolitikerInnen und Parteien ihre visuellen Botschaften vermitteln und an Traditionen politischer Kommunikation anknüpfen. neuwal - Politik- und Wahljournal und Magazin für politische Kultur ist ein privates und unabhängiges Projekt zur Förderung der politischen Bildung und des Online Journalismus. Wir berichten seit 2008 mit derzeit mehr als 10 aktiven JournalisteInnen und BlogerInnen unparteiisch und unabhängig über politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen. Neben Aufklärung ist unser Ziel die Förderung des Dialogs zwischen Gesellschaft, Medien, und Politik. Neuwal ist ein offenes Magazin, das viel Raum für Ideen bietet. Es gibt – im Rahmen der demokratischen Gesinnung, der gesetzlichen Bestimmungen und es moralischen Anstands – keine inhaltlichen

Grenzen. neuwal veranstaltet regelmäßige interaktive Diskussionsrunden mit interessanten Gästen aus Politik und Gesellschaft zu aktuellen politischen Themen. Sind es themenbezogene Diskussionen zu tagespolitischen Themen auf der einen Seite, so sind es interaktive Dialoge mit neuen Initiativen, Parteien oder Bewegungen auf der anderen Seite

neuwal - Politik- und Wahljournal Verein zur Förderung der politischen Bildung und des Online Journalismus c/o HUB Vienna Lindengasse 56/2, 1070 Wien +43 676 4965959 info@neuwal.com neuwal.com

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neuwal wurde 2013 mit dem Dr.Karl-Renner-Preis für langjährige, hervorragende Leistungen im Online-Journalismus vom Österreichischen Journalisten Club einstimmig ausgezeichnet.

neuwal - Edition booklewal Redaktion: Dieter Zirnig Ausgabe 1.00 (23.12.2013)


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neuwal Ansichtssache • Inhalt

Inhalt

Portrait: Mutti, Manager und Steuermann Metaphern: Landschaft, Zukunft, WIR-Gefühl Humor und Pathos: Tiere, Heiland, Pappfiguren WählerInnen: WIR! SIE! UND DU? Wahlplakate: das Erzählen von Bildgeschichten

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neuwal Ansichtssache • Portrait: Mutti, Manager und Steuermann

Portrait: Mutti, Manager und Steuermann

Der Beginn des österreichischen Nationalratswahlkampfs wurde von der Mehrzahl der wahlwerbenden Parlamentsparteien mit Plakaten eröffnet, die ein Portrait ihrer SpitzenkandidatInnen präsentieren. Ihr Anblick im öffentlichen Raum zu Wahlkampfzeiten in Verbindung mit der ohnehin tragenden Rolle in den Kampagnen ist so gewöhnlich wie beiläufig. Doch gerade diese beiläufige, in der angebotenen Dichte aber kaum vermeidbare Wahrnehmung der SpitzenkandidatInnen legt die Frage nahe, was der RückgriffaufPortraits – ein konventionelles Genre der Personendarstellung – und die Inszenierung von PolitikerInnenimages über eine zeitweilige Erhöhung des Bekanntheitsgrades der Porträtierten hinaus an politischen Botschaften übermittelt.

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Seit Jahrhunderten gibt es über die Darstellung politischer Persönlichkeiten Bedeutungen kund und transportiert die unterschiedlichsten Botschaften – von staatstragend bis volksnah, von überlegt bis kämpferisch. In den aktuellen Wahlkämpfen zum deutschen Bundestag und zum österreichischen Nationalrat kommen Portraits zum Einsatz, die in Verbindung mit Slogans visuelle Geschichten erzählen.

Diese Geschichten greifen häufig auf einen Traditionsbestand politischer Bildlichkeit zurück, der vor allem im fraktions- und länderübergreifenden Vergleich von Kampagnen sichtbar wird. Die zeitliche Nähe der Wahlkämpfe in Österreich und Deutschland, aber auch ihre inhaltlichen Parallelen legen einen derartigen Vergleich nahe. In beiden Ländern folgt die Das Portrait ist das bedeutendste Plakatwerbung der Parteien einer Bildgenre der traditionellen bestimmten Dramaturgie und wird politischen Kommunikation. in mehreren Serien affichiert. Das


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So verzichtete beispielsweise die SPD auf den ersten großflächigen Plakaten darauf, ihren Spitzenkandidaten Peer Steinbrück abzubilden, um stattdessen die Themen Mindestlohn, Altersarmut, Mietpreise oder Kinderbetreuung zu lancieren. Mit Themen wie Familien, Generationengerechtigkeit und Arbeit bediente die CDU eine ähnliche Strategie: Auf das Konterfei der Spitzenkandidatin Angela Merkel wurde ebenfalls weitgehend verzichtet. Umso erstaunlicher ist es, dass das Gesicht der Bundeskanzlerin trotzdem die Plakatflächen in ganz Deutschland dominiert.

Denn es sind die Oppositionsparteien SPD und Grüne, die die Kanzlerin und etliche ihrer Kabinettsmitglieder im Rahmen einer Negativkampagne zeigen. Die SPD lässt Merkel etwa in einer Handtasche wühlen, begleitet von der Frage, ob „Privatsphäre“ für sie „Neuland“ sei. Auch die Grünen setzen in ihrer ersten Plakatstaffel auf Schwarz-Weiß-Bilder der Kanzlerin und ihres Teams, die mit launigen Kommentaren – etwa dem Verweis auf die Zerstrittenheit der Koalition – unterlegt sind. Wie riskant die Darstellung eines dominierenden Spitzenpolitikers durch die KonkurrentInnen sein kann, haben Plakate der Wiener ÖVP mit einem karikierenden Portrait des SP-Bürgermeisters Michael Häupl bei den vergangenen Landtagswahlen gezeigt. Einzig auf kleineren Postern wird die Kandidatin der CDU bereits in der ersten Plakatserie präsentiert. Begleitet vom Kampagnenslogan „Gemeinsam erfolgreich“ sieht man

Wahlplakat SPD, 2013 Quelle: spd.de

Wahlplakat Die Grünen Deutschlands, 2013 Quelle: abwaehlkalender.de/

gibt den Parteien die Möglichkeit, zunächst einmal Themen zu setzen und Claims abzustecken, bevor die KandidatInnen in einer zweiten oder dritten Serie stärker in Szene gesetzt werden. Das Gesicht der Anderen


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Merkel in einer Gruppe von Menschen, einem Gesprächspartner mit interessierter Freundlichkeit zugewandt. Diese Strategie wird auch im Rahmen einer CDUBroschüre verfolgt, in der Merkel biografische Notizen mit ungewohnt offenen Einblicken in ihr Privatleben verbindet. Die erste Phase des deutschen Wahlkampfs wird also vom Gesicht der amtierenden Kanzlerin dominiert, die mit hohen Bekanntheits- und Popularitätswerten – Spitzname: „Mutti der Nation“ – ins Rennen geht. Die dramaturgische Abfolge von Themen- und Personenplakaten wurde aber nicht nur mit dem Konterfei Angela Merkels

Wahlplakat CDU, 2013 Quelle: cdu.de

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durchbrochen. Auch in Österreich folgten unter anderem die SPÖ und das Team Stronach – letzteres mangels anderer Inhalte? – dieser Strategie. Die Spitzenkandidaten der beiden Parteien, Werner Faymann und Frank Stronach, wurden zum Kampagnenstart auf unterschiedliche Weise mit dem Image eines Staatsmannes präsentiert. Grafisch knüpft die ersten Plakatserie des Teams Stronach an ein Portrait Angela Merkels aus dem Wahlkampf des Jahres 2009 an: zwei perspektivische Brustbilder in Leserichtung mit jeweils markanter Haltung vor dunklem Hintergrund, der einem weißen Schriftzug als Kontrast dient. Das mag auf den ersten Blick verwundern, denn die Positionen der beiden könnte in den jeweiligen Wahlgängen nicht unterschiedlicher sein: Merkel ist 2009 als Kanzlerin zur Wiederwahl angetreten – mit dem Ziel, eine neue Mehrheit für die derzeit regierende Koalition von CDU und FDP zu erringen. Während der Slogan ihre Funktion unterstreicht, dienen die Pose im Bild und die für sie charakteristisch gewordene Handhaltung – so ist etwa auf dem Cover einer jüngst erschienen Biografie der Kanzlerin nur diese Haltung ihrer Hände abgebildet – zur Vermittlung von Individualität und damit zur Herstellung eines „personal touch“, der sowohl die Funktion mit der Aura der


