SOMMER 2012
#04 KÖLNER KULTUREN MAGAZIN | WWW.NULL22EINS-MAGAZIN.DE
FREIEXEMPLAR | WERT 3 EURO
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EDITORIAL
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FOTO: LEO PELLEGRINO
EDITORIAL
Handgemacht – das Motto der Sommer- Unser aktuelles Heft stellt einige dieser ausgabe null22eins. Persönliches, Vielfälti- anpackenden Kölnerinnen und Kölner vor ges, komplett Neues oder neu Erfundenes und liefert weitere interessante Einblicke fließt aus den Köpfen vieler. Greifbares in die Kulturlandschaft der Stadt. Und wird daraus, wenn man selbst zupackt zum Sommer haben sich auch viele Freunund Dinge, Visionen oder einfach Bele- de des Magazins selbst ins Zeug gelegt, bendes Wirklichkeit werden lässt. Das um weitere Wege zu finden, die nächsten tun in Köln sehr viele Menschen. Ange- Ausgaben zu unterstützen. Dafür haben fangen beim künstlerisch veranlagten sie angepackt und Handgemachtes geGoldschmied, der täglich neue Produk- schaffen, über dessen Verkauf die Verte mit seinen Händen erschafft, über einskasse des artishocke e. V. vielleicht Illustratoren, die mit analogen oder digi- einmal nachhaltig gefüllt werden kann. talen Mitteln neue Perspektiven sichtbar Damit nähert man sich zwar dem Wort machen, bis hin zu Nachbarn, Interessen- „Konsum“. Doch es geht ja weiterhin um gemeinschaften oder auch Vereinen, die die gute Sache: ein ehrenamtliches MaMenschen bündeln – um Neues entstehen gazin, das jedem eine Bühne bietet. Und zu lassen. mit diesem Satz ist auch schon wieder der Fokus auf die nächsten Monate gerichtet. Der Sommer macht Köln zu einer großen Bühne – für Menschen, die sich gern ausstellen, für Orte, die im Grau anderer Jahreszeiten übersehen werden, und für Aktionen, die sich auf viele Besucher freuen. Einiges des Letztgenannten werden die Gesichter hinter null22eins selbst auf die Beine stellen – vielleicht dafür aber echt und handgemacht. Und getragen vom Netzwerk des artishocke Vereins, das weiter wächst und weitere Synergien erschließt. Ein Dank gilt in diesem Zusammenhang den Jungs von Debug Visuals, die für die aktuelle Fotostrecke ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellten.
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Wir laden ein, am Sommer in Köln teilzunehmen und ihn zu genießen. Und somit dieser Stadt den ganz eigenen Reiz zur Jahresmitte zu verleihen. Viel Spaß beim Lesen der Ausgabe #04. null22eins
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INHALT
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10 06 ALT | NEU /// RUDOLFPLATZ
Kein Platz für Kultur? Ein großartiger Ort in Köln – einst und heute
08 KULTUR /// WER IST CHINA?
Ein Kulturland im Porträt, eine chinesische Künstlerin im Blick
10 PORTRÄT /// NATATA ILLUSTRATIONS Von Märchenhaftem und der Angst vorm weißen Blatt
14 WISSENSCHAFT /// KOLONIALWISSENSCHAFT Kann Kolonialismus wissenschaftlich sein? Eine Abhandlung
16 BILDERKUNST /// HOMO SYMBOLICUS
Von Dingen und Menschen, Menschen und Dingen
20 KÖLNER ORTE /// BAUSTELLE KALK
Eine andere Form der Nachbarschaftshilfe
22 FOTOSTRECKE /// VIELFALT Jeder ist und jeder hat
26 ZWISCHENRAUM /// ABGEFUCKT
Freiraum im Kopf – manchmal auch frei von Raum
28 GALERIE /// FOTOPENSION
„Wir stellen aus, was uns gefällt.“
30 MUSIK /// SILBERSCHWEIN
Erinnerungen an analoge Zeiten mit der Discosau
32 MUSIK /// BANDS IN UND AUS KÖLN OWWL KIWI You Called To Listen
34 SPORT /// PARKOUR Sprünge fürs Leben
INHALT
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Impressum Herausgeber
V.i.s.d.P
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Robert Filgner robert@null22eins-magazin.de Şehnaz Müldür sehnaz@null22eins-magazin.de
Redaktion u. redaktionelle Mitarbeit
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Layout
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Fotos
Coverfoto Druck
Anzeigen
36 KÖLN-SZENE /// NEULAND
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Zurück zur Natur: Gemüseanbau in der City
38 KÖLNER PLÄTZE /// ALPENERPLATZ
Ein Trafohäuschen soll aus dem Dornröschenschlaf wach geküsst werden
Bankverbindung
Unentdeckte oder ungesehene Kunstwerke im öffentlichen Raum
44 KUNST /// SCHICHT FÜR SCHICHT
Ein Goldschmied und sein Handwerk – und seine Kunst
46 NETZWERKEN /// MACHT AUCH PARTYS
Der Eventmacher Amon Nanz und Blicke auf das Kölner Partyleben
50 AUSBLICK /// IM SEPTEMBER
Charlotte Braun, Robert Filgner, Christina Kuhn, Christian Löhden, Şehnaz Müldür, Adam Polczyk, Saskia Rauchmann, Agata Sakwinski, Saskia Seipp, Stephan Strache, Christine Willen. Christian Beauvisage, Helena Kasemir, Stefanie Grawe, Anna Gemmeke, Nathalie Metternich, Leo Pellegrino, Julia Ziolkowski. Evi Blink, Alessandro De Matteis, Christian Löhden, Leo Pellegrino, Anna Shapiro. Alessandro De Matteis Merkur Druck GmbH & Co. KG Am Gelskamp 18–20 • 32758 Detmold www.merkur-psg.de Telefon: 0221. 20 43 22 25 redaktion@null22eins-magazin.de null22eins-magazin.de facebook.com/null22eins issuu.com/null22eins-magazin artishocke e. V. Deutsche Skatbank Konto-Nr.: 4680715 • BLZ: 830 654 10
40 MUSEUM /// UMSONST UND DRAUSSEN
CAT Cologne CHU
artishocke e. V. Genovevastraße 65 • 51063 Köln redaktion@null22eins-magazin.de
Redaktionsschluss
Ausgabe #04: 19. April 2012
S. 6–7: Der Fotograf oder eventuelle Besitzrechte konnten nicht ermittelt werden. Wir bitten Fotografen oder Archive, sich bei der Redaktion zu melden. Urheberrechte für Beiträge, Fotos und Illustrationen sowie der gesamten Gestaltung bleiben beim Herausgeber oder den Autoren. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers! Alle Veranstaltungsdaten sind ohne Gewähr.
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Die alte Oper Kölns am Rudolfplatz: 1958 abgerissen, obwohl es auch Wiederaufbaupläne gab. Opernhäuser haben es also schon immer schwer gehabt in Köln.
Kultur hat es schwer am Rudolfplatz. Einst vis-à-vis dem alten Opernhaus – der im Krieg nur leicht beschädigte Prachtbau wurde 1958 abgerissen –, steht an seinem südlichen Ende seit 1957 das Theater am Rudolfplatz. 1998 zog die „Ulla Kock am Brink Show“ ein, zwei Monate später Stefan Raab mit „TV Total“. Ab 2000 lockte die Disko Teatro Nachtschwärmer an – bis 2010 der Mietvertrag auslief. Jetzt wartet das Theater auf seinen Abriss, denn der Rudolfplatz soll verschönert, notfalls sogar zum Sanierungsgebiet deklariert werden. Kulturelles Highlight ist also der Weihnachtsmarkt. Manchen mag’s entschädigen …
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DER RUDOLFPLATZ
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KEIN PLATZ FÜR KULTUR? TEXT: CHRISTINA KUHN FOTOS: C HRISTIAN LÖHDEN, UNBEKANNTER FOTOGRAF (1904, GEMEINFREI)
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KULTUR
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WER IST
CHINA? TEXT: AGATA SAKWINSKI FOTO: ALESSANDRO DE MATTEIS
KULTUR
2012 FEIERT KÖLN DAS CHINAJAHR. EINE JUNGE CHINESISCHE MUSIKERIN STEHT FÜR DIE TRADITION, ABER AUCH FÜR DIE MODERNE DES ASIATISCHEN LANDES. CHINA IST NICHT NUR POLITIK, SONDERN AUCH KULTUR. Die Aufmerksamkeit des Kölner Publikums ist auf die Bühne gerichtet, auf der Xueyan Li die Saiten ihrer Guzheng zum Schwingen bringt. Entspannt durch die berührenden Melodien, lehnen sich die Zuhörer zurück und genießen die Exkursion in die chinesische Kultur. Aber welches Bild haben wir von der chinesischen Kultur? Konfuzianismus oder Kommunismus? Seit über 2.000 Jahren erzählt die Guzheng viele alte und neue Geschichten, die dem Land eine mehrdeutige kulturelle Identität gegeben haben.
Einwirkungen und Auswirkungen Das chinesische Reich erlitt aufgrund der Unterdrückungen durch verschiedene Fremdherrscher sehr viele Kulturbrüche, die ungewollt Spuren in der Tradition hinterließen. Der vermeintlich typische „chinesische Zopf“ war ursprünglich ein Symbol der Versklavung der Han-Chinesen durch die Mandschu während der Qing-Dynastie und wurde den chinesischen Männern unter Androhung der Todesstrafe aufgezwungen. Viele historische Narben sorgten für Unklarheiten über die eigenen Erbstücke. 1966 sollte in dem Land eine neue kulturelle Identität erstürmt werden. Der endgültige Neuanfang der kommunistischen Republik musste mit der von Mao Tse-tung ausgerufenen Kulturrevolution entstehen. „Reiße zuerst nieder, und auf dem Boden wird etwas Neues entstehen“, forderte das damalige Staatsoberhaupt die Schüler- und Studentengenerationen auf. So zerstörten die jungen Chinesen nicht nur Erinnerungen an alte Besatzungsmächte Chinas, sondern alle materiellen und spirituellen Einflüsse aus der Vergangenheit wie die konfuzianische Philosophie, religiöse Einrichtungen und unzählige Menschenleben. Die neuen Statussymbole sollten von nun an Fabriken, kommunistische Bildungseinrichtungen und Revolutionsmuseen werden. Über 40 Jahre nach dem Ausbruch der chinesischen Kulturrevolution findet man trotz Moderne und Globalisierung die gegenwärtigen Bemühungen, die eigenen Wurzeln wieder aufleben zu lassen. Die 5.000-jährige Hochkultur, die seit Jahrtausenden als Vorbild der umliegenden Zivilisationen diente, lässt sich trotz der Narben aus der Vergangenheit nicht vergessen und spielt eine wichtige Rolle für die Identität Chinas. Die Guzheng ist heute eine der beliebtesten Vertreterinnen für diese alte Tradition und hat auch einen festen Platz in der gegenwärtigen Musikszene Chinas. Der Staat erkennt auch, dass die alten Traditionen ebenfalls für Chinas Wahrnehmung durch den Rest der Welt wichtig sind. Ein Beispiel hierfür sind die plötzlichen Restaurierungsarbeiten an historischen Stätten vor Beginn der Olympischen Spiele 2008. Kulturgüter wie die Verbotene Stadt, der Sommerpalast oder der Konfiziustempel, die seit vielen Jahren im schlechten
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und baufälligen Zustand verharrten, wurden kostenaufwendig wiederhergestellt. Vielleicht hatte die Regierung verstanden, dass die anströmenden Touristenmassen lieber altbackene Kaiser als moderne Kommunisten erleben möchten. Trotz des scheinbar neu aufkommenden Kulturbewusstseins ließ die Regierung viele historische Altstadtviertel Pekings niederreißen, um für den Bau von modernen Wolkenkratzern und Luxuskaufhäusern Platz zu schaffen.
Neu neben Alt Moderne und Tradition existieren nebeneinander in der kulturellen Identität Chinas. Die traditionelle Malerei ist hoch anerkannt. Die modernen Kunstwerke der Pekinger Künstlerszene erreichen Rekordpreise auf den Versteigerungen. Auch die Saiten der Guzheng haben sich an die Gegenwart angepasst und lassen neben historischen Melodien auch moderne Stücke erklingen. Doch manchmal bringt dieses Zusammenspiel auch interne Konflikte. Anfang 2011 wurde eine etwa acht Meter hohe Statue des altchinesischen Philosophen Konfuzius auf dem TiananmenPlatz (dem Platz des himmlischen Friedens) in Peking errichtet. Die Bronzefigur wurde am Eingang des Nationalmuseums positioniert – schräg gegenüber dem weltbekannten Porträt des Mao Tse-tung, das seit Jahrzehnten am Tor des himmlischen Friedens thront.
