#03 Frühling 2012

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FRÜHLING 2012

#03 KÖLNER KULTUREN MAGAZIN | WWW.NULL22EINS-MAGAZIN.DE

FREIEXEMPLAR | WERT 3 EURO


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EDITORIAL

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FOTO: ALESSANDRO DE MATTEIS

Editorial


EDITORIAL

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RAUM KULTUR PERSPEKTIVE KÖLN Es ist nun rund ein Jahr her, dass sich der Verein artishocke gegründet und zusammen mit vielen Neugierigen ein Magazin ins Lebens gerufen hat: null22eins. Aus einer einzelnen Idee ist ein Gemeinschaftsprojekt entstanden, das auch 2012 seine Fortsetzung findet und eines beweist: Ziehen viele an einem Strang, kann eine Idee Wirklichkeit werden – egal, wie stark der Einsatz jedes Einzelnen ist. Gemeinsamkeiten nutzen und etwas teilen, quasi soziale und karitative Ansätze, bilden gleich mehrfach den Inhalt der Frühlingsausgabe null22eins. So entstehen manchmal erfolgreiche Unternehmen, die mit einzigartigem Design überzeugen und Fehler beheben wollen („debuggen“). An anderer Stelle schaffen gemeinsame Überzeugungen eine feste Identität, die eine Kneipe und deren Gesichter zu echtem Kult erheben – ein Beispiel aus Mülheim. Dann finden sich einzelne überzeugte Menschen, die nur durch die Hilfe anderer ihre Projekte verwirklichen können und damit die Welt verbessern wollen – eine faire Sache in Sülz. Und schließlich echte Massenbewegungen von Gemeinsamkeiten, die auch noch so einsame Gedanken und Ideen in die Wirklichkeit tragen können – ein Blick zur (wieder-)entdeckten Klasse der Masse.

Und schließlich null22eins selbst, das Netzwerk der artishocke, das weiter wachsen und noch viel mehr Gemeinsamkeiten mit interessierten Kölnern, Institutionen, Künstlern und Kulturen finden will – zumal hinter diesem Magazin viel mehr steckt als Schrift, Bild und Gestaltung. Wir laden ein, auch auf anderen Gebieten etwas zu teilen. In diesem Sinne senden wir unsere frische Ausgabe in den Kölner Frühling und freuen uns auf Reaktionen, neue Kooperationen und jede Menge Raum für neue Ideen. Viel Spaß beim Lesen! null22eins


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INHALT

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KÖLNER KULTUREN MAGAZIN | WWW.NULL22EINS-MAGAZIN.DE

Nr Drei

06 ALT | NEU /// BARBAROSSAPLATZ – KREUZUNG IN PLATZNOT

22 FOTOSTRECKE /// THEMA: EINSAMKEIT

08 KÖLN-SZENE /// LIMES

26 ZWISCHENRAUM /// DINGFABRIK

Überzeugt rechtsrheinisch

Vom AllEinSein

Werkstatt für alle

28 KUNST /// ANTI-ART SCHOOL Burlesque Zeichenkünste

10 PORTRÄT /// DEBUG VISUALS Zwei Künstler im selben Boot

14 WISSENSCHAFT /// KLISCHEE MIT HAUT UND MEHR 16 INTERVIEW /// TYPOGRAFIE

Mit Professoren quer durch Schrift und Zeit

30 DESIGN /// WOHNFÜHLEN Frisches durch Upcycling

32 MUSIK /// KONZERTPREVIEWS WhoMadeWho Motorpsycho The Whitest Boy Alive

33 WE ARE CITY /// LYNDAS LIEBLINGSORT 34 SPORT /// CAPOEIRA

Verteidigungs-Kunst mit Vergnügen

36 KÖLNER PLÄTZE /// EIN FAIRER STAND 20 GALERIE /// COLOGNE CONTEMPORARIES Grenzenlos zeitgenössisch und jung

38 MAHLZEIT /// MOLEKULARKÜCHE Espressonudeln mit Melonenkaviar


INHALT

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Impressum 40 MUSEUM /// RGM VOR NEUEM GLANZ

Blicke in das Römisch-Germanische Museum und in dessen Zukunft

44 KONSUM /// MODE IM VEEDEL

Herausgeber

V.i.s.d.P

Retro & Charme im Belgischen Viertel

Layout Fotos

Crowdsourcing und Crowdfunding

49 KÖLNER PLÄTZE /// STADTSPAZIERGANG Passagen-Betrachtungen

Robert Filgner robert@null22eins-magazin.de Şehnaz Müldür sehnaz@null22eins-magazin.de

Redaktion u. redaktionelle Mitarbeit

46 NETZWERKEN /// DIE KLASSE DER MASSE

artishocke e. V. Genovevastraße 65 • 51063 Köln redaktion@null22eins-magazin.de

Coverfoto Druck

Anzeigen http://

Bankverbindung

Jens Alvermann, Nicole Ankelmann, Charlotte Braun, Daniel Deininger, Robert Filgner, Stephanie Kraus, Christina Kuhn, Şehnaz Müldür, Stawrula Panagiotaki, Catarina Pauli-Caldas, Adam Polczyk, Agata Sakwinski, Oliver Vogels. Athenea Diapoulis, Helena Kasemir, Nathalie Metternich, Leo Pellegrino. Alessandro De Matteis, Athenea Diapoulis, Walter Drießen, Simon Hariman, Christian Löhden, Leo Pellegrino, Rheinisches Bildarchiv Köln, Klaus Rothenhöfer, Anna Shapiro, Paul Zilliken. Leo Pellegrino Merkur Druck GmbH & Co. KG Am Gelskamp 18–20 • 32758 Detmold www.merkur-psg.de Telefon: 0221. 20 43 22 25 redaktion@null22eins-magazin.de null22eins-magazin.de facebook.com/null22eins issuu.com/null22eins-magazin artishocke e. V. Deutsche Skatbank Konto-Nr.: 4680715 • BLZ: 830 654 10

Redaktions- Ausgabe #03: 19. Januar 2012 schluss

50 AUSBLICK /// IM JUNI

Urheberrechte für Beiträge, Fotos und Illustrationen sowie der gesamten Gestaltung bleiben beim Herausgeber oder den Autoren. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers! Alle Veranstaltungsdaten sind ohne Gewähr.


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DER BARBAROSSAPLATZ

EINE KREUZUNG IN PLATZNOT TEXT: CHRISTINA KUHN FOTOS: C HRISTIAN LÖHDEN RHEINISCHES BILDARCHIV KÖLN KLAUS ROTHENHÖFER Verkehrsknotenpunkt für Autos, Straßenbahnen, Fußgänger; chaotische Kreuzung; Adresse der ersten Kölner McDonald’sFiliale und gesäumt von 50er-Jahre-Architektur – der Barbarossaplatz ist vieles, nur schön ist er nicht. Das war einmal anders, als er Ende der 1880er als Sternplatz samt Fontäne und Bäumen angelegt wurde. Ab 1898 verkehrte hier der „Feurige Elias“, die Vorgebirgsbahn zwischen Köln und Bonn, und auch die elektrische Rundbahnlinie zog hier ihre Kreise. Der Ausbau der Ringstraße und die Bomben des Zweiten Weltkriegs vernichteten alles Schöne; das Bauhaus-Hochhaus und der SparkassenBau mit Schwalbenschwanzdach rückten nach. Was blieb, ist die Bahn – wenn sie es denn pünktlich über die Barbarossakreuzung schafft.

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KÖLN-SZENE

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LIMES

HIP BRAUCHT HIER KEINER EIN ORT FÜR ALLE, DIE KEINE SCHUBLADEN BRAUCHEN UND AUCH NICHT KENNEN. UND EIN ORT FÜR ALLES, WAS IN ANDEREN LOKALEN OFT VERNACHLÄSSIGT WIRD. DAS LIMES GEHT SEINEN EIGENEN WEG – MIT ERFOLG.

WEITERE INFOS Limes Mülheimer Freiheit 150 51063 Köln http://limes-koeln.de http://blaenke.de

TEXT: ROBERT FILGNER FOTOS: ALESSANDRO DE MATTEIS Dieser Laden zeigt, dass man nicht das große Kapital braucht, um erfolgreich zu sein. Es braucht vor allem Ideen, etwas Mut und ein funktionierendes Team, will man eine Kneipe etablieren und sogar richtig bekannt machen. Das Limes in Mülheim kann das ohne Übertreibung von sich behaupten. Und das Schöne vorweg: Die Gesichter dahinter würden genau das nie tun. Und schon sind wir auch beim eigentlichen Thema dieser Zeilen über eine Kneipe im Rechtsrheinischen, die als eine der wenigen auch vom Linksrheiner nicht verschmäht wird. Denn es sind nicht allein der gemütlich-verrauchte Stil, bezahlbares Bier inklusive Astra, der kostenfreie Kickertisch oder die St. Pauli-Liveübertragungen. Das Limes hat sich nicht nur als Veedelskneipe im ja doch etwas linkeren Mülheim einen Namen gemacht. Es sind vor allem die Leute vor Ort und ihre Einstellung, die den Laden auf der Mülheimer Freiheit für viele Gäste unverwechselbar machen. Das Team dahinter, mit „kollektivähnlichen Zügen“, wie dem Besitzer Andreas rausrutscht, sorgt außerdem seit nunmehr knapp dreieinhalb Jahren dafür, dass Kölns Punk- und Rockszene nicht verkümmert. Wer noch Bands in Wohnzimmeratmosphäre erleben will, ist hier genau richtig. „Wir geben auch kleineren Bands und unbekannten Musikern eine Chance. Bei uns gibt es den Platz dafür – und auch das Publikum. Durch die gute Stimmung bei diversen Konzerten haben wir uns im Endeffekt einen richtig guten Ruf erarbeitet.“ Andreas, der zur damaligen Eröffnungsparty auf der Mülheimer Freiheit 500 Leute begrüßen durfte, blickt ziemlich entspannt, wenn er vom Limes redet. Schon der Andrang zu Beginn ließ darauf schließen, dass hier eine Erfolgsgeschichte lauert. Immerhin kümmern sich heute bis zu 18 Leute darum, dass so ziemlich jeden Abend etwas anderes los ist. Und das


KÖLN-SZENE

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Das Limes- und Blänke-Team trägt nun auch dazu bei, den Kulturbunker – Mülheims kulturelle Seele – mit mehr Leben zu füllen, zum Beispiel im März beim Blowfest – dem ersten Festival der Limes-Crew (www. blowfest-cologne.de).

ohne den „Pay-to-Play“-Gedanken, der im Gespräch mit weiteren Teammitgliedern unisono als „Scheiße“ abgelehnt wird. „Wir sind mittlerweile etwas breiter aufgestellt, brauchen keine Schublade. Das Limes ist eine große Spielwiese für alle Musikrichtungen. Hauptsache, es gefällt uns. Heute lassen wir hier auch Hip-Hopper und Rockabillys spielen, selbst Klassik hatten wir schon zu Gast.“ Und das stets zu bezahlbaren Eintrittspreisen, die eins zu eins an die Musiker gehen. Genau hier unterscheidet sich die St. Pauli-Fankneipe doch von einigen anderen Läden. Diese Freizügigkeiten im Umgang mit Bands sind aber nur möglich, weil die Kneipe einfach gut läuft. Und das wiederum liegt an den Menschen, die das Limes machen. Ninne, Maik, Dirk und Andy beispielsweise, die regelmäßig auch hinter dem Tresen stehen, lassen zwei Dinge erkennen: „Hip brauchen wir nicht. Und irgendeiner Mode hinterherzujagen ebenso nicht.“ Aber einen ordentlichen Umgang untereinander. Wohl auch daher ist Gewalt fast ein Fremdwort in dem oft so vollen Laden. „Wir haben da klare Regeln, die auch schon bei dem Satz ‚Ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber …‘ greifen“, sagt Andreas. „Diese Leute wissen sofort, dass sie hier nichts zu suchen haben, und dann gibt es eben ganz schnell ein Hausverbot.“ Auch mit den Nachbarn hat man sich arrangiert und bewiesen, dass, auch wenn die Musik noch so hart sein sollte, die selbst auferlegten Regeln immer eingehalten werden. Dass eine Kneipe wie das Limes vor allem in Mülheim funktioniert, ist nicht verwunderlich. Hier trifft man, wie mittlerweile auch im Blänke, dem Café im Kulturbunker, das seit Sommer 2011 vom selben Team geleitet wird, zwei sich perfekt ergänzende Kneipengänger: Mülheimer, die es schon immer gewesen sind und auch bleiben, und noch echte Pioniere der Gentrifizierung, die zu Mülheimern werden und es immer bleiben wollen. Überzeugt rechtsrheinisch eben.


