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Der Mann der ersten Stunde

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Jugend und Studium

Jugend und Studium

Im Jahr 1907 legt die Stadt Zürich den Grundstein für das neue Museum. «Am Ende des Jahres 1908 ist der Aufrichtebaum, der bunt bewimpelte, auf dem Dache des Kunsthausbaues am Heimplatz aufgerichtet worden … Noch steht der Bau von Gerüsten umstellt und gelangt nicht zur vollen Wirkung, aber erkennbar ist doch schon der vornehm ernste und ruhige Eindruck des Bauwerkes.» Noch fehlen die bildhauerische Gestaltung und die von Karl Moser in einem Modellbau inszenierte Neugestaltung des Heimplatzes. Sie weckt grosse Hoffnungen, «das Gesamtkunstwerk [wird] eine Perle werden, die unserer Stadt zu hoher Ehre gereichen wird».98

Damit endlich das Kunstleben in Zürich reich und kraftvoll erblühe

Das Gesellschaftsjahr 1908 der Zürcher Kunstgesellschaft verläuft gut, der Bau des neuen Kunsthauses schreitet planmässig voran. Der Mitgliederbestand der Kunstgesellschaft ist leicht gestiegen, der Sekretär listet 840 Mitglieder auf.

Der deutschstämmige Sekretär und Geschäftsführer Elimar Kusch, seit einiger Zeit an einer Van-Gogh-Ausstellung interessiert, setzt sich 1905 mit dem Berliner Kunsthändler Paul Cassirer in Verbindung. Das Projekt kommt nicht zustande, worauf sich Kusch direkt an die Firma von Vincent van Goghs Onkel in Den Haag wendet. Drei Jahre später ist es endlich so weit: Die Präsentation von 41 Werken findet vom 10. bis 26. Juli 1908 statt, sie wird mit Exponaten der als schweizerische Impressionisten geltenden Künstler Cuno Amiet, Hans Emmenegger und Giovanni Giacometti ergänzt. Am 15. Juli treffen zusätzliche sechs Bilder aus Amsterdam ein. Sie werden umgehend an Schweizer Privatsammler verkauft und sichern der Zürcher Kunstgesellschaft einen hohen finanziellen Ertrag.99 Kaufinteressierte wie Fritz Meyer-Fierz, Richard Kisling und Hans Schuler zeigen Interesse, sodass Kusch Ende des Jahrs 1908 feststellen kann: «Es regt sich in Zürich.»100 Der Kunsthistoriker Julius MeierGraefe, der im Oktober in Zürich weilt, «nimmt in den Privatsammlun- gen … einen Reichtum an moderner Kunst wahr, den er in Zürich nicht vermutet hätte».101

Für die grossen Impressionisten, die Zürich endlich kennenlernen soll, sind die ersten Weichen gestellt. Eine geplante Ausstellung für 1906 scheitert an Transportfragen, im Mai 1908 nimmt die Idee Gestalt an. Wegweisend für das Zustandekommen der Ausstellung ist ein Besuch der Künstler Hans Sturzenegger und Ernst Würtenberger, Verfechter der Kunst van Goghs, mit dem Sammler Richard Kisling in Paris. Sie besichtigen in der Kunsthandlung Durand-Ruel eine grössere Anzahl von Bildern französischer Impressionisten.102 Die Künstlerin und Sammlerin Ottilie Roederstein weist sich als Vermittlerin aus, sie wendet sich an den in Paris lebenden deutschen Schriftsteller und Kunsthändler Wilhelm Uhde. «Es ist ein Anliegen, unserem Publikum [zu] zeigen, was der französische Impressionismus ist … Manet, Monet, Renoir, Degas, Pissarro etc. sollten schon nicht fehlen», erklärt er im Juli 1908.103 Auf Wunsch verhandelt Wilhelm Uhde mit den Pariser Händlern Durand-Ruel und Bernheim Jeune.

Am 1. Oktober 1908 eröffnet die Ausstellung Französische Impressionisten mit 102 Werken, sie dauert bis Ende November. Dem Künstlerhaus gelingt eine wegweisende Einführung in die französische Kunst, Ausstellungskatalog und Tagespresse fördern das Verständnis im Bildungsbürgertum. Noch am Eröffnungstag wendet sich Kusch an Meier-Graefe in Berlin und bittet ihn um die Rolle des Vermittlers: «Aber unser Wunsch ist es, dass die Wirkung tiefer gehe. Und dazu braucht es des Mittlers. Der aber kann und darf kein anderer sein als Sie.»104 Kurz vor Ausstellungsende, am 27. Oktober 1908, hält Meier-Graefe im Zürcher Rathaussaal eine Einführung in die dem Publikum weitgehend unbekannte Malweise. Die Bemühungen werden von Hans Trog in der Neuen Zürcher Zeitung unterstützt, doch im Gegensatz zur Van-Gogh-Ausstellung wird nur ein einziges Werk verkauft. Die Einnahmen stehen einer grossen Ausgabenlast gegenüber. Die Weichen für einen Blick in Richtung Frankreich sind gestellt, doch die interne finanzielle Balance ist aus dem Lot.