Eine echte kulturelle Identität Zu Lebzeiten kämpfte Mao gegen die Ideale der Alten Welt und vor allem gegen die Lehren des Konfuzius. Im Anschluss führte diese paradoxe Gegenüberstellung der beiden chinesischen Identitätssymbole zu Debatten. Laut einer Umfrage unter chinesischen Studenten sei der alte Sittenlehrer Konfuzius der beste Repräsentant der eigenen Kultur. Die Gegner argumentierten, dass Konfuzius in manchen seiner Ansichten feudalistisch gewesen sei und somit nicht den gegenwärtigen Fortschritt Chinas symbolisieren könne. Nach drei Monaten wurde die 17 Tonnen schwere Statue des Philosophen in den weniger auffälligen Innenhof des Museums umgesiedelt. In der Thematik über die kulturelle Identität Chinas verbirgt sich viel Potenzial für einen Gedankenaustausch. So möchte Xueyan auf den Veranstaltungen des Kölner Chinajahres 2012 die Kulturdimensionen ihres Heimatlandes in den Vordergrund stellen: „China hat eine außergewöhnlich lange Tradition und eine große Kultur. Ich möchte diese gern unter den Menschen verbreiten. Oft wird die Kultur vergessen, weil meistens nur über Politik gesprochen wird.“
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PORTRÄT
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TEXT: ROBERT FILGNER FOTO: A LESSANDRO DE MATTEIS
AUF PAPIER SIE KÖNNTE SELBST EINE MÄRCHENPRINZESSIN SEIN. NATATA ILLUSTRIERT GERN FANTASTISCH, MAG DAMIT ABER AUCH ECHTE KOMMUNIKATIONSPROBLEME LÖSEN. WIE AUS DER „ANGST VORM WEISSEN BLATT“ FASZINIERENDE EINDRÜCKE ENTSTEHEN. Märchen erklären Kindern die ganze Welt, das Gute und das Böse. Und sie sind dabei ziemlich schonungslos. Wenn Märchen ihren Weg heraus aus dem Buch, vom geschriebenen Wort in die illustrierte Welt oder auf Leinwände finden, erhalten sie fantastische Formen, werden oft bunt und niedlich. Sie sprechen das Publikum mit klaren und einfachen Linien an, um ihre Botschaft zu erzählen. Genau das ist auch das Ziel von Illustratoren: aus einer Idee eine klare Aussage auf dem Papier zu schaffen – im besten Fall auch mit einer geistigen Tiefe. Natalya Posukhova ist mit Märchen aufgewachsen. Viel anderes blieb ihr in der Kindheit in den sibirischen Extremen zwi-
schen Dunkelheit und Licht auch nicht. In eine Goldgräberstadt, die es heute schon längst nicht mehr gibt, hatte es die junge ukrainische Familie gezogen, bevor Natalya mit zwölf Jahren nach Deutschland kam. Aber die fünf Jahre Wildwest-Einöde im Norden Russlands prägten sie. Von Polarlichtern umgeben, schuf die heute unter dem Namen Natata bekannte Illustratorin ihre ersten Meisterwerke: „Verfaulte Kartoffeln auf den Tapeten um mein Bett herum“, grinst sie und meint damit ihre Kritzeleien in den frühen Kindertagen, von denen ihre Mutter gar nicht begeistert war. „Den Widerstand meiner Eltern hatte ich schnell gebrochen. Nur dass daraus eine echte Berufung werden würde,
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hatte ich mir damals natürlich noch nicht träumen lassen.“ Und dann waren da noch die russischen Märchen, wahre KinderScience-Fiction-Bücher. In diesen konnte die junge Zeichnerin Inspiration finden, die sie bis zum Studium nicht ablegte und auch heute nicht vergisst. Während ihres Kommunikationsdesign-Studiums an der Düsseldorfer FH wurde sie von ihrem Professor noch für ihr selbst gezeichnetes Märchen „Schneeweißchen und Rosenrot“ belächelt. Bei ihrer Abschlussarbeit „Angst vor dem weißen Blatt“ sah dies aber schon ganz anders aus. Treffender konnte der Titel kaum sein, verbindet er doch einen wesentlichen Bestandteil von Märchen – die Angst – mit einer großen Sorge vieler Kreativer: Der erste Strich, die
Linie für das Gesamtwerk, ist für Illustratoren von Arbeit zu Arbeit eine neue Herausforderung. Die Angst vor dem weißen Blatt steht buchstäblich am Beginn der Gestaltung eines jeden Kunstwerks.
Leben von oder für die Kunst So vielfältig wie die Gesamtheit der Märchenwelt rund um den Globus sind Natatas heutige Einflüsse. „Meine Zukunft sehe ich in London. Am liebsten in einer Bürogemeinschaft, ja vielleicht sogar mit Marion Deuchars zusammen.“ Diese ist nicht zuletzt wegen ihres Buches „Let’s make some great art“ bekannt. Sie schafft es, das Kommerzielle mit den eigenen Verwirklichungen zu verbinden – in ihrem
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Fall ist das illustrierte Typografie. Marion Deuchars ist fester Bestandteil der englischen Magazinkultur, arbeitet regelmäßig für den Guardian, hat aber auch zum Beispiel bei Kampagnen von British Airways mitgewirkt. Dabei konnte die Künstlerin stets ihre eigene Linie verwirklichen – ihren charakteristischen Strich. Das reicht Natata aber nicht. Sie möchte die individuellen Probleme ihrer Kunden lösen, eigene Wege der Kommunikation finden. Dabei nimmt sie alles auf und findet jeweils die passende Sprache.
Lang Gestrecktes ohne Farbe Der Kontext bestimmt die Lösung. Die 25-Jährige saugt alles in sich auf und nutzt ihre vielfältigen Inspirationen, aus denen sie genügend Ansätze für ihre Kreativität schöpfen kann. So spiegeln sich bei ihren persönlichen Werken auch Ansätze eines ganz besonderen Künstlers für Natata wider. Ihre Inspiration Nummer eins ist der Expressionist Egon Schiele, der Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur seine österreichische Heimat aufmischte. Zusammen mit Gustav Klimt prägte er die Wiener Moderne. Der Stil dieser Geistesströmung lässt sich für den Kunstbereich mit den einfachen Worten „Kunst um der Kunst willen“ beschreiben. Diesem Prinzip folgend, entstanden bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs schonungslose und in der Betrachtung skurrile Werke. „Egon Schieles Stil der lang gestreckten Körper inspiriert mich sehr. Genau wie er liebe ich auch die dunkle Seite meiner Charaktere.“ Dennoch verfallen Natatas Werke nicht in die gleiche, teils harte Farbigkeit. „Meine frühere Manga-Phase und mein Faible für Blythe-Figuren fließen ebenfalls in meine Bilder mit ein. Daher würde ich mich selbst irgendwo zwischen der Märchenwelt und der Gedankenwelt von Tim Burton verorten“, erklärt sie. Die großen Augen der Blythe-Puppe und düstere Welten wie in Burtons Horrorkomödie Beetlejuice lassen sich zweifelsohne in vielen ihrer Werke wiederfinden. Außerdem bleibt sie fürs Erste ihrem SchwarzWeiß-Stil treu. „Meine Illustrationen und Grafiken sprechen alle eine eigene Sprache. Der Umgang damit liegt schlussend-
lich in der Vorstellungskraft und im Auge des Betrachters.“ Einfach kindlich ehrlich – so wie in den Märchen. Ein Zug, der wiederum Natata gut beschreibt und der aus ihr spricht, wenn sie an ihren Weg in der Illustratorenwelt denkt: aus dem eigenen Kopf über viel harte Arbeit auf das weiße Blatt – für märchenhafte Bilder.
WEITERE INFOS www.natata.de
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WISSENSCHAFT
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KANN KOLONIALISMUS WISSENSCHAFTLICH SEIN? TIEFE EINBLICKE IN DIE IMPERIALISTISCHE ZEIT DEUTSCHLANDS VOR DEM ERSTEN WELTKRIEG LIEFERT DR. JENS RUPPENTHAL VOM HISTORISCHEN SEMINAR DER UNIVERSITÄT ZU KÖLN. Im Jahr 2001 stellte Günther Jauch einem Kandidaten seiner Quizshow die Frage: Welches der folgenden Länder war einst deutsche Kolonie? A) Sudan, B) Kamerun, C) Angola oder D) Nigeria. Der Kandidat wusste die Antwort und erreichte die nächste Runde – die, in der es um die Million ging. Das recht allgemeine Wissen über die deutsche Kolonialgeschichte brachte also dem Teilnehmer damals noch 500.000 DM ein. Ob diese Frage – richtig war übrigens B) – heute noch derart hoch dotiert wäre, ist zweifelhaft. Es gibt seit einigen Jahren ein öffentliches Bewusstsein dafür, dass auch Deutschland zu den europäischen Kolonialmächten gehörte. Der 100. Jahrestag des Krieges gegen Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika von 1904 trug ebenso dazu bei wie die Diskussionen um kolonialhistorische Straßennamen von zweifelhaftem Vorbildcharakter in vielen deutschen Städten. In Köln stand zuletzt die Ehrenfelder Wißmannstraße in der Kritik.
Beamte als „Kolonialheroen“ Hermann von Wißmann galt als „Afrikaforscher“. Unter dem diffusen Etikett hielten sich viele Zeitgenossen aus ökonomischen Motiven oder im staatlichen Auftrag in Afrika auf und trugen zur Eroberung des Kolonialreichs bei. Dabei sammelten sie Wissen über die Länder und ihre Bewohner. Während die ersten „Kolonialheroen“ eine Mischung aus Militärs, Kaufleuten und Ärzten bildeten, stieg um 1900 die Zahl der wissenschaftlichen Forschungsreisenden. Den Bakteriologen Robert Koch führte 1906 eine Schlafkrankheitsexpedition nach Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania. Zeitgleich mit dem wissenschaftlichen Interesse stieg der Bedarf an kolonialen Verwaltungsbeamten. Dass die Kolonien in Afrika, Indonesien und der Südsee lagen, war
für die Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt in Berlin nicht nur eine logistische Herausforderung. Den Beamten begegneten Sprachen, Kulturen und Naturräume, auf die sie als preußische Juristen oder badische Buchhalter nicht vorbereitet waren.
Kolonialpolitische Kosmetik Um 1900 setzte ein allgemeiner Trend zur Professionalisierung kolonialer Aktivitäten ein. In Hamburg nahm das Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten seine Arbeit auf. In Berlin erweiterte das Seminar für orientalische Sprachen den Unterricht um kolonialpolitisch relevante Sprachen wie Kisuaheli. Und in Witzenhausen an der Werra eröffnete die private Deutsche Kolonialschule zur Ausbildung von Tropenlandwirten, wo man nach zwei Jahren als Diplom-Kolonialwirt abschloss. Erst 1907 schuf auch die Reichsregierung in Berlin mit dem Reichskolonialamt ein eigenes Ministerium mit dem ehemaligen Bankier Bernhard Dernburg an der Spitze. Dieser hatte im Reichstagswahlkampf für ein zentrales Institut geworben, das eine spezialisierte Kolonialbeamtenausbildung und koloniale Grundlagenforschung betreiben sollte. Die „Kolonialwissenschaften“ sollten das durch Kriege und Skandale ramponierte Image der deutschen Kolonialpolitik aufpolieren und die Verwaltung – und Beherrschung – des Kolonialreichs sicherstellen.
Universität und Wissenschaft Standort des Kolonialinstituts wurde aber nicht Berlin, sondern Hamburg als wichtigste Handelsmetropole des Reiches und „Tor zur Welt“. Die Entscheidung fiel auch auf die Stadt an der Elbe, weil die Hanseaten die vollständige Finanzierung des Instituts übernahmen. Treibende Kraft war Senator Werner von Melle. Er sah die
Chance, seiner Stadt endlich zu einer Universität zu verhelfen. Deshalb sprach zwar Staatssekretär Dernburg bei der Eröffnung im Herbst 1908 noch von der „Förderung der deutschen kolonialen Macht“, doch der Direktor des Hamburger Museums für Völkerkunde, Georg Thilenius, sah in der Ferne bereits die Universität Gestalt annehmen: Das Institut sollte nur „für eine Weile in den Vordergrund“ rücken und schließlich zum „Nebenkörper der Universität“ werden.
