L. Donati (Hrsg.): Otto Streichers Spuren.

Page 1


5 Vorwort Markus Notter 7 Einleitung: ein Lorenza Donati

Spaziergang

11

Bestrebungen hinsichtlich der Bautätigkeit

4

Otto Streicher, 1918

17 1 Forchstrasse

5

23 Otto Streicher und Daniel Kurz

Zürich

27 2 Mühlebachstrasse 31 3 Hochstrasse 32

4 Schaffhauserstrasse 34 5 Leutholdstrasse 36 6 Neugasse 37 7 Ottostrasse

7

39 Reform des Miroslav Šik

6

8

Herkömmlichen

49 8 Sihlfeldstrasse 53 Farbe für ein Caroline Kesser

neues Selbstbewusstsein

3

9

61 9 Kanzleistrasse 14

63

10 Bremgartenstrasse 64 11 Zweierstrasse 66 12 Ankerstrasse

12 10

71 Das Wissen der Gebäude Philip Ursprung

13 11

74 15

13 Sihlporte

78 Die Sihlporte Tilla Theus 84

14 Kino Rex

85 Die Lichter der Grossstadt Werner Huber 94 96

Kurzbiografie Otto Streicher Werkverzeichnis 98 Autorinnen und Autoren 100 Anmerkungen 101 Abbildungsnachweis 102 Dank 97

2 1

15 Kino ABC


5 Vorwort Markus Notter 7 Einleitung: ein Lorenza Donati

Spaziergang

11

Bestrebungen hinsichtlich der Bautätigkeit

4

Otto Streicher, 1918

17 1 Forchstrasse

5

23 Otto Streicher und Daniel Kurz

Zürich

27 2 Mühlebachstrasse 31 3 Hochstrasse 32

4 Schaffhauserstrasse 34 5 Leutholdstrasse 36 6 Neugasse 37 7 Ottostrasse

7

39 Reform des Miroslav Šik

6

8

Herkömmlichen

49 8 Sihlfeldstrasse 53 Farbe für ein Caroline Kesser

neues Selbstbewusstsein

3

9

61 9 Kanzleistrasse 14

63

10 Bremgartenstrasse 64 11 Zweierstrasse 66 12 Ankerstrasse

12 10

71 Das Wissen der Gebäude Philip Ursprung

13 11

74 15

13 Sihlporte

78 Die Sihlporte Tilla Theus 84

14 Kino Rex

85 Die Lichter der Grossstadt Werner Huber 94 96

Kurzbiografie Otto Streicher Werkverzeichnis 98 Autorinnen und Autoren 100 Anmerkungen 101 Abbildungsnachweis 102 Dank 97

2 1

15 Kino ABC


5

Vorwort Markus Notter

Der Architekt Otto Streicher (1887–1968) errichtete im Jahr 1964 eine Stiftung. 1971 erhöhte seine Witwe Emma Streicher-Jori das Stiftungskapital von 2,3 Millionen um weitere 2,75 Millionen Franken. Seit ihrer Gründung hat die Stiftung rund 1900 Projekte mit Beiträgen von insgesamt 13,5 Millionen Franken unterstützt. Die zinsbedingte Ertragslage zwang die Stiftung leider dazu, ihr Wirken nach gut 50 Jahren Fördertätigkeit zu beenden. Dies alles ist Anlass genug, nach dem Stifter und vor allem nach seinem Werk zu fragen. Aus Dankbarkeit für die Chance, eine gute Ausbildung am Technikum Winterthur erhalten zu haben, und aus Freude, Menschen zu helfen, die Imponierendes schaffen, aber nicht auf Rosen gebettet sind, hat Otto Streicher seine Stiftung errichtet. Er nannte sie STEO Stiftung, ein Akronym für Streicher Emma und Otto. Offensichtlich wollte er sich selber nicht in den Vordergrund stellen. Auch deshalb ist der Name Otto Streicher der Öffentlichkeit wohl weitgehend unbekannt, obwohl verschiedene seiner Bauten im Stadtbild von Zürich markant in Erscheinung treten. Bis vor Kurzem wurde er sogar in Fachschriften mit einem gleichnamigen deutschen Architekten verwechselt. Dieses Buch folgt in einem Spaziergang den architektonischen Werken Otto Streichers in der Stadt Zürich. Am Anfang seines Schaffens stehen die Wohnbauten in den Arbeiterquartieren. Zehn Jahre arbeitete er für die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ), die ihm Direktaufträge erteilte. In einer von der ABZ 1918 publizierten Broschüre über den «Kampf gegen die Wohnungsnot» formulierte Otto Streicher Grundsätze des genossenschaftlichen Wohnungsbaus. Er orientierte sich an den Bedürfnissen der «kleinen Leute» mit einer angepassten, dauerhaften und städtischen Architektur. Seine Arbeitersiedlungen wirken heute beispielhaft für eine «anonyme Architektur» im Zürich der 1920er-Jahre. Die Symbolkraft des Arbeiterpalastes an der Ottostrasse und die künstlerische Gestaltung der Wohnkolonien Sihlfeld und Kanzleistrasse mit Wandmalereien von Wilhelm Hartung zeugen von einer Ambition, die über die blosse Zweckmässigkeit hinausreicht. Die Bildsprache bedient sich dabei einer Sehnsucht nach Landidylle, die zwar in einem Gegensatz zum städ­ tischen Umfeld steht, jedoch einem Bedürfnis zu entspringen scheint.


5

Vorwort Markus Notter

Der Architekt Otto Streicher (1887–1968) errichtete im Jahr 1964 eine Stiftung. 1971 erhöhte seine Witwe Emma Streicher-Jori das Stiftungskapital von 2,3 Millionen um weitere 2,75 Millionen Franken. Seit ihrer Gründung hat die Stiftung rund 1900 Projekte mit Beiträgen von insgesamt 13,5 Millionen Franken unterstützt. Die zinsbedingte Ertragslage zwang die Stiftung leider dazu, ihr Wirken nach gut 50 Jahren Fördertätigkeit zu beenden. Dies alles ist Anlass genug, nach dem Stifter und vor allem nach seinem Werk zu fragen. Aus Dankbarkeit für die Chance, eine gute Ausbildung am Technikum Winterthur erhalten zu haben, und aus Freude, Menschen zu helfen, die Imponierendes schaffen, aber nicht auf Rosen gebettet sind, hat Otto Streicher seine Stiftung errichtet. Er nannte sie STEO Stiftung, ein Akronym für Streicher Emma und Otto. Offensichtlich wollte er sich selber nicht in den Vordergrund stellen. Auch deshalb ist der Name Otto Streicher der Öffentlichkeit wohl weitgehend unbekannt, obwohl verschiedene seiner Bauten im Stadtbild von Zürich markant in Erscheinung treten. Bis vor Kurzem wurde er sogar in Fachschriften mit einem gleichnamigen deutschen Architekten verwechselt. Dieses Buch folgt in einem Spaziergang den architektonischen Werken Otto Streichers in der Stadt Zürich. Am Anfang seines Schaffens stehen die Wohnbauten in den Arbeiterquartieren. Zehn Jahre arbeitete er für die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ), die ihm Direktaufträge erteilte. In einer von der ABZ 1918 publizierten Broschüre über den «Kampf gegen die Wohnungsnot» formulierte Otto Streicher Grundsätze des genossenschaftlichen Wohnungsbaus. Er orientierte sich an den Bedürfnissen der «kleinen Leute» mit einer angepassten, dauerhaften und städtischen Architektur. Seine Arbeitersiedlungen wirken heute beispielhaft für eine «anonyme Architektur» im Zürich der 1920er-Jahre. Die Symbolkraft des Arbeiterpalastes an der Ottostrasse und die künstlerische Gestaltung der Wohnkolonien Sihlfeld und Kanzleistrasse mit Wandmalereien von Wilhelm Hartung zeugen von einer Ambition, die über die blosse Zweckmässigkeit hinausreicht. Die Bildsprache bedient sich dabei einer Sehnsucht nach Landidylle, die zwar in einem Gegensatz zum städ­ tischen Umfeld steht, jedoch einem Bedürfnis zu entspringen scheint.


6

Vorwort

In den Jahren danach überquerte Otto Streicher mit seiner Bau­ tätigkeit die Sihl, den «minderen Fluss», wie Hugo Loetscher sagte. Es war mehr als nur eine örtliche Veränderung. Das Geschäftshaus Sihlporte mit der Steinfassade ist auch Sinnbild für den Übergang von den Arbeiterquartieren Aussersihl und Industrie zur City. Danach folgten die Kinos Rex und ABC an der Bahnhofstrasse – eine Öffnung in Richtung kulturelle Nutzung und «grosse Welt», mit holzgetäfeltem Foyer und Marmortreppe zum Kinosaal. Das Kino Rex verfügte zwar über modernste Bühneneinrichtungen, wurde aber in erster Linie als Lichtspieltheater genutzt, denn das Kino war auch die grosse Welt der «kleinen Leute». Insofern blieb sich Otto Streicher treu. Die Bahnhofstrasse hat ihm auch wirtschaftlich Glück gebracht. Er nutzte sein erworbenes Vermögen auch für mäzenatische Tätig­keiten, unter anderem mit der Errichtung der STEO Stiftung. Die Stiftungsurkunde spricht von Unterstützung, Förderung und Auszeichnung strebsamer Talente auf den Gebieten der Literatur, der Kunst und der Wissenschaft, die ohne finanzielle Hilfe ihre Ausbildung nicht vollenden oder ihre Tätigkeit nur unter erschwerten Umständen ausüben können. Es geht also um die Tüchtigen, die aber doch Unterstützung brauchen, es geht, anders gesagt, um die «kleinen Leute». Somit sehe ich eine Verbindung zwischen dem architektonischen und dem mäzenatischen Werk von Otto Streicher. In beiden Ele­menten seines Lebenswerks kann man ein soziales Anliegen erkennen. Und so wie seine Bauten im Stadtbild von Zürich weiterwirken, so wirken die vielen geförderten «strebsamen Talente» über ihre eigenen Werke hinaus im kulturellen Leben Zürichs weiter. Das vorliegende Buch sammelt Stimmen, Sichtweisen und Bilder zum architektonischen Werk Otto Streichers. Im Namen der STEO Stiftung danke ich den Autorinnen und Autoren, dem Fotografen Walter Mair und der Herausgeberin Lorenza Donati herzlich für die Gestaltung des Buchs als Spaziergang durch sein Werk.

