Alex Gertschen (Hg.): Räderwerke der Normalität. Wie Normen und Standards Vertrauen schaffen

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RÄDERWERKE

DER NORMALITÄT

Wie Normen und Standards Vertrauen schaffen

ALEX GERTSCHEN (HRSG.)

RÄDERWERKE DER NORMALITÄT

Wie Normen und Standards Vertrauen schaffen

Herausgegeben von Alex Gertschen

NZZ Libro

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© 2023 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel

Lektorat: Dr. Gabriele Schweickhardt, Frankfurt

Korrektorat: Waldemar Wolf, Ludwigsburg

Umschlag: Grafik Weiss GmbH, Freiburg i. Br.

Gestaltung, Satz: Claudia Wild, Konstanz

Druck, Einband: BALTO print, Litauen

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ISBN Print 978-3-907396-28-5

ISBN E-Book 978-3-907396-29-2

Das E-Book ist ebenfalls in folgenden Ausgaben erhältlich:

ISBN E-Book englisch 978-3-907396-60-5

ISBN E-Book französisch 978-3-907396-61-2

ISBN E-Book italienisch 978-3-907396-62-9

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NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.

5 Inhalt Editorial 7 Norm und Normalität: eine Einführung 9 Kapitel 1 Grundlagen: Ordnung in einer komplexen und dynamischen Gesellschaft 17 1 Das internationale Normensystem: Akteure, Prozesse und die Rolle der Schweiz 18 2 Begriffe, Definitionen, Typen: ein Überblick 25 3 Zertifizierung und Akkreditierung: ein System zur Prüfung von Anwendern und Prüfern 31 4 Normen im historischen Wandel: vom Nebeneinander zum Miteinander auf den Strassen der Schweizer Städte und Agglomerationen 43 5 Normen im Vergleich zu anderen Regelsystemen: das Beispiel des EFQM-Reifegradmodells 52 6 Die ISO 9001: das Schweizer Taschenmesser des Qualitätsmanagements 58 7 Das komplexe Zusammenspiel von Normierung und Innovation: Wie Stabilität und Wandel miteinander verbunden sind 67 Kapitel 2 Fallbeispiele: Wie Normen und Standards Organisationen besser machen und unseren Alltag prägen 77 8 Nebenamtlich im Spitzenteam: Wie Normen die Kooperation zwischen Berufsfachschulen und Milizakteuren des Bildungssystems erleichtern 78 9 Eines der besten Hotels will noch besser werden: der Balanceakt des Dolder Grand in Zürich zwischen normierter Qualität und individuellen Gästebedürfnissen 86 10 «Verzichten Sie vorgängig auf die Rasur der Beine»: Der sichere Behandlungspfad ist in den Hirslanden-Kliniken standardisiert und zunehmend automatisiert 97
6 Inhalt 11 Fertig gebaut ist nie: Implenias Betreuung künftiger Stockwerkeigentümer zeigt, wie Managementsystem-Normen zu einer besseren Dienstleistung führen können 105 12 Ein gemütlicher Ausflug in ein raues Umfeld: Die Jungfraubahnen fahren seit 1912 Gäste ins Hochgebirge und überlassen dabei nichts dem Zufall 115 13 Sicherheit und Gesundheit gehen vor: Wie das Bauunternehmen Lazzarini seine Mitarbeitenden bei der täglichen Arbeit schützt 125 14 Mit hehren Motiven ist es nicht getan: Die ORS Gruppe hat für die Betreuung geflüchteter Menschen ein Qualitätsmanagementsystem aufgebaut 132 15 Kultur in der Flasche: Das Rivella-Rezept besteht aus Normen, Vertrauen und vielen anderen Zutaten 138 16 Von Interlaken nach Hamburg: Wie eine sichere und komfortable Zugfahrt zur Norm wird 149 17 Standards als Schlüssel und Schrauben: Sie öffnen der SFS Group Türen und halten das Unternehmen zusammen 159 18 Was ist schon normal? Die Paraplegiker-Stiftung pflegt einen kritischen und pragmatischen Umgang mit Normen 170 Kapitel 3 Nachhaltige Entwicklung: Bedeutung und Potenzial von Normen und Standards 179 19 Transnationale Gouvernanz für nachhaltige Entwicklung: eine Ordnung für das Erdzeitalter des Menschen 180 20 Standards für eine nachhaltige Unternehmensführung: Entstehung, Analyse und ein Lösungsansatz 208 21 Normierung für transformative Innovation? Chancen und Risiken anhand des Fallbeispiels der ISO 30500 für netzunabhängige Sanitärsysteme 217 22 Zur Rolle des Staats: «Wir können viel davon lernen, wie Qualitätsanforderungen in der Wirtschaft durchgesetzt wurden» 225 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 231 Nachwort und Dank 235

Editorial

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Normen und Standards prägen die Art und Weise, wie wir Güter und Dienstleistungen produzieren – und damit auch, wie wir konsumieren. Sie fördern Qualität, Sicherheit, Komfort und Zuverlässigkeit, erleichtern die Kooperation und tragen so zum Vertrauen in unserer Gesellschaft bei.

Das Normensystem in der Schweiz besteht aus einer Vielzahl von Akteuren. Da sind zunächst die Normen- und Standardentwickler, unter denen die Internationale Organisation für Normung (ISO) die wichtigste ist. Die Schweizerische Normen-Vereinigung vertritt die Schweiz bei der ISO und dient allgemein als Scharnier zwischen dem nationalen und dem internationalen Normensystem. Die privaten Zertifizierungsgesellschaften überprüfen die Anwender der Normen und werden ihrerseits durch die staatliche Schweizerische Akkreditierungsstelle überwacht. Dieses System stellt für die hiesigen Unternehmen eine Infrastruktur dar, die es ihnen erlaubt, sich stetig weiterzuentwickeln, in der Weltwirtschaft zu behaupten und so zu unserem Wohlstand beizutragen.

Die praktische Bedeutung des Normensystems kontrastiert mit seiner Unscheinbarkeit. Einer breiten Öffentlichkeit ist es entweder nicht bekannt oder kaum verständlich – was angesichts seiner Komplexität nur allzu verständlich ist. Dieses Buch soll Abhilfe schaffen, indem es die historische Entwicklung und heutige Funktionsweise des Normensystems erklärt sowie aufzeigt, wie Normen und Standards die nachhaltige Transformation unserer Gesellschaft unterstützen (können).

Die Schweizerische Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme (SQS) ist eine Schlüsselakteurin des Normensystems in der Schweiz. Sie wurde 1983 von Wirtschaftsverbänden und Vertretern des Bunds als weltweit zweite Zertifizierungsgesellschaft für Managementsysteme gegründet, um Qualität, Entwicklung und internationale Vernetzung der hiesigen Unternehmen zu fördern. Wir trugen massgeblich zur Entwicklung eines internationalen Systems bei, das mittels Normen und Zertifizierungen eine gemeinsame «Sprache» stiftet, technische Handelshindernisse sowie allgemein Transaktionskosten verringert, und wir verstehen uns noch heute als Unternehmen im Dienst der Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft. Zu unseren über 9000 Kundinnen und Kunden gehören Unternehmen, Behörden, Verbände und andere Organisationen, global tätige Konzerne ebenso wie Mikrounternehmen mit einer Handvoll Angestellten.