Wie kolonial war das Institut? In den ersten Jahren richtete man am Kolonialinstitut Professuren diverser Disziplinen ein, deren kolonialer Nutzen auf der Hand zu liegen schien: Die Afrikanistik vertrat der als Sprachforscher renommierte Carl Meinhof, die Geografie der jüngere Siegfried Passarge, der oft rassistische Positionen einnahm und die kolonialen Ziele stark befürwortete. Andere blieben kolonialpolitisch zurückhaltend, darunter der Orientalist und spätere preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker. Und die Kolonialbeamten? Ursprünglich sollte das Institut auch eine Spezialausbildung mit Vorlesungen, Sprachkursen und Übungen in Landvermessung oder Tierpräparation bieten. Doch nur etwa 20 Beamte pro Jahr besuchten oft nicht alle Lehrveranstaltungen. Damit war das Prestigeprojekt Kolonialinstitut grandios überdimensioniert. Konsequenter gingen die Hanseaten zu Werke, nachdem das Deutsche Reich im Ersten Weltkrieg seine Kolonien verloren hatte. Die Gründung der Universität Hamburg wurde am 31. März 1919 beschlossen – noch vor der Unterzeichnung des Versailler Vertrages. TEXT: JENS RUPPENTHAL ILLUSTRATION: ANNA GEMMEKE
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ZEICHENHAFTIGKEIT
HOMO SYMBOLICUS
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WEITERE INFOS www.eviblink.de mail@eviblink.de treudt.tumblr.com
EVI BLINK UND PHILIPP TREUDT BESCHÄFTIGEN SICH IN IHREN FOTOGRAFIEN UNABHÄNGIG VONEINANDER MIT DER FRAGE NACH PERSÖNLICHEN DINGEN. EINE UNTERSUCHUNG DES REPRÄSENTATIONSBEGRIFFS. TEXT: ŞEHNAZ MÜLDÜR FOTOS: E VI BLINK, PHILIPP TREUDT Das Wort Bild ist mitunter ein Synonym für Vorstellung. Eine Fotografie zeigt nie nur eine Momentaufnahme, nie nur eine, wenngleich oft inszenierte, Situation. Sie ist stets auch das Abbild unterschiedlicher, über einen langen Zeitraum hinweg gesammelter Erfahrungen. Neben der technischen Umsetzung ist dieser zweite Punkt entscheidend für die Rezeption: Je höher die emotive Qualität eines fotografischen Werks ist, desto mehr spricht es den Betrachter an. Emotiv im Unterschied zu emotional: Diese Ebene beschreibt ein komplexes Zusammenspiel von Ereignissen und dem, wie sie aufgenommen, verarbeitet und nach außen getragen worden sind. Die Darstellung – oder auch Repräsentation – dieser Mixtur muss nicht immer durch das Zeigen von Personen erfolgen. Auch Gegenstände können diese Wirkung hervorrufen. Entscheidend ist dabei, mit welcher Vorstellung sie aufgeladen sind und wie die fotografische Inszenierung ebendiese Vorstellung umsetzt.
Porträt des Abwesenden „Ich interessiere mich für Gegenstände, die ihre eigene Geschichte erzählen“, sagt Evi Blink. Sie sammelt gern und trennt sich nur ungern von Liebgewonnenem. Zu ihren ersten Kinderschuhen hat sie eine besondere Bindung: In ihren Augen erinnern sie an
das Laufenlernen, an das Heran- und Herauswachsen. Diese Beschäftigung hat Evi zum Thema einer Fotostrecke gemacht, in der sie die kleinen Schühchen gemeinsam mit dem aktuellen Laufwerk der Besitzer zeigt – und dabei vollständig ohne die Abbildung des Menschen selbst auskommt: „Es sind Dinge, die so viel von der Person erzählen, dass es gar nicht nötig ist, sie selbst zu zeigen. Ich mache ein Porträt von ihr – aber ich fotografiere dafür eben nicht ihr Gesicht, sondern einen persönlichen Gegenstand.“ Wir leben in einer Symbolwelt, sind umgeben von Zeichen, die alle wiederum auf andere Zeichen verweisen – eine endlose Signifikantenkette, die wir uns zu großen Teilen selbst kreieren und zu der auch nur wir fähig sind. Der Mensch ist das einzige Tier, das seine Mittel für die Schaffung und Interpretation von Zeichen willkürlich wählen kann und will. Er ist der homo symbolicus. Diese Eigenschaft befähigt ihn natürlich auch dazu, die Zeichen zu interpretieren. Immerzu tut er dies – zur Aufrechterhaltung der Zeichenkette und weil es ein grundlegendes Element der Repräsentation ist. Diese „[…] ist stets eine von etwas oder jemandem, durch etwas oder jemanden und für jemanden. Nur die dritte Relationsstelle scheint eine Person sein zu müssen: Wir […] können Dinge nur für Personen darstellen“, erklärt W. T. Mitchell in seiner „Bildtheorie“. Vielleicht liegt das aber auch
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Philipp bestätigt das: „Es ist gar nicht so leicht, drei Gegenstände auszuwählen.“ So haben sich viele der „Personal Stuff“Models für die gleichen Dinge entschieden: „Bei Frauen waren es beispielsweise extrem oft Schuhe, wo ich dann schon gesagt habe: ‚Ne, kein Bock mehr, geht nicht!‘“ Philipp legt Wert auf konzeptionelle Arbeit. In der heutigen Zeit, „wo jeder seine Kamera zückt und meint, er könne fotografieren“, sieht er darin eine Möglichkeit für Gegenwind. „Du bist ja auch mindestens eine Stunde mit der Person im Studio und baust gemeinsam eine Stimmung auf“, erklärt er. Zu dieser Atmosphäre tragen auch die Gegenstände bei. Manche davon, so sagt er, „reißen einen schon mit. Wenn du merkst, es ist was Persönliches dahinter“. Ein Stoffhase wird auf diese Weise plötzlich nicht mehr als gewöhnliches Spielzeug betrachtet, sondern als ein Objekt, das seinem Besitzer das erste Mal Geborgenheit geschenkt hat, als dieser im Kindesalter mit seiner Familie aus dem Iran flüchten musste. Die persönliche Bindung zu diesem Gegenstand spiegelt sich auf dem Foto an einem bestimmten Punkt wider: in der Mimik des Menschen. Mimesis, altgriechisch für Nachahmung, macht gemäß der Semiotik die „ikonische Repräsentation“ aus. Das gängigste Beispiel für ein Ikon ist die Marienfigur: Das Nachbilden der biblischen Figur selbst, aber vor allem der Ausdruck auf dem Gesicht der Statue soll Ähnlichkeit assoziieren. Übrigens nicht nur zur heiligen Maria, sondern auch im Gefühl des Betrachters gegenüber dem Ikon. Es geht hier also erneut um die Ansprache auf einer tiefer liegenden Ebene, um die emotive Qualität. daran, dass der Mensch einfach nicht anders kann, als Zeichen zu inszenieren und zu deuten – wenn auch nur für sich selbst. Evi befasst sich gern mit Motiven, die die Spur eines im Bildausschnitt abwesenden Menschen zeigen. Diese indexikalische Repräsentation, eine Spurensuche vom Zeichen hin zum nicht sichtbaren Bezeichneten, eröffnet ihr andere Möglichkeiten in der Arbeitsweise. „Ich genieße es, dass ich bei dieser Arbeit allein sein kann und es ein Prozess ist, der eben nur mich betrifft.“
Ikonischer Gegenwind In Philipp Treudts Fotografien steht die Anwesenheit des Menschen der Spurensuche nicht im Weg. Für seine Serie „Personal Stuff“ lichtete er verschiedene Personen mit ihren drei liebsten Gegenständen und in drei verschiedenen Outfits ab. Damit erforderte dieses Projekt im Vorfeld einiges an Reflexion – vor allem von den Fotografierten. Die Auseinandersetzung damit, welche Gegenstände man in den Status des Lieblingsstücks erheben will, kann sich schnell zu einer symbolträchtigen Aufgabe entwickeln.
Zeichenhafte Inszenierungen Die emotive Kommunikation zwischen Bild und Betrachter wird auch durch die Umsetzung, durch den Akt des Fotografierens an sich, erreicht. Für das mimetische Spiel in „Personal Stuff“ hat Philipp das Setting inszeniert: die mitgebrachten Gegenstände und Outfits, die ungeschminkten Akteure und der bewusste Einsatz von lediglich einem Blitzkopf. Auch für Evis Aufnahmen haben die technischen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle gespielt. Von ihrer anfänglichen Idee, die Schuhe an verschiedenen Orten zu fotografieren, rückte sie ab, weil
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Studioaufnahmen ihr bessere technische Möglichkeiten boten. „Ich habe die Schuhe ja wie Menschen behandelt. Ich habe mich lange mit ihnen beschäftigt und sie auch so ausgeleuchtet“, schildert sie. Während Philipps Setting dazu beigetragen hat, dass seine Serie dem aktuellen Trend aufpolierter Hochglanzporträts etwas entgegensetzen kann, betont Evis Wahl der Inszenierung den spielerischen und damit menschlichen Charakter ihrer Motive. In beiden Varianten, der indexikalischen wie der ikonischen Darstellung der Bedeutung von so persönlichen Gegenständen wie den ersten Schuhen oder der Lieblingsjacke, läuft es darauf hinaus, zu welcher zeichenhaften Setzung das Motiv den Fotografen verleitet. Das repräsentierende Geschöpf wird vom vermeintlich unbelebten Gegenstand geführt.
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Die neuen NACHBARN
VEREINSARBEIT FÜR EIN BREITES UND FREIES KULTURANGEBOT VON LEUTEN, DIE SICH EINSETZEN. IN EINEM RAUM, STETS IN ENTWICKLUNG – EINE BAUSTELLE EBEN. „Kalk“ ist der türkische Imperativ des Verbs „aufstehen“. Vielleicht ist es Meryem Erkus und den anderen Mitgliedern des gemeinnützigen Kulturvereins Baustelle Kalk deshalb so leichtgefallen, in ihrem Viertel einen neuen Raum für Kultur zu schaffen. Möglicherweise liegt es aber auch daran, dass Meryem im vergangenen Jahr acht Monate in Istanbul verbracht und dort einen anderen Umgang mit kulturellem Leben im städtischen Raum erfahren hat. „Die Kölner haben einen Stock im Arsch!“, kritisiert sie die hiesige Auffassung von Kultur. Und der öffentliche Raum gibt ihr ungewollt recht: Kunst einfach nur zu rezipieren scheint hier unmöglich zu sein, das meiste ist an bestimmte Rezipientenkreise gebunden und somit teuer oder auf andere Art elitär. Konzerte von Bands, die sich keinem Genre zuordnen lassen oder unbekannt sind, finden eher selten statt. Ärgerlich, aber kein Grund zum Schmollen. Sondern vielmehr ein Grund, etwas dagegen zu tun. Als in einem Kalker Wohnhaus, das
Meryems Eltern gehört, plötzlich Räumlichkeiten frei wurden, tat sich die perfekte Gelegenheit dazu auf: Sie mietete diese an und plante das Kurzfilmfestival „Future Shorts“. Unterstützung bekam sie dabei – wie könnte es anders sein – aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Nicole Wegner lebt schon seit Jahren nur einige Haustüren weiter, doch der Zufall sorgte erst im Dezember 2011 dafür, dass die beiden Studentinnen sich kennenlernten. Der Wunsch nach einem breiteren und vor allem freieren Kulturangebot, das sich jeder leisten kann, und die Wut darüber, dass in Köln „keiner etwas macht“ und „es nicht so richtig weitergeht“, führten schnell zu weiteren Treffen. Man erweiterte die Runde um Janina Warnk, die „offizielle Schnickschnackbeauftragte“ im Team, und um Fatma Erkus, BWL-Kennerin und Meryems Schwester. „Dann ging alles sehr schnell“: Für die Future Shorts polierten sie den Raum auf, besorgten Sitzmöglichkeiten und Decken,
luden Freunde und Nachbarn ein. Nach der Devise „so einfach wie möglich, so billig wie möglich“ wollten sie einfach nur die Kosten für die Filmlizenz wieder einholen. Doch im Bürokratieland Deutschland geht das nicht ohne Weiteres. Deswegen wurde inmitten der Renovierungsarbeiten noch schnell ein gemeinnütziger Verein gegründet, um leichter gemeinsam agieren zu können. „Das lief dann so: ‚Okay, wir haben jetzt fünf Minuten, um die Satzung zu erklären, und dann müsst ihr alle unterschreiben! Und danach wird weiter aufgeräumt!‘“, erzählt Schatzmeisterin Fatma lachend von der offiziellen Geburtsstunde der Baustelle Kalk. Mit ihrer ersten Veranstaltung landeten die Macherinnen der Baustelle sofort einen Treffer. Noch immer – inzwischen gab es schon die Zweitauflage der Future Shorts – freuen sie sich darüber. Und sind vielleicht auch ein wenig verwundert: „Die Leute sind wirklich nach Kalk gekommen!“, kommentiert Nicole ebenso
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TEXT: SASKIA RAUCHMANN, Ş EHNAZ MÜLDÜR FOTOS: ALESSANDRO DE MATTEIS, BAUSTELLE KALK (PROMO)
überrascht wie erfreut. Damit war auch klar, dass die Idee der Frauen auf fruchtbaren Boden gefallen war. „Eigentlich kann man es ja nicht mehr hören: Urbane Räume sind das Thema schlechthin“, sagt Meryem. Dass sie auch noch lange ein Thema sein werden und vielleicht einfach nur neue Impulse brauchen, zeigen die positiven Rückmeldungen auf die Veranstaltungen in der Baustelle. Inzwischen wurden dort schon Konzerte abgehalten: Im März trat die New Yorker Combo Talibam! auf und spielte passend zum Namen ihres aktuellen Albums „AtlantASS“ in einer von Janina inszenierten surrealen Unterwasserkulisse. Der Eintritt wurde an diesem Abend von einer bärtigen Meerjungfrau in einer Badewanne entgegengenommen, und nach dem Konzert konnte man sich die Comicvorlage zu „AtlantASS“ im Flur ansehen. „Warum weiße Wände weiß lassen?“, erklärt Meryem ihre Idee, die Events mit passenden Ausstellungen zu begleiten. So kann der Verein Kunst zeigen, ohne sich selbst explizit als Galerie darzustellen – ein wichtiger Faktor in Sachen Zugänglichkeit. Bei der Auswahl der gezeigten Arbeiten ist deshalb vor allem eines wichtig: „Irgendwie sollte es zusammen-
passen oder einfach richtig geil sein.“ Auf eine eigene, schräge Art werden diese Kriterien immer erfüllt – auch durch die Interaktion mit den Nachbarn. So konnte das Konzert der Noise-Band Child Abuse am griechisch-orthodoxen Karfreitag stattfinden. Deren Kalker Gemeinde hat – dem Schaffen der Baustelle-Initiatorinnen nicht ganz unähnlich – im Garten nebenan eine in Do-it-yourself-Manier gebaute Kirche stehen. Beide Seiten ließen sich einfach auf den Kompromiss ein, das Konzert um eine Stunde zu verschieben. Ein gutes Beispiel dafür, dass man für kulturelles Leben im öffentlichen Raum eben doch eine gemeinsame, unkomplizierte Sprache finden kann. Man muss dazu nur aufstehen und was tun.