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Persönlichkeit versehen, wie auch wie als Symbol der Macht in das die Person in erreichbare Nähe politische Portrait integrieren. Hier rücken soll. geht es freilich um einen Transfer, nämlich den ökonomischer Macht in politische. Damit wird ein Manager mit Machtattributen zentrales Motiv der Kampagne nicht nur in die erste Plakatstaffel Frank Stronachs Pose des aufgenommen, auch der offizielle zupackenden Managers wurde Wahlkampfspot der Partei, der am bereits von Stefan Bachleitner im 23. August in der Wiener Hofburg Rahmen der Reihe „Bild. Macht. präsentiert wurde, wiederholt dieses Politik“ beschrieben. Seine Haltung Motiv. Im Spot werden Aufnahmen vermittelt darüber hinaus jedoch Frank Stronachs in derselben noch eine weitere Bedeutung: es ist Kulisse sowie Aufnahmen die Position des Zuhörers im arbeitender Menschen und Gespräch, mit der hier ebenfalls FluthelferInnen als gute, produktive Nähe – und womöglich auch eine Form der Macht präsentiert, um sie Imagekorrektur – erreicht werden jener politischen Macht sollen. Die Manager-Pose wird entgegenzusetzen, die „hinter durch die verschwommene verschlossenen Türen unsere Silhouette einer Halle des Zukunft verspielt“. Die Wahl der Pferdesportparks Magna Racino im Hofburg als Veranstaltungsort des Hintergrund unterstützt. Die Wahlkampfauftakts soll die Andeutung des Gebäudes im Eroberung dieser Machtzentren Bildhintergrund folgt einem symbolisch vorwegnehmen. Dass traditionellen Motiv in die Inszenierung des Herrscherdarstellungen, die Burg Schlussmoments dieser oder Schloss gleichermaßen als Ort Veranstaltung – gemeinsames

Wahlplakat Team Stronach, 2013 Quelle: teamstronach.at

Wahlplakat CDU, 2013 Quelle: cdu.de


neuwal Ansichtssache • Portrait: Mutti, Manager und Steuermann

Singen und Händehalten der ProtagonistInnen auf der Bühne – dann auch noch eine Kampagne Berlusconis zitiert, ist nur ein weiterer Hinweis auf die Wiederholung des Narratives eines vermeintlich wohltätigen, jedenfalls erfolgreichen Wirtschaftsbosses, der sich dem Gemeinwohl widmet und sich deshalb als Politiker zur Wahl stellt. Steuermann, Staatsmann, Parteiführer

Die Präsentation des amtierenden österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann – wiewohl durch die zentrale Metapher des Steuermannes ebenfalls als Regierungsspitze angesprochen – folgt anderen Traditionen des politischen Portraits. Allein die Integration der Nationalfarben in die Kleidung durch die rot-weißrote Krawatte, die auch in die gesamte Farbgebung der Plakate der beiden bisher affichierten

Wahlplakat SPÖ, 2013 Quelle: spoe.at

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Plakatserien aufgegriffen wurden, weist deren Träger (in Abwandlung der Schärpe republikanischer Amtsträger) als Repräsentanten von Staat oder Nation aus: repräsentativ sind auch die Haltungen, die Faymann in den Portraits der ersten wie der zweiten Plakatstaffel einnimmt. Während „Stürmische Zeiten“ eine traditionelle Form des Staatsportraits benutzt – der Körper im Halbprofil wird mit einer Gesichtsdarstellung en face kombiniert – veranschaulicht die erhobene Hand des Portraits der zweiten Staffel eine Richtungsangabe politischer Führung, die ihre zeitgenössische Bekanntheit wohl der vielfachen Darstellung in Lenin-Statuen verdankt, obwohl sie bereits davor der Symbolik militärischer Führung – etwa in einer verbreiteten Reiterstatue des römischen Kaisers Marc Aurel – gedient hat. Auch die Wahl eines von der Person losgelösten Bildhintergrunds, in den


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die Portraits montiert werden, entspricht einer Tradition der Darstellung bedeutender Amtsträger im 20. Jahrhundert, die in Österreich etwa durch die offiziellen Portraits der jeweiligen Bundespräsidenten in öffentlichen Gebäuden präsent ist.

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Crew beim Segeln auf dem Neusiedlersee zeigt. Mit dieser Aufnahme wird nicht bloß das Bild des Staatsmannes und Parteiführers etwas sommerlich aufgelockert, es wird damit auch die Textmetapher vom Steuermann in „Stürmische Zeiten“ erstmals in der Kampagne sichtbar gemacht; ob der Griff des Im Unterschied zu Merkel oder Vorschoters ans Ruder diesen Stronach finden BetrachterInnen in Zwecken besonders dienlich ist, soll den Plakatdarstellungen Faymanns dahingestellt bleiben. zudem keinen persönlichen Anhaltspunkt: der Portraitierte Ein vergleichender Blick auf die scheint ganz in seinen Rollen Portraits und Images von Faymann aufzugehen, wobei Farbwahl und und Merkel, deren Darstellung in Text des ersten Plakats jene des der laufenden Kampagne von einer Kanzlers, die Geste und das rote ausführlichen Präsentation ihrer Flaggentuch im Hintergrund des Biografien in den verschiedensten zweiten die des Parteiführers Bild- und Textmedien begleitet betonen. Die Kampagne variiert wird, macht vor allem Differenzen damit jene beiden beinahe sichtbar: während es in der identische Portraits Werner Darstellung Angela Merkels vor Faymanns, mit denen 2008 für den allem darum geht, die Distanz zu damaligen Kanzlerkandidaten einer führenden Spitzenpolitikerin geworben wurde. durch die Präsentation persönlicher Elemente für potentielle WählerNachdem 2008 der in der Innen zu überbrücken, setzt die auf Bundespolitik neue Kandidat und Faymann als Spitzenkandidat Wiener Stadtrat auch mithilfe fokussierte SP-Kampagne – auch dieser Darstellung zu einem die Themenplakate der zweiten Staatsmann werden sollte, erscheint Staffel legen mit ihrer Übernahme das bisherige Fehlen jeder desselben Bildhintergrunds eine persönlichen Komponente auch in Verbindung mit dem Portrait nahe der aktuellen Plakatkampagne – – den Akzent aufeine Festigung der noch dazu im zeitlichen Rahmen Identität von Person und politieines im Hochsommer geführten schen Funktionen wie Inhalten. Wahlkampfes – überraschend. Dem haftet etwas Paradoxes an, Nachgereicht wurde eine wenn man sich vergegenwärtigt, persönliche Komponente jüngst in dass die von der Faymanneinem Pressefoto, das Faymann mit Kampagne benutzten Konven-


neuwal Ansichtssache • Portrait: Mutti, Manager und Steuermann

tionen des Staatsportraits traditionell eher in der Darstellung konservativer AmtsinhaberInnen Verwendung finden. Nachdem dieser Befund auch für die Metapher des Steuermanns gilt und der aktuelle Wahlkampf in Österreich ein Überangebot an Textund Bildmetaphern bereitstellt (z.B. Natur, Tiere, Nächstenliebe), wird sich der nächste Beitrag mit politischen Metaphern in den aktuellen Wahlauseinadersetzungen beschäftigen.

