Projekt "Decades" - 1920er - Typografie, Grafikdesign, Werbung

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»... sie inverstierten das Geld vor allem in ihr Aussehen. Wozu sonst hätte es auch gut sein sollen? Man hatte ja gerade erlebt, dass über Nacht plötzlich alles vorbei sein konnte, es galt also das Heute zu genießen ...«

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Von Elend und Glanz Es wird Charleston getanzt, ins Kino gegangen und Jazz gehört. Die sogenannten Goldenen 20er erscheinen wie ein bunter Tingeltangel. Dabei ist das Aufblühen der Kultur nur die eine Seite – die andere ist grau. Das Ende des Ersten Weltkrieges hatte durch den Vertrag von Versailles tiefreichende Erschütterungen gebracht. Hungersnot und Arbeitslosigkeit prägten die Gesellschaft. Die Bettelei war oft eine der einzigen Existenzsicherungen für verkrüppelte Kriegsinvaliden aus dem ersten industrialisierten Krieg, die ohne heutige medizinische Möglichkeiten (Prothetik, Antibiotika, Schmerzmittel) auskommen mussten.

Die Säuglingssterblichkeit war mit rund14 Prozent die höchste in Europa. Rachitis-Epidemien durch Vitaminmangel und Attentate auf führende Politiker, hervorgerufen durch Hasspredigten, prägten das politische Klima am Anfang der Zwanziger Jahre. Bald setzte eine Phase wirtschaftlicher Aufwärtsentwicklung und politischer Beruhigung ein. Die Anonymität der Grossstädte erleichterte es vor allem Frauen, sich von der traditionellen Rollenzuweisung zu distanzieren und neue Lebensformen zu entwickeln. In den Romanen der 20er Jahre wurden Frauen dargestellt, die sich in fast allen Berufsfeldern profilierten. Ebenso neu war es, sexuelle Themen anzusprechen und zu diskutieren. Die Printmedien erlebten ebenso wie die Kinos einen stürmischen Aufschwung. Die visuelle Erfahrung erreichte ein Massenpublikum, Ende der 20er Jahre gingen in Deutschland täglich etwa zwei Millionen Menschen in über 5.000 Kinos. Die Universum Film AG die in Potsdam-Babelsberg seinen Sitz hatte, entwickelte sich nach den Hollywood Studios zum zweitgrössten Filmimperium der Welt, wo internationale Klassiker wie der 1927 uraufgeführte Stummfilm »Metropolis« von Fritz Lang produziert wurden. 1930 gelang Marlene Dietrich mit dem ersten grossen deutschen Tonfilm »Der blaue Engel« der Durchbruch zum Weltstar. Auch der Sport zog ein Massenpublikum an. Zum Fussballspiel, der im Kaiserreich noch als »undeutsche Fusslümmelei« verspottet, strömten bis zu Hunderttausende wöchentlich in die Stadien. Rad- sowie Autorennen zogen ebenso wie Boxveranstaltungen eine riesige Zuschauermengen an, die Kämpfe von Max Schmeling verfolgten Millionen Radiozuhörer an den Radiogeräten. Das neue Medium Rundfunk trat ab dem Jahre 1923 unaufhaltsam seinen Vormarsch an, innerhalb von zehn Jahren erhöhte sich die Zahl der in Deutschland angemeldeten Rundfunkgeräte von knapp 10.000 auf über 5,4 Millionen. Der Charleston wurde zum beliebtesten amerikanischen Modetanz der damaligen Zeit. Die für die Tänze notwendigen Bewegungsfreiheiten hatte die »Neue Frau« in knielangen Hemdkleidern. Die ausgelassenen rauschenden Partys der »Goldenen Zwanziger« endeten abrupt mit der Weltwirtschaftskrise. Die Verelendung der Bevölkerung spiegelte sich ungeschminkt in der Kunst wieder: Hunger und Arbeitslosigkeit, Tristesse und die damalige Hoffnungslosigkeit wurden zu Bildthemen der Milieumalerei und der Photographie.

1923 – ein Kriegsinvalide bettelt um Geld

Der politische Kampf zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten wurde auch zum Kulturkampf, die Weltanschauungen konkurrierten auf Bühnen und in Zeitschriften miteinander. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten beendete 1933 die kulturelle Vielfalt schlagartig.

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Die schrift in neuen Kleidern Die Typografie in der Ära der 20er Jahre unterzog sich einem dramatischen Wandel. Avantgarde und Bauhaus waren dabei Begriffe die nicht nur Kunst oder Architektur prägten, sondern auch die Typografie. Ab den 1920er Jahren revolutionierte die moderne Kunst, insbesondere der Futurismus, der Dadaismus und der Konstruktivismus die Typographie. Junge typographische Gestalter distanzierten sich von der Typographie der Verlagshäuser und Druckereien, deren typographische Kultur sich mehrheitlich entweder an Gebrochenen Schriften oder am »spießbürgerlichen« Kunsthandwerk orientierte. Nach den unbeschreiblichen Grausamkeiten des 1. Weltkriegs, in den 20er Jahren der Weimarer Republik, propagierten und ideologisierten sie eine »Moderne (Neue) Typographie«. Unter ihnen Karel Teige, El Lissitzky, Herbert Bayer, László Moholy-Nagy, Marcel Breuer, sowie Jan Tschichold, Paul Renner und Kurt Schwitters. Für sie symbolisierte der neue Trend der Grotesk-Typographie etwa die junge Industriegesellschaft, den Fortschritt, die sozial orientierte proletarische Fraternisierung und den Internationalismus. Der deutsche Gestalter Otl Aicher bezeichnete 1989 diese Zeitspanne als den Beginn eines »typographischen Kriegszustands (...) zwischen Groteskund Antiqua-Ideologen (...), der bis heute anhält.« Ab dem Jahre 1923 nahm László Moholy-Nagy die Tendenz der Neuen Typographie am Weimarer Bauhaus auf. So etwa interpretierte er die Typographie nicht länger wie es einst Johannes Itten oder Lothar Schreyer taten, als künstlerisches Ausdrucksmittel, sondern als ein »Medium der Kommunikation«, und als »klare Mitteilung in ihrer eindringlichsten Form«. Erstmals lernte man die »Visuelle Gestaltung« an einer Kunstschule gelehrt. Im Bauhaus Dessau entwickelte sich später aus Moholy-Nagys »TypographieWerkstatt« mit Hilfe von Joost Schmidt und Herbert Bayer eine Druck- und Reklamewerkstatt, welche zu einem »Atelier für Graphik-Design« ausgebaut wurde. Typographie und Fotografie verschmolzen zum »Typofoto«.

