#05 Herbst 2012

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Herbst 2012

#05 Kรถlner Kulturen Magazin | www.null22eins-magazin.de

Freiexemplar | Wert 3 Euro


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Editorial

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Editorial Foto /// Stephanie Personnaz

Gedanken, Theorien, Projekte und Ziele sind zu Beginn erst mal nur konstruiert, also noch nicht richtig greifbar. Etwas, das noch beschrieben werden muss anhand von Hilfsfragen oder Konstrukten. Das klingt zunächst psychologisch, wissenschaftlich und zugegeben langweilig. Konstruktive Zusammenarbeit von Beginn an kann aber diese Gedankenwelt durchbrechen und helfen, etwas richtig Gutes auf die Beine zu stellen. Nach einem Jahr null22eins können die Menschen dahinter auf viele gute Tage gelungener Zusammenarbeit blicken. Sei es beim Recherchieren, beim Fotografieren und meistens auch beim Zusammenbauen, der Konstruktion des Magazins oder auch beim gemeinsamen Feiern.

Und wer das hier jetzt als ziemlich konstruiert empfindet, dem sei zumindest versichert, dass einige der folgenden Seiten gedanklich, theoretisch oder ganz praktisch zum Thema passen. Da wären Menschen, die selbst etwas erschaffen, etwas bauen, etwas machen – sowohl Produkte, mit Material als auch Projekte, mit Ideen. Jeder Einzelne hat dabei klare Ziele vor Augen, die er oder sie mit viel Einsatz erreichen will – sowohl auf materialistischer Ebene, um Geld zu verdienen als auch auf schöpferischer Ebene, um etwas Gutes auf die Beine zu stellen. Der Gedankenwelt sind dabei keine Grenzen gesetzt. Ob in digitalen Räumen oder im analogen Leben, eine Konstruktion ist immer etwas Einzigartiges, etwas Neues, das Menschen unterhalten oder begeistern kann – manchmal durch die Entwicklung dahinter, manchmal durch das Ergebnis selbst, im Idealfall durch beides. Viel Spaß beim Lesen der Ausgabe Herbst 2012 von null22eins.


Editorial

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Inhalt

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null22eins #fünf

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16 06 Alt | Neu /// Philosophikum

Ein Haus, ein Baustil, eine eigenes Thema. Von grauer Symbolik in Köln – gegossen in Beton

08 Werkschau /// Der Macher

Vielfalt im Kopf, Vielfalt im Portfolio: Eugen verdreht die Welt, wie sie ihm gefällt

10 Artishocke e.v. /// Beep

Vereinsarbeit mal anders und der Aufruf, null22eins zu unterstützen. Ein Kunstprojekt

16 Wissenschaft /// Herden-Wechselbeziehungen Beziehungen sind schon etwas kompliziertes. Erst recht, wenn es um bedrohte Arten geht! Ja, es geht um Pferde

18 kölner Orte /// Gar nicht so Strange

Kreative Bürogemeinschaft in Mülheim mit Zielen

20 Sport /// köln Meets Wilder Westen Jongleure machen die Stadt unsicher

22 Fotostrecke /// Abseits der Obrigkeit Analoges mit mehreren Ebenen

26 Zwischenraum /// Phase Null

Was passiert eigentlich rund um den Klingelpützpark? Ein Blick in die Bildungslandschaft Altstadt-Nord

28 Handgemachtes /// Shouwanga trifft auf Umiwi Nachhaltigkeit bei Schmuck und Kunst. Zwei Beispiele

30 Musik /// KulturLaden

DJ Cem ist erfolgreich – bundesweit. Jetzt gibt er etwas davon ab – in seiner Lieblingsstadt

32 Musik /// Bands in und aus Köln

oceanview Tobey Trueblood (And The Ooohs & Aaahs) SMOKEY JOE

34 Porträt /// AUS IDEEN ERWACHSEN

Ein adoleskes Bild zweier Regisseure und Schauspieler


Inhalt

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Impressum Herausgeber

V.i.s.d.P

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Redaktion u. redaktionelle Mitarbeit

Kristin Brabender, Charlotte Braun, Robert Filgner, Katarina Fritzsche, Marie-Luise Hofstetter, Christina Kuhn, Şehnaz Müldür, Stawrula Panagiotaki, Adam Polczyk, Saskia Rauchmann, Saskia Seipp.

Layout

Stefanie Grawe, Helena Kasemir, Leo Pellegrino, Stephanie Personnaz, Julia Ziolkowski.

Fotos

Illustrationen Coverfoto

Anzeigen

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38 Museum /// SONDERBUND AUSSTELLUNG 1912 Eine künstlerische Revolution

Bankverbindung

Gegensätzliches selbst erschaffen – Mela Chu und ihr Blick auf Traditionelles

44 Köln-Szene /// Spaghetti für den nachwuchs

Ein Netzwerk für Tanz, aber auch für junge Künstler – ohne Grenzen im Kopf: Barnes Crossing

Robert Filgner robert@null22eins-magazin.de Şehnaz Müldür sehnaz@null22eins-magazin.de

Druck

40 Design /// Das Sehen lernen

artishocke e. V. Genovevastraße 65 • 51063 Köln redaktion@null22eins-magazin.de

Evi Blink, Alessandro De Matteis, Antje Lepperhoff, Stephanie Personnaz, Anna Shapiro. Elisa Metz und Natalya Posukhova. Alessandro De Matteis Merkur Druck GmbH & Co. KG Am Gelskamp 18–20 • 32758 Detmold www.merkur-psg.de Telefon: 0221. 20 43 22 25 redaktion@null22eins-magazin.de null22eins-magazin.de facebook.com/null22eins issuu.com/null22eins-magazin artishocke e. V. Deutsche Skatbank Konto-Nr.: 4680715 • BLZ: 830 654 10

Redaktionsschluss

Ausgabe #05: 29. Juli 2012

46 Netzwerken /// CAT Cologne

Im Gespräch: ein Vereinstrio mit klaren Vorstellungen und Zielen für Kölns Zukunft

50 Ausblick /// im Dezember Jung, Kunst – Vermessen Film

Urheberrechte für Beiträge, Fotos und Illustrationen sowie der gesamten Gestaltung bleiben beim Herausgeber oder den Autoren. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers! Alle Veranstaltungsdaten sind ohne Gewähr.


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Alt | Neu

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Das Philosophikum

Die hängenden Gärten von Lindenthal ... Text /// Christina Kuhn Fotos /// Antje Lepperhoff /// Archiv DER universität zu köln

So war es 1974 vom Staatsbauhochamt gedacht, so soll es nach der Sanierung bis April 2013 werden: das Philosophikum ein Treffpunkt mit begehbaren Innenhöfen, balkonartigem Blick aus den Bibliotheken und viel Licht. Dazwischen liegen fast 30 Jahre Beton, wie er trostloser nicht sein konnte: „béton brut“, brutaler Beton – oder schlicht Sichtbeton. Ungewollt doppeldeutig oder doch eine Hommage an die „Materialehrlichkeit“, wie sie in den 50ern bis frühen 70ern dem Beton bescheinigt wurde? Jedenfalls ist die


Alt | Neu

Sicht in den fensterlosen Seminarräumen derzeit lediglich frei auf nackte Betonwände. Von außen betrachtet wirkt die Fassade des Gebäudes, das erstmals die verstreuten Institute der Philosophischen Fakultät vereinte, weniger klotzig: Ein Wechsel aus Glasund Brüstungsbändern und die terrassenartige Architektur werden sichtbar. Platz für viel Neues also.

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Werschau

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Der Macher

Werkschau

Ob Illustration, Grafikdesign oder Fotografie – der gebürtige Ukrainer Eugen Laitenberger, auch unter dem Künstlernamen Gunee bekannt, will sich nicht festlegen, wenn man ihn fragt, was für eine Art von Kunst er erschafft. Muss er auch gar nicht. Denn die Vielfalt spricht für sich. „Wenn ich denke, eine Idee funktioniert, dann mach ich es einfach!“ sagt Eugen. Fotografie und Illustration dienen ihm dabei lediglich als Instrument und Werkzeug, um seine Ideen umzusetzen. Was sich Eugen in den Kopf setzt, das wird auch Realität. Schon in seiner frühen Kindheit fing er an mit klassischer Malerei: Aquarelle, Ölgemälde, Zeichnungen. Kunst ist für ihn nicht nur ein Weg, sich auszudrücken, sie ist eine Art wichtige Bezugsperson. Während andere in ein Tagebuch schrieben, setzte sich Eugen hin und begann kreativ zu sein. Und das ist bis heute so. Kunst war und ist ein ständiger Begleiter von Eugen. Mit 17 entwickelte er entwickelte zusammen mit einem Freund eine Zeitschrift namens Niji-Magazin. Auch dabei standen die Idee und der Wille des Machens im Vordergrund. Und so ging es nach der Schule weiter mit einer Ausbildung im Bereich Grafikdesign und einem anschließenden Fotodesignstudium. Nicht selten hat er die Vorgaben des Lehrplans missachtet, wenn er der Überzeugung war, dass ein anderer Lösungsweg mehr Sinn machen könnte. Das hat zwar häufig zu Diskussionen mit Lehrern und Dozenten geführt und ihm auch die eine oder andere schlechtere Bewertung eingebracht, aber für seine Überzeugungen nimmt Eugen einiges in Kauf. Der beste Beweis dafür, dass sein Mut und seine Ausdauer belohnt werden, ist eine Fotostrecke, die er zusammen mit der befreundeten renommierten Fotogra-

fin Madame Peripetie für das spanische H-Magazin angefertigt hat. Wenn Eugen an seinen Kunstwerken arbeitet, fragt er sich immer: Finde ich gut, was ich tue und wenn ja, warum finde ich es gut? Das ist nicht nur ein Qualitätscheck, sondern führt auch dazu, dass seine Werke eine ganz persönliche Note erhalten. Das Besondere entdeckt man zum Beispiel in der Fotostrecke „Familiy Album“. Sie zeigt großgewordene Erwachsene in Situationen längst vergangener Tage. Bei der Umsetzung hat sich Eugen unter anderem an typisch russischen Accessoires bedient, die den Bildern einen ganz besonderen Charme verleihen. Betrachtet man seine Illustrationen ganz genau, sieht man die vielen Details. Oft platziert Eugen kleine visuelle Botschaften in seinen Werken, die nur Eingeweihte verstehen. Und wer das weiß, guckt noch genauer hin. Die Betrachter dürfen sich auf weitere Werke freuen. Denn Eugen hat sich bewusst dazu entschieden, seinen Job als Grafikdesigner auf Teilzeitbasis auszuüben, damit er genügend Zeit hat, sich seiner Kunst zu widmen. Eine weitere sehr gute Idee, die funktionert.

Text /// Saskia Seipp Weitere Infos /// www.gunee.de

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Artishocke E.V.

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Fotos /// Alessandro De Matteis /// Artishocke e.v.


artishocke E.V.

BEEP.

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S.A.L. ist kein schüchternes Wesen – und doch fühlt es sich manchmal ziemlich eingeschüchtert. Fremd, obwohl oder weil sehr präsent. Grau, obwohl oder weil mit anderem Lack. Nicht so richtig angekommen, obwohl gerne da. „Was soll ich werden? Beep.“ Mit Konventionen brechen? „Ja, raus aus FlieSSbandarbeiten, rein in die kreative Welt, rein ins Leben. Beep.“


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Artishocke E.V.