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PORTRÄT

> TEXT: Ş EHNAZ MÜLDÜR FOTOS: A LESSANDRO DE MATTEIS, DEBUG VISUALS

IM SELBEN ES HANDELT SICH NICHT UM EINE AGENTUR. KÜNSTLERKOLLEKTIV WILL ES ABER AUCH NICHT SO GANZ TREFFEN, STELLT MAN SICH DARUNTER DOCH GLEICH EINE WARHOL-INSPIRIERTE, KLEINE ARMEE MINDESTENS EBENSO DEKADENTER WIE KREATIVER CHARAKTERE VOR. WEITER ENTFERNT KÖNNTEN PIERRE GALIC UND SEBASTIAN KARBOWIAK SOWOHL VOM EINEN ALS AUCH VOM ANDEREN BILD NICHT SEIN. DENNOCH SCHEINT SICH IHR BÜNDNIS, DEBUG VISUALS, AUF UNBESTIMMTE ART IRGENDWO DAZWISCHEN ZU BEWEGEN. UnbeDer schönste Aphorismus für Alles “: rhei ta „pan et laut stimmbarkeit to, Mot ein als Visu ug Deb te Hät fließt. ema ndth Gru wäre es wohl dieses. Das owiak der Arbeiten von Sebastian Karb der he: gleic das r zwa ist c und Pierre Gali städ eist zum , hen ntlic öffe mit g Umgan itsArbe der tischen Räumen. Doch „von sind wir weise und dem, was wir machen, sich sunzt ergä es r Abe . den sehr verschie in eiwir was s, „Da ak. owi Karb sagt per“, kann n, sehe z nem Raum oder einem Plat ber darü und – sein sehr unterschiedlich in ung Reib dige stän e Dies sprechen wir.“ stler Kün i zwe der Stil und eise Arbeitsw Arbeitsmacht einen wichtigen Teil ihrer sie sich sind als, Visu prozesse aus. Debug Motes imm best ein für t einig, stehe nich auses Neu e. Sach eine r ode Ding tiv, ein e. Im probieren, das spielt die größere Roll er tisch hap rein auf Denken, aber auch oft n ekte Proj en neu bei es t Ebene. So geh wollen erst einmal um die Frage: Womit Watall? Met ? wir aktuell arbeiten? Holz s, an Orte des g gun te? Nach der Besichti wir en „hab soll, den wer et dem gearbeit en, Aug vor lien eria Mat te imm oft best Und . zess kpro danach kommt der Den

BOOT

wenn die Materialien dann noch funktionieren, wird es so gemacht“, erklärt Galic. Je nach „Arbeits-Platz“ kann die Wahl auch auf etwas zunächst ganz Abwegiges fallen, zum Beispiel Wasser. 2007 stellten Galic und Karbow iak eine Installation mit Eiswürfeln unter der Deutzer Brücke fertig. Ein naheliegendes Zusammenspiel von Ausstellungsor t und Arbeitsmaterial, sind Brücken doch Symbole des Zugangs, der Verbindung, der Fixierung – direkt über dem die Stadt teilenden, sich ständig in Bewegung befindenden Rhein als Identifikationsmerkmal mit Köln. Die beiden Künstler bauten für diese Ausstellung drei Kuben. Einer war mit Telefonbuchseiten plakatiert, der zweite war mit den Namen großer internationaler Konzerne und der dritte mit Tags versehen worden. In ihnen befanden sich Eiswürfel, deren Schmelzwasser schließlich in einem Schlauchboot zusammenfloss. Privatmensch, Wirtschaft und Stadt als miteinander zusammenhängende Teile des öffentlichen Raums: Sie alle sitzen im selben Boot. Bevor es unter dem Namen Debug Visuals Installationen gab, waren die zwei Künstler unabhängig voneinander in der

Graf fiti-Szene unterwegs. Die Bind ung zur Street-Art besteht noch, doch über die Jahre haben andere Formen künstlerischen Schaffens an Bedeutu ng für sie gewonnen – nicht zuletzt, um aus dem mit der Graf fiti-Kultur einh ergehenden Klischeegebilde ausbrech en zu können. Die beiden stellen klar: „Es geht uns nicht um dieses ‚Da ist eine Wand, und da mache ich jetzt was drauf‘, sondern es geht uns vor allem um die Auseinandersetzung mit dem Rau m.“ Er ist der Ausgangspunkt. An ihm und für ihn wird die Idee ausgestaltet; erst dann sucht man ein Medium, das diese am besten transpor tieren kan n. Das muss eben nicht immer das Med ium Sprühdose sein. Pierre Galic erkl ärt: „Manchmal haben wir einfach Lust, Freestyle zu malen, oder dann haben wir eben Lust, so was Durchkonzip iertes zu machen.“ Street-Art, so Gali c, sei ja auch etwas, das man meisten s aus einem idealistischen Drang hera us beginne, „und wir versuchen scho n, das beizubehalten“. Nichtsdestotrotz : „Mit der Zeit sieht man die Stadt and ers, man entw ickelt ein Auge dafür“, setzt Sebastian Karbowiak an. Was sie nicht wollten, sei „dieses hysterische ‚Ich hab hier eine Schablone und will die jetzt überall draufballern‘“. Sie krit isieren den Habitus der Fließbandproduk tion, der sich seit einer Weile in den Um gang mit Street-Art eingeschlichen hat, die Systematik der Kommerzialisierung sowohl in der Szene selbst als auch von außen. „Das ist ein bisschen die perv er- >


PORTRÄT

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PORTRÄT

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schönen tier te Form von einem eigentlich Leute viele s „das c, Gali so n“, Gedanke lg Erfo ellen durch die Aussicht auf schn ein– den wer it nachlässig in ihrer Arbe auch für fach nur, weil es einen Markt MasDie .“ gibt rt et-A Stre e äßig mittelm t. inde schw t se kommt, die Aussagekraf e nlich ersö unp viel zu Karbowiak: „Es gibt inan ause r meh t nich oft n Kunst, man kan n eine gibt Es ist. wem von was n, derhalte selben Basismarkt, der sich von immer den sind wir Und t. läss Zutaten befriedigen n.“ davo ervt gen chen biss ein im Moment alb desh auch sie en rück ise rwe Mögliche gt ein davon ab, durch ihre Arbeit unbedin „Es en. woll zu en trag Zeichen nach außen mit as ndw irge , icht Abs ne ist nicht mei betont einem Statement herzustellen“, en anFrag zu Galic. „Wenn das Produkt rechte dge Mun .“ icht regt, ist das Ziel erre ug Deb von Stil der t nich Aussagen sind „die c, Gali so , man e woll er Lieb Visuals. achter Dinge so gestalten, dass der Betr Bild nes eige ein sich die Möglichkeit hat, nn „We nzt: ergä ak owi Karb zu machen“. eln läch und n ucke ang das sich e die Leut das ja oder ‚das ist scheiße‘ sagen, sind

© Benjamin Wießner (ctp, with herr

schulze)

wer t sind. Aber es geht vor schon mal zwei Reak tionen, die was wichtig, dass sie einen selbst allem um die Arbeit selbst. Es ist überraschen kann.“ schaffen sie sich, natürlich Dieses überraschende Moment Graf fiti beeinflusst, durch die auch durch die Verw urzelung in t. Dabei ist auch prak tisches Beschäftigung mit Orten der Stad Weg zu dem Raum, wo geht den Denken gefragt: Wie findet man Thema, in das man immer tieman hinein, was umgibt ihn? Ein hte, kann man sich damit noch fer dringen kann: „Wenn man möc r nicht.“ Lange herumfeilen mehr beschäftigen. Muss man abe en – so würden drei Vier tel Ding müsse man zwar schon an den m neuen Projekt während des der anfänglichen Ideen bei eine ießlich sei es „natürlich auch Arbeitsprozesses verworfen. Schl ichen Wünsche und Vorstelein harter Kampf“, die unterschiedl ame Sache einzubringen. eins gem lungen zweier Köpfe in eine an – es ist also schon ganz viel „Ich schreie ihn an, er schreit mich uen wir: Wo überschneidet es Persönlichkeit da drin. Dann scha sich eben um einen Prozess, sich?, und weiter geht’s.“ Es handelt rier t ist. Die Offenheit dauktu hstr der nicht von Anfang an durc es für die Ideenumsetzung für, welchen Weg man letzten End der Arbeit der beiden Künstler. wählt, ist ein wichtiger Faktor in Frage, welche Projekte für 2012 So fällt auch die Antwor t auf die ret aus: Es gebe schon ein paar onk anstehen, paradox konkret-ink „wenn es dann an der Zeit ist“. Möglichkeiten; man werde sehen, n Karbowiak und Pierre Galic Eine Gelassenheit, die sich Sebastia n Arbeitens angeeignet haben in über zehn Jahren gemeinsame ikation zwischen den beiden mun und die sich auch in der Kom owiak, „dass wir nicht so viel zeigt. „Ich finde auch gut“, so Karb tehen uns einfach so.“ Galic miteinander reden müssen. Wir vers zu zweit.“ Das scheint die r ergänzt: „Es ist einfach dynamische ug Visuals zu sein : DynaDeb von n Konstante in den Kunstwerke mik. Eine fließende Eigenschaft.


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Š Robert Winter

WEITERE INFOS www.debug-visuals.com http ://debugvisuals.blogspot.com

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皮膚 GASTAUTORIN STAWRULA PANAGIOTAKI SCHILDERT IN IHRER WISSENSCHAFTLICHEN ARBEIT DIE PROBLEMATIK STEREOTYPER FREMDWAHRNEHMUNG.

1 Tawada, Yoko: Das Bad. Tübingen 1989. 2 Breger, Claudia: Mimikry als Grenzverwirrung. Parodistische Posen bei Yoko Tawada. In: Über Grenzen: Limitationen und Transgressionen in Literatur und Ästhetik. Hrsg. von Claudia Benthien/Irmela Marei Krüger-Fürhoff. Stuttgart/Weimar 1999. 3 Benthien, Claudia: Haut. Literaturgeschichte, Körperbilder, Grenzdiskurse. Reinbek bei Hamburg 1999. 4 Delank, Claudia: Das imaginäre Japan in der Kunst. „Japanbilder“ vom Jugendstil bis zum Bauhaus. München 1996. 5 Foreman, Kelly: Bad girls confined: Okuni, Geisha, and the negotiation of female Performance Space. In: Bad girls of Japan. Hrsg. von Laura Miller. New York 2005. 6 Kinsella, Sharon: Black Faces, Witches, and Racism against Girls. In: Bad girls of Japan, s.o., und Miller, Laura: Beauty up. Exploring contemporary Japanese body aesthetics Berkeley/Los Angeles/London 2006. 7 Kersting, Ruth: Fremdes Schreiben. Yoko Tawada. Trier 2006. 8 Siehe Benthien: Haut.