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abcdefg hijklmno pqrstuv wxyz Die schmale Stromlinienform, verleiht den Art Déco Schriften Eleganz und Anmut, was sich auch in der Kleidung widerspiegelt.

die Art Deco Bewegung Der Art Déco griff das Dekorative, Ornamentale des Jugendstils auf und schuf auf der Grundlage von konstruktivisch-geometrischer Gestaltungselemente einen ebenso gefälligen wie mondänen, modern wirkenden Gestaltungstil. Er läutete den Beginn des »Maschinen Zeitalters« ein. Art Déco stützt sich auf klare Linien, dynamische Farben und Muster. Geometrische Formen und Farbkombinationen sind hervorstechend. Die Hauptmerkmale dieser Stilrichtung entstanden aus den verschiedensten Malstilen, angefangen vom Kubismus über die, früheste avantgardistischen Bewegung des 20. Jahrhunderts, dem italienischen Futurismus. Kraft und Schnelligkeit wurden zum Thema der Zeit. Die Formen waren schmal, vereinfacht und stromlinienförmig. »Kurvige« Buchstabenformen wurden durch kantige und schlichte ersetzt. Die Buchstaben zeigten einen eleganten und doch kraftvollen Look, der auch stark in der Kleidung der 1920er wieder zu erkennen ist. Typografen scheuten Serifenschriften und kreierten neue Schriftarten die, laut Herbert Bayer, die »Schönheit in der Brauchbarkeit« widerspiegeln. Diese neuen Schriften waren sehr gut lesbar und wurden vor allem in der Werbewelt verwendet. Art Déco Poster wurden, nicht zuletzt durch die verwendete Typografie, die erfolgreichsten Werbemitteln, die in dieser Dekade verwendet wurden.

Cassandre 1929 – Die Art Déco inspirierte Schrift »Bifur«

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Die unglaubliche vielfältige Formensprache der Art DÊco Bewegung zeigt sich vor allem in den verspielten Mustern dieser Zeit.

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Herbert Bayer 1927 – Kandinsky Jubiläums Ausstellung


Die Bauhaus Bewegung Die Bauhaus Bewegung, ursprünglich eine Schule für Architektur, wurde 1919 von Walter Gropius in Deutschland gegründet. In einem Manifest verkündet Gropius 1919 das primäre Ziel seiner Schule: »Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!« Architektur, Bildhauerei und Malerei sollen zum Handwerk zurückgeführt werden, um gemeinsam den Bau der Zukunft zu gestalten. Der Name Bauhaus ist eine Anlehnung an die Bauhütten der mittelalterlichen Kathedralen, in denen Kunst und Handwerk schon früher verschmolzen. Serifenlose Schriften und starke vertikale, sowie starke horizontale Linien waren typisch für den Bauhaus Stil. Die Bauhaus Typografie betont vor allem die Funktion der Buchstaben und kommuniziert in einer einfachen, kurzen und durchdringenden Form mit der Gesellschaft. Diese Prinzipien waren der Anfang eines neuen Stils. »Die neue Typografie« war geboren. Im Mittelpunkt der »neuen Typografie« standen hierbei einerseits die Intention, Typografie als selbstständige künstlerische Ausdrucksform zu etablieren. Gleichzeitig sollte typografische Gestaltung aber auch den praktischen Anforderungen der Zeit (Reklame, Gebrauchsdrucke etc.) entsprechen. Die Bewegung der Neuen Typografie ging anfangs vorrangig von Malern und bildenden Künstlern aus, die nicht weniger als eine Erhebung des Alltäglichen zum Kunstwerk und wiederum eine Gebrauchsfunktion der Kunst anstrebten. Erstmals wurde der Begriff der »Neuen Typographie« von dem Bauhaus-Künstler Laszlo Moholy-Nagy im Jahr 1923 erwähnt. In einem Aufsatz anlässlich einer Bauhaus-Ausstellung forderte er u. a . eine klare und eindeutige Schriftgestaltung, eine Abkehr von der Gross- und Kleinschreibung und die sinnvolle Ausnutzung der neuen maschinellen Möglichkeiten.

Paul Renner 1927 – die bekannteste Vertreterin der Bauhaus Bewegung, die Schrift Futura.

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Lucian Bernhard Der Gestalter war an der Entwicklung einer modernen Werbesprache maßgeblich beteiligt. Bernhard designte aber nicht nur Plakate, sondern auch Schriften die den Zeitgeist der damaligen Epoche widerspiegelten. Lucian Bernhard, eigentlich Emil Kahn (* 15. März 1883 in Cannstatt bei Stuttgart; † 29. Mai 1972 in New York City), oft auch Lucien Bernhard, war ein deutscher Grafiker und Designer der Neuen Sachlichkeit, Typograf, Architekt und erster Professor für Plakatkunst überhaupt. Die Familie von Schriftstilen, die er entwickelte, wird als Bernhard bezeichnet. Kaffee Hag, Pelikan und die Bosch-Zündkerzen sind noch heute stilistisch von Lucian Bernhard geprägt. Emil Kahn wuchs in einer deutsch-jüdischen Familie auf. Nach Schulabschluss studierte er zunächst an der Münchner Kunstakademie und übersiedelte 1901 nach Berlin, wo er bei Ernst Growold für die Plakatdruckerei Hollerbaum & Schmidt arbeitete und viele Plakatentwürfe für Firmen, wie Schuhwarenhaus Stiller in Berlin, Pelikan, Manoli, Kaffee Hag, Bosch oder Faber-Castell anfertigte. Anfang des Jahrhunderts nahm er das Pseudonym Lucian Bernhard an, unter dem er weltbekannt wurde. Er war ab 1905 Ehrenmitglied des Vereins der Plakatfreunde um den Zahnarzt Hans Sachs, mit dem er zusammen das Magazin »Das Plakat« (später Gebrauchsgraphik) begründete. In den Jahren von 1910 bis 1920 entwarf Lucian Bernhard als künstlerischer Leiter der Deutschen Werkstätten Hellerau Möbel, Tapeten, Teppiche und Leuchten. Er entwarf im Auftrag des Kölner Schokoladeproduzenten Ludwig Stollwerck ab 1911 Plakate für die Stollwerck-Aussenwerbungen. Ausserdem betrieb an der Bellevuestrasse in Berlin ein Architekturatelier, wo er zum Beispiel für sein eigenes Wohnhaus in Grunewald Entwürfe für das Innendekor anfertigte und einen Büroneubau für die Zigarettenfirma Manoli entwarf.

In Berlin wurde er 1923 als Professor für Reklamekunst an die Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums berufen. Er lebte ab 1925 mit Unterbrechungen in den USA, wo er zunächst ein Designatelier Bernhard-Rosen innehatte, später vor allem unterrichtete. Im Jahr 1964 wurden Arbeiten von ihm auf der documenta III in Kassel in der Abteilung Graphik gezeigt.

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linke Seite oben: 1903 – Priester Hölzer, 1910 – Bosch Zündkerzen; linke Seite unten: 1914 – Bosch Licht, 1914 – Pelikan Plakat; rechte Seite: 1929 – Reklame Schau Berlin

Der typische »Plakatstil«, welcher auch als »Sachplakat« bekannt wurde, wurde durch Lucian Bernhard geprägt. Es werden fette Schriften verwendet, die große Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die meisten Farben sind gedämpfter. Formen und Objekte sind vereinfacht dargestellt, wobei dieses Objekt meist zentriert im Fokus steht.