7

Einleitung: ein Spaziergang – Otto Streichers Spuren Lorenza Donati

Wir bewegen uns täglich in einem vertrauten Raum, geformt von der gebauten Stadt. Die Bauten sind oft unspektakulär, aber gerade in ihrer unaufregenden Selbstverständlichkeit bilden sie die ortsspezifische Identität. Wir kennen diese Räume, die Quartiere mit ihren Plätzen, die Strassen, Gebäude, manche von ihnen können wir be­ nennen. Der Architekt bleibt oft anonym, denn es ist weniger seine Handschrift, die den Ort beschreibt, als vielmehr seine Fähigkeit, den Kontext zu verstehen und so die Stadt und ihre Epoche mitzubauen. Seine Bauten werden Spuren der Geschichte. Spazieren wir durch die Stadt, lesen wir die Architektur im Kontext als Teil einer Stadterzählung. In diesem Buch folgen wir mit einem Spaziergang den Spuren einer Geschichte der Stadt Zürich aus den 1920er-Jahren, die noch heute das Stadtbild prägen. Unser Spaziergang beginnt im Balgrist-Quartier, am Rande der Stadt Zürich. Das Quartier ist locker bebaut. Alleinstehende Mehrfamilienhäuser prägen das Stadtbild. An der Forchstrasse entdecken wir ein unauffälliges, rosa verputztes Mehrfamilienhaus (1 auf dem Plan von Seite 2). Seine Fassade ist symmetrisch aufgebaut mit betonten Kunst­ stein­ecken. Das frei stehende Haus fügt sich der äusseren Gestaltung der bürgerlich geprägten Quartierbebauung. Es handelt sich um eine der ersten Wohnbaugenossenschaftssiedlungen der Allgemeinen Bau­genossenschaft Zürich (ABZ). Unser Blick erfasst die Eingangstür, umrahmt von einem breiten, verzierten Kunststeinportal, geschmückt mit zwei aufgesetzten Rosetten. Die betonte Eingangstür deutet den kleinbürgerlichen Wunsch vom idyllischen Wohnen im eigenen Haus an. Ein Wunsch, dem auch die baugenossenschaftliche Architektur zu entsprechen versuchte. Hinter dem städtischen Wohngebäude entfaltet sich ein Gemeinschaftsgarten, der rückwärtig von einem zweiten, identischen Mehrfamilienhaus begrenzt wird. Wir folgen der stark befahrenen Forchstrasse weiter und gelan­gen in einen ruhigen Teil des Seefelds. Inmitten einer Ziergartenanlage stehen neun dreigeschossige Mehrfamilienhäuser (2). Wir erkennen


6

Vorwort

In den Jahren danach überquerte Otto Streicher mit seiner Bau­ tätigkeit die Sihl, den «minderen Fluss», wie Hugo Loetscher sagte. Es war mehr als nur eine örtliche Veränderung. Das Geschäftshaus Sihlporte mit der Steinfassade ist auch Sinnbild für den Übergang von den Arbeiterquartieren Aussersihl und Industrie zur City. Danach folgten die Kinos Rex und ABC an der Bahnhofstrasse – eine Öffnung in Richtung kulturelle Nutzung und «grosse Welt», mit holzgetäfeltem Foyer und Marmortreppe zum Kinosaal. Das Kino Rex verfügte zwar über modernste Bühneneinrichtungen, wurde aber in erster Linie als Lichtspieltheater genutzt, denn das Kino war auch die grosse Welt der «kleinen Leute». Insofern blieb sich Otto Streicher treu. Die Bahnhofstrasse hat ihm auch wirtschaftlich Glück gebracht. Er nutzte sein erworbenes Vermögen auch für mäzenatische Tätig­keiten, unter anderem mit der Errichtung der STEO Stiftung. Die Stiftungsurkunde spricht von Unterstützung, Förderung und Auszeichnung strebsamer Talente auf den Gebieten der Literatur, der Kunst und der Wissenschaft, die ohne finanzielle Hilfe ihre Ausbildung nicht vollenden oder ihre Tätigkeit nur unter erschwerten Umständen ausüben können. Es geht also um die Tüchtigen, die aber doch Unterstützung brauchen, es geht, anders gesagt, um die «kleinen Leute». Somit sehe ich eine Verbindung zwischen dem architektonischen und dem mäzenatischen Werk von Otto Streicher. In beiden Ele­menten seines Lebenswerks kann man ein soziales Anliegen erkennen. Und so wie seine Bauten im Stadtbild von Zürich weiterwirken, so wirken die vielen geförderten «strebsamen Talente» über ihre eigenen Werke hinaus im kulturellen Leben Zürichs weiter. Das vorliegende Buch sammelt Stimmen, Sichtweisen und Bilder zum architektonischen Werk Otto Streichers. Im Namen der STEO Stiftung danke ich den Autorinnen und Autoren, dem Fotografen Walter Mair und der Herausgeberin Lorenza Donati herzlich für die Gestaltung des Buchs als Spaziergang durch sein Werk.

7

Einleitung: ein Spaziergang – Otto Streichers Spuren Lorenza Donati

Wir bewegen uns täglich in einem vertrauten Raum, geformt von der gebauten Stadt. Die Bauten sind oft unspektakulär, aber gerade in ihrer unaufregenden Selbstverständlichkeit bilden sie die ortsspezifische Identität. Wir kennen diese Räume, die Quartiere mit ihren Plätzen, die Strassen, Gebäude, manche von ihnen können wir be­ nennen. Der Architekt bleibt oft anonym, denn es ist weniger seine Handschrift, die den Ort beschreibt, als vielmehr seine Fähigkeit, den Kontext zu verstehen und so die Stadt und ihre Epoche mitzubauen. Seine Bauten werden Spuren der Geschichte. Spazieren wir durch die Stadt, lesen wir die Architektur im Kontext als Teil einer Stadterzählung. In diesem Buch folgen wir mit einem Spaziergang den Spuren einer Geschichte der Stadt Zürich aus den 1920er-Jahren, die noch heute das Stadtbild prägen. Unser Spaziergang beginnt im Balgrist-Quartier, am Rande der Stadt Zürich. Das Quartier ist locker bebaut. Alleinstehende Mehrfamilienhäuser prägen das Stadtbild. An der Forchstrasse entdecken wir ein unauffälliges, rosa verputztes Mehrfamilienhaus (1 auf dem Plan von Seite 2). Seine Fassade ist symmetrisch aufgebaut mit betonten Kunst­ stein­ecken. Das frei stehende Haus fügt sich der äusseren Gestaltung der bürgerlich geprägten Quartierbebauung. Es handelt sich um eine der ersten Wohnbaugenossenschaftssiedlungen der Allgemeinen Bau­genossenschaft Zürich (ABZ). Unser Blick erfasst die Eingangstür, umrahmt von einem breiten, verzierten Kunststeinportal, geschmückt mit zwei aufgesetzten Rosetten. Die betonte Eingangstür deutet den kleinbürgerlichen Wunsch vom idyllischen Wohnen im eigenen Haus an. Ein Wunsch, dem auch die baugenossenschaftliche Architektur zu entsprechen versuchte. Hinter dem städtischen Wohngebäude entfaltet sich ein Gemeinschaftsgarten, der rückwärtig von einem zweiten, identischen Mehrfamilienhaus begrenzt wird. Wir folgen der stark befahrenen Forchstrasse weiter und gelan­gen in einen ruhigen Teil des Seefelds. Inmitten einer Ziergartenanlage stehen neun dreigeschossige Mehrfamilienhäuser (2). Wir erkennen


8

Einleitung: ein Spaziergang – Otto Streichers Spuren

dieselben Fenster und Fensterläden wie vorgängig an der Forchstrasse. Die lockere Anordnung der Gebäude im Grünen nimmt einen dörflichen Charakter an. Von einem Gartenzaun begrenzt, verspricht die Siedlung eine Landidylle inmitten der Stadt. Ein Siedlungsmodell, dem wir an der Hochstrasse wieder begegnen (3). Je weiter wir in die Stadt vordringen, umso mehr verdichtet sich das Wohnen. Bei der Wohnkolonie Schaffhauserstrasse spürt man die Verdichtung, die zuvor einzelnen Mehrfamilienhäuser rücken zu einer langen Zeile zusammen (4). Dennoch bleiben die einzelnen Gebäudeein­heiten in der Fassade sichtbar, betont durch Kunststeinpilaster und versetzte Dächer. Steintreppen inszenieren den individuellen Zugang durch den Vorgarten zu der Haustür. Wir überqueren die Limmat und gehen in Richtung ehemalige Industrie- und Arbeiterquartiere. Grosse, fünfstöckige Block­ randbauten dominieren hier das Stadtbild. Es sind die baugenossenschaftlichen Blockrandsiedlungen mit grosszügig begrünten Innenhöfen, die nach der Jahrhundertwende die privaten Mietskasernen mit zugebauten Innenhöfen ersetzten. Eine davon ist die Wohnkolonie Ottostrasse, die auf diese städtische Reform hindeutet und demonstriert, wie der Arbeiterklasse ein würdiges Stadtleben ermöglicht werden konnte (7). Die unzähligen Rundbogen der Küchenloggien an der Hauptfassade, die über die Josefwiese blicken, weisen auf eine Vielzahl von Wohneinheiten hin. Das Kollektiv rückt in den Vordergrund, und die Gemeinschaft löst das Idealbild des Einfamilienhauses ab. Bevor wir durch den Viadukt gehen, werfen wir einen Blick zurück: Am Ende der Josefwiese sehen wir den erhöhten Risalit und erkennen die strenge Symmetrie der Kolonie. Dieser lange Baukörper wirkt mächtig, palastartig – ein Palast der Genossenschafter – und klar in der Aussage zur Stadt. Er demonstriert genossenschaftliche Stärke wie bis dahin keine andere ABZ-Wohnkolonie. Im Kreis 4 angekommen, empfängt uns der abgerundete Kopfbau der Wohnkolonie Sihlfeldstrasse (8). Wir gehen dem mächtigen, geschlossenen Blockrandbau entlang. Die Farbigkeit der verputzten Fassade strahlt im Gegensatz zum Blockrand eine Verspieltheit aus. Auf den Erkern angebrachte Malereien erzählen Geschichten aus einem idealisierten Landleben: Eine Frau im rosa Kleid erntet Korn, eine