Ende 1908 erlebt das Künstlerhaus eine schwere Erschütterung, die Schlussrechnung weist ein unerwartet grosses Defizit auf. Die Buchexpertise entdeckt Unterschlagungen in der Höhe von 38 000 Franken, der Sekretär scheint wie vom Erdboden verschwunden. Die Deckungssumme von 15 000 Mark, die Kusch gegen Verzicht auf Strafverfolgung offeriert, kann den hohen Schaden nicht beheben. Die Zürcher Kunstgesellschaft steht im Rampenlicht gerichtlicher Auseinandersetzungen und sieht sich mit ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert.

Der Posten des Sekretärs ist über Nacht vakant. Das Image des Hauses steht auf dem Spiel.

Die Zürcher Kunstgesellschaft benötigt dringend einen neuen Sekretär. Die Ausgangslage ist schwierig, steht doch der Umzug in den Neubau bevor. Das Vertrauen in die Kunstgesellschaft ist durch den Vorfall schwer in Mitleidenschaft gezogen.

Nun kommen Sie in Betracht

Am 17. Februar 1909 wird Wilhelm Wartmann durch seine Kommilitonen auf die Stellenausschreibung des Sekretärs der Zürcher Kunstgesellschaft aufmerksam gemacht. Schon im Sommer 1908 besuchte er die Van-Gogh-Ausstellung, auch muss ihm der Rohbau auf dem Weg zwischen Bahnhof und Hottingen ins Auge gesprungen sein.

Er eilt für Nachfragen ins Künstlerhaus, doch die Bedingungen für eine Bewerbung liegen noch nicht vor. Professor Rahn vermutet, dass es sich wohl um eine «Buchhalt- und Händlerstellung» handle und rät ihm zu einer direkten Anfrage bei Paul Ulrich, dem Präsidenten der Zürcher Kunstgesellschaft. Wartmann notiert in sein Tagebuch: «Ich lasse meine Vitraux zur Ansicht [da], und gehe beflügelt, in lebhaftem, weichem Schwungstil nach Hause.»105

Am 19. Februar 1909 reist er für Vorstudien des Staatsexamens sprachlich-historischer Richtung nach Paris zurück.106 Den offiziellen Bewerbungsbrief wirft er im Bahnhof Zürich in einen Briefkasten. Unsicher fragt er von Paris aus nach, ob seine Dokumente ordnungsgemäss eingetroffen seien.107

Wartmanns Vater reagiert etwas unwirsch, als er von der stillen Bewerbung erfährt; er befürchtet, diese Entscheidung sei nicht gut durchdacht: «Eine solche Stelle [bringt] sehr viel Unangenehmes mit sich, wenn man sie näher betrachtet … Die Künstler sind ein höchst eigentümliches Volk und noch schwieriger zu behandeln als die Professoren, und dann das liebe Publicum, das von allen Seiten drein schnattert, und dann die moderne Kunst mit ihren abscheulichen Auswüchsen … Ich zweifle ganz ausserordentlich, dass Du auf die Dauer Befriedigung in einer solchen Stellung finden würdest, und glaube auch bisher, dass Deine Anlagen, Deine Neigung und Deine Ausbildung nach der wissenschaftlichen, und nicht nach der künstlerischen Seite gehen.»108

Mit Interesse verfolgen die Zürcher Freunde das Prozedere. Im März 1909 meldet Studienkollege Rudolf W. Huber aus Zürich nach Paris: «Die Wahl hat noch nicht stattgefunden … Es sollen sich 30–40 Kandidaten gemeldet haben … Wie gesagt, unterlasse es nicht, wieder mal bei Ulrich Dich vernehmbar zu machen und Deine einflussreichen Leute –Meyer v. Knonau, Rahn – für Dich agieren zu lassen, sonst müsste ich fürchten, dass ‹les absents ont tort›, Gut Glück!»109