Wir bewerten, auditieren und zertifizieren Organisationen nach Managementsystem- sowie zahlreichen anderen Normen und Standards. Der Nutzen dieser

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Dienstleistungen wirkt gegen innen und aussen. Zum einen entwickeln und verbessern sich unsere Kunden stetig weiter, indem sie sich im Dialog mit uns spiegeln. Zum anderen verschaffen wir Gewissheit, welchen Reifegrad eine Organisation bezüglich eines Standards erreicht, oder ob sie die Anforderungen einer bestimmten Norm erfüllt. So tragen wir zur Orientierung, Entwicklung und Glaubwürdigkeit unserer Kunden sowie zum Vertrauen in deren Umfeld bei – mit positiven Auswirkungen in die weitere Gesellschaft hinaus.

Unser Ansatz ist systemisch, umfassend und auf kontinuierliche Verbesserung ausgerichtet. Wir nehmen in unseren Bewertungen und Audits stets das grosse Ganze in den Blick. So schauen wir auch auf unsere eigene Arbeit und Funktion. Deshalb publizieren wir zu unserem 40-jährigen Bestehen keine SQS-Chronik. Stattdessen zeigt dieses Buch mittels vielfältiger Grundlagenartikel und Fallbeispiele den Wert der SQS indirekt auf, im Kontext des gesamten Normensystems. Damit verbinden wir den Anspruch, dieses System auch weiterhin zu unterstützen, zu prägen und für eine nachhaltige Entwicklung nutzbar zu machen.

Das grosse Ganze im Blick zu behalten, darf nicht bedeuten, den einzelnen Menschen aus dem Auge zu verlieren. Normen und Systeme sind kein Selbstzweck, sondern Instrumente für ein besseres Zusammenleben. Deshalb widmen wir dieses Buch all jenen, die mit ihrem Einsatz für die SQS dazu beitragen, dass sich in der Schweiz die «Räderwerke der Normalität» drehen und Vertrauen schaffen.

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Norm und Normalität: eine Einführung

Normen und Standards erleichtern es Unternehmen sowie anderen Organisationen, hohe Erwartungen zuverlässig zu erfüllen. Sie tragen so in der Schweiz zu einer Normalität bei, die alles andere als normal ist. Zugleich dürfen sie nicht nur der Gewährleistung des Status quo dienen: Normen und Standards müssen als Instrumente für eine nachhaltige Transformation unserer Gesellschaft genutzt werden.

Stellen Sie sich vor, Sie fahren Auto und treten auf die Bremse – und das Auto bremst. Mehr noch: Es bremst sachte und energieeffizient.

Stellen Sie sich vor, Sie nehmen die Eisenbahn – und kommen an. Mehr noch: Sie haben unterwegs den Anschlusszug erwischt und sind sicher und komfortabel weitergereist. Womöglich bis ins Hochgebirge.

Stellen Sie sich vor, Sie lassen sich ausbilden – und lernen Nützliches. Mehr noch: Sie erwerben angewandtes und abstraktes Wissen, das Ihnen vielfältige berufliche Perspektiven eröffnet.

Stellen Sie sich vor, Sie lassen sich operieren – und werden wieder ganz gesund. Oder Sie werden nie wieder ganz gesund, erhalten aber die Unterstützung, um einen Weg zurück in ein lebenswertes Leben zu finden.

Stellen Sie sich vor, Sie nehmen einen Schluck aus der Flasche – und das Süssgetränk schmeckt genauso lecker, wie Sie es erwartet haben. Mehr noch: Wie Millionen von anderen Konsumentinnen und Konsumenten es vor Ihnen erwartet und bestätigt erhalten haben.

Stellen Sie sich vor, Sie stellen ein Produkt «Swiss made» her – und die ganze Welt fragt es nach. Mehr noch: Das Produkt wird nachgefragt, obwohl es um ein Vielfaches teurer ist als (vermeintlich) vergleichbare.

Keine dieser Situationen und Konstellationen löst bei Ihnen grössere Verwunderung aus? Natürlich nicht! Sie alle wirken auf Bewohnerinnen und Bewohner in der Schweiz ziemlich selbstverständlich. Dabei ist diese – unsere – Normalität alles andere als normal im Sinn von voraussetzungslos. Die erwähnten Beispiele beziehen sich auf Unternehmen und andere Organisationen, die in diesem Buch porträtiert werden und sich Tag für Tag dafür einsetzen, dass unsere hohen Erwartungen punkto Qualität, Sicherheit, Komfort, Wohlstand oder Lebensperspektiven erfüllt werden.

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Während auf der Bühne des Alltags unsere Normalität verlässlich aufgeführt wird, wirkt hinter den Kulissen ein internationales System von Normen und Standards, das das Schauspiel anleitet und gewährleistet. Dieses System gibt Organisationen Orientierung, indem es aufzeigt, was als «Stand der Technik» eingefordert wird; es stellt Instrumente zur Verfügung, mit denen diese Anforderungen erfüllt werden können; und es enthält Prüfungs- und Zertifizierungsmechanismen, die für Glaubwürdigkeit und Vertrauen sorgen. Für welche Bereiche des Wirtschaftslebens gibt es Normen und Standards? Wie und durch wen werden sie entwickelt? Wie und warum werden sie so wirkungsvoll angewendet? Anhand dieser Leitfragen werden im Buch zentrale Regelwerke des Systems als Räderwerke unserer Normalität vorgestellt.

Eine Konstellation, die ebenfalls aufgegriffen wird, fehlt noch. Stellen Sie sich vor, wir alle leben ein ganz normales Leben – und zerstören dabei dessen natürliche Grundlagen. Mehr noch: Wir wissen, dass wir anders produzieren und konsumieren müssen, um die Erde in ihrem menschenfreundlichen Gleichgewicht zu halten, doch findet kein entsprechender Wandel statt. Das Buch thematisiert auch diese alltägliche Normalität und verbindet damit die Frage: Was für Normen und Standards können eine nachhaltige Transformation unserer Gesellschaft unterstützen?

Normen und Standards als Voraussetzung und Ergebnis menschlichen

Zusammenlebens

Normen und Standards beschreiben Normalität als Regel und Regelmässigkeit. Sie treffen Aussagen darüber, was für Situationen und Handlungen wahrscheinlich sind. Darüber hinaus stabilisieren und reproduzieren sie Normalität, indem sie vorgeben, wie man sich verhalten, was man tun sollte. Das ist ganz praktisch zu verstehen: Normen und Standards speichern Erfahrungswissen. Sie geben an, welche Handlungsweisen, Verfahren oder Techniken sich in bestimmten Situationen für bestimmte Zwecke bewährt haben. In der Form terminologischer Definitionen oder physikalischer Masseinheiten wiederum stellen Normen und Standards eine Sprache zur Verfügung, damit diese Regeln und Regelmässigkeiten überhaupt allgemein verständlich benannt werden können.