9

Lorenza Donati

andere pflückt Blumen. Die feinen Malereien präsentieren sich wie Bildzyklen, die versuchen, die Mächtigkeit des Blockrandes zu mildern. An der Kanzleistrasse (9) öffnet ein Tor in einem rot verputzten Zeilenbau den Blick in seinen Innenhof – eine weite Grünanlage mit Rotbuchen enthüllt sich uns hinter den Wohnzeilen. Die Sehnsucht nach der Landidylle, die in den Wandmalereien zum Ausdruck kam, scheint hier ein Stück weit ihre Erfüllung zu finden. Die Stadt wird dichter, das Netz der Strassen enger. Die grosszügigen Hofrandbebauungen weichen der Fragmentierung in viele kleinere Parzellen mit kleinen Blockrandbebauungen. So vollenden auch die ABZ-Wohnkolonien an der Bremgartenstrasse (10) und Zweierstrasse (11) einen bestehenden Block. Das rosagräulich verputzte Heilsarmeegebäude (12) bildet ebenfalls nur den Kopf eines grösseren Wohnblocks. Es wirkt als Kommunikationsglied zwischen dem Wohnhaus und dem gegenüberliegenden Plaza-Gebäude. Die Rundung scheint uns aufzufordern, an diesem entlang weiterzugehen. Wir verlassen Aussersihl, die Wohngebäude, die Baugenossenschaften und die verputzten Fassaden. Wir überqueren die Sihl. Nach dem rauen Verputz überraschen nun die glatten Oberflächen, das viele Glas und die hohen Gebäude. Das Stadtbild hat sich verändert, es gelten andere Paradigmen. Am Schanzengraben empfängt uns die Sihlporte (13). Der grosse, klar in die Stadt gesetzte Körper, die fein gegliederte Fassade und das Spiel der glatten Marmorplatten schaffen es, losgelöst von jedem Schmuck, dem Gebäude eine Monumentalität zu verleihen. Das Gebäude erzählt von einer neuen städtischen Grösse, einer neuen Vision, einem Stadtideal. Seine Materialität verspricht Prosperität. Als Porte eröffnet es uns den Weg zu den Geschäften, Banken, zum Konsum und Wohlstand der Bahnhofstrasse. Dahin führt es uns, zum Innersten der Stadt Zürich. An der Kreuzung Bahnhofstrasse und Beatengasse erkennen wir ein Gebäude, das an die Sihlporte erinnert (14). Es hat die gleiche Marmorverkleidung. Die Ausrichtung der Marmorplatten verhält sich anders, denn sie nehmen die bestehende horizontale Fassaden­ gliederung der Bahnhofstrasse auf und interpretieren diese neu. Das Gebäude verwebt sich mit dem Nachbarhaus aus der Gründerzeit, verweist zugleich mit seiner reduzierten Architektur auf eine neue


8

Einleitung: ein Spaziergang – Otto Streichers Spuren

dieselben Fenster und Fensterläden wie vorgängig an der Forchstrasse. Die lockere Anordnung der Gebäude im Grünen nimmt einen dörflichen Charakter an. Von einem Gartenzaun begrenzt, verspricht die Siedlung eine Landidylle inmitten der Stadt. Ein Siedlungsmodell, dem wir an der Hochstrasse wieder begegnen (3). Je weiter wir in die Stadt vordringen, umso mehr verdichtet sich das Wohnen. Bei der Wohnkolonie Schaffhauserstrasse spürt man die Verdichtung, die zuvor einzelnen Mehrfamilienhäuser rücken zu einer langen Zeile zusammen (4). Dennoch bleiben die einzelnen Gebäudeein­heiten in der Fassade sichtbar, betont durch Kunststeinpilaster und versetzte Dächer. Steintreppen inszenieren den individuellen Zugang durch den Vorgarten zu der Haustür. Wir überqueren die Limmat und gehen in Richtung ehemalige Industrie- und Arbeiterquartiere. Grosse, fünfstöckige Block­ randbauten dominieren hier das Stadtbild. Es sind die baugenossenschaftlichen Blockrandsiedlungen mit grosszügig begrünten Innenhöfen, die nach der Jahrhundertwende die privaten Mietskasernen mit zugebauten Innenhöfen ersetzten. Eine davon ist die Wohnkolonie Ottostrasse, die auf diese städtische Reform hindeutet und demonstriert, wie der Arbeiterklasse ein würdiges Stadtleben ermöglicht werden konnte (7). Die unzähligen Rundbogen der Küchenloggien an der Hauptfassade, die über die Josefwiese blicken, weisen auf eine Vielzahl von Wohneinheiten hin. Das Kollektiv rückt in den Vordergrund, und die Gemeinschaft löst das Idealbild des Einfamilienhauses ab. Bevor wir durch den Viadukt gehen, werfen wir einen Blick zurück: Am Ende der Josefwiese sehen wir den erhöhten Risalit und erkennen die strenge Symmetrie der Kolonie. Dieser lange Baukörper wirkt mächtig, palastartig – ein Palast der Genossenschafter – und klar in der Aussage zur Stadt. Er demonstriert genossenschaftliche Stärke wie bis dahin keine andere ABZ-Wohnkolonie. Im Kreis 4 angekommen, empfängt uns der abgerundete Kopfbau der Wohnkolonie Sihlfeldstrasse (8). Wir gehen dem mächtigen, geschlossenen Blockrandbau entlang. Die Farbigkeit der verputzten Fassade strahlt im Gegensatz zum Blockrand eine Verspieltheit aus. Auf den Erkern angebrachte Malereien erzählen Geschichten aus einem idealisierten Landleben: Eine Frau im rosa Kleid erntet Korn, eine

9

Lorenza Donati

andere pflückt Blumen. Die feinen Malereien präsentieren sich wie Bildzyklen, die versuchen, die Mächtigkeit des Blockrandes zu mildern. An der Kanzleistrasse (9) öffnet ein Tor in einem rot verputzten Zeilenbau den Blick in seinen Innenhof – eine weite Grünanlage mit Rotbuchen enthüllt sich uns hinter den Wohnzeilen. Die Sehnsucht nach der Landidylle, die in den Wandmalereien zum Ausdruck kam, scheint hier ein Stück weit ihre Erfüllung zu finden. Die Stadt wird dichter, das Netz der Strassen enger. Die grosszügigen Hofrandbebauungen weichen der Fragmentierung in viele kleinere Parzellen mit kleinen Blockrandbebauungen. So vollenden auch die ABZ-Wohnkolonien an der Bremgartenstrasse (10) und Zweierstrasse (11) einen bestehenden Block. Das rosagräulich verputzte Heilsarmeegebäude (12) bildet ebenfalls nur den Kopf eines grösseren Wohnblocks. Es wirkt als Kommunikationsglied zwischen dem Wohnhaus und dem gegenüberliegenden Plaza-Gebäude. Die Rundung scheint uns aufzufordern, an diesem entlang weiterzugehen. Wir verlassen Aussersihl, die Wohngebäude, die Baugenossenschaften und die verputzten Fassaden. Wir überqueren die Sihl. Nach dem rauen Verputz überraschen nun die glatten Oberflächen, das viele Glas und die hohen Gebäude. Das Stadtbild hat sich verändert, es gelten andere Paradigmen. Am Schanzengraben empfängt uns die Sihlporte (13). Der grosse, klar in die Stadt gesetzte Körper, die fein gegliederte Fassade und das Spiel der glatten Marmorplatten schaffen es, losgelöst von jedem Schmuck, dem Gebäude eine Monumentalität zu verleihen. Das Gebäude erzählt von einer neuen städtischen Grösse, einer neuen Vision, einem Stadtideal. Seine Materialität verspricht Prosperität. Als Porte eröffnet es uns den Weg zu den Geschäften, Banken, zum Konsum und Wohlstand der Bahnhofstrasse. Dahin führt es uns, zum Innersten der Stadt Zürich. An der Kreuzung Bahnhofstrasse und Beatengasse erkennen wir ein Gebäude, das an die Sihlporte erinnert (14). Es hat die gleiche Marmorverkleidung. Die Ausrichtung der Marmorplatten verhält sich anders, denn sie nehmen die bestehende horizontale Fassaden­ gliederung der Bahnhofstrasse auf und interpretieren diese neu. Das Gebäude verwebt sich mit dem Nachbarhaus aus der Gründerzeit, verweist zugleich mit seiner reduzierten Architektur auf eine neue


10

Einleitung: ein Spaziergang – Otto Streichers Spuren

11

Bestrebungen hinsichtlich der Bautätigkeit Otto Streicher, 1918

Zeit. Die helle Marmorverkleidung sehnt eine glanzvolle Zeit herbei. Dies war einst das erste Kino an der Bahnhofstrasse, das Kino Rex. Was heute fehlt, sind die Lichter aus der Entstehungszeit. Lichter, die Aufmerksamkeit und Vergnügen ankündigten, strahlende Schrift­ züge aus Neon, die an die grossstädtische Vision dieser glamourösen Strasse, der Bahnhofstrasse, glauben machten. Hier findet der Spaziergang ein Ende, denn das Kino Rex und das Kino ABC weiter oben an der Bahnhofstrasse (15) waren die letzten Bauwerke Otto Streichers. Heute ist er als Architekt fast unbekannt, seine Bauwerke sind jedoch noch fest in der Stadt Zürich verankert. Der Spaziergang folgt seinen Spuren und gleichzeitig seinem Werde­ gang als Architekt. Von seinen Anfängen als Vertrauensarchitekt der ABZ am Rande der Stadt bis zu seinen Eigeninvestitionen in den Bau von Kinos an der Bahnhofstrasse. Am Anfang stehen die kleinen baugenossenschaftlichen Wohnsiedlungen im Grünen, es folgen die grossmassstäblichen Blockrandsiedlungen, die Bedeutung der Fassadenfarbigkeit, und schliesslich folgen wir seinem Weg in den Kreis 1, wo er sein erstes Geschäftshaus baute und zuletzt sein Lebenswerk an der Bahnhofstrasse vollendete. Otto Streichers Lebenswerk ist in Zürich entstanden und prägt noch heute das Stadtbild. Die städtische Ambition und sein Grundgedanke, die Stadt für die Bevölkerung zu bauen, sind an seinen Bauten abzulesen. Sein Bauwerk ist angepasst, städtisch und kontextbezogen gedacht. Neben der gebauten Stadt wusste er auch die Mehrheit, den Zeitgeist und die ortsspezifische Kultur zu verstehen. So kann sein Lebenswerk nur in Zürich gänzlich ver­ standen und gelesen werden. Die verschiedenen Stimmen im Buch begleiten den Spaziergang und beschreiben mit den Schlüsselstellen in Otto Streichers Lebenswerk auch typische Momente der anonymen Architektur Zürichs. Täglich passieren wir Otto Streichers Gebäude, ohne sie wirklich wahrzunehmen, denn sie sind unspektakulärer Natur und verschwinden im kollektiven Wissen der Stadt. Es sind Spuren, die der vertrauten Wirklichkeit Zürichs gehören und eine von vielen Stadtgeschichten erzählen, die wir nun mit diesem Spaziergang festhalten möchten.

