Predigerkirche Augustinerkirche Liebfrauenkirche
Zürich war und ist eine Handelsstadt, seine Kirchen und Klöster aber prägten lange Zeit massgebend das politische und geistige Wachstum der Region. Denn die Zürcher Altstadtkirchen waren immer mehr als nur Kirchen, sie waren Pilgerstätten, Machtzentren, geistige und kulturelle Orte. Dieses Erbe reicht weit über die Reformation hinaus. Jede der Altstadtkirchen steht exemplarisch für eine Epoche in der Zürcher Geschichte. Kompakt zeichnen die Autoren die Entwicklung der Kirchen von ihren Gründungslegenden in spätantiker und karolingischer Zeit bis heute als Tourismusmagnete nach und stellen die wichtigsten Personen und Ereignisse vor. Die detaillierten Bilder laden dazu ein, die Kirchen neu zu entdecken.
978-3-03810-438-4
DIE ZÜRCHER ALTSTADTKIRCHEN Yves Baer François G. Baer
Wasserkirche Fraumünster Grossmünster St. Peter
Yves Baer François G. Baer
DIE ZÜRCHER ALTSTADTKIRCHEN Eine Stadtgeschichte entlang der Sakralbauten
Yves Baer Franรงois G. Baer
DIE Zร RCHER ALTSTADTKIRCHEN Eine Stadtgeschichte entlang der Sakralbauten
NZZ Libro
Impressum Konzept: François G. Baer, Yves Baer Texte: François G. Baer, Yves Baer Gestaltung: François G. Baer Projektbegleitung: Pfr. Christoph Sigrist Lektorat: Regula Walser, Thomas Gamma, Dr. Rolf Steiner Satz und Bildbearbeitung: toolbox Design & Kommunikation GmbH, Zürich Druck und Einband: Kösel GmbH, AltusriedKrugzell ISBN 978-3-03810-438-4 © 2019 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel. Alle Rechte vorbehalten. Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb. ddb.de abrufbar. www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.
Die Autoren danken Dr. Dölf Wild, Stadtarchäologie Zürich und Dr. Nicola Behrens, Stadtarchiv Zürich für ihre wertvollen historischen Hinweise. Für allfällige Irrtümer sind ausschliesslich die Autoren verantwortlich. Folgende Institutionen und Personen haben die Veröffentlichung dieses Buches mit einem Produktionszuschuss ermöglicht: Reformierte Kirche Kanton Zürich Reformierte Kirchgemeinde Stadt Zürich Kirchgemeinde Grossmünster, Zürich Kirchgemeinde Predigern, Zürich Reformierte Kirchgemeinde Stadt Zürich, Kirchenkreis 1– Altstadt Christkatholische Kirchgemeinde Zürich Katholische Kirche im Kanton Zürich Gottfried und Barbara Locher
INHALT
Inhalt
Vorwort Sieben Kirchen und ihre Stadt
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Die Stadt und ihre Kirchen Zürich in der Spätantike und im Frühmittelalter Die Stadt entsteht Zürich, noble schwäbische Stadt Der Stadtstaat: Reformation, Orthodoxie und Aufklärung Von der Kleinstadt zur Metropole
12 22 27 38 49
Die Wasserkirche: Ein oft vernachlässigtes gotisches Kleinod Zum Standort Zur Baugeschichte Bildersturm, Umbauten und Renovationen Die zwei Gründungslegenden Gericht, Markt, Bäckerei und Museum: das Helmhaus Der «Gesundbrunnen» Die heutige Krypta Die Orgel Die Giacometti-Fenster Das Zwingli-Denkmal Die Stadtheiligen Felix, Regula und Exuperantius Die Wasserkirche als Gemeine Bürger-Bücherei und Kunstkammer Ein Universalgelehrter vor der Aufklärung: Johann Jakob Scheuchzer
66 67 72 76 78 79 80 81 81 82 84 86 88
Das Fraumünster: Frauenkloster, Königskirche und Zentrum der Macht Standort und Schenkung Zur Baugeschichte Die Gründungslegenden Die Fresken im Fraumünster
92 96 98 100
Das Chorgestühl 102 Die Fenster von Clement Heaton 102 Das Giacometti-Fenster 102 Die Chorfenster von Marc Chagall 104 Die Orgeln 106 Der Marienkopf in der Krypta 107 Der Kreuzgang 108 Die Prozessionsachse 110 Der Münsterhof: Zürichs einziger wirklicher Platz 112 Kirchliche Lehen in der Ost- und Innerschweiz 114 Die Äbtissinnen des Fraumünsters und die politische Macht 116 Hans Waldmann: Zürichs schwer fassbarer Staatsmann und Haudegen 118 Johann Caspar Ulrich, ein Prediger mit Charisma und Freund der Juden 120 Das Kratzquartier wird abgerissen und die Nationalbank gebaut 122 Die Predigerkirche: Geistiges Zentrum mit originalem Kern Der Predigerorden in Zürich Zur Baugeschichte Die romanische Predigerkirche Der Umbau und Chorbau Abtrennung des Chors und Umnutzung während der Reformation Die liturgische Innenausstattung Die Orgeln Die Kirchtürme Das Predigerkloster, vom Spital zur Zentralbibliothek Weiteres Die Beginen in Zürich Das Barfüsserkloster Vom Kloster zum Waisen- und Amtshaus: Das Oetenbachkloster Eine wechselvolle Geschichte: Die Juden in Zürich
126 128 129 130 133 135 136 138 139 141 142 144 146 148
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INHALT
Vom Wallfahrtsort zum geistigen Mittelpunkt der Reformation: Das Grossmünster
Vom Kloster über die Münzgiesserei zur christkatholischen Kirchgemeinde: Die Augustinerkirche
Zur Baugeschichte 152 Die Renovationen 156 Vom Chorherrenstift zur Universität 156 Gründungslegende und Karlskult 158 Die Fresken in der Kirche 159 Die Chorfenster von Augusto Giacometti 160 Die Kirchenfenster von Sigmar Polke 162 Die Orgel 163 Die Krypta 164 Die Zwölfbotenkapelle 164 Die Zwinglitür 166 Die Bibeltür 167 Der Kreuzgang 168 Die Chorherren und ihr Stift: Vom geistlichen Grossbetrieb zur Hohen Schule 170 Huldrych Zwingli: «Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit» 172 Heinrich Bullinger, Lehrer, Publizist und Reformationsvater 174 Die Reformation in Zürich 176 Seit 500 Jahren aktuell: Die Zürcher Bibel 182 Christoph Froschauer, der Buchdrucker der Reformation 184 Flüchtlinge in Zürich: Seit der Reformation eine verpflichtende Aufnahmepraxis 186
Die Gründungsgeschichte Zur Baugeschichte Reformation: Bildersturm und Umnutzung Umbau zur katholischen Kirche Die Gesamtsanierung von 1959/60 Die liturgische Innenausstattung von 1960 Die Fenster von August Wanner Die Orgel Das Augustinerkloster
St. Peter: Barockkirche und Zürichs Stadtuhr Unklare Gründung 190 Zur Baugeschichte 191 Neubau als reformierte Kirche 193 Das Chorgestühl 195 Die nachreformatorischen Orgeln 197 Kirchensatz, Dekanat und Filialgemeinden 198 Diakonat am Waisenhaus 200 Die petrinischen Rechte 200 Bemerkenswertes zum Kirchturm 201 Zürichs Stadtuhr 201 Leo Jud, der «liebe Bruder und treue Mitarbeiter in der Verkündigung des Evangeliums» 204 Johann Caspar Lavater, die Stimme in Zeiten der Empfindsamkeit 206 Sturm und Drang in Zürich und London: Johann Heinrich Füssli 208 Johann Jakob Bodmer und sein Kreis 210
214 217 219 220 222 224 225 225 226
Die Liebfrauenkirche: «Ein würdiger Bau» im vorreformatorischen sakralen Gewand Der lange Weg zur eigenen Kirche 230 Die Bauplatzfrage und das Landesmuseum 232 Zur Baugeschichte 234 Die ursprüngliche Innenausstattung 237 Die Fresken und Mosaiken von Fritz Kunz 239 Die weitere Ausstattung 240 Die Orgel 241 Die Krypta von 1980 241 Zur Pfarreigeschichte 242 Die Rekatholisierung Zürichs Anhang Glossar Personenregister Quellen- und Literaturverzeichnis Bildnachweis Adressen Karte Autoren
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VORWORT
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VORWORT
Sieben Kirchen und ihre Stadt
Die Zahlen sind eindeutig: In den vergangenen 20 Jahren sind die Zahlen der Besuchenden in den Altstadtkirchen explodiert. Nicht nur in Zürich, sondern in ganz Europa. Diese Nutzungsverschiebung weg vom sonntäglichen Besuch des Gottesdiensts hin zur alltäglichen Einkehr in den Kirchenraum macht heute einen Megatrend der pluralen Gesellschaft sichtbar: Religiöses Empfinden, spirituelle Erfahrungen, fromme Praxis binden Menschen immer weniger an Institution, Kirchenrecht und Lehramt, sondern an den als sakral beschriebenen oder empfundenen Kirchenraum. Religion löst sich von der Institution. Religion bindet sich an den Sakralbau. Der Raum der Zürcher Altstadtkirchen gerät in der vorliegenden grossartig erzählten Stadtgeschichte in den Fokus. Dabei entsteht bis heute eine besondere Reibung dadurch, dass in der Altstadt vor allem die reformierten Kirchen das Stadtbild prägen. Vor 500 Jahren haben die reformatorischen Kräfte alles unternommen, die heute als sakral empfundenen Bilder, Altäre, Sakralgeräte und Devotionalien aus den Kirchenräumen zu verbannen. Die Gründe sind bekannt: Die Korruption der Doppelbödigkeit der damaligen alten Kirche war offensichtlich; die Sakralität des Kirchenraums wurde in den Dreck gezogen; die Reichen ergötzten sich am Reichtum, die Armut stank bis zum Himmel. Doch mit dem Leerfegen des Kirchenraums verschwand die Sakralität der Bauten nicht. Heinrich Bullinger, der Architekt der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Zürich und Nachfolger von Huldrych Zwingli, dem Reformator, hält kurz und bündig fest: «Der Ort, an dem sich die Gemeinde versammelt, ist heilig, und zwar nicht aufgrund der bischöflichen Weihe, sondern weil die Heiligen – Gläubigen – Gottes dort versammelt werden, und aufgrund der heiligen Dinge, die sie dort verrichten.» Sakral empfängliche Menschen besuchen die Sakralbauten unserer Altstadt. Treffen sich Mensch und Raum im sakral gebauten Ort, entsteht Heiliges. Das Wort «heilig» ist die deutsche Übersetzung des lateinischen Begriffs «sacer, sacra». Daraus leitet sich das Wortfeld «sakral» ab. Menschen und sakrale Orte beziehen sich so stark aufeinander, dass heiliger Raum geschaffen wird. Die heiligen Raum schaffenden und ihn so als sakral empfindenden Gäste in unseren Altstadtkirchen hinterlassen Spuren in den Sakralbauten, nach Bullinger in zweierlei Hinsicht: Indem sie sich dort versammeln und indem sie heilige Dinge verrichten.