Wartmann befolgt den Ratschlag. In einem Brief schildert er Ulrich offen das Dilemma einer wissenschaftlichen Karriere. In seinem Antwortschreiben informiert dieser den jungen Bewerber mit tröstenden Worten, dass bereits ein valabler Kandidat gefunden worden sei: «Ich hatte im Verkehr mit Ihnen den durchaus klaren Eindruck, dass Sie unserer Gesellschaft wertvolle Dienste leisten könnten, und wenn noch aus irgend einem Grunde der Abschluss mit dem gewählten Kandidaten nicht feststehen würde, so würden Sie als der nächste in Betracht kommen. Ich habe noch bei den Akten Ihren schönen Band von den Pariser Glasmalereien. Wären Sie vielleicht geneigt, ihn unserer GesellschaftsBibliothek im Künstlergut zu überlassen?»110

In den beiden folgenden Wochen überstürzen sich die Ereignisse. Die Zürcher Kunstgesellschaft, durch die prekäre Ausgangslage um Schadenbegrenzung bemüht, überprüft sorgfältig den Leumund des Kandidaten in spe und muss feststellen, dass er den hohen Erwartungen nicht genügt. Kollege Huber meldet aus Zürich: «Auf sonderbare Weise öffnet sich von neuem die Chance für Dich, an jene Sekretär-Stelle zu kommen!»111

Ulrich wendet sich am 2. April erneut an Wilhelm Wartmann: «Die Anstellung … hat sich wieder zerschlagen. Nun kommen Sie in Betracht, falls Sie heute noch geneigt sind, in unseren Dienst zu treten. Sie kennen alle Bedingungen … Der Antritt hätte möglichst bald zu geschehen, da wir im Betriebe des Künstlerhauses tatsächlich längst in starker Verlegenheit sind.»112 Die Antwort erfolgt postwendend: «Wie nur je, seit der Unterredung mit Ihnen, bin ich gerne bereit, die Stellung eines Sekretärs Ihrer Gesellschaft anzutreten und werde mich bemühen, damit dies möglichst bald geschehen kann … Auch die Gehaltsfrage scheint mir kein Hindernis zu bieten, ich begreife Ihre Erklärung für die Einhaltung der untern Grenze als Antrittsgehalt mir gegenüber … Die wissenschaftlichen Arbeiten … werde ich nach Möglichkeiten abkürzen; ich habe mich aber – namentlich auf Ihren vorletzten Brief hin – so weit eingelassen, dass ich sie nicht einfach im Stich lassen darf, ich müsste zu viel Arbeit und Material ungenutzt preisgeben.»113

Huber schreibt erfreut: «Vorderhand herzlichen Glückwunsch! Also es klappt! Wie mir Hummel gestern erzählte, sprachen die ComitéHerren von Deiner Wahl bereits als von einem ‹fait accompli›.»114

Ulrich drängt nun auf raschen Amtsantritt, auf die einstürmenden Fragen des Kandidaten reagiert er: «Ich möchte Sie endlich noch darüber beruhigen … wenn wir auch Ihre genaue Stellung erst noch etwas später präzisieren wollen … Im Pflichtenheft des Sekretärs, auf das Sie sich angemeldet haben, steht nämlich so vieles, dass ein einzelner Mann das gar nicht alles erfüllen kann … diese Begrenzung werden wir am besten auf dem Wege der freien Verständigung erreichen, nachdem Sie selber das Amt kennen gelernt haben werden.»115 Wartmann freut sich auf die Herausforderung: «Im Übrigen versichere ich Sie, dass ich nichts lebhafter wünsche, als recht bald in meinen Wirkungskreis einzutreten und mich mit meinem ganzen Eifer und Können zu Ihrer Verfügung zu stellen.»116

Rückblickend bemerkt Wartmann: «Theoretisch vielseitig und sorgfältig für die Leitung einer Sammlung vorbereitet, trat ich sie im Frühling 1909 an. Ich hatte mir in Paris ausgedehnte Beziehungen mit Pariser Künstlerkreisen und mit Fachkreisen (Museen u.ä.) in Deutschland geschaffen und hoffte, damit auch den Ausstellungen in mancher Beziehung nützen zu können.»117 Die privaten Unterlagen weisen zudem zahlreiche Statuten von Schweizer Museen und Berichte über deutsche und französische Museumsführungen nach, die intensive Bewerbungsvorbereitungen belegen. Wartmanns Kenntnisse über allgemeine Museumsführung war höher als erwartet.

