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2 Pest: der Schwarze Tod

Erreger und Übertragung Pest ist eine Infektionskrankheit, die durch ein Bakterium namens Yersinia pestis verursacht wird. Es handelt sich dabei um eine Tierkrankheit, die auf den Menschen übertragen werden kann (Zoonose). Die Übertragung erfolgt meist durch Bisse von Flöhen oder Läusen, die auf infizierten Ratten oder Haustieren leben. Beim Befall der Lunge (Lungenpest) ist die Krankheit leicht von Mensch zu Mensch übertragbar: Im Tierversuch reichen 100 bis 500 infektiöse Keime für eine Ansteckung.

Krankheitsbild Eine Pest äussert sich durch Symptome wie Fieber, Schwellung der Lymphknoten – meist in der Leistengegend – und Atembeschwerden. Wird sie nicht behandelt, kann sie den Tod zur Folge haben. Die Zeit von der Ansteckung bis zur Erkrankung variiert zwischen 1 und 7 Tagen.

Verbreitung und Häufigkeit In der Schweiz sind in den letzten 30 Jahren keine Pestfälle mehr aufgetreten. Weltweit registriert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa 1000 bis 3000 Pestfälle pro Jahr, meistens in Form kleinerer, örtlich begrenzter Epidemien. In Europa gab es den letzten dokumentierten Pestausbruch im Zweiten Weltkrieg. Man nimmt an, dass die Pest gegenwärtig in Europa nicht mehr existiert. Aufgrund der geringen infektiösen Dosis und des schweren Krankheitsbildes einer Lungenpest besteht das Risiko, dass Yersinia pestis als biologische Waffe eingesetzt werden könnte.27

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Schauplatz ist die Stadt Zürich zur Zeit der Reformation. Thomas Platter der Ältere berichtet in seiner Autobiografie: «Dan wie ich noch Zürich in die schull gieng, was ein grusame pestelentz do, das man zum grossen münster in ein grüben 900 menschen leit und in ein andre 700; do zoch ich mit andren lantzlütten heim. Do hat ich ein eyss an eim bein (ich denk, es weri ouch pestelentz); do wolt man uns kum ienert inlassen. Ich gieng an Grenchen zu miner bäsin Fransi; do entschlieft ich von Galpentran (ist ein klein dörflin unden am barg) byss an Grenchen in eim halben tag 18 mall. Do band mier die bäsin chabes bletter uff; ward gsund mit der hilff gottes, und bschach niemand nütz mer; aber weder ich noch min bäsin dorfftend in 6 wuchen zü keinem menschen kummen.»28

Der französische Historiker Emmanuel Roy Ladurie hat der Familie Platter eine gewichtige Darstellung gewidmet, und darin wird diese Episode wie folgt geschildert: «In Zürich hatte die Seuche zwei öffentliche Pestgruben mit insgesamt 1600 Leichen gefüllt. Anlässlich einer dieser Epidemien hatte Thomas sich möglicherweise angesteckt. Auf seinem Schenkel war ein Furunkel oder eine Eiterbeule entstanden, die eine seiner Tanten mit Gottes Hilfe und einem Verband aus Kohlblättern geheilt hatte. Zu dieser ebenso heilkundigen wie mitleidigen Tante war Thomas erst nach einem halbtägigen, anstrengenden Fussmarsch gelangt, während dem er vor Schmerzen und Erschöpfung achtzehnmal eingeschlafen war.»29

Platter floh vor einer «grusame pestelentz» aus der Stadt Zürich. Die Eiterbeule, die sich an seinem Bein bildete, lässt vermuten, dass es sich dabei um die Beulenpest handelte. Diese hochansteckende Infektionskrankheit äussert sich in Lymphdrüsenschwellungen in der Leiste und den Achselhöhlen und verursachte einige der tödlichsten Epidemien der Weltgeschichte. Ihr Wüten war so grauenvoll, dass sie nie ganz vergessen wurde.