VORWORT
Die vorliegende Stadtgeschichte entlang der Sakralbauten zeichnet die Spuren über Jahrhunderte nach. Kirchen können als gebaute Texte des christlichen Glaubens gelesen werden, indem die Menschen die Texte ihrer Vorgänger und Vorgängerinnen korrigieren. Sie überschreiben diese gebauten Texte, reissen Blätter heraus, kleben neue hinein. Es wird zwischen den Zeilen geschrieben und bisweilen, aus heutiger Sicht, in unglaublich nicht sakraler, also profaner und weltlicher Weise uminterpretiert. Der vorliegende Band erzählt die Geschichten, Anekdoten, Episoden, Legenden und Bilder der einzelnen Bauten in flüssiger und schnörkelloser Sprache mit einem grossen Bildmaterial, die Lesenden werden in Bann gezogen. Wussten Sie, dass unter den Reliquien der Stadtheiligen Felix, Regula und Exuperantius auch der Daumen des grossen Kaisers Karl auf der Prozessionsachse zwischen Fraumünster, Wasserkirche und Grossmünster verehrt wurde? Wäre es Ihnen in den Sinn gekommen, dass die Altstadtkirchen in Zürich im Verlauf der Jahrhunderte zu Lagerstätten für Kartoffeln, Bücher und Geld, zu Spitälern und Stadtküchen wurden? Ist Ihnen bekannt, dass die katholische Liebfrauenkirche nur durch einen grossen Deal mit dem Landesmuseum gebaut werden konnte? Hätten Sie gedacht, dass das reformierte Grossmünster im 19. Jahrhundert die damalige Tagsatzung der Eidgenossenschaft beherbergte und so zum Nationalratssaal der Schweiz wurde? Die Stadtgeschichte entlang der Kirchen entpuppt sich als wahrer Krimi mit sakralen Noten. Spuren hinterlassen die Menschen in Sakralbauten, indem sie sich versammeln und indem sie heilige Dinge verrichten. Gewiss. Nur, im Verlauf der Jahrhunderte veränderten sich die Menschen und auch die heiligen Dinge. Heute besuchen Menschen jeder Religion, unterschiedlichster Konfession und aller Kulturen die christkatholischen, römisch-katholischen und reformierten Kirchen der Altstadt. Sie hinterlassen Spuren im Kirchenraum. Die Sakralbauten sind zu interreligiösen Gebetsräumen jener Internationalität geworden, die Zürich auszeichnet. Die Dinge, die heiligen, die die Menschen in den Bauten verrichten, sind somit auch international geworden. Blättern Sie in den Gebets- und Gästebüchern, bleiben Sie für eine Stunde in den Kirchenräumen sitzen und beobachten Sie den Raum. Sie werden einen Resonanzraum erfahren, in dem die vertikale Achse zwischen Gott und Mensch zu schwingen beginnt. Mit dieser Schwingung entdecken Sie auf der horizontalen Achse andere Gäste im Raum anders, neu. In der diagonalen Achse sehen Sie das Buch der Stadtgeschichte, die Sie unweigerlich entlang der Sakralbauten auf eine Entdeckungsreise besonderer Art aufbrechen lässt. Lassen Sie sich ein auf diese wunderbare Spurensuche nach dem Heiligen ein, dem Sakralen, das sich nach aussen und nach innen immer wieder neu baut. Christoph Sigrist, Pfarrer am Grossmünster Zürich
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DIE PREDIGERKIRCHE
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DIE PREDIGERKIRCHE
Die Predigerkirche: Geistiges Zentrum mit originalem Kern Die Predigerkirche war seit dem 13. Jahrhundert Teil des Dominikanerklosters. Teile der ersten Kirche sind bis heute erhalten geblieben. Der Predigerchor aus dem 14. Jahrhundert ist das bedeutendste hochgotische Bauwerk der Stadt. Seit der Reformation werden Chor und Kirchenschiff separat genutzt. Die Predigerkirche war die erste Kirche reformierter Bauart, ihre frühbarocken Stuckaturen sind erhalten geblieben. Anfang des 20. Jahrhunderts erhielt sie mit dem höchsten Kirchturm der Stadt ihr heutiges Aussehen. Der Predigerorden in Zürich Die Dominikaner waren der älteste und bedeutendste Bettelorden der Stadt. Der Orden geht auf den spanischen Prediger Dominikus Guzmán (1170–1221) zurück, der während der Albigenser Kreuzzüge im frühen 13. Jahrhundert ein Kriegstreiber war. 1216 erlangte seine Ordensgemeinschaft als Predigerorden die päpstliche Anerkennung, seit dem 15. Jahrhundert wird sie auch nach seinem Ordensgründer benannt. Die Dominikaner fokussierten sich in ihrer Missions- und Predigertätigkeit auf die Städte, weil dort am meisten gesündigt werde. Folgerichtig übertrug ihnen der Papst 1232 denn auch die Inquisition. Zudem stellten sie an sich Bei der ersten romanischen Predigerden Anspruch der möglichst hochstehenden kirche wurde das Querschiff nach 1325 Predigt, weshalb sie ein mehrstufiges theoloin zwei Etappen zu einem weit grösseren gisch-philosophisches Studium entwickelt hatgotischen Chor umgebaut und die noch verbliebenen Querschiffarme nach 1350 ten; die mittelalterlichen Theologen und Philozu Seitenkapellen umgewidmet. Schliess- sophen Albertus Magnus, Thomas von Aquin lich wurde es vor 1700 abgerissen. und Meister Eckart waren Dominikaner.
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Auch in Zürich war der Predigerkonvent ein Gelehrtenorden. Anfänglich wurden die Dominikaner von der Bevölkerung geschätzt und durch den Zürcher Rat gefördert, so erhielten sie am heute überdeckten Wolfbach Land und mussten sich im Gegenzug am Bau der Stadtmauer beteiligen. Die städtische Förderung der Prediger hatte politische Gründe: Weder das Grossmünsterstift noch das Fraumünsterkloster waren über die beliebte Konkurrenz der Bettelorden in ihrem Machtgebiet erfreut, die Stadt förderte deshalb den Orden bewusst, um den Einfluss der beiden Münsterstifte zu schmälern. Mit dem Erstarken der Zünfte büssten die Prediger immer mehr an Einfluss ein und mussten gar während der verschiedenen Konflikte zwischen Kaiser und Papst zeitweise die Stadt verlassen. Die Dominikaner förderten die Frauenfrömmigkeit: Sie hatten die Aufsicht über die Frauenklöster am Oetenbach und St. Verena an
Südfassade der Predigerkirche und des Predigerchors, Zeichnung von 1938. Im Chor sind noch die 1871/ 1873 eingebrochenen Erdgeschossfenster und Türen eingezeichnet, die 1973 mehrheitlich wieder zugemauert wurden.
Die Sonnenuhr über dem Südportal geht auf den Umbau des Langhauses von 1609 /1614 zurück.