Der Jahresbericht von 1909 vermerkt, dass nach einem provisorischen Interregnum Mitte April Dr. W. Wartmann, Paris, als «Sekretär für Vereinsangelegenheiten und den Ausstellungsbetrieb im kleinen Künstlerhaus» gewählt wurde. «Sammlung und Bibliothek unterstanden damals noch Herrn Appenzeller als Konservator. Nach dessen Rücktritt (im Dezember 1909) wurde ich 1910 auch Konservator», protokolliert der neu gewählte Sekretär.118

Hermann Wartmann akzeptiert den Entscheid seines Sohns: «Am 10. April erhielt ich den erfreulichen Bericht seiner Wahl aus 30–40 Bewerbern … mit einem ganz annehmbaren Anfangsgehalt von Fr. 5000.–.»119

Paul Ganz, Direktor der Öffentlichen Kunstsammlung Basel, gratuliert dem jungen Kollegen, den er zur Mitgliedschaft im Verein Schweizer Kunstmuseen ermuntert.120 «Mit grossem Interesse habe ich vernommen, dass Sie Ihre Tätigkeit der modernen Kunst zuwenden wollen … Im Namen des Vorstandes der Beamten unserer Schweizer Kunstmuseen möchte ich Sie auffordern, als Konservator der Gemäldesammlung im Künstlerguetli beizutreten … Ich kann Sie nur als Konservator des Künstlergüetli, nicht als Sekretär der Kunstgesellschaft aufnehmen, denn wir wollen nur Beamte.121

Die ersten Jahre im Zürcher Kunsthaus

Die Arbeitsstelle besteht in der Kombination eines Sekretärs und eines Konservators. Der 27-jährige Kunsthistoriker sieht sich mit einer anspruchsvollen Aufgabe konfrontiert. Das Verfassen der Sitzungsprotokolle bereitet ihm dank seiner akademischen Schulung keine Mühe. Bald ersetzt er die von Hand in Sütterlinschrift verfassten Protokolle seines Vorgängers durch sorgfältig mit Schreibmaschine getippte Blätter. Zeitraubend erweist sich die Anzahl der Sitzungen, die in gerafftem Zeitraum einen guten Einblick in die Organisation der Zürcher Kunstgesellschaft ermöglicht. Für den Vorstand stehen allein im Zeitraum von Januar bis Dezember 1909 41 Sitzungen an. Dazu addieren sich die Sitzungen der weiteren Kommissionen wie Sammlungs-, Bibliotheks-, Ausstellungsund Unterhaltungskommission.

Zwei Gebäude unterliegen seiner Aufsicht, das Künstlergut oberhalb der Stadt, ein Zürcher Landhaus mit einem Anbau für Ausstellungen, das 1909 vorwiegend der Sammlung diente, sowie das Künstlerhaus, ein schlichtes Ausstellungsgebäude, 1895 an der Ecke Talgasse/Börsenstrasse errichtet; es wird 1910 mit dem Bezug des Kunsthauses abgebrochen.122

Zum Aufgabenbereich des Konservators gehören die Betreuung der Sammlung wie auch die Organisation der Ausstellungen. Die Besuche im Louvre in Paris und die zahlreicher Kunstausstellungen im In- und Ausland lehrten Wilhelm Wartmann die Kunst der alten Meister, auch die Kunst des 19. Jahrhunderts bis zu den Impressionisten ist ihm wohlvertraut.

In die Welt der Schweizer und der Zürcher Künstler muss er sich nach den Pariser Jahren einleben.

Die Ausstellungen erfolgen in Zyklen, genannt Serien, von meist monatlicher Dauer, ein Jahresprogramm umfasst im Durchschnitt zwölf Ausstellungen.

In den ersten Wochen erweist sich die Aufgabenstellung als sehr disparat, sie wird durch den Mangel an der fachgerechten Einarbeitung und des fehlenden Pflichtenhefts erschwert. Vertraulich wendet sich Wartmann an Paul Ganz, der ihm seine Unterstützung zusichert: «Ich bin gerne bereit, Ihnen zu raten und zu helfen, soweit es in meinen Kräften steht. Ich weiss wohl, was für einen gefährlichen und mühevollen Posten Sie übernommen haben, aber es wird Ihnen in Zürich sein wie mir in Basel. Sie müssen sich die Position nach und nach machen, mit Vorsicht und Ausdauer.»123

Zeitgleich mit Wartmanns Amtsantritt wechselt der Präsident der Ausstellungskommission, an die Stelle von Dr. Carl von Muralt tritt Richard Kisling. Der Eisenwarenhändler ist ein leidenschaftlicher Bildersammler und Mäzen; im Sommer 1904 wird er in die Ausstellungskommission, bald darauf in den Vorstand gewählt. Die Begegnungen und Gespräche mit Künstlern überzeugen ihn von der zeitgenössischen Kunst, er setzt sich für die Repräsentanten der Avantgarde ein. Wartmann gewinnt in ihm einen Mitstreiter für zeitgenössische Ausstellungen. Ihre Freundschaft stärkt die gemeinsame Freude an der Musik; Richard Kisling spielt Klavier, Wartmann liebt die Geige.124

Wartmann mietet wie zu seinen Studienzeiten ein Zimmer in der Pension von Frau Dr. Maag-Kuhn an der Gemeindestrasse 4 in Hottingen, in Fussgängerdistanz zum Neubau am Heimplatz.