Bei der Pest werden drei grosse Pandemien unterschieden: Bei der ersten handelt es sich um die Pest des Justinian, die in Europa von 531 bis 580 wütete; bei der zweiten um den Schwarzen Tod von 1347 bis 1353. Die dritte Pandemie nahm 1892 ihren Anfang in Südwestchina.

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Zwei Jahre später griff die Krankheit von Kanton (Guangzhou) auf die britische Kolonie Hongkong über und breitete sich trotz aller Schutzmassnahmen immer weiter aus. Verantwortlich dafür war der international vernetzte Hafen Honkongs. 1899 erreichte die Pest Hawaii, im Jahr darauf San Francisco, um 1900 waren Anwohnerinnen und Anwohner aller Ozeane betroffen.

Ins kulturelle Gedächtnis eingegraben hat sich vor allem die mittelalterliche Pestpandemie von 1347 bis 1353, über die sehr viel geschrieben wurde – so viel, dass Georg Sticker in seinem Klassiker zur Geschichte der Pest nüchtern feststellt: Ein «Menschenleben [reicht] nicht aus»,30 um alle Literatur über die Pest zu lesen.

Quantität ist selten ein Zeichen von Qualität. So hat die Fülle an Darstellungen zum Mittelalter den Blick auf wesentliche andere Aspekte der Geschichte der Pest verstellt. Eine wichtige Korrektur betrifft die Vorstellung, dass sie nur eine zentrale Erscheinung des Mittelalters gewesen sei. Die Pest wütete auch in der Frühen Neuzeit (vor allem im Dreissigjährigen Krieg) und forderte in dieser Zeit wohl ebenso viele Opfer wie im Mittelalter. Im Hinblick auf die Schweiz muss sogar behauptet werden, dass die Pest im 17. Jahrhundert mehr Tote forderte als im Mittelalter. Im Folgenden greifen wir einige interessante Aspekte der mittelalterlichen Pestpandemie heraus, um dann die Pestzüge im 17. Jahrhundert genauer anzuschauen.

Die Übertragung der Pest

Typisch für die mittelalterliche Pestpandemie waren zwei Formen: die Beulenpest und die Lungenpest. Erreger beider Formen ist das Bakterium Yersinia pestis, das 1894 durch den Westschweizer Arzt Alexandre Yersin identifiziert wurde. Während der dritten Pestpandemie gelang es ihm unter schwierigsten Bedingungen, in Hongkong den Erreger aus Pesttoten und aus dem Boden eines Hauses, dessen Bewohner an der Krankheit gestorben waren, zu isolieren. Nur wenige Jahre später vervollständigten Paul-Louis Simond und Masanori Ogata das Wissen um die Übertragung der Pest. Sie wiesen nach, dass der Rattenfloh Xenopsylla cheopis und somit auch die Hausratte als Wirte die-

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nen. Der heutige Kenntnisstand der Übertragung kann wie folgt zusammengefasst werden:

«Der Rattenfloh Xenopsylla cheopis nimmt beim Stich einer mit dem Pestbakterium infizierten Ratte den Erreger in sich auf. Im Magen des Flohs vermehren sich die Bakterien und bilden mit dem gestockten Blut eine geleeartige Masse, die den Floh anfüllt und seine Speiseröhre blockiert. Der Floh bleibt hungrig, da frisches Blut nur noch teilweise oder gar nicht mehr in den Magen gelangen kann, und sticht umso mehr. Dabei gelangt infiziertes Blut aus dem Magen bzw. der Speiseröhre des Flohs in den neuen Wirt. Diese Art der Übertragung ist sehr effektiv, wenngleich der Rattenfloh letztlich bei vollem Magen innerhalb von fünf Tagen verhungert.

