6 minute read
Alle Dinge optimistisch betrachten
Die Protagonisten sind die demente Mutter und der schwerhörige Vater der Regisseurin.
REGISSEURIN NOBUTOMO NAOKO
Advertisement
Der Dokumentarfilm „I Go Gaga, My Dear“ (bokemasu kara, yoroshiku onegaishimasu) (2018) handelt von den Eltern der Regisseurin und Dokumentarfilmerin Nobutomo Naoko. Die 87-jährige Mutter erkrankt an Demenz, darauf beginnt der 95-jährige Vater zum ersten Mal in seinem Leben den Haushalt zu schmeißen. Mit welchen Gedanken erschuf die Tochter diese Dokumentation, in der sie ihre Eltern filmisch festhält? (Text: Kei Okishima)
Fotos: © 2018「ぼけますから、よろしくお願いします。」製作・配給委員会
Mehr auf der Webseite: Moderne Kultur > Film
©︎KEITA HAGINIWA PROFIL
NOBUTOMO NAOKO Geboren 1961 in Kure, Präfektur Hiroshima. Dreht seit 1986 Filme und Dokumentationen, vor allem über Aspekte der modernen Gesellschaft. Mit der Doku „Fortune in Disguise – My Cancer and Tokyo Tower“ gewann sie die Silver World Medal auf dem New York Festival und den japanischen Galaxy Award. W oher kommt Ihre Leidenschaft zum Dokumentarfilm? Eigentlich galt mein Interesse dem Werbetexten, also fing ich nach der Uni an, in der Werbeabteilung des Süßwarenherstellers Morinaga zu arbeiten. Doch kurz danach kam es zum „Glico Morinaga“-Vorfall*. Das war ein Riesending und von den Massenmedien ohne Rücksicht verfolgt zu werden, war eine große Herausforderung. Damals war die Berichterstattung der Medien noch nicht so reguliert, daher wurden wir täglich belagert und entwickelten richtiggehend eine „Medienphobie“. Zu dieser Zeit wurde ich von einer Zeitungsreporterin angesprochen. In einem Artikel wollte sie sich mir als Einzelperson widmen und zum ersten Mal konnte ich die Dinge ehrlich aussprechen. Als ich ihr von meinen Sorgen erzählte, war es, als ob eine große Last von meinen Schultern fiel. Es hat meine Probleme zwar nicht gelöst, aber dass es einen Menschen gab, der sich meine Geschichte anhörte, war wie eine Rettung für mich. Durch diese Erfahrung wurde mein Interesse zum Dokumentarfilm geweckt.
*Der „Glico Morinaga“-Vorfall 1983 wurde der Präsident des Lebensmittelherstellers Ezaki Glico entführt und vier Unternehmen, u.a. der Süßwarenhersteller Morinaga, wurden erpresst und bedroht. Zwischen Mai und September des Folgejahres wurden in Einzelhandelsgeschäften in Tōkyō und Aichi mit Blausäure vergiftete Süßigkeiten entdeckt.
Warum wollten Sie eine Dokumentation über Ihre Eltern drehen?
Als ich mir selbst eine Kamera kaufte, habe ich zur Übung meine Eltern gefilmt. Im Laufe der Zeit wurden die Veränderungen bei meiner Mutter sichtbar. Während des Filmens sagte sie: „Ich bin etwas seltsamer geworden, oder?“. Ich dachte, das sei etwas, das die ganze Welt sehen sollte. Man glaubt, Demenz bedeutet, dass betroffene Personen langsam ihr Fassungs- und Urteilsvermögen verlieren und daher nichts mehr begreifen. Doch tatsächlich bemerken sie die eigenen Veränderungen und daraus entstehen Ängste und Verzweiflung; mit dieser Dokumentation hoffe ich, dass ich dies der Welt auch nach dem Tod meiner Eltern beweisen und mitteilen kann. Doch als ich meine Pläne einem Fernsehsender mitteilte,
wurde daraus schneller als gedacht eine ich wäre einfach nicht genug. Ich glaube, allein aufbürdete. Jetzt da die Welt weiß, richtige Fernsehproduktion. Natürlich dass diese Gedanken auf ganz natürlidass meine Mutter an Demenz leidet, ist habe ich meine Eltern als die Protagonische Weise kamen, da ich vom Land nach es nichts Schlimmes mehr und niemand ten vorher um Rat gefragt und als diese Tōkyō zog und ganz allein mein Bestes diskriminiert sie deswegen. überraschend deutlich ihre Zustimmung gab. Durch den Krebs war ich froh, übergaben, wurde das Projekt realisiert. haupt am Leben zu sein. Zu dieser Zeit Was möchten Sie Pflegebedürftigen ging es meiner Mutter noch gut, sie kam oder Menschen mit an Demenz erkrankWie geht es