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neuwal Ansichtssache • Metaphern: Landschaft, Zukunft, WIR-Gefühl

Metaphern: Landschaft, Zukunft, WIR-Gefühl

Ist es die Flucht vor einer Festlegung bei tagespolitischen Themen, der von BeraterInnen immer wieder empfohlene Versuch, dadurch ja keine potentiellen WählerInnen zu vertreiben, oder wird tatsächlich eine über die Aktualitäten hinausgehende Dimension politischer Orientierung angeboten? Was immer davon zutreffen mag, die Anzahl und Vielfalt der metaphorischen Slogans und Sujets in den laufenden österreichischen Nationalratswahlkampagnen ist – gerade auch im Vergleich zum deutschen Bundestagswahlkampf – auffallend. Schon die sprachliche Rahmung des Wahlkampfes ist von Metaphern und Sprachbildern geprägt. So treffen die KandidatInnen etwa in der Wahlarena zu einem TV-Duell aufeinander, um sich eine Wahlschlacht zu liefern. Metaphern und Sprachbilder zählen zu den wichtigsten Ausdrucksmitteln

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politischer Kommunikation. Mit ihnen werden komplexe politische Sachverhalte und Botschaften in alltagsnahe Bilder übersetzt. Das Versprechen einfacher Verständlichkeit macht metaphorische Sprache vor allem für den politischen Wettbewerb vor Wahlen interessant. Darüber hinaus werden in ihrer Analyse Traditionslinien und Muster sichtbar, die die politische Kultur eines Landes prägen. Österreich: Staatsschiff Landschaft?

oder

Der in der ersten #ansichtssache gezeigte Kampagnenstart der SPÖ mit dem Portrait des amtierenden Bundeskanzlers stellt diesen mit der Metapher des Steuermann der Republik, ohne eine entsprechende Abbildung, mittels der Textmetapher der sicheren Hand in stürmischen Zeiten vor, die von Werner Faymann selbst sowie von


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RepräsentantInnen der SPÖ während des Wahlkampfs seither auch immer wieder angesprochen wird. Das der Metapher zugrunde liegende Bild des Staates als Schiff ist eine der ältesten gebräuchlichen Staats-Metaphern, die sich bis in die Antike zurückverfolgen lässt; sie wurde wohl ausgehend von jenen Staatsschiffen formuliert, die etwa die Pharaonen, aber auch Ludwig XIV. zur Gestaltung eines feierlichen Einzugs bei offiziellen Reisen außerhalb ihrer Residenzen nutzten, um ihre Präsenz der politischen Führungsrolle entsprechend sichtbar zu machen. Die Metaphorik von Staatsschiff und Steuermann setzt also die

Wahlplakat Ignaz Seipl/ÖVP, 1923 Quelle: oeaw.ac.at

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Differenz zwischen politischer Führung und den „Geführten“ in Szene, sie formuliert die Aufforderung, das Ruder einem einzelnen zu überlassen und wird deshalb in der Regel eher zur Charakterisierung konservativer politischer Persönlichkeiten verwendet. So war etwa für den langjährigen Reichskanzler Otto von Bismarck die Bezeichnung und Darstellung als Lotse des Wilhelminischen Deutschen Kaiserreichs verbreitet. Auch in Österreich hat im 20. Jahrhundert die Figur des Steuermanns bereits einmal eine prominente Rolle im Wahlkampf eines konservativen Politikers gespielt: in den Nationalratswahlen


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des Jahres 1923, in denen der katholische Prälat Ignaz Seipel als amtierender Bundeskanzler kandidierte, wurde er von der Christlichsozialen Partei am Ruder des Staatsschiffes plakatiert. Dieses Wahlplakat der Christlichsozialen, das auch die Gefahren des Sturmes und eines Schiffbruchs als stets präsentes Bedrohungsszenario zeigt, verdeutlicht einen Rollenwechsel der Parteien, wie er seither in Österreich stattgefunden hat. War es damals die Vorläufer-Partei der ÖVP, die sich in der Rolle als Staatspartei im Gegensatz zu einer „Roten Gefahr“ inszenierte, so ist es im aktuellen Wahlkampf die SPÖ, die sich als staatstragende Partei zeigt und das Partei-Rot ihrer Wahlplakate heute als integralen Teil der Nationalfarben erscheinen lässt.

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Wahlkampagne das Image der Staatspartei für sich beansprucht, steht die ÖVP als Konkurrentin um die Kanzlerposition und damit um dieses Image vor der Frage, wie ein Anspruch auf den Platz der Staatspartei in anderer Form sichtbar gemacht werden könnte: die erste Staffel von Großplakaten mit Landschaftsfotografien, mit der die ÖVP in den Wahlkampf gestartet ist, stellt den Versuch einer Antwort daraufdar.

Nachdem die SPÖ sowohl mit der Funktion und Rolle des amtierenden Kanzlers, als auch in der Umsetzung in ihrer

Das Besetzen der Landschaft mit politischen Herrschaftssymbolen und umgekehrt der Transfer landschaftlicher Charakteristika in die politische Symbolik ist ein ebenso traditioneller Teil der Darstellung von Nation oder Staat wie das Staatsschiff. Schöne Landschaften sind, wie Stefan Bachleitner in seinem Kommentar zu besagter ÖVP-Plakatwelle analysiert hat, eine zentrale Referenz der ÖsterreicherInnen zur Beschreibung ihrer Identität, die in

Wahlplakat ÖVP, 2013 Quelle: oevp.at

Wahlplakat ÖVP, 2013 Quelle: oevp.at


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allen diesbezüglichen Umfragen der vergangenen Jahrzehnte einen Spitzenplatz einnimmt. Die Verwendung typischer oder stilisierter Landschaften als Sujets politischer Kampagnen hat deshalb auch in der Zweiten Republik eine parteiübergreifende Tradition, die – hier willkürlich anhand von zwei Beispielen aus den Jahren 1990 und 2006 illustriert – auch in zurückliegenden Kampagnen für die Spitzenkandidaten bei den Nationalratswahlen immer wieder Verwendung gefunden hat.

Spitzenkandidaten gelegt wurde. Der Vergleich mit der VranitzkyKampagne macht aber auch deutlich, dass die unterschiedliche Auswahl von Landschaftsbildern durchaus zum Sichtbarmachen politischer Differenzen dient: während Wiese und Baum vor blauem Sommerhimmel als Abstraktion die gesamte landschaftliche Vielfalt Österreichs repräsentieren sollen, fällt die Wahl der ÖVP nicht zufällig immer wieder auf alpine Landschaften, mit denen jene Bundesländer identifizierbar werden sollen, in So weist etwa die Kampagne für denen die ÖVP traditionell über Franz Vranitzky als SPÖ- politische Mehrheiten verfügt. Spitzenkandidat und amtierender Bundeskanzler in den Nationalratswahlen 1990 gewisse Deutschland: WIR gemeinsam? Parallelen zur laufenden ÖVPKampagne auf: die erste Staffel Im deutschen Bundestagswährend des Sommers nutzte wahlkampf geht die Besetzung des bereits denselben landschaftlichen symbolischen Inventars von Staat Hintergrund für Themenplakate und Nation in eine andere und Urlaubswünsche, vor dem dann Richtung. Sowohl SPD als auch in der zweiten Staffel der Fokus CDU setzten in ihren ersten durch Portrait und Text auf den Plakatwellen weder auf eine

Wahlplakat Franz Vranitzky/SPÖ

Wahlplakat Wolfgang Schüssel/ÖVP


neuwal Ansichtssache • Metaphern: Landschaft, Zukunft, WIR-Gefühl

Verwendung von Staatsmetaphern, noch auf eine symbolische Besetzung deutscher Landschaften. Zum dominanten Motiv der ersten Themenplakate wurden die AdressatInnen von Politik, also jene Menschen, an die sich das politische Handeln richtet und die zur Wahl aufgerufen sind. Sowohl SPD als auch CDU bedienten sich dabei der sprachlichen Strategie einer imaginären Gemeinsacht, die durch die Begriffe „WIR“ bzw. „Gemeinsam“ aufgerufen wird. Die personelle Ausgestaltung dieses vorgestellten Kollektivs erfolgt durch die Auswahl bestimmter Zielgruppen – z.B. die alleinerziehende Mutter, das Rentnerpaar, die Kleinfamilie – die auf den Plakaten der ersten Staffel zu sehen sind. Die Auswahl der Akteurinnen und Akteure auf den Plakaten und ihre Darstellung sorgte in Deutschland für mediale Häme, auf die wir in einer späteren

Wahlplakat CDU, 2013 Quelle: cdu.de

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#ansichtssache noch näher eingehen werden. Die CDU inszeniert ihre Spitzenkandidatin Angela Merkel auf den Plakaten als Gesprächspartnerin bzw. Zuhörerin. Im Gegensatz zur ersten Plakatwelle, wo Merkel nur auf kleinformatigen Postern ihrer Partei in einer Gruppe von Menschen zu sehen war, rücken ihre GesprächspartnerInnen in den großformatigen Plakaten der zweiten Welle deutlich an den Rand bzw. in den Bildhintergrund und sind nur noch schemenhaft in angeschnittener Form erkennbar. Merkel dominiert die Plakate, auch wenn sie im Unterschied zu ihrem Kontrahenten Peer Steinbrück nicht alleine abgebildet wird. Im Gegensatz zu ihrem Amtskollegen Werner Faymann wird ihr Machtanspruch nicht durch eine bedeutungsvolle Geste mit sicherer Hand sichtbar, sondern

Wahlplakat SPD, 2013 Quelle: spd.de


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teilt sich im Zusammenspiel von Bild und Text mit. Das erste Plakat zeigt Merkel in Ausübung ihres politischen Amtes, aus dem sich die Stärke Deutschlands, die im Slogan deklariert wird, ergibt. Offenbar wurde gerade eine Sitzung unterbrochen oder beendet, sodass Merkel sich den anderen zuwenden kann. Im zweiten Plakat sieht man Merkel in entspannter Atmosphäre auf einer Terrasse oder in einem Garten, wiederum in ein Gespräch vertieft. Das „Innen“ und „Außen“ politischer Repräsentation, das auf der Bildebene vermittelt wird, konkretisiert sich in den Slogans als starkes Deutschland, das als Ganzes im Blick behalten wird. Repräsentiert wird dieses Versprechen durch die Kanzlerin, die den gemeinsamen Erfolg als prima inter pares garantiert. Damit wird eine Metapher als Fluchtpunkt ihrer Politik eingezogen, die auch im Wahlkampf der ÖVP von Bedeutung ist: die Zukunft.