Mittlerweile ist erwiesen, dass auch Menschenflöhe den Pesterreger übertragen können. Nimmt der Menschenfloh Pulex irritans den Erreger auf, so greift der ausgeklügelte Mechanismus der Verklumpungen im Magen nicht. Damit wird das Pestbakterium in diesem Fall nicht so effektiv übertragen. Dafür leben die Flöhe jedoch länger und können auf diese Weise mehr Personen befallen. Bei modernen Pestepidemien ist häufig eine Mischung zu beobachten: Ratten und Rattenflöhe übertragen den Pesterreger zu Beginn, in der weiteren Ausbreitung spielen aber Menschenflöhe und sogar die Kleiderlaus Pediculus humanus humanus eine Rolle. Neuere Forschungen zielen gar darauf ab, dass auch Katzenflöhe (Ctenocephalides felis) an der Übertragung mitwirken könnten.»31

Es spricht viel dafür, dass im Fall der Pestepidemien im Mittelalter die Übertragung von Mensch zu Mensch und damit auch Parasiten des Menschen eine grössere Rolle spielten als die Übertragung des Erregers durch Ratten und Rattenflöhe. Genau zu dieser Schlussfolgerung kommt auch eine Arbeit über die Pestepidemien des 17. Jahrhunderts im Kanton Solothurn.

Bei der Lungenpest benötigt das Pestbakterium nicht mehr den umständlichen Weg über den Floh – sei es nun der Ratten- oder der Menschenfloh. Die Krankheit wird durch Tröpfcheninfektion direkt von Mensch zu Mensch übertragen. Der Tod trat hier oft ungemein

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rasch ein: In einer Rapperswiler Chronik wird auf die schreckliche Kontagiosität der Pest hingewiesen, die «viele Städte, Dörfer, Klöster, Landstriche und Inseln […] menschenleer» zurückliess. Die Beobachtung, dass ein Gesunder sterben musste, wenn er «in die Nähe eines Kranken oder mit dessen Atem oder Ausdünstung oder Kleidung in Kontakt kam»,32 verrät die zeittypische Synthese von ärztlicher Alltagserfahrung und der Seuchentheorie der Schulmedizin. Das passt zu Erfahrungen in Italien: «An einem Morgen war man gesund, am folgenden schon tot»,33 steht in einer Chronik der Stadt Orvieto aus dem Jahr 1363.

Eine weltgeschichtliche Katastrophe?

Die mittelalterliche Pestpandemie wird häufig als Schwarzer Tod bezeichnet, was zu einem Synonym für das Massensterben geworden ist. Allerdings tauchte die Bezeichnung erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts in Skandinavien auf, also rund 250 Jahre nach den Seuchenzügen. In der Folgezeit setzte sich die Verwendung des Begriffs allgemein durch. Die Farbe Schwarz symbolisierte dabei das Furchtbare und Schreckliche schlechthin, zugleich nahm sie Bezug auf die schwärzlichen Beulen, die durch Blutungen unter der Haut hervorgerufen wurden und als untrügliches Symptom der Pest galten.

Der mittelalterliche Mensch wusste nicht, wie sich die Krankheit verbreitete, aber er erlebte das massenhafte Sterben. Die Quellen widerhallen davon. Wissen wir aber, wie hoch der Tribut der Pest in Europa war? «Rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung Europas [wurde] dahingerafft, das wären etwa 25–30 Millionen.»34 Man kann dem Historiker Wolfgang Reinhard nur zustimmen, wenn er meint: «Der Schwarze Tod […] war eine weltgeschichtliche Katastrophe ersten Ranges […] Nur die Folgen eines Atomkriegs mögen ähnlich aussehen.»35

Der Medizinhistoriker Manfred Vasold betont jedoch die Grenzen einer mittelalterlichen Peststatistik: «Die Wissenschaft wird sich damit abfinden müssen, dass Zahlenangaben für die Pestgänge des 14. und 15. Jahrhunderts nicht gemacht werden können.»36 In Bezug auf Italien, das für diese Zeit über weitaus mehr schriftliche Quellen verfügt