Die Organisation des Kunstgesellschaftsund des Kunsthausbetriebs

Die Vorstandssitzung vom 16. September 1909 erachtet eine «Statutenrevision verbunden mit einer Regelung des Anstellungsverhältnisses von Konservator und Sekretär wie des übrigen Personals im Hinblick auf die Bedürfnisse des Kunsthauses» als dringlich. «Der derzeitige Sekretär wird aufgefordert, sich gelegentlich über seine Auffassung der Frage vernehmen zu lassen.»125

Wilhelm Wartmann erstellt ein Pflichtenheft für den Sekretär:

«Der Sekretär hat seine volle Arbeitskraft und Arbeitszeit den Interessen der Zürcher Kunstgesellschaft zu widmen.

Bureaustunden von 8 bis 12 Uhr vormittags und von 2 bis 6 Uhr nachmittags.

Der Sekretär untersteht dem Vorstand und den Kommissionspräsidenten; er hat in den Sitzungen beratende Stimme.

Der Sekretär hat alljährlich Anspruch auf drei Wochen Ferien.

Der Sekretär beaufsichtigt die Kassiererin und den Abwart und weist ihnen die Arbeit an.

Der Sekretär hat alle Korrespondenzen und Protokolle wie überhaupt die gesamte Schriftleitung zu führen. Ferner fällt ihm die Aufsicht über die Sammlungen und die Bibliothek zu sowie über die ständigen Ausstellungen; weiter hat er die Spedition zu leiten, den Verkauf der ausgestellten Werke zu führen und die Ausstellungskasse zu überwachen.»126

Die Leitung der Bibliothek untersteht H. Appenzeller, ein Werbeblatt für den Beitritt zur Kunstgesellschaft umschreibt ihren Zweck: «Angelegt nicht eben als wissenschaftliche Rüstkammer, sondern mehr, um dem nachdenklichen Geiste Ausflüge über die zeitliche und räumliche Begrenztheit von Sammlung und Ausstellung hinaus zu ermöglichen … Ein besonderer Zeitschriftensaal, der eben eingerichtet wird, gestattet, sich jederzeit über das Neueste im Ausstellungswesen und im ganzen übrigen Kunstwesen zu unterrichten.»127

Die Vorbereitungen für die Übersiedlung der Sammlung ins neue Kunsthaus am Heimplatz ist im Gang, während der Betrieb des Künstlerhauses aufrechterhalten bleibt, der Umzug bedeutet eine logistische Herausforderung. Nach den ersten Arbeitsmonaten bilanziert Wartmann ernüchtert: «So ging in den ersten Monaten die grösste Arbeit darin auf, dass nach rückwärts Ordnung geschaffen werden musste, statt dass es möglich gewesen wäre, mit aller Energie der Gegenwart und der Zukunft zu dienen … So mühsam und aufreibend diese Art von Betrieb sich gestaltete … so interessant erschien sie als Vorbereitung und Probe auf die kommende Zeit des Kunsthausbetriebes.»128

Die Überschneidung der Pflichten in Personal- und Betriebsfragen ist vorhersehbar, sodass der Vorstand eine Sonderkommission mit dem Sekretär und den Präsidenten der Kommissionen ins Leben ruft. Die Subkommission schlägt die Wahl eines zweiten Sekretärs vor, «der in erster Linie nach kommerziell-geschäftlichen Richtung orientiert».129

An der Vorstandssitzung vom 3. März wird Dr. Theodor Barth zum zweiten Sekretär gewählt. Die Arbeitsverteilung sieht vor, dass der Kon- servator und erste Sekretär Wartmann zusätzlich zu den allgemeinen Vereinsgeschäften und dem Kunsthausbetrieb für das Gesellschaftsleben, die Verwaltung von Sammlungen, die Bibliothek und das Kupferstichkabinett zuständig ist; der zweite Sekretär Barth verantwortet die wechselnden Ausstellungen. Der zweite Sekretär bleibt grundsätzlich dem ersten Sekretär untergeordnet.