WISSENSCHAFT

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TEXT: STAWRULA PANAGIOTAKI ILLUSTRATION: LEO PELLEGRINO

EIN SCHUSS UNTER DIE

HAUT

damit, dass sie nicht japanisch genug empfände. Er möchte die Fotoaufnahmen wiederholen, ihre Haut weiß schminken, ihre Lippen rot bemalen und ihr zudem die Haare schwarz färben. Die Schwierigkeit bei der Auseinandersetzung mit der kulturellen Konstruktion vom „Weiß-Sein“ liegt in der postulierten Invisibilität. Weiße Haut wird ebenso wie der weiße Blick kulturhistorisch als neutral aufgefasst.3 Für Tawadas ProIn Yoko Tawadas Texten wird besonders tagonistin in „Das Bad“ könnte daraus geschlossen werden, dass sie sich zu sehr dem oft die Haut in den Mittelpunkt gestellt: europäischen Bild angenähert hat. Ihre Haut wirkt neutral und müsste, um dem japaSie wird verletzt, operiert, ist Sprache und nischen Bild zu entsprechen, weißer geschminkt werden. Weiße Haut, rote Lippen und Stoff, es wird in ihr gewohnt, und sie wird schwarze Haare entsprechen hier eindeutig dem westlichen Blick auf Japan. Das Bild kulturell markiert, Letzteres besonders der Geisha wird für die Werbung des Reisebüros verwendet, der augenscheinlich imdeutlich in der Erzählung mer noch vorherrschenden stereotypen Japanidee, „Das Bad“1. dem Fujiyama-Geisha-Komplex 4, möchte entsproDIE KÖRPERDARSTELLUNG IM WERK chen werden. DER 1960 IN JAPAN GEBORENEN UND Das Thema Fotografien verweist gleichzeitig auf Japan-Literatur SEIT 1983 IN DEUTSCHLAND LEBEN- die ethnografische Tradition des europäischen JapoSchon zu Beginn der Erder sich im 19. Jahrhundert nach der DEN AUTORIN YOKO TAWADA IST nismuskultes, zählung spielen das ÄuÖffnung Japans in der Hochschätzung von Attrißere, das Schminkmotiv, VIELFÄLTIG. IN DER ERZÄHLUNG „DAS buten der hohen Gesellschaft in Kunst und Kultur und die Farbe der Haut BAD“ SIND METAMORPHOSEN VON manifestierte. Die pragmatische Bedeutung der eine wichtige Rolle: Der ZENTRALER BEDEUTUNG. SIE BEGIN- weiß geschminkten Geisha-Haut, die besonders im Fotograf Xander erhält japanischen Theater von Bedeutung war, ist gerade von einem Reisebüro NEN MIT DEM LANGSAMEN WACHSEN deswegen zu erläutern: den Auftrag, Motive für VON SCHUPPEN AUF DER HAUT DER Werbeplakate zu suchen, NAMENLOSEN JAPANISCHEN ERZÄH- „The emblematic white face paint often described und wählt dafür die jato be some sort of ‚badge‘ of the geisha is, in fact, simpanische Protagonistin LERIN UND ENDEN MIT IHREM TOD, ply a stage convention; all dancers – male or female, als Modell. Während der INDEM SIE IHREN LEIB ÖFFNET UND whether on the Kabuki stage or in a teahouse – wear Aufnahmen erhält sie DIE HAUT, IHRE DURCHLÄSSIGE MEM- this makeup when performing […]. The makeup is unterschiedliche Anweidesigned for audiences seated at a distance from the BRAN, ZUM VERSCHWINDEN BRINGT. stage, and we are not used to seeing performers up sungen von ihm: Sie solle japanischer schauen, ihre close.“ 5 Augen auf die Kamera richten, lockerer sein und lächeln. Der Akt des Fotografierens scheint für die Protagonistin jedoch Die Krux mit dem Klischee qualvoll und gewaltsam zu sein. Auch den In Japan ist seit Beginn der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts ein interessanter Namen des Fotografen, der mit einem X Gegentrend zu bemerken. Bei jungen Mädchen gelten dunkle Haut durch Bräunungsbeginnt, kann sie nicht entschlüsseln: „Bis creme und Sonnenstudio sowie blonde Haare als neues Schönheitsideal. Dieser Trend zu dem Tag, an dem ich erfuhr, daß dieser könnte vielleicht auch als Gegenbewegung oder Abgrenzung zum klassischen JapanName eine Abkürzung von Alexander war, bild der weiß geschminkten Haut und der schwarzen Haare verstanden werden.6 quälte mich jene Frage, die man in matheIm weiteren Verlauf des Textes schließt sich eine Diskussion über die Hautfarben matischen Lehrbüchern findet: welchen an. Während Alexander der Meinung ist, Haut hätte eine Farbe, meint die Erzählerin, Wert hat X? – Durchein? Dann hieße es dass Hautfarbe nur durch das Spiel des Lichts entstehe und dass es im Menschen selbst ‚Durcheinander‘. Mittein?“ Xander kann keine Farbe gebe. Er antwortet daraufhin, das Licht spiele „auf eurer Haut anders als als „Alexander der Eroberer“ gelesen wer- auf unserer“. Xander vertritt ein festes Identitätskonzept, denn für ihn hat Haut eine den, der Akt des Fotografierens ist demzu- Farbe und jeder „eine eigene Stimme“.7 Die Erzählerin hingegen geht nicht von einer folge als Jagd/Kolonisation zu sehen:2 „Sie Konstante aus. Wie in der Drucktechnik oder der Malerei wird weiße Haut hier als „farbbrauchen sich nicht zu erschrecken. Eine neutrale Leinwand oder unbeschriebenes Blatt“ verstanden. Im Gegensatz dazu stehe Kamera ist doch kein Gewehr.“ die „beschriebene“ schwarze Haut.8 In Tawadas Text „Das Bad“ wird der Versuch unWenige Tage nach den Aufnahmen ternommen, die vorherrschende Identifikation über die Hautfarbe zu überwinden, da stellt sich jedoch heraus, dass die Fotos kulturelle Zuschreibung nicht primär über Hautfarbe stattfinden sollte. nicht gelungen sind, da die Protagonistin nicht auf den Bildern erscheint. Xander erklärt die Abwesenheit der Erzählerin


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INTERVIEW

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TYPOGRAFIE

Punze

Serife

Quer durch Schrift und Zeit Oberlänge

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Mittellänge

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Wortabstand

Versalhöhe

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Kerning

Laufweite

SCHRIFTGESTALTUNG UND LAYOUT UMGEBEN UNS TÄGLICH IN FAST ALLEN LEBENSRÄUMEN. DIE PROFESSOREN IRIS UTIKAL UND MICHAEL GAIS ERLÄUTERN IM GESPRÄCH MIT NULL22EINS, WAS ES MIT TYPOGRAFIE AUF SICH HAT. INTERVIEW: AGATA SAKWINSKI FOTOS: ANNA SHAPIRO

Ü

berlegt eingesetzt, ruft Typografie ein stimmiges Gefühl beim Betrachter hervor – im Idealfall schafft sie das sogar, ohne dass er es mitbekommt. Doch was steht auf der anderen Seite der Schrift? Welche gestalterischen Prozesse sorgen für die Lesbarkeit eines Textes? Iris Utikal und Michael Gais sind Professoren des Lehrgebiets Typografie und Layout an der Köln International School of Design (KISD). Neben ihrer Lehrtätigkeit leiten sie die Designagentur QWER, die sich unter anderem mit der Entwicklung von visueller Kommunikation für kulturelle Institutionen, Verlage und Wirtschaftsunternehmen beschäftigt. Für die EXPO 2000 in Hannover haben sie das Erscheinungsbild entworfen. Die beiden Professoren geben tiefe Einblicke in die Disziplin, den Beruf und die räumliche Dimension rund um den Begriff Typografie:

Was versteht man unter dem Begriff Typografie? Auf den Punkt gebracht könnte man Typografie als Gestaltung mit sichtbarer Sprache beschreiben. Das Medium Schrift ist ein Speicher für unsere Kommunikation – Typografie umfasst die Gestaltung und den Umgang mit diesen wichtigen Zeichen. Eines ihrer Ziele ist es, den Inhalt durch Schriftgestaltung, Layout und Gesamtform auszudrücken.

Wo kommt Typografie eigentlich her? Rückblickend kann man die vielfältigen Schriftzeichenentwicklungen in den unterschiedlichsten Kulturen als den Ursprung der Typografie bezeichnen. Wissenschaftlich und im Rahmen der europäischen Geschichte betrachtet, hängt der Begriff sehr stark mit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern um 1450 und mit dessen revolutionärer zeit- und kostensparender Vervielfältigungsmöglichkeit zusammen. Der Erfinder Johannes Gutenberg und seine Nachfolger, die diese innovative Drucktechnik weiterentwickelten und vertrieben, werden in diesem Zusammenhang als Prototypografen bezeichnet. Diese erste

Generation von Typografen bestand nicht nur aus Handwerkern, die lediglich Buchstaben und Schriften geschnitten und gedruckt haben, sondern auch aus Wissenschaftlern, die durch diese innovative Buchdruckkunst ihr Gedankengut vervielfältigen und unter möglichst viele Menschen bringen wollten.

Wie entstand daraus ein Beruf? Der Begriff Typograf verfestigte sich fortan. Der Tätigkeitsbereich änderte sich. Während der industriellen Revolution ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde diese Berufsbezeichnung hingegen auf das reine Handwerk reduziert und leider oft als minderwertig betrachtet. Ein Typograf arbeitete somit in erster Linie als Setzer, der die Druckplatten mit den einzelnen Bleilettern bestückte, bevor sie mit Farbe bestrichen und auf das Papier gepresst wurden. Mit Anbruch des 20. Jahrhunderts kehrte das gesellschaftliche Interesse an der Typografie wieder. Der Informations- und Unterhaltungshunger der Menschen stieg; Bücher, Magazine, Plakate und Werbetafeln wurden allgegenwärtige Medien der rasanten kulturellen und industriellen Entwicklung in Europa und den USA. Die Anforderungen an Schrift stiegen und somit auch die Diskussionen über den richtigen Einsatz, die passende Form und den Einfluss, den das geschriebene Wort auf Menschen haben kann. Besonders in Deutschland ging man nach dem Ersten Weltkrieg sehr kritisch mit alten Traditionen der typografischen Gestaltung und Schriften ins Gericht. Gefordert wurden klare, sachliche Formen und eine gute Lesbarkeit in den Printprodukten.

Und heute? Der Typograf von heute kann ein Schriftgestalter sein, der neue Schriftschnitte entwickelt, er kann sich wissenschaftlich mit der Geschichte und Zukunft von Buchstaben in verschiedenen Kulturkreisen beschäftigen, oder er versteht sich als Kommuni-


INTERVIEW

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kationsdesigner, der die Wichtigkeit der Schrift für seine alltägliche Arbeit hoch einschätzt und sich nicht nur mit oberflächlichen Effekten abgibt. Was bis Mitte der 80er-Jahre ausschließlich auf Papier entstehen konnte, ist heutzutage mithilfe von speziellen Programmen am Computer möglich. Dies gilt sowohl für die Entwicklung von neuen Schriften als auch für die Kombination von Schrift, Bild und grafischen Elementen für ein bestimmtes Medium. Die Anforderungen an Schrift durch ihre Nutzung in Fernsehen, Internet und anderen elektronischen Geräten wie dem eBook ändern sich mit jedem neuen Entwicklungsschritt. Aus diesem Grund bleibt es für uns wichtig, dass Designer sich mit Schrift beschäftigen und die Entwicklungen aktiv begleiten. Fragen Sie also nie einen Typografen, warum er noch eine neue Schrift gestalten will, wo es doch schon so viele gibt. Es geht um die Qualität und nicht um die Quantität.

Wie kommt ein Typograf zu einer neuen Schrift? Man muss sich zunächst ausreichend mit den vorhandenen Schriften beschäftigt haben, um sich mit Details und prägenden Merkmalen auszukennen. Oft werden bestehende Schriften weiterentwickelt, weil der Gestalter eine neue Stilrichtung hineinbringen will. Möglicherweise soll die Schriftart eleganter, robuster oder einfach zeitgemäßer erscheinen. Hat der Typograf eine Idee für ein neues Detail einzelner oder mehrerer Buchstaben, wird diese zunächst skizziert und perfektioniert. Damit sich daraus eine verwertbare und in sich stimmige Schrift entwickeln kann, muss dieser charakteristische Stil auf die gesamte Schriftfamilie übertragen werden. Die Schriftfamilie besteht natürlich nicht nur aus den vermeintlichen 26 Buchstaben des Alphabets; man muss Klein- und Großbuchstaben, Sonderzeichen, Ziffern und Satzzeichen dazuzählen. All diese Zeichen müssen separat und auch im textlichen Zusammenspiel das Gestaltungskonzept wiedergeben können, ohne an Charakter oder Qualität zu verlieren. So müssen oft Entscheidungen über das Kerning getroffen werden, was

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INTERVIEW

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den horizontalen Abstand zwischen den nebeneinanderstehenden Buchstaben bezeichnet. Damit in einem Wort keine zu großen Freiräume oder zu engen Stellen bei der Verwendung von Buchstaben wie A, V, T entstehen, müssen extrem viele Kombinationen von Buchstabenpaaren durchgeprüft und manuell ausgerichtet werden. Man sollte auch bedenken, dass man mit den hier erwähnten Aspekten nur einen Schriftschnitt angefertigt hat. Verschiedene Schnitte wie Fett, Kursiv und weitere Variationen sollten ebenfalls vorhanden sein. Immer wieder ist man geschockt, dass einige Schriften über 500 Euro kosten. Allerdings sollte bedacht werden, dass Typografen oft mehrere Jahre an einer einzigen Schrift arbeiten. Die dabei entwickelten Zeichen müssen immer ausgedruckt, verglichen und hinterfragt werden – bis das Konzept perfekt ausgearbeitet ist und die Schrift im Sinne einer guten Lesbarkeit in Fließtexten eingesetzt werden kann.