TERMINE IN DER BAUSTELLE 9. & 10. Juni Die Rheinischen Rebellen gastieren im Rahmen ihrer Utopia Kalk 15.–17. Juni Ausstellung: Johannes Kithil 29. Juni–1. Juli Book Release & Ausstellung: Tim Wolfgarten
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VIELFALT
MENSCHEN UND GEDANKEN
SPONTANE GEDANKEN SIND EIN SPIEGELBILD DER PERSÖNLICHKEIT: VIELFÄLTIG, KREATIV, NACHDENKLICH, ANREGEND, SELBSTREFLEKTIEREND, SELBSTDARSTELLEND, KRITISCH, LUSTIG – ODER EINFACH NUR EHRLICH. GEDANKEN- UND BILDSPRACHE VON MENSCHEN.
FOTOS: ALESSANDRO DE MATTEIS
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ZWISCHENRAUM
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DER ZWISCHENRAUM BIETET AUCH PLATZ FÜR GEIST. EIN BEISPIEL AUS DEM UNIALLTAG.
ZWISCHENRAUM
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TEXT: MIKE HILDEBRANDT ILLUSTRATION: BARBARA WEBER
Ich könnte KOTZEN, wenn ich an Annette denke. Diese FICKENDE und stumpfe Germanistikstudentin, die ihre Dozenten VÖGELT, um ne Hiwi-Stelle zu bekommen, die sich gut in ihrem Lebenslauf machen würde. Ich meine, die geht doch völlig an ihrem Talent vorbei. Die kann doch mit Foucault, Nietzsche, Brecht, Mann und Schiller gar nix anfangen. Früher waren die Mädels wohl ähnlich exhibitionistisch veranlagt, aber mir scheint, das war alles irgendwie politischer. Mag an der ABGEFUCKTEN Zeit liegen, in der das Wort „ABGEFUCKT“ nicht einmal mehr bei „Word“ rot gezackt unterstrichen wird. Manchmal frage ich mich, ob Annette es richtig macht. Die schaut nicht nach Werten, Moral, stellt sich keiner ohnehin toten Philosophie. Die sieht zu, dass sie den ARSCH an die Wand kriegt, und vielleicht liegt sie da mit ihrer Theorie, ebendiesen ARSCH erst einmal offenherzig zur Schau zu stellen, ja goldrichtig. Mich überfällt jedes Mal ein furchtbarer Ekel, wenn ich sie mittwochs in ihrem WG-Zimmer befriedige. Hinterher redet sie immer vom nächsten Projekt, von ner Abschlussarbeit, und ganz am Ende fragt sie mich, wie ich denn so mit meinen Projekten vorankäme. Sie weiß, dass das der Zeitpunkt ist, an dem ich mich anziehe und sie verlasse. Ich passe irgendwie nicht in diese Zeit. Ich kaufe CDs, weil mir dieser Retroplattenscheiß echt widerlich aufstößt, dabei finde ich Platten (also die aus Vinyl) ziemlich GEIL, haben einen unvergleichbaren Sound. Mucke downloaden find ich auch ätzend. Mir fehlt da irgendwie die Bindung zum Künstler, fühl mich dann nicht so angesprochen. Annette besitzt eine ganze Festplatte voll mit Musik. Ich schätze sie für ihren Musikgeschmack. Ist ja selten geworden, dass Mädels auf Sounds abfahren, die nicht in den gängigen Clubs laufen und meist noch so richtig handgemacht sind ohne viel Beatmaschine und Synthesizer und all das Zeug. Auf ihrer Festplatte sind auch Filme, wirklich gute Filme. Kein Blockbusterscheiß, und wenn, dann nur die Sachen, die auch noch in 100 Jahren Kult sein werden. Kult kommt von Kultur, und Kultur befindet sich, so wird es ja in der Wissenschaft behauptet, in einem stetigen Wandel. BULLSHIT! Der gute SCHEISS bleibt und wird ja immer Bestand haben und eben auch die guten Künstler; in 100 Jahren prägen die ja dann uns, den Mob, den schlichten Menschen beeinflussen sie, und das auch wieder auf 100 Jahre oder so. Annette will noch nicht ganz wahrhaben, dass Kunst konsumieren noch nicht dasselbe ist wie Künstler sein. Auch wenn sie Gitarre spielt und dazu selbst komponierte Melodien mit Texten zischt und haucht. Ich glaube, sie hat da so ein ganz DANDYMÄSSIGES Selbstbild. Übrigens wird das Wort „dandymäßig“ bei Word rot gezackt unterstrichen. Annette und ich pilgern oft in die immer gleichen Cafés und essen Rhabarberkuchenstücke mit Sahne. Dazu gibt`s Schokolikörmilchkaffee. Dann ziehen wir Stunden durch die Szeneviertel, sammeln Zeitschriften und Klamotten und gehen am Ende in irgendeine dieser Bars, wo man sich bis 4 Uhr morgens und länger mit Bier und Schnaps und ab und zu mit anderen Dingen berauscht. Wir sind dann oft sehr voll, und während Anette endorphindurchströmt (rot gezackt) durch den Laden tanzt, komme ich nicht weg von dem Gedanken, nicht dazuzugehören. Es ist einfach nicht meine Zeit. Ich weiß nicht, was mal aus mir werden wird. Ist auch nicht so wichtig, erst mal dieses BEKACKTE Studium rumkriegen, bisschen Kohle nebenher verdienen und nach dem Abschluss mal ne Weile ins Ausland. Da kommt man dann auf andere Gedanken und kann sich überlegen, wie es weitergehen soll. Mein Philosophieprof. Dr. Kippenhauser braucht auch noch ne wissenschaftliche Hilfskraft, vielleicht geh ich morgen mal in seine Sprechstunde und lass mich von ihm VÖGELN. Intelligente Männer find ich ohnehin recht anziehend, und vielleicht plauder ich hinterher mit ihm über den freien Willen.
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GALERIE
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INTERVIEW: CHRISTINA KUHN FOTOS: ALESSANDRO DE MATTEIS
„Wir stellen aus, was uns gefällt.“ DAS ZUSAMMENSPIEL VON WERKEN UND RAUM SPIELT EINE TRAGENDE ROLLE IN DER FOTOPENSION. IM GESPRÄCH LIEFERT SINA WERNER EINBLICKE IN DIE ARBEIT DER SÜLZER GALERIE.
Auf diese Galerie trifft man nicht mal eben durch Zufall, es sei denn, man ist gerade in der Nachbarschaft unterwegs. Wer in die Fotopension in der Sülzer Marsiliusstraße kommt, hat seinen Besuch für gewöhnlich geplant. Ich bin mit Sina Werner, eine der acht Galeristinnen und Galeristen, verabredet. null22eins: Die Fotopension ist ein Ausstellungsort abseits der ausgetretenen Pfade. Ihr selbst beschreibt euch als „Gesellschaft in der Gesellschaft“, die Professionalität zwar gern sieht, aber das „denkende, originelle Auge“ vorzieht. Ist das der nötige Ansatz für eine Galerie fernab der klassischen Adressen? SW: Ja. Mit einer Lage wie der unsrigen, in einer kleinen Seitenstraße, macht es keinen Sinn, mit den typischen Citygalerien zu konkurrieren. Stattdessen setzen wir etwas entgegen. Eine klassische Vernissage sieht in der Regel so aus: Da gibt es zum einen die scheinbar eingeweihten Besucher mit einem obligatorischen Glas Sekt in der Hand und zum anderen Leute, die zögern, die Galerie zu betreten, die Angst davor haben, nicht mitreden zu können. Wer dagegen zu uns kommt, verbringt eine entspannte Zeit im Kreis von Menschen wie du und ich. null22eins: Drückt das auch der Name Fotopension aus? Dass ihr ein Zuhause auf Zeit bietet – nicht nur den Werken, sondern auch dem Gast – und dem Künstler?
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SW: Richtig. Jeder kann wie bei Freunden reinschneien, soll Fragen stellen und mitdiskutieren. Vernissagen dauern bei uns immer etwas länger. Und unsere Künstler haben auch schon in diesen Räumen genächtigt. null22eins: Ihr beschreitet also andere Wege. Seht ihr euch als Subkultur? SW: Kommerziell könnten wir hier nur scheitern, das bedeutet aber nicht, dass wir dem Konsum konsequent abschwören. Die ausgestellten Werke sind für gewöhnlich zu kaufen. Wir verstehen uns als Ort, an dem etwas mit Fotografie geschehen kann. Das kann ganz unterschiedlich aussehen. Auch wenn sich alles um Fotografie dreht, sprengen wir gern mal die Grenzen zwischen den verschiedenen Kunstdisziplinen. null22eins: Wie sieht dieses Sprengen genau aus? SW: Wir haben eigentlich immer Livemusik bei unseren Vernissagen – oft von lokalen Bands, die wir kennen, wobei wir versuchen, die Musik auf die ausgestellten Werke abzustimmen. Ab und an gibt es auch Lesungen oder einen Artist Talk. null22eins: Geht es bei den Ausstellungsobjekten selbst auch um mehr als reine Fotografie? SW: Absolut. Wir finden es spannend, wenn Künstler noch etwas zusätzlich zu ihren Fotos mitbringen – vielleicht eines der dargestellten Objekte selbst. Eine unserer letzten Ausstellungen machte Anton Kirchmair. Er kam mit einer riesigen Holzkiste in die Fotopension. Denn die Hülle, die Verpackung seiner Werke, hat für ihn einen eigenen Wert und steht gleichberechtigt neben dem eigentlichen Objekt. Seine ausgestellten Fotos zeigen folgerichtig Hüllen – aus Kohlepapier –, die von ihrem Inhalt, den Skulpturen, befreit wurden. null22eins: Wie entsteht der Kontakt zu den Künstlern? SW: Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal stoßen wir selbst auf jemanden, den wir toll finden. Viele bewerben sich
über die Homepage oder stellen sich an einem unserer offenen Abende, dem Open Slide/Beam, vor. Die finden alle acht Wochen statt, und jeder kann kommen und seine Fotos zeigen. Ab und zu fällt uns dabei jemand besonders ins Auge, zum Beispiel einer unserer letzten Gäste, Peter Waterschoot. Er kam extra aus Gent, um beim Open Slide seine Werke zu zeigen. Wir fanden: „Der Mann hat eine eigene Bildsprache. Seine Motive sprechen uns an. Der kann doch mal eine richtige Ausstellung bei uns bekommen.“ null22eins: Was hat euch an ihm besonders gefallen? SW: Mich fasziniert an Peters Fotografien das zutiefst Romantische. Er selbst sagt, er wolle beim Betrachter das Unheimliche wachrufen. Hierzu zeigt er uns eine leere, morbide Kulisse, von allem Menschlichen befreit – wie eine Bühne ohne Darsteller. Die Leere zu füllen, das überlässt er wiederum der Assoziation des Betrachters. Waterschoot spielt mit unserer aller Angst vor dem Zerfall von Sicherheiten. null22eins: Besetzt ihr mit euren Themen und Künstlern gern Nischen? SW: Grundsätzlich gilt: Wir stellen aus, was uns gefällt. Das kann unterschiedlichsten Inhalts sein. Reine Dokumentarfotografie sucht man wohl vergebens bei uns. Wichtig ist, dass ein Künstler uns ein Ausstellungskonzept für die zwei kleinen Räume liefert und wir das Konzept für schlüssig befinden. null22eins: Gefallt ihr euch auch selbst? SW: Das machen wir hin und wieder auch und stellen unsere eigenen Werke aus – schließlich sind wir alle aktive Fotografen, einige auch professionell. Johannes Abels stellte vor einem Jahr seine „Prozessbilder“ aus. Kurz danach war er einer von uns – auch so kann es gehen.