Auch wenn die beiden Begriffe auf Deutsch fast synonym verwendet werden: Es gibt Unterschiede. Normen werden unter Einbezug möglichst aller interessierten Parteien entwickelt. Hieraus erklärt sich ihr quasiöffentlicher Charakter und ihre breite Akzeptanz. Standards hingegen werden eher durch einen oder wenige marktmächtige Akteure gesetzt und durchgesetzt. Im Englischen wird deswegen zwischen «public standards» (Normen) und anderen Standards unterschieden. Aufgrund ihrer Entstehung haben Normen im deutschen Sprachgebrauch nicht selten eine

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moralische Qualität. Ihre Anforderungen zu erfüllen, ist «richtig». Wer sie missachtet, muss dies rechtfertigen. Standards geht diese Qualität ab. Indem Normen und Standards Situationen oder Handlungen erwartbar machen und legitimieren, wird unser Zusammenleben einfacher und angenehmer. Wir können uns auf etwas Bestimmtes einstellen und müssen uns nicht mit tausend möglichen Szenarien auseinandersetzen. Vertrauen in die Normalität bedeutet, dass uns die offene Zukunft nicht als Gefahr begegnet. Es ist nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich, dass mein Aufenthalt im Spital nicht zur Genesung führt; dass ich einen Unfall erleide, weil die Autobremse versagt; dass ich in der Berufslehre Kompetenzen erwerbe, die mir keine Erwerbstätigkeit ermöglichen; oder dass der Schluck aus einer Getränkeflasche mit einer Lebensmittelvergiftung endet. Ja, der Zug kann durchaus einige Minuten verspätet sein. Dass dies in der Schweiz bereits als erheblicher Verstoss gegen die Norm gilt, sagt auch einiges über unsere Normalität aus.

Normen prägen unsere Wahrnehmung. Deshalb fallen sie uns meist erst dann auf, wenn wir uns ausserhalb unserer Normalität bewegen: zum Beispiel im angelsächsischen Raum, wo mit Inches und Fuss gerechnet wird, statt mit dem metrischen System; oder in Ländern mit einem anderen Zeitverständnis, wo wir «pünktlich» zur Verabredung eintreffen und alle anderen mit ewig scheinender «Verspätung». Normen verändern sich entlang von Gesellschaften, Generationen, sozialen Milieus, Familien und Organisationen. Sie hängen von Gruppen ab und Gruppen von ihnen. Erst wenn sich Menschen auf gewisse Normen und Vorstellungen des Erwartbaren und Akzeptierten einigen, werden sie ein Kollektiv. Tatsächlich entstanden Normen und Standards in ihrer allgemeinsten Form – als Regeln des Zusammenlebens – mit den ersten menschlichen Gesellschaften, die die Arbeiten im Alltag aufzuteilen begannen und dafür soziale Rollen mit bestimmten Aufgaben und Kompetenzen schufen und miteinander koordinierten.

Thematischer Fokus und Struktur des Buchs

Der Fokus dieses Buchs liegt auf jenen formalisierten Normen und Standards, die die Art und Weise prägen, wie Unternehmen und andere Organisationen funktionieren, sich entwickeln, miteinander kooperieren und damit unsere hohen Anforderungen als Bürgerinnen und Konsumenten erfüllen. Viele von ihnen sind im Schweizer Normenwerk verknüpft, das rund 27 000 Normen zählt und seinerseits Teil eines europäischen und weltweiten Systems ist. Zu diesen Regeln gehören insbesondere die Normen der Internationalen Organisation für Normung (ISO) und branchenspezifische wie jene des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (Bauwesen) oder von HotellerieSuisse (Hotelklassifikation).

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Informelle gesellschaftliche Normen hingegen werden nur insofern berücksichtigt, als sie unsere Präferenzen und Ansprüche als Bürger und Konsumentinnen beeinflussen. Staatlich festgelegte und durchgesetzte Regeln werden ausschliesslich in ihrer Wechselwirkung mit Normen und Standards thematisiert. Letztere werden im Gegensatz zu Gesetzen oder Verordnungen von privaten Akteuren entwickelt, weshalb sie formell freiwillig sind. Im besten Fall ergänzen und unterstützen sich staatliche Regeln («Hard Law») und private Regeln («Soft Law») gegenseitig (vgl. Schaubild unten).

Dieser Fokus lässt sich wie folgt erklären. Das internationale Normensystem hat sich seit den 1980er-Jahren enorm entwickelt – aus ähnlichen Gründen, aus denen einst die ersten Normen und Standards entstanden waren: Im Zuge der Globalisierung bedurfte es neuer Regeln für die Arbeitsteilung und Koordination zwischen zahlreichen Marktteilnehmern, die sich nicht oder kaum kannten; es bedurfte eines gemeinsamen Verständnisses dessen, was gegenseitig erwartet werden durfte, und der Prüf- und Nachweismechanismen, um diese Anforderungen durchzusetzen. Nur so konnte das Vertrauen geschaffen werden, das für eine komplexe, sich immer weiter ausdifferenzierende Wirtschaft so wichtig ist wie die Luft zum Atmen. Dieses System wirkt mittlerweile in praktisch alle Länder und in alle Bereiche unseres Alltags hinein, doch kontrastiert die praktische Relevanz mit seiner Unscheinbarkeit, mit der Tatsache, dass die breite Öffentlichkeit von ihm kaum Notiz genommen hat.

Staatliche Hoheit

Flexibilitätund Detaillierungsgrad

Gesetze

Verordnungen und Erlasse

Anerkannte Normen

Verbindlichkeit

Selbstregulierung der Wirtschaft

Standards, Spezifikationen und Richtlinien von Verbänden

Firmennormen

Öffentlich zugänglich schlecht zugänglich

Anerkannte Normen werden partizipativ sowie transparent entwickelt und sind frei anwendbar. Deshalb sind sie zugänglicher und verbindlicher als andere private Regeln. (Quelle: SNV)

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Ein weiterer Grund dafür, das Augenmerk auf diese Normen und Standards zu legen, hat mit ihrem Potenzial für eine nachhaltige Transformation zu tun. Zu deren Herausforderungen gehört, dass sie in einer Weltwirtschaft ohne Weltstaat und unter erheblichem Zeitdruck stattfinden muss. Es gibt keinen staatlichen Akteur, der allgemein verbindliche Regeln festlegen und durchsetzen kann. Und wir haben relativ wenig Zeit, um lokal angepasste und global wirksame Lösungen zu finden, um die planetaren Ressourcen und Senken nicht zu überfordern und so das Erdsystem im Gleichgewicht zu halten. Privaten Regeln, die partizipativ, praxisnah und wirkungsorientiert entwickelt werden, kommt in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zu.

Schliesslich prägt auch die Herausgeberin, die Schweizerische Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme (SQS), den thematischen Fokus. 1983 als weltweit zweite Zertifizierungsstelle für Qualitätssicherungssysteme gegründet, war sie sowohl ein «Kind» als auch eine treibende Kraft des internationalen Normensystems. Noch heute ist sie in der Schweiz die führende Anbieterin von anspruchsvollen Zertifizierungen. Zudem wirkt sie in der Entwicklung, Anwendung und Überprüfung von Standards mit, die Unternehmen und andere Organisationen bei ihrer nachhaltigen Transformation unterstützen.