Wie gestaltet man einen lesbaren Text? Die Schrift muss je nach Textart mit Bedacht gewählt und eingesetzt werden. Bei einer Schlagzeile oder einer kürzeren Information kann man oft mit verspielten Formen arbeiten. In längeren Fließtexten, die in erster Linie einen Inhalt wiedergeben, sollten die typografischen Elemente im Idealfall unmerklich sein und den Leser nicht von den Informationen ablenken. Man muss sich für die richtige Schriftart und eine passende Schriftgröße

entscheiden, die für einen behaglichen Lesefluss geeignet sind. Es gibt zum Beispiel Schriften, die für das menschliche Auge unangenehm zu flackern scheinen, wenn sie zu eng gesetzt oder zu klein eingestellt werden. Des Weiteren sollten die Zeichen nach einem Schema angelegt sein, das dem Leser vertraut ist. Besteht ein regulärer Text nur aus Kleinbuchstaben, muss diese ungewohnte Schreibweise erlernt werden, bevor die Konzentration letztendlich auf den Inhalt des Textes übergehen kann. Eine gute Schriftart kann man nicht unmittelbar mit guter Lesbarkeit gleichsetzen, denn die Anwendung ist ebenso ausschlaggebend. So stolpert der Leser schnell über zu große Lücken zwischen den Wörtern oder falsche Trennungen am Ende einer Zeile. Je nach Medium beeinflussen auch unterschiedliche Parameter unser Leseverhalten. Im Gegensatz zur typografischen Ausrichtung in einem Roman wird der Text in den meisten Zeitungen und Magazinen oft in Spalten aufgeteilt, um mit diesem Gestaltungsraster mehr Möglichkeiten der Text-BildKombination zu bekommen. In der Regel sagt man, dass das Auge besser in die folgende Zeile findet, wenn die Spalten kürzer sind. Dabei sollte allerdings beachtet werden, dass dadurch auch mehr Worttrennungen auftreten, die beim Lesen dauerhaft stören und den Textinhalt hinauszögern. Wenn sich solche Entscheidungsfehler des Schriftsetzers in die Texte schleichen, entsteht schnell eine Unlust am Lesen, und das Medium wird vorzeitig zur Seite gelegt. Feste Regeln und Gesetze gibt es für die Gestaltung eines Textes fast nicht, da es zu viele veränderba-


INTERVIEW

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re Parameter gibt, die sich gegenseitig bedingen. Zumal es auch auf die Art, den Inhalt des Textes und das dazu passende Layout ankommt.

hat, ständig etwas Neues zu entdecken. Bilder und Zeichen, die sich stets im selben Raster durch das Magazin ziehen, würden nach kurzer Zeit Langeweile beim Betrachter auslösen.

Gibt es Regeln für ein korrektes Verhältnis von Grafik und Typografie?

Was halten Sie als in Köln lebende Grafikdesigner von der visuellen Kommunikation dieser Stadt?

In der Geschichte der Typografie war man schon vor der Erfindung des Buchdrucks immer auf der Suche nach den optimalen Proportionen von Text- und Bildverteilung auf der Fläche. Es gab Vorgaben und Berechnungen, die das Verhältnis von Bild und Text auf den einzelnen Seiten definierten. In den 20er-Jahren wich man von der strengen Spiegelsymmetrie ab und erkannte weitaus spannendere asymmetrische Gestaltungsmöglichkeiten für Doppelseiten. In den 50er- und 60er-Jahren arbeitete man bevorzugt nach dem strengen Raster des „Swiss Style“, der Schriften und Proportionen im Layout definierte. Heutzutage arbeitet man zwar ganz selbstverständlich mit Gestaltungsrastern, aber man ist in der Regel sehr darauf bedacht, nicht in zu vorhersehbare Layouts zu verfallen und auch spannende visuelle Brüche zuzulassen. Ein gutes Beispiel dafür sind Magazine, bei denen es eine gewisse Dramaturgie im Fortlauf der Seiten geben sollte. Das heißt, dass nach textlastigen Seiten auch weitere folgen sollten, auf denen das Bild in den Vordergrund gestellt wird. Es muss ein möglichst großer Spannungsbogen geschaffen werden, sodass der Leser das Gefühl

Prof. Gais: Meiner Meinung nach gibt es in der Gesamtkommunikation der Stadt Köln leider immer noch keinen erkennbaren roten Faden. Es ist eher ein Zusammenwurf von vielen verschiedenen Elementen, die nicht aufeinander abgestimmt sind und im Einzelnen betrachtet auch sehr gewöhnlich und provinziell daherkommen. Eine weltoffene Stadt wie Köln, die so reich an Kultur, allerhand Geschehen und Lebensfreude ist, sollte sich über ein innovatives und viel lebendigeres Stadtmarketing profilieren. Der Stadt fehlen der Mut und der Blick über den eigenen Tellerrand. Bestes Beispiel ist die vertane Chance der Stadt Köln mit den Werbemitteln für das Chinajahr 2012. Hier fehlt jeglicher internationale Anspruch in Sachen visueller Kommunikation. Städte wie Amsterdam und Barcelona machen da einen ganz anderen Eindruck auf mich. Sie zeigen sich deutlich ironischer und ideenreicher in ihren Konzepten, in deren Gestaltungsprozess auch die jeweilige kreative Designszene einbezogen wird.


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GALERIE

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FOTOS: LEO PELLEGRINO

JUNGE KUNST

GRENZENLOS Cologne Contemporaries SCHLENDERN DURCH ZEITGENÖSSISCHES IN JUNGEN KÖLNER GALERIEN UND EINE GEMEINSAME AUSSTELLUNG IM MÜLHEIMER CARLSWERK – DAS WAREN DIE COLOGNE CONTEMPORARIES 2012. DIESE GALERISTENINITIATIVE HAT DABEI ENDE JANUAR IHR KONZEPT NOCHMALS ERWEITERT. DIESMAL UM KÜNSTLER AUS BRÜSSEL, DENN HIER GILT: WIR SIND KOLLEGEN, KEINE KONKURRENTEN. DAS SOLLTE MAN IM AUGE BEHALTEN.

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FOTOSTRECKE

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FOTOSTRECKE

ALL EIN

FOTOS: ANNA SHAPIRO

ALLEINSEIN BIRGT MITUNTER EINE GEWISSE FASZINATION IN SICH. DAS GEFÜHL DER ISOLATION INMITTEN DES TRUBELS. DER VERSUCH, EINE NISCHE ZU FINDEN, UM GROSS RAUSZUKOMMEN. ALLEIN IM GANZEN ODER DOCH GÄNZLICH ALLEIN. IM GROSSEN ABTAUCHEN, UM GRÖSSE ZU FINDEN. DAS WEITE SUCHEN, UM NÄHE ZU EMPFINDEN. AUF EIGENEN WEGEN, AUCH WENN MAN ALLEIN GEHT. >

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FOTOSTRECKE

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XXX

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ZWISCHENRAUM

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OFFENE WERKSTATT

BASTELN IN DER GEMEINSCHAFT ES WIRD GEHOBELT, GESCHLIFFEN, GESCHRAUBT UND GENÄHT. HOLZSPÄNE, DRÄHTE, STOFFE UND ALLERHAND WERKZEUG LIEGEN AUF DEN TISCHEN DER KÖLNER DINGFABRIK. DIE WERKSTATT BIETET SOWOHL INTERESSIERTEN HOBBYBASTLERN ALS AUCH AUSGEBILDETEN HANDWERKERN DIE MÖGLICHKEIT, RÄUME UND MASCHINEN ZU BENUTZEN UND DER KREATIVITÄT FREIEN LAUF ZU LASSEN.


ZWISCHENRAUM

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TEXT: CHARLOTTE BRAUN FOTOS: ALESSANDRO DE MATTEIS Speckmann, Vorsitzender des Vereins, erklärt: „Die Leute hier in der DingFabrik sind unglaublich kommunikativ. Sie sind hilfsbereit und unterstützen einander. Und das ist unser Alleinstellungsmerkmal: Der Gemeinschaftsgedanke ist bei uns ganz stark ausgeprägt.“

ders beliebt“, sagt Alexander Speckmann stolz. „Es ist selten, dass so viele Dinge gleichzeitig angeboten und miteinander kombiniert werden. Egal, ob du mit Origami basteln, ein Holz- oder Kunstobjekt entwerfen oder eine Lampe bauen willst, die DingFabrik bietet dir diese Möglichkeiten.“

Werkzeuge und Maschinen Für einen monatlichen Beitrag von 23 beziehungsweise 17 Euro (Schüler und Rentner) stellt die DingFabrik den Vereinsmitgliedern Maschinen und Werkzeuge zur Verfügung, mit denen auch an mitgebrachten Objekten gearbeitet werden kann. Zu den Besonderheiten zählen die drei 3-D-Drucker. Häufig stammen die Maschinen der offenen Werkstatt aus Werkstattauflösungen oder sind Spenden von Menschen, die die Werkzeuge selbst nicht mehr gebrauchen können. Ab und zu verfügt die DingFabrik auch über Maschinen-Leihgaben, so im letzten Jahr über einen Lasercutter. Wenn nötig, bekommen die Vereinsmitglieder eine kurze Einweisung.

Vielseitige Mitglieder und Arbeiten

Im Juni 2010 wurde der gemeinnützige Verein DingFabrik Köln e.V. gegründet. Begonnen hatte alles mit einem Informationsabend. Gemeinsam wurde darüber diskutiert, wie man eine offene Werkstatt in Köln umsetzen könnte. Doch wie es sich für Handwerker und Bastler gehört, wurde nicht lange gequatscht, sondern gleich angepackt. Schon Mitte September 2010 öffnete die DingFabrik ihre Türen. Seitdem lädt sie interessierte Kölner zu Bastelnachmittagen und Workshops ein. Regelmäßig treffen sich nun Bastler und Tüftler in den Räumen der Werkstatt. Das Durchschnittsalter liegt bei Ende 20, obwohl alle Generationen vertreten sind. Der Jüngste ist Schüler und 19, der Älteste ist mittlerweile 62. Doch beide teilen eine Gemeinsamkeit: die Leidenschaft, Ideen zu Gegenständen werden zu lassen. Für die Mitglieder der DingFabrik steht die Gemeinschaft an erster Stelle. Alexander

Die DingFabrikanten lassen sich nicht in eine Schublade stecken. Nicht nur im Alter unterscheiden sie sich, sondern auch in ihren Berufen und sonstigen Interessen. In der DingFabrik sitzen Frauenärzte, Sozialpädagogen, Innenarchitekten und pensionierte Sportler nebeneinander. Gemeinsam wird gehämmert, gebastelt und vor allem viel gelacht. Was sie alle verbindet, ist der Drang, etwas zu bauen, zu entwickeln, mit etwas Praktischem umzugehen. Es spielt dabei keine Rolle, ob sie Anfänger, Profis oder sogar ausgebildete Designer sind. Meistens handelt es sich bei den Arbeiten um Einzelprojekte, doch schnell gesellen sich Interessierte dazu und fassen mit an. So kommt es auch immer wieder vor, dass Teams entstehen und an einer gemeinsamen Idee arbeiten. Erstmalig ist nun auch ein Gruppenprojekt umgesetzt worden. Im Rahmen der PASSAGEN haben 26 Mitglieder der DingFabrik an der Produktion einer Lampe mitgearbeitet. Die Arbeiten der Bastler zeigen eine große Bandbreite auf. Angefangen bei Reparaturen und kleineren Bastelarbeiten bis hin zu Möbeln und der Entwicklung von Prototypen. „Dass wir so breit aufgestellt sind, ist bei den Mitgliedern beson-

WEITERE INFOS DingFabrik Köln e.V. http://dingfabrik.de www.facebook.com/dingfabrik


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KUNST

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DR. SKETCHY'S ANTI-ART SCHOOL

MAL WAS

BURLESQUES AUF DER SUCHE NACH EXTRAVAGANTEN UND AUFREGENDEN MOTIVEN WERDEN GRAFIKDESIGNER, KUNSTSTUDENTEN, ZEICHNER, MALER UND WEITERE INTERESSIERTE SOWIE DEREN WEIBLICHE PENDANTS IN DER ANTI-KUNST-SCHULE Fร NDIG.

WEITERE INFOS Dr. Sketchy's Anti-Art School Cologne Spielplatz Lokal Ubierring 58 50968 Kรถln www.drsketchy.com/branch/cologne


KUNST

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TEXT: ROBERT FILGNER FOTOS: ALESSANDRO DE MATTEIS Der Spielplatz in der Südstadt, direkt am Ubierring, überzeugt schon lange durch seine ganz eigene Art. Hier spürt man den Glamour vergangener Zeiten, fühlt sich in ein anderes Zeitalter zurückversetzt, in dem es noch keine bunte Unterhaltungsindustrie à la TV und Internet gab. Wohl deshalb zieht es hier auch eine ganz eigene Szene hin, die in Köln gar nicht so klein ist – Burlesque, eine echte Kunstform, die gerade heute heraussticht aus der schnellen Erotik, dem Erhaschen von Quoten durch Sex, plumpe Nacktheit hier und da. Dahinter steckt das Lebensgefühl einer ganzen Epoche, die besonders in den 1920er-Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg, aus den USA kommend, Europa verzauberte. Burlesque war eine kunstvolle Parodie – auf das spießige und ernste Leben und auf verklemmte Eliten –, eine sanfte Verführung. Und das ist auch heute noch so. Mit den BurlesqueGruppen Pepperellas und Petits Fours sowie diversen Einzelkünstlerinnen findet man auch in Köln stets die Möglichkeit, den Charme dieser vergangenen Zeit zu erleben. „Bei dieser Tanzform und Kunstperformance steht auch heute noch eher die Weiblichkeit im Vordergrund. Hier muss nichts anrüchig sexy sein. Es geht in erster Linie um Stil“, erklärt Sylvia, die die Tore zum Spielplatz für einen Abend ganz im Zeichen des Themas öffnet. Die Burlesque-Tänzerin Jenny Starshine veranstaltet hier seit Herbst 2011 alle sechs bis acht Wochen Dr. Sketchy's Anti-Art School – When Cabaret meets LifeDrawing. Der Name ist Programm. Im Januar stand dieses Kunstvergnügen ganz im Zeichen von Steampunk – einem Stil, der gern als Ästhetik der Kolben, Bolzen und Zahnräder umschrieben wird und auf Elemente aus den Anfängen des Industriezeitalters zurückgreift. Bilder aus Jules Vernes oder H. G. Wells' Romanen treffen am ehesten diese Verbindung von Mensch und Maschine, die man als romantisch-futuristisch bezeichnen kann.