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artishocke E.V.

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Artishocke E.V.

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S.A.L. – ein häufig einsames Wesen. Ein graues Leben in der GroSSen Stadt, Die Zeit unendlich. Einsam plätscherte alles vor sich hin. Und plötzlich waren sie da! Menschen und mittendrin angekommen: S.A.L. S.A.L. – Vereinsarbeit im artishocke e.v.


artishocke E.V.

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wissenschaft

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HerdenWechselbeziehungen Wildpferde in Hortobágy – ein erfolgreiches Forschungsund Artenschutzprojekt in ZUsammenarbeit mit dem Kölner Zoo. vor Ort von einer Mitforschenden dokumentiert.


Wissenschaft

Das Semi-Reservat Pentezug liegt im Herzen des Nationalparks Hortobágy in Ostungarn und ist das größte Wildpferdereservat in Europa. Mehr als 200 Przewalskipferde leben halbwild in dem 2.470 Hektar großen Gebiet. Das Kooperationsprojekt des Kölner Zoos mit dem Ungarischen Nationalpark hat sich in den letzten Jahren zum erfolgreichsten Forschungs- und Artenschutzprojekt für das Przewalskipferd weltweit entwickelt. Nahezu 50 Prozent der Pferde sind Hengste, was eine Besonderheit darstellt, da in den meisten anderen Reservaten reine Hengst- oder Stutengruppen gehalten werden. Pentezug bietet daher die seltene Gelegenheit, das Verhalten der Pferde unter naturnahen Umständen zu erforschen. Von allen Individuen der Population wird ein Abstammungsnachweis erstellt, sodass außerdem die Verwandschaftsbeziehungen aller Pferde zueinander bekannt sind. Im Jahr 2006 habe ich mich im Rahmen meiner Diplomarbeit mit den Abwanderungsmustern der Jungpferde beschäftigt und dabei die ersten faszinierenden Einblicke in das vielschichtige Sozialgefüge der Pferde erhalten. Przewalskipferde leben in sogenannten Haremsgruppen, die von einem erwachsenen Hengst, dem Haremshengst, angeführt werden und aus mehreren erwachsenen Stuten und deren noch nicht erwachsenen Nachkommen bestehen. Jungpferde beider Geschlechter verlassen ihre Geburtsgruppen, bevor sie sich fortpflanzen, was ein sehr wirkungsvoller Mechanismus zur Inzuchtvermeidung ist. Die Junghengste schließen sich der Junggesellengruppe an, in der alle Hengste in einem lockeren Verband zusammen leben, die keine eigene Haremsgruppe führen. Hier erlernen die jungen Hengste die Fertigkeiten, die sie später als Haremshengste beherrschen müssen. In Spielkämpfen trainieren sie typische Kampfabläufe und Körperbeherrschung. Häufig kann man die Junghengste bei kleinen Rollenspielen beobachten. Mit jüngeren Hengsten in der Rolle von „Ersatzstuten” trainieren sie das Zusammenhalten und Treiben einer

Gruppe in eine bestimmte Richtung. Erst wenn sie diese Disziplinen sicher beherrschen, haben sie bei den wählerischen Jungstuten eine Chance. Die Jungstuten verlassen ihre Geburtsgruppen, wenn sie zum ersten Mal in die Rosse kommen, also für die Paarung bereit sind. Es scheint einen Hemmmechanismus zu geben, der verhindert, dass der Haremshengst der eigenen Gruppe die Jungstuten deckt. Um sich zu paaren, müssen die Stuten sich also einen anderen Partner suchen. Zwei Faktoren sind bei dieser Suche ausschlaggebend: Die Stuten suchen sich fast immer eine kleinere Gruppe oder einen einzelnen Hengst aus, da sie dort nicht mit dominanten älteren Stuten in Konflikt geraten. Außerdem schließen sie sich niemals einem Hengst an, der vorher mit ihnen in derselben Gruppe gelebt hat. In diesem Fall wäre die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Tiere verwandt sind, zu hoch. DNS-Analysen bestätigen, dass mit Hilfe dieser komplexen Abwanderungsmuster Inzucht zu einem hohen Maße vermieden werden kann. Das Projekt bietet zahlreiche Möglichkeiten zur Durchführung weiterer Forschungsarbeiten und profitiert von dem internationalen Interesse vieler motivierter junger Forscher.

Text /// Kristin Brabender Fotos /// Alessandro De Matteis

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Kölner Orte

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Gar nicht mal so strange Text /// Marie-Luise Hofstetter Fotos /// Alessandro DE MATTEIS Weitere Infos /// www.muelheimstrangers.de

Zusammenarbeiten mit dem groSSen zeh im rhein – eine kleine Kreativgemeinschaft mitten in Mülheim.


Kölner orte

Im Herzen Mülheims, unweit vom Wiener Platz, findet sich ein kleines aber feines... Ja, was genau verbirgt sich eigentlich hinter den mit bunten Comics bekritzelten Fensterscheiben dieses Ladenlokals? „Von Piercing-Studio über Internetcafé hin zum ‚X-Box Kompetenz-Zentrum für Kinder‘ – wir haben schon alles gehört“, erklärt uns Matthäus alias Mattes lachend, als wir ihn zum Interview treffen. In Wirklichkeit handelt es sich bei den, zwar noch spartanisch, aber sehr liebevoll mit einigen stylischen Retro-Möbeln eingerichteten Räumlichkeiten um das Büro der Mülheim Strangers – einem Konglomerat mehrerer befreundeter Designer. Obgleich keiner der Sieben aus Mülheim stammt oder dort eine Bleibe sein Eigen nennt, entschieden sie einstimmig, dass ihre Bürogemeinschaft eben dort entstehen sollte, wo sie nun zu finden ist: „Mülheim wird völlig

unterschätzt. Wo in Köln findet man denn heute sonst noch bezahlbare Büroflächen, die in unmittelbarer Nachbarschaft echter kleiner Läden gelegen sind, die keiner riesen Kette angehören? Und von wo aus man nach Feierabend zu Fuß keine fünf Minuten braucht, um den großen Zeh in den schönen Rhein um die Ecke zu halten?“ Nirgends. Außer in Mülheim eben, wo abseits des Agenturviertels Schanzenstraße auch andere Kreative die kleinen Gassen und Ecken für sich entdecken, wie beispielsweise die Macher des Mülgrime Radios.

Erfolgreiches Probejahr Zunächst mieteten die Jungs den ehemaligen Kiosk für ein Jahr an. „Die Idee war“, so erklärt Mattes mit einem semidezenten Lächeln auf den Lippen, „abzuwarten, wie wir als Fremdkörper in diesem Teil Mülheims angenommen würden. Und wie mit uns umgegangen würde.“ Erfreulicherweise und für Menschen, die mit Mülheim erhöhte Kriminalität und sonst auch nur wenig Gutes verbinden, vielleicht auch überraschenderweise, kam es zu genau null Vorfällen unangenehmer Art. Vielmehr stellten die Freizeit-Siebdrucker, Corporate- sowie Interface-Designer und Fotografen fest, dass ihre neue Nachbarschaft äußerst charmant und interessiert ist. Anstatt mit stumpf nach unten gerichtetem Blick aneinander vorbeizugehen oder gar mit Unverständnis,

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beispielsweise ob der auffälligen Fensterfront des Mülheim Strangers Büros, wird den Jungs ehrlich freundlich zugewunken oder mal eben ein gemeinsamer Kaffee auf der rechtsrheinisch gelegenen Fensterbank genossen. Von Scheu, Desinteresse oder blöden Kommentaren Anderer keine Spur. Im Gegenzug revanchieren sich die Büro-„Sharer“ auf ihre ganz eigene Art, wie beispielsweise während der vergangenen Fußball-EM. Da nämlich wurde die verglaste Bürofront mal eben von ihren Kreidestift-Illustrationen befreit, um vorbeigehenden Fußballinteressierten freie Sicht auf das Spiel zu gewähren, das mit dem Beamer an die Wand gegenüber projiziert wurde.

Weitere Pläne Wenn alles weiterhin gut läuft und sie vom Vermieter das Okay für kleinere Renovierungsarbeiten haben, planen die Jungs ab Herbst, Ausstellungen mit lokalen Künstlern und eventuell auch Siebdruckkurse anzubieten. Raum und Interesse wären definitiv vorhanden. Und wer weiß, vielleicht kommen auch noch weitere interessierte Nachbarn von „um die Ecke“ – diese herzlichen, neugierigen und eben echt kölschen –, und man lässt den Tag gemeinsam mit einem Bierchen am Rhein ausklingen.


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Sport

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Köln meets Wilder Westen Jonglage als Ausdruck des Gefühls und Instrument des Geschichtenerzählens

Fotos /// Anna Shapiro Text /// Charlotte Braun Weitere Infos /// www.jongleuredaan.de /// www.atemzug-ev.de


Sport

Daan und Sebastián sind Autodidakten, Entdeckten schon als Jugendliche die Jonglage für sich. Seitdem sind sie ihrer Leidenschaft verfallen, haben sie sogar zum Beruf gemacht.

Zwei Cowboys. Sie stehen sich gegenüber, ihre Hüte tief ins Gesicht gezogen. Sie beobachten sich, nehmen jede noch so kleine Bewegung ihres Gegenübers wahr. Plötzlich ziehen sie ihre Colts, richten sie aufeinander. Eine Szene aus einem Western? Weit gefehlt. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus dem Stück „Von Western bis Ostern (Arbeitstitel)“. Die beiden Cowboys sind die gelernten Zirkuspädagogen Daan Mackel und Sebastián Inaty. „Wir spielen mit allem, was wir in die Hände bekommen, sind richtige Spielkinder. Es geht immer darum, höher zu werfen oder mit einem Teil mehr zu jonglieren. Womit das geschieht, ist letztendlich egal“, erklärt Daan. Geübt wird immer und überall. Schließlich handle es sich beim Jonglieren um keinen Sport. Nichts, dass man in einem Verein ausüben müsste. „Wir haben die Freiheit, spontan zu entscheiden, wo und wann wir trainieren wollen. Wir sind sehr flexibel, weil die Jonglage mit ganz wenig Aufwand verbunden ist.“

Leidenschaft und Ausdauer Jonglieren sei etwas, das jeder lernen könne – zumindest mit drei Bällen. Von der Technik her sei alles vorhanden, der Körper würde es schon lernen, bevor der Kopf es verstanden hätte. „Die Jonglage lässt sich gut mit dem Erlernen eines Instruments vergleichen. Beherrschst du es erst einmal, kannst du langsam anfangen, zu improvisieren. Nach und nach wirst du freier, kombinierst erste Tricks. Du lernst also, dich auszudrücken“, so Daan. Auch wenn es immer jemanden gibt, der besser als man selbst ist, sei das Jonglieren eine Bewegungskunst, die absolut unendlich sei, weil es immer wieder neue Tricks gebe. Trotz allem braucht es nicht nur Leidenschaft, sondern vor allem Ausdauer und eine große Frustrationsgrenze, um der Jonglage treu zu bleiben. Denn erkennbare Fortschritte können Jahre des Trainings in Anspruch nehmen. „Wir Jongleure teilen alles. Ich kann dir meine Tricks zeigen, doch du selbst musst sie lernen“, sagt Sebastián. „Wir sind eine kleine Szene, in der jeder willkommen ist.“