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1912 – Bernhards erste Schrift, die Bernhard Antiqua

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1925 – Bernhard Brush Script


1925 – Bernhard Cursive

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1930 – Bernhard Negro


The quick brown fox jazzed at the club.

ABCDEFGHIJKLMN OPQRSTUVWXYZ ÀÅÉÎÕØÜabcdefghijklm nopqrstuvwxyzàåéîôøü& 1234567890($£.,!?) 1930 – Bernhard Tango

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Die geschichte des grafikdesign Grafikdesign bezeichnet die visuelle Gestaltung von Inhalten in verschiedenen Medien unter Anwendung vielfältiger künstlerischer und technischer Mittel. Der Begriff »Grafikdesign« wurde von William Addison Dwiggins, geboren 1880, verstorben 1956, im Jahre 1922 geprägt. Vorher waren Drucker, Typografen, Schriftsetzer, Grafiker und Designer oft dieselbe Person. Heutzutage sind Grafik, Design und Visuelle Kommunikation eine Untergruppe des Kommunikationsdesigns. Das Grafikdesign ist relativ fest mit den Anforderungen der modernen Gesellschaften verankert. Schwerpunkte sind Werbung und Öffentlichkeitsarbeit sowie die Kommunikationsaufgaben von Wissenschaft und Kultur. Die Entwicklung des Grafikdesigns ist allerdings nicht überall an die Industrielle Revolution gekoppelt. So hatten zum Beispiel in Frankreich soziales als auch politisches Engagement (nach der Studentenrevolte des Jahres1968) und (Plakat-)Kunst einen enorm starken Einfluss (u. a. Toulouse-Lautrec, später auch polnische Plakatgestalter, die in Frankreich arbeiteten). Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt schließlich das berufliche Umfeld des Plakatgestalters festere Strukturen – Fachzeitschriften erschienen und auch Berufsverbände entstanden. In Deutschland vertrat seit dem Jahr 1919 der »Bund Deutscher Gebrauchsgraphiker« die nun Interessen der qualifiziert aus­ gebildeten und professionell tätigen Gestalter; er wurde im Jahr 1968 in »Bund Deutscher Grafik-Designer« umbenannt. Als technische Grundlage dazu legte das Deutsche Institut für Normung 1922 einheitliche Papierformate nach DIN 476 fest.

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das leben des ludwig hohlwein Ludwig Hohlwein war ein bedeutender Plakatkünstler, Grafiker, Architekt und Maler. Dabei zählte er zu den prominentesten Vertretern der Reklamekunst. Ludwig Hohlwein, geboren am 27. Juli 1874 in Wiesbaden und verstorben am 15. September 1949 in Berchtesgaden, fertigte während seines Architekturstudiums an der Technischen Hochschule München erste Illustrationen für die Zeitungen des Akademischen Architekturvereins. Nach dem Studium in München und Dresden sowie Studienreisen nach London und Paris ließ er sich in München als Architekt nieder und entwarf neben Inneneinrichtungen von Privathäusern auch Aufträge zur Ausstattung des Hotels Continental und für Ozeandampfer. Ab 1904 stellte Hohlwein regelmäßig Graphiken, Aquarelle und Temperagemälde im Münchner Glaspalast aus. Im Jahre 1905 nahm Hohlwein mit Tierbildern an der Berliner Großen Kunstausstellung teil. Noch im gleichen Jahr war er auch 3. Preisträger im Preisausschreiben um Reklameentwürfe für die Gemeinschaftswerbung des Schokoladefabrikanten Ludwig Stollwerck ebenso wie des Sektherstellers Otto Henkell. Später entwarf er Plakate für Jagdausstellungen.

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Die Plakatkunst des Ludwig Hohlwein Bereits im Jahre 1924 umfasste das künstlerische Schaffen von Hohlwein über 3.000 Titel. Hierbei ist ein wichtiger Bereich die Plakatkunst. Hohlweins Werke sind auch heute noch im täglichen Leben anzutreffen. Im Münchner Hauptbahnhof wird man durch einen mehrere Meter hohen Franziskanermönch empfangen, der dem Reisenden in seiner braunen Kutte zuprostet und der noch heute den Hauptwerbeträger für die Franziskaner Brauerei darstellt. Der Mönch, der jedes Flaschenetikett, jeden Bierdeckel und diverse andere Produkte der Franziskaner Brauerei unverwechselbar werden lässt, entstand bereits 1935. 1980 wurde er minimal verändert. Damit er freundlicher aussieht, zog man ihm die Mundwinkel nach oben.

Hackerbräu – 1920

Herkules-Bier – 1925

Claus Hinrich Tabakfabrik – 1926

Kaloderma – 1927

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Panther – 1926 | Adler Fahrräder – 1926

Marco Polo Tee – 1920 | Schmuckwerbung 1925

Die Bandbreite von Ludwig Hohlwein ist besonders groß. Ob Werbungen für Schuhe, Schokolade, Tee, Bier oder Deutschland, alle sind großartig.

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der typische Hohlwein-Stil Bereits im Jahr 1924 umfasste das künstlerische Schaffen von Hohlwein über 3.000 Titel. Hierbei ist ein wichtiger Bereich die Plakatkunst. Parallel zu den sogenannten Sachplakaten entwickelte Ludwig Hohlwein seinen eigenen, sehr leicht wieder erkennbaren, typischen Stil. Die Themen Tier, Jagd, Technik und Landschaft dominieren hierbei seine Plakate. Dabei baute Hohlwein immer wieder dramatisch auf wirkungsvollen Hell-Dunkel sowie auf Vordergrund-Hintergrund-Kontrasten auf. Das Objekt wird auf farbige Flächen und Punkte reduziert und erst durch die Darstellung von der gesamten Grundfläche erhält der Körper wieder seine Gestalt. Hohlweins Plakate sind bei vielen seiner Auftraggeber heute noch nahezu unverändert in Gebrauch und gehören zu den Klassikern deutscher Werbung.

Frühling in Wiesbaden – 1924

Berchtesgaden – 1910er

Münchener Staatsoper – k. A.

Regensburg – 1926

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Im Laufe seiner Karriere schuf Hohlwein unzählige Plakate für Deutschland. Auch über die 20er Jahre hinaus wurden noch viele weitere solcher Plakate geschaffen. Ob nun Plakate für ganz Deutschland oder für bestimmte Regionen und Orte, alle hatten den typischen »Hohlwein-Stil«. Die markante Farbgebung und die Kontraste sind unverkennbar.

Frühling in Wiesbaden – 1927

Rheinzauber – 1929

Germany wants to see you – 1920er

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Riquetta Speise-Schokolade – 1925 | Riquet Pralinen – 1920

Sudana Milchschokolade – 1926

Auch für Schokolade schuf er besonders viele Plakate. Hierbei verwendete Hohlwein auch sehr gerne schwarze Menschen, um diese zu bewerben.