Motive für Schnellzeichner So weit zum kunstvollen Rahmen. Dr. Sketchy's Anti-Art School präsentiert aber noch eine weitere Kunstform: das Zeichnen. Und so ist Jenny Starshines Veranstaltung genau genommen eine Zeichenstunde, wie es ein Maler, eine Grafikdesignerin, Kunststudenten und Volkshochschüler sonst nur in Klassenräumen erleben können. Mit dem Prinzip, Zeichnern eine aufreizende Kunst im öffentlichen Raum – in diesem Fall eine Bar – zu bieten, begann 2005 in New York die Geschichte der AntiKunst-Schule. Mit Jenny Starshines Show hat sie nun auch einen festen Platz in Köln gefunden. Die Plätze im Veranstaltungssaal sind alle belegt, die Posen beginnen, und über 50 Zeichentalente üben in mehreren unterschiedlichen Intervallen ihre Leidenschaft aus. Während Gia LaFae, anmoderiert von Kitty Gowild, sich alle fünf bis zehn Minuten in eine neue Ansicht verwandelt und damit wahrhafte Kunstmotive erschafft, tickt die Uhr für die Besucher gnadenlos runter. „Auch für die Zeichner ist dieser Abend etwas Besonderes. Man kommt her zum Malen, aber auch zum Austauschen, mit völlig Fremden aus dem ganzen Rheinland – und natürlich auch für das ein oder andere Bier“, merkt Jenny Starshine für ihre zweite gut besuchte Veranstaltung an. Die Stimmung unter dem bunt gemischten Publikum ist gut. Und das, obwohl der intime Moment des Zeichnens dieses Mal doch etwas gestört wird. Neben uns sind bei dem neuen For-

mat noch weitere Medien vor Ort. Das Interesse an Kölns erster Anti-Kunst-Schule ist hoch. Das bedrängt nicht nur den gemütlichen Saal als solchen, sondern auch die Kreativität der Zeichner. Zum Glück nehmen es die meisten Gäste – und auch Jenny selbst – mit Humor. Einige der Zeichentalente nehmen die Begleitumstände direkt in ihre Werke mit auf. So entstehen um die Hauptattraktion Gia LaFae weitere Motive mit Kameras und Mikrofon. Wären die Medien zur Prämierung der besten Zeichnung am Ende der Zeichenstunde(n) schon abgezogen, hätte sich so mancher Künstler eventuell getraut, auch diese Werke einzureichen. Passend zum Thema des Abends war der erste Preis übrigens ein Absinth-Starterset und ein Petticoat. Aber ein Wermutstropfen bleibt: 12 Euro Eintritt und 10 Euro ermäßigt sind ein stolzer Preis, um die eigene Malfertigkeit auszutesten. Allerdings kann man diesen nicht einmal Jenny Starshine zuschreiben. Dr. Sketchy's Anti-Art School ist ein streng lizenzierter Titel, den sich auch Jenny erst einmal verdienen musste und der monatlich Gebühren abverlangt. Ihre Show und ihr Team bereichern dennoch Kölns Kneipenlandschaft um einen weiteren sehr interessanten Abend. Dr. Sketchy's Anti-Art School ist ein Erlebnis, das wohl jedes Künstlerherz höherschlagen lässt.


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DESIGN

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Wohnfühlen

VERSCHÖNERUNGSIDEEN DURCH UPCYCLING

NACHHALTIGKEIT UND SCHÖNES DESIGN MÜSSEN SICH NICHT AUSSCHLIESSEN. DAS BEWEIST IRIS WITTKOWSKI, DIE AUS AUSRANGIERTEM PLUNDER VIELE NEUE LIEBLINGSSTÜCKE KREIERT UND IN IHREM MÜLHEIMER WOHNFÜHLZIMMER VERKAUFT. TEXT: KARIN GEISSLER, ROBERT FILGNER FOTOS: LEO PELLEGRINO

Auf der Buchheimer Straße in Mülheim zieht ein Schaufenster besonders viele neugierige Blicke auf sich: Das „WohnfühlDesign“-Zimmer beeindruckt mit bunten Kreationen von Gebrauchsgegenständen – angefangen bei Koffern über Decken und Stühle bis hin zu einem Bettfederkern als Wanddekoration. Die Inhaberin Iris Wittkowski haucht gebrauchten Dingen neues Leben ein. „Upcycling“ wird das Ganze im kreativen Milieu genannt und heißt auf den Punkt gebracht: Bevor etwas Altes, Verbrauchtes, Vergessenes auf dem Müll landet, schafft man etwas Neues, Ansprechendes und häufig einfach Umfunktioniertes daraus. So ent-


DESIGN

stehen echte Hingucker, die, dem Prinzip der Nachhaltigkeit folgend, wieder ein neues Zuhause suchen und frisch recycelt eine neue Verwendung finden.

Viele Ideen, viele Kreationen Seit April 2011 bestückt Iris Wittkowski nun schon ihren Ausstellungsraum, den man nicht wirklich als Laden bezeichnen kann, da er zu selten geöffnet ist. „Ich bin viel unterwegs, und mir begegnen ständig Dinge, die ich dann in meine Werkstatt nehme und dort wiederbelebe“, so die 49-Jährige. Daher trifft man sie auch nur jeden zweiten Samstag im Monat dort an oder während einer ihrer regelmäßigen Ausstellungswochen. Ansonsten ist sie jederzeit telefonisch zu erreichen. Wer sie in ihrem Wohnfühlzimmer aber kennenlernt, versteht schnell, warum das so ist. Die Wirtschafterin, die zuvor eine Kochschule an gleicher Stelle betrieben hatte, sprudelt vor Ideen. „Anfangs hatte ich meine Möbelkreationen und Accessoires mit dem Kochstudio kombiniert und zum Verkauf angeboten. Das war aber zu viel. Ich bin einfach meiner Leidenschaft gefolgt und habe mir meinen eigenen Job kreiert.“ Und so entsteht ständig etwas Neues aus Teilen ihres „Trümmerbergs“. Sie folgt einfach ihrer ersten Idee, setzt diese sofort

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um und ist dann meistens selbst begeistert, was dabei herauskommt. „Das mach ich nur für mich, bestimmt aus meinem Bauchgefühl heraus und am liebsten in meinem Zuhause.“ Und dennoch spricht sie jeden mit ihren Stücken an. Den Verkauf jemand anderem zu überlassen und somit den Laden mitten in Mülheim täglich mit Leben zu füllen, ist für sie undenkbar. Jeder Gegenstand hat seine eigene kleine Geschichte, die nur sie selbst erzählen kann.

WEITERE INFOS WohnfühlDesign Buchheimer Straße 1a 51063 Köln Telefon: 0151. 53 93 49 55 E-Mail: iris.wittkowski@yahoo.de http://wohnfuehldesign.com


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MUSIK

> TEXTE: NICOLE ANKELMANN FOTOS: PROMO

KONZERTPREVIEWS

WHOMADEWHO 21.03. /// CBE Mit dem aktuellen WhoMadeWho-Album „Brighter“ erscheint eine Art zweiter Teil des 2011 releasten „Knee Deep“. Neue Labelheimat der Dänen ist – seit vergangenem Jahr – das Kölner Elektronik-Imprint Kompakt, und so lassen sich Jeppe Kjellberg, Tomas Hoffding und Tomas Barfod im Rahmen ihrer Albumtour natürlich auch in der Domstadt blicken. Schon ihr Auftritt im Gloria zu „Brighter“ konnte so begeistern, dass der Andrang im Club Bahnhof Ehrenfeld massiv sein dürfte. Hier sei der Ticketvorverkauf dringend empfohlen. www.whomadewho.dk

MOTORPSYCHO 17.04. /// BÜRGERHAUS STOLLWERCK

THE WHITEST BOY ALIVE 11.05. /// GLORIA

Psychedelischen, sphärischen Rocksound mit zahlreichen Einflüssen anderer, nicht einmal artverwandter Genres gibt es an diesem Dienstagabend im Bürgerhaus Stollwerck zu hören – nein, zu erleben. Denn ein akustisches Erlebnis ist ein Konzert der norwegischen Band Motorpsycho immer. 2010 erschien mit „Heavy Metal Fruit“ ihr vorerst letztes Album, und im selben Jahr schon führte sie der Weg nach Köln. Hier bliesen Bent Sæther, Hans Magnus Ryan und Kenneth Kapstad der geneigten Hörerschaft wieder ordentlich die Ohren durch, sodass wir davon ausgehen können, dass sie auch zwei Jahre später keineswegs leiser geworden sind. Immerhin gelten Motorpsycho als eine der besten Livebands der Welt. http://motorpsycho.fix.no

Bereits 2003 gründete Erlend Øye, eigentlich Frontmann der Kings of Convenience, mit The Whitest Boy Alive ein neues elektronisches Bandprojekt, das inzwischen auf zwei Alben und zahlreiche Livegigs zurückblicken kann. Ihre Interpretation von danceorientiertem Elektropop kommt an und sorgt stets für ausgelassene Stimmung in den weltweiten Konzertsälen. Ein neues Album ist zwar erst für 2013 geplant, doch ist man so nett, die lange Wartezeit mit einer Tour zu überbrücken, in deren Rahmen Erlend und seine Jungs auch zu uns kommen. Das Ganze findet unter dem Titel „Patience“ statt und lässt damit schon die eine oder andere Vermutung hinsichtlich ihrer Ausrichtung zu. www.whitestboyalive.com


KÖLNER PLÄTZE

„Ich habe dort meinen Freund kennengelernt. Die Livemusik ist toll, vor allem wenn meine Freundin singt. Alle Gäste sind sehr sympathisch!“ Lynda, Moderatorin aus Köln Ihr Lieblingsort ist das Bruegel in der Innenstadt. Bruegel deluxe Hohenzollernring 17 50672 Köln So–Do 11–3 Uhr Fr, Sa 11–4 Uhr Mediterrane Küche von 11–22 Uhr Täglich Livemusik ab 22.30 Uhr www.bruegeldeluxe.de Haltestelle: Rudolfplatz

Mehr Kölner Lieblingsorte auf w w w.wearecity.de

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SPORT

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CAPOEIRA

TEXT: CATARINA PAULI-CALDAS FOTOS: ANNA SHAPIRO

„CAPOEIRA IST VERGNÜGEN, CAPOEIRA IST EIN FEST, CAPOEIRA IST FREUDE ... ABER IM RICHTIGEN MOMENT IST SIE VERTEIDIGUNG.“ (MESTRE JOÃO PEQUENO)

Aus der Ferne hören wir Musik. Immer wieder den gleichen Rhythmus. Ungewohnt, eigenartig, doch trotzdem irgendwie vertraut. Sie strahlt Lebensfreude aus, ebenso wie die eng aneinanderstehenden bunten Häuser, durch die sich die schmalen Kopfsteinpflastergassen schlängeln. Je weiter wir gehen, desto näher kommen wir der Quelle: einem Platz im Herzen vom Pelourinho, der Altstadt von Salvador da Bahia, Brasilien – der Geburtsstadt der Capoeira. Capoeira ist vieles. So vielseitig wie das Land, aus dem sie kommt. Ein anmutiger Tanz, eine gefährliche Kampfkunst, ein Sport, bei dem die Musik unverzichtbar ist – die Verkörperung brasilianischen Lebensgefühls.