Wahlplakat ÖVP, 2013 Quelle: oevp.at

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Zurück in die Zukunft?

Der zentrale Slogan „Willkommen Zukunft“ wird bereits in der Sommerkampagne der ÖVP durch entsprechende Bild-TextKombinationen vorweggenommen – etwa durch eine schwangere Frau und den Begleittext „Matura 2031“ oder durch ein Kind beim Spielen mit Bausteinen, das als „Bauherr 2039“ vorgestellt wird. Auch in der ersten Plakatwelle der Kampagne, die visuell auf die beschriebenen Panoramaaufnahmen setzt, bleibt die Zukunft als Thema präsent. Symbolisch wird sie durch die aufgehende Sonne über Stadt und Land ins Bild gesetzt, die als Motiv traditionell eher der sozialistischen Ikonographie zugerechnet werden kann. Das Image, das die ÖVP auf der Bildebene der beiden Plakatstaffeln zu vermitteln versucht, ist offenbar das einer Verankerung bei Land und Leuten Österreichs. Dieses Image soll in einem Spannungsverhältnis mit der Zukunftsorientierung der Plakat-


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und Kampagneslogans – „Weltoffene“, „Entdecker“, „Optimisten“, etc. – die Perspektive einer Modernisierung unter Wahrung des Traditionellen vermitteln.

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nicht als Akteur zukunftsgeleiteter Politik aus, sondern präsentieren ihn vielmehr als jemanden, der der Zukunft sprichwörtlich nur „die Tür aufhält“.

In der zweiten Plakatwelle ist Michael Spindelegger mit den AdressatInnen seiner Politik zu sehen – Kinder, junge Menschen, eine Pensionistin, etc. – für die er sich mit dem Slogan als Kanzler präsentiert. Auf dem KandidatenPlakat rückt der Willkommensgruß an die Zukunft unter dem Namenszug als Botschaft ins Zentrum. Spindelegger heißt die Zukunft Willkommen. Doch im Gegensatz zu Angela Merkel weisen ihn Bild und Text der Kampagne

Sowohl in Österreich als auch in Deutschland erfolgt die symbolische Besetzung des Inventars von Staat und Nation in der Regel durch die traditionellen Regierungsparteien. Um in diesem sprachlichen und bildlichen Repertoire einen Platz zu finden und Aufmerksamkeit zu erregen, sind die Oppositions- und Kleinparteien auf die Herstellung einer Differenz angewiesen. Als mögliche Optionen bieten sich Humor und Pathos an, um die es in der nächsten #ansichtssache gehen

Wahlplakat Michael Spindelegger/ÖVP, 2013 Quelle: oevp.at

Wahlplakat Michael Spindelegger/ÖVP, 2013 Quelle: oevp.at


neuwal Ansichtssache • Humor und Pathos: Tiere, Heiland, Pappfiguren

Humor und Pathos: Tiere, Heiland, Pappfiguren

IBei der Gestaltung der Plakate für den laufenden Nationalratswahlkampf haben sich die beiden österreichischen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP besonders ausgiebig im Inventar traditioneller Staatsund Nationalsymboliken bedient und damit den symbolischen Rahmen für die Darstellung politischer Differenzen abgesteckt. Allein durch die breite Streuung der Plakate dürften die Portraits der Spitzenkandidaten von SPÖ und ÖVP damit etwa jenem mit vergleichbaren Stilmitteln gestalteten Portrait des BZÖSpitzenkandidaten Josef Bucher einiges von seiner Wahrnehmbarkeit entziehen. Der in einem Plakat und Spot der NEOS daraus gezogene Schluss, dass diese beiden den öffentlichen Raum und die Berichterstattung beherrschenden Figuren erst einmal aus dem Blickfeld gebracht werden müssten, um Platz für politische Alternativen zu schaffen, hat

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deshalb einiges für sich. Auf dem Plakat der NEOS werden Werner Faymann und Michael Spindelegger deshalb auch als farblose Pappfiguren sprichwörtlich „hinausgetragen“. NEOS ist aber nicht die einzige Partei, die sich bei der Gestaltung ihrer Plakate in Ironie übt. Auch die Grünen haben in ihrer Kampagne versucht, mit für die politische Werbung unkonventionellen Plakaten Aufmerksamkeit zu erregen. Thematisch setzen sich die Grünen dabei sowohl in Österreich als auch in Deutschland mit den amtierenden Regierungen auseinander. Während die deutschen Grünen dem politischen Gegner bereits im Rahmen der ersten Plakatstaffel ein Gesicht gegeben haben – nämlich das von Angela Merkel und ihrem Regierungsteam – wird das Gegenüber in den Plakaten der österreichische Grünen über Slogans angesprochen: „Wer einmal stiehlt, den wählt man


neuwal Ansichtssache • Humor und Pathos: Tiere, Heiland, Pappfiguren

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nicht“, Rot-Schwarz: genug Löwe als beliebtes Symbol- und gestritten“ und „Weniger belämmert Wappentier, dessen Stärke und als die anderen“. Anmut zur metaphorischen Überhöhung von Herrschenden llustriert werden diese drei Slogans herangezogen wurde. Die der ersten Plakatwelle mit einem Verwendung tierischer Schimpansen, einem Marienkäfer Darstellungen kann aber auch der und einem Lamm. Wenngleich der Kritik oder Herabwürdigung eines Tiervergleich auf Wahlplakaten politischen Gegners dienen – etwa eher untypisch ist und einen Bruch wenn es um Arglist geht, die als mit gängigeren Genres wie dem Eigenschaft traditionell dem Affen Portrait darstellt, gehört er zum zugeschrieben wird. Kernbestand politischer Bildlichkeit. Die wichtigste Funktion von Die deutschen Grünen entscheiden Tierdarstellungen liegt in der sich im Rahmen eines Spots mit Übertragung positiver oder dem Titel „Neues aus dem schwarznegativer Attribute auf politische gelben Tierreich“ ebenfalls für einen Persönlichkeiten, die dem Tiervergleich, indem sie die jeweiligen Tier symbolgeschichtlich Eigenschaften der gemeinen zugeordnet werden. So gilt etwa der Schnecke Gastropoda – beschrieben

Wahlplakat NEOS (Matthias Strolz und Angelika Mlinar), 2013 Quelle: neos.eu


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als ein gemächliches Kriechtier mit fehlendem Rückgrat und Fühlern, die sich nach dem Wind drehen – auf die Koalition übertragen und auf die Möglichkeit hinweisen, die „Schneckenplage“ durch die Wahl im September loszuwerden. Im Spot wechseln sich Aufnahmen von Schnecken mit jenen der Regierung ab. Begleitet werden die Bilder von doppeldeutigen Anspielungen: „Wie so häufig bei Zwitterwesen beobachten wir hier eine ausgeprägte Vetternwirtschaft, bei der die Alphatiere ihre Beute ausschließlich mit Familie und engen Freunden teilen.“ Die zitierte „Vetternwirtschaft“ wird in ihrer österreichischen Variante als „Freunderlwirtschaft“ auch zu einem Thema der zweiten grünen Plakatwelle und dem Slogan „Wirtschaft geht auch ohne Freunderl“.

den Rücken gedrehten Marienkäfer abstrahieren, bringen die deutschen Grünen ihren politischen Gegner konkret ins Bild. Bei der metaphorischen Verwendung von Tierbildern geht es beiden Parteien darum, die Kritik am politischen Gegner durch die Sichtbarkeit im Tierbild deutlicher zu machen, als sie etwa in einer Beschränkung auf regierungskritische Textelemente wird, wie sie die FPÖ gewöhnlich und auch in diesem Wahlkampf für einen Teil ihrer Kampagne als Slogans formuliert hat. Es bleibt freilich eine Frage, wie verbindlich oder verbreitet das kulturelle Wissen um die den Tiersymbolen beigegeben Eigenschaften ist, das durch ihre Darstellung die im Text vermittelten Deutungen unterstützen soll.