Neuer Zirkus: Chance zur Freiheit Die beiden Jongleure sind ein eingespieltes Team. Anfangs sind sie auf vielen Kindergeburtstagen aufgetreten oder haben Jobs auf Messen angenommen. Doch das war monoton, immer die gleichen Kunststücke und Choreographien. „Privates kann nett sein, doch am Ende arbeitet

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man immer für einen Auftraggeber, ist oft als Werbefigur im Einsatz. Am schönsten ist es, in Theatern aufzutreten. Dort sitzen Leute, die sich wirklich für das interessieren, was du machst. Sie sind gekommen, um dich zu sehen. Außerdem erzählen unsere Shows eine Geschichte, haben also einen Anfang und auch ein Ende“, sagt Sebastián. Und Daan fügt hinzu: „Wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir es uns glücklicherweise leisten können, auf der Bühne nur das zu machen, was uns Spaß macht. Wir setzen unsere Fähigkeiten bewusster ein.“ Neuer Zirkus bietet viele Möglichkeiten, den kreativen Spielraum zu erweitern. So verbindet man Theater mit Artistik und Tanz, disziplinübergreifende Performances sind Standard. „Es geht bei uns nicht mehr wie im klassischen Zirkus darum, den größten Trick zu zeigen, sondern darum, eine Geschichte zu erzählen.“ Die Technik sei dabei nur noch Mittel zum Zweck. Und genau das wollen Daan, Sebastián und einige andere Künstler in ihrer Hommage an das Genre Western zeigen. „Von Western bis Ostern“ wird von der freien Künstlergruppe finanziert und feiert im Februar 2013 auf der Bühne der Kulturen Premiere. „Das Stück greift auf Sounds und Geräusche zurück, die teilweise live auf der Bühne produziert werden. Im Mittelpunkt stehen Gesten, es wird viel mit Atmosphäre gearbeitet und komplett auf ein Bühnenbild verzichtet.“ Allein die Kostüme – Cowboyhut, Stiefel, Colts und weitere Accessoires – sollen an Saloon-Szenen und den Wilden Westen erinnern. Die Geschichte bezieht das Publikum mit ein und spielt mit Aktion–Reaktion. Köln wird bald merken, dass Cowboys mit ihren Colts nicht nur schießen, sondern sie auch für Jonglage- und Akrobatikchoreographien einsetzen.


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Fotostrecke

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Fotostrecke

Abseits der Obrigkeit Fotos /// Tim Wolfgarten /// Subaltern Publishing Group Weitere Infos /// subalternpublishinggroup.com

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Fotostrecke

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Die Subalternen – ein Ausdruck, der in der Kulturwissenschaft für Menschen verwendet wird, die von der Obrigkeit nicht wahrgenommen werden. Maria Otterbein und Tim Wolfgarten haben diesen ursprünglich als Synonym für das Proletariat verwendeten Begriff zum Motto ihres noch jungen Verlags erklärt: Sie möchten sichtbar machen, was im hegemonialen Diskurs untergeht.


Fotostrecke

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In seiner ersten Publikation zeigt das Zweigespann die facettenreiche Konstruktion des menschlichen Subjekts: „Intersection“, eine von Tim Wolfgarten analog fotografierte Serie zu dieser postmodernen Thematik. „Anders als bei digitaler Fotografie entwickelt man mit diesem heute schon fast überholten Handwerk einen anderen, innigeren Bezug zu den eigenen Arbeiten“, erklärt der Fotograf und Verleger.


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Zwischenraum

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Die Idee war und ist gut. Die Anfänge bewiesen auch ein gewisses Funktionieren. Nun ist es äuSSerlich erschreckend ruhig geworden. Das eigentliche Vorzeigeprojekt „Bildungslandschaft Altstadt Nord“ scheint sich zu verstecken.


Zwischenraum

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0 Ein kurzer Blick hinein und zurück: Das Stadtentwicklungs- und zugleich Bildungsförderungsprojekt „Bildungslandschaft Altstadt Nord“ – besser abgekürzt BAN – startete im Herbst 2006 als bis dato einmalige Kooperation der Stadt Köln, der Montag Stiftungen „Urbane Räume“ und „Jugend und Gesellschaft“ sowie der Bildungs- und Freizeiteinrichtungen rund um den Klingelpützpark. Und, da es vor Ort eben viele betraf, auch der Bürger. Das führte zu einem innovativen und vorbildlichen Austausch.Der war auch notwendig, griffen doch die geplanten Baumaßnahmen ausgerechnet in den für die Anwohner so wertvollen Klingelpützpark ein – auf negative Art und Weise. Der daraus resultierende Dialog – jetzt ganz wertfrei im Detail – hatte Früchte getragen und veranlasste eine Machbarkeitsstudie, die alle Seiten neu bewerten und berücksichtigen sollte. So weit, so gut. Seitdem wird wieder stärker hinter verschlossenen Türen geredet. Schade eigentlich, da das komplette Projekt mit einer sogenannten Ideenkonferenz tatsächlich anfangs zahlreiche Türen öffnete. Schüler, Pädagogen, Planer und Investoren traten

auf Augenhöhe in Kontakt. Das brachte zahlreiche neue Denkanstöße auch auf kleineren Ebenen, welche die Verbundidee der unterschiedlichen Einrichtungen förderte. Und dennoch ist ein noch so transparenter und vermeintlich ergebnisoffener Austausch zwischen so vielen Beteiligten anscheinend nicht haltbar. Noch mal zur Erinnerung: Es sind neben Stiftung und Stadt sieben Bildungs- und Freizeiteinrichtungen für mehr als 2.000 junge Menschen als Verbundpartner vor Ort: das Abendgymnasium Gereonsmühlengasse, die Célestin-Freinet-Schule, die Ganztagshauptschule Gereonswall, die Realschule am Rhein, das Hansa Gymnasium, das Jugendhaus Tower der Katholischen Studierenden Jugend sowie die Freizeitanlage Klingelpütz. Nach sechs Jahren BAN ist viel geredet und studiert worden. Seit September 2011 liegen die Ergebnisse der zentralen Machbarkeitsstudie vor, die letztlich gerade auch deshalb notwendig wurde, weil es vor Ort unterschiedliche Interessen gab – und auch weiter gibt. Und so ist der bisher einzige – zumindest öffentlich merkbare – Effekt der BAN im Jahr 2012 eine kleine von der

Text /// robert filgner /// Illustration /// Natalya Posukhova Weitere Infos /// www.bildungslandschaft-altstadt-nord.de

Bedeutung jedoch weiter wachsende, Formulierung: Im März erörterten alle Teilnehmer eines Fachkongresses unter dem Titel „Bessere Schulbauten für besseren Unterricht“ in Düsseldorf die „Phase 0“. Das ist die Zeit, bevor die konkrete Planung von Schulbauprojekten beginnen soll – und die auch im BAN-Projekt berücksichtigt wurde. Hier sei es besonders wichtig, dass sich Pädagogen, Architekten sowie die Verwaltung gemeinsam intensiv über Ansprüche, Wünsche und Möglichkeiten austauschen. Diese kooperative „Vorplanung“ könne entscheidend dabei helfen, bedarfsgerechter und zeitgemäßer zu bauen. Immerhin wurde darüber nun auch im größeren Rahmen gesprochen. Der Kongress war übrigens eine Kooperationsveranstaltung der Montag Stiftungen „Urbane Räume“ und „Jugend und Gesellschaft“, der Architektenkammer NRW sowie des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Schule und Weiterbildung. Bleibt nur noch die Frage, wie viele Beteiligte aus Köln vor Ort waren und wann die „Phase 0“ als abgeschlossen gelten kann.


Handmade // Natural // Fair

Shouwanga trifft auf Umiwi bei Lebensmitteln will jeder wissen, woher die Produkte kommen. Bei Modeaccessoires ist diese Sensibilität noch nicht so stark ausgeprägt. Vergleichsweise wenige Menschen stellen sich die Frage: woher kommt Tasche, Armreif oder Portemonnaie, das ich täglich bei mir habe und unter welchen Voraussetzungen wurde es eigentlich produziert? Pavel Polencia hat sich diese Frage gestellt. Seit 5 Jahren entwirft und produziert der gelernte Requisiteur aus Köln für sein Label „Shouwanga“ individuelle Accessoires aus recycelten Materialien. Angefangen hatte alles mit einem alten T-Shirt. Pavel wollte es nicht wegschmeißen. Er schnitt daher einfach das alte Motiv heraus und befestigte es an einem neuen Shirt. Nachdem ihn daraufhin eine Menge Leute positiv angesprochen hatten, machte er sich als nächstes daran, eine eigene Geldbörse zu nähen. Da er sich aber die nötigen Materialien nicht leisten konnte, nahm er einfach kostenlose Stoffe, die er damals in Australien auf der Straße oder in Recyclingshops fand. Heutzutage stellt Pavel nicht nur Portemonnaies her, sondern auch Gürtel, Armbänder, Laptop- und Handytaschen sowie Ringe oder Hundehalsbänder. Sämtliche Accessoires werden mindestens zu 70 Prozent aus recycelten Materialien produziert, wie Leder, Nylon oder Industriestoffe, welche er beispielsweise auf einem Sperrmüll aus alten Sofas herausgeschnitten oder aus Poolliegen oder Markisen entnommen hat. Nach dem Waschen

und Reinigen fügt er seine „Stoffe“ in enger Absprache und nach den Wünschen seiner Kunden durch fachgerechte Stiche mit einer alten Pfaff-Nähmaschine neu zusammen. Künftig möchte Pavel seine Palette maßgeschneiderter Gadgets zunächst auf drei Produkte beschränken: Portemonnaies, iPhone-Taschen und Tabakbeutel sollen dann im Onlineshop von den Interessenten in einer Art Baukastensystem selbst zusammengestellt werden können. Auf diese Weise spart er sich die Herstellung teurer Prototypen, wodurch auch der Preis für die Accessoires günstiger wird. Dabei setzt Pavel weiterhin höchste Ansprüche an Stabilität und Verarbeitung. Außerdem versucht er immer mehr an die „100 Prozent Recycling-Marke“ zu kommen, indem er alte Dosen, Schachteln oder Kartons künstlerisch besprüht und so für seine Verpackungen nutzt.