WEITERE INFOS www.fotopension.de
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MUSIK
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Erinnerungen an
SEIT NUNMEHR ACHT JAHREN KREIST LEBENSGROSS EINE PAILLETTENVERZIERTE DISCOSAU ÜBER DEN KÖPFEN FEIERWÜTIGER KÖLNER. WEDER DIVERSE LOCATIONWECHSEL NOCH DIE DADURCH BEDINGTEN ATMOSPHÄRISCHEN ÄNDERUNGEN SETZTEN DEM ENTSPANNTEN GRUNDGRUNZEN ZU. WIR TREFFEN IRWIN LESCHET, DEN GEISTIGEN VATER DER SILBERSCHWEIN-PARTYREIHE, UM UNS AUF EINE ZEITREISE HIN ZU VERSCHOLLENEN PERLEN DES KÖLNER NACHTLEBENS ZU BEGEBEN.
Der gemeine Kölner scheint ein Faible für Tiere als Maskottchen zu pflegen. Bekannteste Beispiele für diesen Fetisch sind Hennes und Sharky, die mitunter mitleiderregenden Maskottchen von FC und KEC. Glücklich kann sich schätzen, wer als Vierbeiner eine Partyreihe bewerben darf. Die obligatorische – jedoch nicht ausschließlich in Köln ihr Unwesen treibende – Indiekatze bewarb längere Zeit die Agenda Suicide Party. Neben ihr brachte es vor allem ein der elektronischen Tanzmusik verpflichtetes Schwein zu überregionalem Ruhm. Das Silberschwein kreist seit Juli 2004 über den Köpfen feierwütiger Kölner. In dieser Zeit hat es viel gesehen, so auch die Entwicklung der Partyreihe vom Geheimtipp in Ehrenfelder Off-Locations hin zu einem Pflichttermin für ein breites Publikum in zwei großen, etablierten Clubs. Geistiger Vater der Silberschweinpartyreihe ist Irwin Leschet. Seit 1996 in Köln beheimatet, fand er seinen akustischen Nährboden im Dunstkreis des legendären Liquid Sky und bereicherte fortan bestehende Partyreihen und etablierte Clubs wie das ARTheater, den Elektro Bunker oder die legendären Shoop! Open Airs. 2003 startete Leschet die monatliche Party BoilDown in der BarEhrenfeld. Das hier erprobte musikalische Konzept fernab starrer Genrefessel entpuppte sich dank des – für die kleine Lo-
cation in der Keplerstraße nicht zu bewältigenden – Besucherandrangs schnell als vielversprechendes Fundament für ein Clubformat. Zeitnah wurde eine leer stehende Industriehalle erschlossen. Die Idee wurde geboren, das Schwein erschaffen, der Sound aus der BarEhrenfeld exportiert und erweitert. Holger „Und Ich“ Risse bereicherte als zweiter Resident-DJ und Verantwortlicher für Artwork (Flyer und Poster) und LiveVisuals die Party. In die Silberschweinhalle verirrte sich kaum mainstreamlastiges Ringpublikum. Ihre Erschließung war die Geburtsstunde der temporären Partyhochburg „Grüner Weg“ (zu besten Zeiten mit der Papierfabrik (R.I.P.), dem Sensor Club (R.I.P.) sowie der Werkstatt). Nach einem Jahr wurde die Halle unter dem Namen Werkstatt gastronomisch erschlossen. Ihr Industriehallencharme blieb ihr glücklicherweise jedoch zeitlebens erhalten. Und auch die Silberschweinpparty blieb ihrer Entdeckung bis auf einige sommerliche Ausflüge an die frische Luft treu. 2006 zog die Werkstatt auf die gegenüberliegende Straßenseite. Die Silberschweinparty begleitete den Umzug musikalisch und bespielte an einem unvergesslichen Abend den dortigen „Rohbau“, ehe sie sich wieder in die „Silberschweinhalle“ – nun
analoge Zeiten
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TEXT: CHRISTIAN LÖHDEN, STEPHAN STRACHE FOTO: SILBERSCHWEIN (PROMO)
auf den Namen Sensor Club hörend – zurückzog. Durch Erweiterung um eine angrenzende Halle bekam die beliebte Party einen zweiten Floor und wurde dadurch musikalisch vorwiegend um Indie sowie eine Prise Trash bereichert. Dem Sensor Club blieb das Silberschwein bis zu dem heraufbeschwörten Ende 2009 treu (letztendlich wurde der Sensor Club doch erst 2011 abgerissen). Anfang 2009 wurde mit dem Stadtgarten eine neue Heimat gefunden und der – seit dem Wegzug von Total Confusion Mitte 2006 verwaiste – Slot einer regelmäßigen elektronischen Partyreihe durch das Silberschwein neu besetzt. Das von den Machern geförderte Gefühl einer „SilberschweinFamilie“ – geprägt durch einen engen und freundschaftlichen Kontakt zu den Gästen – half beim Umzug. Das Stammpublikum blieb. Aber auch neue, durchweg relaxte etwas ältere Gäste entdeckten die Partyreihe, deren Konzept mit Lächeln statt Schreien, Umarmen statt Stagediven, freundlichem Miteinander statt expressiver Selbstdarstellung zu gefallen weiß. Im Stadtgarten etablierte sich noch ein dritter, dem Soul, Funk und Disco huldigender – von „Souleil“ gehosteter – Floor. Im Herbst des gleichen Jahres folgte die Gründung des gleichnamigen Labels „Silberschwein Music“, um dem eigenen musi-
kalischen Output eine entsprechende Heimat zu bieten. Mit Eröffnung des Club Bahnhofs Ehrenfeld fand sich zudem wieder eine geeignete Ehrenfelder Location. Da man mittlerweile aber auch den Stadtgarten lieb gewonnen hatte, pendelt die Discosau fortan entlang der Venloer Straße zwischen beiden Clubs, unterbrochen von Sommerfrischen in Odonien – das dortige Sommerfestivälschen hat Kultcharakter. Die Macher sind sich sicher: Silberschwein ist nicht an einen festen Ort gebunden, vielmehr erscheinen die wechselnden Orte der Veranstaltung eher zuträglich. „Wir haben uns bei den Gästen mittlerweile das Vertrauen erarbeitet, dass die Musik – egal, wer auflegt – immer gut ist. Die Gäste kommen nicht wegen einzelner DJs, sondern wegen der Party und der Stimmung an sich“, so Irwin Leschet. Die Party samt Discosau sei der „Star“. Lassen wir uns überraschen, welche neuen Locations uns das Silberschwein noch erschließt. Immerhin hat Irwin Leschet für die Zukunft weitere Großtaten geplant – so ist beispielsweise ein Export in andere Städte angedacht.
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MUSIK
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BANDS IN UND AUS KÖLN OWWL Das Köln-Bonner Duo Owwl bedient ein Genre, das erklärt werden muss: Drone nennt sich diese Musik, die vor allem aus Klangteppich besteht. Es geht nicht darum, ein Publikum zum Tanzen zu bringen oder Gefühle zu wecken, sondern den reinen Klang zum Ordnungsprinzip zu erheben. Rhythmus oder Melodie entstehen zufällig – wenn überhaupt. Bei dieser Kombination aus antikem Harmonium und stark verfremdeter Gitarre spielt der Klang die Hauptrolle. Auf ihrer neuesten CD „Dark Places“ führen Owwl dieses Prinzip konsequent fort. Im Vergleich zu ihrem selbst gebrannten CD-Debütalbum von 2010 sticht „Dark Places“ vor allem durch die professionelle Aufmachung hervor. Kein Wunder, ist die CD schließlich bei einem Spezialisten für das Genre, Uech Records, erschienen. Die Soundvision kann bedrückend wirken oder erhebend. Das ist je nach Blickwinkel Vor- oder Nachteil dieser Musik, die sich aller gewohnten Ordnung entzieht: Sie kann alles und nichts aussagen. owwldrone.bandcamp.com
KIWI Die Band KIWI kommt auf ihrer Sommertour nach Köln. Der Schein trügt, sollte man aufgrund der Größe der zierlichen Frontsängerin Kleines erwarten. Voller Energie reißt KIWI das Publikum in ihren Bann und wirkt doch im nächsten Moment so zerbrechlich, dass man sich kaum traut zu atmen. Wo sich Pop, Electro und Jazz die Hand geben, geht die Musik tief unter die Haut und versetzt in einen wunderbaren musikalischen Rausch. Den Abend eröffnet die Sängerin Franzi Kusche. 20. Juli, LICHTUNG, Beginn: 21 Uhr 30 www.myspace.com/kiwipopforthesoul
YOU CALLED TO LISTEN Ein Musiktrio aus Köln, das sich mit seiner akustischen Musik irgendwo zwischen Singer-Songwriter, Folk und Indie-Pop bewegt: emotional, ausdrucksstark, von melancholisch bis temperamentvoll und voller Dynamik. Instrumental umgesetzt werden die Klänge durch Gitarrenspiel und Piano, vielfältig ergänzt durch Akkordeon, Glockenspiel oder Cello. Die markante männliche Leadstimme wird durch weibliche Backingvocals unterstützt, die sich in ihrer wunderbaren Unterschiedlichkeit unverwechselbar ergänzen. youcalledtolisten@gmx.de www.facebook.com/youcalledtolisten www.soundcloud.com/youcalledtolisten
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„ES GEHT UM RESPEKT“ PRÄZISION. ADRENALIN. RISIKO. NICHTS VERKÖRPERT DIESE DINGE SO SEHR WIE DIE SPORTART PARKOUR. GENAU DESHALB IST WILLY AUCH SO EIN GROSSER FAN DAVON. BEINAHE TÄGLICH TRAINIERT ER, HINDERNISSE WIE MAUERN ODER MÜLLCONTAINER ZU ÜBERWINDEN. ABER AUCH VOR BRÜCKEN UND KIRCHEN MACHT ER KEINEN HALT. Er zieht seine Beine an, hüpft ein paarmal auf der Stelle auf und ab. Dann nimmt er Anlauf und springt. Mit seinen Händen stützt er sich auf der Mauer ab, fliegt über sie hinweg, macht einen Vorwärtssalto und landet im Stand auf einer Garage. Wer das sieht, kann seinen Augen kaum trauen. Sofort wird man von der Begeisterung gepackt. Doch zugleich schreckt man innerlich zusammen. Hofft, dass nichts passiert. Für Willy, auch unter dem Künstlernamen BigShaady bekannt, sind Stunts wie dieser nichts Besonderes: Sie gehören zu seinem Alltag. Schon seit seinem elften Lebensjahr trainiert er regelmäßig seine Sprungkraft, stärkt seine Muskeln und probiert neue Dinge aus. Momentan übt Willy doppelte Salti. „Ich bin schon immer gern und viel geklettert. Früher wusste ich nur noch nicht, dass das, was ich mache, Parkour ist“, sagt der heute 15-Jährige. Parkour ist eine Sportart, die in den letzten Jahren immer mehr zum Trendsport geworden ist. Dabei bauen die Sportler ihre Umgebung in ihre Bewegungen mit ein. Es geht darum, Hindernisse so schnell wie möglich zu überwinden. Dabei wird gesprungen, geflogen, sich abgestützt und auch zum Teil getanzt. Nichts ist vor diesen Sportlern sicher. „Parkour ist zu meinem Leben geworden. Er ist ganz normal für mich – wie das Atmen. Was ich an Parkour liebe, ist das Gefühl zu fliegen und völlig frei zu sein.“
TEXT: CHARLOTTE BRAUN FOTOS: ANNA SHAPIRO
SPORT