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Der Dominikanerbruder Eberhard von Sax und ein jüngerer Mitbruder bitten Maria um Schutz. Der aus dem Rheintal stammende Freiherr war 1309 Mitglied des Konvents der Zürcher Predigermönche. Er gehörte ebenfalls zu den Minnedichtern der Manessischen Liederhandschrift. Der Maler zeigt Eberhard als älteren Mann mit Bartstoppeln und einer trotz Tonsur deutlich erkennbaren Stirnglatze in seiner schwarzen Dominikanerkutte.
der kleinen Brunngasse, aber auch über die Beginengemeinschaften und das Kloster Töss. Im Gegensatz zum Fraumünster als Königskloster, nahmen die Predigerklöster auch Frauen aus dem Bürgertum und den unteren Bevölkerungsschichten auf. 1476 verbot jedoch der Zürcher Rat den Predigermönchen aus sittlichen Gründen, in den Frauenklöstern tätig zu sein.
Grundrisse der romanischen Predigerkirche vor 1325 und nach dem Bau des gotischen Chors nach 1350. Teile des Querschiffs blieben noch als Kapellen bis vor 1700 bestehen, dagegen musste ein Pfeilerpaar vor dem Chor dem Lettner (schraffiert) Platz machen.
Zur Baugeschichte Im Vergleich mit den anderen Altstadtkirchen erfuhr die Predigerkirche weniger Umbauten. So ist das Langhaus der ehemaligen Klosterkirche, worin sich heute der Kirchenraum befindet, in seinem Kern noch immer der ursprünglich romanische Bau, trotz starker baulicher Veränderungen im Lauf der Zeit. Nach dem Neubau des imposanten gotischen Chors im 14. Jahrhundert erhielt die Kirche nach der Reformation mit der Trennung von Langhaus und Chor ihre heutige Einteilung. Von der frühbarocken Innengestaltung des Langhauses sind die Stuckaturen bis heute erhalten. Ihr heutiges Aussehen mit Kirchturm und der daran an-
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Seite aus der unvollendeten Bibelhandschrift des Predigerklosters, um 1300, mit prachtvollen Deckfarbenund Fleuronné-Initialen. In diese Zeit fallen noch weitere religiöse Handschriften, aber auch Teile der Manessischen Liederhandschrift, die in Zürich hergestellt und vertrieben worden waren.
schliessenden Zentralbibliothek erhielt die Predigerkirche Anfang des 20. Jahrhunderts. Die romanische Predigerkirche Gemäss Heinrich Brennwalds Schweizerchronik von 1513 kamen die ersten Dominikaner 1230 nach Zürich und bewohnten unmittelbar vor der Stadt ein Haus beim heutigen Stadelhofen. Bereits 1231 zogen sie weiter an ihren heutigen Standort am Wolfbach und begannen in direkter Nachbarschaft des 1204 gegründeten Heilig-Geist-Spitals mit dem Bau ihres Klosters. 1268 wird erstmals von einer Ecclesia der Prediger am heutigen Standort berichtet. Wie diese erste Predigerkirche ausgesehen hat, ist nicht belegt, sie war wohl eine romanische Pfeilerbasilika mit Querschiff und zwei kleinen Apsiden in dessen Seitenarmen, jedoch ohne Turm. Der rechteckige Chor war mit 10 auf 10 Metern relativ geräumig und erinnerte an den Fraumünsterchor. Die Kirche war zunächst etwas kürzer geplant, wurde aber durch eine Projektänderung während der Bauphase bereits auf die Länge der heutigen Westfassade vergrös-
Initiale B aus der Zürcher Psalterhandschrift, um 1266/1270.
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Kreuzigungsszene mit Bischof Konrad von Konstanz, Wandmalerei um 1500. In der Mitte (durch den Grundierungsbogen getrennt) Jesus am Kreuz, links davon Maria und der Apostel Andreas. Rechts vom Kreuz Johannes und der 975 verstorbene und 1123 heiliggesprochene
Blick in die romanische Predigerkirche mit ihren Vierungsbögen (oben) und in den Innenraum der Predigerkirche nach dem Bau des gotischen Chors und des Lettners (unten). Grundriss der heutigen Predigerkirche mit dem freigestellten und vom Langhaus getrennten Chor.
Bischof von Konstanz, Konrad I. von Altdorf. Die abgelöste Malerei befindet sich im nördlichen Seitenschiff der Kirche. Ursprünglich hing die Wandmalerei über dem Durchgang des nördlichen Seitenschiffs zum Querschiffarm.
sert. Ihre Masse waren 61 Meter in der Länge, das Mittelschiff war 10 Meter breit und 12 Meter hoch. Die Kirche dürfte eine flache Holzdecke gehabt haben. Als architektonisches Vorbild diente wohl San Domenico in Bologna. Die erste Zürcher Predigerkirche ist eine der wenigen, die aus der Frühzeit des Ordens bekannt ist. Die Predigerkirche wurde nicht als einfache Klosterkirche für die Mönche gebaut, da diese sich, wie die anderen Bettelorden, unter die Leute mischten und auf der Strasse und den Plätzen predigten. Trotz ihrer schlichten Architektur war die erste Predigerkirche die grösste Kirche der Stadt, die später in der Grösse nur noch von Kirchen der Franziskaner und derjenigen der Dominikanerinnen am Oetenbach übertroffen wurde, denn die Dominikanerinnen waren zwar ein Bettelorden im theologischen, nicht aber materiellen Sinn, vielmehr zählten sie sich zur gesellschaftlichen Elite der Stadt und drückten dies mit der Grösse ihrer Kirche aus. Der Umbau und Chorbau Ein Brand im frühen 14. Jahrhundert zerstörte den romanischen Chor. Den Wiederaufbau nutzten die Prediger, um die Kirche zu vergrössern. Im östlichen Langhaus wurden zwei Arkaden durch ein grösseres Bogenpaar ersetzt, um Platz für einen Lettner zu schaffen. Das
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Querschiff wurde vorerst belassen, die Reste des alten Chors wurden abgetragen und das Fundament für einen neuen, grösseren Chor gelegt. Die Bauarbeiten begannen 1325, wurden jedoch in den 1330er-Jahren für nahezu zwei Jahrzehnte eingestellt. Ausschlaggebend waren einerseits die wirtschaftliche Unsicherheit nach dem Umsturz durch Rudolf Brun und die Zünfte 1336 sowie eine Pestepidemie 1348/49, andererseits waren die Prediger in die lokalen politischen Wirren der damaligen Zeit verwickelt: Der Kaiser, Ludwig der Bayer, hatte für Brun Partei ergriffen. Da gleichzeitig der Konflikt zwischen Kaiser und Papst wieder neu aufgeflammt war und die Prediger für den Papst und somit gegen den Zürcher Bürgermeister Rudolf Brun Partei ergriffen hatten, musste der Orden zeitweise die Stadt verlassen und in die umliegenden Konvente in Kaiserstuhl, Winterthur und Rapperswil ins Exil ziehen. Um 1350 kehrten die Prediger nach Zürich zurück. Begann Mitte der 1320er-Jahre der Neubau des Chors mit zwölf himmelwärts strebenden Pfeilern als Ausdruck des reichen Bettelordens mit grossem Selbstbewusstsein, wurde bei der Fertigstellung drei Jahrzehnte später gespart. Das Auftreten des Ordens war nach seinem Exil bescheidener geworden. Dennoch überragt der Predigerchor noch heute alle Häuser
Der Innenraum der Predigerkirche seit der Renovation von 1965: Die Trennwand zum Chor wurde in den Jahren 1535 bis 1541 gebaut und das Gewölbe mit den Stuckaturen stammt von 1611.
Die Predigerkirche mit dem hochaufragenden Chor von Südosten, aufgenommen vor 1990. Seine dominante Überhöhung demonstriert das klerikale Selbstverständnis der Zürcher Prediger des frühen 14. Jh., das sich gründlich unterschied von jenem der Gründungszeit, als die Prediger noch ein Wanderpredigerorden waren.
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Schlusssteine mit den Seitenansichten ihrer Kreuzrippen des gotischen Chors.
Blick von Norden (dem heutigen Seilergraben) auf den gotischen Chor, das nördliche Querschiff und den anschliessenden Ostflügel des ehemaligen Klosters. Links der Stadtmauer ist das lang gezogene Gebäude der Seilerei erkennbar.
im Quartier. Seine Innenmasse sind beeindruckend: 27,3 Meter lang, 10 Meter breit und 34 Meter hoch mit einem Dreiachtel-Abschluss, in dem bis zur Reformation der Hochaltar stand. Das Chorgewölbe besteht aus fünf Jochen mit farbig gefassten, trommelförmigen Schlusssteinen. Der Dreiachtel-Chorabschluss wird von einem Fächergewölbe überdeckt. Die fünf Gewölbe-Schlusssteine zeigen von Westen nach Osten (so wie die Mönche den Chor betreten haben): 1. eine goldene Eichenblätter speiende menschliche Maske mit goldenem Haar auf blauem Grund. 2. eine grau getönte Rose auf rotem Grund, die von fünf goldenen Ahornblättern umkreist wird. 3. ein Menschengesicht auf blauem Grund, das aus einem Wirbel von goldenem Efeu blickt. 4. eine gold und grau gefärbte Rose auf rotem Grund, die von goldenen Eichenzweigen umgeben ist. 5. den segnenden Christus als Halbfigur auf blauem Grund über einem Wolkensaum, in der Linken ein offenes Buch. Der Rand des Schlusssteins gold gemustert, Mantel, Haare und Bart von Jesus sind vergoldet, seine Hände und das Gesicht rosa, die Wolken sind weiss.