Wahlplakat Die Grünen Österreich, 2013 Quelle: gruene.at

Wahlplakat Die Grünen Deutschland, 2013 Quelle: abwahlkalender.de

Die FPÖ, die in einer Reihe von Wahlkämpfen eine Tradition Während die österreichischen weitaus aggressiverer Sprachbilder Grünen den Streit in der rot- in Reimform entwickelt hat, um die schwarzen Koalition mit einem auf politischen GegnerInnen dem Spott


neuwal Ansichtssache • Humor und Pathos: Tiere, Heiland, Pappfiguren

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preiszugeben, hat in diesem „Liebe deine Nächsten“ – die Wahlkampf ein anderes Konzept Wahlkampfveranstaltungen werden gewählt. ebenfalls mit dem Aufruf „Komm zur Nächstenliebe Tour“ beworben – wird dabei in der zweiten Staffel, Pathos als politischer Ausdruck die ausschließlich unter diesem Slogan steht, auch in den Sujets der Pathetische Momente sind ein Abbildungen vorgestellt, die sich selbstverständlicher Teil des etwa unter dem Titel „H.C. Strache politischen Protokolls (zum Beispiel hautnah“ zusammenfassen ließen: bei Staatsbesuchen) oder von der Spitzenkandidat in engem politischen Ritualen, wie sie etwa in Blickkontakt, einem tête-à-tête mit der besonderen Haltung beim einer jungen, im zweiten Sujet gar Spielen oder Singen von Hymnen der Berührung einer älteren Dame. zum Ausdruck kommen. Diese Momente sind im wesentlichen auf Eine Darstellung von politische AmtsträgerInnen unmittelbarem Blick- oder Körperfokussiert, sie stehen also kontakt ist der politischen Werbung RegierungspolitikerInnen in der in der Regel fremd. Es ist daher Regel in größerem Maße zur nicht verwunderlich, dass die FPÖVerfügung als der Opposition. Soll Sujets in zahlreichen Kommentaren das Pathos für die Präsentation der Befremden ausgelöst haben. Doch politischen Anliegen und Inhalte auch die FPÖ-Kampagne greift von Oppositionsparteien oder damit auf Traditionen der -bewegungen genutzt werden, so Herrschafts-darstellung zurück: erfordert dies meist die Berufung traditionellerweise ist es freilich der auf eine noch über dem Staat Herrscher, der durch seine stehende, höhere (moralische) Berührung die ihm aufgrund seines Instanz, wie sie etwa aus einer Amtes innewohnenden metaEntgegensetzung von Nation oder physischen Kräfte mit einem Religion und Staat abgeleitet Gegenüber teilt. werden kann. Diese Idee findet sich beispielsweise Mit einer derartigen im Glauben an die Heilkräfte des metaphorischen Pathosformel als Amtsträgers, wie sie etwa noch für Kampagne-Slogan in Form der die jüngst erfolgte Seligsprechung „Nächstenliebe“ hat diesmal die des letzten Habsburger-Kaisers Karl FPÖ die Öffentlichkeit – und wohl von ent-scheidender Bedeutung am meisten ihr Stammpublikum – waren. Restbestände dieser Überverblüfft. Das offenbar die gesamte zeugung sind auch noch bei Kampagne übergreifende Bibelzitat festlichen Begegnungen von


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SpitzenpolitikerInnen mit der Bevölkerung in der Berührung ausgewählter Kinder zu sehen, die letzteren „Glück und Segen“ bringen sollte. Ein postmoderner Leviathan der Wahlwerbung?

Die Umkehr dieser Berührung ist ein Ergebnis neuzeitlicher Säkularisierung, in deren Folge die politische Führungsspitze als Verkörperung der Nation dargestellt werden kann. Diese Verbindung, die etwa in der – am Beispiel von Werner Faymanns Krawatte hier bereits beschriebenen –

Wahlplakat Heinz Christian Strache/FPÖ, 2013 Quelle: fpoe.at

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Verwendung der Nationalfarben als Teil der physischen Präsenz ihrer RepräsentantInnen zum Ausdruck kommen kann, wird auch in der Figur des Leviathan als symbolische Repräsentation des modernen Staates durch die Zusammensetzung von dessen Körper aus den Silhouetten der tragenden Gruppen des Staates (siehe das Frontispiz von Thomas Hobbes Leviathan, z.B. bei spamula.net und in der Folge von Personen aus dem Volk oder BürgerInnen der Nation vorgestellt. Die Berührung des Spitzenkandidaten durch eine Unbekannte – stellvertretend für das Gegenüber der Regierenden – soll hier also den Anspruch der Kampagne auf die


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genuine Vertretung der nationalen Interessen durch die FPÖ und ihren Spitzenkandidaten deutlich machen. Nicht bloß die kaum überbrückbare Differenz zwischen dem christlichen Gebot der Nächstenliebe und der gewählten visuellen Darstellung des (früh)modernen Nationalstaatsgedankens lassen Zweifel an der Wirksamkeit der Sujets aufkommen, auch die grafische Beschränkung des Slogans auf einen Kreisausschnitt der derzeit affichierten dritten Plakatstaffel – die wieder einen der in vorhergehenden Wahlkämpfen bewährten Anti-Regierungs-Reime zum Slogan hat – durch die FPÖ selbst scheint deren Überzeugung von der Wirksamkeit der Nächstenliebe als höhere Bestimmung ihrer Parteipolitik in Frage zu stellen.

Riesenposter der CDU vor dem Berliner Hauptbahnhof, 2013 Quelle: cdu.de

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Während dieser Entwurf einer nationalen Pathosformel, zusammengesetzt aus der Uminterpretation einer ethischen Norm und Darstellungstraditionen des modernen Nationalstaates offenbar gescheitert ist, weist ein Beispiel aus der laufenden Kampagne der CDU, das ebenfalls auf die Figur des Leviathan zurückgreift, darauf hin, dass derartige Bildtraditionen der aktuellen politischen Kommunikation durchaus als Referenz dienen können. Die CDU präsentierte Anfang September ein Riesenposter am Berliner Hauptbahnhof. Der Schriftzug „Deutschlands Zukunft in guten Händen“ wird von der so genannten „Merkel-Raute“ illustriert, jener viel zitierten und


neuwal Ansichtssache • Humor und Pathos: Tiere, Heiland, Pappfiguren

bekannten Handhaltung der deutschen Kanzlerin, die von KörperspracheexpertInnen und SatirikerInnen gleichermaßen diskutiert wird. Das Besondere an dem Bildmotiv ist seine Kompositionslogik. Denn es handelt sich dabei nicht um eine fotografische Darstellung der Handhaltung, sondern um ein Bild, das sich aus 2.150 einzelnen HandMotiven zu einem Mosaik zusammensetzt, die in einer CDUMitmach-Aktion gesammelt wurden.

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Und tatsächlich ist diese Besetzung des urbanen Macht-zentrums der Stadt in Blickachse zu Kanzleramt und Bundestag ein hoch symbolischer Akt. Besonders bemerkenswert ist außerdem, dass das Mosaik auf eine der bedeutendsten Versinnbildlichungen moderner Politik verweist: auf den bereits zitierten Leviathan von Thomas Hobbes. In der Entstehung des CDU-Posters als Mosaik aus den Einsendungen von BürgerInnen soll derselbe Inhalt vermittelt werden, den das Frontispiz von Hobbes’ Werk aus der Zusammensetzung dieses Fürstenbildes aus den Körpern von Mitgliedern des Gemeinwesens erreicht: der Staat und seine politische Führung – in diesem Fall konkret auf Angela Merkel bezogen – sollen als Sinnbild des gemeinsamen Willens erscheinen.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärte bei der Präsentation, dass das Mosaik die Arbeit der Kanzlerin und unzähliger Menschen verdeutlichen soll, die sich in Beruf und Ehrenamt einsetzen. Damit setzt die CDU den Kampagnenslogan „Gemeinsam erfolgreich“ in einem Motiv um, das im Laufe der Zeit von einer Verlegenheitsgeste zu einer wieder Damit gerät der eigentliche Akteur erkennbaren Charakteristik der der Wahlen in den Blick, der Kanzlerin geworden ist. Souverän oder zumindest jener Teil davon, die als WählerInnen von Dass das Riesenposter in un- dieser Souveränität Gebrauch mittelbarer Nachbarschaft zu machen. Deren Darstellung in den Kanzleramt und Bundestag platziert laufenden Kampagnen widmet sich ist, bezeichnet Gröhe als deshalb die folgende Ansichtssache. „entschlossene WahlkampfAnsage“.


neuwal Ansichtssache • WählerInnen: WIR! SIE! UND DU?