Die Gründe für die inhaltlichen Schwerpunkte spiegeln sich in der Struktur des Buchs. Das erste Kapitel widmet sich den Grundlagen: der historischen Entwicklung und heutigen Funktionsweise des internationalen Normensystems; dem Unterschied zwischen Normen und Standards wie dem Reifegradmodell der European Foundation for Quality Management sowie den Akteuren und Pfadabhängigen, die die Entwicklung und den Wandel von Normen und Standards beeinflussen. Diese Artikel sind von Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und der Praxis geschrieben worden. Das zweite Kapitel schildert anhand von elf Fallbeispielen aus dem Kundenkreis der SQS, wie sich Unternehmen und andere Organisationen in der Anwendung von und Auseinandersetzung mit Normen am Markt behaupten und ständig weiterentwickeln. Diese Texte sind grösstenteils von Journalistinnen und Journalisten verfasst worden. Die Beiträge des dritten Kapitels, das sich der Frage widmet, welcher Normen und Standards es für eine nachhaltige Transformation unserer Gesellschaft bedarf, stammen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

Sechs Interpretationen zu Relevanz und Potenzial von Normen und Standards

Die zentrale Aussage des Buchs ist im Titel enthalten: Normen und Standards erleichtern es Unternehmen und anderen Organisationen, hohe Erwartungen zuverlässig zu erfüllen. Sie tragen so zu unserem Vertrauen in eine aussergewöhnli-

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che Normalität bei. Anhand der einzelnen Beiträge lassen sich von dieser Grundaussage ausgehend sechs weitere Interpretationen entwickeln.

1. Normen und Standards sind entscheidend für den Wohlstand in der Schweiz Einerseits ermöglichen oder erleichtern sie die Präsenz hiesiger Unternehmen auf bzw. in internationalen Märkten und Wertschöpfungsketten. Andererseits sind sie Instrumente, die zur Qualität, Funktionalität, Sicherheit und Verlässlichkeit von Gütern und Dienstleistungen «Swiss made» beitragen – und damit zu einer globalen, zahlungskräftigen Nachfrage. Der Grundlagenartikel «Das komplexe Zusammenspiel von Normierung und Innovation» (Kapitel 1) und das Fallbeispiel der SFS Group (Kapitel 2) zeigen, dass Normen und Standards selbst zu Innovationen beitragen können, die für die Schweiz so wichtig sind.

2. Normen und Standards sind grundsätzlich gerade für eine offene KMU-Wirtschaft wertvoll. Im Kontext einer globalisierten Arbeitsteilung und Spezialisierung stehen kleine und mittelgrosse Unternehmen (KMU) vor besonderen Herausforderungen. Sie sehen sich vonseiten der Kundschaft, zahlreicher Staaten und vielfältiger weiterer Anspruchsgruppen komplexen Anforderungen gegenüber. Managementsystem-Normen helfen, diese Komplexität auf ein bewältigbares Mass zu reduzieren. Zudem bewirken grössere Märkte einen Druck hin zu grösseren Unternehmen. Indem Normen und Standards die Zusammenarbeit zwischen den Marktteilnehmern erleichtern, lindern sie den Druck zur Konzentration und organisatorischen Integration. Sie können jedoch auch den gegenteiligen Effekt haben und KMU aus dem Markt verdrängen: dann nämlich, wenn sie zu wenig partizipativ entwickelt wurden und KMU überfordern, aber dennoch zum Beispiel in öffentlichen Ausschreibungen oder von privaten Grosskunden zu einer Anforderung für Zulieferer gemacht werden.

3. Normen und Standards unterstützen das schweizerische Milizsystem. Die unkomplizierte Zusammenarbeit in kleinteiligen und oft wenig finanzkräftigen Strukturen ist auch ein Merkmal des hiesigen Milizsystems. Dessen Grundgedanke ist es, dass dazu befähigte Bürgerinnen und Bürger neben- oder ehrenamtlich öffentliche Ämter und Aufgaben übernehmen können und sollen. Entsprechend gross ist der Koordinationsaufwand. Die Beispiele des Schweizerischen Verbands der Strassen- und Verkehrsfachleute (Kapitel 1), der Berufsschule Aarau und des Bildungszentrums Interlaken (Kapitel 2) zeigen, dass Normen und Standards Instrumente sind, um diesen Aufwand zu reduzieren und so das Milizsystem zu stützen.

4. Vertrauen ist gut, Audits sind besser. Der Zweck der Zertifizierung ist es, mittels Kontrollen und glaubwürdigen Nachweisen zwischen Marktteilnehmern Vertrauen zu schaffen. Oft sind Zertifikate eine Voraussetzung dafür, dass Unternehmen überhaupt als Zulieferer infrage kommen. Praktisch alle Fallbeispiele

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verweisen auf einen weiteren, oftmals wichtigeren Nutzen der Zertifizierung: Die Audits dienen sowohl der Kontrolle als auch dem Dialog, in den die Auditierenden die Erfahrung und die Erkenntnisse aus Hunderten, wenn nicht Tausenden von Organisationsbesuchen einbringen. Die Geprüften nutzen diese Aussensicht für eine Standortbestimmung und die ständige Weiterentwicklung der Organisation.

5. Der Staat ist für die Wirksamkeit privater Regeln zentral. Die Wirksamkeit des internationalen Normensystems beruht nicht zuletzt auf seiner Fähigkeit, Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu schaffen. Der Artikel zur Zertifizierung und Akkreditierung (Kapitel 1) zeigt, dass der Staat hierfür eine wichtige Rolle spielt, indem er die privaten Prüfer der Normanwender – zum Beispiel Zertifizierungsstellen wie die SQS – seinerseits prüft. Im Fall der Schweiz geschieht dies durch die beim Staatssekretariat für Wirtschaft angegliederte Akkreditierungsstelle SAS. Auch das Interview zu den Wechselwirkungen zwischen Hard Law und Soft Law sowie der Artikel zu Standards für eine nachhaltige Unternehmensführung (Kapitel 3) machen deutlich, dass der Staat Normen und Standards mit gezielten Anreizen unterstützen muss, sollen diese die notwendige Wirkung für eine nachhaltige Transformation entfalten.

6. Normen und Standards können Wandel behindern und bewirken. Wandel entsteht durch die Entwicklung und breite Anwendung neuer Lösungen. Normierung ist gemeinhin dafür bekannt, die breite Anwendung einer bestimmten Lösung als «Stand der Technik» zu fördern. Mehrere Grundlagenartikel (Kapitel 1 und 3) zeigen auf, dass sie aber auch zu Innovation beitragen kann, indem sie den Wettbewerb in Bezug auf neue Lösungen steuert – weg von den normierten Fragen, hin zu jenen, für die noch viele Ansätze zugelassen werden. Die Gretchenfrage ist natürlich: Was soll (nicht) normiert werden, damit wir möglichst rasch möglichst effektive Lösungen für eine nachhaltige Transformation entwickeln und anwenden?

Einführende Literatur

Assmann, Heinz-Dieter; Baasner, Frank; Wertheimer, Jürgen (Hrsg.): Normen, Standards, Werte – was die Welt zusammenhält, Baden-Baden 2012.

Baberowski, Jörg (Hrsg.): Was ist Vertrauen? Ein interdisziplinäres Gespräch. Frankfurt am Main 2014.