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Abtrennung des Chors und Umnutzung während der Reformation Bis zur Reformation standen in der Predigerkirche gemäss Georg Edlibachs Chronik 13 Altäre, darunter der Johannes-Altar von 1338 und der Dominikus-Altar von 1367. Sie wurden wie die übrige Innenausstattung bei der Profanisierung des Klosters aus der Kirche entfernt. Während der Reformation rangen die Bettelorden und die Reformatoren um die Gunst der Stadt, was zu Disputationen und kämpferischen Predigten beiderseits führte. Nach diesem
Das Südportal heute nach der Renovation von 1900. Die gesamte Frontpartie wurde damals verschlankt und mit einem Pultdach versehen, so dass die Sonnenuhr von 1609 besser zur Geltung kommt.
Blick zum Taufstein von 1613, zur neuen schlichten Kanzel von 1965 und zur englischen Chororgel in der Nordwestecke des Kirchenraums.
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«Kanzelkrieg» wurden im Frühling 1524 die Bettelorden mit einem Predigtverbot belegt und im Dezember desselben Jahres aufgelöst. Die Gebäude des Predigerklosters wurden dem Spital übergeben und die Kirche profaniert. Beim Umbau von 1541/42 wurde der Chor durch eine Mauer abgetrennt und es wurden Zwischenböden für ein Kornlager eingezogen. Das Erdgeschoss beherbergte die Spitalkapelle, das sepaSystem der frühbarocken Stuckdekoration rate Langhaus wurde als Trotte des Spitals mit des Umbaus von 1609 im Mittelschiff. fünf Weinpressen benützt. 1607 beschloss der Stuckierte Lisenen mit vorgestellten HerRat, das Langhaus der Predigerkirche wieder menpilastern rhythmisieren den Wandfür Gottesdienste zu nutzen. Dadurch wurde aufbau. die Kirche zwischen dem Spital und der Kirchgemeinde Niederdorf aufgeteilt. In den Jahren 1609 bis 1614 wurde der Kirchenraum im frühen Barockstil umgebaut. Zunächst galt es, den ehemaligen Kirchenraum in seinem Volumen wiederherzustellen. Zusammen mit der Seitenschiffwand wurde ein Kreuzrippengewölbe aus Steinen erstellt. In der neu erstellten Südwand gegen das Predigerquartier hin wurde als Haupteingang das Südportal mit Sonnenuhr eingebaut. Der Innenraum erhielt weitgehend sein heutiges Aussehen. Dabei wurde die Kanzel in die Stirnwand über dem Taufstein integriert. Diese Bauweise machte die Predigerkirche zum ersten protestantisch gestalteten Kirchenraum Über dem vermauerten Bogenfeld der Ostmauer, quasi als Blickfang des Kirchenraums, findet sich eine von schwungvollen Voluten gerahmte Schrifttafel mit dem Zitat aus Matthäus 22.
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in Süddeutschland. Die wichtigsten baulichen Veränderungen wurden am südlichen Seitenschiff durchgeführt, dessen Südwand mit grossen Spitzbogenfenstern versehen wurde. Die beiden Seitenschiffe erhielten ein Kreuzrippengewölbe und das Mittelschiff ein Tonnengewölbe. Dieses jedoch schwächte die Statik des Gebäudes dermassen, dass 1663 notfallmässig die noch heute bestehenden Strebepfeiler zum Abstützen der Südfassade gebaut werden mussten. Zugleich mussten die Hochschiffwand um 2 Meter erhöht und das Dach neu konstruiert werden. Bei diesem Umbau wurde die Spitalkapelle im Chor als Empore auf den Zwischenboden verlegt und die Bänke wurden gegen Westen zur Kanzel hin orientiert. So konnten die beiden Benutzergruppen, Kirchgemeinde und Spital, voneinander räumlich getrennt demselben Gottesdienst beiwohnen. Das Erdgeschoss des Chors diente bis ins 19. Jahrhundert als Begräbnisstätte angesehener Familien. Die liturgische Innenausstattung Der kelchförmige Taufstein stammt aus dem Jahr 1613 und wurde aus Sandstein gefertigt. Er steht auf der Mittelachse der Kirche vor der Ostwand. Eine Zeit lang war er mit schwarzem Marmor verziert. Seine Vertiefungen sind ab-
Die beiden Seitenschiffe der Kirche sind durch Kreuzrippengewölbe unterteilt, die sich mit den barocken Stuckaturen harmonisch ins Gesamtbild fügen.
Stimmungsvolle Sitzecke für die «Auberge spirituelle».
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Der Taufstein von 1613 mit seiner Abdeckung von 1965/1967 wurde in seiner Geschichte mehrmals verschoben, heute steht er mittelachsig vor dem Chorraum.
wechslungsweise mit Blattwerk, stilisiertem Schuppenmuster oder Leerform verziert. Seine Abdeckung erhielt er zwischen 1965 und 1967. Mit dem letzten grossen Umbau in den Jahren 1899/1900 wurden die verbliebenen Zugänge vom Chor in die Kirche geschlossen. Damit entfiel auch der Zugang zur barocken Kanzel. Diese wurde demontiert und lagerte ab 1900 auf dem Dachboden der Kirche, wurde aber während des Zweiten Weltkrieges als Brennholz verfeuert. Die neubarocke Kanzel von 1900 wurde in den Raum versetzt und ist vom Schiff her zugänglich. Blick vom Chorraum zur gegenüberliegenden Orgel und zum heutigen Haupteingang.
Die Orgeln Ihre erste Orgel erhielt die Predigerkirche 1503. Von ihr ist lediglich überliefert, dass das städ-
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tische Seckelamt 50 Pfund stiftete und 1504 bei der Lotterie des Freischiessens Beiträge für die grösste und kleinste Pfeife und den Blasebalg gesammelt wurden. Der Basler Orgelbauer Hans Tugi, der damals in Mantua lebte, nahm an der Lotterie teil. Er könnte der Erbauer der vorreformatorischen Orgel gewesen sein, das ist aber ebenso wenig überliefert wie der Standort. Im Zuge der Reformation wurde 1527 auch die Orgel abgebrochen. Eine erste nachreformatorische Orgel wurde 1879 eingebaut. Hierfür wurde die
Westempore erweitert, das Instrument hatte zwei Manuale. 1911 wurde die Orgel erweitert, jedoch 1923 durch eine neue ersetzt. Heute gibt es in der Predigerkirche zwei Orgeln. Die Hauptorgel auf der Empore wurde 1970 von Orgelbau Kuhn aus Männedorf gebaut. Es ist ein Schleifladeninstrument mit 46 Registern, die auf drei Manuale und ein Pedal verteilt sind. Die Orgel wurde im neubarocken Stil erbaut und eignet sich für die Interpretation von Barockmusik. Seit 2015 verfügt die Predigerkirche auch über eine Chororgel, die 1886 von James Conacher in Huddersfield erbaut worden war. Sie stand bis 2012 in der methodistischen Kirche im nordenglischen Ingbirchworth. Sie war noch im Originalzustand erhalten, jedoch war eine umfassende Restaurierung notwendig. Orgelbauer Jens Steinhoff aus Schwörstadt, der auch
Heinrich Freudweilers (1755–1795) kritischer und belustigter Blick hielt die in der Predigerkirche zum Abendgebet versammelten und möglichst die Haltung bewahrenden andächtig-schläfrigen Mitbürger in einem Aquarell fest.
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Die Hauptorgel auf der Empore wurde 1970 im neubarocken Stil gebaut. Nach der Reformation blieben die Orgeln in Zürich bis ins 19. Jh. verboten. Die Predigerkirche konnte 1879 wieder eine Orgel installieren. Die Predigerkirche mit ihrem schlichten Haupteingang und dem Glockenturm von 1900.
die grosse Orgel betreut, führte die Arbeiten aus und erweiterte das Instrument auf 15 Register auf zwei Manualen. Die Orgel steht prägend in der linken vorderen Ecke des Chorraums. Die Kirchtürme Wann genau der Dachreiter auf dem Westende des Predigerchors errichtet wurde, ist nicht überliefert. In seiner Gestalt ist er fast identisch mit den Dachreitern auf der Wasserkirche und dem Grossmünster, die Hans Leu d. Ä. auf seiner Altartafel um 1500 gemalt hat. Es ist deshalb anzunehmen, dass der Turm ursprünglich im 15. Jahrhundert konstruiert wurde. Dendrochronologische Untersuchungen des sechseckigen Sprengbocks haben ergeben, dass das Holz erst 1475 gefällt, die Glocke jedoch bereits 1451 gegossen wurde. Sie hängt noch immer an ihrem ursprünglichen Ort und ist somit die älteste Glocke der Stadt. Der Glockenstuhl ragt 3,7 Meter über den Dachfirst und trägt einen 18 Meter hohen Spitzhelm. Er ist mit seinen 21,7 Meter Gesamthöhe gleich hoch wie die Mauern des Predigerchors. Die kleinen Giebelfelder über dem Glockenstuhl sind mit goldenen Kugeln und Wasserspeiern aus Eisenblech versehen. Der Dachreiter wurde 1594 und 1629 durch Stürme zerstört und wieder neu aufgebaut.