Per ars ad lux

Am Sonntag, den 17. April 1910 findet die feierliche Eröffnung des neuen Kunsthauses statt; sie nimmt den «denkbar schönsten und würdigsten Verlauf. Den Festprolog von Adolf Frey, die Reden der Herren Stadtpräsident Billeter, Professor Moser, Oberst Ulrich, die Weiherede von Herrn Prof. Dr. A. Meyer, Rektor unserer Hochschule, das Festspiel von Leonhard Steiner130, die von Herrn F. Boscovits jun. gezeichnete Festkarte, dies alles, bis auf das Programm der ganzen Feier, wird ein Erinnerungsheft zu dauerndem Besitz zusammenfassen.»131 Ein reich illustrierter

Ausstellungskatalog dokumentiert die 318 Werke der 139 Zürcher Künstler, die aufgefordert werden, «ihr Bestes zu bringen und damit die neuen lichten Räume … zu übernehmen.»132

Abb. 10: Festumzug zur Einweihung des Kunsthauses, 1910

Der Sechseläuten-Festumzug von Montag, 18. April steht unter dem Motto «Bildende Künste, Architektur, Bildhauerei, Kunst im Handwerk, Malerei, Künstler der Neuzeit» und bildet den Höhepunkt der Feierlichkeiten. Das «Officielle Album», herausgegeben vom Central-Comité der Zünfte, leitet mit den Worten ein: «Das bescheidene Provisorium … soll nun verlassen werden und festlicher Einzug will die Kunst halten in ihr neues stattliches Haus, das seine Erstehung privater und öffentlicher Werktätigkeit verdankt. – Und nun feiern die zürcherischen Zünfte die Inauguration des ‹Zürcher Kunst Hauses› durch die folgenden Bilder aus dem Werdegang bildender Künste auf Zürcherischem und Schweizerischem Gebiete. – Per Ars ad Lux.»133

Schweizer Kunst – internationale Kunst

Die Zürcher Kunstgesellschaft und ihre Vorläufer entspringen dem Bedürfnis, Werke von Zürcher Künstlern zu sammeln und auszustellen. Das

Interesse an Schweizer Kunsterzeugnissen gelangt erst später ins Blickfeld, so differenziert die Eröffnungsausstellung, vom 17. April bis 3. Juli 1910, zwischen «Zürcher Künstlern» und «eingeladenen Schweizer Künstlern». Die Pflege des zürcherischen und schweizerischen Kunstschaffens bleibt eine Konstante der Ausstellungspolitik. Neben Gruppenausstellungen finden regelmässig nationale Ausstellungen statt wie die Turnusausstellungen des Schweizerischen Kunstvereins oder die Ausstellungen der Gesellschaft schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten, Schwerpunkt Zürcher Sektion.

Die Frage der Auswahl von schweizerischen kontra ausländischen

Künstlern ist ein konstantes Thema. Ein Leserbrief vom 28. Februar 1913 in der Zürcherischen Freitagszeitung legt Beschwerde über die systematische Zurückweisung von Zürcher Künstlern ein. Wilhelm Wartmann reagiert auf den Vorwurf: «Die Zürcher Kunstgesellschaft macht es sich zur Pflicht, allen Erscheinungen, die durch Ernst des Strebens und künstlerische Leistung irgendwie Anspruch auf Beachtung besitzen, zur Geltung zu verhelfen». Er erläutert, dass das Kunsthaus einen Zürcher Saal besitze, der die schönste Ausstellungsgelegenheit bietet, die ein Zürcher Künstler überhaupt finden kann. «Ausser dem das Jahr hindurch je nach Bedürfnis benützten Zürcher Saal werden, aber bekanntlich regelmässig im Dezember–Januar, dem besten Verkaufsmonat, überhaupt alle Ausstellungsräume den Zürcher Künstlern eingeräumt … Es ist ja ausgeschlossen, dass nur Zürich Meisterwerke hervorbringt oder dass in Zürich allein ebenso viele gute Werke geschaffen werden wie in der Schweiz überhaupt und den grossen Kunstzentren des Auslandes.»134

Ein grosses Anliegen der Zürcher Kunstgesellschaft gilt dem traditionellen Gesellschaftsleben, wie die am 2. Juni 1910 von der ordentlichen Generalversammlung genehmigten, umgearbeiteten Statuten nachweisen: Es gilt «den Sinn für bildende Kunst zu pflegen, das Verständnis für die öffentlichen Kunstinteressen zu heben und die Bestrebungen der Künstlerschaft zu fördern», durch «gesellige Vereinigung von Künstlern und Kunstfreunden, Veranstaltungen von Vorträgen und Vorweisung von Kunstwerken».135 Das Vereinsjahr ist durch gesellschaftliche Anlässe strukturiert: Die Bächtelifeier am 2. Januar bildet den Jahresauftakt, und das Jahr endet mit dem Martini-Mahl im November; bei Jung und Alt beliebt ist die Neujahrsverlosung, die den Gewinnern Gutscheine für Kunstwerke zeitgenössischer Künstler verspricht.

Der von Karl Moser gewählte Begriff «Kunsthaus» impliziert demokratische Vorzeichen; es pflegt nicht primär konservatorische Anliegen, sondern ist ein öffentliches, lebendiges Haus.