Nachwachsender Schmuck Auch Dorothea Schrimpe und Kathrin Ebel haben sich Gedanken über die Herkunft und die Produktionsbedingungen von Modeaccessoires gemacht. Während ihrer Aufenthalte für Hilfsprojekte in Asien und Lateinamerika kam ihnen die Idee, ein eigenes soziales und nachhaltiges


Handgemachtes

Unternehmen zu gründen. Im Juni 2011 wurde dann „Umiwi“ ins Leben gerufen. Ziel: Hilfsprojekte motivieren, unternehmerisch aktiv zu werden und sie als Handelspartner zu unterstützen. Ihr erstes Produkt war ein farbenfroher Mangoholzarmreif, koloriert mit Nahrungsmittelfarben, der durch seine natürliche Maserung und sein geringes Gewicht auffällt. Lokale Designer und Handwerker haben dieses Accessoire, welches in zwei Größen (Chaang = Elefant, Nuu = Maus) erhältlich ist, gemeinsam mit Einheimischen aus thailändischen Hilfsprojekten wie „School for Life“ entworfen. Für Doro und Kathrin ist es wichtig, dass ihre Produkte aus nachwachsenden Naturmaterialien entstehen und dass die unterschiedlichen Kulturen, die sie kennengelernt haben, ihr spezifisches Wissen und ihre Erfahrung in die Herstellung von Schmuck und Accessoires miteinbringen können. So wie die Familie Intatha aus San Kamphaeng im Norden Thailands, die sich auf Mangoholz-Schmuck spezialisiert hat und Armreifrohlinge für die Weiterverarbeitung drechselt. Neuestes Produkt der beiden sind Bomélos, handgefertigte Ohrringe und Anhänger aus Mexiko. Bei den Bomélos haben in erster Linie die Frauen der Mazahua mitgewirkt. Und zwar mit traditionellen Methoden, indem sie die Schafswolle mit natürlichen Materialien färben. Anschließend verwenden die jungen Mütter des Hilfsprojektes „Fundación Renacimiento“ die Wolle und fertigen aus recyceltem Silber

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die Ohrringe. Zwei Drittel der Gewinne werden übrigens in die Existenzgründung und Bildung in den jeweiligen Herstellungsländern reinvestiert, sodass die Menschen dort die Möglichkeit erhalten, sich selbstständig zu machen und ein angemessenes Bildungsangebot wahrnehmen können. Was hat das aber mit Köln zu tun? Bislang haben die Mädels ihr Konzept überwiegend dem Berliner Publikum vorgestellt. Doch die beiden gebürtigen Gummersbacherinnen wenden sich immer mehr ihrem Heimatgebiet zu. Neben Verkaufspartnern in Engelskirchen und Düren wird seit längerem eine Möglichkeit des Vertriebs in Köln gesucht. Diese scheint jetzt gefunden worden zu sein. Eine Freundin der beiden, Natasa Gasparovic, hat ab September diesen Part übernommen und versucht die „Umiwi“-Produkte an die Kölner Frau zu bringen.

Text /// Adam Polczyk Foto /// evi blink Weitere Infos /// www.shouwanga.com /// www.umiwi.de


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Musik

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Text /// Saskia Rauchmann Illustration /// Elisa metz

DJ Cem, Beatpackers, Dickes B! – Wer hier noch ahnungslos grübelt, sollte sich kurz fragen, wann er das letzte Mal Donnerstag Abend das Haus verlassen hat, um tanzen zu gehen. Denn DJ Cem gibt mit seiner Partyreihe „Beatpackers“ seit 2002 jeden Donnerstag im Subway den Ton an. HipHop bedeutet hier nicht 50 Cent, sondern De La Soul, Black Milk, Evidence oder Tim Plus. Für das bunt gemischte, tanzwillige Publikum beinhaltet Cems sein Case allerdings auch Schätze aus anderen Genres wie Soul, RnB, oder Dubstep. Und wem das nicht reicht, der kann seit 2010 jeden ersten Samstag im Monat im Club Bahnhof Ehrenfeld (CBE) den ein oder anderen Top-Act hautnah bei „Beatpackers - LIVE“ erleben. Hier standen unter anderem schon internationale Künstler wie Flo Mega, Aloe Blacc, Hocus Pocus, LoopTroopRockers oder TY and Band auf der Bühne. Doch nicht nur im Subway oder im CBE ist er an den Turntables. Als DJ der Kölner Funkrap-Band Dickes B! tourte er auch schon mit Größen wie Nosliw, Dendemann oder den Fantastischen Vier. Nun wagt er ein neues Projekt. „Ich war eigentlich auf der Suche nach `nem neuen Büro“, erzählt der 39-Jährige. Mit den knapp 400 m2 des auserwählten Ladens weiß er zunächst allerdings nichts anzufangen – bis er sich ernsthaft auf den Gedanken einlässt, einen Mietvertrag zu unterschreiben. Dabei kehrt ein alter Wunsch in ihm zurück: Er will sich für all die Unterstützung bedanken, die er auf seinem Weg nach oben erfahren hat, indem er selber unterstützen wird. Also plant er den neuen „Greatlive Store“ – ein kommerzielles Kulturzentrum für Erwachsene. Genauer gesagt: Ticketshop, Concept-Store und Veranstaltungsort. Natürlich

geprägt von Cems Leidenschaft für Musik. Denn sein Laden wird vom Leitmotiv „Festival“ geformt. Das erklärt die Bändchen für Veranstaltungen und die Drängelgitter, die hier als Kleiderständer umfunktioniert werden. Durch die Schaufenster kann man einen Blick auf die ständig wechselnden Aus stellungsobjekte werfen – wie bei einem Internetblog. Die Vielfalt, die Cem hier bietet lässt nur schwer einen festen Kern erkennen. Als Krönung können Freunde und Bekannte auch schon einmal selbstgekochtes Essen anbieten und so zum gemeinsamen Verzehr laden. Auf diese Weise nimmt sich Cem einem persönlichen Anliegen an: „Wichtig ist mir, dass immer etwas passiert. Der Laden soll leben!“ Und das können alle Interessierten auch sehen. Auf der Facebook Seite des Greatlive Stores wird ein ständiger Einblick in das aktuelle Treiben des Ladens gewährt.

Back to the roots Bei der Auswahl seiner Raritäten und Künstler sucht er primär nach Qualität und Leidenschaft. Deshalb werden mit Vorliebe Leute unterstützt, die im Schweiße ihres Angesichts etwas Eigenes produzieren und seit einem längeren Zeitraum zu 100 Prozent dahinterstehen. Kein „Made in China“, keine Massenware, keine Arbeitssklaven – „Back to the roots“ in einer grellen, blinkenden und schnell greifbaren Konsumwelt. Mit Making-off-Videos oder Steckbriefen über die Herkunft und Herstellung des Angebots gelingt es ihm nicht nur die Leute zu featuren, sondern auch die Ware zu personalisieren. Er nimmt ihr die nackte Produkthaftigkeit. Und falls doch noch Fragen auftreten gibt es gelegentlich ver-

Musik ist Konsum. Und Dennoch muss daraus Keine Massenware werden. Musikalische Wege durch die Vergangenheit, das jetzt und für die Zukunft – Cem und sein Kulturladen.

kaufsoffene Abende in Anwesenheit der Hersteller. Denn sein Motto „Ich will das Beste aus den Leuten rausholen“ treibt ihn an. Er macht Werbung und schließt faire Verträge ab. Diese werden mit einer „Break-even-Rechnung“ gehandhabt und jeweils auf die finanziellen Möglichkeiten des Händlers bzw. Künstlers abgestimmt. Für die Zukunft erhofft er sich allerdings ein kleines Plus, sodass er den Angestellten eine faire Festeinstellung ermöglichen kann. Dazu dient der Ticketshop, über den er Karten für den CBE, das Subway und einige Bands vertickt. Dass Cem den Blick für andere nicht verloren hat, ist jedoch nichts neues: Frei nach dem Motto „Es ist nicht immer alles Geld“ veranstaltete er ein großes Gambasessen mit musikalischer Begleitung. Den erlangten Gewinn spendete er anschließend der Welthungerhilfe. Warum er das tat, begründet der lustig-lockere Typ überraschend ernst: „Ich spüre eine tiefe Dankbarkeit für das, was mir geboten wird.“ Das Bewusstsein dafür erlangte er in Afrika. Dort traf er unter anderem auf einen Menschen, der nicht einmal die nächste Kreuzung kannte, weil er jeden Tag aufstand, verkaufte was seine Frau zuvor gesammelt hatte und dann wieder schlafen ging. Er hat Kinder zu versorgen und die Familie zu ernähren. Keine Zeit für Selbstverwirklichung. Bis heute hat Cem diese Begegnung nicht vergessen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum er nach so vielen Jahren Erfolg im Party- und Musikgeschäft natürlich bleibt und sich auch über das „Na Jung, wie läuft es?“ vom typisch kölschen Bäcker freut. Denn auch er trägt sein Herz auf der Zunge und findet seit jeher Gefallen an der Kölner Manier: „Ich liebe diese Stadt wirklich innig. Es gibt keine


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Stadt in Deutschland, in der ich mich wohler fühle. Ich mag diese kumpelhafte Art.“ Außerdem sei der kölsche Klüngel manchmal gar nicht so schlecht, denn er hat „mit jedem hier schon mal einen gesoffen.“ Auch so ist sein Netzwerk entstanden, das ihm vieles ermöglicht. Obwohl es weit über Köln hinaus reicht, gehört er nicht zu den Hauptstadtfanatikern: „In Berlin legt kein DJ gerne auf. Dort gibt es miserable Gagen. Außerdem kenne ich keine Stadt in Deutschland, wo es so viele Leute nicht nach oben geschafft haben. Aber trotzdem wird nur über jene gesprochen, die es geschafft haben.“ Ob der Greatlive Store es schaffen wird, ist noch ungewiss., aber Zweifel daran gibt es zurzeit keine. Und wir brauchen uns auch nicht um Cems Partys zu sorgen, denn er versichert: „Ich kann mit Gewissheit sagen, dass der Laden unserem wöchentlichen Workout im Subway nicht im Weg stehen wird.“

Weitere Infos /// Greatlive Luxemburger Str. 41–43 50672 Köln www.greatlive.de


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BANDS IN UND AUS KÖLN null22eins unterstützt frische Talente: Hier erhalten Musiker eine Plattform, sich zu präsentieren. die Talente unterstützen ihren Auftritt und helfen, diese Seite zu produzieren. Interesse? E-Mail an: redaktion@null22eins-magazin.de

Preisgekrönter Pop

OCeanview Die Brüder Benjamin und Sebastian „Batta“ Hinz sind eng mit der Musik verbunden, haben schon früh Klavier gespielt und im Chor gesungen. Seit 2009 sind die beiden als „oceanview“ unterwegs und überzeugen mit englischsprachiger Popmusik. Ihr größtes Highlight: Der Gewinn des Create Music OWL Jury-Awards im Dezember 2011. Das Duo zeichnet sich durch sein vielseitiges Talent aus. Denn Benjamin und Batta schreiben nicht nur ihre Songs selbst, sie haben auch ihr aktuelles Album „Seven Seasons“ eigenständig produziert.

weitere Infos /// www.oceanview-music.de

Erfrischende Songwriter

TOBEY TRUEBLOOD (AND THE OOOHS & AAAHS) Das zurzeit als 5-Mann-Band auftretende Projekt rund um Tobias Körner und Yann Harz, dessen zweites Album gerade aufgenommen wird und im Herbst erscheint, singt von den Träumen, aus denen du schweißgebadet aufwachst, von atemberaubenden Traumfrauen in Jeans und politischen Ungerechtigkeiten. Verpackt in ein Gewand aus Country-Folk-Punk-Pop à la Avett Brothers, Chuck Ragan oder Drag the River erfrischt es die Songwriter-Szene mit neuem Wind. Reinhören bereitet Freude. Garantiert!

weitere Infos /// www.facebook.com/tobeytrueblood www.myspace.com/tobeytrueblood


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Rock mit Bläsern

SMOKEY JOE

Irgendwas mit Journalismus? … dann aber richtig! Die Jungs von Smokey Joe sind ein sympathischer, bunt gemischter Haufen. Ihre unbekümmerte, ehrliche Art hat die siebenköpfige Gruppe, die ihren Stil heute selbst als „Rock mit Bläsern“ beschreibt, seit mittlerweile zwölf Jahren zusammengeschweißt. Aus einem Schulprojekt in ihrer niedersächsischen Heimat unter dem Thema „Ska“ ist ein gelungenes „KonsensHobby“ erwachsen. Ihre fünfte Platte mit dem passenden Titel „Ganz okay, aber nicht Iggy Pop!“ präsentiert die Band nicht mehr nur vor sechs Leuten. Daniel (Gesang und Gitarre), Andreas (Gitarre), Mathias (Schlagzeug), Alexander (Bass), Raphael und Henning (beide Trompete) sowie Konrad (Posaune) sind in diesem Jahr auch live wieder häufiger greifbar – auf diversen Festivalbühnen bundesweit. Und gerne auch wieder in Köln. Einmal im Underground durften sie schon spielen. null22eins ist aktiv dabei, ihnen eine weitere Bühne zu stellen.