DIE PREDIGERKIRCHE
Ihren eigentlichen Kirchturm erhielt die Predigerkirche erst 1900. Der neogotische Turm wurde nach Plänen von Stadtbaumeister Gustav Gull durch den Architekten Friedrich Wehrli auf der Nordwestseite der Kirche erbaut. Vorbild für seine Gestaltung war der Karlsturm des Grossmünsters. Er wurde in einfachen gotischen Formen gehalten. Das Masswerk der Schalllöcher richtete sich nach den gotischen Fenstern. Unter ihnen wurde auf jeder Seite ein Zifferblatt der Turmuhr angebracht. Die vier Erker wurden für eine lebhaftere Silhouette errichtet. Die Höhe des Predigerturms beträgt 96 Meter, der Turmschaft ist 43 Meter hoch. Er ist somit der höchste Kirchturm Zürichs und der drittgrösste der Schweiz. Darin eingebaut ist ein «Unterweisungszimmer», das heute für Sitzungen und kirchliche Angebote wie die Kinder- und Jugendarbeit genützt wird. Das Predigerkloster, vom Spital zur Zentralbibliothek Die Konventsgebäude des Predigerklosters lagen um einen Kreuzgang gruppiert auf der Nordseite der Kirche gegen die Stadtmauer hin. Im Ostflügel, der an den Chor angrenzte, befand sich neben der Sakristei der Kapitelsaal und wahrscheinlich auch das Skriptorium. Im Obergeschoss des Flügels befanden sich die Bibliothek und der gemeinsame Schlafsaal, im Westflügel die Küche, der Speisesaal und das Refektorium. Bereits im 13. Jahrhundert war die Küche mit einer Tonrohrwasserleitung erschlossen. Von dieser Wasserleitung zweigte eine weitere ab, die zu einem Laufbrunnen auf dem heutigen Predigerplatz führte. Dieser Brunnen ist seit 1242 nachgewiesen, die Wasserleitung ist die älteste der Stadt. Kein Wunder, wählte Christoph Froschauer den Standort seiner Druckerei beim Predigerkloster. Eng verbunden ist die Geschichte des Predigerklosters mit dem benachbarten Spital. Dieses wurde 1204 erbaut und pflegte die Bevölkerung. Nach der Auflösung der Klöster im Rahmen der Reformation wurde das Predigerkloster mitsamt seinen Einkünften dem Spital zugeschlagen. Die Konventsgebäude wurden nach der Reformation mehrfach umgebaut.
Keck strebt der Dachreiter des Chors in die Höhe. Der Glockenstuhl misst rund 3,7 Meter und der daraufgesetzte Spitzhelm nochmals 18 Meter.
Das «Unterweisungszimmer» im Verbindungsgang zum Turm ist ein attraktiver Sitzungsraum, etwas erhöht über dem geschäftigen Predigerplatz. An der Wand hängen Bilder berühmter Prediger und Pfarrer seit der Reformation.
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DIE PREDIGERKIRCHE
Der Westtrakt des ehemaligen Predigerklosters bzw. des Spital-Amtshauses in einer Aufnahme von 1880. Sieben Jahre später fiel der Trakt einem Grossbrand zum Opfer. 1914 wurde auf dem Gelände die Zentralbibliothek gebaut. Der Predigerchor diente aber bereits seit 1873 als Universitäts- und Kantonsbibliothek, um ab 1917 Teil der neuen Zentralbibliothek zu werden.
Heute ist die Predigerkirche mit dem Chor und den Bibliotheksbauten (1914 –1917 / 1990–1995) ein Gesamtbauwerk.
1887 fielen sie einem Grossbrand zum Opfer und wurden danach abgerissen. Einige der Arkaden des Kreuzgangs wurden im Landesmuseum eingebaut. Während gut 30 Jahren stand die Predigerkirche mit ihrem neuen Kirchturm frei. Kantonsbaumeister Hermann Fiertz baute auf dem ehemaligen Klostergelände zwischen 1914 und 1917 die Zentralbibliothek, worin auch der Buchbestand der Bürgerbibliothek aus der Wasserkirche untergebracht wurde. In den Jahren 1990 bis 1995 wurde die Zentralbibliothek unter der Leitung von Alex und Heinz Eggimann umgebaut, für die Bibliotheksmagazine wurde das gesamte ehemalige Klosterareal sechsgeschossig unterkellert. Bei diesen Umbauten wurden Reste der Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert freigelegt.
DIE PREDIGERKIRCHE
Der Predigerchor wurde 1873 zur Universitäts- und Kantonsbibliothek, die dann 1917 zusammen mit der alten Stadtbibliothek in die neu geschaffene Zentralbibliothek überging. Heute ist die Musikabteilung der Zentralbibliothek im Chor untergebracht. Das Zürcher Stimmvolk sprach sich 1989 gegen eine Ausräumung des Chors und eine Wiederverbindung mit der Kirche aus, die Altstadt allerdings stimmte für die Vorlage. Weiteres In ihrer wechselvollen Geschichte wurde die Predigerkirche immer wieder Zeugin mehr oder weniger historischer Ereignisse. So wurden hier u.a. 1819 und 1825 die Zürcher Schriftsteller Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer getauft. 1839 wurden die Opfer des Züriputsches in der Kirche aufgebahrt und 1870/71 Verwundete der Bourbaki-Armee gepflegt. 2008/09 besetzten ab Weihnachten 150 Papierlose während 16 Tagen die Predigerkirche, um für eine menschlichere Asylpolitik zu protestieren. Die Predigerkirche versteht sich heute als «Auberge spirituelle» und ihre Angebote sind ökumenisch. Neben dem reformierten Sonntagsgottesdienst feiern die Zürcher Dominikaner einmal im Monat ihre Eucharistiefeier, somit sind sie wieder zurückgekehrt.
Bestand Anfang 2014 umfasste der Bestand der Zentralbibliothek etwa 6,3 MillionenEinheiten, darunter 4,3 Mio. Bücher und Zeitschriftenbände 980 000 grafische Blätter und Fotografien 208 500 Handschriften 258 000 geografische Karten 565 000 Mikroformen (1,5 Mio. Titel) 48 000 audiovisuelle Medien 201 000 Notendrucke 8 700 laufende Zeitschriftentitel 70 800 elektronische Zeitschriftentitel 145 laufende Turicensia Zeitungen
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DIE BEGINEN
Die Beginen in Zürich
Eine Begine und ein Begarde? Flachschnitzerei aus dem Wandtäfer des Äbtissinnenzimmers der Fraumünsterabtei, heute im Landesmuseum.
Ein Beginn, Holzschnitt von Jost Ammann, 1586. Beginen trugen eine einfache Tracht in gedeckten Farben und ein weisses, seltsam gefälteltes Kopftuch. Gegen Anfechtungen von aussen wehrten sich viele mit demonstrativer Unnahbarkeit.
Im Mittelalter war das Leben im Kloster eine attraktive Idee, um nach christlichen Werten in Gemeinschaft leben zu können. Das konnten sich aber nur reiche Frauen leisten. Viele ärmere Ledige und Witwen wollten dies jedoch auch. Daher schlossen sich im 13. Jahrhundert Frauen, aber auch Männer, die weder ein Ordensgelübde ablegen noch in Klausur leben wollten, als Beginen oder Begarden in Beginenhöfen oder -häusern zusammen. Von diesen zeugen heute noch jene in Gent und Brügge als Weltkulturerbe. Die Frauen legten ein Versprechen ab, in dem sie gelobten, füreinander zu sorgen und sozial Schwachen zu helfen. Jedes Jahr durften sie neu entscheiden, ob sie Begine bleiben oder lieber heiraten und sich ein bürgerliches Leben aufbauen wollten. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie als Spinnerinnen, Lehrerinnen oder Gärtnerinnen. Ausserdem begleiteten sie gegen ein kleines Entgelt Sterbende. Wegen ihrer Selbstständigkeit gegenüber kirchlichen Autoritäten regte sich zu Beginn des 14. Jahrhunderts bei vielen Bischöfen in Deutschland Widerstand, und auch die Inquisition suchte Gründe, um Beginen und Begarden wegen Ketzerei zu verfolgen. Einige Beginen wurden deshalb als Hexen verfolgt und landeten auf dem Scheiterhaufen. Heute werden Beginen- und Begardenhäuser nur noch in Belgien und den Niederlanden geführt.
DIE BEGINEN
In Zürich sind Beginen urkundlich erstmals im Jahre 1246 bezeugt. 1504 weiss man von einem «Bruderhaus im Brunngässli», von Schwesternhäusern «zum Augustiner», «hinter dem Lindenhof» und «im Grimmenturm» am Neumarkt, wo Johann Bilgeri, genannt der
Beginen und Begarden in Zürich 1357. Die lokalisierbaren Häuser mit steuerpflichtigen Beginen und Begarden sind rot, die Beginenquartiere gelb markiert.