WählerInnen: WIR! SIE! UND DU?

Je näher die Wahltermine in Deutschland und Österreich rücken, umso dringlicher stellt sich der Wahlwerbung die Frage nach der Rolle des Souveräns, also der WählerInnen, die in deren Selbstdarstellungen zum Teil ausgeblendet erscheinen. Die in den laufenden Kampagnen unternommenen Versuche, den Souverän anzusprechen, in die visuellen Kompositionen einzubeziehen und mitunter als StatistInnen oder DarstellerInnen selbst in den Blick zu rücken, verdient schon allein deshalb Beachtung, weil damit oftmals auch das Verhältnis von Parteien und KandidatInnen zum Souverän – gewollt oder ungewollt – zum Ausdruck kommt. Zur Darstellung des demokratischen Souveräns stehen der politischen Kommunikation verschiedene Möglichkeiten offen. Auf Plakaten werden Menschen vor allem auf zwei Arten angesprochen: entweder sie kommen direkt ins

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Bild, oder sie werden durch Worte, Slogans oder Gesten ins Bild geholt. Rollen und Setting

Eine zentrale Frage bei der Gestaltung von Wahlplakaten ist jene nach der Rolle der abgebildeten Personen und den Settings, in denen sie gezeigt werden. Damit sich potenzielle WählerInnen mit den Sujets identifizieren können, bemühen sich politische Kampagnen um eine möglichst authentische Darstellung ihrer Zielgruppen. Authentizität meint in diesem Zusammenhang vor allem eine Wiedererkennbarkeit auf Basis von Regeln und Konventionen menschlicher Wahrnehmung. Aufgrund dieser Konventionen deuten wir etwa eine Gruppendarstellung von Frau, Mann und Kind als Familie oder schließen bei Personen, die in Arbeitskleidung und mit -geräten ausgestattet sind, aufihren Beruf.


neuwal Ansichtssache • WählerInnen: WIR! SIE! UND DU?

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Im deutschen Bundestagswahlkampf verfolgen SPD und CDU verschiedene Strategien, um ihre Zielgruppen anzusprechen. So bemühte sich die SPD bei ihren Themenplakaten um eine besonders authentische Gestaltung und plakatierte reale RepräsentantInnen der Angesprochenen: Die Reinigungskräfte neben der Forderung nach gesetzlichem Mindestlohn sind tatsächlich in der Reinigung tätig. Auch die junge Mutter, die in einem anderen Plakat der Serie einen Kita-Platz für ihr Baby fordert, sorgt sich als Alleinerzieherin um die Kinderbetreuung. Diese Beteiligung potentieller WählerInnen hat die SPD noch dadurch verstärkt, indem sie diese in Wahlkampfveranstaltungen und Wahlwerbespots an dasselbe rote Rednerpult einlädt, von dem aus die KandidatInnen zu ihnen sprechen. Die CDU hingegen entschied sich bei ihren Themenplakaten für

professionelle DarstellerInnen, die in die Rollen von Vater, Großmutter oder Lehrmeister schlüpfen. Authentizität wird hier über den Bezug auf eine Heile-Welt-Ästhetik hergestellt, die dem Publikum aus der kommerziellen Werbung bekannt ist. Eine ähnliche Strategie und Präsentationsform wie die CDU hat auch die ÖVP in ihrer zweiten Plakatwelle verfolgt, in der sie allerdings auch den Spitzenkandidaten in die dargestellten Personengruppen mit einbezieht

Wahlplakat SPD, 2013 Quelle: spd.de

Wahlplakat CDU, 2013 Quelle: cdu.de

.

Wenngleich die Kampagnen von SPD bzw. CDU und ÖVP in der Wahl ihrer DarstellerInnen und der Gestaltung von Settings unterschiedliche Wege gehen, so haben sie doch ein gemeinsames Motiv, auf das sich das Versprechen ihres politischen Handelns bezieht: das „gute Leben“. Während CDU und ÖVP dabei auf die Bewahrung eines Status Quo setzen – die


neuwal Ansichtssache • WählerInnen: WIR! SIE! UND DU?

Kleinfamilie soll auch noch in Zukunft gemeinsam kochen, usw. – wählt die SPD für ihre ProtagonistInnen eine andere Rolle. Durch die Slogans („WIR für den gesetzlichen Mindestlohn“, „WIR für bezahlbare Mieten“ oder „WIR für ein Alter ohne Armut“) bekommen die abgebildeten Personen eine aktive Funktion zugewiesen, in der sie selbst die Forderungen nach besseren Lebensund Arbeitsbedingungen erheben.

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geht. Der Grat zwischen einfacher Erkennbarkeit und einer klischeehaften Überzeichnung ist allerdings sehr schmal, und so tappen Parteien immer wieder in die Falle, ihre eigenen Zielgruppen bis zur Karikatur zu stilisieren.

Von dieser Darstellung vertrauter Rollenbilder oder alltagsnaher Settings versprechen sich Kampagnen eine schnelle Verständlichkeit und Wiedererkennbarkeit ihrer Plakate. Und tatsächlich können BetrachterInnen oft in wenigen Sekunden, da ihr Blick an einem Wahlplakat hängen bleibt, erkennen, worum es bei dem Sujet

In zwei von drei Themenplakaten der österreichischen Grünen tritt Parteichefin Eva Glawischnig mit Kindern auf. Auf einem sieht man sie beim Baumklettern, auf dem anderen bei der gemeinsamen Gartenarbeit. Auch in einem KandidatInnenplakat der dritten und letzten Serie ist Glawischnig mit einem kleinen Mädchen abgebildet, das ihr die Zunge herausstreckt. Die Kinder wirken selbstbewusst und fröhlich, ihre Kleidungen und Frisuren sind modisch. Besonders bemerkenswert ist der Umstand, dass die Kinder beim Spielen in der Natur so sauber sind. Der gemähte Rasen, das umzäunte Grün und die geharkte Erde hinterlassen keine Flecken auf

Wahlplakat Michael Spindelegger/ÖVP, 2013 Quelle: oevp.at

Wahlplakat Michael Spindelegger/ÖVP, 2013 Quelle: oevp.at

Klischee und Ironie


neuwal Ansichtssache • WählerInnen: WIR! SIE! UND DU?

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ihren Kleidern. Fast möchte man den Kampagnenslogan „Saubere Umwelt. Saubere Politik“ durch den Zusatz „Saubere Kinder“ ergänzen. Die unterschwellige Botschaft, dass Eva Glawischnig über ihre „Schäfchen“ wacht, manifestiert sich in einem weiteren Plakat der dritten Serie, auf dem sie mit einem Lamm posiert, was deren „saubere“ Motive – in Verbindung mit den Plakat-Slogans wie der „Bildunk“ – durch eine ironische Brechung wiederum etwas relativiert.

Themen- als auch in den KandidatInnenplakaten mit der Frage „Und DU?“. Die Frage bezieht sich auf verschiedene Szenarien und Optionen, die auf den Plakaten zur Wahl gestellt werden („Für faire Miete statt Rendite“ oder „Wir bringen neue Energie“).

Wahlplakat Die Grünen, 2013 Quelle: gruene.at

Wahlplakat Die Grünen, 2013 Quelle: gruene.at

Wahlplakat Die Grünen, 2013 Quelle: gruene.at

Wahlplakat Die Grünen, 2013 Quelle: gruene.at

Auch die Wahl eines Portraitstils für die Darstellung von SpitzenkandidatInnen gibt Auskunft über deren Positionierung gegenüber den WählerInnen: während eine Profildarstellung den traditionellen Geste und Haltung Typ der HerrscherInnendarstellung in der Regel zur Präsentation der Die deutschen Grünen adressieren Personifizierung des Amtes benutzt, ihr Klientel sowohl in ihren versucht die in den laufenden


neuwal Ansichtssache • WählerInnen: WIR! SIE! UND DU?