Ob null22eins oder EYES ON, die Gesellschaft braucht einen Journalismus, der mit Qualität überzeugt. Eine Qualität, die unsere Studierenden schon im Studium mit Beiträgen in null22eins oder mit ihrem eigenen Magazin EYES ON unter Beweis stellen.

Im MHMK-Bachelorstudiengang Journalistik sind Ihre eigenen Ideen mindestens genauso wichtig wie theoretische Grundlagen. Informieren Sie sich unter www.mhmk.de/journalistik

KULTURJOURNALISMUS | SPORTJOURNALISMUS

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MHMK Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation


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AUS IDEEN ERWACHSEN

Das Theaterkollektiv ADOLESK bringt Realitäten in Form. Vom Schauspielen, Inszenieren, Coachen und Denken zweier Theatergründer.

Steven und Martin sind gut gelaunt. Sie erscheinen äußerst lebendig und man kann ihnen nach wenigen Augenblicken anmerken, dass sie Leidenschaft und Spaß haben an dem, was sie machen. Und das ganz unabhängig von dem Faktor, dass die Szenerie in der Eckkneipe „Bei Karin“ einem kölschen Schauspieler den Frohsinn nur so entlocken muss. Nein, Steven freut sich ganz ehrlich – darauf, dass er seine Ideen, die er zusammen mit Martin seit zwei Jahren in die Tat umsetzt, bei einem kühlen Ge-


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tränk präsentieren kann. So täuscht der urige Laden, in dem sich zwei Interviewer und zwei Schauspieler begegnen, nicht nur den so beliebten „Kölner offenen Dialog“ an, sondern unterstützt diese frische Kommunikation auch direkt durch die Wirtin – an diesem Abend Lisa. Mit dem Herzen auf der Zunge, direkt und unvermittelt, zaubert sie den Getränkebestellern ein leichtes Schmunzeln ins Gesicht, allein durch ihre kölsche Vorstellung: „Wenn ihr was braucht … und ich euch vielleicht nicht sehe, ich bin Lisa. Dann ruft ihr einfach so laut ihr könnt: Lisa! Aber ruft auch!“

Adoleske Party Und so beginnen auch Martin und Steven ganz direkt und erzählen von sich und ihren Projekten. Die beiden sind die Köpfe hinter dem Theaterkollektiv ADOLESK, das mit „FunHaus“ die „Bühne der Kulturen“ in Ehrenfeld ruppig mit einem schonungslosen Programm bespielt. Ganz unvermittelt präsentieren sie dem Publikum die männliche Stricherszene in Köln – einem so offensichtlichen und dennoch wenig beleuchteten Thema in der Domstadt. Während der Spielzeiten vom 25. August bis 14. September werden die Zuschauer mitgenommen auf den Weg von einer vermeintlichen „Party“ hin zu einer kritischen Milieu-Studie. Den harten Blick aus der Realität auf eine Bühne zu projizieren scheint den Initiatoren des Theaterkollektivs notwendig. „Während weibliche Prostitution regelrechte Folklore geworden ist, wird das männliche Pendant nicht thematisiert“, wirft Steven ein. Er meint damit, dass ein Laden namens Pascha beispielsweise mit einer eigenen Marketingkampagne die ganze Welt während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 begrüßen durfte und glücklich darüber berichtet wurde. Auch der Straßenstrich findet immer wieder Wege in die Presse und somit in den Fokus der Öffentlichkeit – sei es durch Ordnungswidrigkeiten oder Streitereien darüber, sei es durch die Auseinandersetzung mit den Schicksalen einiger Mädchen dahinter. Diese Schicksalssicht, die Auseinandersetzung mit den Motiven eines jungen Mannes – überwiegend bulgarischer oder rumänischer Herkunft – fehle einfach, meinen die beiden Schauspieler und Regisseure. Oft genug ist es schlicht und ergreifend der einzige Weg seine Familie in der Heimat zu ernähren,


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die junge Männer aus Südosteuropa in Städte wie Köln treibt. Und deren Art und Weise des Geldverdienens nie den eigenen Familienmitgliedern bekannt werden darf. Der offene Blick in die schwule Szene und aus dieser heraus, zeigt den dramatischen und schnellen Weg in dieses Milieu. Und dennoch umgibt die männliche Prostitution eine Art Tabu, obwohl in jedem Reiseführer für Schwule Kölns lebendige Szene betont wird. Auch gerade aus diesem Grund – provokant-ehrlich die realistische Szenerie darzustellen – arbeiteten Steven und Martin von Beginn des aktuellen Projekts an mit dem Looks e.V. zusammen. Dieser besteht aus vier Pädagogen, die sich als Streetworker um etwa 1.000 Jugendliche kümmern, die Anschaffen gehen müssen. Und dieser Club der 1.000 ist in Köln noch exklusiv, was heißt, dass sich der LooksVerein nicht einmal um jeden kümmern kann. „Bei den offenen Sprechstunden, denen ich beiwohnen durfte, habe ich einen tiefen Einblick in die Verhältnisse hinter dem Thema bekommen. Hinter manchen Schicksalen steckt echte Existenzangst, und oft auch einfach die Suche nach einer sicheren Übernachtung“, sagt Steven.

Realismus in Form Als „Realismus in Form“ bezeichnen die beiden nicht nur ihr Stück „FunHaus“, sondern auch ihre weiteren Ideen. Sie suchen sich das, was ihrer Meinung nach fehlt. Sie springen daher auch nicht mehr auf die Dauerbrenner der Off-Theaterszene auf – Integration und Rassismus – obwohl das den Weg zu Fördermitteln einfacher machen würde. „Wir schauen schon danach, womit der Markt übersättigt ist und finden in unserem Ideenpool genügend Themen, die noch einzigartig sind“, sagt Martin. Und Steven ergänzt: „Wir haben unsere Firma als ‚Spielplatz‘ gegründet, für das, was wir wollen.“ An der ArturoSchauspielschule hatten sich die beiden kennengelernt und ihre Gedanken vom Theatermachen geteilt. Mit dem noch alleine inszenierten Stück „Ich wollte sehen wie ein Mensch... – eine Mutmaßung zum Foltertod in der JVA Siegburg“ im Jahr 2010 begann Stevens Weg als Regisseur in die Theaterwelten Kölns. Damals aus gegebenem Anlass nach den Geschehnissen in der JVA Siegburg, suchte er direkte Verbindungen von Realität und Theater. Der

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ursprüngliche Plan, in einem Theater zu spielen, scheiterte am fehlenden Mut der Häuser. Der große Kachelsaal im Autonomen Zentrum Kalk brachte schließlich die Lösung. „Alles wurde von den Organisatoren vor Ort unterstützt. Das war das Sprungbrett für das Projekt“, blickt Steven zurück. „Auch bei ‚FunHaus‘ waren wir lange auf der Suche nach Support und fanden schließlich erst in der Intendantin der ‚Bühne der Kulturen‘ eine mutige helfende Hand“, so Martin. Sie profitieren davon, dass Shirin Boljahn als Intendantin und künstlerische Leiterin des Theaterhauses in Ehrenfeld gemeinsam mit ADOLESK neue Wege des Theaters beschreiten möchte. Dabei sind sowohl die Konzepte des Theaterkollektivs nach dem Motto „Alles und nichts ist Bühne“, als auch die Entstehung ihrer Produktionen außergewöhnlich. In einem für wirklich jeden offenen Casting – vom Profi bis zum Laien – blicken Steven und Martin vor allem darauf, wie gut sich die Schauspieler durch Improvisation intuitiv in ihrer Rolle wiederfinden. Nur so kann der authentische Stil gelingen. Die so zusammengestellte Gruppe wächst nicht nur durch die Proben nach den Ideen der beiden Regisseure in das Theaterkollektiv hinein: Jeder kann sich aktiv miteinbringen – auf allen Ebenen. „Wir haben ein dreiviertel Jahr recherchiert. Jedes der aktuell 15 Mitglieder hat sich eingebracht und ist Hinweisen auf Literatur und Videos intensiv nachgegangen. Dadurch entsteht ein ganz anderer Austausch“, hält Steven dazu fest. Und so wird auch der Zuschauer diese familiäre Beziehung des Ensembles sofort wahrnehmen und Unterschiede vom Laien oder Profi gar nicht spüren. Die Szenerie „Bei Karin“ ist ruhiger geworden. Die ersten Tische sind wieder leer, sodass Lisa ermuntert ist, regelmäßiger vorbeischaut bei zwei Interviewern, die zwei Schauspielern begegnen, die auch Regisseure sind – oder anders herum. Ein offenes Gespräch voller Ehrlichkeit und Tiefgang in den Gedanken klingt langsam aus und stellt zum Abschluss noch eine typisch kölsche Sache heraus. Steven und Martin blicken auf den Kölschen Klüngel. Und sie stellen fest, dass der Weg dort hinein ein eigentlich äußerst schwieriger ist. „Man hört immer wieder ‚Ich ruf dich an‘ oder ,Lass uns mal ein gemeinsames Projekt starten‘. Doch dann passiert nichts“, erzählt Steven. „Gerade daher sehen wir uns aber auch noch gut in unserer momentanen Struktur aufgehoben. Ganz ohne einen Klüngel – mit viel eigenem Herz und guter Stimmung“, fügt Martin hinzu. Das Licht „Bei Karin“ – einer kleinen echten kölschen Eckkneipe in der Jahnstrasse an der Grenze zum Kwartier Latäng geht zwar noch nicht aus. Aber die Frage danach, warum die Begegnung hier stattfindet, hat sich in diesem Moment erübrigt.

Text /// Robert filgner Fotos /// Alessandro de matteis weitere Infos /// adolesk.de


SONDERBUND AUSSTELLUNG 1912 K端nstler sind seit jeher Besonders. Ihre Wege zum Ruhm sind seit jeher speziell. Ein B端ndnis vor 100 Jahren sammelte nicht nur herausragende K端nstler, sondern ging auch eigene, neue Wege. Eine kleine Revolution im Jahr 1912.