Kunstinstitut der Zukunft

Die architektonische Form des Kunsthauses weist zwei Flügel für die beiden Pfeiler des Hauses auf: die Sammlung und die Ausstellungen. Wilhelm Wartmann spinnt den Gedanken weiter: Die Sammlung soll immer eine Abstraktion des Kunstlebens sein und nicht das Leben selbst. «Auch die Gegenwart ist in ihr bereits ‹eingereiht› als Epoche neben früheren, bestimmt, wie diese, durch neue abgelöst und damit geschichtlich zu werden.» Im Gegensatz dazu steht die Ausstellung, die «mit unmittelbaren herausfordernden Eindrücken … von unschätzbarem Werte gerade im Zusammenwirken mit der Sammlung [Kunst erlebbar macht] … Mit der Organisation, wie sie mit dem Einzug in das neue Haus begründet und seither befestigt wurde, ist die Zürcher Kunstgesellschaft moderner als vielleicht da und dort empfunden wird. Sie ist nicht nur weit genug, um an die erwähnte, unwiderstehlich aufkeimende Bewegung um Städte wie Hamburg, Hagen, Frankfurt a. M., Mannheim den Anschluss zu finden, sondern marschiert bereits an der Spitze mit»; in einer Randnotiz erwähnt Wartmann die Museumsdirektoren Alfred Lichtwark und Fritz Wichert.136

Im August 1910 wird in den Bibliotheksräumen ein kleines Kupferstichkabinett mit einer Werkauswahl Johann Heinrich Füsslis eröffnet: «Damit ist neben den beiden Einrichtungen der ‹Ständigen Ausstellung› und der ‹Sammlung› … auch das Kupferstichkabinett, als Stätte intimeren Kunstgenusses, der Öffentlichkeit erschlossen worden … Anspruchsloser, schon dem Formate nach, als die grossen ‹Bilder›, und meist auf den einladenden Reiz der Farbigkeit verzichtend, verlangen diese Blätter auch eine andere Betrachtungsweise. Ein Besuch im Kupferstichkabinett ist schon mit dem Genuss von Kammermusik verglichen worden … Zeichnungen jeder Art, Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen, Steindrucke, ob farbig oder nur in Schwarz-Weiss, auch Aquarell- und Ölskizzen, werden heute allgemein dem ‹Kupferstichkabinett› zugewiesen.»137

Die Ausstellungen grafischer Werke und der Aufbau einer grafischen Sammlung liegen Wartmann besonders am Herzen.

Wartmann hegt auch schon länger die Idee einer hauseigenen Publikation, sie könnte eine Brücke zwischen Kunsthaus, Künstlern, Sammlern und dem breiten Publikum bilden. An der Sitzung vom 26. Januar 1911 schlägt er dem Vorstand die Herausgabe einer Monatsschrift mit dem Namen Das Kunsthaus. Blätter für Schweizer Kunst und Kunstleben. Anzeiger der Zürcher Kunstgesellschaft vor.138 Bereits eine Woche später, am 31. Januar, erscheint die erste Nummer des Periodikums, dessen Ziel und

Abb. 11: Zeitschrift Das Kunsthaus, 1. Jg. 1911, Heft 1

Inhalt programmatische Züge aufweisen: «1. Anzeigen von Ausstellungen im Kunsthaus in Zürich und in anderen Schweizerstädten, sowie Mitteilungen über Zuwachs und allgemeine Entwicklung schweizerischer Kunstsammlungen und Museen. 2. Sammelstelle für Anregungen und Aufsätze zu Kunstleben und Kunstpflege in der Schweiz. 3. Anzeigen über die internen Vereinsangelegenheiten der Zürcher Kunstgesellschaft.»139 Damit übernimmt die Zeitschrift Das Kunsthaus die Rolle eines offiziellen Organs der Zürcher Kunstgesellschaft. In den folgenden sechs Jahren von 1911 bis 1917 entwickelt sie sich zu einem zentralen Forum für zürcherische und schweizerische Kunstbelange in monatlichem Rhythmus; nach 1917 wird ihr Erscheinen auf neun Hefte reduziert. Das Gesellschaftsblatt Das Kunsthaus erscheint nach wie vor regelmässig bis 1920, nach der letzten Sammelnummer des ersten Quartals 1921 muss es wegen der hohen Druckkosten eingestellt werden.