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als andere Länder, drückt sich Vasold mit der gebotenen Vorsicht aus: «Einige Städte könnten wohl einzig und allein in der Zeit des Schwarzen Todes die Hälfte ihrer Bewohner verloren haben – aber doch nicht das ganze Land. Freilich, die Apenninhalbinsel hat lange Küsten und viele Seehäfen, enge Beziehungen zum Orient, hohe Sommertemperaturen und einen weitverzweigten Binnenhandel, das alles begünstigte die Ausbreitung einer Seuche wie der Pest. Der Mangel an Arbeitskräften wurde nach 1350 so gross, dass im Mittelmeerraum der Sklavenhandel wieder zunahm.»37

Der renommierte Mittelalterhistoriker Ernst Schubert hat darauf hingewiesen, dass die hohen Todeszahlen nicht nur der Pest, sondern auch schlechten Ernten geschuldet waren: «Noch grössere Gefahren als strenge Winter beschworen kalte und verregnete Sommer herauf. Die Jahre 1314/15 brachten derart hohe Niederschläge, dass allenthalben die Ernten vernichtet wurden. Die europaweite Hungerkatastrophe, die sich in vielen Regionen bis 1318 erstreckte, hat die Geschichte genauso stark verändert wie die viel bekanntere Pest der Jahre 1347–1349.»38

Die mittelalterliche Pest war eine traumatische Erfahrung, die sich tief ins kulturelle Gedächtnis eingegraben hat: Nach dem Auftreten der Pestpandemie von 1348 wurde eine ansteckende Krankheit mit vielen Opfern als Pestulenz bezeichnet – wie wir bereits am Beispiel des Berichts von Thomas Platter erfahren haben. Selbst heute lassen sich in der deutschen Sprache Spuren der Pestzüge nachweisen, etwa in der Redewendung «etwas fürchten wie die Pest»39 oder im Begriff «Pesthauch». Darin schwingt noch die veraltete Vorstellung der Miasmen mit: «Die Miasmen-Lehre bildete den Grundpfeiler des ‹Pesthauchmodells›, mit welchem der umbrische Arzt Gentile da Foligno 1348 versuchte, die Ursache des Schwarzen Todes zu erklären. Krankheitserregende Fäulnisdämpfe, die angeblich aus dem Meer in die Luft aufgestiegen waren, dann auf die Erde zurück gelangten und von den Menschen eingeatmet wurden, standen am Beginn der Kausalkette. Begünstigt wurde dieses Phänomen durch eine bestimmte, missliche Konstellation der Planeten. In Herz und Lunge verdichtete sich der

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«Vor Pest, Hunger und Krieg bewahre uns, o Herr» – mit diesen Worten beteten Menschen im Gebiet der heutigen Schweiz in der Frühen Neuzeit um göttlichen Beistand gegen die Geisseln ihrer Zeit. Die Reihenfolge – Pest, Hunger und Krieg – ist nicht zufällig und steht für die Grösse der Bedrohung. Hunger und Krieg wurden für die Menschen in der Schweiz jedoch zu Ereignissen der fernen Vergangenheit: Die letzte Hungersnot war im Jahr 1817, der letzte Krieg um 1847. Im Gefolge des Ersten Weltkriegs bekam die Schweiz indes die Auswirkungen der Spanischen Grippe zu spüren: 1918/19 starben rund 25 000 Menschen.

Krankheit und Tod sind durch Corona wieder ins Bewusstsein gerückt. Doch befinden wir uns tatsächlich in der schlimmsten Pandemie aller Zeiten, wie da und dort zu lesen ist? Gab es früher überhaupt vergleichbare Infektionskrankheiten? Wie gingen die Menschen in der Schweiz damit um? War die Pest in der Schweiz so tödlich wie Cholera, Pocken oder Tuberkulose? Diese und weitere Fragen beantwortet der Historiker Daniel Furrer in der ersten Gesamtdarstellung der Seuchengeschichte der Schweiz und stellt damit die aktuelle Lage in einen grösseren historischen Zusammenhang.

ISBN 978-3-907291-66-5 ISBN978-3-907291-66-5

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