Museum

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Text: Robert Filgner /// Katarina Fritzsche Fotos /// museen Köln (Rheinisches Bildarchiv, Köln) Weitere Infos /// www.wallraf.museum

Wir schreiben das Jahr 1912. Alfred Flechtheim blickt auf die Ausstellungshalle am Aachener Tor, wo heute der Aachener Weiher vor sich hin schlummert. Er hat die vierte Ausstellung des Sonderbunds Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler mitorganisiert und kann gespannt sein auf die Wirkung dieser Leistungsschau für die kommenden Jahrzehnte. Seit 1906 beeinflusst Flechtheims Überzeugung den Kunstmarkt in Deutschland. In den 1920er Jahren werden seine Galerien in Düsseldorf und Berlin zur Drehscheibe für die Kunst der Moderne. Während der NS-Zeit fielen sein Engagement und seine Sammlung, wie bei so vielen seiner Sinnesgenossen, den Regimeansichten zur „entarteten Kunst“ zum Opfer. In Düsseldorf hatte der Kunsthändler und Galerist zuvor Werke französischer Impressionisten gesammelt und war fasziniert von den Arbeiten der Avantgarde – ein Freund der zeitgenössischen modernen Kunstströmungen. Dazu gehören damals Künstler wie Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Paul Cézanne, Edvard Munch, Pablo Picasso, Mitglieder der Vereinigungen „Blauer Reiter“ wie Franz Marc und der „Brücke“ wie Ernst Ludwig Kirchner. Der Künstlerkreis des Sonderbunds hat seinen Bezug aber auch im Lokalen und eröffnet jungen Talenten wie August Macke als selbstbezeichneten rheinischen Expressionisten eigene Wege in die Öffentlichkeit.

Ein Künstlerverein mit Weitblick Der Sonderbund Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler hatte sich 1909 in Düsseldorf gegründet, nachdem ein Jahr zuvor die erste namensgebende SonderAusstellung in der ortseigenen Kunsthalle präsentiert wurde. Ziel dieser ersten Ausstellung war es, dem konservativen Kaiserreich moderne Kunst näherzubringen, mit Konventionen zu brechen und das althergebrachte Verständnis von Kunst zu hinterfragen. Angelegt als jährliche Veranstaltung, geriet die Initiative bereits im dritten Jahr ins Kreuzfeuer der Kritik. Im Kontext des Bremer Künstlerstreits wurde die internationale Aufstellung der Ausstellung bemängelt. Der regionale Fokus würde zusehends aus dem Blick geraten und die Stadt Düsseldorf weigerte sich, dem Sonderbund im vierten Jahr eine Plattform zu bieten.

Und so kam es, dass Flechtheim in der nächstliegenden Kunststadt das Großprojekt „Moderne“ durchführte – tatkräftig unterstützt vom damaligen Direktor des Wallraf Richartz Museums, Alfred Hegelstange, und schließlich die Plattform in Köln fand.

Revolutionäre Aktion 557 Gemälde und 57 Skulpturen von 173 Künstlern zierten das eigens errichtete Ausstellungsgebäude, welches später in den Kölner Messehallen verbaut wurde. Zu sehen waren unter anderem Bilder von Barlach, Braque, Cézanne, Derain, Gauguin, van Gogh, Heckel, Kirchner, Lehmbruck, Macke, Matisse, Munch, Nolde, Picasso und de Vlaminck. Diese vierte Sonderbund-Ausstellung gab den Anstoß für die sogenannte Armory Show 1913, welche wiederum die Moderne in die USA als künftig bedeutendem Kunstmarkt brachte. Aus der Sonderbundausstellung in Köln gingen Impulse für das Kunstverständnis der Moderne in die gesamte Welt. Diese erste große Plattform für Malereien und Formen, die mit dem natürlichen Ebenbild brachen, die Abstraktion und Farbe in den Fokus rückten, war dem besonderen Ehrgeiz der „Sonderbündler“ zu verdanken und dem einzelnen Engagement weitsichtiger Menschen, wie unter anderem Alfred Flechtheim. In der Kunstwelt gilt daher die Sonderbund-Initiative als bedeutendster Fortschritt für einen Epochenwechsel in der Kunst, der erst mit der ersten documenta 1955 einen für vergleichbares Aufsehen sorgenden Nachfolger fand. 100 Jahre später finden die Werke ihren Weg zurück nach Köln, zusammengeführt von Bärbel Schäfer, die eine Ausstellung im Wallraf Richartz Museum kuratiert hat. In der Zwischenzeit wurden sie in Museen auf der ganzen Welt ausgestellt und als Klassiker der Moderne gewürdigt. Und auch heute bedurfte es eines enormen Ehrgeizes, die Ausstellung „1912 – Mission Moderne“ zu realisieren. Lediglich 120 Werke von damals sind heute eindeutig zuzuordnen beziehungsweise greifbar gewesen. Zahlreiche Gemälde und Skulpturen fielen den Kriegen zum Opfer oder konnten nicht ausfindig gemacht werden. Und auch im Jahr 2012 bleibt die provozierende Frage im Raum

„In unserer Epoche des großen Kampfes um die neue Kunst streiten wir als ‚Wilde‘, nicht Organisierte gegen eine alte, organisierte Macht. Der Kampf scheint ungleich; aber in geistigen Dingen siegt nie die Zahl, sondern die Stärke der Ideen. Die gefürchteten Waffen der ‚Wilden‘ sind ihre neuen Gedanken; sie töten besser als Stahl und brechen, was für unzerbrechlich galt.“ Franz Marc, 1911: Die „Wilden“ in Deutschland. In: Der Blaue Reiter. Hg. von Wassily Kandinsky und Franz Marc. Dokumentarische Neuausgabe von Klaus Lankheit. München, Zürich 1948, S. 28-32.

stehen, ob die Ausstellung für ein breites Publikum oder als reiner Ausdruck eigener Vorstellungen konzipiert ist. Der Ansatz ist heute wie damals der gleiche – das Verständnis dafür und der Umgang damit sind heute sicherlich anders. Denn 1912 hatten nur vergleichsweise wenige Kölner wirklich etwas mitbekommen und sich ein eigenes Bild gemacht von der „revolutionären“ Aktion.


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Das

Sehen lernen

„Immer die Region stärken, in der man gerade ist“, findet Mela Chu. Und genau das tut diese Frau. ihr concept store und ausstellungsraum ist eine feste GröSSe im Kölner Kulturleben – nach gerade mal einem knappen Jahr.

Ständig sieht man etwas Neues, wenn man im Vorbeigehen eigentlich nur einen schnellen Blick durch das Schaufenster der Chu Gallery werfen will und dann doch stehen bleibt. Komplett mit anatomischen Zeichnungen übersäte Wände, eigenwillige Designkonstruktionen, in denen man entfernt noch das spießige Standardgartenmöbel erkennt und, natürlich, rührend altmodisches Porzellan mit beinahe steril anmutenden, neu blitzenden schwarzen Grafiken darauf. Die


Design

Terrinen, Kännchen und Vasen gestaltet die Designerin selbst. Anfangs war es über Jahre hinweg mal mehr, mal weniger mühsam gesammeltes Porzellan, auf dem Mela Chu ihre grafische Duftnote hinterließ. Es ging ihr darum, diese alten Stücke ihrem gewohnten Kontext zu entnehmen. „Das Alte nehmen und es mit etwas Neuem verbinden – so breche ich Erwartungshaltungen. Und das mag ich ganz gerne“, sagt sie. Das Sehverhalten soll gestört werden, jedoch

nicht, um die Tradition mit Füßen zu treten, sondern um sie zu ehren. Das ist der Gestalterin wichtig. Deswegen erscheint es nur logisch, dass ihre Porzellanunikate irgendwann nicht mehr nur aus 50er-Jahre-Stücken bestehen sollten. Noch älter, noch traditioneller sollte das Porzellan für künftige darauf zu platzierende Häschen, Diamanten und Schmetterlinge sein. Chu machte sich auf eine nicht gerade unbeschwerliche Reise in Richtung Weimar, wo die Inhaber einer alten Porzellanma-

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mir diese Welt nahe gebracht.“ Anscheinend ist es kein Zufall, dass Chus Umgang mit ihren Lieblingsmaterialien vor allem ein visueller ist. „Meine Eltern haben mir das Sehen beigebracht. Ich bin auf jeden Fall ein Augenmensch.“ Genauso, wie für ihr Porzellan weniger das Haptische als die optische Wirkung im Vordergrund steht, sieht sie auch auf die Kunst, die sie in ihrer Galerie ausstellt, besonders hin. „Ich habe einen Qualitätsanspruch mit dem, was ich zeige. Und es ist meine Aufgabe, das Besondere in den Künstlern zu sehen und sie auch ein bisschen auf den richtigen Weg zu bringen“, schildert sie. Deswegen beobachtet sie nicht nur, sondern führt auch viele Gespräche. Die gemeinsame Auseinandersetzung mit und über Kunst hat schon früh eine entscheidende Rolle gespielt und tun es noch heute. „Dieser familiäre Aspekt ist mir schon immer wichtig gewesen.“ Kaum zu übersehen ist er bei den zahlreichen Veranstaltungen, die in der Chu Gallery stattfinden. Ob es ein großer Topf voll selbstgemachter Suppe ist, der bei der Präsentation der Porzellanunikate direkt für den ersten Gebrauch sorgt oder die ungezwungene Atmosphäre bei einer Vernissage – eine gewisse Ernsthaftigkeit ist mit der Qualität der Arbeiten da, steht jedoch dem lockeren Umgang nicht im Weg. „Es ist natürlich sehr spielerisch, was ich tue. Das ist aber

nufaktur sie erwarteten. Nun werden die Unikate extra für sie gebrannt – in teilweise Jahrhunderte alten Formen. Die Tradition zu ehren beginnt bereits mit der Produktion. Die mehreren Brandverfahren, die es benötigt, bis das Porzellan fertiggestellt ist, sind unglaublich aufwendig und werden daher kaum noch so ausgeübt. Die Designerin weiß das zu schätzen: „Dieses Besondere an guter Qualität in Form von Sorgfalt und Wissen – das hat mit Tradition zu tun. Diese Leute wissen, wie gutes Porzellan entsteht. Das kann man nicht mit einer Presskeramik aus China vergleichen.“ Auch wenn sie in speziell diesem Punkt dem Produktionsstandort China nicht viel Gutes abgewinnen kann, hat Mela Chu vielseitige Verknüpfungen zu dem Heimatland ihres Vaters, die sich in ihrer großen Liebe Design zeigen. „Es gibt drei Arten von Materialien, die ich sehr mag: Papier, Porzellan und Seide. Lustigerweise sind das drei sehr chinesische Materialien“, sagt sie. Mela Chu stammt aus einer Künstlerfamilie. Ihr Vater war Schriftsteller und ihre Mutter zeichnete und malte viel. „Sie hat

„Ich habe zwei Seelen in meiner Brust: die Designerin und die Ausstellungsmacherin.“


Design

auch schwierig, weil man damit erst mal allein ist“, meint sie. „Es kommen ganz viele Kollegen und schauen sich an, was ich hier mache. Und die denken sich vielleicht: ‚Oh Gott, was macht die denn da?‘ Und irgendwann später: ‚Oh Gott, die ist ja immer noch dabei!‘“Als Designerin und Ausstellungsmacherin zugleich ist Mela Chu schwer in einer Schublade zu verorten. Sie bezeichnet sich selbst als grenzenlosen Menschen „und diese Grenzenlosigkeit verwirrt die Leute“. Das mag sein, doch das Konzept Chu zeigt auch, dass Verwirrung nicht immer schlecht sein muss. Ob das nun den vollgepackten Zeitplan der Galerie betrifft, der dafür sorgt, dass ständig eine neue Ausstellung zu bewundern ist, oder ob es ein dominantes schwarzes Quadrat auf einer mit uralten Blümchenmustern und Schnörkeln versehenen Porzellanplatte ist: Grenzen auflösen, Neues sehen, sich daran erfreuen.