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Igeha Schokolade – 1926

Igeha Schokolade – 1926

Igeha Kakao – 1926

Kaffe-Ersatz – 1926

Auf den Plakaten waren aber nicht ausschließlich schwarze Menschen abgebildet. Bei diesen vier Plakaten für Schokolade, Kakao und auch Kaffee erkennt man gut, dass alle aus einem Guss sind.

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Mercedes Werbung – 1925

Pelikan Werbung – 1925

Die Liste der Auftraggeber Hohlweins liest sich wie das A–Z der deutschen Wirtschaft. So fertigte er unter anderem für Adler, Audi, Bahlsen, BMW, Busch, Daimler Benz, Erdal, Ernemann, Görtz Schuhe, Kaffee Hag, M.A.N., Kulmbacher, Riquet, Lufthansa, Märklin, Pelikan, Henkel (»Persil«), Sulima, Reemtsma, Leitz, Pfaff, Zeiss (Jena).

Persil Werbung – 1926

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Obwohl diese Plakate für viele unterschiedliche Produkte werben, erkennt man auch hier sehr gut, dass sie alle von ein und derselben Person stammen. Die Plakate von Hohlwein haben kaum reinweiße Hintergründe. Außerdem sind sie alle handgezeichnet und beinhalten oft kräftige Farben.

Marco Polo Tee – 1920

Adler Schreibmaschinen – 1926

Busch – 1926

Victoria Fahrräder – 1926

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Weitere Vertreter Neben Hohlwein gab es noch viele weitere erfolgreiche Grafiker und Plakatkünstler. Besonders bekannt ist hier auch Jan Tschichold.

Jan Tschichold, geboren am 2. April 1902 als Johannes Tzschichhold oder auch Iwan Tschichold in Leipzig, verstorben am 11. August 1974 in Locarno in der Schweiz, war ein Kalligraf, Typograf, Schriftentwerfer, Plakatgestalter, Autor und Lehrer. Aufgrund seiner Begeisterung und Fachkompetenz wurde er zu einem der bedeutendsten Vertreter der Neuen Typographie. Im Unterschied zu anderen fiel er nicht völlig aus dem historischen und fachlich begründeten Rahmen, er machte die avantgardistischen Ideen allgemein gebrauchsfähig. In einem vielgerühmten Sonderheft der Typographischen Mitteilungen von 1925 mit dem Titel »Elementare Typografie« stellte er die neuen Ansätze in Thesenform zusammen.

Plakat Napoleon – 1927

Plakat Orient-Express – 1927

Sonderheft »typographische mitteilungen« – 1925

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Ein weiterer Künstler der 1920er Jahre war der aus Russland stammende El Lissitzky, welcher in Deutsch­land studierte. El Lissitzky, geboren am 22. November 1890 in Potschinok (Russland) und verstorben am 30. Dezember 1941 in Moskau, war ein sehr bedeutender russischer Avantgardist und hat durch vielfältige Aktivitäten in den Bereichen Malerei, Architektur, Grafikdesign, Typographie und Fotographie sowohl theoretisch als auch praktisch maßgeblich zur Realisierung und Verbreitung konstruktivistischer Ideen beigetragen. Nach Kindheit und Jugend in Smolensk bewarb sich El Lissitzky 1909 an der Kunsthochschule von Sankt Petersburg, wurde dort als Jude jedoch abgewiesen. Wie viele andere Russen in seiner Lage ging er daraufhin nach Deutschland und studierte von 1909 bis1914 Architektur sowie Ingenieurwissenschaften an der Technischen Hochschule in Darmstadt. Das Studium schloss er mit dem Diplom 1915 ab. Die Erste Russische Kunstausstellung Berlin 1922, für deren Organisation und Gestaltung Lissitzky aktive Mitarbeit leistete und dessen Katalog seine Titelseite prägte, zeigte seine Gemälde »Die Stadt«, »Proun 2c« und »Proun 19d« sowie Buchillustrationen und weitere Werke.

Plakat – 1922

Er pflegte auch Künstlerbekanntschaften unter anderem mit Hans Arp (gemeinsame Arbeit an der Schrift »Die Kunstismen«, veröffentlicht 1925), Kasimir Malewitsch, Jan Tschichold und Willi Baumeister. 1927–1928 bekam er den Auftrag zur Gestaltung des Abstrakten Kabinetts in der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover. 1928 war er künstlerischer Leiter bei der Gestaltung des Sowjet-Pavillons auf der internationalen Presseausstellung Pressa in Köln. Seit 1931 war er leitender Künstler-Architekt der ständigen Bauausstellung im Kulturpark Gorki in Moskau und ab 1932 ein ständiger Mitarbeiter als Buchkünstler für die Zeitschrift USSR im Bau.

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Auch Willy Petzold war ein Grafiker der 20er Jahre. Besonders durch die Plakate für die Dresdner Jahresschau machte er sich einen Namen. Willy Petzold , geboren am 6. September 1885 in Mainz, verstorben am 16. März 1978 in Dresden, war Glasmaler, Designer, Fotograf und Grafiker. Außerdem gehörte er zu den herausragenden deutschen Plakatgestaltern des 20. Jahrhunderts. Nachdem Petzold in Frankfurt/M. eine Lehre als Glasmaler absolviert hatte, kam er 1904 nach Dresden, wo er bis 1913 für die Glasmalanstalt Liebert arbeitete. Sie realisierten Entwürfe von Otto Gussmann und Paul Rößler. Ab 1910 führte Petzold zudem ein Atelier für Porträtfotografie. Von 1913 bis 1919 studierte Petzold an der Dresdner Kunstakademie, zunächst als Werkstudent bei Richard Müller und Oskar Zwintscher, dann als Meisterschüler bei Paul Rößler. Von der Akademie wurde er auch mit je einer silbernen und bronzenen Staatsmedaille ausgezeichnet. Nach dem Studium machte sich Petzold selbstständig. Zu seinen wichtigsten Auftraggebern zählte die Dresdner Zigarettenindustrie, darunter die Yenidze. Petzold gehörte wie Arno Drescher, Friedrich Kurt Fiedler, Dore Mönkemeyer-Corty und Paul Sinkwitz der Dresdner Ortsgruppe des Bundes der Deutschen Gebrauchsgraphiker an. Mit seinen Wahlplakaten unterstützte er konservative Kräfte wie die DVP (Rettet Land und Gut vor der roten Flut). In der Nazizeit plakatierte er im Auftrag der NSDAP Propaganda und auch Durchhalteparolen. Willy Petzold trat jedoch vor allem mit seinen Plakaten für die Dresdner Jahresschauen in den 1920er Jahren hervor.