Berghoff, Hartmut: Die Zähmung des entfesselten Prometheus? Die Generierung von Vertrauenskapital und die Konstruktion des Marktes im Industrialisierungs- und Globalisierungsprozess, in: ders./Jakob Vogel (Hrsg.): Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels. Frankfurt am Main / New York 2004, S. 143–168.

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Busch, Lawrence: Standards. Recipies for Reality, Cambridge/MA 2011.

Forst, Rainer; Günther, Klaus (Hrsg.): Die Herausbildung normativer Ordnungen. Interdisziplinäre Perspektiven. Frankfurt am Main 2011.

Frevert, Ute: Vertrauensfragen. Eine Obsession der Moderne. München 2013.

Loconto, Allison; Stone, John V.; Busch, Lawrence: Tripartite Standards Regime, in: The Wiley-Blackwell Encyclopedia of Globalization, Chichester 2012.

Yates, JoAnne; Murphy, Craig N. (Hrsg.): Standards and the Global Economy, Business History Review, 96 (2022), 1.

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Kapitel 1 Grundlagen: Ordnung in einer komplexen und dynamischen Gesellschaft

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1 Das internationale Normensystem: Akteure, Prozesse und die Rolle der Schweiz

Die Schweizerische Normen-Vereinigung (SNV) ist im Auftrag des Bunds für das hiesige Normenwerk verantwortlich. Dieses zählt 27 000 Einträge, Tendenz steigend. SNV-Geschäftsführer Urs Fischer sagt im Interview, wie und durch wen diese Normen entwickelt werden. Und warum sie heute – im Gegensatz zu früher – nicht der Abschottung, sondern der Integration der Märkte und Volkswirtschaften dienen.

Interview und Text von Alex Gertschen

Urs Fischer, finden Sie Normen und Standards interessant? Ich finde sie vor allem praktisch! Ich machte in den 1970er-Jahren eine Lehre als Maschinenmechaniker bei Contraves, anschliessend arbeitete ich als Flugzeug- und Triebwerkmechaniker des Hunters und Triebwerkmechaniker des Tigers [zwei damalige Flugzeugtypen der Schweizer Luftwaffe, Anm. d. Red.]. Es war unglaublich, was für einen Werkzeugsatz ich benötigte! Jede Firma, die einen Teil des Flugzeugs gebaut hatte – das Triebwerk, die Flügel und so weiter – verwendete eigene Schraubentypen, die spezielle Werkzeuge erforderten. Das ist heute nicht mehr so, weil es eine entsprechende Norm gibt: die ISO 1502:1996 «ISO general-purpose metric screw threads». Es gibt unzählige Beispiele dafür, wie die Normung die Interoperabilität ermöglicht und so die wirtschaftliche Zusammenarbeit erleichtert.

Wie ist es zu dieser internationalen Normung gekommen?

Sie ist Ausdruck veränderter politischer Absichten. Im 19. Jahrhundert und noch bis ins 20. Jahrhundert hinein machten die Staaten Normen, um ihre Hersteller vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Normen waren protektionistische Instrumente. Das hat sich um 180 Grad verändert. Wir wollen heute über Normen technische Handelshindernisse abbauen.

Wer sind «wir»?

Die Welthandelsorganisation WTO ist sicherlich zentral. Sie hat im Jahr 2000 sechs Prinzipien für die Entwicklung von internationalen Standards, Leitfäden und Empfehlungen erarbeitet, die der internationalen Zusammenarbeit und wirtschaftlichen Integration dienen. Die drei massgeblichen internationalen Normentwickler – die Internationale Organisation für Normung (ISO), die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) und die Internationale Fernmeldeunion (ITU) – haben

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SNV-Mitglieder

(Fachbereichsträger, Schweizerische Unternehmungen, Verbände, Privatpersonen, Behörden, Bildungsinstitute)

Die Schweizerische Normen-Vereinigung hat vom Bund den Auftrag, die Schweiz mit dem internationalen Normensystem zu verknüpfen. (Quelle: SNV)

asut = Schweizerischer Verband der Telekommunikation

BAKOM = Bundesamt für Kommunikation

CEN = Europäisches Komitee für Normung

CENELEC = Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung

Electrosuisse = Schweizerischer Verband für Elektro-, Energie- und Informationstechnik

ETSI = Europäisches Institut für Telekommunikationsnormen

IEC = Internationale Elektrotechnische Kommission

ISO = Internationale Organisation für Normung

ITU-T = Internationale Fernmeldeunion

SNV = Schweizerische Normen-Vereinigung

sich zu diesen Prinzipien bekannt. Als Mitglied dieser Organisationen haben auch wir von der SNV uns zu diesen Prinzipien verpflichtet.

Das bedeutet, dass es immer weniger schweizerische Normen gibt?

Die SNV ist über die Notifikationsverordnung des Bunds die benannte Stelle, die für das Normenwerk in der Schweiz zuständig ist. Früher bedeutete das tatsächlich auch die Entwicklung von rein nationalen Normen. Heute sehen wir unsere Rolle eher als Input-Geberin für die Entwicklung von Normen durch die ISO, die IEC und die ITU. Von den knapp 27 000 Normen des Schweizer Normenwerks sind nur rund 600 von nationalen Organisationen erlassen worden. Alle anderen haben wir übernommen. Dadurch haben sie den Status einer Schweizer Norm.

Ist die Schweiz mit dieser Praxis eine Ausnahme?

In den Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) [einem Klub relativ reicher Volkswirtschaften, Anm. d. Red.] verfolgen alle das Modell des Stakeholder Engagements. In anderen Ländern neh-

19 1 Das internationale Normensystem
ISO CEN IEC CENELEC Electrosuisse
SNV
SNV-Vorstand
SNVGeschäftsstelle
SNV-Mitgliederversammlung
ITU-T ETSI asut BAKOM

men die Regierungen wesentlich mehr Einfluss, entsprechend höher ist der Anteil rein nationaler Normen.

Ist das nicht ein Verlust von Eigenständigkeit?

In der heutigen Zeit gibt es einfach viele Dinge, die man global regeln muss. Nationale Alleingänge bringen nichts.

Gilt das für Schrauben ebenso wie für soziale oder ökologische Themen?

Für ESG-Themen [Umwelt, Gesellschaft und Unternehmensführung, Anm. d. R.] gilt das erst recht! Die Erwartung wird stärker und zunehmend auch vom Gesetzgeber aufgenommen, dass gewisse ESG-Anforderungen weltweit erfüllt werden.

Im Kapitel 3 dieses Buchs gehen wir auf die Bedeutung und das Potenzial von Normen und Standards für eine nachhaltige Unternehmensführung und Entwicklung ein. Ein Problem dabei: Es gibt eine fast unüberblickbare Anzahl von wenig oder nicht integrierten Regelwerken. Das stimmt. Bei den technischen Normen haben wir es in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, eine in sich geschlossene «Familie» zu schaffen, ein integriertes, Quelle: SNV,

Der Normenbestand in der Schweiz (Anzahl per Ende 2022)

Das Schweizer Normenwerk umfasst fast 27 000 Normen. Sie sind eingeteilt in die Bereiche Metall und Maschinen (vertreten durch den Verband Swissmem), Architektur- und Ingenieurwesen (Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein), Elektrotechnik (Electrosuisse), Strassen und Verkehr (Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute), Uhren (FH), Telekommunikation (asut) und Interdisziplinäres (direkt durch die SNV vertreten).