Wahlkampagnen gängigere en-faceAbbildung, einen Blickkontakt herzustellen und sich zum Teil, über die Angleichung der Darstellung oder ihre Einbeziehung in Personengruppen, mit diesen auf eine Ebene zu stellen.

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Peer Steinbrück ergänzt werden, der als Plakat ebenso zum Einsatz kommt wie auf der Website der SPD zur Verlinkung mit der Seite des Kandidaten.

Der von den KandidatInnen gesuchte Blickkontakt wird mitunter durch Gesten unterstützt. Der bereits in der #ansichtssache zum Portrait behandelte Gegensatz des in die Zukunft weisenden Fingerzeigs von Werner Faymann zur Einladungsgeste von Angela Merkel, mit ihr ins Gespräch zu kommen, muss hier noch um den auf die BetrachterInnen gerichtete Finger des SPD-Spitzenkandidaten

Die auch im hervorgehobenen „SIE“ des Slogans – wie im „DU“ der Grünen – versuchte direkte Anrede, die von dem Fingerzeig unterstrichen werden soll, verstärkt zwar den appellativen Charakter der Botschaft, durch die Tradition der Verwendung des Zeigefingers im politischen Plakat wird jedoch – wohl unbeabsichtigt – das Machtgefälle zwischen Kandidaten und WählerInnen sichtbar. Der verpflichtende Unterton, der von dieser Geste ausgeht, lässt sich an

Wahlplakat Die Grünen Deutschlands, 2013 Quelle: gruene.de

Wahlplakat Die Grünen Deutschlands, 2013 Quelle: gruene.de


neuwal Ansichtssache • WählerInnen: WIR! SIE! UND DU?

deren wahrscheinlich bekanntester und am weitesten verbreiteter Verwendung in der Anwerbung von Rekruten für die US-Armee leicht nachvollziehen. Dass die Hervorhebung von Gesten in der Kampagnenkommunikation von SpitzenkandidatInnen durch Zitat und Abwandlung eine Eigendynamik entwickeln kann, darauf weist nicht nur die in der letzten #ansichtssache erwähnte, als „Raute“ bekannt gewordene Handhaltung von Angela Merkel hin. Auch Steinbrücks Finger sind im Endspurt des Wahlkampfes ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt – wenn auch in diesem Fall nicht als Teil der Kampagne. Bereits der Zeigefinger im obigen Plakat kann bei der Darstellung eines Kandidaten, dessen Image in den Medien als eher aggressiv beschrieben wird, womöglich zu

Wahlplakat SPD, 2013 Quelle: spd.de

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einer unbeabsichtigten Verstärkung dieser Image-Komponente führen. Die Abbildung eines politisch unkorrekten Fingerzeigs, wie ihn Steinbrück vergangenes Wochenende den LeserInnen des Magazins der Süddeutschen Zeitung offerierte, hat zwar die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den SPD-Kanzlerkandidaten fokussiert. Ob dieser Hinweis aber das leitmotivische „WIR“ verstärkt, mit dem die SPD die WählerInnen für sich zu gewinnen versucht, darf bezweifelt werden. Das Spannungsverhältnis der Deutungen, in dem sich die Kommunikationsversuche der SpitzenkandidatInnen bewegen, verdeutlicht die schwierige Balance zwischen Nähe und Distanz zu den WählerInnen, die eine Kampagne inszenieren muss. Die WählerInnen stehen als Souverän offensichtlich auch während der Wahlkampagnen

"I want you"-Briefmarke


neuwal Ansichtssache • WählerInnen: WIR! SIE! UND DU?

außerhalb oder am Rande des politischen Geschehens. Ob sie von SpitzenkandidatInnen angesprochen werden, die mit ihnen per „DU“ oder „WIR“ und „SIE“ sind, vermag daran augenscheinlich nur wenig zu ändern: das Motiv, die Sorge um das „gute Leben“ einer anderen Person oder Partei seiner Wahl zu übertragen, überdeckt alle

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Darstellungs- und Beteiligungsansätze des Souveräns in den Kampagnen. Ob die Schafe danach tatsächlich geborgen werden, oder ein Amtsinhaber uns den bösen Finger zeigen wird, vermag die Kampagnekommunikation nicht glaubwürdig zu vermitteln: insofern erscheint die vielzitierte Macht der Bilder doch begrenzt.

Coverfoto Peer Steinbrück in der Süddeutschen, 2013 Quelle: sueddeutsche.de


neuwal Ansichtssache • Wahlplakate: das Erzählen von Bildgeschichten

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Visuelle Kommunikation hat in den diesjährigen Wahlkämpfen in Österreich und Deutschland die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das gilt besonders für die Plakate der Parteien, die durch die Breite ihrer Streuung sowie durch ihre wechselnden Sujets zum Thema zahlreicher Kommentare und Medienberichte wurden. Eine fokussierte Aufmerksamkeit auf das Medium Plakat wird besonders deutlich, wenn man sich die kritischen Stimmen zu den Plakaten des Nationalratswahlkampfes 2008 in Erinnerung ruft. Damals haben ExpertInnen dem Plakat keine oder bestenfalls marginale Bedeutung im Wahlkampf beigemessen. Besonders pointiert wurde das vom Politikwissenschaftler und Meinungsforscher Peter Ulram formuliert, der Plakate – in Übereinstimmung mit prominenten KollegInnen aus seiner Branche – als „das mit Abstand ineffizienteste Mittel“ der Wahlwerbung bezeichnet hat (Der Standard,

24.8.2008). Kritik entzündete sich vor allem an einem „mangelnden Informationsgehalt“ der Plakate – ein Befund, der auch den aktuellen Wahlkampfvon Anfang an begleitet hat. So sprach etwa der Kabarettist Alfred Dorfer in seiner Kolumne in der Wochenzeitung „Die Zeit“ von einem „wahren Plakatskandal“, dass von den Plakaten nicht zu erfahren sei, „wofür die Plakatierten stehen“ (Die Zeit Nr. 39, 9.9.2013).

Wahlplakate: das Erzählen von Bildgeschichten

Trotz dieser fast schon traditionellen Kritik der Plakatwerbung in Wahlkampfzeiten, die weit über die genannten Beispiele hinaus geht und sämtliche Kampagnen der vergangenen Jahrzehnte begleitet hat, ließ sich in den aktuellen Wahlkämpfen in Deutschland und Österreich ein geradezu fulminantes „Comeback“ des Plakats als zentrales Element der Kampagnen beobachten. Das wird am Beispiel des Riesenposters der so genannten „Merkel-Raute“ am Berliner Hauptbahnhof ebenso


neuwal Ansichtssache • Wahlplakate: das Erzählen von Bildgeschichten

deutlich wie an den in beiden Wahlkämpfen inszenierten Pressepräsentationen der Sujets durch die Parteien und ihre SpitzenkandidatInnen. Besonders letztere, dem Ritual von Ausstellungseröffnungen oder Denkmal- Enthüllungen nachempfundene Präsentationsform im Rahmen eines Medienereignisses weist auf den Stellenwert hin, der Plakatkampagnen aktuell beigemessen wird.

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Für dieses besondere Maß an Aufmerksamkeit sind gerade jene Charakteristika des Mediums verantwortlich, die auch von seinen KritikerInnen gerne ins Treffen geführt werden: was etwa als eine Reduktion auf Personendarstellungen beklagt wird, kann – und soll – im Rückgriff auf Darstellungs-konventionen zur Charakterisierung von KandidatInnen oder zur Festigung ihres Images beitragen. Auch kann die Verwendung typischer Settings oder

alltagskultureller Bezüge auf Plakaten – wie beispielsweise die Familien- oder Berufsszenen im deutschen Wahlkampf – einer leichteren Zuordnung von Sujets und damit einer schnellen Erkennbarkeit dienlich sein. Es handelt sich bei der Wahl von Portraiteinstellungen, Posen, Gesten und Settings also um Stilmittel, die einer Verdichtung von Bedeutungen dienen, wie sie etwa aus der Rhetorik oder aber aus künstlerischen Ausdrucksformen bekannt sind. Diese Stilmittel wurden – mit mehr oder weniger großem Erfolg – für die politische Kommunikation adaptiert. Damit erreichen Plakate als einziges Medium der Wahlwerbung eine Zielgruppen übergreifende Massenpräsenz und bringen die zentralen Botschaften einer Kampagne mit Slogans und Bildern auf den Punkt. Besonders auf der Bildebene lassen sich dabei oft Rückgriffe auf Darstellungstraditionen erkennen, die über den unmittelbaren