Plakat – 1924

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Plakat – 1927

Plakat – 1928


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JETZT KOMMT DIE WERBUNG Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts setzte eine immer deutlichere Kolonialisierung der Alltagswelt durch die Werbung ein. Werbung, in Form von Anzeigen, Plakaten, Kino- und Leuchtwerbung, war ab nun überall präsent. Die Anonymisierung des Marktes hatte Werbung für Geschäfte notwendig gemacht, um die Kommunikation zwischen Produzenten und Konsumenten zu fördern und überhaupt zu gewährleisten. Das produzierte einen gegenläufigen Diskurs, der von Heimatschutzverbänden und städtischen Ordnungsbehörden getragen wurde, welche an einer moralischen Diskreditierung der Werbung als Massenphänomen beziehungsweise an gesetzlichen Einschränkungen arbeiteten. Trotz Aktivität der Heimatschutzverbände und gesetzlichen Eingriffen setzte sich die Werbung als Medium weiter durch. Selbst der Beginn des ersten Weltkriegs war für die deutsche Werbung nur insofern eine Zäsur, als das Geschäft über Jahre beeinträchtigt wurde. Ein Effekt der aus der Logik der Kriegswirtschaft und allen Konsequenzen aus dem verlorenen Krieg herrührte. Der Erste Weltkrieg verlangsamte einen Prozess, der sich in der Weimarer Republik weiterentwickelte, sich ab 1924 beschleunigte und mit dem Begriff der Rationalisierung zusammengefasst werden kann. Einer der vieldeutigsten Begriffe dieser Zeit, der in der Werbung der 20er Jahre eine entscheidende Rolle spielte. Nachdem Deutschland wegen des Kriegs vom wissenschaftlichen und technischen Fortschritt jahrelang abgeschnitten war, hatte sich sozusagen ein Innovationsvakuum angestaut, das mit einer Realisierungswelle in der Produktion überwunden werden sollte, und letztlich alle Lebensbereiche, zumindest theoretisch erfasste.

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Man fühlte sich quasi an vorderster Front der gesellschaftlichen Umgestaltung Deutschlands. Allein die Idee der sogenannten Massenproduktion, der deshalb grösseren Absatzorientierung und dem notwendigen Massenkonsum, brachte die deutsche Werbebranche neu auf den Plan. Das Funktionieren von Massenproduktion, dem Masseneinkommen und Massenkonsum war eine Frage der verblich richtigen Kommunikation zum Zwecke der Waren- und Konsumentenlenkung. Und in Anlehnung an die Fliessbandproduktion Fords gingen die deutschen Werber davon aus, dass man die neuen zukunftsweisenden Techniken der Massenproduktion nur mit denselben leistungsstarken und mechanisch anwendbaren Methoden der Massenkommunikation, drastisch antreiben und auch aufrecht erhalten könnte.

Je schneller ab jetzt standardisierte Produkte massenhaft erzeugt wurden, umso notwendiger war es, den Verbraucher / die Verbraucherin als intuitives, beeinflussbares Wesen und aus dem Grund als Schlüsselperson des Konsums über Produktneuheiten und deren Eigenschaften aufzuklären. Denn die in den Labors von Erfindern und Unternehmern entwickelten Produkte, wie Fertigsuppen, Sossenbinder, Backpulver oder neuartige Geräte wie beispielsweise Waschmaschinen, Kühlschränke und Radios genauso wie Produkte für die Körperhygiene wie Mundwasser, Deos, Enthaarungscremes etc.) bedurften einer sehr kommunikativen Überzeugungsarbeit, um Aufmerksamkeit / Interesse und schlussendlich einen Kaufwunsch beim Kunden zu generieren.

„Elida Shampoo“ Werbung aus dem Jahr 1920

Besonders durch die Übernahme amerikanischer Forschungsergebnisse zu der Werbepsychologie wie auch der Professionalisierung ihres Berufes, z.B. die Einrichtung von werbewissenschaftlichen Seminaren an den Universitäten, schufen sich die deutschen Werber allmählich den Status von selbstbewussten Sozialtechnologen. „Le Jade“ Parfumwerbung aus dem Jahr 1921

Gerade in der Werbung fanden die neuartigen Entwicklungen der Nachkriegszeit begeistertes Echo. Symptomatisch ist hier ein Zitat von einem deutschen Werbefachmann um 1924, der seine Kollegen dazu aufrief, die neuen Entwicklungen aus der Wirtschaft mit zugestalten: „Wir stehen mit Hoffen oder aber mit Furcht vor einer neuen Wirtschaftsepoche. Ich bin der Meinung, dass die Reklame / Werbung zumindest mit der Nase die Avantgarde der künftigen Wirtschaftsentfaltung sein sollte, sie soll zumindest die Grundlagen, Aussichten und Aufgaben der neuen Wirtschaft kennen und vorbereiten.“

Die deutschen Werber erhoben bald nach dem ersten Weltkrieg und besonders verstärkt Mitte der 1920er Jahre mit zunehmendem Selbstbewusstsein, gestützt auf werbewissenschaftliche Untersuchungen, „Kommunikation“ zu einer in dem Maße neuen Instanz im Wirtschaftsprozess, weil der Konsument bei den sich ausweitenden anonymen Märkten keine persönlichen Anreden über das Verkaufsgespräch bekommen konnte, sondern Massenmedien ab jetzt die Vermittlung zwischen Produzenten und Konsumenten übernahmen. Nur die„Kommunikation“ sicherte eine Marktintegration und die Eroberung von neuen Kunden, die zu einem neuen Konsumbewusstsein erzogen werden sollten. Die Koordination des steuerbaren Konsums über Massenmedien sah man innerhalb der Branche als so zentral für die Gesamtwirtschaft an, dass selbst die Krisen nach dem Ersten Weltkrieg in großer Selbstüberschätzung wie ein „psychologisches Problem“ bei den Konsumenten angesehen wurden, dem man lediglich mit mit massiver weiblicher Aufklärung und Kaufanregung begegnen müsse.

Die Ansprache des Konsum-Menschen war im Gegensatz zum gedanklichen Hintergrund der modernen Werbung und der rationalisierten Lebenswelt zunehmend von Suggestion, Schönfärberei, Heilsversprechen und Glaubenssätzen geprägt. Vor allem durch die Emotionalisierung der Werbung wollte man die Frau ansprechen, die offensichtlich nicht als Teil der sich schnell rationalisierenden Welt angesehen wurde, aber über 80 Prozent aller Einkäufe eines deutschen Haushalts entschied. Geschlechterrollen sowie die geschlechtliche Arbeitsteilung, wurden von den deutschen Werbern erstaunlich traditionell dargestellt. Frauen wurde z.B. suggeriert, dass sie zur Managerin des technisch aufgerüsteten Haushalts zu generieren hatten. Schlussendlich bedeutete das aber, nur noch perfekter in ihrer Rolle sein zu müssen und sich die Strapazen des Haushalts mit Hilfe diverser Cremes nicht einmal anmerken lassen zu dürfen. Gerade die Möglichkeit der Werbung, ohne grosse Vorbildung viel Geld zu erhalten, sorgte für Zulauf ganz unterschiedlicher Menschen.