Der folgende Text ist ein Auszug aus der von der ABZ publizierten Broschüre Unser Kampf gegen die Wohnungsnot aus dem Jahr 1918. Otto Streicher schilderte darin in einem Aufsatz die Grundsätze des genossenschaftlichen Bauens.

«Das wirksamste Mittel, die ideellen Ziele der A. B. Z. zu verwirklichen, ist die Erstellung möglichst vieler Wohnkolonien. Es sollen kurz die Bestrebungen hinsichtlich der praktischen Bautätigkeit erläutert werden.» Art der Gebäude : Die A. B. Z. baut jede Art von Wohngebäuden : Einfamilienhäuser (freistehende und Reihenbauten), Doppelhäuser, Mehrfamilienhäuser und städtische Mietshäuser, je nach dem Wunsche der Mitglieder, der Lage der zur Verfügung stehenden Bauplätze, deren Preis und je nach den Vorschriften des Baugesetzes. Bauplätze : Die A. B. Z. baut vorläufig auf beliebigen Bauplätzen von Zürich mit Vororten. Seite 17 zeigt die schematische Darstellung eines Bebauungsplanes. In Wirklichkeit werden die verschiedenen Haustypen nicht alle zugleich auf solch kleinem Quartier ausgeführt werden können. Der Plan soll die verschiedenartige Beanspruchung des Terrains durch offene und geschlossene Bebauung erläutern. Das Einfamilienhaus ist in drei Typen dargestellt, nämlich : freistehend, als Doppelhaus und als Reihenhaus. Die Grundstücke aller drei Arten sind je 400 m2 groß. Die Vorzüge der Reihenbauten bestehen in bedeutend besserer Ausnützung des Pflanzlandes, größerem Abstand der Gebäude nach zwei Richtungen und bedeutend weniger Straßenkosten pro Haus. Weiter Vorteile des Reihenhausbaues sind: 10–15 % billigere Erstellungskosten und leichtere Heizbarkeit. Nur bei größeren Grundstücken von über 600 m2 empfiehlt sich das freistehende Haus, da sonst die Bauplätze allzusehr in die Länge gezogen werden müßten.


5

Vorwort Markus Notter

Der Architekt Otto Streicher (1887–1968) errichtete im Jahr 1964 eine Stiftung. 1971 erhöhte seine Witwe Emma Streicher-Jori das Stiftungskapital von 2,3 Millionen um weitere 2,75 Millionen Franken. Seit ihrer Gründung hat die Stiftung rund 1900 Projekte mit Beiträgen von insgesamt 13,5 Millionen Franken unterstützt. Die zinsbedingte Ertragslage zwang die Stiftung leider dazu, ihr Wirken nach gut 50 Jahren Fördertätigkeit zu beenden. Dies alles ist Anlass genug, nach dem Stifter und vor allem nach seinem Werk zu fragen. Aus Dankbarkeit für die Chance, eine gute Ausbildung am Technikum Winterthur erhalten zu haben, und aus Freude, Menschen zu helfen, die Imponierendes schaffen, aber nicht auf Rosen gebettet sind, hat Otto Streicher seine Stiftung errichtet. Er nannte sie STEO Stiftung, ein Akronym für Streicher Emma und Otto. Offensichtlich wollte er sich selber nicht in den Vordergrund stellen. Auch deshalb ist der Name Otto Streicher der Öffentlichkeit wohl weitgehend unbekannt, obwohl verschiedene seiner Bauten im Stadtbild von Zürich markant in Erscheinung treten. Bis vor Kurzem wurde er sogar in Fachschriften mit einem gleichnamigen deutschen Architekten verwechselt. Dieses Buch folgt in einem Spaziergang den architektonischen Werken Otto Streichers in der Stadt Zürich. Am Anfang seines Schaffens stehen die Wohnbauten in den Arbeiterquartieren. Zehn Jahre arbeitete er für die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ), die ihm Direktaufträge erteilte. In einer von der ABZ 1918 publizierten Broschüre über den «Kampf gegen die Wohnungsnot» formulierte Otto Streicher Grundsätze des genossenschaftlichen Wohnungsbaus. Er orientierte sich an den Bedürfnissen der «kleinen Leute» mit einer angepassten, dauerhaften und städtischen Architektur. Seine Arbeitersiedlungen wirken heute beispielhaft für eine «anonyme Architektur» im Zürich der 1920er-Jahre. Die Symbolkraft des Arbeiterpalastes an der Ottostrasse und die künstlerische Gestaltung der Wohnkolonien Sihlfeld und Kanzleistrasse mit Wandmalereien von Wilhelm Hartung zeugen von einer Ambition, die über die blosse Zweckmässigkeit hinausreicht. Die Bildsprache bedient sich dabei einer Sehnsucht nach Landidylle, die zwar in einem Gegensatz zum städ­ tischen Umfeld steht, jedoch einem Bedürfnis zu entspringen scheint.


38

7 Ottostrasse

39

Reform des Herkömmlichen – ABZ-Wohnkolonie Ottostrasse Zürich 1925–1927 Miroslav Šik

Das Projekt der Industriequartier-Wohnkolonie kann man als Reform dreier herkömmlicher Stadt- und Architekturelemente verstehen. Die Rue Corridor verwandelt sich demnach in eine durchgrünte und ruhige Wohnstrasse, ein gross parzellierter Hofrand mit Wohnhof ersetzt den engen Blockrand mit grauem Hinterhof, und das Mietshaus im eklektischen Individualstil weicht dem Riesenkleinhaus im freundlich gefärbten rotbürgerlichen Monostil. Von der Rue Corridor zur Wohnstrasse ABZ-Wohnkolonie Ottostrasse, erbaut 1927.

Die Rue Corridor erschliesst die Kolonieparzelle und wird, wie das Fin de Siècle es liebt, beidseitig vom Blockrand umrahmt, der stets Mix und Reihung nacheinander gebauter, stilistisch individualisierter Baumeister-Mietshäuser ist, ein Mix aus Wohnen, Konsum und Arbeit, aus Piano nobile und billigerem Mezzanin und Dachstock. Auf die Schau-, sprich Strassenseite, mit Eklektik-Fassade orientiert die Gründerzeit schöne Wohnungsräume und placiert rückseitig Treppe und profane Zimmer. Fensterachsen, Einfassungen in Kunst­stein, fein gesprosste Fenster und graugrüne Klappläden gliedern durchgehend verputzte Hinterhoffassaden. Die Rue Corridor voller Lärm und Staub reformieren die Kolonisten durch Verzicht auf polygonale Eckparzellen und Dienstboten-Dachgeschosse, durch Umwandlung des kommerziellen Erdgeschosses in ein bewohntes Hochparterre und durch Reduktion des Wohnungsschlüssels auf zwei Wohnungstypen. Dem Hausblock im Monostil, mit vier Geschossen und 100 Meter Länge, lagert man Pflanzplätz-Vorgärten vor, eingefriedet mit einem dörflichen Holzlattenzaun. Die Strassenfassadengestaltung der Reform greift auf die Hinterhoffassade der Gründerzeit zurück, schmückt sie durch Risalite, Farbgebung und Verzierung aus und reiht sie sechsmal auf, ohne sie dadurch im alltäglichen Gebrauch wegen Loggia-Unordnung sowie WC- und Küchenfenster vor Profanität schützen zu können. Befreit von funktionaler und sozialer


38

7 Ottostrasse

39

Reform des Herkömmlichen – ABZ-Wohnkolonie Ottostrasse Zürich 1925–1927 Miroslav Šik

Das Projekt der Industriequartier-Wohnkolonie kann man als Reform dreier herkömmlicher Stadt- und Architekturelemente verstehen. Die Rue Corridor verwandelt sich demnach in eine durchgrünte und ruhige Wohnstrasse, ein gross parzellierter Hofrand mit Wohnhof ersetzt den engen Blockrand mit grauem Hinterhof, und das Mietshaus im eklektischen Individualstil weicht dem Riesenkleinhaus im freundlich gefärbten rotbürgerlichen Monostil. Von der Rue Corridor zur Wohnstrasse ABZ-Wohnkolonie Ottostrasse, erbaut 1927.

Die Rue Corridor erschliesst die Kolonieparzelle und wird, wie das Fin de Siècle es liebt, beidseitig vom Blockrand umrahmt, der stets Mix und Reihung nacheinander gebauter, stilistisch individualisierter Baumeister-Mietshäuser ist, ein Mix aus Wohnen, Konsum und Arbeit, aus Piano nobile und billigerem Mezzanin und Dachstock. Auf die Schau-, sprich Strassenseite, mit Eklektik-Fassade orientiert die Gründerzeit schöne Wohnungsräume und placiert rückseitig Treppe und profane Zimmer. Fensterachsen, Einfassungen in Kunst­stein, fein gesprosste Fenster und graugrüne Klappläden gliedern durchgehend verputzte Hinterhoffassaden. Die Rue Corridor voller Lärm und Staub reformieren die Kolonisten durch Verzicht auf polygonale Eckparzellen und Dienstboten-Dachgeschosse, durch Umwandlung des kommerziellen Erdgeschosses in ein bewohntes Hochparterre und durch Reduktion des Wohnungsschlüssels auf zwei Wohnungstypen. Dem Hausblock im Monostil, mit vier Geschossen und 100 Meter Länge, lagert man Pflanzplätz-Vorgärten vor, eingefriedet mit einem dörflichen Holzlattenzaun. Die Strassenfassadengestaltung der Reform greift auf die Hinterhoffassade der Gründerzeit zurück, schmückt sie durch Risalite, Farbgebung und Verzierung aus und reiht sie sechsmal auf, ohne sie dadurch im alltäglichen Gebrauch wegen Loggia-Unordnung sowie WC- und Küchenfenster vor Profanität schützen zu können. Befreit von funktionaler und sozialer


40

Reform des Herkömmlichen – ABZ-Wohnkolonie Ottostrasse Zürich 1925–1927

Durchmischung, ausgestattet mit geschönter Hinterhoffassade und abgegrenzt von der Umgebung durch eigentümliche Umgangsformen der Kolonisten verwandelt sich die Rue Corridor in eine stille, durchgrünte Wohnstrasse, in der man Reformgemüse anpflanzt, die man an internationalen Feiertagen beflaggt und durch die man mit Fahnen und Lampions marschiert.