Doch auch wenn der Jugendliche Tag für Tag seiner Leidenschaft nachgeht, wird sie für ihn nicht zur Routine. Willy probiert fast jedes Mal etwas Neues aus. Schwierige, anspruchsvolle Sprünge und Akrobatikelemente übt er zunächst in der Halle. „Meinen ersten Salto in freier Natur habe ich erst nach drei Jahren Training gemacht. Ich musste mir sicher sein, ihn wirklich zu stehen. Solange habe ich drinnen mit Matten geübt.“ Es geht in Etappen voran. Erst langsam, dann immer schneller. Einzelne Bestandteile der Choreografie werden immer und immer wieder trainiert. Zuerst ist beispielsweise die Sprungkraft dran. Begonnen wird mit kleinen Abständen zwischen zwei Hindernissen, danach folgen immer größer und breiter werdende Objekte, die zu überspringen sind. Es wird gefeilt, bis alles perfekt aussieht und zu 100 Prozent klappt. „Am Anfang geht’s nur mühsam voran. Doch irgendwann hat man es raus, dann geht’s auf einmal ganz schnell. Man hat einfach mehr Kraft, kann sich einfacher hochziehen. Außerdem wird man mutiger, weil man an Sicherheit gewonnen hat“, erklärt BigShaady. Doch nicht alle sind so frei von Angst. Für die Mutter des Extremsportlers war es zu Beginn gar nicht so einfach, das Interesse ihres Sohnes zu tolerieren. Mittlerweile hat sie sich jedoch mit Willys Leidenschaft arrangiert – auch wenn sie ihm immer noch nicht live dabei zusehen kann. Für den Sohn ist das okay, denn seine Stunts sind inzwischen auch als Videos im Netz zu sehen. Durch diese möchte der gebürtige Russe seinem Traum vom bekannten Parkourläufer ein Stück näher kommen. Willy möchte wie sein Vorbild Erik Mukhametshin, der ebenfalls in Russland geboren und ein bekannter Parkourläufer ist, auch in Shows performen. Dafür tut BigShaady alles. Sein nächster Schritt: eine Ausbildung zum Stuntman. Durch seine langjährige Erfahrung und sein ausgeprägtes Talent erhofft sich Willy einen guten Einstieg in die Branche. Nächstes Jahr warten dann auch die ersten Wettbewerbe auf ihn. Er möchte der Welt zeigen, was in ihm steckt und wozu er fähig ist. Schon jetzt hat Willy seine eigenen Fans. Egal, wo er in Porz auftaucht und seine Sprünge zeigt, eine Schar begeisterter Kinder läuft ihm immer hinterher. Im Sommer beobachten Inte-
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ressierte oft, wie Willy trainiert. Gespannt verfolgen sie seine Stunts und applaudieren ihm. „Das ist schon ein schönes Gefühl. Es motiviert mich. und ich bin dann noch konzentrierter. Vor Zuschauern zu patzen wäre wirklich schlimm.“ Gepatzt und sich verletzt hat Willy bisher kaum. Ein paarmal waren Handgelenk und Bein zwar schon verstaucht, vor schlimmeren Verletzungen ist er aber verschont geblieben. „Ich gucke mir neue Sprünge vorher genau an und überlege, ob ich mich schon traue oder lieber noch trainiere. Angst habe ich keine, es geht eher um Respekt.“ Willy ist es wichtig, selbst kreativ zu werden. Parkour – das bedeutet für ihn, sich nicht nur an den Ideen anderer zu bedienen, sondern sich selbst von der Natur inspirieren zu lassen. „Man muss mit der Umgebung spielen, sie einbinden. Je besser man ist, umso mehr Ideen hat man. Es stehen einem dann mehr Wege offen.“
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ZURÜCK ZUR NATUR: GEMÜSEANBAU IN DER CITY TEXT: ADAM POLCZYK FOTOS: ANNA SHAPIRO
DER GEMEINNÜTZIGE VEREIN KÖLNER NEULAND E.V. LÄSST DAS EHEMALIGE DOM-BRAUEREI-GELÄNDE IN BAYENTHAL DURCH KOLLEKTIVE GARTENARBEIT ERBLÜHEN. AUF DIESE WEISE ENTSTEHT EINE MOBILE GARTENANLAGE MITTEN IN KÖLN.
KÖLN-SZENE
Neben Kohlrabi, Zuckererbsen, Blumenkohl, Pastinake oder Waldmeister kann man momentan auf dem ehemaligen Industriegelände zwischen Alteburger und Koblenzer Straße auch die französische Kartoffelsorte La Ratte in den eigens hergestellten Hochbeeten entdecken. Das Areal der ehemaligen Dom-Brauerei umfasst dabei eine Fläche von insgesamt 16.500 Quadratmetern, etwa so groß wie drei Fußballfelder. Ein Kreis von sieben engagierten Leuten gründete 2011 den Verein Kölner NeuLand e.V., der es sich zum Ziel gesetzt hat, das Gelände für die Bürgerinnen und Bürger Kölns wieder nutzbar zu machen. „Wir wollen einen seit Jahren brachliegenden und grauen Raum in etwas Blühendes und Grünes verwandeln“, so Mitgründerin Doro Hohengarten. Bereits im Juli vergangenen Jahres organisierte der Verein eine Aktion, bei der zu musikalischen Beats gepflanzt wurde. Dieses kollektive Erlebnis war der Startschuss für weitere Pläne und Aktionen. Seither treffen sich jeden Samstag um 15 Uhr Interessierte an der Koblenzer Straße, damit in Gemeinschaftsarbeit ein Garten mitten in Köln entstehen kann. Mittlerweile hat sich ein Netzwerk aus mehreren Hundert Menschen gebildet, die aktiv und passiv das Projekt unterstützen.
An der Konzeptionierung war auch die Kölner Fachhochschule beteiligt. Jürgen Wulfkühler, Dozent für Freiraumplanung und Landschaftsarchitektur an der FH, hatte im Rahmen einer Semesterarbeit drei Gruppen seiner Architektur- und StädtebauStudierenden Entwürfe für das Gelände anfertigen lassen. Die Macher von NeuLand wurden am meisten von den Ideen dreier Erasmus-Studenten inspiriert – ohne gerade Linien, sehr locker gestaltet, mit vielen Kurven und dynamischen, vielfältig nutzbaren Flächen. Alle konzipierten Gebäude sollen dabei, ähnlich wie die Pflanzkästen, mobil gestaltet werden. Ebenso ist geplant, neben dem kostenlosen gemeinschaftlichen Gärtnern regelmäßige Workshops anzubieten, bei denen Wissen über Anbau und Nachhaltigkeit an die Hobbygärtner weitergegeben wird.
Mobiles Pflanzen auf belastetem Industrieboden Da der Boden des ehemaligen Industriegebiets ungeeignet zum Gemüseanbau ist, musste die Gartenidee in diesem Fall etwas modifiziert werden. Der erste Punkt war ein neuer Untergrund aus Geotextil, Tennissand und Muttererde. „Wir sind aufgefordert worden, eine mindestens zehn Zentimeter dicke Schicht aufzutragen, die keinen direkten Kontakt zum Unterboden haben darf“, erläutert der NeuLand-Aktivist Daniel Beisenherz. Da der Eigentümer, der landeseigene Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW, das Gelände irgendwann wieder für seine Zwecke nutzen möchte, setzt der Verein auf Flexibilität – in Form von mobilen Hochbeeten. Aus diesem Grund wurden bislang etwa 70 bewegliche Pflanzkästen – weitere 100 sind geplant – aus einer Kombination aus ehemaligen Europaletten und sogenannten Bigbags, flexiblen und recycelbaren Schüttgutbehältern, angefertigt. Diese können jederzeit auch an andere Orte verlagert werden. „Es bestehen bereits Kontakte zu Kindergärten, Schulen, Altenheimen und weiteren sozialen Einrichtungen, die generelles Interesse an solchen mobilen Hochbeeten bekundet haben“, berichtet Mitgründer Dirk Kerstan. Bewässert werden die durchnummerierten und in Reihen aufgestellten Pflanzkästen bislang mithilfe eines 1.000 Liter fassenden Wassertanks, der zurzeit durch das aufgefangene Regenwasser des Nachbargrundstücks gespeist wird. Noch mehr Regenwasser-Sammelstationen wollen die Gartenaktivisten nach und nach aufbauen.
Kostenloses Gärtnern und soziales Miteinander Wie so ein innerstädtischer Gemeinschaftsgarten funktionieren kann, zeigt der Prinzessinnengarten in Berlin, wo neben den Hochbeeten auch ein Gartenladen und ein Bürgercafé entstanden sind. Ähnlich sieht der Plan in Köln aus, wie Judith Levold versichert, die ebenfalls zu den Vereinsgründern zählt: „Neben einem Gartenladen, dessen Erlös durch Verkauf von Kräutern, Salaten oder Kartoffeln dem Projekt zugutekommt, soll ein Café auf dem ehemaligen Industriegebiet entstehen, das sich hoffentlich zum sozialen Treffpunkt aller Mitwirkenden und Interessierten entwickelt.“
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WEITERE INFOS www.neuland-koeln.de
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KÖLNER PLÄTZE
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Bringt Leben zum Trafohäuschen!
UMGESTALTUNG DES ALPENERPLATZES
Ehrenfelder Räume sind beliebt. Zwischen den U-Bahn-Haltestellen Leyendeckerstraße und Äußere Kanalstraße ziert aber ein Platz die Venloer Straße, der sich dieses kleine Wort erst noch verdienen muss: Der Alpenerplatz ist in der Wahrnehmung nicht lebenswert. Er ist grau und viel zu häufig vermüllt. An einem alten Trafohäuschen auf dem Platz hängt ein Spritzenautomat für die Versorgung Drogenabhängiger mit sterilem Material – kein Platz zum Verweilen. Die Interessengemeinschaft (IG) Alpenerplatz geht das Problem an und will aus dem 1.150 Quadratmeter großen Ort einen Treffpunkt für Eltern und Kinder machen, einen öffentlichen Raum. Der Spritzenkasten soll weg. Für das Trafohäuschen gibt es neue Aufgaben. Die beiden Architekten Christoph Erxleben und Arthur Lingk haben dazu bereits vor zwei Jahren einen konkreten Plan aufgestellt. „Ich kann mir darin etwa einen Laden für eine lokale Bä-
ckerei, ein Café oder einen Kunsthändler vorstellen“, so Lingk. Ihre als urbane Akupunktur bezeichneten Ideen sehen eine Belebung des Ortes ohne große Mittel vor. Im Frühjahr hat die IG Alpenerplatz mit dem „Start-Schuss!“ dafür weitere Unterstützer gebündelt und vor Ort etwa 50 Anwohner und Freunde an dem leblosen Ort versammelt, die ihre Ideen für die Umgestaltung des Platzes teilten. Insgesamt soll mehr Licht und Farbe her. Es könnten mehr Grün gepflanzt und mehr Sitzgelegenheiten installiert werden. Die Stadtverwaltung hat bisher auf die Initiative einer Lehrerin und ihrer Schüler einen Betrag von 10.000 Euro für die Neugestaltung zur Verfügung gestellt. Das reicht jedoch noch nicht. Der Alpenerplatz wird nur vom ehrenamtlichen Engagement wirklich aufleben können und hat in der Bürgerinitiative die richtige Struktur dafür gefunden – für alle, die sich selbst beteiligen möchten, egal ob mit Ideen oder Spenden.
TEXT: CHRISTINE WILLEN FOTOS: EVI BLINK
WEITERE INFOS issuu.com/erxleben/docs/ urbaneakupunktur_ehrenfeld2012 ig-alpenerplatz.blog.de
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„We are City“ – das sind Athenea Diapoulis und Simon Hariman, zumindest im Hintergrund. Denn hinter ihrer Idee, die null22eins von Beginn an begleitet hat, stehen Menschen und ihre Lieblingsorte. Das Format lebt von schönen Fotos, kurzen Text und einem ansprechenden Design. Auch daher hatten die beiden bisher ihre ganz eigene Seite in unseren Ausgaben. Nun haben sie ihre Fotocollagen von interessanten Kölnern an interessanten Orten in ein viel größeres Format „geheftet“ und veröffentlichen ihr über 230 Seiten starkes Buch „We are Cologne“. Als Streetstyle-Cityguide bezeichnen Athenea und Simon, beide selbst Designer, ihren eher unkonventionellen Stadtführer. „Es sind authentische Tipps von Kölnern, denen wir auf der Straße über den Weg gelaufen sind. Und genauso vielfältig wie die Menschen, die wir trafen, sind auch ihre Lieblingsorte.“ So ist ein bunter und ästhetisch sehr ansprechender Blick auf die Domstadt entstanden, der mit einfachen und knappen Informationen, aber ab und zu auch mit echten Geheimtipps Kölner wie Nichtkölner begeistern kann.