Text /// Şehnaz Müldür Fotos /// Alessandro De Matteis Weitere Infos /// www.chu-gallery.de

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Text /// Saskia Rauchmann Foto /// mEyer Originals (promo) Weitere Infos /// www.barnescrossing.de

Dynamische Begegnungen spiegeln auch den Charakter des gleichnamigen Netzwerks für Tanz in Köln Sürth wieder – einem Zusammenschluss von Künstlern der freien Szene, die seit 2006 ihre Residenz in der Wachsfabrik haben. In der alten, romantisch-grün bewachsenen Industriehalle leiten die sieben Mitglieder zwei Studios. Diese werden mit dem Motto „Freiraum für TanzPerformanceKunst“ als Produktions- und Aufführungsort genutzt. Das aktuelle Team bilden Barbara Fuchs, Ilona Pászthy, Sonia Franken, Gerda König, Kristóf Szabó und Jennifer Hoernemann und Walbrodt. Aus diesem Künstlercocktail ist ein breites Jahresangebot entstanden. Regelmäßige Programmpunkte heißen CrissCross, SoloDuo oder TanzPerformanceSchule. Und seit 2011 gibt es auch ein Festival für den Nachwuchs- das MAD („movement and art development“). Dort bekommen Tänzer Raum zur Verfügung, um unter dem Leitmotiv „Ich und meine Kunst“ selbstständig eine Choreografie zu erarbeiten. Allerdings heißt Nachwuchs hier nicht unerfahren, denn die hauptsächlich in der Kölner Region lebenden Künstler sind routinierte Tänzer jeden Alters. Das Ziel ist schließlich, in der Wachsfabrik eine erste Kurzproduktion von 10 bis 15 Minuten zu entwickeln bzw. weiterzuentwickeln. Unter den Bewerbern werden bis zu 5 Solokünstler, Duos oder Gruppen aus dem Bereich Neuer Tanz ausgewählt. Diese erhalten nach dem Festival wertvolles Bewerbungsmaterial und eine kleine Gage. Außerdem werden sie durchgehend von den zwei Gründerinnen Barbara Fuchs und Sonia Franken betreut: und in Technik und Dramaturgie gefördert. Und auch die Teilnehmer untereinander unterstützen sich. Dazu dient vor allem das interne Showing am fünften Tag des MAD-Festivals. Diese intime Vorstellung des bis dahin erarbeiteten Bühnenmaterials ermöglicht den Teilnehmern sowohl

eine erste Präsentation vor Publikum wie auch einen Einblick in die Arbeit der anderen. Hier fallen Ungereimtheiten mit dem Bühnenbild oder im Zeitablauf sofort auf und können noch vor der Generalprobe behoben werden. Die gemeinsame Nachbesprechung führt zu neuen Anregungen und Verbesserungsvorschlägen, weshalb konstruktive Kritik hoch geschätzt wird.

Vor Ort: der Entstehungsprozess Ich fahre am Mittwochabend in den Kölner Süden, um mir ein besseres Bild über den Entstehungsprozess der Choreografien zu machen, und gehe den verwinkelten Kiesweg der Wachsfabrik, vorbei an den Ateliers zu den Studios. Als ich ankomme, sitzen alle zusammen an einem Tisch und essen Erdbeerkuchen. Es herrscht eine harmonische Stimmung. Kurz wird noch besprochen, wer wem die Musik einspielt und schon geht es los. Relativ zügig hintereinander werden die Rohdiamanten präsentiert. Es fühlt sich ein bisschen an wie damals in der Schule, wenn jemand ein Referat gehalten hat – nur, dass hier niemand aus Langeweile auf das Handydisplay starrt. Die Tänzer und Begleiter machen sich konzentriert Notizen für die Nachbesprechung. Diese findet dann gemütlich in Ringo‘s Café neben den Studios statt. Mit Bier, Brezeln oder Tee ausgerüstet ergreifen Sonia und Barbara das Wort. Für mich wird erst jetzt klar, wie sehr sich die Stücke noch im Entstehungsprozess befinden und dass es auf Nuancen ankommt: Die kleinste Bewegung wird besprochen und verbessert, bis sie stimmig zu sein scheint. Dabei leiten eine Menge Fragen die Diskussionsrunde: Was ist das Thema und wie wird damit umgegangen? Werden die Requisiten entsprechend ihrer Funktion genutzt? Wie der Raum? Welche Kontraste werden gebildet? Und und und … Das bringt den Künstlern neue Anregungen. Nach diesem langen Abend bin ich erschlagen von Eindrücken, aber gespannt auf die Premiere.

Lampenfiebder Am Samstagabend ist es soweit. Trotz der Kölner Lichter sind viele Zuschauer erschienen und alle Plätze sind besetzt. Das Licht geht aus und die Show beginnt. Es werden Stücke zwischen 12 und 20 Minuten gezeigt. Sie sind sehr unterschiedlich

in Inhalt und Umsetzung. Den Auftakt macht die Hamburgerin Teresa Lucia Rosenkrantz mit der Bearbeitung ihrer Abschlussarbeit des Masterstudiengangs „Performance Studies“. Dann folgt Ursula Nills neue Produktion, die sie zusammen mit Marcus Bomski aufführt. Beide sind Absolventen der ZZT Köln. Auch aus Köln kommt das Duo MP2 bestehend aus Oliver Möller (Schauspieler/Tänzer/Clown) und Max Pothmann (Schauspieler und Tänzer), die mit Livemusik von Daniel Wouters (E-Gitarre) unterstützt werden. Sie bilden die letzte Nummer vor der Pause, in der das Publikum wegen Umbauarbeiten den Raum verlassen muss, etwas trinken oder Kontakt mit Maren Zimmermann aufnehmen kann. Die angehende Tanzwissenschaftlerin ist für eine wissenschaftliche Dokumentation vor Ort. Sie versucht Entwicklungsprozesse und Arbeitsweisen zu erkennen und zu beschreiben. Dafür hat sie Zugang zu allen Proben und begleitet diese mit Fragen wie „Was ist en vogue unter Choreografen? Welche Methoden werden sich in Zukunft durchsetzen?“ Weil sie den Weg der Produktionen in Worte fasst, kann sie dem Publikum einen Einblick hinter die Kulissen geben. Wer in der Pause keinen Kopf dafür hat, kann auf die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse ab September warten. Im zweiten Teil der Premiere betritt Friederike Plafki (Tänzerin, Choreografin und Physiotherapeutin) die Bühne. Bei ihrer Choreografie beteiligen sich Sebastian König (freier Regisseur und Performer) und Wolfgang Burat (Spex-Fotograf und -Herausgeber). Als Abschluss wird die neue Produktion von Sylvana Sedding gezeigt, die 2008 ihren Bachelor in Bühnentanz an der Arnheim School of Dance machte und seitdem in Produktionen im In- und Ausland zu sehen war. Sie tanzt auf Musik von Anton Berman. Danach sammeln sich Publikum und Künstler zufrieden an der Theke und bekommen Freisekt oder Orangensaft. Nur Sylvana putzt noch den Bühnenboden. Sie hatte während ihrer Performance weiträumig gekochte Spaghetti verteilt. Aber auch sie kommt später dazu. Denn jetzt können die Tänzer wichtige Kontakte knüpfen. Das ist besonders in der freien Szene ein wichtiges Standbein für eine erfolgreiche Karriere. Und die wünsche ich den sieben Teilnehmern aus diesem Jahr, denn ich möchte definitiv mehr von ihnen sehen.


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Spaghetti für den nachwuchs

Barnes Crossing – eine Ampelschaltung, die allen FuSSgängern gleichzeitig Grün zeigt. So können sie sich frei aufeinander zu bewegen und entfernen …

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CAT COLOGNE Drei Köpfe, Ein Ziel: Das Image Kölns fest mit Kunst und Künstlern verbinden. Ein Verein, ein Problem: Die Stadt erkennt soviel gesunde Eigeninitiative mal wieder niCht.


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Text /// Stawrula Panagiotaki /// Fotos /// Alessandro DE MATTEIS weitere Infos /// www.catcologne.org

Vor drei Jahren haben sich die drei Hauptkatzen und ihre zahlreichen Helfer zusammengetan und das Community Art Team CAT Cologne gegründet. Seitdem ermöglicht der Kunstverein jedes Jahr Künstlern während ihres einmonatigen Aufenthaltes in der Stadt, ein Projekt zu entwickeln, das Bezug auf Köln und seine Bewohner nimmt und sich bewusst mit ihnen auseinandersetzt. Wie aus einer Idee Praxis wurde, wie sie die Künstler finden und wie verschiedene Gruppen miteinander arbeiten, erfahren wir im folgenden Gespräch mit den drei Gründungsmitgliedern Julia Schneider, Matthias Mayr und Pia Spangenberger. CAT Cologne gibt es seit nunmehr drei Jahren. Wie seid ihr darauf gekommen einen Kunstverein zu gründen? Matthias: Vor einigen Jahren haben wir festgestellt, dass uns da was fehlt im aktuellen Kunstbetrieb, der sich zu der Zeit immer hochtouriger gedreht hat und uns immer mehr auf sich selbst bezogen vorkam. Eines Abends hat Julia mir dann von ihrer Idee erzählt, selber was auf die Beine zu stellen. Da hatte sie bereits eine ganze Vision im Kopf und mich und andere damit angesteckt. Und so ging das los … Julia: Am Anfang stand eigentlich weniger die Vorstellung eines Kunstvereins. Wir hatten vielmehr den Wunsch irgendwie die Lücke zwischen Kunstbetrieb und Alltag zu füllen. An die Stelle von Unverständnis und Unlust gegenüber zeitgenössischer Kunst wollten wir Transparenz und Einbeziehung setzen. Wie kann man sich ein Projekt von CAT Cologne Schritt für Schritt vorstellen. Wie kommt ihr auf die Künstler? Julia: Grundsätzlich gibt es bei uns immer die Möglichkeit, sich mit einem Projekt zu bewerben, das unseren Gedanken von Community Art aufgreift. Bei den letzten

Bilder vom Sommer-Projekt „Zwischen Plattenbau und Jägerzaun“ in Porz (das Interview wurde bereits im Vorfeld dazu geführt).