Grimme, 1350 eine Stiftung für «vierzig ehrbare geistliche Frauen und willigen Armen die darin wohnhaft sind» gründete. Wichtige Beginenzentren befanden sich an den Oberen Zäunen und in unmittelbarer Nachbarschaft des Predigerklosters an der Chorgasse und in der Häuserzeile zum Verenakloster hin. Eine gewisse Häufung von Beginen gab es in der Nähe der Fraumünsterabtei mit Häusern am Münsterhof, im Kratzquartier und In Gassen. In der Reformation wurden die wenigen noch übrig gebliebenen Schwestern im aufgehobenen Oetenbachkloster untergebracht und ihr Vermögen dem Almosenamt übergeben.
Konvent St. Verena Der Konvent St. Verena in Zürich (das Gebäude rechts der Beschriftung Froschouw, Ausschnitt aus dem Murerplan) war ein Gebäudekomplex der Beginengemeinschaft. Bezeugt wurde er erstmals Mitte des 13. Jh., entwickelte sich unter der geistlichen Obhut des benachbarten Predigerklosters zu einem Frauenkonvent, jedoch nicht zu einer Gemeinschaft mit dem Dominikanerorden. Zum Lebensunterhalt trugen die etwa 20 Schwestern selber bei: mit Textilarbeiten, Kranken- und Sterbehilfe und seit Mitte des 15. Jh. mit einer Mädchenschule für Bürgerstöchter (mit Unterricht in Deutsch).
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DAS BARFÜSSERKLOSTER
Das Barfüsserkloster
Die Barfüsserkirche wurde in der Mitte des 13. Jh. errichtet. Sie war eine flach gedeckte dreischiffige Pfeilerbasilika mit einem rechteckigen Chor.
Das Barfüsserkloster lag am südöstlichen Rand der Altstadt unmittelbar hinter den Stadtmauern in der Nähe des Kronen- und des Lindentors. Im Osten wurde das Areal durch die Stadtmauer und den Hirschengraben begrenzt, im Nordwesten durch die Häuser am Neumarkt und im Südwesten durch die Gasse der Unteren Zäune. Um 1300 begann der Konvent, in der Umgebung des Klosters Häuser zu kaufen und darin alleinstehende Frauen unterzubringen. So entstand zwischen den Oberen und den Unteren Zäunen eines der zwei Beginenquartiere.
Über die Gründung des Barfüsserklosters liegen keine schriftlichen Quellen vor. In der Chronik von Johannes Stumpf heisst es: «Disen Munchen des Barfoterordens ward in der Statt Zürych auch ein closter gebauen durch die burger, des ich doch kein jarzahl find, doch ist es im 1240 schon in wirden gestanden.» Und Heinrich Bullinger schreibt: «Das Barfüsserkloster ist nitt unlang nach dem predigerkloster um das Jahr 1240 angehept und buwen worden, durch hilff der Burgern und des Bätgelds.» Diese Angaben lassen auf eine Gründung um 1238 schliessen, die vermutlich von Konstanz aus initiiert wurde; der Franziskanerorden war 1210 in Italien gegründet worden, ab 1221 entstanden zahlreiche Klöster nördlich der Alpen. Über die Stifterschaft bleibt noch vieles offen, vermutlich waren mehrere Adlige aus der Umgebung beteiligt. Beziehungen bestanden beispielsweise zum Grafen von Kyburg und zu den Regensbergern, wurde doch Ulrich I. von Regensberg (1230–1281) in der Kirche des Barfüsserklosters bestattet. Aber auch zu den führenden Familien und einflussreichen Politikern Zürichs bestanden gute Kontakte. Mehrere Male war das Kloster Schauplatz von Versammlungen mit überregionaler Bedeutung: 1310 urkundete König Heinrich VII. im Beisein zahlreicher Bischöfe und Adliger, und
DAS BARFÜSSERKLOSTER
1336 wurde hier Rudolf Brun nach dem Umsturz von einer Volksversammlung zum Bürgermeister auf Lebenszeit gewählt. Schnell nahmen die Schenkungen und Stiftungen zu. Die früheste Urkunde aus dem Jahr 1273 bestätigt die Schenkung eines Hauses an der Barfüsser-Hofstatt durch einen Bürger. Und um 1350 konnte der Konvent vermehrt Grundbesitz erwerben, so beispielsweise 1353 am Neumarkt ein Haus von Rudolf Brun. Im 15. Jahrhundert kam es zu einer beträchtlichen Ausweitung von Gütern, Liegenschaften und Ländereien. Den flächenmässig grössten Anteil des klösterlichen Grundbesitzes stellten die Rebberge dar; die von Zollikon bis Höngg reichenden Parzellen wiesen eine Gesamtfläche von etwa 50 000 Quadratmetern auf. Wie die Prediger und die Augustiner scheinen die Zürcher Franziskaner keine grundsätzlichen Gegner der Reformation gewesen zu sein, waren jedoch gegen Zwingli eingestellt; deshalb versammelten sich am 12. April 1523, «nach dem imbis», in der Kirche noch einmal 40 Männer. Es liegen aber zur Aufhebung des Klosters keine Berichte vor, doch am 3. Dezember 1524, nach der Aufhebung der Klöster in Zürich, zogen die übrig gebliebenen Augustiner- und Predigermönche in den Längstrakt des Barfüsserklosters und erhielten eine Rente. Die Gebäude wurden umgenutzt und die Verwaltung einem Obmann überge-ben. In der Klosterkirche wurde 1833/34 ein Theater (Actientheater) eingebaut, den nordwestlichen Flügel baute der Kanton für das Ober- und das Kriminalgericht um. Das Theater brannte 1890 aus. Im ehemaligen Obmannamt hat heute das Obergericht des Kantons Zürich seinen Sitz.
Das Hauptgebäude, ein mächtiges rechteckiges Gebäude, verlief parallel zur Predigerkirche, aber auf der anderen Seite des Wolfbachs. In ihm war das Refektorium untergebracht. In der Mitte verband ein Quertrakt das Gebäude mit der Kirche und war zugleich Teil des Kreuzgangs.
Das Obmannamt wurde 1533 nach der Aufhebung der Klöster geschaffen und verwaltete die Überschüsse der elf neuen Klosterämter, die vor allem in Getreide und Wein bestanden. Kornschütten und Trotten wurden in der Klosterkirche eingebaut. Im Längstrakt gegen den Hirschengraben wurden mehrere Wohnund Arbeitsräume eingerichtet, 1555 ein «Badstübli». Um 1700 wurden in der Kirche drei weitere Böden eingezogen, das Dach neu gedeckt und die Sakristei durch einen Neubau, das spätere Casino, ersetzt. Dann diente bis 1833 die Kirche als städtisches Kornhaus. Blieben bis dahin die Klostergebäude als solche noch erkennbar, brachten die Um- und Neubauten des 19. Jh. grundlegende Änderungen. Im ehemaligen Barfüsserkloster und späteren Obmannamt tagt heute das Obergericht.
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DAS OETENBACHKLÖSTER
Vom Kloster zum Waisen- und Amtshaus: Das Oetenbachkloster
Das Kloster auf dem Sihlbühl-Hügel, oben auf einer Zeichnung von Johann Melchior Füssli von 1705, wurde auf dem nördlichen Ausläufer des Lindenhofhügels gebaut. Das Areal war im Osten durch die Limmat begrenzt, im Westen durch einen Arm der Sihl und im Süden durch den Lindenhof. Heute steht an der Stelle der Klosterkirche das Parkhaus Urania. Quer durch das Gebiet, auf dem das Klostergebäude lag, verläuft die Uraniastrasse.
Das Kloster der Dominikanerinnen wurde 1234 nach dem Zusammenschluss zweier Schwesternhäuser in der Gegend des heutigen Strandbads Tiefenbrunnen gegründet. Seinen Namen erhielt es vom Oetenbach, dem heutigen Hornbach. 1237 bekam der Konvent ein päpstliches Schutzprivileg auf bestehenden und zukünftigen Besitz, 1239 wurden dem Kloster Begräbnisrecht, Recht auf Besitz und freie Wahl der Priorin zugesichert. 1251 wurde das Kloster innerhalb der Stadtmauern auf dem Sihlbühl, dem nördlichen Ausläufer des Lindenhofhügels, neu gebaut und 1285 weihte Bischof Johannes von Litauen die Klosterkirche mit ihren drei Altären. In der Blütezeit besiedelten etwa 120 Schwestern das Kloster. Anfang des 14. Jahrhunderts betrieben die Klosterfrauen ein gut funktionierendes Skriptorium, wo sie Schreib- und Illuminierarbeiten gegen Bezahlung ausführten. Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts wurden auch Frauen ohne Stand und Vermögen aufgenommen, danach wurde das Kloster zu einem Versorgungsort für adelige oder reiche Töchter. In der Folge wurde der Frömmigkeit der Novizinnen weniger Gewicht beigemessen; durch die hohen Eintrittsgebühren wurde bis 1360 die Mitgliederzahl gesenkt, aber dank der Finanzkraft der adligen Familien konnten beträchtliche Sum-
DAS OETENBACHKLÖSTER
men für Baumassnahmen und Ausstattung von Kloster und Kirche ausgegeben werden. In den Jahren 1454 bis 1470 bestand der Konvent aus rund 40 Schwestern. Als 1523 während der Reformation das Kloster aufgehoben wurde, war es für die religiöse Entwicklung der Stadt nur Die Offenbarung der Elsbeth von Oye, volkssprachliches Autograf um 1330. Anfang des 14. Jh. verfügte das Kloster über ein Skriptorium. Neben zwei Werken von Heinrich Seuse sind die Zeugnisse eigener literarischer Tätigkeit von Bedeutung. Die Vita Leben und Offenbarungen von Elsbeth von Oye schildert das Thema der Compassio, die Teilnahme am Leiden Christi mittels blutiger Selbstkasteiung, mit Hingabe und Empathie.