Ihren Eltern heute? nach Tōkyō und kümmerte sich um mich. ten Angehörigen mitteilen? Bevor der Film veröffentlicht wurde, erIch war dankbar, dass sie sich um mich Dass sie alles positiv sehen sollen. Mein litt meine Mutter seit Ende September sorgte und zum ersten Mal war ich mir Motto ist: „Glück kommt zu denen, die 2018 immer wieder multiple Hirninfarkdieser Dankbarkeit erst bewusst. Seitdem lachen“. Auch wenn einem nicht nach te, daher liegt sie noch immer im Kranfinde ich Ruhe und fühle mich einfach Frohsinn zumute ist, wenn man lacht, kenhaus. Mein Vater ist 99 Jahre alt und glücklich, am Leben zu sein. wird man fröhlich. Denn erst wer das erfreut sich bester Leben genießt, hat Gesundheit. Er geht selbstständig einkau„ALS MEINE MUTTER SAGTE: gewonnen. Zu sagen, es sei wegen Demenz fen und lebt allein und unabhängig. ‚ICH BIN ETWAS SELTSAMER GEWORDEN, ODER?‘, DACHTE ICH, nicht angebracht, fröhlich zu sein, ist falsch. Niemand kann Im Film haben Sie in DAS SOLL DIE GANZE WELT SEHEN.“ sagen, wie lange die die Handlungen Ihrer Pflege dauern wird, Eltern so gut wie nie deshalb muss man eingegriffen. Gab es Momente, wo Sie Was hat sich seit der Veröffentlichung fröhlich sein. Wenn mein Vater und ich das gesamte Projekt abbrechen wollten? des Films verändert? während der Pflege glücklich lachen und Als Tochter stand ich durchaus im KonDa meine Mutter noch im Krankenhaus leben, beruhigt das auch meine Mutter. flikt, meinen Eltern zu helfen statt sie zu liegt, hat sie ihn tatsächlich noch nicht Ich möchte, dass es den Menschen Freufilmen. Doch das Filmen hat auch mich gesehen. Doch jedes Mal, wenn ich sie de macht, meinen Film anzuschauen. Im einige Male gerettet. Zum Beispiel hat besuche, sage ich zu ihr, dass „sie der Welt Allgemeinen hält man Desich die Persönlichkeit meiner Mutter, die hilft“. Das sage ich vor allem deshalb, menz für eine beängstigende sich immer um andere Menschen gekümweil sie glaubt, durch ihre Krankheit für Krankheit. Die Leute glauben, mert und eine positive Einstellung hatte, nichts und niemandem mehr nützlich zu dass im Kopf etwas kaputt geht, durch die Erkrankung verändert. Dass sie sein. Wenn ich meiner Mutter also miteine Heilung gibt es auch noch zu ihrer Tochter sagt: „Ich will sterben!“, teile, dass viele Menschen durch den Film nicht. Doch ich denke, wenn das hätte sie früher nie getan. Wenn meine neuen Mut geschöpft haben, dann scheint sich Verwandte, Pflegekräfte Kamera es nicht aufgenommen hätte, sie das sehr zu freuen. oder Nachbarn den Film ansehen wäre ich sicher schockiert gewesen. Auch Mein Vater, der in Kure lebt, wurde seit und zusammenarbeiten, verstewenn das eine Situation war, die man als der Veröffentlichung zu einer Berühmthen sie, dass man Witze machen Tochter anderen Menschen sicher nicht heit, und viele Menschen unterstützen und gleichzeitig glücklich und gut zeigen will, als Regisseurin war ich in der ihn auf freundliche Weise. Wenn er zum leben kann, solange wir uns nur Lage, diese Momente aufzuzeichnen. Beispiel einkaufen geht, dann sagen die gegenseitig unterstützen. Sie selbst litten an Brustkrebs; wenn Sie hast du das gegessen, deshalb musst du auf diese Zeit zurückblicken, was glauheute das nehmen!“ und geben ihm Ratben Sie, welche Bedeutung die Erkranschläge für eine ausgewogene Ernährung. kung hatte? Auf diese Weise gibt die Gesellschaft auf Ich brauche nicht mehr viel um glücklich ihn Acht. Es gab eine Zeit, in der meine zu sein. Damit meine ich, auch wenn ich Eltern sich wegen des ganzen Stresses mit nur 45 Jahren an Brustkrebs erkrankzurückzogen und mein Vater sich alles te, litt ich bis dahin unter meinen eigenen Ansprüchen. Ich bin ledig und kinderlos und so war ich neidisch auf all die Leute, die um mich herum heirateten und Kinder bekamen. Auf der Arbeit verglich ich mich mit meinen Kollegen und ich dachte, Leute wohl zu ihm: „Väterchen, gestern