ISBN: 978-3-89705-942-9 Preis: 12,90 Euro
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UMSONST UND DRAUSSEN
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NULL22EINS BELEUCHTET VIER BEKANNTE KUNSTWERKE IM ÖFFENTLICHEN RAUM ZUM SOMMER ETWAS NÄHER. SIE SIND FAST JEDEM GELÄUFIG. UND DENNOCH SCHWEIFT DER BLICK HÄUFIG NUR KURZ DARAN VORBEI. ÖFFENTLICHE KUNST IN KÖLN HAT VIELE SCHICHTEN. TEXT: ROBERT FILGNER FOTOS: ANNA SHAPIRO EVI BLINK ALESSANDRO DE MATTEIS Köln ist selbst ein Museum – mit unzähligen Kunstwerken in der gesamten Stadt. Und das nicht nur durch Architektur und geschichtsträchtige Orte. Es braucht lediglich offene Augen, um ohne Eintrittsgeld und anstrengende Schulklassen Meisterwerke großer Künstler zu sehen. Da null22eins dennoch ein Museumsfreund ist, sei hier schon auf eine Seite verwiesen, die in den nächsten Monaten – vielleicht aber erst in Jahren – auch die Freiluftkunst der Domstadt greifbar und erklärbar macht: Das Projekt „Kunst im öffentlichen Raum“ der Museen Köln möchte die mindestens 400 Objekte im Kölner Stadtgebiet erfassen und sammelt daher fleißig. Erste Eindrücke finden sich hier: www.museenkoeln.de/kunst-und-museumsbibliothek/default.asp?s=1654.
Eine Tour durch Köln Die kleine Tour beginnt am Neumarkt – mit einem oft betrachteten, aber heute selten hinterfragten Objekt: die Eistüte auf der Neumarkt-Galerie. Bewusst an dieser Stelle hat der Pop-Art-Mitbegründer Claes Oldenburg 2001 eine drei Tonnen schwere, zwölf Meter hohe Eistüte auf den Kopf gestellt. Unmittelbar am Tor zur Schildergasse steht dieses „Denkmal des banalen Alltags“ – so die Bezeichnung der gemeinsamen Arbeit des Künstlers und seiner Partnerin Coosje van Bruggen. Denn die Tüte soll als „elementares allumfassendes Symbol des Konsums“ verstanden werden. Und beinahe beiläufig simuliert die umgekehrte Tüte die Kölner Skyline, geprägt vom Dom und den romanischen Kirchen. Die „Dropped Cone“ ist nur eines von Oldenburgs überdimensionierten Kunstwerken. Der gebürtige Schwede wird in der Pop-ArtSzene direkt neben, teils sogar vor Andy Warhol genannt und hat seine Spuren an vielen Orten weltweit hinterlassen. Eine
weitere besondere Spur hinterließ er aber in Köln. Das Museum Ludwig ist im Besitz einer der größten Sammlungen seines Schaffens überhaupt. Und wem der Trubel am Neumarkt doch zu hektisch wird, dem sei ein Besuch in Kölns größtem Museum für Moderne Kunst auch in diesem Sommer empfohlen. Claes Oldenburgs ironischer Interpretation von Zeitgeist an besonderen Räumen kann vom 23. Juni bis 30. September im kühlen Schatten des Doms nachgegangen werden.
Blüte nach schwierigen Zeiten Ein weiterer großer Name der Kunstwelt hat sich im wahrsten Sinne nachhaltig in Köln verewigt. Gerhard Marcks war einer der prägendsten Bildhauer Deutschlands des 20. Jahrhunderts und wirkte in Köln gleich mehrfach. Am bekanntesten ist sein Albertus Magnus vor dem Hauptgebäude der Universität zu Köln, den er 1956 im Auftrag der Stadt anfertigte. Nachhaltig kann man diese Skulptur nennen, da sie gleich vierfach nachgebildet wurde – für die Universität Bogotá, die University of Texas in Houston und die Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Außerdem schuf Marcks im Jahr 1977 eine weitere Variante für das damalige Bundeskanzleramt in Bonn. 1950 war er nach Köln gekommen – in ein von Wilhelm Riphahn entworfenes und von der Stadt gesponsertes Atelierhaus, das er auf Lebenszeit kostenlos nutzen durfte. In KölnMüngersdorf begründete sein Schaffen eine kleine Künstlerkolonie, die sich aus der Bildhauerin Hildegard Domizlaff, dem Kunstmäzen Josef Haubrich und später auch Heinrich Böll zusammensetzte. Sie alle waren ein wichtiger Bestandteil, die Kultur im neuen Köln wiederaufzubauen und die nach dem Weltkrieg brachliegende Kunst neu zu beleben. Weitere Werke von Marcks in Köln sind die „Trauernde“
„Albertus Magnus“ an der Uni Köln: Gerhard Marcks hinterließ in seiner Atelierstadt Köln zahlreiche Spuren
vor der Kirche St. Maria im Kapitol am Heumarkt, die „Gaea“ im Rheinpark und an der Hohe Straße, sein „Düxer Bock“ am Gotenring in Deutz sowie die „Aegina“, die gut versteckt in seinem früheren Garten in Müngersdorf liegt – am heutigen Gerhard-Marcks-Weg. Diese Kunstwerke verdienten ebenso wie sein weiteres Schaffen in Köln allerdings einen eigenen Artikel. >
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Und so suchen wir nach einer weiteren Manifestation künstlerischen Wirkens im öffentlichen Raum Köln, die heute vielerorts nachwirkt – und stoßen auf die „Lackspur“ von Gunter Demnig, die als Messing-Platten-Spur bewahrt ist. 1990 zeichnete der Künstler einen Pfad quer durch Köln, vom ehemaligen Zwangsarbeiterlager in Bickendorf bis zum Deportationsgleis am Deutzer Bahnhof. Diese 15 Kilometer lange Spur gegen das Vergessen wurde den im Mai 1940 deportierten 1.000 Sinti und Roma gewidmet. Aus der Idee entwickelte Demnig wenig später seine in ganz Deutschland aufgegriffenen Stolpersteine, die er erstmals ohne Genehmigung vor dem Historischen Rathaus in Köln verlegt hatte. So entstand aus einem kleinen künstlerischen Zeichen eine würdige Form des Mahnmals, die der Dimension der Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs gerecht wurde und auch weiterhin gerecht wird.
Rebellisches mit offenen Augen Wir beenden diese kurze Reise mit Wolf Vostell und seinem „Ruhenden Verkehr“ mitten auf der Ringstraße zwischen Rudolf- und Friesenplatz. Das passt als Ausklang ganz gut. Denn dieser 1969 in Beton gegossene Opel gilt als erstes Happening in Europa – eine Form der Protest-Kunst, die in eine Zeit der kulturellen Blüte Kölns und des Rheinlands fällt. Der Beton steht laut Vostell für die Verhärtung und
Der „Ruhende Verkehr“ auf dem Hohenzollernring war Ende der 1960er das erste von vielen Happenings in Köln
Verkrustung von Verhaltensweisen und Zuständen. Eng verknüpft mit Joseph Beuys und Wolf Vostell, revolutionierte die damalige aktionistische Sozialkritik in Köln auch die Kunstwelt im gesamten Land. Und das auf sehr eigenwillige Art und Weise, wie dieses herrliche Fundstück bei Youtube zeigt: www.youtube. com/watch?v=f8eoazTOCWA. Happening und Fluxus als künstlerische Strömungen waren in den frühen 1960er-Jahren aus den USA nach Europa geschwappt. Diese Bewegungen richteten sich auch gegen die elitäre Hochkunst. Und das wiederum passt dann ganz gut in unsere heutige Zeit, in der mit Flash-
Startpunkt der „Lackspur“ von Gunter Demnig von Bickendorf bis Deutz
mobs und anderen Auffälligkeiten die Kunst ebenfalls wieder stärker in den öffentlichen Raum transportiert und als Form des Protestes verstanden wird. Es ist eben doch nicht alles neu erfunden, sondern manchmal nur neu entdeckt. Kunst in Köln ist überall, und mit entsprechend offenen Augen besonders reizvoll im Kölner Sommer zu entdecken. Bei Sonnenschein, mit Eis in der Hand, auf seinen ganz eigenen Spuren, manchmal nur wenige Meter ab vom regen Treiben durch Kölns Kunstwelt gehen, umsonst und draußen – hört sich doch gut an. Viel Spaß beim Entdecken.
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TEXT: SASKIA SEIPP FOTOS: ALESSANDRO DE MATTEIS
STEFAN SCHWADERLAPP VEREINT AUF BESONDERE ART UND WEISE KUNST UND HANDWERK. DER GOLDSCHMIED FERTIGT SCHMUCKSTÜCKE MITTELS EINES SPEZIELLEN VERFAHRENS AN: DER JAPANISCHEN MOKUMEGANE-TECHNIK.
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Ein sympathischer 29-jähriger Mann öffnet mir die Tür und führt mich durch einen idyllischen Hinterhof in seine Werkstatt. Gasflaschen, Lötkolben, ein Amboss, verschiedene Hämmer sowie eine Metallpresse und ein Tisch, dessen Platte durch einen ausgesparten Halbkreis in der Mitte sofort optisch heraussticht, zeigen mir, dass ich hier goldrichtig bin. Wie ich später erfahre, sind sowohl die Metallpresse als auch der Tisch selbst gemacht. Ein paar Minuten später duftet es nach frisch gebrühtem Kaffee. Man hat das Gefühl, nicht in einer Werkstatt, sondern in Stefans Wohnzimmer zu sitzen: Sofort herrscht eine warme und persönliche Atmosphäre. In gewisser Weise tut man das auch. Denn Stefan arbeitet nicht nur hier, er ist hier auch zu Hause.
Besonders technisch Seit drei Jahren verdient Stefan, der nach seinem Management & Policy AnalysisStudium fast in einem Planungsbüro für erneuerbare Energien gelandet wäre, seinen Lebensunterhalt mit Goldschmieden. Inspiriert, diese Arbeit auszuüben, haben ihn mitunter seine Eltern, die in Rees am Niederrhein eine eigene Goldschmiede betreiben. Bei einem Schweizer Goldschmied und während eines Aufenthalts in Dänemark, im Rahmen eines internationalen Goldschmied-Treffens, hat er seine Fähigkeiten, insbesondere die Mokume-GaneTechnik, vertieft. Als Mokume Gane wird durchgehend gemusterter Schmuck bezeichnet, der seinen Ursprung vermutlich im Japan des 17. Jahrhunderts hat. Hierbei handelt es sich um eine Schmiedetechnik,
die Metalle schichtet und verschweißt. „Mokume“ heißt wörtlich übersetzt „Holzaugen“. „Gane“ bedeutet Metall. „Mokume Gane“ kann somit als „Metall mit Holzmaserung“ übersetzt werden. Da diese Technik einst ein gut gehütetes Geheimnis japanischer Meister war, wurde sie erst spät im Westen bekannt. Damals wurde Mokume Gane hauptsächlich dazu verwendet, Griffe von Klingen aufwendig zu verzieren. Heutzutage kommt sie überwiegend beim Fertigen von Schmuck zum Einsatz. Damit ist Stefan einer der wenigen Goldschmiede in Deutschland, die die Mokume-Gane-Technik beherrschen. Oft kommen seine Kunden von weit her, um sich beispielsweise ihre Trauringe anfertigen zu lassen.
Besonders schön Zum Kaffee gibt es einen Blick auf seine schönsten Stücke. Er zeigt mir neben wunderschönen Mokume-Gane-Trauringen auch seine andere Spezialität, die Damast-Trauringe. Mokume-Gane-Trauringe werden mit einem besonderen japanischen Verfahren angefertigt und zeichnen sich durch eine spezielle Optik aus: Querstreifen, Sterne und Linien in vielen Varianten zieren die Schmuckstücke. Diese entstehen durch verschiedene Arbeitsschritte, bei denen das Muster niemals unterbrochen wird. Zunächst werden mehrere Schichten verschiedener Metalle zu einem Rohling verschweißt. Während der weiteren Verarbeitung entstehen die Muster, die das fertige Produkt schon fast organisch aussehen lassen. Mit Edelmetallen wie Gelbgold, Weißgold, Rotgold und Palladium werden feine Muster gestaltet. Silber, Kupfer und Shakudo werden zur Herstellung kontrastreicher Stücke verwendet. Hinter dieser Arbeit steckt viel Liebe zum Detail. Und diese Liebe sieht man Stefan an. Mit leuchtenden Augen erzählt er mir, dass es häufig vorkommt, dass im Inneren des Rohlings bemerkenswerte Strukturen stecken, die es gilt, an der Oberfläche sichtbar zu machen.