Es ist diese Musik, die uns hierhin gelockt hat Und dort sehe ich sie, die Capoeiristas. In der Mitte des Platzes stehen sie barfuß in einer Roda, einem Kreis, und klatschen zum alles durchdringenden Rhythmus. Der Mestre, der Anführer der Roda, spielt ein Berimbau, welches man als Seele der Capoeira bezeichnen könnte. Es ist ein einfach konstruierter Musikbogen mit einer Metallsaite und einem ausgehöhlten Kürbis als Klangkörper am unteren Ende. Angeschlagen wird die Saite mit einer Barreta, dem dünnen Holzstäbchen. Der Klang ist fremd, exotisch; er strahlt eine tiefe, geheimnisvolle Sehnsucht aus. Die anderen Instrumente kommen mir vertrauter vor. Ich sehe ein Schellentamburin, Pandeiro genannt, welches die Berimbaurhythmen unterstützt und die Klangfarben bereichert, sowie eine große Trommel. Tief ist ihr Ton und sorgt für eine gewisse Aufregung. Wieder und wieder ruft der Mestre am Berimbau Strophen in die Runde, die mit einem immergleichen Refrain erwidert werden. In diesen Strophen werden die brasilianische Kultur gespiegelt und die Geschichte erzählt; alte Meister werden in ihnen verewigt oder Momentaufnahmen nachgezeichnet. Die Mittagssonne knallt erbarmungslos auf den menschenvollen Platz, auf die Roda. Alle Umstehenden singen und klatschen mit. Es wird eine allumfassende, stimulierende Energie erzeugt. Hört man der Musik lange genug zu, fühlt man sich wie in Trance. Das Zeitgefühl schwindet aus dem klangumnebelten Bewusstsein. In der Mitte der Roda sind zwei Spieler. Und nie sind es mehr. Beflügelt von der Musik bewegen sie sich. Sie kämpfen, treten nach einander – ohne sich dabei zu berühren. Es ist ein frei im-


SPORT

provisierter Bewegungsdialog, immer basierend auf dem tänzerischen Grundschritt Ginga, einem auf dem Kopf stehenden Dreieck. Keine Sekunde lang lassen sie sich aus den Augen. Beine wirbeln durch die Luft. Sie treten mit geballter Körperkontrolle. Haarscharf fliegen diese Tritte aneinander vorbei, das Gegenüber wird nie getroffen. Absolute Konzentration und Aufmerksamkeit sind gefordert, die Angriffs- und Abwehrbewegungen müssen genau aufeinander abgestimmt werden. Es geht nicht darum, der Stärkere zu sein, sondern um die Malícia – die List, die Verschlagenheit des Spiels. Man muss seinen Gegner austricksen. Hier antäuschen und da zuschlagen.

Das Kämpferische der Capoeira Ursprünglich hatten afrikanische Sklaven im Brasilien des 16. Jahrhunderts Capoeira als eine Art Befreiungskampf entwickelt. Um ihn vor Außenstehenden zu tarnen, wurde er mit musikalischen und tänzerischen Elementen versehen. Aber Capoeira ist nicht nur schnell und gefährlich – wie die Capoeira Regional. Die Capoeira Angola ist die zweite

Hauptrichtung, die langsamer und traditioneller ist und zu der nicht geklatscht wird. Hier geht es mehr um die Präzision, die Körperbeherrschung, die Anmut. Katzenhaft und nah am Boden schleichen die Spieler umeinander herum. Umgarnen sich mit Bewegungen. Mittlerweile gibt es weltweit Capoeiraschulen – und immer noch werden Mestres ausgesandt, um eines der wertvollsten Kulturgüter Brasiliens über dessen Grenzen hinauszutragen. Vor etwa 20 Jahren kam Capoeira nach Köln. Damals hatte noch niemand etwas davon gehört, doch die für Köln typische Interkulturalität, die Neugier für Fremdes, half bei der Integration. Trotzdem ist sie erst in den letzten zehn Jahren wirklich populär geworden. Mittlerweile gibt es in Köln über 15 verschiedene Schulen, in denen zukünftige Capoeiristas jeden Alters unterrichtet werden. Es sind Leute, die etwas anderes suchen, die den Weg zu Capoeira

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finden. Und jeder wird mit offenen Armen empfangen. Denn Capoeira lebt und liebt die Vielfalt. Wo sonst findet man das Gesamtpaket aus akrobatischem Tanz, kämpferischem Spaß, Musik und Teamgeist sowie einer gehörigen Portion Sonnenschein?

WEITERE INFOS Capoeira VIP (Mestrando Moreno) www.capoeiravip.de


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KÖLNER PLÄTZE

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WEN MACHT

KOLPINGBRUDER JOHANNES ENGAGIERT SICH SEIT ÜBER 20 JAHREN MIT EINEM „FAIR-STAND“ FÜR DEN FAIREN HANDEL IN SÜLZ VOR DER NIKOLAUSKIRCHE. TEXT: ADAM POLCZYK FOTO: WALTER DRIESSEN

WEITERE INFOS www.johannes-kleine-jaeger.de

Ganz allmählich bekommt man das Gefühl, dass der Frühling in Köln anbricht. Nach tagelangem Nieselregen und Kälte kommt heute endlich die Sonne hervor und mit ihr der 73-jährige Kolpingbruder Johannes, der seinen Stand fast täglich vor der Nikolauskirche in Sülz aufbaut. Je nach Wetterlage findet man ihn hier montags bis freitags von 15 bis 18 Uhr, am Samstag von 10 bis 14 Uhr. Mit seinem Ford Transit, der noch vor ein paar Tagen in der Werkstatt war, bietet er auf diesem Kirchplatz alle möglichen Sachen feil. Egal, ob Lebensmittel, Handarbeiten und Gebasteltes aus Tageseinrichtungen in Brasilien und Burkina Faso oder Souvenirs aus Afrika, Asien und Lateinamerika, hier ist wirklich alles zu finden.


KÖLNER PLÄTZE

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DIE BANANE KRUMM ?

Ein kleiner Fair-Trade-Handel öffnet fast täglich seine Pforten Während ich dem graubärtigen Johannes aufmerksam zuhöre, wie er mir eine Geschichte nach der anderen erzählt, kommen immer wieder zahlreiche Erwachsene und Kinder vorbei und stöbern in der bunten Auslage. Redegewandt und manchmal auch mit spitzer Zunge geht Kolpingbruder Johannes auf die Menschen zu und bricht so mit jedermann blitzschnell das Eis. Eine Frau bringt ihm beispielsweise Bücher und einen Anhänger aus Palästina mit, die er an seinem Stand weiterverkaufen darf. Gleichzeitig kauft sie hier eine ihrer Lieblingswaren ein, die sie sonst nirgendwo bekommt, wie sie sagt. Es sind gepuffte und ungesüßte Quinoas, auch Inkareis genannt, der aus Südamerika stammt und, wie ich erfahre, glutenfrei ist. Neben rotem Vollkorn-Jasminreis und schwarzem Reis aus Laos weist mich die junge Frau auf die hier günstig zu bekommenden Vanilleschoten und Räucherstäbchen hin. Mein persönliches Interesse wecken jedoch mehr der sieben Jahre alte kubanische Rum und die verschiedenen Kaffeesorten aus Lateinamerika und Afrika. Alle Produkte, egal ob Gewürze, Tee, Honig oder Schokolade, weisen entweder das GEPA-, EL PUENTE- oder andere Siegel für Fair-Trade-Produkte auf.

„Wir müssen hier ein Zeichen setzen!“ Unter diesem und dem Motto „verantwortlich leben, solidarisch handeln“ ist der gebürtige Münsterländer seit 1978 in Köln und in der Kolpingsfamilie Sülz/Klettenberg aktiv. Eines ihrer Projekte heißt „Wen macht die Banane krumm?“ und weist auf das rücksichtslose Agieren der Bananenkonzerne hin, die nicht nur die Menschen auf den Plantagen ausbeuten, sondern auch den Regenwald rigoros abholzen. Zum größten Bananenproduzenten Lateinamerikas, Brasilien, hat Kolpingbruder Johannes ein ganz besonderes Verhältnis, zu erkennen daran, dass er mehrere Brasilienflaggen am Stand platziert hat und darüber hinaus eine Brasilienkappe auf dem Kopf trägt. So unterstützt er seit langer Zeit persönlich Schwester Werburga Schaffrath, eine deutsche Ordensschwester der Missions-Benediktinerinnen von Tutzingen, die seit über 50 Jahren in Brasilien tätig ist und das Hilfsprojekt Centro Social São José do Monte in Caruaru vor 40 Jahren initiierte und noch heute, mit über 80 Jahren, leitet. Viel mehr an persönlichen Informationen über sich gibt Kolpingbruder Johannes, oder mit richtigem Namen Johannes Kleine-Jäger, nicht preis. Es geht, wie er selbst sagt, nicht um ihn, sondern einzig und allein um die Hilfe für die Mitmenschen. So erweist sich sein tägliches Verkaufen auch weniger als Gewinngeschäft, sondern eher als Kostenbegrenzung, wie man sich anhand der günstigen Preise leider denken kann. Dennoch sieht man in seinen Augen bei allem, was er macht und sagt, die große Freude und Begeisterung. Auch wenn er selbst nicht im Mittelpunkt stehen mag, bereichert er doch den Stadtteil Sülz durch seine Person und seinen Stand – ein Bild, das jeder sofort mit fairem Handel in Verbindung bringt.


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MAHLZEIT

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Espressonudeln MIT Melonenkaviar NATURWISSENSCHAFTLER EXPERIMENTIEREN IN DER KÜCHE

TEXT: AGATA SAKWINSKI FOTOS: PAUL ZILLIKEN (PROMO)

TRADITIONELLE ZUBEREITUNGSMETHODEN TREFFEN AUF PHYSIKOCHEMISCHE STRATEGIEN: DIE MOLEKULARKÜCHE BIETET KREATIVE DIMENSIONEN FÜR JEDEN KULINARISCHEN ERFINDER.

Schläuche, Spritzen und Kanülen stehen neben Einmachgläsern mit Aufschriften wie „Agar-Agar“, „Sojalecithin“ und „Xanthan“ auf einem frisch polierten Tisch, der nicht in einem Labor steht, sondern sich als Theke der Kölner Cocktailbar ONA MOR entpuppt. Hier findet heute jedoch keine Nachhilfestunde in Chemie statt. All diese Utensilien stehen für die zehn Kursteilnehmer bereit, die sich einer besonders komplizierten Kunst der feinen Gastronomie widmen wollen. Betrachtet man die Zusammenstellung auf der Theke nun etwas genauer, kommen weitere Requisiten zum Vorschein, die nicht ganz in das Laborszenario hineinpassen: Eine Auswahl an Zutaten für Mischgetränke wie beispielsweise Blue-Curaçao-Flaschen, Gläser, Cocktailshaker und Pürierstäbe wurde ebenfalls bereitgestellt und wartet heute auf den Einsatz in physikochemischen Verfahrenstechniken. Der Inhaber Alessandro Romano, der neben dem alltäglichen Gastronomiebetrieb des ONA MOR auch verschiedene Cocktailkurse anbietet, begrüßt seine Lehrlinge: „Herzlich willkommen beim Molekularkurs!“ In den folgenden Stunden gewinnen die Kursteilnehmer einen Einblick, wie man mithilfe biochemischer Stoffe verschiedenartige Geschmacksrichtungen hinter einer völlig untypischen Fassade verstecken kann.

Molekularküche: eine Entstehungsgeschichte Das Konzept, Lebensmittel in ihren molekularen Strukturen zu verändern, wurde erstmals 1969 vom Oxforder Physikprofessor Nicholas Kurti in seinem Vortrag „The Physicist in the Kitchen“ präsentiert. Der ungarisch-britische Hobbykoch übertrug seine zahlreichen physikalischen Kenntnisse auf die Entwicklung neuer Rezepturen. Vorangetrieben durch die intensive Zusammenarbeit mit dem französischen Physikochemiker Hervé This, etablierte sich diese neue Disziplin Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre. Heute ist der katalanische Starkoch Ferran Adrià einer der bekanntesten Pioniere der Molekularküche. Der Inhaber des an der Costa Brava gelegenen Drei-Sterne-Restaurants


MAHLZEIT

El Bulli betont stets die ausgesprochen hohe Vielseitigkeit dieser experimentellen Zubereitungsmethode. Diese ermöglicht es, ständig neue Gerichte und extravagante Esserfahrungen hervorzubringen.