Wartmann überdenkt auch die Zahl der bestehenden Publikationen und fordert, wie private Notizen belegen, formale sowie inhaltliche Angleichungen für ein einheitliches Layout im Sinn einer Corporate Identity. Eine Eingabe an die Bibliothekskommission beantragt die «Anpassung des Berichtes in der äusseren Form an den Stil des Kunsthauses und der Kunsthauspublikationen, Anpassung des Inhaltes an die Bedeutung von Sammlungen und Ausstellung und den mit 1910 erweiterten Kunsthausbetrieb. Beigabe einer Abbildung der Haupterwerbung des Jahres, soweit sie nicht als Katalogillustration oder Ansichtskarte publiziert ist. ‹Wissenschaftliche Beigabe›, kleiner Aufsatz über ein interessantes Kapitel der Entwicklungsgeschichte der Sammlung, ein wertvolles, bisher wenig beachtetes oder unrichtig bezeichnetes Objekt.»140

Die Tradition der Neujahrsblätter bleibt erhalten. Die druckfrische Ausgabe wird jeweils an der Feier des Berchtoldstags von der Bibliothekskommission präsentiert. Diese Publikation gilt der Darstellung und Würdigung bedeutender Personen; oft sind es Künstler, denen «ein Denkmal der Verehrung ihrer Persönlichkeit und ihres Werkes » gewidmet wird.141

Die Jahresberichte der Zürcher Kunstgesellschaft bereichern das Publikum mit illustrierten Aufsätzen zur Kunst; die Ausstellungsbesprechungen erfordern die Aufarbeitung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse, wie Wartmann mit einem längeren Aufsatz über die Künstlerfamilie Füssli im August/September 1910 im Kupferstichkabinett beweist.

Die Neue Zürcher Zeitung ist das Sprachrohr des Kunsthauses. Während der 40-jährigen Tätigkeit des Sekretärs und Konservators, ab 1925 des Direktors der Zürcher Kunstgesellschaft entstehen unzählige Aufsätze,

Essays, Kritiken, Berichtigungen zu kunstwissenschaftlichen Themen. Sie werden von den Zeitungsredaktionen mitgetragen und multiplizieren die Stimme des Kunsthauses für das kunstinteressierte Bildungsbürgertum. Das Verbindungsglied bildet Dr. Hans Trog, Redaktor der Neuen Zürcher Zeitung, seit Jahren Mitglied der Sammlungs- und der Bibliothekskommission. Der Konservator und der fachkundige Zeitungsredaktor bilden ein schreibfreudiges Gespann der zürcherischen Kultur- und Kunstvermittlung.

Im Mai 1909 bestellt Wartmann im Musikgeschäft Hug einen Konzertflügel zur Miete für die Gemeindestrasse 4, das Reiten pflegt er in der Allgemeinen Offiziers-Reitgesellschaft Zürichs.

Zeit des Aufschwungs

Zwischen 1890 und 1914 findet ein belebter Kulturaustausch statt, der vielen Schweizer Künstlern zu internationalen Ausstellungsmöglichkeiten verhilft. Ferdinand Hodlers Gemälde sind in grossen Ausstellungen in Paris, Brüssel, Berlin, Düsseldorf, Weimar, Köln, Dresden und Wien zu sehen. Cuno Amiet – neben Hodler der international bekannteste Schweizer Maler – gehört seit 1906 der deutschen Künstlergruppe «Die Brücke» an. Seine Ausstellungstätigkeit erstreckt sich über Frankreich, Holland, Dänemark, Deutschland bis nach Österreich-Ungarn. Auch der Bildhauer Hermann Haller nimmt zwischen 1906 und 1914 an mindestens 20 grossen Ausstellungen in Deutschland teil.

Der intensive Austausch schlägt sich auch in den Publikationen nieder. Die zahlreichen Kunstzeitschriften Europas beinhalten regelmässige Berichte über Schweizer Künstler, im Gegenzug erreichen die Nachrichten über ausländischen Kunstereignisse auch die Schweiz. Die schweizerischen Ausstellungen von van Gogh (Künstlerhaus Zürich, 1908) und Paul Gauguin (Kunstsalon Wolfsberg, Zürich, 1912, sowie Kunsthalle Basel, 1913) werden im nahen Ausland mit Aufmerksamkeit verfolgt. Schweizer Künstler sind regelmässig in Frankreich, Deutschland, Österreich und im Mittelmeerraum bis Nordafrika tätig; Karl Bodmer und Frank Buchser reisen nach Übersee. Die Westschweizer Künstler suchen in der deutschen Schweiz ein neues Publikum, ein Umstand, der vor allem Ferdinand Hodler zu nutzen weiss.

Um 1910 verdichtet sich das schweizerische Netz an Beziehungen zur europäischen Kulturlandschaft, es entwickelt sich zu einem Schnittpunkt verschiedener Einflussbereiche. Auch die Deutschschweiz öffnet sich der noch weitgehend unbekannten Kunst Frankreichs. Wilhelm

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