WEITERE INFOS www.gold-schmiede.de
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Besonders einzigartig Eine Art Schatzsuche also? In gewisser Weise schon, denn jedes Stück ist ein Unikat. Genau wie die Trauringe, die aus Damaszenerstahl sind. Die Schmiedetechnik ist zwar ähnlich wie bei Mokume Gane, unterscheidet sich jedoch darin, dass Damaszenerstahl aus verschiedenen Stählen heiß geschmiedet wird, während man Edelmetalle, wie sie bei Mokume Gane verwendet werden, kalt schmiedet. Und was er schmiedet, kann sich sehen lassen: Trauringe, Colliers und Ohrstecker mit außergewöhnlichen Mustern liegen im Tresor, den Stefan für mich öffnet. Man spürt ganz deutlich: Stefan tut gern, was er tut. Oftmals vergehen Tage, bis er einen einzigen Ring gefertigt hat, denn Mokume Gane verlangt viel Detailarbeit. Neben fertigen Schmuckstücken, die er zum Verkauf anbietet, kann man natürlich auch seinen eigenen Entwurf bei Stefan in Auftrag geben. Ob mit Innen- oder Außengravuren, Materialwünschen oder in Bezug auf die Dicke des Schmuckstücks – Stefan macht sich nach den individuellen Vorstellungen und einer ausführlichen Beratung der Kunden an die Arbeit. So werden diese in den Schaffensprozess involviert. Und genau das macht es so persönlich. Ich bekomme große Lust, mir bei Stefan einen Ring anfertigen zu lassen. Denn eins ist sicher: Es wird ein Unikat sein – ganz allein für mich.
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MACHT AUCH PARTYS
AUS LEIDENSCHAFT ZUM BERUF – ODER ZUR BERUFUNG. AMON NANZ UND EINBLICKE IN DAS KÖLNER PARTYLEBEN. TEXT: ROBERT FILGNER FOTOS: ALESSANDRO DE MATTEIS, PROMO
Über den Spruch „Du machst jetzt also auch Partys“ musste Amon Nanz vor 2 Jahren leicht schmunzeln. Denn Amon ist ein Profi ; ein Profi in Sachen Events. Dazu zählt so ziemlich alles: von der kleinen eigenen Party über Veranstaltungskonzeptionen hin zu neuen innovativen Plattformen. Letzteres konnte der Wahl-Kölner erst Ende April bei der FRESH-urban.fashion.addiction erleben. Dieser neue Mix aus Präsentations- und Verkaufsmesse für junge, aber eben auch etablierte Modelabels zog in seiner zweiten Auflage knapp 2.000 Besucher in die Ehrenfelder Balloni Hallen. Hier werden bewusst Newcomer mit den Größen der Branche zusammengebracht. Und an Unterhaltungsprogramm drum herum fehlt es natürlich auch nicht. Einer der Organisatoren ist eben Amon. Der 33-jährige Veranstaltungskaufmann belebt die Kölner Szene schon seit über zehn Jahren. Und daher erhält er auch als Person hier einen Platz – und nicht „nur“ seine Veranstaltungen. Warum? Wir haben Sommer. „Und im Sommer kann Köln einiges“, betont Amon und liefert mit einem Blick auf seine zurückliegenden Jahre die Argumente, warum das so ist. Aber auch, warum es das zu bewahren gilt.
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Von kleinen Privatpartys ... Der Werdegang zum Veranstaltungskaufmann – heute auch gern etwas internationaler als Eventmanager tituliert – war bei Amon besonders. Immerhin wurde dieser Job erst während seiner Ausbildungssuche gegründet. Und schon vorher fiel er auf, indem er seinen Praktikumschef bei einer großen Kölner Eventagentur noch im ersten Monat überzeugen konnte, ihm seine eigene Ausbildungsstelle zu schaffen. Über sieben Jahre wirkte der gebürtige Bad Segeberger in der Firma vom Eventguru Manfred Schmidt und verantwortete schnell auch Großveranstaltungen und hohe Budgets deutschlandweit. Doch das macht sein Können nicht allein aus. Von Beginn an waren es seine Nebenschauplätze, auf denen er wirkte und die noch heute wirken – teils als legendärer Rückblick, teils als feste Party im Kölner Nachtleben verankert. „Eigene Partys sind meine Leidenschaft, und waren damals der perfekte Ausgleich oder – wenn man will – auch ein schöner Widerspruch zu den Glamour-Veranstaltungen, dem ganzen oberflächlichen VIP-Gefeiere.“ Seit 2000 ist Amon mit eigenen Partys in Köln unterwegs. Anfangs vor allem draußen. Manchmal 300, manchmal bis zu 700 Leute zogen seine privaten Events damals auf den Herkulesberg und unter die Rheinbrücken. Mit der Müllembridge-Madness – den unregelmäßigen Outdoorpartys unter eben jener Mülheimer Brücke – machte er sich dann bis zum Jahr 2005 endgültig einen eigenen Namen in der Szene. Aber auch beim Ordnungsamt. „Obwohl diese Geschichten echt witzig sind“, holt Amon aus. „Gerade unter der Mülheimer
Brücke hatten wir denkwürdige Augenblicke. Einmal wurde uns diese illegale Party vor Ort von oberster Behörde genehmigt! Ich konnte am Abend den Leiter des Ordnungsamts telefonisch überzeugen, uns eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen und somit hatten wir plötzlich die erste legale/illegale Party von Köln am Laufen, obwohl wir alle unter Adrenalin standen und sicher waren, die DJ´s aus Berlin und Hamburg und die bereits vielen Gäste nach Hause schicken zu müssen. Und der äußerst verständnisvolle Mann legte noch einen drauf, als wir eigentlich schon am Abbauen waren, und sagte: ‚Die Kollegen vor Ort werden Sie heute nicht mehr belästigen.‘ Dieser Spruch tat richtig gut.“ Man merkt Amon direkt an, dass sein Herz am Partymachen hängt. Mit der Polizei fand er in dieser Zeit immer einen ordentlichen Umgang, nur das Ordnungsamt spielte ab und zu nicht mit. Obwohl für ihn eines immer oberste Priorität hat: „Wir haben stets alles wieder in Ordnung gebracht. Das gehört zu unserem Stil. Und damit liefert man >
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Die Partyreihe „Feines Tier“ feiert im Juni ihr Zweijähriges.
den Behörden eigentlich kaum Argumente, die uns den Spaß nehmen könnten.“ Aber dieses Thema kennen in Köln viele Menschen, die zur Bereicherung der Szene beitragen wollen.
… und Kölner Partyleben Die Schwierigkeiten, die die Partyorganisatoren in Köln vorfinden, sind nicht gerade klein. Wer das Ungewöhnliche sucht und auch mal andere Orte bespielen will, stößt häufig an die Grenzen. Davon wissen Leute wie Amon einiges zu erzählen: „Die ganzen Outdoor- und Zwischennutzungsgeschichten sind hier echt ein Problem. Berlin geht damit viel lockerer um – auch von städtischer Seite her. Das spiegelt sich in der Vielfalt der Partyszene sofort wider.“ Auch deshalb gehört Amon zu Klubkomm – dem Netzwerk von und für Veranstalter in Köln. In diesem Verband Kölner Clubs und Veranstalter e.V. haben sich die großen, aber auch viele kleine Partymacher der Domstadt zusammengeschlossen. Denn die Mitglieder des Verbandes haben erkannt, dass auch die Party- und Musikszene eine Bereicherung für Köln ist. Die Verwaltung und Politik dieser Stadt tut sich damit leider noch schwer. Und das, obwohl Amon und seine Kollegen immer aufs Neue zu beweisen versuchen, dass die Bereicherung ganz im kulturellen Sinne zu verstehen ist.
Feine Tiere und viele Ziele Ein Beispiel dafür liefert „Feines Tier“, eine Partyreihe, die es stets versteht, Musik und Urban Art, DJs, Klangkünstler, Street-Art und andere visuelle Kunst miteinander zu verbinden und am 30. Juni im Odonien das zweijährige Bestehen feiert. Zusammen mit zwei Freunden und Phi-
lipp Fein, dem einen Resident DJ, hatte Amon die Veranstaltung vor zwei Jahren ins Leben gerufen. Damals – im Rahmen des popdesignfestivals pdf – ließen sie eine ganze Woche lang den Ehrenfelder Hochbunker zum Schauplatz für Musik und Kunst werden. Dabei präsentierten sich neben angesagten DJs auch beispielsweise die Künstler von Debug Visuals. Und auch heute suchen die „feinen Macher“ stets neue Spielorte und neue Formen der Party. Vielfältig eben, so wie die Menschen dahinter selbst auch. Die von „Feines Tier“ eingeschlagenen elektronischen Begleitsounds sind beispielsweise nur eine Facette von Amons musikalischem Geschmack und Veranstaltungsdasein. Auf der Suche nach Neuem und weiteren Zielen steht neben einem Festival in den nächsten Jahren wohl schon im Herbst 2012 ein Revival-Event an, das nicht nur ihn zehn Jahre und mehr zu-
rückversetzen wird. Viel steht noch nicht fest, außer: Es geht um HipHop, der älteren Schule, auf Deutsch – also Deutsch, das man auch versteht und das spaßig unterhalten kann. Und so kann man es bei Amon, seinen Veranstaltungen und künftigen Zielen so halten wie mit einem alten Lied. Auch wenn ihm ein Lied aus der Hamburger Szene vermutlich lieber wäre, passt doch eins von der Münchner Band Blumentopf aus dem Jahr 1999, das beinahe für eine ganze Generation die Wohnungs- oder Sommerpartys einläutete: „Rave on!“ Die Party hat gerade erst begonnen …
WEITERE INFOS www.reso-nanz.de www.feinestier.de www.fresh-exhibition.de
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im September PROJEKTRAUM
CAT COLOGNE Die drei Hauptkatzen und ihre zahlreichen Helfer haben vor zwei Jahren das Community Art Team CAT Cologne gegründet. Das Forum bietet internationalen Künstlern die Möglichkeit, während eines Arbeitsstipendiums ein Projekt zu realisieren. Im Sommer 2010 lud der Kunstverein das Kollektiv Parfyme ein. Die beiden Dänen suchten „Brennpunkte“ in Köln, stellten einen Truck als offenes Atelier hin und sprachen mit Menschen über deren ganz persönliche Kölner Stadtgeschichte; Stunden um Stunden, Tage um Tage. Daraus entstand eine „People powered time machine“ mit Illustrationen und einem rauschenden Sommernachtsfest mit Bluesmusik in der Alten Feuerwache. Im Jahr darauf, also im Sommer 2011, kam der New Yorker Künstler John Monteith für einen Monat mit sechs Kölner Kulturschaffenden aus den Bereichen Musik, bildende Kunst und Theater zusammen. Nachdem sie sich zweimal die Woche zum Abendessen getroffen und geredet hatten, bis die Köpfe dampften – über Köln, Architektur, Kunst und soziale Verhältnisse –, entstand eine Performance in Oliver Kunkels Galerie in Mülheim. Die Künstler und das Publikum saßen gemeinsam an einem quadratischen Tisch und luden zum Gespräch ein. Diesen Sommer möchte CAT Cologne in Zusammenarbeit mit der Kölner Künstlerinitiative Cometogether Projekt ein soziales Projekt mit dem Jugendzentrum Glashütte in Porz unternehmen. Ein dreiwöchiger Workshop findet während der Schulferien statt, bei dem die Jugendlichen aufgefordert sind, sich kreativ mit ihrer Umgebung auseinanderzusetzen. Über das Vorhaben und den Verlauf wird in der nächsten Ausgabe von null22eins berichtet.
DESIGN
WERKE VON MELA CHU „Auf den Teller hier haben vielleicht mal brave Hausfrauen ihre Kekse draufgelegt“, sagt Mela Chu und deutet auf ein altertümlich verschnörkeltes Porzellanstück. Inzwischen befinden sich darauf moderne Grafiken, welche die Designerin entworfen hat. Die Verbindung von Altem und Neuem spielt schon immer eine wichtige Rolle in Mela Chus Arbeiten: „Dass man eine alte Tradition von der Oma ehrt und mit dem Neuen in Verbindung bringt, das finde ich gut. Nach dem Motto: ‚Ich habe da ein neues Designstück, das ich mir an die Wand hänge, aber ich ehre gleichzeitig auch das Alte.‘“ Bereits vor fünf Jahren kam die Inhaberin der gleichnamigen Galerie in der Brüsseler Straße mit einer Weimarer Manufaktur ins Gespräch. Mit dem Ergebnis, dass das seit 1790 bestehende Unternehmen nun Unikate extra für sie herstellt. Eine Entwicklung ihrer Porzellanserie, die das Alte aber weiterhin in Ehren hält. Denn die Formen, in die das Porzellan gebrannt wird, sind teilweise noch aus dem 19. Jahrhundert. Die Stücke selbst, mit Kombinationen aus alten Verzierungen und Chus eigenen neuen Motiven, werden jedoch neu hergestellt. In der Herbstausgabe erfahren wir mehr über die Herstellung dieser Unikate und den künstlerischen Antrieb ihrer Schöpferin.
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