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„Gargoyle Mobiloel“ Werbeplakat 1920

„Zeisners Soßen“ Werbeplakat 1920

Sehr oft wurde die Moderne als Verlust kultureller Werte angesehen, wodurch traditionelle Führungsschichten argumentativ ihre Ängste über die – auch durch Werbung angeleitete – habituelle Distanzverringerung zwischen Oberschicht und sozialer Unterschicht tarnten. Doch von den damit subsumierten sozialen Verschiebungen profitierte die Werbung und erfuhr dadurch in den 20er Jahren geradezu eine Blütezeit. Große Kaufmassen sicherten einen großen Werbeaufwand, so hatte es sich auch in den USA gezeigt. Seit Beginn der 20er Jahre rezipierten die deutschen Werber in Form der von den USA übernommenen und von den amerikanischen Advertising Agencies in Deutschland mit eingeführten Werbeträger- oder Zielgruppenforschung die Vorstellung der aus ihren stark traditionellen Bindungen herausgerissenen Konsumenten, die in ihrer Funktion als lenkbare Käufer mit sozialen Ängsten, Sehnsüchten und Statusfantasien wahrgenommen wurden. Werbung suggerierte Lösungen für alle anfälligen Alltagsprobleme. Egal ob Schweißgeruch, braune Zähne, lästige Haare, die richtige Küchenausstattung und das vorzeigbare Auto. Die Werbung der 20er und 30er Jahre zeigte mit ausgefeilten Anzeigen und anderen Werbemitteln, neuartige Vergesellschaftungsmöglichkeiten auf. So bedrohlich und umbruchhaft die Zeit für den Einzelnen und seinen sozialen Standort war, Werbung gab die Hinweise wie man trotz allem Akzeptanz schuf und sich somit sozialisierte. Hätten die deutschen Werber weniger pragmatisch und dafür mit einer negativen Fortschrittsideologie agiert, hätten sie sich ihrer eigenen Marktchancen beraubt. Die deutschen Werbefachleute wurden sozusagen zu Modernisierungsvermittlern ihrer Zeit. Emailleschild von Emil Cardinaux aus den 20er Jahren

Niveawerbung 1920

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jedes jahr ein meilenstein Warenknappheit, Verteuerung der Werbemittel und die staatlichen Lenkungsmassnahmen in der Wirtschaft haben zu einer Eindämmung des Werbeumfangs geführt. Allerdings ist das Reklamewesen von einer stets wachsenden Vielseitigkeit gekennzeichnet. Auch spielt die Werbung in Bereichen des öffentlichen Lebens, die bisher davon unberührt blieben, eine immer größere Rolle. Werbetechniken werden immer mehr an internationalen Massstäben gemessen. So heisst es in dem Vorwort zur 1920 erschienenen und damit dritten Auflage des Handbuches »Die Reklame – Eine Untersuchung über Ankündigung und Werbetätigkeit im Geschäftsleben«: »Als grossartiges Beispiel ist Nordamerika bei Schaffung einer Fachpresse vorangegangen. Durch die Einrichtung eines planmässigen Unterrichts und Beachtung des Faches auch an Hochschulen, bei Verwertung der Psychologie und des Experimentes zur Erweiterung unseres Wissens von der Reklame ...«. Allerdings stösst der Einsatz psychologischer Methoden auch im Deutschen Reich bereits auf verstärkte Resonanz. Im April 1920 vereint sich der Schutzverband der Grossinserenten mit dem Verband der Reklame-Interessenten. Der Zusammenschluss vertritt die Interessen seiner Mitglieder u. a. gegenüber Werbeträgern (Zeitungsverlegern), aber auch im Hinblick auf staatliche Eingriffe. Staatliche Stellen machten sich auf verschiedenste Art und Weise die Fortschritte der Werbung zunutze. So wird am 14. Juli dieses Jahres die Absicht der Reichspostverwaltung bekannt, die ihre Einrichtungen in sehr grossem Umfang für Reklamezwecke zur Verfügung zu stellen. Dieses in Eigenregie geplante Vorhaben soll neueste Einnahmequellen erschliessen. Auch das Reichsverkehrsministerium greift vermehrt auf Werbemethoden zurück. Im November kündigt es die Errichtung eines überaus zentralen Reichsverkehrsamtes zur Ankurbelung des Fremdenverkehrs an.

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1920


die frau eva und mutter Drei Jahre nach Kriegsende, in einer Zeit der andauernden Wirtschaftskrise im Deutschen Reich, beschränkt sich die Werbung in den Zeitungen und Zeitschriften auf ein bescheidenes Maß und verzichtet weitgehend auf vielversprechende Werbeslogans. Geworben wird hauptsächlich für Produkte des alltäglichen Bedarfs.

Prototyp Mann und Prototyp Frau auf Plakaten aus dem Jahr 1920

Besonders die Frau spielt in der Werbung eine immer herausragendere Rolle. Sie wirbt vor allem für Kosmetikprodukte, Wasch- und Putzmittel, technische Haushaltsgeräte und Kleidung. Der Mann ist dominierender Werbeträger für Zigaretten, Zigarren und alkoholische Getränke. Die Vermarktung der Frauengestalt in der Reklame basiert einerseits auf dem Bild der fleissigen Hausfrau und Mutter, die z. B. für Haferflocken oder Kakao Reklame macht. Andererseits orientiert sich die Werbung am Bild der modernen, schönen, verführerischen Frau, die vornehmlich für Kleidung, Parfüm, Kosmetik und Körperpflegemittel für eine »zarte weisse Haut« und Schlankheitskuren wirbt. Diese beiden Rollenideale treten als wesentliche Merkmale der Werbung hervor und sind bevorzugte Themen der Werbegrafiker in aller Welt. Das Plakat als Werbemittel setzt sich mehr und mehr durch. Bekannte Firmen wie Henkel, Persil, Nivea, Steiff, Deinhardt, Odol oder Leibniz werben für ihre Qualitätsprodukte in Zeitungen oder auf Plakaten ohne jegliche Zusatzinformationen für die VerbraucherIn. Der traditionsreiche Name steht im Vordergrund. Auch die für den Otto Normalverbraucher unerschwinglichen Güter wie Autos oder teure Klaviere werden nur mit den Firmennamen präsentiert, da genaue Kenntnisse über den Wert des Produkts beim Kunden vorausgesetzt werden. Dominierend im Anzeigenteil der Zeitungen sind nicht grossflächige Anzeigen bekannter Firmen, sondern viele kleinformatige Angebote der örtlichen Händler. Wegen der schlechten Ernährungssituation wird häufig für sog. Ersatz- und Vitaminprodukte, die eine unausgewogene Ernährung ausgleichen sollen, geworben. Kindern, Kranken und Unterernährten wird das Stärkungsmittel »Viscitin«, das die Abwehrkräfte und die Leistungsfähigkeit aufbaut, empfohlen. Auch der sogenannte Verband deutscher Schokoladenfabrikanten empfiehlt seine Waren als Ersatzprodukte.