20 Kapitel 1 Grundlagen
Januar 2023
30 000 25 000 20 000 15 000 10 000 5000 0 INB Swissmem SIA Electrosuisse VSS FH asut Total % Nationale Normen 76 14 250 18 69 127 0 554 2 Internationale Normen 10 769 2376 2212 5717 569 29 4669 26 341 98 Fachbereich total 10 845 2390 2462 5735 638 156 4669 26 895 100

kohärentes und weltweit akzeptiertes System. Bei anderen Normen, gerade solchen im ESG-Bereich, sind wir noch nicht so weit.

Das System für technische Normen ist wie eine Pyramide, an deren Spitze ISO, IEC und ITU stehen. Lässt sich die komplexe Gouvernanz für nachhaltige Unternehmensführung und Entwicklung ebenfalls so formen?

Das wird uns wohl nicht gelingen. Wichtig ist einfach, dass wir die Kohärenz stärken und so eine globale Marktdurchdringung erreichen. Denken Sie daran: Die ISO befasst sich seit Langem nicht mehr nur mit Schrauben! In den 1980er-Jahren kamen die Managementsysteme hinzu, später Themen wie die Umwelt, Corporate Social Responsibility, Cybersecurity, Künstliche Intelligenz, Blockchain etc.

Sie sehen die ISO also in der Führungsrolle, um auch für die nachhaltige Unternehmensführung und Entwicklung ein kohärentes internationales Normensystem zu formen?

Auf jeden Fall. Und sie nimmt diese Rolle auch schon wahr, indem sie eng mit UN-Organisationen wie der Internationalen Arbeitsorganisation und anderen relevanten Akteuren kooperiert. Sie ist dafür gut aufgestellt.

Wie meinen Sie das?

Das internationale Normensystem funktioniert aus drei Gründen. Erstens ist es partizipativ, es werden alle interessierten Stakeholder zugelassen. So stellen wir sicher, dass Ideen von vielen Akteuren einfliessen und dann auch breit angewendet werden. Als ich 2001 bei der SNV anfing, hiess es: Mit Umweltschützern setzen wir uns nicht an einen Tisch! Ich sagte: Doch, das müssen wir! Heute ist das selbstverständlich. Zudem ist es der ISO wichtig, dass auch Entwicklungsländer am Normungsprozess teilnehmen. So entsteht ein breit abgestützter Konsens.

Und zweitens?

Das Normensystem funktioniert transparent und demokratisch. «One country, one vote», lautet die Regel. Zuerst entwerfen eine ad hoc zusammengesetzte Arbeitsgruppe sowie das für den Normenbereich zuständige ISO-Komitee eine Norm. Dann gibt es eine offene Anhörung, in der sich alle Stakeholder zum Entwurf äussern können. Anschliessend wird die Norm gegebenenfalls überarbeitet, fertiggestellt und der Abstimmung durch die ISO-Mitgliedstaaten zugeführt.

Und drittens?

Jede Norm wird alle fünf Jahre überprüft und, wenn nötig, aktualisiert. Dadurch vermeiden wir Normen, die nicht mehr effektiv, effizient oder schlicht nicht mehr nötig sind.

21 1 Das internationale Normensystem

Ein Unternehmen, Verband oder anderer Akteur aus der Schweiz reicht bei der SNV einen Vorschlag für eine neue Norm ein. Die SNV leitet den Antrag nach dessen Prüfung an die ISO weiter.

Vorschlag

Wird der Vorschlag zugelassen, muss er für eine erste Abstimmung im ISO-Komitee, das für den Normenbereich zuständig ist, in Form eines «New Work Item Proposal» (NWIP) detailliert beschrieben und begründet werden.

Wenn das Komitee den NWIP annimmt, werden ein Arbeitsentwurf der Norm sowie eine Projektplanung erstellt. Zudem werden Experten und Expertinnen für die Arbeitsgruppe gesucht.

Ein erster Entwurf der Arbeitsgruppe wird im Zusammenspiel mit dem Komitee zu einem Draft International Standard (DIS) weiterentwickelt.

Vorschlag genehmigen Komitee Umfrage

Sofern das Komitee den DIS gutheisst, wird er während drei Monaten öffentlich aufgelegt. Aufgrund von Rückmeldungen und einer Abstimmung durch die Länderorganisationen, die im Komitee aktiv sind, wird ein letztgültiger Entwurf (Final Draft International Standard, FDIS) erarbeitet.

Überprüfung Freigabe

Der FDIS wird im Komitee zur Abstimmung gebracht. Alle aktiven Länderorganisationen können abstimmen.

Auf der Grundlage des FDIS wird ein Dokument erarbeitet, publiziert und an alle ISOMitglieder verteilt.

Publikation

Wie eine Norm der Internationalen Organisation für Normung (ISO) entsteht. Der Prozess zur Entwicklung europäischer Normen durch das Europäische Komitee für Normung (CEN) verläuft analog. (Quelle: SNV)

Das klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Interessen und Macht spielen keine Rolle?

Doch, natürlich, es geht letztlich immer auch ums Business. Wenn jemand seine Normen oder Standards durchsetzt, beherrscht er den Markt. Deshalb braucht es die ISO, die IEC und die ITU. Proprietäre Normen, die das Eigentum eines Privaten sind, halten ohnehin oft nicht lange. Aber klar, es gibt wichtige Ausnahmen.

Wie wichtig ist der Zeitfaktor?

Sehr wichtig! Die ISO wird immer wieder aufgefordert, ihre Prozesse zu beschleunigen, gerade wenn es um Normen im Hightechbereich geht. Ich wehre mich dagegen. Natürlich kann man eine Norm schnell in drei Tagen schreiben! Aber nur der partizipative und demokratische Prozess führt zu breit akzeptierten und angewandten Normen. Und der braucht seine Zeit. ISO-Normen ermöglichen globale Interoperabilität, Effizienz und haben eine hohe demokratische Legitimation. Das ist ihr Alleinstellungsmerkmal.

Wie macht China in diesem demokratischen Prozess mit?

China hat das Potenzial und die Wirkung von Normen erkannt und versucht, dies konsequent für sich zu nutzen. Da der Prozess für alle offen ist, wird er durch jene geprägt, die sich am meisten einbringen. Die Chinesen stellen in den Arbeitsgruppen, die die Normen im embryonalen Stadium entwickeln, eine sehr grosse Anzahl von Sachverständigen. Das ist möglich, weil Sachverständige offiziell nicht ein Land

22 Kapitel 1 Grundlagen
Jede Norm wird nach fünf Jahren überprüft. Die ISOMitglieder stimmen darüber ab, ob die Norm bestätigt, revidiert oder zurückgezogen wird. Vorbereitung

vertreten, sondern kraft ihrer Kompetenz und ihres Interesses mitwirken. Zudem bringt China neue Vorschläge für Normen in einer Kadenz ein, die für die anderen fast nicht zu bewältigen ist. Es hält sich stets an die Regeln und nimmt über die schiere Masse Einfluss.