41

Miroslav Šik

in ein schwer benutzbares Distanzgrün und tauscht vor allem den urbanen Sondergeist Farbiger Kolonien durch eine suburbane Stille aus. Gemessen an gelichteter, durchgrünter, zersiedelter Agglomeration sind Farbige Kolonien und ihre Wohnhöfe, trotz kleiner Wohndichte, knappen Raumkomforts und fehlender Outdoors eine exzellente und durch kein anderes architektonisches Experiment übertrumpfte Lösung für eine Art urbanen Wohnens.

Der sehr lichte Wohnhof Der einheitliche Hofrand mit hellem, begrüntem, gemeinschaftlichem Riesenhof reformiert den beschatteten, individuell parzellierten Hinterhof des engen Blockrandes und prägt die Vergrossstädterung von Letten, Aussersihl, Wiedikon, Unter- und Oberstrass. Im Indus­ triequartier ist man durch das vorhandene Blockrandraster und durch gebaute Häuser und Fabriken ein wenig zu massstäblicher Inte­ gration gezwungen und produziert dadurch ungewollt spannende altneue Ensembles. In der Ottostrasse-Kolonie gestaltet man zum ersten Mal eine gemeinsame Freifläche ohne Pflanzplätze. Vom Wunsch nach Licht und Sonne getragen, verzichtet man auf eine maximal erlaubte Ausnutzung und öffnet den Hofrand an Blockecken. Die um ein Geschoss abgestockten und voneinander distanzierten Blöcke haben eine kleinere Bautiefe als ältere Mietshäuser. Belegt einst der Fussabdruck der Mietskaserne drei Viertel der Parzelle, so weist nun die begrünte Freifläche einen 70-prozentigen Anteil auf. Stube mit Erker, Hauptzimmer und Balkone wenden sich von der Rue Corridor ab und dem Wohnhof zu, wodurch eine ungemein starke Raumgemeinschaft, aber auch neuartige Sicht- und Lärmprobleme entstehen, die man durch Fensterläden und durch Hofordnung zu lösen sucht. Generell lernen Arbeiterkolonisten, die aus aller Herren Länder, sprich Dörfer und Vorstädte, kommen, erst einmal, in einer nicht bürgerlichen Kolonie zu wohnen. Im Wohnhof verrichtet man immer noch Hausarbeit, hängt Wäsche auf und klopft Teppiche aus, was auf die Stimmung der begrünten Mitte mit Pavillons und Spielplatz abfärbt. Einmal ersetzt der nach der Sonne orientierte Zeilenbau des Funktionalismus den reformistischen Hofrand, schwächt die Raumgemeinschaft, verwandelt die parkähnliche Hoffläche

Rötliches Riesenkleinhaus Industriequartier-Mietshäuser reihen sich entlang Stadtblock-Baulinien, sind sechsgeschossig, Einzel- und Doppelhäuser, weisen klare, überprüfte Grundrisse mit Vorder- und Hinterhauszimmern auf, und ihre Konstruktion und ihr Komfort entsprechen einer herkömmlichen Rationalität. Um die Ottostrasse herum findet man EklektikFassaden vor, aber auch an die Zürcher Altstadt oder Landhäuser erinnernde einfache, einfarbig verputzte Häuser in unspektakulärer Klassik der Bürgerzeit, mit Hausportalen in Kalkstein oder Granit, gelocht durch gleiche Fenster und ruhig bekrönt durch ein Satteldach ohne Lukarnen und Traufgesimse. Ausgehend von dieser Klassik ist eine Langblock-Gliederung durch Risalite und Symmetrieachsen der erste Entwurfsschritt, um das Klassische danach durch Reihung und Repetition zu reformieren, bis Haus wie Blockkörper und Fenster­ reihe wie ein gelochtes Band wirken. Die durch Fortschrittspigmente aus der Enge bleicher Kalktöne befreite Edelputzfarbe erlaubt intensivere, rein künstlerische und psychologische Effekte. Indem man keine modischen Expressionismus-Kontraste, sondern abgetönte und gebrochene Farben kombiniert – rötliche Farbe für Putz, Hellgrau für Kunststein, grünliche Farbe für Läden und gebrochenes Weiss für Fenster –, will man der Kolonie durch Kolorierung eine sanftere und fröhliche Wirkung verleihen und wohl auch etwas die Körperhaftigkeit der Blöcke mildern.


40

Reform des Herkömmlichen – ABZ-Wohnkolonie Ottostrasse Zürich 1925–1927

Durchmischung, ausgestattet mit geschönter Hinterhoffassade und abgegrenzt von der Umgebung durch eigentümliche Umgangsformen der Kolonisten verwandelt sich die Rue Corridor in eine stille, durchgrünte Wohnstrasse, in der man Reformgemüse anpflanzt, die man an internationalen Feiertagen beflaggt und durch die man mit Fahnen und Lampions marschiert.

41

Miroslav Šik

in ein schwer benutzbares Distanzgrün und tauscht vor allem den urbanen Sondergeist Farbiger Kolonien durch eine suburbane Stille aus. Gemessen an gelichteter, durchgrünter, zersiedelter Agglomeration sind Farbige Kolonien und ihre Wohnhöfe, trotz kleiner Wohndichte, knappen Raumkomforts und fehlender Outdoors eine exzellente und durch kein anderes architektonisches Experiment übertrumpfte Lösung für eine Art urbanen Wohnens.

Der sehr lichte Wohnhof Der einheitliche Hofrand mit hellem, begrüntem, gemeinschaftlichem Riesenhof reformiert den beschatteten, individuell parzellierten Hinterhof des engen Blockrandes und prägt die Vergrossstädterung von Letten, Aussersihl, Wiedikon, Unter- und Oberstrass. Im Indus­ triequartier ist man durch das vorhandene Blockrandraster und durch gebaute Häuser und Fabriken ein wenig zu massstäblicher Inte­ gration gezwungen und produziert dadurch ungewollt spannende altneue Ensembles. In der Ottostrasse-Kolonie gestaltet man zum ersten Mal eine gemeinsame Freifläche ohne Pflanzplätze. Vom Wunsch nach Licht und Sonne getragen, verzichtet man auf eine maximal erlaubte Ausnutzung und öffnet den Hofrand an Blockecken. Die um ein Geschoss abgestockten und voneinander distanzierten Blöcke haben eine kleinere Bautiefe als ältere Mietshäuser. Belegt einst der Fussabdruck der Mietskaserne drei Viertel der Parzelle, so weist nun die begrünte Freifläche einen 70-prozentigen Anteil auf. Stube mit Erker, Hauptzimmer und Balkone wenden sich von der Rue Corridor ab und dem Wohnhof zu, wodurch eine ungemein starke Raumgemeinschaft, aber auch neuartige Sicht- und Lärmprobleme entstehen, die man durch Fensterläden und durch Hofordnung zu lösen sucht. Generell lernen Arbeiterkolonisten, die aus aller Herren Länder, sprich Dörfer und Vorstädte, kommen, erst einmal, in einer nicht bürgerlichen Kolonie zu wohnen. Im Wohnhof verrichtet man immer noch Hausarbeit, hängt Wäsche auf und klopft Teppiche aus, was auf die Stimmung der begrünten Mitte mit Pavillons und Spielplatz abfärbt. Einmal ersetzt der nach der Sonne orientierte Zeilenbau des Funktionalismus den reformistischen Hofrand, schwächt die Raumgemeinschaft, verwandelt die parkähnliche Hoffläche

Rötliches Riesenkleinhaus Industriequartier-Mietshäuser reihen sich entlang Stadtblock-Baulinien, sind sechsgeschossig, Einzel- und Doppelhäuser, weisen klare, überprüfte Grundrisse mit Vorder- und Hinterhauszimmern auf, und ihre Konstruktion und ihr Komfort entsprechen einer herkömmlichen Rationalität. Um die Ottostrasse herum findet man EklektikFassaden vor, aber auch an die Zürcher Altstadt oder Landhäuser erinnernde einfache, einfarbig verputzte Häuser in unspektakulärer Klassik der Bürgerzeit, mit Hausportalen in Kalkstein oder Granit, gelocht durch gleiche Fenster und ruhig bekrönt durch ein Satteldach ohne Lukarnen und Traufgesimse. Ausgehend von dieser Klassik ist eine Langblock-Gliederung durch Risalite und Symmetrieachsen der erste Entwurfsschritt, um das Klassische danach durch Reihung und Repetition zu reformieren, bis Haus wie Blockkörper und Fenster­ reihe wie ein gelochtes Band wirken. Die durch Fortschrittspigmente aus der Enge bleicher Kalktöne befreite Edelputzfarbe erlaubt intensivere, rein künstlerische und psychologische Effekte. Indem man keine modischen Expressionismus-Kontraste, sondern abgetönte und gebrochene Farben kombiniert – rötliche Farbe für Putz, Hellgrau für Kunststein, grünliche Farbe für Läden und gebrochenes Weiss für Fenster –, will man der Kolonie durch Kolorierung eine sanftere und fröhliche Wirkung verleihen und wohl auch etwas die Körperhaftigkeit der Blöcke mildern.