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kunstplakate als werbetraeger Das künstlerisch gestaltete Plakat nimmt in der Werbelandschaft einen immer höheren Stellenwert ein. Neben Anzeigen für Ausstellungen, Theater- oder Kinovorstellungen wird vorrangig für Luxusartikel, wie z.B. Zigarren, Sekt, Whisky, Schmuck, Pelze oder Parfüm mit ausgesprochen unkonventionellen Plakaten geworben, die sich von der üblichen, gegenständlichen Abbildung des Verkaufsobjekts abheben.

Die berühmte Flasche No. 5 von Chanel, im Design seit den 20ern nur geringfügig verändert. 1921 wurde sie zum ersten Mal von Coco Chanel vorgeführt.

Die Art der Werbung ist mitentscheidend für die Verkaufserfolge. Hochwertige Produkte für einen zahlungskräftigen Kundenkreis können nur auf dem Niveau des Käufers präsentiert werden. Die Formen und Farben, die den künstlerischen Aspekt häufig in den Mittelpunkt stellen, wirken auffallend und heben den elitären Stellenwert des Werbeobjekts hervor. Die Markennamen ersetzten von nun an den Slogan.

aussenwerbung setzt sich durch 1921 Neuester Trend ist 1921 die Verlagerung der Werbung von den konventionellen Werbeträgern wie Zeitungen und Zeitschriften nach aussen an die Häuserwände, Strassenbahnen und auch die Telefonzellen. Sehr aufwendig gestaltete Lichtreklame verbreitet sich. Mit dieser Entwicklung erreicht die Werbung einen sehr viel grösseren Bevölkerungskreis und das Geschäft der Firmen, die immer mehr in die Werbung investieren, wird angeregt. Auffallend ist ab da auch der verstärkte Einsatz von Kindern sowie Studenten bei den Werbeanstrengungen grösserer Unternehmen im Einzelhandel. Junge Leute, die wie in einem Demonstrationszug Schilder mit den Sonderangeboten der Warenhäuser tragen, gehören ab dem Zeitpunkt genauso zu einem Strassenbild wie die wandelnde Litfasssäule.

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mehr qualitaet der reklame Trotz finanzieller Schwierigkeiten spielt in ihrer gegenwärtig schlechten wirtschaftlichen Lage die Werbung für die Industrie, den Handel und die Dienstleistung in den europäischen Ländern eine wichtige Rolle. Die am meisten verwendeten Werbemittel sind Anzeigen in Zeitungen und Illustrierten sowie Plakate. Neue Techniken hingegen finden verstärkt in den USA Anwendung. Dort werden Flugzeuge so wie Luftschiffe für Reklamezwecke eingesetzt, die Lichtreklame bestimmt das nächtliche Bild der Grossstädte. In Europa fehlen für solche aufwendigen Werbungen zumeist die Mittel. Ungewohnt für europäische Besucher sind in den USA auch die überdimensionalen Plakatwände (zumeist naturalistisch gestaltet) an den Autostrassen mitten in der Landschaft, die nur wenige Sekunden die Aufmerksamkeit der Fahrer in den immer schneller werdenden Kraftfahrzeugen auf sich lenken müssen. In der Gestaltung des traditionellen europäischen Plakats zu Beginn der 1920er Jahre sind schon Anfänge von künstlerischen Entwicklungen sichtbar, die später in den 50er und 60er Jahren starken Einfluss auf die Gebrauchsgrafik ausüben. Stilrichtungen wie Kubismus und Purismus, die Reduzierung des künstlerischen Gegenstands auf seine Grundform, des Konstruktivismus und Dadaismus sind dafür charakteristisch. Die Jahrzehnte anhaltende Qualität der künstlerischen Plakate kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der grösste Teil der Werbung ein solches Niveau nicht erreicht und weit entfernt ist von der Vorstellung einer »Kunstgalerie der Strasse«. Die Vertreter künstlerischer Vereine und Schulen sowie die Fachpresse fordern deshalb von Auftraggebern, dass sie der Ästhetik von Reklameprodukten mehr Aufmerksamkeit schenken.

Mercedes Werbung aus dem Jahr 1922

Neben der Wirtschaftswerbung gewinnt seit dem Ende des Weltkriegs das politische Plakat an Bedeutung. Hier sind es ganz besonders die Expressionisten, die durch ihre suggestive Malerei den Betrachter aufrütteln wollen und auch die sich jetzt durchsetzende dadaistische Fotomontage. Auffallend sind auch die Arbeiten der sowjetrussischen Konstruktivisten.

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1922


Cover der Zeitschrift „Gebrauchsgrafik“ von 1927 und 1928

usa als wegweiser

1923

Da die Massenproduktion von Verbrauchsgütern viel weiter fortgeschritten ist, spielt Werbung in den USA eine wesentlich größere Rolle als im Deutschen Reich und europäischen Ländern. Mit der Zeit gewinnt aber auch hier zu Lande die Werbung an Bedeutung und Profil. Obwohl Kitschreklametechniken weiterhin vorherrschen, sind im Jahr 1923 die ersten Anzeichen für die Entwicklung der modernen Reklame, die sich in den folgenden Jahren vollzieht, zu beobachten. Die Zeitung »Gebrauchsgrafik« bildet 1923 den Auftakt zu dieser neuen Entwicklung. Dadaisten wie z.B. die Bauhauskünstler László Moholy-Nagy, Herbert Baier, Kurt Schwitters und auch Joost Schmidt beginnen, Plakate in den neuen Stils zu entwerfen. Techniken und Formen wie z.B. die Fotocollage und die Typografie kennzeichnen die sogenannte „Neue Reklame“.

inserate aus der luft

Vorbild für die Werbegrafik ist der moderne Amerikanismus, in dem man Bauhausprinzipien wie Rationalität / Funktionalität verwirklicht sieht.

Mit dem Rundfunk kommt auch der Werbefunk. Wenige Monate nach der ersten Rundfunksendung, im Oktober 1923, gibt die Reichspost im Mai 1924 ihre Zustimmung zu Werbeeinblendungen im Programm mit den Worten »in mäßigem Umfang und allervorsichtigster Form«. Die Deutsche Reichs-Postreklame GmbH, Tochtergesellschaft der Reichspost, wickelt das Geschäft ab. Verboten sind politische und auch religiöse Werbung. Ferner darf für alkoholische Getränke, Vergnügungsstätten, Rundfunkgeräte, Tageszeitungen und Programmzeitschriften keine Reklame gemacht werden. Die ganzen Sender bringen sogenannte Reklame-Rundsprüche, aber auch Werbevorträge.

Eine Aufbruchstimmung herrscht auch in der Schweiz und in Österreich. Um die sogenannte »Zeit der alten Bauplanken mit ihren zahl- und regellosen Schildern« zu beenden, gründet der Wiener Gemeinderat 1923 die Wiener Plakatierungs- und Anzeigengesellschaft (WIPAG).