Obwohl demokratisch aufgebaut, kann die ISO von wenigen dominiert werden? Die Ressourcen spielen tatsächlich eine wichtige Rolle. Die Schweizer, die Deutschen und die anderen, die uns ähnlich gesinnt sind, müssen wieder verstärkt in diese Arbeitsgruppen gehen. Die Bereitschaft dazu hat nachgelassen, obwohl Schweizer Sachverständige eine sehr gute Reputation haben. Sie gelten als kompetent, zuverlässig und anständig. Und sie verstehen demokratische Prozesse.

Was bedeutet es für die Schweiz, dass ISO, IEC und ITU allesamt ihren Sitz in Genf haben? Das ist zunächst für das Normensystem ein Riesenvorteil, weil so die Koordination und Kooperation erleichtert wird. Die Schweiz hat dadurch aber nicht mehr Einfluss. Sie ist ein gewöhnliches Mitglied, und das soll auch so sein.

Wer die Normen entwickelt

Die Internationale Organisation für Normung wurde 1947 gegründet. Ihre Abkürzung ISO stammt vom griechischen Wort «isos», was «gleich» bedeutet. Sie wurde als neutrale Abkürzung gewählt, weil der Organisationsname in den verschiedenen Sprachen der Vereinten Nationen zu verschiedenen Abkürzungen führt – und keine von diesen benachteiligt werden sollte. Seit ihrer Gründung hat die ISO unzählige internationale Normen für unterschiedliche Bereiche des Wirtschaftslebens entwickelt, zum Beispiel für:

• Akustik

• Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz

• Biotechnologie

• Blockchain

• Energiemanagement

• Farben und Lacke

• Geografische Informationen

• Hilfsprodukte für Menschen mit Behinderungen

• Klebstoffe

• Kosmetik- und Schönheitssalons

• Lebensmittel

• Licht und Beleuchtung

• Mengen, Einheiten, Symbole

23 1 Das internationale Normensystem

• Möbel

• Nachhaltige Städte und Gemeinden

• Pestizide und andere Agrochemikalien

• Qualitätsmanagement

• Sicherheit von Spielzeug

• Sport- und Freizeitgeräte

• Textilien

• Tourismusdienstleistungen

• Transport und Logistik

• Umwelt und Nachhaltigkeit

• Ventile

• Verpackung; Zellstoff, Papier und Karton

• Wasserqualität, Trinkwassersysteme

Aus historischen Gründen gibt es zwei Bereiche, die nicht von der ISO normiert werden: zum einen die Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik, für die die 1906 gegründete Internationale Elektrotechnische Kommission (International Electrotechnical Commission, IEC) zuständig ist; zum anderen die Telekommunikation, um die sich die 1865 gegründete Internationale Fernmeldeunion (International Telecommunication Union, ITU) kümmert. Alle drei Organisationen haben ihren Sitz in Genf. Gemeinsam bilden sie die World Standards Cooperation (WSC).

Die 1919 gegründete, in Winterthur ansässige Schweizerische Normen-Vereinigung vertritt die Schweiz auf europäischer Ebene – beim Europäischen Komitee für Normung (CEN) – und bei der ISO. Sie hat hierfür einen Auftrag vom Bund. Ihr gehören vor allem Behörden, Verbände und Unternehmen an. Ihre Fachbereiche sind die Maschinen- und Metallindustrie (koordiniert durch den Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie Swissmem), das Bauwesen (Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein SIA), das Strassen- und Verkehrswesen (Schweizerischer Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute VSS), die Uhrenindustrie (Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie FH), die Elektrotechnik (Verband für Elektro-, Energie- und Informationstechnik Electrosuisse) und die Telekommunikation (Schweizerischer Verband der Telekommunikation asut). Der interdisziplinäre Normenbereich wird direkt durch die SNV koordiniert. Diese Koordinationsstellen haben die Hoheit, in ihrem jeweiligen Fachbereich Normen zu entwickeln und zu erlassen.

24 Kapitel 1 Grundlagen

2 Begriffe, Definitionen, Typen: ein Überblick

Zusammengestellt von Hubert Rizzi und Alex Gertschen

Alle Normen tragen vor der Normennummer eine alphanumerische Bezeichnung. Anhand dieser Bezeichnung ist ersichtlich, woher eine Norm stammt und auf welcher Ebene sie anerkannt ist. Man unterscheidet zwischen nationalen, europäischen und internationalen Normen. Nationale Normen regulieren den Schweizer Inlandsmarkt, europäische Normen öffnen den Zugang zum EU-Binnenmarkt und internationale Normen den Zugang zum Weltmarkt. Welcher Markt durch eine Norm harmonisiert wird, ist an den Buchstaben vor der Normennummer erkennbar (SN, EN oder ISO).

Bezeichnung Beschreibung

SN Schweizer Norm, die überwiegend nationale Bedeutung hat.

Beispiel

SN 10130 «Geschäftsbrief»

EN bzw.

SN EN Europäische Norm bzw. Schweizer Ausgabe einer Europäischen Norm, die unverändert von allen Mitgliedern einer der europäischen Normungsorganisationen CEN, CENELEC oder ETSI übernommen wurde.

SN EN 71-14 «Sicherheit von Spielzeug – Teil 14: Trampoline für den häuslichen Gebrauch»

ISO bzw. SN EN

ISO Internationale Norm bzw. Schweizer Ausgabe einer Europäischen Norm, die mit einer internationalen Norm identisch ist und unverändert von allen Mitgliedern von einer der europäischen Normungsorganisationen CEN, CENELEC oder ETSI übernommen wurde.

SN EN ISO 9001 «Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen»

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Die Schweizerische Normen-Vereinigung unterscheidet sieben verschiedene Typen von

Normen:

Normentyp Beschreibung Beispiele

Grundnormen Normen, die ein weitreichendes Anwendungsgebiet haben oder allgemeine Festlegungen für ein bestimmtes Gebiet enthalten.

Terminologienormen Normen, die sich mit Benennungen beschäftigen, die üblicherweise mit ihren Definitionen und manchmal mit erläuternden Bemerkungen, Bildern, Beispielen oder Ähnlichem versehen sind.

Prüfnormen Normen, die sich mit Prüfverfahren beschäftigen, wobei diese fallweise durch andere prüfungsbezogene Festlegungen ergänzt sind, wie etwa eine Probenentnahme, die Anwendung statistischer Methoden oder die Reihenfolge einzelner Prüfungen.

• SN EN ISO 9001 zu Qualitätsmanagementsystemen

• SN EN ISO 14001 zu Umweltmanagementsystemen

• SN EN ISO/IEC 27001 zu Managementsystemen für Informationssicherheit

• SN EN ISO 4210-1 zu den Begriffen für die sicherheitstechnischen Anforderungen an Fahrräder

• SN EN 1540 zur Begrifflichkeit der «Exposition» (dem Ausgesetztsein) gegenüber chemischen und biologischen Arbeitsstoffen am Arbeitsplatz

• SN EN 61000-4-2 zur «Elektromagnetischen Verträglichkeit – Teil 4-2: Prüf- und Messverfahren – Prüfung der Störfestigkeit gegen die Entladung statischer Elektrizität»

• SN EN 12697-34 zu «Asphalt – Prüfverfahren –Teil 34: Marshall-Prüfung», mit der u. a. die Qualität des Asphaltmischguts festgestellt wird

• SN EN 12797 zu «Hartlöten – Zerstörende Prüfung von Hartlötverbindungen»

Produktnormen Normen, die Anforderungen festlegen, die von einem Produkt oder einer Gruppe von Produkten erfüllt werden müssen, um deren Zweckdienlichkeit sicherzustellen.