noch von geringer Bedeutung. So traten im Mai die ersten Schwestern aus dem Konvent aus. Gemäss einem Ratsbeschluss vom 17. Juni 1523 erhielt eine Nonne einen Betrag von 150 Pfund, eine Laienschwester 100 Pfund. Am 1. Februar 1525 fand der Klosterbetrieb im Oetenbach ein Ende. In den Klostergebäuden wurde nach der Reformation das Kornamt eingerichtet, rund um den Kreuzgang wurden von 1637 bis 1700 ein Waisenhaus und eine Zuchtanstalt untergebracht. Nach dem Bau des Waisenhauses neben dem Kloster diente dieses als Kornamt, Zuchthaus und Polizeikaserne. Im 19. Jahrhundert wurden die Klostergebäude stark umgebaut und 1902/03 nach dem Bau der Bahnhofstrasse und der Schleifung des Rennwegtors abgerissen. Stattdessen wurden die Amtshäuser, die Sternwarte Urania und die Uraniastrasse gebaut.
Die Stadt Zürich sprengt ihre Grenzen. In den 1830er-Jahren wurde das in den Klostergemäuern gebaute Zuchthaus umund ausgebaut, 1868 kam das gesamte Klosterareal mitsamt der Kirche in den Besitz der Strafanstalt. In der Luftaufnahme von Eduard Spelterini von 1900 ist das festungsartige Gepräge des ganzen Komplexes mit seiner Ringmauer gut ersichtlich. Reformen im Strafvollzug führten zum Neubau in Regensdorf, wohin die Strafanstalt 1901 übersiedelte. Das ehemalige Klosterareal ging in den Besitz der Stadt über. Es wurde 1902/03 für den Bau des städtischen Verwaltungszentrums abgebrochen und entwickelte sich unter Stadtbaumeister Gustav Gull in den 1910er-Jahren zum weitläufigen städtischen Amtshäuser-Ensemble (unten).
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DIE JUDEN IN ZÜRICH
Eine wechselvolle Geschichte: Die Juden in Zürich
Gedenktafel an der Froschaugasse, wo einst die Judenschule war, die an das Pogrom vom 24. Februar 1349 erinnert.
Seit 1150 sind in der Schweiz jüdische Siedlungen bekannt: zuerst in Genf, 1213 in Basel und danach in Zürich, St. Gallen, Bern, Solothurn, am Ende des 13. Jahrhunderts im Aargau und in Luzern und um 1300 in Biel und Neuenburg. Die Juden wurden zu einer grossen Mobilität gezwungen, obwohl sie ab 1236 als «Kammerknechte» dem Schutz des Kaisers unterstanden. Dieser veräusserte aber das Judenregal an die Städte, die dann den Juden gegen hohe Gebühren oder jährliche Steuerbeträge (Judensteuer) zeitlich befristete Schutz- und Bürgerbriefe ausstellten. Die Juden in Zürich wurden ab 1236 zur Gewährung von Darlehen an Stadtbürger verpflichtet und mussten Abgaben auf Vermögen, Geleit, Leibzoll, Grabgeld usw. entrichten. Sie wurden von der Stadt und deren Bevölkerung weitgehend geduldet, so dass sie mit dem Einverständnis des Rats Häuser besitzen durften. Im 14. Jahrhundert existierte in der Nähe der Froschaugasse (damals Judengasse) eine Synagoge und «Judenschuol», deren Rabbi Moses ben Menachem in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts den Zürcher Semak (sefer mizwot katan, kleines Buch der Gebote), einen bis heute verwendeten Gesetzeskommentar, schuf. Das jüdische Leben war von sozialer Ausgrenzung geprägt, so durften die Juden weder handwerkliche noch landwirtschaftliche Berufe ausüben, geschweige denn politische Ämter. Die Zünfte blieben ihnen verwehrt, paradoxerweise wurden ihnen aber Geldgeschäfte, Pfandleihe und Heilkunde zugebilligt. 1348 verbreitete sich von Südfrankreich her das Gerücht, die Juden hätten die Brunnen vergiftet und die grassierende Beulen- und Lungenpest ausgelöst. Noch im selben Jahr begannen Folterprozesse gegen die Juden, mehrere Geständnisse wurden unter Folter erzwungen, worauf die Massaker begannen: zuerst in Solo-
DIE JUDEN IN ZÜRICH
thurn, dann in Bern, Zofingen, Burgdorf, Basel, Schaffhausen und am 23. Februar 1349 in Zürich. Die Juden der Stadt wurden gefoltert, umgebracht oder verbrannt und vertrieben, die Synagoge zerstört und ihr Eigentum unter den Nichtjuden Zürichs verteilt. Einer der Nutzniesser war Bürgermeister Rudolf Brun. Bereits um 1354 siedelten sich wieder Juden in der Stadt an, 1393 dürften rund 20 Familien in Zürich gelebt haben, was etwa 2 Prozent der Stadtbevölkerung entsprach. Im frühen 15. Jahrhundert aber wurden die Burgrechtsurkunden sukzessiv verweigert, bis der Rat 1436 beschloss, die Juden endgültig auszuweisen. Die Glaubensfreiheit der Juden stand in Zürich seit der Reformation nie zur Diskussion, aber mit der Aufklärung wurde die Frage der politischen und kulturellen Gleichstellung der Juden in der Schweiz virulent: So nahm 1750 der Fraumünsterpfarrer Ulrich an der Einweihung der neuen Lengnauer Synagoge teil, und schilderte 1768 in einer Sammlung jüdischer Geschichten aus der der Schweiz deren schwierige Lage, und Lavater forderte 1798 die rechtliche Gleichstellung von Kirche und Synagoge. Doch erst 1862 wurde den Juden im Kanton Zürich die freie Niederlassung gewährt, auf eidgenössischer Ebene erst 1866 und als Verfassungsrecht gar erst 1874. Noch 1862 gründeten Zuwanderer aus Baden und dem Surbtal in Zürich den Israelitischen Kultusverein, die heutige Israelitische Cultusgemeinde ICZ. Seit 2005 sind die jüdischen Glaubensgemeinschaften ICZ und JLG im Kanton Zürich öffentlich-rechtlich anerkannt und so den christlichen Landeskirchen weitgehend gleichgestellt.
Siegel mit der Umschrift «S. Gumprecht» und in Hebräisch «Mordechai ben Menachem» aus dem Jahre 1329. Im Schild sind drei Judenhüte dargestellt.
Urfehdebrief des Jedidja bar Hiskia von 1385, eingeklebt in die Ratsbücher der Stadt Zürich (1383–1385). Jedidja hatte sich der üblen Nachrede gegenüber den Ratsherren in Zürich schuldig gemacht. Mit diesem Brief musste er nach seiner Strafentlassung schwören, sich für die Haft nicht zu rächen. Das Dokument enthält den deutschen Text in hebräischen Kursivbuchstaben. Die 1884 eingeweihte Synagoge der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) an der Löwenstrasse (unten links). 1924 folgten weitere Synagogen an der Freigutstrasse, 1960 an der Weststrasse und 1978 an der Hallwylstrasse.
Der Friedhof Unterer Friesenberg in Zürich-Wiedikon mit seiner Abdankungshalle wurde 1866 eingeweiht.