42

7 Ottostrasse

«Da haben Luft und Sonne reichlich Zutritt! Der Häuserblock an der Ottostrasse stösst direkt an die grosse städtische Spielwiese an.»�

43

7 Ottostrasse

«Der mächtige Hof wurde zu einer schönen Gartenanlage und mit zwei soliden Gartenhäuschen ausgestattet, die bei den Bewohnern an schönen Sommertagen als behagliche Sitzplätzchen beliebt sein werden.»�


42

7 Ottostrasse

«Da haben Luft und Sonne reichlich Zutritt! Der Häuserblock an der Ottostrasse stösst direkt an die grosse städtische Spielwiese an.»�

43

7 Ottostrasse

«Der mächtige Hof wurde zu einer schönen Gartenanlage und mit zwei soliden Gartenhäuschen ausgestattet, die bei den Bewohnern an schönen Sommertagen als behagliche Sitzplätzchen beliebt sein werden.»�


44

7 Ottostrasse

«Die Gebäude sind von einer grünen Hecke und Vorgärten umrahmt und machen in ihrem hellroten Edelverputz einen sehr freundlichen Eindruck.»�

45

7 Ottostrasse

Der Mittelbau mit erhöhtem Risalit blickt auf die Josefwiese.


44

7 Ottostrasse

«Die Gebäude sind von einer grünen Hecke und Vorgärten umrahmt und machen in ihrem hellroten Edelverputz einen sehr freundlichen Eindruck.»�

45

7 Ottostrasse

Der Mittelbau mit erhöhtem Risalit blickt auf die Josefwiese.


78

Die Sihlporte

79

Tilla Theus

Tilla Theus

Die Sihlporte von 1929 war das erste Geschäftshaus Otto Streichers als Architekt und Bauherr. Der klare kubische und das Monumentale berührende Eisenbetonbau mit seiner die Horizontale betonenden Fassadengliederung setzte einen urbanen Akzent, der allen Ver­ änderungen der Umgebung zum Trotz bis heute gültig blieb. Das der Zeit vorausgedachte Gebäude ist städtebaulich und denkmal­ pflegerisch wertvoll. Wie sehr Otto Streicher modern, ja avantgardistisch in die Zukunft blickte, verdeutlicht der ursprüngliche Plan, die Sihlporte nicht lediglich als Randbebauung zu realisieren, sondern im wahrs­ ten Sinne des Wortes herausragend als Turm mit elf Geschossen. Er sollte auf dem ausschliesslich von den Verkehrsbedürfnissen bestimmten Sihlporte-Platz eine zentrierende Funktion übernehmen. Die Behörden lehnten diese Idee ab. Was Otto Streicher als Prinzip visionär vorschwebte, wurde erst später und zögerlich mit Hochhäusern ausgeführt. Die Sihlporte besitzt eine weltstädtische, Dominanz beanspruchende Ausstrahlung, die sich im Inneren zunächst mit dem für Zürich aussergewöhnlich grosszügigen Treppenhaus bestätigt. Nach innen wirken sich auch die tragende Fassade und die rhyth­mische Fensteranordnung aus. Sie schenken zusammen mit der statischen Stützenunterzugsstruktur eine enorme Freiheit für die an den Nutzerbedürfnissen orientierte räumliche Unterteilung. Bis ins Detail bilden das Äussere und Innere der Sihlporte eine Einheit von höchster architektonischer Wertigkeit. Deshalb war es richtig und erfreulich, den Bau rund 90 Jahre nach seiner Erstellung einer Gesamtrenovation zu unterziehen. Dieser Entschluss entsprach auch einer Notwendigkeit, weil die Sihlporte durch die jahrzehntelange Nutzung als Warenhaus und insbesondere durch die unsensible Maximierung der Verkaufsflächen erheblich an Vortrefflichkeit eingebüsst hatte. Die ab Januar 2009 geplante, im April 2011 begonnene und Ende 2012 abgeschlossene Renovation verfolgte das Ziel, das Gebäude für Büros und Läden mit der Geschossigkeit und dem Volumen auf den Ursprung zurückzuführen, der Repräsentativität und der starken Präsenz im Stadtbild wieder Geltung zu verschaffen sowie die Statik und die Haustechnik zu modernisieren.

Mit dem Abbruch des rucksackähnlichen Anbaus treten die profilierenden Rücksprünge gegen die Sihl wieder schön hervor. Die Marmorfassade zeigt sich nach der Reinigung und Ausbesserung in ihrem ursprünglichen Zustand. Die den heutigen Normen nicht mehr entsprechenden Verankerungen wurden nachgebohrt und die Bohrstellen mit Steinzapfen verschlossen. Die Eingangstür entstand aus leicht gehämmerter Bronze als moderne Interpretation des ursprünglichen und auf Archivfotografien festgehaltenen Portals. Die Fenster erhielten die originale Teilung und die früheren Stoffstoren zurück. Die neuzeitliche Gestaltung der mit grosszügigen Türen bestückten Schaufensteranlagen erinnern mit ihrem Bronzeton an die ursprüngliche Situation. Durch die aufgehobene Stockverschiebung konnte der wichtige Mezzanin umlaufend wieder eingefügt werden. Das Blechdach wich dem originalen Ziegeldach. Im Inneren erscheint das von später eingebauten Liften und vorgezogenen Abschlüssen befreite Treppenhaus wieder in der ursprünglichen und für Zürich überraschenden Weite. Neu entwickelte Beleuchtungskörper verleihen der Eingangszone Prägnanz. Das im fünften Obergeschoss entdeckte Penthouse von Otto Streicher wurde anhand von Archivaufnahmen interpretierend renoviert. Dank einer Renovation, die bauliche und architektonische Aspekte beispielhaft höher bewertete als die Flächenmaximierung, gewann die Sihlporte erlebbar die einzigartige Qualität des Bestandes zurück.��


78

Die Sihlporte

79

Tilla Theus

Tilla Theus

Die Sihlporte von 1929 war das erste Geschäftshaus Otto Streichers als Architekt und Bauherr. Der klare kubische und das Monumentale berührende Eisenbetonbau mit seiner die Horizontale betonenden Fassadengliederung setzte einen urbanen Akzent, der allen Ver­ änderungen der Umgebung zum Trotz bis heute gültig blieb. Das der Zeit vorausgedachte Gebäude ist städtebaulich und denkmal­ pflegerisch wertvoll. Wie sehr Otto Streicher modern, ja avantgardistisch in die Zukunft blickte, verdeutlicht der ursprüngliche Plan, die Sihlporte nicht lediglich als Randbebauung zu realisieren, sondern im wahrs­ ten Sinne des Wortes herausragend als Turm mit elf Geschossen. Er sollte auf dem ausschliesslich von den Verkehrsbedürfnissen bestimmten Sihlporte-Platz eine zentrierende Funktion übernehmen. Die Behörden lehnten diese Idee ab. Was Otto Streicher als Prinzip visionär vorschwebte, wurde erst später und zögerlich mit Hochhäusern ausgeführt. Die Sihlporte besitzt eine weltstädtische, Dominanz beanspruchende Ausstrahlung, die sich im Inneren zunächst mit dem für Zürich aussergewöhnlich grosszügigen Treppenhaus bestätigt. Nach innen wirken sich auch die tragende Fassade und die rhyth­mische Fensteranordnung aus. Sie schenken zusammen mit der statischen Stützenunterzugsstruktur eine enorme Freiheit für die an den Nutzerbedürfnissen orientierte räumliche Unterteilung. Bis ins Detail bilden das Äussere und Innere der Sihlporte eine Einheit von höchster architektonischer Wertigkeit. Deshalb war es richtig und erfreulich, den Bau rund 90 Jahre nach seiner Erstellung einer Gesamtrenovation zu unterziehen. Dieser Entschluss entsprach auch einer Notwendigkeit, weil die Sihlporte durch die jahrzehntelange Nutzung als Warenhaus und insbesondere durch die unsensible Maximierung der Verkaufsflächen erheblich an Vortrefflichkeit eingebüsst hatte. Die ab Januar 2009 geplante, im April 2011 begonnene und Ende 2012 abgeschlossene Renovation verfolgte das Ziel, das Gebäude für Büros und Läden mit der Geschossigkeit und dem Volumen auf den Ursprung zurückzuführen, der Repräsentativität und der starken Präsenz im Stadtbild wieder Geltung zu verschaffen sowie die Statik und die Haustechnik zu modernisieren.

Mit dem Abbruch des rucksackähnlichen Anbaus treten die profilierenden Rücksprünge gegen die Sihl wieder schön hervor. Die Marmorfassade zeigt sich nach der Reinigung und Ausbesserung in ihrem ursprünglichen Zustand. Die den heutigen Normen nicht mehr entsprechenden Verankerungen wurden nachgebohrt und die Bohrstellen mit Steinzapfen verschlossen. Die Eingangstür entstand aus leicht gehämmerter Bronze als moderne Interpretation des ursprünglichen und auf Archivfotografien festgehaltenen Portals. Die Fenster erhielten die originale Teilung und die früheren Stoffstoren zurück. Die neuzeitliche Gestaltung der mit grosszügigen Türen bestückten Schaufensteranlagen erinnern mit ihrem Bronzeton an die ursprüngliche Situation. Durch die aufgehobene Stockverschiebung konnte der wichtige Mezzanin umlaufend wieder eingefügt werden. Das Blechdach wich dem originalen Ziegeldach. Im Inneren erscheint das von später eingebauten Liften und vorgezogenen Abschlüssen befreite Treppenhaus wieder in der ursprünglichen und für Zürich überraschenden Weite. Neu entwickelte Beleuchtungskörper verleihen der Eingangszone Prägnanz. Das im fünften Obergeschoss entdeckte Penthouse von Otto Streicher wurde anhand von Archivaufnahmen interpretierend renoviert. Dank einer Renovation, die bauliche und architektonische Aspekte beispielhaft höher bewertete als die Flächenmaximierung, gewann die Sihlporte erlebbar die einzigartige Qualität des Bestandes zurück.��


82

13 Sihlporte

«Trotz dem völligen Verzicht auf die üblichen Lichthöfe zeigen sämtliche Räume eine vorzügliche Belichtung, die durch Zurücksetzung von Fassadenanteilen ermöglicht wurde.»��

83

13 Sihlporte

Ursprünglich hatte Otto Streicher ein Hochhaus geplant. «Da ein Projekt für ein Hochhaus keine Bewilligung fand, musste die Lösung im Rahmen des bestehenden Baugesetzes gesucht werden.»��


82

13 Sihlporte

«Trotz dem völligen Verzicht auf die üblichen Lichthöfe zeigen sämtliche Räume eine vorzügliche Belichtung, die durch Zurücksetzung von Fassadenanteilen ermöglicht wurde.»��

83

13 Sihlporte

Ursprünglich hatte Otto Streicher ein Hochhaus geplant. «Da ein Projekt für ein Hochhaus keine Bewilligung fand, musste die Lösung im Rahmen des bestehenden Baugesetzes gesucht werden.»��


98

Autorinnen und Autoren

Lorenza Donati ist Architektin und Assistentin für Entwurf bei der Professur Christian Kerez an der ETH Zürich. Sie studierte Architektur an der ETH Zürich und an der FADU Buenos Aires. Werner Huber diplomierte als Architekt an der ETH Zürich. Seit 2001 ist er Redaktor für Architektur bei der Zeitschrift Hochparterre. Neben zahlreichen anderen Büchern erschien von ihm 2015 die Monografie Bahnhofstrasse Zürich. Geschichte – Gebäude – Geschäfte (Zürich, Hochparterre, 2015). Caroline Kesser lebt als promovierte Kunsthistorikerin und Publizistin in Zürich. Neben der spanischen Kultur gehört die Schweizer Kunst des 20. Jahrhunderts zu ihren Schwerpunktthemen. Daniel Kurz ist Historiker und Architekturpublizist. Er studierte Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich. Heute ist er Chefredaktor der Schweizer Architekturzeitschrift werk, bauen + wohnen. 2008 erschien seine Dissertation Die Disziplinierung der Stadt. Moderner Städtebau in Zürich 1900 bis 1940 (Zürich, gta Verlag, ETH Zürich, 2008). Walter Mair ist Fotograf der Kunstgewerbeschule Zürich und diplomierte in Architektur an der ETH Zürich. Er lebt und arbeitet heute als freier Fotograf in Basel. Markus Notter ist Jurist und hat einen Lehrauftrag an der Uni­ versität Zürich. 1990 wurde er zum Stadtpräsident von Dietikon und 1996 in den Zürcher Regierungsrat gewählt, dem er als Vorsteher der Direktion der Justiz und des Inneren bis 2011 angehörte. Er ist in verschiedenen gemeinnützigen Organisationen tätig und wirkte von 1996 bis 2016 als Präsident der STEO Stiftung.

99

Autorinnen und Autoren

Miroslav Šik ist Architekt und Professor für Architektur an der ETH Zürich. Er studierte an der ETH Zürich bei Aldo Rossi und Mario Campi. Ende der 1980er-Jahre initiierte er die Analoge Architektur. Unter anderem gewann er den Heinrich-Tessenow-Preis und vertrat 2012 den Schweizer Pavillon an der Architekturbiennale in Venedig. Neben zahlreichen Publikationen erschien von ihm zuletzt Miroslav Šik – Architektur 1988–2012 (Luzern, Quart Verlag, 2012). Tilla Theus ist eine Schweizer Architektin aus Zürich. Sie ist spezialisiert auf die Projektierung und Ausführung von Neubauten in städte­ baulich anspruchsvollem Kontext sowie Umbauten und Sanierungen von denkmalgeschützten Objekten wie auch Innenarchitektur und Raumdesign. Philip Ursprung ist Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der ETH Zürich. Er unterrichtete unter anderem an der Universität Zürich, der Hochschule der Künste Berlin und der Columbia University New York. Neben zahlreichen anderen Publikationen erschien von ihm zuletzt Die Kunst der Gegenwart: 1960 bis heute (München, Verlag C. H. Beck, 2010) und Allan Kaprow, Robert Smithson, and the Limits to Art (Berkeley, University of California Press, 2013).


98

Autorinnen und Autoren

Lorenza Donati ist Architektin und Assistentin für Entwurf bei der Professur Christian Kerez an der ETH Zürich. Sie studierte Architektur an der ETH Zürich und an der FADU Buenos Aires. Werner Huber diplomierte als Architekt an der ETH Zürich. Seit 2001 ist er Redaktor für Architektur bei der Zeitschrift Hochparterre. Neben zahlreichen anderen Büchern erschien von ihm 2015 die Monografie Bahnhofstrasse Zürich. Geschichte – Gebäude – Geschäfte (Zürich, Hochparterre, 2015). Caroline Kesser lebt als promovierte Kunsthistorikerin und Publizistin in Zürich. Neben der spanischen Kultur gehört die Schweizer Kunst des 20. Jahrhunderts zu ihren Schwerpunktthemen. Daniel Kurz ist Historiker und Architekturpublizist. Er studierte Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich. Heute ist er Chefredaktor der Schweizer Architekturzeitschrift werk, bauen + wohnen. 2008 erschien seine Dissertation Die Disziplinierung der Stadt. Moderner Städtebau in Zürich 1900 bis 1940 (Zürich, gta Verlag, ETH Zürich, 2008). Walter Mair ist Fotograf der Kunstgewerbeschule Zürich und diplomierte in Architektur an der ETH Zürich. Er lebt und arbeitet heute als freier Fotograf in Basel. Markus Notter ist Jurist und hat einen Lehrauftrag an der Uni­ versität Zürich. 1990 wurde er zum Stadtpräsident von Dietikon und 1996 in den Zürcher Regierungsrat gewählt, dem er als Vorsteher der Direktion der Justiz und des Inneren bis 2011 angehörte. Er ist in verschiedenen gemeinnützigen Organisationen tätig und wirkte von 1996 bis 2016 als Präsident der STEO Stiftung.

99

Autorinnen und Autoren

Miroslav Šik ist Architekt und Professor für Architektur an der ETH Zürich. Er studierte an der ETH Zürich bei Aldo Rossi und Mario Campi. Ende der 1980er-Jahre initiierte er die Analoge Architektur. Unter anderem gewann er den Heinrich-Tessenow-Preis und vertrat 2012 den Schweizer Pavillon an der Architekturbiennale in Venedig. Neben zahlreichen Publikationen erschien von ihm zuletzt Miroslav Šik – Architektur 1988–2012 (Luzern, Quart Verlag, 2012). Tilla Theus ist eine Schweizer Architektin aus Zürich. Sie ist spezialisiert auf die Projektierung und Ausführung von Neubauten in städte­ baulich anspruchsvollem Kontext sowie Umbauten und Sanierungen von denkmalgeschützten Objekten wie auch Innenarchitektur und Raumdesign. Philip Ursprung ist Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der ETH Zürich. Er unterrichtete unter anderem an der Universität Zürich, der Hochschule der Künste Berlin und der Columbia University New York. Neben zahlreichen anderen Publikationen erschien von ihm zuletzt Die Kunst der Gegenwart: 1960 bis heute (München, Verlag C. H. Beck, 2010) und Allan Kaprow, Robert Smithson, and the Limits to Art (Berkeley, University of California Press, 2013).


100

Anmerkungen

1 «Zwei neue Wohnkolonien der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich», in: WOHNEN, Band 3, Zürich, 1928, S. 48. 2 Ebd. 3 «Allgemeine Baugenossenschaft Zürich», in: SCHWEIZERISCHE ZEITSCHRIFT FÜR WOHNUNGSWESEN, Band 1, NeulandVerlag: Zürich, 1926, S. 174. 4 «Das Mehrfamilienhaus II, A.B.Z. Kolonie an der Schaffhauserstrasse», in: Ebd., S. 77–79. 5 «Eröffnung der neuen Kolonie an der Ottostrasse in Zürich 5 der A.B.Z.», in: SCHWEIZERISCHE ZEITSCHRIFT FÜR WOHNUNGSWESEN, Band 2, Neuland-­ Verlag: Zürich, 1927, S. 148. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Ebd. 9 Kunstsammlung der Stadt Zürich, Inv. Nr. 110. 10 Das Werk, Heft 1, Band 8, 1921, S. 18. 11 Hans Jörg Rieger, Die farbige Stadt. Beiträge zur Geschichte der farbigen Architektur in Deutschland und der Schweiz 1910–1939, Zürich, 1976, S. 196. 12 Vgl. die Siedlungsdokumentation Nr. 7 der Liegenschaftenverwaltung der Stadt Zürich. 13 Rieger 1976, wie Anm. 11, S. 197 und 292. Es ist anzunehmen, dass sich Hartung bei der Wahl der Farbe des Verputzes an den repräsentativen, 1919 von der Bau­ genossenschaft des Eidgenössischen Personals am Röntgenplatz erstellten «Roten Block» anlehnte, der ursprünglich einen starken dunkelroten Verputz hatte und 1973 einen viel helleren, rosaroten Anstrich bekam. Im Verlauf der aktuellen Sanierung der Kolonie Industrie II ist dieser Block mit einem der originalen Farbe wohl ähnelnden, kräftigen Weinrot verputzt worden. 14 Einzigartig in genossenschaftlichen Fassadenmalereien in der Schweiz seiner Zeit sind seine Darstellungen von Industrie­arbeitern, die er gleichzeitig auch an der Siedlung Neugasse

101

anbrachte. Diese Arbeiterfiguren haben ihn aber nicht als soziale Klasse interessiert, gehörten vielmehr zur Familie der Handwerker, die er davor und danach gerne in seine durchaus gefälligen Wandmalereien integrierte. Vgl. auch Jan Capol, Die Sehnsucht nach Harmonie. Eine semiotische und mentalitätsgeschichtliche Interpretation der Fassadenbilder der Zürcher Baugenossenschaften, Zürich, Chronos Verlag, 2000, S. 108/109. 15 Anscheinend sollten sich diese Siedlungen nicht zu stark von dem als trist empfundenen, grau verputzten Erismannshof abheben. Vgl. Rieger 1976, wie Anm. 11, S. 199/200. 16 «Zwei neue Wohnkolonien der All­gemei­ nen Baugenossenschaft Zürich», in: WOHNEN, Band 3, Zürich, 1928, S. 48. 17 Protokoll der Sitzung der ABZ-­Gremien vom 7. 7. 1929. 18 Ebd. 19 «Zürichs neue City», in: Illustrierte schweizerische Handwerker-­Zeitung: Unabhängiges Geschäftsblatt der gesamten Meisterschaft aller Handwerke und Gewerbe, Band 46, Walter Senn-Blumer: Zürich, 1930, S. 421–422. 20 Ebd. 21 Dafür gebührt der Eigentümerin Swiss Life Anerkennung. 22 «Zürichs neue City», in: Illustrierte schweizerische Handwerker-­Zeitung: Unabhängiges Geschäftsblatt der gesamten Meisterschaft aller Handwerke und Gewerbe, Band 46, Walter Senn-Blumer: Zürich, 1930, S. 421–422. 23 Ebd. 24 «Neubau Geschäftshaus und Kino Rex», in: Neue Zürcher Zeitung, Zürich, 6. 10. 1935, S. 3. 25 Ebd. 26 Ebd. 27 Ebd. 28 «Neubau Kino ABC», in: Neue Zürcher Zeitung, Zürich, 17. 3. 1958, S. 10.