Unerwartete Geschmackserlebnisse Die Molekularküche lässt sich sowohl auf Speisen als auch auf Getränke anwenden. Mithilfe von biochemischen Stoffen und Laborwerkzeugen werden neue Erlebniswelten geschaffen, die durch das Zusammenspiel von Optik, Geschmack und Textur jeden Gourmet überraschen. So werden Liköre in Form von traubengroßen Kaviarperlen serviert, Espresso kann als Nudelgericht genossen werden, und die Tomatensuppe präsentiert sich als weißer Schaum getarnt auf dem Vorspeisenteller. Nichts ist mehr, wie es mal war. Was wir als flüssig kennen, können wir plötzlich zerkauen. Alles, was wir bisher kauen mussten, entdecken wir neu als Gelee oder leichten Schaum. Wir können uns von Effekten wie gestreiften Drinks oder Dampf, der nach dem Zerbeißen eines Häppchens freigesetzt wird, beeindrucken lassen. Den kreativen Möglichkeiten erfahrener Molekularköche mit richtigem Verständnis für die komplizierten Prozesse sind keine Grenzen gesetzt. Besonders wichtig ist das grundlegende Know-how über die verschiedenen Zusätze und die technischen Verfahren, die zum gewünschten Ergebnis führen. Wer Espressonudeln herstellen möchte, muss beispielsweise wissen, dass das biochemische Geliermittel Agar-Agar nach exakter Dosierung bestimmte flüssige Elemente in eine gummiartige Konsistenz verwandelt. Bevor diese Vermengung einen festen Zustand annimmt, wird sie auf einer ebenen Fläche dünn aufgegossen und nach dem Erstarren in Streifen geschnitten. Ebenfalls können auch Schläuche oder andere Objekte für die Formgebung verwendet werden. Eine besonders zeitintensive Herausforderung liegt in der Herstellung der bekannten Kaviarperlen, die oft aus Aperol angefertigt werden. Dieser fruchtig-bittere Likör wird mit dem aus Algen gewonnenen Geliermittel Sodiumalginat vermischt

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und muss anschließend einige Stunden ruhen, damit alle Luftbläschen aus der Mischung entweichen können. Danach wird die Mixtur durch eine Spritze in ein Bad aus Calciumchlorid geträufelt. Durch die Verbindung der beiden Zusatzstoffe bildet sich eine geleeartige Haut um die hinzugefügte Flüssigkeit – eine Perle mit flüssigem Kern entsteht. In diese kann man nach Wunsch weitere Aromen oder Drinks mit einer Kanüle injizieren.

Appetit nach Plan In der Gastronomieszene Kölns ist es nicht leicht, einen Ort zu finden, der Gäste spontan mit molekularen Köstlichkeiten versorgen kann. Die Cocktailbar ONA MOR ist deutschlandweit einer der wenigen Standorte, die Molekularkurse anbieten. Sogar aus Hamburg oder Nürnberg reisen interessierte Teilnehmer nach Köln, um den Geheimnissen rund um die molekulare Verköstigung auf die Spur zu kommen. Alessandro Romano kennt die Gründe: „Die Vorbereitungen für ein molekulares Menü erfordern einen enormen Zeit- und Arbeitsaufwand, da die Erzeugnisse am selben Tag frisch zubereitet werden müssen. Die Einschätzung der Laufkundschaft am einzelnen Tag ist relativ schwer, daher lohnt es sich für die meisten Restaurants und Bars nicht, diese kostspielige Art der Gastronomie anzubieten. Beim Catering hingegen kann die Anzahl der Gäste besser eingeplant werden. Hier wird die Molekularküche schon häufiger angeboten.“ So meldet man sich entweder geduldig als Gast für ein Molekularmenü an – oder man folgt dem Drang, die Pipette selbst in die Hand zu nehmen.

WEITERE INFOS ONA MOR Roonstraße 94 50674 Köln www.onamor.de


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WEITERE INFOS Römisch-Germanisches Museum Köln Roncalliplatz 4 50667 Köln Di–Do 10–17 Uhr, jeden 1. Do im Monat 10–22 Uhr www.museenkoeln.de/roemischgermanisches-museum

VIDEOINTERVIEW Das Videointerview zum Thema Sanierungspläne für das Römisch-Germanische Museum mit dem kommissarischen Museumsdirektor Dr. Marcus Trier:

http://null22eins-magazin.de/interaktiv.html


MUSEUM

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DAS RÖMISCH-GERMANISCHE MUSEUM

EINE GRANDE DAME IN NEUEM GLANZ

IN PROMINENTER NACHBARSCHAFT ZUM DOM STEHT DAS RÖMISCH-GERMANISCHE MUSEUM (RGM). NICHT GANZ SO ALT UND LÄNGST NICHT SO SCHÖN WIE DAS GOTTESHAUS, IST ES EINES DER BEKANNTESTEN MUSEEN KÖLNS. EIN SANIERUNGSPLAN SOLL ES IN RICHTUNG ZUKUNFT FÜHREN. >


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TEXT & FOTOS: JENS ALVERMANN, OLIVER VOGELS Ob in früher Jugend mit der Schulklasse oder einfach im Vorbeigehen – es gibt kaum jemanden, der sich nicht irgendwann einmal die Zeugnisse der hiesigen Vergangenheit im RGM angesehen hätte.

Gestern & heute Die großen Glasfronten mit Blick auf antike Monumente und die im Freien stehenden Säulenfragmente und Sarkophage gewähren inmitten des alltäglichen Gewühls auf der Domplatte besondere Einblicke in der Geschichte Kölns. Die stummen Zeugnisse existieren seit über 2.000 Jahren und laden zu einem Rundgang durch die Vergangenheit der Stadt ein: von den ersten Bewohnern in der Urgeschichte über die römische Colonia Claudia Ara Agrippinensium („Claudische Kolonie und Opferstätte der Agrippinensier“) bis hinein ins Mittelalter. Mit ebenjenem Anspruch, ein bürgernahes Museum inmitten der Stadt zu sein, wurde das heutige Gebäude des RGM im Jahr 1974 eröffnet. Es steht an dem Ort, an dem sich im Mittelalter die Kaiserpfalz befand, und auf den Mauern jener römischen Stadtvilla, deren weltberühmtes Dionysos-Mosaik 1941 beim Bau

eines Luftschutzbunkers freigelegt wurde und nun zentraler Bestandteil des Museums ist. Ob es ebenfalls eines seiner Highlights ist, dass (ehemalige) Staatsoberhäupter wie Bill Clinton, Tony Blair, Jacques Chirac und Gerhard Schröder schon einmal auf diesem Mosaik zu Abend gegessen haben, muss jeder für sich selbst entscheiden. Die seit dem 19. Jahrhundert entstandene römische und germanische Abteilung des Wallraf-Richartz-Museums sowie das Inventar des 1907 eingerichteten Prähistorischen Museums, das bis zum Zweiten Weltkrieg im Bayenturm am Rheinufer untergebracht war, bilden den traditionsreichen Grundstock der Sammlung des RGM, die heute über drei Millionen archäologische Fundobjekte umfasst. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht zweifelsfrei die römische Alltagswelt Kölns. Besonders die Sammlungen römischer Gläser, antiker Tonlampen oder römischer und frühmittelalterlicher Schmuckgegenstände lassen einen Eindruck über die Kölner Lebenswelten der vergangenen 2.000 Jahre gewinnen. Den bisher deutlich kleineren Teil der Ausstellung machen Objekte aus, die von den ersten hier sesshaft gewordenen Menschen aus der steinzeitlichen Siedlung in Köln-Lindenthal stam-


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men. Dies mag wohl auch darauf zurückzuführen sein, dass die Aufarbeitung der urgeschichtlichen Sammlung noch nicht abgeschlossen ist. Die Ausstellung, wie auch das Museum selbst, galt bei der Eröffnung 1974 als eine der modernsten ihrer Art in Deutschland, und auch die Sonderausstellungen des Museums finden seither regen Anklang. Doch der Museumsbau aus den Siebzigern ist in die Jahre gekommen, und auch die Ausstellung wirkt im Vergleich zu modernen Präsentationen, wie etwa der im neuen Rautenstrauch-Joest-Museum (null22eins #00), eher wie ein Zeugnis ihrer eigenen Entstehungszeit.

Und in Zukunft Bemerkenswerterweise hat sich bis heute am Besucherstrom nicht viel geändert, das RGM gehört nach wie vor zu den auch über die Stadtgrenzen hinaus bekanntesten und meistbesuchten Museen. Damit das auch in Zukunft so bleibt, wurde ein Sanierungsplan für das RGM entwickelt. Zwar ist es nicht das einzige Kölner Museum, das über Jahrzehnte vernachlässigt wurde. Der Zustand des rund 40 Jahre alten Gebäudes und seiner technischen Anlagen ist aber teilweise so marode, dass einige Mängel

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gefährliche Ausmaße erreicht haben. Eine Generalsanierung sei das Einzige, was dem Museum wirklich weiterhelfe, mahnte dessen kommissarischer Direktor Dr. Markus Trier schon im vergangenen Jahr. Der beschlossene Sanierungsplan von knapp über 18,3 Millionen Euro sieht daher nicht nur eine komplette Erneuerung der Haustechnik und des Innenausbaus vor. Auch das Dach und die Außenhülle sollen ausgetauscht werden. Dabei wird nicht nur die Attraktivität des Museumsbetriebs gesteigert, auch die Energiewerte stehen im Fokus. Zurzeit lassen sich im angegliederten Studiengebäude, in dem unter anderem die Kölner Bodendenkmalpflege untergebracht ist, nicht einmal die Fenster öffnen. Viele Details über die Zukunft des Museums sind noch unbekannt, aber einiges ist im Gespräch: Zum Beispiel wird über eine Schließung des Durchgangs zwischen den beiden Museumsgebäudeteilen ebenso nachgedacht wie über Möglichkeiten einer Außen- und Museumsgastronomie. Neben den Sanierungsmaßnahmen am Museumsbau selbst wird dann vermutlich auch die ständige Ausstellung des RGM in neuem Licht erstrahlen.


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KONSUM

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Retro & charmant

DAS KREATIVE UND INSPIRIERENDE FLAIR IM BELGISCHEN VIERTEL LOCKTE IN DEN LETZTEN JAHREN VIELE MODEGESCHÄFTE AN. AUSGESUCHTE LABELS, BESONDERE KOLLEKTIONEN UND PERSÖNLICHE BERATUNG CHARAKTERISIEREN DIE MODELÄDEN IM VEEDEL. ZWEI BEISPIELE.

TEXT: STEPHANIE KRAUS FOTOS: ALESSANDRO DE MATTEIS

Lena Terlutter und Leonard Dobroshi sind nicht nur privat ein Paar. Die beiden sind auch gleichermaßen Geschäftsführer ihrer beiden Läden Boutique Belgique und Salon Sahnestück. Sie verwirklichten sich mit dem Salon Sahnestück vor fünf Jahren einen Traum und merkten schnell, wie groß der Bedarf nach Fashion-Highlights gerade im Belgischen Viertel ist. Vor einem Jahr kam dann der zweite Laden: Boutique Belgique. Hier verwirklichte die heute 28-Jährige ihre Ideen. Die Produkte sind mit viel Mühe und Gefühl für Mode ausgesucht. Der Concept-Store inspiriert die Kundinnen, auch mal ungewohnte und neue Trends in ihre Outfits zu integrieren. Basics sucht man hier vergebens. Die Kleidungsstücke stammen von unterschiedlichen Labels und werden aus aller Welt bezogen. Das Belgische Viertel ist für die Besitzerin eine Art „kleines Antwerpen“ und somit modischer Hotspot.


KONSUM

Familiäre Atmosphäre

Die bereits etablierten Geschäfte schätzen die familiäre Atmosphäre: „Egal, wo wir uns hier aufhalten, unsere Kunden sind immer da. Es ist einfach unkompliziert und nett. Genauso sind auch unsere Kunden, mit denen wir dann privat mal quatschen. Du weißt viel über sie. Es ist vielmehr Kaffeeklatsch, wenn eine Kundin vorbeikommt.“ So schön es für die „Bewohner des Dorfes“ ist, umso schwieriger ist es für Neueinsteiger. Trotz des Interesses an neuen Läden ist es schwer, Fuß zu fassen. Die Besitzer der Boutique Belgique und des Salon Sahnestück sind „Ureinwohner“ des Viertels. Dementsprechend groß ist der bereits aufgebaute Kundenstamm. Selbst eine Immobilie auf der Schildergasse würde sie nicht dazu bewegen, ihren jetzigen Standort aufzugeben. Ein Geschäft auf einer derart populären Einkaufsstraße wäre für die Besitzerin purer Kommerz. Bei beiden Läden stehen das enge Verhältnis zum Kunden, die Aktualität und das Modische im Vordergrund. Die Kundinnen der beiden Läden mögen genau diese Art des Shoppings. Die begrenzte Auswahl, die geringe Menge an einzelnen Kleidungsstücken und der spezielle Geschmack scheinen ihnen nichts auszumachen. Diese drei Faktoren sprechen für sich und sind auch typisch für das Viertel. Die Läden liegen weit auseinander. Die Anzahl der Geschäfte ist übersichtlich, und die zu verkaufende Ware ist speziell.

nicht interessiert!“ Daher wird es, zumindest in naher Zukunft, keinen richtigen Onlineshop geben. Obwohl der Bedarf riesig ist, liegt Lena Terlutter und Leonard Dobroshi viel an dem direkten und persönlichen Umgang mit den Kunden: „Gerade der persönliche Kontakt ist uns sehr wichtig. Wir möchten, dass unsere Kundin ein Einkaufserlebnis hat und dass sie mit einer schönen Tüte nach Hause geht. Wenn die Nachfrage und somit der Druck immer größer werden, dann werden wir es irgendwann machen müssen. Bis dato würde ich es am liebsten so belassen, wie es jetzt ist.“ Gerade die internetaffinen Kundinnen würde ein Onlineshop freuen. Täglich besuchen mehrere Tausend Modefans die Blogs der zwei Modeläden. Sowohl Boutique Belgique wie auch Salon Sahnestück haben sich in der Modeszene einen Namen gemacht. Aus dem Belgischen Viertel sind sie kaum mehr wegzudenken. Die Kunden schätzen den persönlichen Umgang sehr. Doch nicht nur der Umgang, auch die Produktauswahl macht die beiden einzigartig. Die Idee der Individualität wollen Lena und Leonard auch in ihrem dritten Laden verwirklichen. Sowohl den Namen als auch den Style wollen sie noch nicht verraten. Der Standort steht allerdings jetzt schon fest: das Belgische Viertel.