Projekten haben wir über einen längeren Zeitraum mit den Künstlern gesprochen und gemeinsam an dem Konzept gefeilt. Unser Part ist natürlich auch, im Vorfeld mit der Zielgruppe in Köln zu sprechen, Veranstaltungsorte zu organisieren, Material zu recherchieren, sozusagen den Künstlern unsere Kontakte in und unser Wissen über Köln zur Verfügung zu stellen. Pia: Genau. Jeder von uns bringt Ideen mit ein. Wir überlegen uns manchmal ein Thema, manchmal schauen wir einfach, welche Künstler interessiert sind und was davon am Besten zu CAT und Köln passt. Matthias: Unsere Projekte laufen in der Regel einen Monat, dazu kommen am Ende eine Ausstellung und ein Katalog. Doch die Arbeit geht viel früher los und nicht erst dann, wenn der Künstler kommt. Mit Projektplanung und der ganzen Vor- und Nachbereitung ist man fast ein ganzes Jahr mit so einem Projekt beschäftigt. Wie ist es die vergangenen zwei Sommer gelaufen? Mit welchen Künstlern habt ihr zusammengearbeitet? Julia: Im Sommer 2010 haben wir einen ausgebauten LKW besorgt und eine Genehmigung diesen an verschiedenen Orten in Köln abzustellen. Das Künstlerkollektiv Parfyme (Kopenhagen/New York) hat ihn

dann als „offenes Atelier“ genutzt und Passanten nach „ihrem Köln“ befragt. Herausgekommen ist eine Art „time line“ – eine Rekonstruktion der Stadtgeschichte aufgrund ganz persönlicher Geschichten. Also nicht die „offizielle“ Version, die man in Geschichtsbüchern findet. Als CAT waren wir bei diesem Projekt vor allem als LKW Fahrer, Vermittler mit den Ordnungshütern und Dolmetscher unterwegs. Letztes Jahr haben wir den kanadischen Künstler John Monteith eingeladen. Er hat sich zusammen mit sechs Künstlern, Musikern, Journalisten und Theaterleuten aus Köln zweimal pro Woche zu einem Essen getroffen und dabei wurde intensiv über Themen wie Städte, Architektur, Orte und speziell auch über das Leben in Köln diskutiert. Am Ende stand eine Ausstellung mit Beiträgen aller Beteiligten und einer Dinner-Performance. CAT hat hier vor allem den Kontakt zwischen John und den Künstlern aus Köln hergestellt, eingekauft und gespült und auch versucht zu vermitteln, wenn die Diskussionen der recht heterogenen Gruppe zu hitzig wurden. Matthias: Toll war auch die Kollaboration mit der Künstlerinitiative Noordkaap aus den Niederlanden jetzt im Februar. Nordkaap ziehen zurzeit mit einem großen gelben Schiffscontainer durch Europa mit einer wachsenden Ausstellung über populistische Tendenzen . Auf welche Schwierigkeiten seid ihr bis jetzt gestoßen? Julia: Wir müssen natürlich jedes Jahr für die Finanzierung der Projekte sorgen, das ist ein großes Thema. Ansonsten birgt jedes Projekt seine eigenen Herausforderungen. Pia: Und es sind eher diese kleinen Herausforderungen, die wir gemeinsam meistern, die das Ganze aber auch spannend machen. Aber klar: dazu zählen mit Sicherheit die finanziellen Engpässe, der Zeitdruck oder einfache Missverständnisse, Materialbeschaffung oder Ähnliches.


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Ihr habt es ja gerade erwähnt: Diesen Sommer macht ihr ein Projekt mit Kindern und Jugendlichen in Köln-Porz. Das ist das erste Mal, dass ihr mit jungen Menschen zusammenarbeitet. Wie kam es dazu? Julia: Wir wollten eigentlich von Anfang an besonders auch Kinder und junge Erwachsene erreichen, um ihnen zu zeigen, dass Kunst eine Ausdruckform ist, die man für sich nutzbar machen kann und dass ein Künstler kein verrückter Außenseiter der Gesellschaft ist, sondern ein Profi dieser Form der Darstellung von dem man viel lernen kann. Als Partner für unser diesjähriges Projekt konnten wir das Gemeinschaftszentrum „Glashütte“ in Köln-Porz gewinnen. Unter dem Motto „Zwischen Plattenbau und Jägerzaun” werden in den ersten drei Wochen der Sommerferien in der Glashütte diverse Kunstworkshops durchgeführt. Die Angebote zielen darauf ab, die jugendlichen Teilnehmer ihren eigenen kreativen Ausdruck erproben zu lassen und sie gleichzeitig zu einem nachhaltigen und veranwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen und dem eigenen Lebensumfeld anzuregen. Welche Rolle spielt der Aspekt des „Netzwerkens“ bei eurer Arbeit? Julia: Es war toll, im Laufe der Zeit zu merken wie viele andere sich auf ähnliche Weise mit Themen beschäftigen oder praktizieren, was wir mit Community Art meinen. Die Künstlerinitiative „ComeTogether Projekt” mit der wir gerade arbeiten fanden wir schon immer gut. ComeTogether zieht durch ihre Aktionen Menschen an und lässt sie Teil der Aktionen werden. Pia: Natürlich bringt jedes CAT-Mitglied die Erfahrungen mit ein, die er hat. Da ist es von Vorteil, wenn man durch bestehende Kontakte Türen öffnen kann und schneller eine größere Zielgruppe erreicht.

Matthias: Das ist echt erstaunlich, wie schnellwir gemerkt haben, dass wir mit unseren Ideen nicht alleine sind und es in vielen Städten und Ländern ähnliche Projekte und Initiativen gibt. Davon erfahren wir natürlich oft über die eingeladenen Künstler. So hört man voneinander und so können sich dann schnell ganz neue Projekte entwickeln.

Matthias: Bislang haben wir allerdings noch keinen Cent Förderung vom Kulturamt der Stadt Köln erhalten – trotz drei Jahren Projektarbeit in und für Köln, das ist wirklich enttäuschend. Wenn ich dann deren Logo auf jedem dritten Party-Flyer sehe, dann wundere ich mich manchmal doch sehr.

Erhält der Verein Fördergelder? Wie finanziert ihr euch?

Das alles klingt nach viel Arbeit. Ich weiß von euch aber, dass ihr alle drei parallel Vollzeitjobs habt. Wie ist das mit der Arbeit zu vereinbaren?

Pia: Bisher haben wir Geld über private Spenden und auch Fördergelder eingenommen. Unser diesjähriges Projekt etwa wird unterstützt durch die Stiftung für Umwelt und Entwicklung NordrheinWestfalen. Wir planen unsere Projekte aber erstmal ohne Finanzierung im Hintergrund zu haben.

Julia: Tatsächlich stellt das Zeitproblem manchmal eine besondere Herausforderung an eine gute Organisation dar. Wir haben uns daher bisher entschlossen, nur ein großes Projekt pro Jahr zu planen. Das gibt uns genügend Zeit. Matthias: CAT ist manchmal schon richtig anstrengend. Jedes Projekt ist aber selbst


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In diesem Jahr mit Blick auf den Nachwuchs: Das CAT-Projekt 2012 führte Kunstworkshops für Kinder durch. Das sympathische an den drei Gründern des Vereins: Sie packen überall mit an und beleben Kölns Künstlerszene allein durch ihre Eigeninitiative – und sie können sogar Kindern Freude machen.

auch ein wahnsinniger Energieriegel, der uns und andere unter Strom setzt – ,powered by community‘. Pia: Es ist toll zu beobachten, wie aus simplen Ideen Wirklichkeit wird. Bei CAT zählt das Engagement, jeder kann selbstbestimmt agieren, ohne, dass die Welt untergeht, wenn etwas mal nicht ganz glatt läuft. Hattet ihr von Beginn an eine klare Aufgabenverteilung, wie sind die Strukturen in der Gruppe? Pia: Wir ergänzen uns, unterstützen und springen ein, wenn einer von uns gerade keine Zeit hat. Auf unserer Homepage haben wir einmal versucht, unsere Aufgabenverteilung zu definieren. Sie dient aber eher als Orientierung und ist nicht absolut. Matthias: Ja, aber wir haben aus der Erfahrung auch gelernt, dass es gut ist, gewisse

Aufgabenbereiche untereinander zu verteilen. Pia hat beispielsweise einen Hang zu Zahlen und Formularen. Deshalb kümmert sie sich unter anderem um unsere Buchhaltung, aber auch um Förderanträge – ein komplizierter und aufwendiger Dschungel, für dessen erfolgreiche Bearbeitung allein schon eine ganze Vollzeitstelle nötig wäre. Ich begleite meist die heißen Phasen der Projekte und bin für die Künstler und Partner vor Ort der Ansprechpartner. Bei den schönen Dingen, wie neue Projekte zu planen oder Bewerbungen zu sichten, da hocken wir drei uns aber zusammen an einen Tisch. Wie stellt ihr euch die Zukunft von CAT Cologne vor? Pia: Der Traum einer internationalen Künstlerresidenz in Köln besteht nach wie

vor. Aber bislang wäre es schön, wenn wir jedes Jahr ein Projekt umsetzen und die Stadt Köln als Kunststandort beleben. Matthias: Seit unserem ersten Projekt mit dem Atelier-LKW träume ich aber auch von einer CAT-Tour – unsere Künstlerresidenz auf Reisen. Wer einen alten Sattelschlepper oder Donaudampfer übrig hat, der darf sich gerne melden.


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Ausblick

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im Dezember Blooom

Jung, Kunst – verMessen Kein Eigensinn. null22eins ist 2012 ganz ganz nah dabei. Für die dritte BLOOOM sammelt der artishocke-Verein ein paar seiner Künstler und Mitglieder ein und nimmt teil! Obwohl immer noch so jung, ist „die weltweit erste interdisziplinäre Messe für konvergente Kunst“ ein echter Erfolg: Vom 1. bis 4. November findet die dritte BLOOOM statt. Zusammen mit der ART.FAIR blüht damit eine Tradition der Messestadt Köln wieder ganz neu auf: ein Dreh- und Angelpunkt des Kunstmarktes zu sein. „Das Konzept, zwischen ART. FAIR und BLOOOM, zwischen etablierten Positionen und ganz jungen Projekten eine Brücke zu schlagen, ist aufgegangen.“ Mit dieser Rückendeckung freuen sich die Veranstalter auf das zehnjährige Jubiläum der ART.FAIR im November im Staatenhaus. Und die „Veranstalter“ von null22eins freuen sich, dabei zu sein – und nun das Wichtigste: Sie werden ein interessantes Künstlerporträt für die nächste Ausgabe mitbringen. Über wen, entscheidet sich noch. Der Wettbewerb zur Messe, der BLOOOM AWARD by Warsteiner, läuft ja zurzeit noch. Übrigens auch mit interessanten Persönlichkeiten aus Köln.

Film

Erstlingswerk: Zum Glück „Es ist ein komisches Gefühl, jetzt hier am Set zu stehen. Vor einem halben Jahr habe ich noch an der Geschichte geschrieben, jetzt sehe ich Teile davon schon auf einem kleinen Bildschirm“, erklärt Stefan Hoppe. Wir haben den Film- und Fernsehstudenten beim Dreh seines ersten eigenen Films begleitet. „Zum Glück“ (Arbeitstitel) ist im Rahmen seiner Abschlussarbeit entstanden. Die Geschichte dreht sich um einen Busfahrer namens Günther. Der leicht verträumte Typ ist auf der Suche nach dem Glück des Lebens. Als er plötzlich im Lotto gewinnt, wird alles auf den Kopf gestellt.

Auch wenn die Dreharbeiten mittlerweile abgeschlossen sind, wartet noch eine Menge Arbeit auf den angehenden Regisseur. „Gerade befinde ich mich an dem Punkt, wo der Film noch in verschiedene Richtungen gehen kann. Denn nicht nur die Bilder sind entscheidend. Anhand der Musik und des Schnitts kann ich unterschiedliche Atmosphären kreieren“, erklärt Stefan. Deshalb sei dieser Prozess der Filmproduktion besonders spannend. „Ich bin davon überzeugt, dass der Film was werden kann. Doch jetzt geht es darum, richtig abzuwägen. Was will ich mit meinem Film erzählen? Welche Bilder

brauche ich dazu? Welche braucht der Zuschauer?“ Wir sind gespannt, für welche Richtung sich Stefan entscheiden und wie der Film am Ende aussehen wird. In der nächsten Ausgabe werfen wir einen genaueren Blick auf die Produktion.


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