Abbildungsnachweis

Die Ziffern beziehen sich auf die Seitenzahlen. Archiv der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich: 20, 28, 32, 43, 44, 49, 58 Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich: 70, 74, 80, 82, 84, 89, 90, 91, 95 © Theo Frey / Fotostiftung Schweiz: 59 © Walter Mair: 17, 19, 21, 22, 29, 30, 31, 33, 34, 35, 36, 38, 42, 45, 48, 52, 56, 57, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 73, 76, 77, 81, 83, 88, 93, 94 Otto Streicher, «Bestrebungen hinsichtlich einer Bautätigkeit», in: Unser Kampf gegen die Wohnungsnot, Allgemeine Baugenossenschaft Zürich, 1918: 15, 27, 37


100

Anmerkungen

1 «Zwei neue Wohnkolonien der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich», in: WOHNEN, Band 3, Zürich, 1928, S. 48. 2 Ebd. 3 «Allgemeine Baugenossenschaft Zürich», in: SCHWEIZERISCHE ZEITSCHRIFT FÜR WOHNUNGSWESEN, Band 1, NeulandVerlag: Zürich, 1926, S. 174. 4 «Das Mehrfamilienhaus II, A.B.Z. Kolonie an der Schaffhauserstrasse», in: Ebd., S. 77–79. 5 «Eröffnung der neuen Kolonie an der Ottostrasse in Zürich 5 der A.B.Z.», in: SCHWEIZERISCHE ZEITSCHRIFT FÜR WOHNUNGSWESEN, Band 2, Neuland-­ Verlag: Zürich, 1927, S. 148. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Ebd. 9 Kunstsammlung der Stadt Zürich, Inv. Nr. 110. 10 Das Werk, Heft 1, Band 8, 1921, S. 18. 11 Hans Jörg Rieger, Die farbige Stadt. Beiträge zur Geschichte der farbigen Architektur in Deutschland und der Schweiz 1910–1939, Zürich, 1976, S. 196. 12 Vgl. die Siedlungsdokumentation Nr. 7 der Liegenschaftenverwaltung der Stadt Zürich. 13 Rieger 1976, wie Anm. 11, S. 197 und 292. Es ist anzunehmen, dass sich Hartung bei der Wahl der Farbe des Verputzes an den repräsentativen, 1919 von der Bau­ genossenschaft des Eidgenössischen Personals am Röntgenplatz erstellten «Roten Block» anlehnte, der ursprünglich einen starken dunkelroten Verputz hatte und 1973 einen viel helleren, rosaroten Anstrich bekam. Im Verlauf der aktuellen Sanierung der Kolonie Industrie II ist dieser Block mit einem der originalen Farbe wohl ähnelnden, kräftigen Weinrot verputzt worden. 14 Einzigartig in genossenschaftlichen Fassadenmalereien in der Schweiz seiner Zeit sind seine Darstellungen von Industrie­arbeitern, die er gleichzeitig auch an der Siedlung Neugasse

101

anbrachte. Diese Arbeiterfiguren haben ihn aber nicht als soziale Klasse interessiert, gehörten vielmehr zur Familie der Handwerker, die er davor und danach gerne in seine durchaus gefälligen Wandmalereien integrierte. Vgl. auch Jan Capol, Die Sehnsucht nach Harmonie. Eine semiotische und mentalitätsgeschichtliche Interpretation der Fassadenbilder der Zürcher Baugenossenschaften, Zürich, Chronos Verlag, 2000, S. 108/109. 15 Anscheinend sollten sich diese Siedlungen nicht zu stark von dem als trist empfundenen, grau verputzten Erismannshof abheben. Vgl. Rieger 1976, wie Anm. 11, S. 199/200. 16 «Zwei neue Wohnkolonien der All­gemei­ nen Baugenossenschaft Zürich», in: WOHNEN, Band 3, Zürich, 1928, S. 48. 17 Protokoll der Sitzung der ABZ-­Gremien vom 7. 7. 1929. 18 Ebd. 19 «Zürichs neue City», in: Illustrierte schweizerische Handwerker-­Zeitung: Unabhängiges Geschäftsblatt der gesamten Meisterschaft aller Handwerke und Gewerbe, Band 46, Walter Senn-Blumer: Zürich, 1930, S. 421–422. 20 Ebd. 21 Dafür gebührt der Eigentümerin Swiss Life Anerkennung. 22 «Zürichs neue City», in: Illustrierte schweizerische Handwerker-­Zeitung: Unabhängiges Geschäftsblatt der gesamten Meisterschaft aller Handwerke und Gewerbe, Band 46, Walter Senn-Blumer: Zürich, 1930, S. 421–422. 23 Ebd. 24 «Neubau Geschäftshaus und Kino Rex», in: Neue Zürcher Zeitung, Zürich, 6. 10. 1935, S. 3. 25 Ebd. 26 Ebd. 27 Ebd. 28 «Neubau Kino ABC», in: Neue Zürcher Zeitung, Zürich, 17. 3. 1958, S. 10.

Abbildungsnachweis

Die Ziffern beziehen sich auf die Seitenzahlen. Archiv der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich: 20, 28, 32, 43, 44, 49, 58 Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich: 70, 74, 80, 82, 84, 89, 90, 91, 95 © Theo Frey / Fotostiftung Schweiz: 59 © Walter Mair: 17, 19, 21, 22, 29, 30, 31, 33, 34, 35, 36, 38, 42, 45, 48, 52, 56, 57, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 73, 76, 77, 81, 83, 88, 93, 94 Otto Streicher, «Bestrebungen hinsichtlich einer Bautätigkeit», in: Unser Kampf gegen die Wohnungsnot, Allgemeine Baugenossenschaft Zürich, 1918: 15, 27, 37


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2017 NZZ Libro, Neue Zürcher Zeitung AG, Zürich Lektorat: Regula Walser, Zürich Konzept, Gestaltung, Satz: Moiré, Marc Kappeler, Dominik Huber, Simon Trüb, William Jacobson, Zürich Bildbearbeitung und Druck: Druckerei Odermatt AG, Dallenwil Einband: Buchbinderei Burkhardt AG, Mönchaltdorf Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Verviel­ fältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urhe­ berrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-03810-233-5 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung


5

Vorwort Markus Notter

Der Architekt Otto Streicher (1887–1968) errichtete im Jahr 1964 eine Stiftung. 1971 erhöhte seine Witwe Emma Streicher-Jori das Stiftungskapital von 2,3 Millionen um weitere 2,75 Millionen Franken. Seit ihrer Gründung hat die Stiftung rund 1900 Projekte mit Beiträgen von insgesamt 13,5 Millionen Franken unterstützt. Die zinsbedingte Ertragslage zwang die Stiftung leider dazu, ihr Wirken nach gut 50 Jahren Fördertätigkeit zu beenden. Dies alles ist Anlass genug, nach dem Stifter und vor allem nach seinem Werk zu fragen. Aus Dankbarkeit für die Chance, eine gute Ausbildung am Technikum Winterthur erhalten zu haben, und aus Freude, Menschen zu helfen, die Imponierendes schaffen, aber nicht auf Rosen gebettet sind, hat Otto Streicher seine Stiftung errichtet. Er nannte sie STEO Stiftung, ein Akronym für Streicher Emma und Otto. Offensichtlich wollte er sich selber nicht in den Vordergrund stellen. Auch deshalb ist der Name Otto Streicher der Öffentlichkeit wohl weitgehend unbekannt, obwohl verschiedene seiner Bauten im Stadtbild von Zürich markant in Erscheinung treten. Bis vor Kurzem wurde er sogar in Fachschriften mit einem gleichnamigen deutschen Architekten verwechselt. Dieses Buch folgt in einem Spaziergang den architektonischen Werken Otto Streichers in der Stadt Zürich. Am Anfang seines Schaffens stehen die Wohnbauten in den Arbeiterquartieren. Zehn Jahre arbeitete er für die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ), die ihm Direktaufträge erteilte. In einer von der ABZ 1918 publizierten Broschüre über den «Kampf gegen die Wohnungsnot» formulierte Otto Streicher Grundsätze des genossenschaftlichen Wohnungsbaus. Er orientierte sich an den Bedürfnissen der «kleinen Leute» mit einer angepassten, dauerhaften und städtischen Architektur. Seine Arbeitersiedlungen wirken heute beispielhaft für eine «anonyme Architektur» im Zürich der 1920er-Jahre. Die Symbolkraft des Arbeiterpalastes an der Ottostrasse und die künstlerische Gestaltung der Wohnkolonien Sihlfeld und Kanzleistrasse mit Wandmalereien von Wilhelm Hartung zeugen von einer Ambition, die über die blosse Zweckmässigkeit hinausreicht. Die Bildsprache bedient sich dabei einer Sehnsucht nach Landidylle, die zwar in einem Gegensatz zum städ­ tischen Umfeld steht, jedoch einem Bedürfnis zu entspringen scheint.


Otto Streichers Spuren  Lorenza Donati (Hrsg.)

Otto Streichers Spuren Lebenswerk eines Zürcher Architekten Lorenza Donati (Hrsg.)

Der Zürcher Architekt Otto Streicher (1887–1968) verfolgte einen klaren Grundgedanken: Seine Architektur sollte bildhaft städtisch und dauerhaft sein. Noch heute stehen viele seiner Bauten und prägen das Bild der Stadt Zürich. Das Buch präsentiert Otto Streichers Vermächtnis in einem visuellen Rundgang durch die Stadt und zeigt, wie er von baugenossenschaftlichen Siedlungen im Grünen zu Blockrandbauten in den Arbeiterquartieren über das Geschäftshaus Sihlporte an die bürgerliche Bahnhofstrasse gelangte. Mit Beiträgen von Lorenza Donati, Werner Huber, Caroline Kesser, Daniel Kurz, Markus Notter, Miroslav Šik, Tilla Theus und Philip Ursprung sowie Fotografien von Walter Mair.

ISBN 978-3-03810-233-5

9 783038 102335

www.nzz-libro.ch

NZZ Libro


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.