WEITERE INFOS

„An purem Kommerz sind wir nicht interessiert!“ Für die beiden Besitzer der zwei Modeläden sind genau diese Dinge von großer Bedeutung. „An purem Kommerz sind wir

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http://salon-sahnestueck.blogspot.com http://boutiquebelgique.blogspot.com


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NETZWERKEN

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TEXT: ROBERT FILGNER ILLUSTRATION: ION WILLASCHEK

DIE

DER KLASSE

MASSE

CROWDFUNDING UND CROWDSOURCING MASSENPROTESTE UND MASSENBEWEGUNGEN ERREICHEN SCHON IMMER MEHR AUFMERKSAMKEIT. DAS PRINZIP, AUF DIE MASSE ZU SETZEN, HAT AUCH DIE KREATIVWELT ERREICHT. EINE VERORTUNG VON NEUEN MÖGLICHKEITEN FÜR WIRTSCHAFT, KULTUR UND GESELLSCHAFT.

Ein Lexikon, zusammengestellt von jeder und jedem für jede und jeden: Was mit Wikipedia vom Prinzip her vor elf Jahren begann und heute noch teils kritisch betrachtet wird, hat in den vergangenen Jahren eine neue Dimension erreicht und vor allem den Einzug in neue Gesellschaftsbereiche erlangt. Heute sind Innovationen der (sogenannte) Schlüssel zum Erfolg. Dafür die Einfälle aller zu nutzen ist eigentlich nur eine logische Folge. Innovative Ideen und Projekte sind heute nicht mehr ein Produkt hoch bezahlter Kreativabteilungen exklusiver Labels und Agenturen. Kreativität findet in vielen Köpfen aus den verschiedensten Bereichen und mit den unterschiedlichsten Hintergründen statt. Das erkennt auch zunehmend die Arbeitswelt. Mit „Crowdsourcing“ hat sich hierfür ein neuer Begriff etabliert, der seinen Einzug in die Wirtschaft von morgen hält. Getra-

gen wird dieses Prinzip der Arbeitsteilung durch einfachere, virtuelle Austauschwege des Kommunikationszeitalters und durch die Einstellung vieler Menschen, sich nicht in ein festes Berufsbild pressen zu lassen. Die Hintergründe von Crowdsourcing sind vielfältig und komplex und gerade für die Kreativwirtschaft hochspannend. Während über Crowdsourcing ganz konkret die Kreativität und die Ideen einer breiten Masse genutzt werden, ist in Deutschland in den vergangenen Jahren Schwung in eine weitere „Massenbewegung“ gekommen. Quasi als Spiegelung der Innovationskraft von Crowdsourcing entstehen im Internet immer professionellere Plattformen, um Projekte aus der Ideenwelt in die Realität zu führen. Das sogenannte Crowdfunding lässt die Masse entscheiden, ob etwas Neues und Kreatives seine Umsetzung in die Wirklichkeit findet: „Massen-Spenden-Sammeln“ für Musik- und Filmprojekte, für Publikationen und einmalige Events, für Spiele oder neue Produkte.

Mittel der Masse nutzen Auch null22eins hat seine erste offizielle Ausgabe zur Finanzierung einer breiten Masse vorgestellt und so den Weg in die Realität gefunden. Auf der Crowdfunding-Plattform startnext wurden im September vergangenen Jahres Mittel zur Deckung der Druckkosten gesammelt. startnext ist nur eine von mittlerweile zehn Plattformen allein in Deutschland, die Ideen Wirklichkeit werden lassen. Das Prinzip bleibt dabei immer das gleiche: Stelle deine Idee oder dein Projekt vor. Finde Unterstützer. Überzeuge Menschen, einen finanziellen (oder auch einen anderen) Beitrag zur Umsetzung deines Projekts zu leisten. Für den Kultursektor stechen dabei neben startnext auch mySherpas, sellaband und VisionBakery hervor. Hier stehen vor allem Musiker und Kunstprojekte im Mittelpunkt.


NETZWERKEN

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WEITERE INFOS Stichwörter zum Weitergoogeln: Co-Creation Lab, Coworking Space, Future of Work, Open Innovation, War for Talents www.crowdsourcingblog.de

Im Vorfeld des Engagements auf startnext durfte null22eins eine kurze Beratung in Anspruch nehmen. Claudia Pelzer ist in Köln die Ansprechpartnerin Nummer eins, wenn es um Themen rund um Crowdsourcing geht. Ihre Arbeiten und ihr Blog sind deutschlandweit grundlegend, will man die Dimensionen und Potenziale hinter der ausgelagerten (outSOURCING) Nutzung der Masse (CROWD) verstehen. Pelzers gut strukturierter

Webauftritt bietet auf allen Gebieten Hintergrundwissen und informiert über Neuigkeiten. Darüber hinaus steht sie dem neu gegründeten Deutschen Crowdsourcing Verband (DCV e. V.) vor, der sich zum Ziel gesetzt hat, dieses Zukunftsthema in der deutschen Arbeitswelt und Gesellschaft zu verfestigen. Dieser Verein wurde im September 2011 in Köln gegründet und (über-)setzt die zahlreichen und vielfältigen Formen künftigen Denkens

und Arbeitens in reale Lebenswelten. Das geht bei Begriffen wie Open-Innovation los, führt über Future of Work mit konkreten Ansätzen für die Welt von morgen zu Finanzierungsmodellen wie Crowdfunding für das flexible und moderne Leben. Dass das hierbei häufig verwendete „Arbeitsmodell der Zukunft“ keine Vision ist, haben schon zahlreiche Firmen bewiesen. In der kreativen Designwelt funktioniert das Prinzip Crowdsourcing mittlerweile

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NETZWERKEN

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auch in großen Abteilungen international agierender Konzerne. Ein Beispiel hierfür liefert BMW. Bereits 2010 hat das Münchner Unternehmen über einen (benennen wir den crowdsourcing ideacontest und das Co-Creation Lab ruhig auf Deutsch) Ideenwettbewerb zur Mitwirkung an künftigen urbanen Mobilitätsdienstleistungen aufgerufen. Unter dem Titel „Tomorrow’s Urban Mobility Services“ waren innovative Mobilitätslösungen gefragt. Knapp 300 Vorschläge kamen zusammen. Zur Auswahl standen die Kategorien: Elektroautos, Mobilität, Multimedia sowie Internet & Smartphones. Die Gewinneridee war ein mobiles Car-Sharing-System namens PMUP (kurz für Pick me up please), bei dem Fußgängern Mitfahrgelegenheiten auf ihr Handy gesendet werden.

„In der heutigen Ökonomie sind sämtliche Prozesse in ihrer Effizienz bereits so weit optimiert, dass eine Steigerung kaum noch möglich ist. Der Spielraum ist gewissermaßen ausgereizt“, fasst Claudia Pelzer das künftige Potenzial der Massen zusammen. „Alles, was nun noch hilft, sind Innovationen. Aber die werden nun mal nicht am Fließband produziert, sondern sind ein rares, wertvolles Gut. Wenn Unternehmen die eigene Innovationsfähigkeit ausgeschöpft haben, greifen sie aus diesem Grund immer häufiger auf die Kreativität der Masse zurück. Der ‚War for Talents‘ ist eben sehr oft auch einer um Ideen.“ Mit ihrem Blog berichtet sie nicht nur über eine flexiblere und selbstbestimmtere Arbeitswelt. Sie erforscht das Thema im Rahmen ihrer Promotion und ist daher stets ganz nah dran an

allen neuen Entwicklungen. „Egal, wie man es betrachtet, die Strömungen aus den USA und England sind auch bei uns angekommen. Wir entwickeln die Gedanken und Ideen hinter den Prinzipien weiter“, so die studierte Medien-Ökonomin. Und damit schließt sich auch ein Kreis: Mit den äußerst gut angenommenen Coworking Spaces auch hier in Köln werden überhaupt erst die Rahmenbedingungen geschaffen, sich auszutauschen, gemeinsam neue Ideen zu entwickeln und Wege zu finden, diese umzusetzen. Hier treffen sich mehr und mehr Interessierte und basteln weiter – an der Arbeitswelt von morgen.

CROWDFUNDING IN DEUTSCHLAND Das Prinzip, sich von der Masse („Crowd“) unterstützen zu lassen und für Projekte Gelder zu erhalten („funding“), ist ein echter Anreiz, sich zu verwirklichen – und sich selbst bei einer guten Sache einzubringen. Wann hatte man schließlich schon einmal die Möglichkeit, seine Ideen einfach der Welt zu präsentieren und dann andere die Mittel dafür bereitstellen zu lassen? Oder wann konnte man jemals die nächste CD seines Lieblingsmusikers mitfinanzieren? Also: Wer Ideen oder Geld übrig hat, sollte hier vorbeischauen und mitmachen: Bei startnext (startnext.de) muss man zunächst genügend Fans für sein Projekt finden, das durch die Masse finanziert werden soll. Nur wenn der angestrebte Preis tatsächlich erreicht wird, fließt das Geld. Das ist sicherer für die Unterstützer.

startnext.de selbst ist gemeinnützig und unterstützt über einen Crowdfonds auch weitere Projekte. Die VisionBakery (visionbakery.de) wird ebenfalls durch die Finanzierungsmethode „alles oder nichts“ angetrieben: Entweder werden die Projekte voll und ganz gefördert, oder das Geld geht an alle Unterstützer zurück. Weitere Plattformen in diesem Bereich sind mySherpas (mysherpas.com) und pling (pling.de), die offen für kreative und karitative Projekte jeder Art sind. Bei sellaband (sellaband.com) stehen ausschließlich Musikerinnen und Musiker im Fokus. Hier kann man die Erstveröffentlichung eines neuen Talents ebenso unterstützen wie die Tour bereits bekannterer Bands.

Respekt.net ist eine Plattform für gesellschaftspolitisches Engagement und bringt Menschen mit Ideen mit potenziellen Unterstützern zusammen. Über die Projektbörse werden wertvolle Initiativen schnell und einfach vielen Menschen vorgestellt. So erhöht Respekt.net die Umsetzungschancen guter Ideen für eine bessere Welt. Richtigen Spendencharakter, aber im Endeffekt das gleiche Prinzip nutzend, haben betterplace.org und Reset (reset.to), bei denen der Blick hinaus zu Problemen in der Welt geht.


KÖLNER PLÄTZE

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DARUM SO ERFOLGREICH

EINZIGARTIGES SPAZIEREN Passagen 2012 FOTOS: ANNA SHAPIRO

BEVOR DIESE AUSGABE DOCH ZU MODE- BEZIEHUNGSWEISE DESIGNLASTIG WIRD, KONZENTRIEREN WIR UNS KURZ AUF DEN RAUM. EINZIGARTIG AN DEN PASSAGEN SIND NICHT NUR DIE GRÖSSE UND VIELFALT, SONDERN AUCH DIE UNTERSTÜTZUNG VIELER KÖLNER HINTER DEN KULISSEN. ANERKENNUNG GILT ALLEN BÜRGERN, DIE IHR WOHNZIMMER ZUR GALERIE UMFUNKTIONIERTEN, DIE GANZE STRASSENZÜGE EINE WOCHE LANG MIT KUNST BELEBTEN UND DIE ÜBER 190 VERANSTALTUNGEN BESUCHTEN. EIN WAHRES AUSHÄNGESCHILD DIESER STADT.

WEITERE INFOS www.voggenreiter.com/passagen2012


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AUSBLICK

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im Juni PROJEKTRAUM

DIE FOTOPENSION

In die fotopension in der Sülzer Marsiliusstraße stolpert man über eine echte Schwelle. Das kann wehtun, aber so ist das im Leben. Einmal drin, wird es umso charmanter. Neben den Räumlichkeiten und der Fotokunst liegt das an den acht Galeristen. Ausgestellt wird, was ihnen gefällt; und manchmal gefallen sie sich eben auch selbst. Sie sind ein bisschen Subkultur und vielleicht popmodern. In ihrem Projektraum kann stattfinden, was mit Fotografie zu tun hat. Professionalität ist gern gesehen, aber lieber noch das denkende, originelle Auge. null22eins sieht sich das für die Sommerausgabe genauer an – zum Beispiel vom 3. März bis 15. April während Peter Waterschoots Ausstellung „Recent & very recent photowork“.

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AUSBLICK

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