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ANHANG
ANHANG
Personenregister
A Abdar-Rahman > 23 Adam, Michael >205 Aeberhard, Thomas >202 Affolterer, Matthäus >225 Albertus Magnus >126, Albrecht II. von Österreich > 36 Alexander IV. >214, 226 Alkuin >22 Anserich von Besançon >154 Asper, Hans >173, 202/203 Augustin von Hippo >214 B Bachofen, Heinrich >202 Baumberger, Otto > 109, 159 Beatrix von Wolhusen > 37 Berchtold IV. > 30 Berchtold V. > 30 Berta > 98, 116 Berthold von Basel > 154 Bertolf von Murbach >154 Biber >31 Biberli, Marchwart > 34 Bibliander, Theodor >205 Bilgeri, Johann >143 Blarer > 40 Bluntschi, Hans Konrad > 77 Bodmer, Johann Jakob, > 48/49, 210/211 Bodmer, Paul > 109, 116 Bossard, Franz Joseph >225 Bullinger, Heinrich > 42/43, 167, 173, 174/175, 181 Breitinger, Johann Jakob >211 Brennwald, Heinrich >129 Brun, Rudolf >31, 34, 37, 117, 131, 145, 149 Bruno von Strassburg >154 Bugenhagen, Johannes > 40 Burchart II., Schwaben >27, 94 Bürkli, Arnold >123 Bürkli, Salomon >195 C Cäesar, Julius > 16 Calmy-Rey, Micheline > 109 Calvin, Jean >42, 174, 181 Carigiet, Alois >225 Chagall, Marc >101, 104/105, 106 Cheops > 13 Chlodwig I. >23 Christoph I. von Baden >227 Churchill, Winston > 61, 113 Clemens VIII. >171 Conacher, James >137
D Deschwanden, Melchior Paul >221 Diokletian > 20 Disteli, Martin > 56 Divico > 16 Dupré, Marcel >107 Dürer, Albrecht > 83, 177 E Edlibach, Georg von >110, 133 Eggimann, Alex und Heinz >140 Ekkehard von Aura > 170 Elsbeth von Oye >147 Elisabeth von Wetzikon > 97 Erasmus von Rotterdam > 40, 177 Escher, Alfred > 57, 58 Exuperantius > 31, 84/85, 152 F Fässler, Robert >106 Felder, Hans d. Ä. > 70 Felix und Regula >21, 23, 25, 31, 69, 76, 152, 154, 161 Fietz, Hermann >140, 156, 162 Fischer, Franz >221, 224 Fraumünsteräbtissinnen >117, 199 Frech, Johann Rudolf >203 Freudweiler, Heinrich >137 Friedrich I. Barbarossa > 29 Friedrich II., «stupor mundi» >30/31 Friedrich III. v. d. Pfalz > 181 Friedrich IV. von Österreich > 37 Friyg, Ludwig >44 Froschauer, Christoph > 45, 139, 177, 179, 182, 184/185, 204 Füssli, Johann Heinrich >48, 206/207, 208/209 Füssli, Johann Melchior > 87 G Galerius > 20 Gehr, Franziska >242 Gellert, Johann Fürchtegott >207 Gessner, Conrad > 169, 185 Gessner, Salomon >49 Giacometti, Augusto > 66, 70, 81, 162 Glaus, Otto >241 Goethe, Joh. Wolfgang von >49, 207 Göldli, Heinrich >119 Gradner, Vigilius >219, 227 Graf, Urs > 39 Grebel, Felix >206 Grebel, Konrad >179 Gull, Gustav > 98, 102, 108, 147, 156 Gunzo, Herzog > 21 Gutknecht, Rosa > 59 Guzmàn, Dominikus >126
H Hagenbuch, Judenta von > 84, 117 Haggenmiller, Johannes >156 Hanna von Hewen >106 Hardegger, August >234, 239 Hatt, Heinrich >104 Heaton, Clement >102 Heinrich III. > 27, 28 Heinrich IV. > 29 Heinrich V. >157 Heinrich VII. >144 Heinz, Max >225 Hegi, Franz > 86, 101 Helvetier > 16 Hemmerli, Felix > 33 Herrliberger, David >171, 193 Hieronymus von Prag > 40 Hildegard > 25, 93, 116 Hirzel, Conrad Melchior > 55, 56 Hirzel, Hans Caspar > 211 Holbein, Hans d. J. > 185 Hus, Jan > 40 I J Jäger, Ludwig > 81 Jedidja bar Hiskia >149 Johann I. Habsburg-Laufenburg > 36 Johann II. von Rapperswil > 36 Joyce, James > 61 Jud, Leo >200, 204/205 K Karl der Dicke >153 Karl der Grosse >25, 77, 109, 111, 156, 160 Karl Martell >23, 24 Katharina von Zimmer >109, 117 Keller, Friedrich Ludwig > 55 Keller, Gottfried > 55, 141 Kellner, Georg Konrad > 160/161 Klopstock, Gottlieb >207 Konstantin > 20 Kopp, Max >223, 225 Kuhn, Albert > 234 Kuhn Orgelbau > 81, 197, 225 Kuhn, Theodor >162 Kunz, Fritz >237, 239 L Landolt, Salomon > 211 Lavater, Johann Caspar > 49, 121, 149, 200, 206/207 Leo II. Papst > 40 Leu, Hans d. Ä. >165, 227 Leu, Hans d. J. >100, 138 Lessing, Ephraim >206 Lips, Heinrich > 50
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ANHANG Lothar III. >154 Louis XIV. > 47 Ludwig der Bayer >131 Ludwig der Deutsche >25, 92, 94, 114 Ludwig der Fromme >157 Ludwig IV. das Kind >27 Ludwig IV. Kaiser > 36 Luther, Martin > 40, 172, 176, 180, 214 M Mann, Thomas > 61 Manz, Felix > 42, 179 Maria Tudor >186 Masséna, André > 51 Maximilian I. >119 Meister Eckart >126 Melanchton, Philipp > 40 Mendelssohn, Moses >206 Meyer, Conrad >86 Meyer, Conrad Ferdinand >141 Meyer, Johannes >193 Meyer, Peter > 82 Morach, Otto > 60 Mordechai ben Menahem >149 Mühleisen Orgelbau >197 Müller, Johannes > 51 Mülner, Gottfried > 36 Münch, Otto >161, 166 Muralt >187 Mure, Conrad von >171 Murer, Jos > 44/45 N Natter, Heinrich >82 Northcote, James >208 Nüscheler, Richard-Anton >238
O Oekolampad, Johannes > 40 Oppenheim, Moritz >206 Orell Füssli, Art. Institut > 57 Orelli, Johann Caspar von > 55 Orelli >187 Otto von Freising > 29 Otto von Konstanz > 96 P Payer, Alois >240 Pebo >24 Pelikan, Konrad >40, 205 Pestalozzi, Johann Heinrich >211 Pestalozzi-Pfyffer, Emil >232, 236 Pestaluz, Johann >187 Peter von Savoyen >216 Pfeffel, J. A. > 46 Philipp der Grossmütige >180 Phoebus, Gaston >160 Piero della Francesca >226 Pippin > 23, 24 Pius IX., Papst > 57 Polke, Sigmar >162 R Regensberg, Ulrich von >144 Reinhart, Anna >41, 173, 176 Reischach, Eberhard von >117 Reynolds, Joshua >209 Rickenbacher, Josef >239 Röttinger, Johann Jakob >162 Rousseau, Jean-Jacques >209, 211 Rudolf der Schreiber > 35 Rudolf IV. von Habsburg >216 Rudolf II. von Hochburgund >27 Rudolf von Reichenau >154 Rüedi, Max >242 S Savonarola, Girolamo > 40 Sax, Eberhard von >128 Scheuchzer, Johann Jakob >79, 88 Schmuzer, Franz >195 Schulthess, Emil >217
Schweizer-Hess, Anna Magdalena >209 Sforza, Gian Maria > 39 Sigfried, Heinrich > 54 Sigismund, König > 37 Silberysen, Christoph > 85 Silone, Ignazio > 61 Sittinger, Conrad >81, 106 Snell, Ludwig > 53 Spalding, Johann Joachim >208 Spelterini, Eduard >147 Stadler, Ferdinand >106, 220 Stadler, Julius > 83 Stauffer-Bern, Karl > 55 Steiner, Heiri > 61 Stella, Tilemann > 87 Strauss, David Friedrich > 55, 56 Stumpf, Johannes > 36 Sulzer, Georg >48, 208, 211 T Thomas von Aquin >126 Tugi, Hans >137 Turos >15, 16 U Ulrich, Johann Caspar >103, 120/ 121, 149, 183 Usteri, Paul > 53 V Vogelsanger, Peter >104 Vögeli, Johann Caspar >156 Vögelin, Salomon >168 W Waldmann, Hans >39, 97–100, 118/119 Wanner, August >225 Waser, Diakon > 48 Waser, Johann Heinrich > 47 Wegmann, Gustav Albert >161, 168 Wick, Johann Jakob >176 Wiesmann, Hans >166 Wyclif, John > 40 Z Zeiner, Heinrich >202 Zwingli, Huldrych >40, 167, 171, 172/173, 176–182, 184
Predigerkirche Augustinerkirche Liebfrauenkirche
Zürich war und ist eine Handelsstadt, seine Kirchen und Klöster aber prägten lange Zeit massgebend das politische und geistige Wachstum der Region. Denn die Zürcher Altstadtkirchen waren immer mehr als nur Kirchen, sie waren Pilgerstätten, Machtzentren, geistige und kulturelle Orte. Dieses Erbe reicht weit über die Reformation hinaus. Jede der Altstadtkirchen steht exemplarisch für eine Epoche in der Zürcher Geschichte. Kompakt zeichnen die Autoren die Entwicklung der Kirchen von ihren Gründungslegenden in spätantiker und karolingischer Zeit bis heute als Tourismusmagnete nach und stellen die wichtigsten Personen und Ereignisse vor. Die detaillierten Bilder laden dazu ein, die Kirchen neu zu entdecken.
978-3-03810-438-4
DIE ZÜRCHER ALTSTADTKIRCHEN Yves Baer François G. Baer
Wasserkirche Fraumünster Grossmünster St. Peter
Yves Baer François G. Baer
DIE ZÜRCHER ALTSTADTKIRCHEN Eine Stadtgeschichte entlang der Sakralbauten