Bis zuletzt haben die Zeitungs-Verleger den Werbefunk bekämpft und ein Verbot des Radio-Inserats gefordert. Sie fürchten die Konkurrenz des sich rasch ausbreitenden Massenmediums: Die Zahl der deutschen Rundfunkteilnehmer schnellt von rund 1500 Anfang des Jahres auf 549 000 Ende 1924. Über die »Inserate aus der Luft« mokieren sich die Verlage, bevor sie überhaupt gesendet werden.

1924

81 Rundfunkstudio aus dem Jahr 1924


3o mio. dollar pro jahr

reklame als massenkunst

Durch die Erhöhung der Massengüterproduktion und der zunehmenden Wirtschaftskonzentration aufgrund der sich immer mehr durchsetzenden rationellen Fertigungsmethoden, wird Werbung zu einem sehr wichtigen Verkaufsfaktor. Für ihre wachsende Bedeutung steht z. B. die große Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für die erste Reichsreklamemesse vom 25. bis zum 30. April in Berlin. Veranstalter sind u. a. der Verband Deutscher Reklamefachleute, Verleger und Gebrauchsgrafiker. Sie haben es sich zum Ziel gemacht, die Reklame zu »veredeln« und neue Werbemöglichkeiten zu erschließen. So wird in einer Revue erstmals gesungene, getanzte und auch eine dialogisierte Werbung vorgeführt.

Der Zeitgeist der Goldenen Zwanziger findet sich u. a. in der Gestaltung von Reklameplakaten und Werbegrafiken wieder. Seit der Währungsreform gegen Ende 1923 hat die Produktwerbung im Deutschen Reich einen großen Aufschwung genommen. Namhafte Künstler stellen sich in ihren Dienst und entwerfen Gebrauchsgrafiken und Anzeigen.

Breiten Raum nimmt auch die in den Großstädten schnell verbreitete Lichtreklame ein. Die sehr großen Effekte erreichen die Werbefirmen aber noch immer durch Anzeigen in Tageszeitungen. Das ergeben statistische Umfragen. Demnach ist es absolut kein Wunder, wenn die Unternehmen das meiste Geld darin investieren.

1925

So wenden Industrieunternehmen der USA jährlich etwa 30 Millionen US-Dollar für Zeitungs- und 20 Millionen für Zeitschrifteninserate auf. Die höchsten Reklameunkosten verzeichnet die Victor Talking Machine Company mit 3,5 Millionen US-Dollar (davon 1,6 Mio für Zeitungen). Wrigley (Kaugummi) benutzt seinen Gesamtetat (1 Mio) dafür.

Für die beteiligten Künstler geht es dabei weniger um die Förderung einer bestimmten Marke. Vielmehr um die Umsetzung neuer Trends und Entwicklungen - Technikbegeisterung, Funktionalismus, Sportlichkeit und Lässigkeit. So heisst es in der Zeitschrift »Das Kunstblatt« in einer Rückschau, die Werbekunst sei »sozial, kollektiv, wahrhafte Massenkunst: die Einzige, die es heute noch gibt. Sie schafft dem namenlosen Kollektivum der Öffentlichkeit seine optischen Gewohnheiten. Von den Plakatsäulen her hämmert sich – direkt gar nicht immer beachtet – langsam aber sicher eine künstlerische Haltung der Massenseele ein ...«

In der neuen Reklamekunst finden sich die modernen Kunststile in ihrer ganzen Vielfalt wieder:

1926

• Art Déco: Dieser eher ornamentale Stil, der durch eine Vorliebe für spitze Formen und manierierte Figuren bestimmt ist, wird in der Werbung für Kosmetika und Hygieneartikel bevorzugt. • Konstruktivismus: Geometrische und stereometrische Formen, für diese Stilrichtung typisch, finden sich u. a. bei den Werbegraphiken von Kurt Schwitters und El Lissitzky, u. a. für die Keksfabrik Bahlsen und die Pelikanwerke in Hannover. • Photomontage: Meister der Technik ist John Heartfield, der ausser politischen Plakaten vor allem Buchumschläge entwirft. Lediglich der Expressionismus, der durch einen sehr starken Pathos gekennzeichnet ist, kann sich in der Werbung kaum durchsetzen.

Nivea Creme Dose aus dem Jahr 1926: Statt der Schnörkelschrift von 1924 stehen nun „modische“ Großbuchstaben in weiß auf der inzwischen blauen Dose.

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„Krieg und Leichen – Die letzte Hoffnung der Reichen“ Photomontage von John Heartfield

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Art Deco Poster der Parfumflasche Lalique

Konstruktivismus: Leibnitz Keks Reklame 1922

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emil cardinaux Cardinaux kam 1877 in Bern zur Welt. Er besuchte die Eschenbacher-Privatschule. Während seiner Schulzeit zeichnete und malte er schon leidenschaftlich gern. Emil Cardinaux erkannte als einer der ersten Künstler die so spezifischen Anforderungen des Plakates an seinen GestalterIn. Er versuchte immer, im Plakat ein eng geschlossenes, von seiner Umgebung so unabhängig als möglich wirkendes, Kunstwerk zu gestalten. Cardinaux war sich auch bewusst, dass Plakate eine begrenzte Lebenszeit haben und für gute Ausstellungsplakate nicht viel Geld zur Verfügung stand. Entsprechend waren keine Dauerkunstwerke gefragt, viel mehr ging es darum mit neuen Ideen, starker Kompositionen und bewusster Farbgebung aufzufallen. Er erkannte folgerichtig, dass das Plakat bei einem möglichst geringen Kostenaufwand im Steindruck, eine hohe Lichtechtheit, grosse Leuchtkraft und eine möglichst weit reichende Fernwirkung gewährleisten muss. Cardinaux lernte das Lithographieren in München und kannte daher die ganz spezifischen Möglichkeiten aber auch die technischen Grenzen des Steindrucks. Seine Lithografien standen schon zu ihrer Zeit aus der bunten Masse von alltäglichen Anschlägen hervor, und begeistern heute Sammler mehr denn jemals sonst, dank ihrer oft genial schlichten Gestaltung und der meisterlichen, handwerklichen Ausführung. Vom größten Teil des damaligen Kunstgeschehens unterschied sich Cardinaux in seiner für ihn ganz selbstverständlichen Vielseitigkeit, seinem reichen Schönheitsempfinden und seinem sicheren Können. Seine Landschaftsmalerei bildete den weitaus überwiegenden Teil seines Schaffens. Darin vereinte sich sein künstlerische Ader mit seiner Naturverbundenheit.

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Steinlithografie in Farbe aus dem Jahr 1920. Kathegorie: Politik und Regierung. Stilrichtung: Art Deco.

Steinlithografie in Farbe aus dem Jahr 1924. Kategorie: Mode und Textilien.

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St. Moritz Poster aus dem Jahr 1923 (linke Seite) Tourismusplakat für die Schweiz aus dem Jahr 1920 (linke Seite) „Jungfrau-Railway“ Plakat aus dem Jahr 1926 (rechts oben) „Winter in Switzerland“ Plakat aus dem Jahr 1926 (rechts mitte) „Simplon Line“ Plakat aus dem Jahr 1928 (rechts unten)

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