Wahlplakatpräsentation der SPÖ mit Werner Faymann 2013 Quelle: spoe.at

Wahlplakatpräsentation der Grünen Österreichs, 2013 Quelle: gruene.at


neuwal Ansichtssache • Wahlplakate: das Erzählen von Bildgeschichten

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tagespolitischen Kontext hinaus Geschichten mit Bildern weisen. In politischen Kampagnen stehen Derartige Ritualisierungen in der das Plakat und sein Design also im Darstellung passen gut ins Bild von Zentrum dessen, was heute gerne als KritikerInnen politischer „Visual Storytelling“, also als Plakatwerbung, die die Bedeutung Geschichtenerzählen mit Bildern des Werbemittels Plakat als aus der beschrieben wird. Kampagnen Not der Beschränkungen für die bedienen sich dieser Methode, um TV-Werbung hervorgegangen ihren Botschaften einen visuellen erklären und im Vergleich zu US- Rahmen und damit eine von amerikanischen Wahlkampagnen Bildern getragene Dramaturgie zu als antiquierte regionale Marotte verleihen. Wie bei jeder Geschichte beschreiben. Dabei ist es keineswegs kann die Erzählung spannend oder so, dass in US-Wahlkämpfen langweilig sein, was allerdings gänzlich aufPlakate als Werbemittel weniger dem Medium selbst, als vielmehr den AutorInnen anzuverzichtet würde. lasten ist. Im Rahmen von Gerade in der viel gerühmten ersten Plakatkampagnen wird das Erzählen Kampagne von Barack Obama im mit Bildern in der Affichierung Jahr 2008 wurde die Bedeutung von mehrerer Plakatserien deutlich, die Plakaten im Rahmen der Kampagne sich im Idealfall aufeinander deutlich sichtbar. Das zentrale Sujet beziehen bzw. aufeinander aufder Kampagne verband unter dem bauen. Slogan „Change we can believe in“ das Portrait des Kandidaten mit Während Themenplakate den dem ersten Buchstaben seines Rahmen der Handlung abstecken Namens und den Nationalfarben und erklären, worum es in der der USA zu einem bis heute Geschichte gehen wird (z.B. verwendeten Logo. Darüber hinaus Familien, Bildung, Korruptionseröffnete die grafische Gestaltung bekämpfung), stellen Kandidatdes Plakats, die sich auf ein Innenplakate die Rollen der HauptWahlplakat des legendären John F. und NebendarstellerInnen vor. Wie Kennedy bezieht, einen historischen bereits in der letzten #ansichtssache Deutungszusammenhang für beschrieben, gibt es für PolitikerInnen verschiedene Möglichkeiten, Obamas Kandidatur. um auf Plakaten mit anderen DarstellerInnen oder potenziellen WählerInnen in Kontakt zu treten. Das Bildgenre „PolitikerIn mit Volk“ ist in der politischen


neuwal Ansichtssache • Wahlplakate: das Erzählen von Bildgeschichten

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Kommunikation über Parteigrenzen hinweg bekannt und beliebt und gehört zum Traditionsbestand politischer Bildlichkeit. In der Ausgestaltung von Rollen – etwa als Gesprächspartnerin wie Angela Merkel oder als Spielgefährtin wie Eva Glawischnig – offenbart sich ein tieferes Verständnis für die Aufgaben und Funktionen politischen Handelns, das durch Gleichrangigkeit oder hierarchische Verhältnisse geprägt sein kann.

repräsentiert wird, gibt dabei ebenso Bedeutungen kund wie die Auswahl von DarstellerInnen aus bestimmten Milieus. Dass sich gesellschaftliche Normvorstellungen politischer Parteien auf großflächigen Plakaten gewissermaßen „abbilden“, ist in diesem Zusammenhang sicherlich keine überraschende Erkenntnis. Sie richtet den Blick allerdings auch auf die Frage, welche gesellschaftliche Gruppen auf Plakaten eigentlich fehlen bzw. von den Parteien bewusst ausgespart werden.

Neben dieser „Agenda Setting Funktion“ können Themenplakate darüber hinaus auf den kulturellen Wissens- und Traditionsbestand eines Landes Bezug nehmen, wie es etwa die ÖVP durch eine wiederholte Verwendung von Landschaftsdarstellungen in Wahlkämpfen versucht hat. Die Abbildung eines besonders umworbenen Klientels, wie es beispielsweise durch die Kleinfamilie, durch PensionistInnen oder arbeitende Menschen

Wahlplakat mit Peer Steibrück/SPD, 2013 Quelle: spd.de

Die KandidatInnen „Helden“-Rolle

in

der

Als besonders erfolgreich erweisen sich jene Kampagnen, die das Versprechen der Themenplakate durch die Rolle der KandidatInnen einlösen. Im Sinne einer klassischen HeldInnengeschichte erscheint die Kandidatin bzw. der Kandidat am Ende der Kampagne als einzig logische Konsequenz sowie als GarantIn des Wahlversprechens.

Wahlwerbung mit Peer Steibrück/SPD, 2013 Quelle: spd.de


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Dazu ist es erforderlich, KandidatInnen konsequent zu inszenieren und ihr Verhältnis zu DarstellerInnen und WählerInnen sowohl durch den Einsatz von Bildern als auch durch den Einsatz von Slogans zu manifestieren. Während sich Angela Merkels in der Rolle als Gesprächspartnerin und Zuhörerin in einer „gemeinsamen“ politischen Anstrengung inszeniert hat, wechselte ihr Kontrahent Peer Steinbrück nicht nur zwischen der Verwendung der Anrede „WIR“ und „SIE“, sondern auch zwischen unterschiedlichen Rollenzuweisungen an seine UnterstützerInnen. Während sie in den Themenplakaten oder im Wahlwerbespot der SPD noch als aktive GestalterInnen von Politik erscheinen und bestimmten Anliegen ein Gesicht geben, kommen sie im letzten und wahrscheinlich wichtigsten Plakat

Wahlplakat mit Michael Spindelegger/ÖVP, 2013 Quelle: oevp.at

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der Kampagne nur noch als anonyme Jubelmasse für Steinbrück ins Bild. Auch bei Michael Spindelegger lässt sich auf der Bildebene nur schwer erschließen, welche Attribute ihn als „Kanzler für die Tatkräftigen“, „Entdecker“ oder „Weltoffenen“ ausweisen sollen. Weder in der Pose, noch in der Rolle wird der im Slogan postulierte Kanzleranspruch sichtbar. Die Zukunft wird als Motiv zwar in den Raum gestellt, welche Visionen sich allerdings mit ihr verbinden, bleibt wage bis unklar. Die Stimmigkeit von Botschaften, wie sie über Plakate vermittelt werden, ist für die gesamte Kampagne einer Partei bedeutsam. Denn sowohl die Gestaltung von Bannerwerbung auf Websites, als auch die ästhetische Gestaltung von Werbespots oder Broschüren baut auf dem Design und der Botschaft auf, die im Kern der Kampagne über

Wahlplakat mit Michael Spindelegger/ÖVP, 2013 Quelle: oevp.at


neuwal Ansichtssache • Wahlplakate: das Erzählen von Bildgeschichten

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Plakate vermittelt werden. In den Analysen der Obama-Kampagne des Jahres 2008 wurde wiederholt auf den Einfluss des durchgehenden, stimmigen Designs hingewiesen, das bereits in den parteiinternen Vorwahlen eingesetzt wurde. Das legt den Schluss nahe, dass auch der Erfolg Angela Merkels am letzten Sonntag, vor allem das Ausmaß der Zustimmung, von der Kampagne mit beeinflusst wurde. Auch wenn die Auswirkungen einer „stimmigen“ Kampagne für die Wahlentscheidung in der Wissenschaft als umstritten gelten

und in jüngster Zeit vor allem der Einfluss akribischer Analysen großer Datensätze über die WählerInnen ins Treffen geführt wird, wie sie etwa in der Wiederwahlkampagne von Barack Obama zum Einsatz kamen, so darf zumindest ein Befund als sicher angenommen werden: eine gute Geschichte lässt sich immer noch besser verkaufen als eine schlechte. Drum darf an dieser Stelle eine letzte Frage unbeantwortet bleiben: welche Geschichte die österreichischen WählerInnen am meisten überzeugt hat, wird sich nämlich erst am Sonntag klären.



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