Verfahrensnormen Normen, die Anforderungen festlegen, die durch Verfahren erfüllt werden müssen, um die Zweckdienlichkeit sicherzustellen.

Dienstleistungsnormen Normen, die Anforderungen festlegen, die durch eine Dienstleistung erfüllt werden müssen, um die Zweckdienlichkeit sicherzustellen.

Schnittstellennormen Normen, die Anforderungen festlegen, die sich mit der Kompatibilität (Verträglichkeit) von Produkten oder Systemen an Verbindungsstellen beschäftigen.

• SN EN IEC 62680-1-4 zu «Schnittstellen des Universellen Seriellen Busses für Daten und Energie –Teil 1–4: Gemeinsame Bauteile – Festlegung für USB-Typ-CTM-Authentifizierung»

• SN EN 16732 zu «Reissverschlüsse – Spezifikation»

• SN EN IEC 31010 zu «Risikomanagement –Verfahren zur Risikobeurteilung»

• SN EN 62308 zu «Zuverlässigkeit von Geräten – Verfahren zur Zuverlässigkeitsbewertung»

• SN EN 14873-2 zu «Umzugsdienste – Lagerung von Möbeln und persönlichen Gegenständen für Privatpersonen – Teil 2: Bereitstellung der Dienstleistung»

• SN EN 50631-1 zu «Netzwerk- und Stromnetz-Konnektivität von Haushaltsgeräten –

Teil 1: Allgemeine Anforderungen, allgemeine Datenmodellierung und neutrale Meldungen»

• SN EN 60118-14 zu «Hörgeräte. Teil 14: Spezifikation einer digitalen Schnittstelle»

26 Kapitel 1 Grundlagen

Glossar

Akkreditierung: Akkreditierung bedeutet die formale Anerkennung durch eine spezialisierte Stelle. Pro Land gibt es eine solche Stelle. In der Schweiz ist dies die beim Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) angesiedelte Schweizerische Akkreditierungsstelle (SAS). Indem sie Zertifizierungsstellen wie die SQS akkreditiert, bestätigt sie, dass diese Stellen kompetent sind und über alle organisatorischen Voraussetzungen verfügen, um Zertifizierungen in einem bestimmten Normenbereich auszustellen. Die SAS beaufsichtigt Zertifizierungsstellen, aber auch Prüflaboratorien, Inspektionsstellen und andere Konformitätsbewertungsstellen des akkreditierten Normenbereichs gemäss der nationalen und internationalen Gesetzgebung (Akkreditierungs- und Bezeichnungsverordnung, AkkBV und EG-Verordnung Nr. 765/2008) sowie der ISO/IEC-Normenserie 17000.

Akkreditierung einer Zertifizierung: Die Zertifizierung einer Organisation zum Beispiel nach einer ISO-Norm kann akkreditiert oder nicht akkreditiert sein. Das bedeutet, dass die das Zertifikat ausstellende Stelle akkreditiert ist oder nicht. Weil die Akkreditierung eine zusätzliche Stufe in der Qualitätssicherung darstellt, sind in manchen Kontexten akkreditierte Zertifikate zwingend erforderlich. Zudem erhöht die Akkreditierung für die zertifizierten Organisationen die Gewähr für eine internationale Anerkennung und einen leichteren Zugang zum Weltmarkt. Das Vertrauensverhältnis zwischen Geschäftspartnern wird gestärkt.

Anwendungsbereich (Scopes): Der Anwendungsbereich (auch Scope genannt) ist ein wichtiges Konzept in der Normenwelt. Er bezieht sich auf die Reichweite eines bestimmten Regelwerks bzw. des Zertifikats, das gemäss dem Regelwerk erteilt wurde. Der Anwendungsbereich wird zum Beispiel anhand eines Standorts, einer Aktivität, eines Produkts oder einer Dienstleistung umgrenzt. Ein Zertifikat wird also zum Beispiel ausgestellt für die Muster AG am Standort Bern auf der normativen Grundlage der ISO 9001 (Qualitätsmanagementsystem) bezüglich der Entwicklung und Produktion sowie des Vertriebs und Unterhalts von Maschinen und digitalen Steuerungen.

Audit: In einem Audit wird die Erfüllung einer bestimmten Norm oder eines bestimmten Standards anhand spezifischer Kriterien geprüft. Dazu werden in einem systematischen, unabhängigen und dokumentierten Prozess Nachweise objektiv erstellt und ausgewertet. Es wird zwischen einem digital durchgeführten Fernaudit und einem Vor-Ort-Audit unterschieden. In Fernaudits begutachtet der/ die externe Auditierende die Situation bzw. Normkonformität live per Kamera. Zudem gibt es das Voraudit, eine fakultative Begutachtungsleistung. Es wird analog

27 2 Begriffe, Definitionen, Typen

einer Stichprobe durchgeführt, liefert erste Erkenntnisse über die Zertifizierungsreife und ermöglicht der Organisation, vorhandene Systemlücken vor dem offiziellen Verfahren zu schliessen.

Auditor/in: Ein Auditor, eine Auditorin führt ein Audit durch. Interne Auditierende sind Personen, die innerhalb der zu zertifizierenden Organisation die Einhaltung von normativen Anforderungen prüfen. Oftmals sind sie neben den Managementbeauftragten die Ansprechpersonen für die Zertifizierungsstelle. Die externen Auditierenden führen im Auftrag der Zertifizierungsstelle in regelmässigen Abständen eine Überprüfung zur Erteilung oder Aufrechterhaltung einer Zertifizierung durch.

Bewertung: Die Bewertung ist eine Beurteilung, ein Werturteil über einen Sachverhalt, ein Objekt oder eine Person. Im Gegensatz zur Auditierung und Zertifizierung nach Normen geht es in der Bewertung nicht um ein binäres Urteil (erfüllt vs. nicht erfüllt), sondern um eine differenzierte und oft vergleichende Beurteilung. In der Bewertung nach Reifegradmodellen wie Circular Globe (s. Seite 40) oder EFQM (s. in diesem Kapitel den Artikel «Normen im Vergleich zu anderen Regelsystemen») werden Organisationen daraufhin analysiert, wo sie im Vergleich zu früheren und angestrebten Zuständen («Reifegraden») sowie im Vergleich zu anderen Organisationen stehen.

Konformität: Konformität bezeichnet die Erfüllung einer Anforderung. Eine Nichtkonformität bedeutet das Gegenteil. Die SQS bezeichnet diesen Sachverhalt als «Abweichung» und unterscheidet zwischen «Neben- und Hauptabweichung». Bei einer Hauptabweichung ist die Fähigkeit eines Managementsystems bzw. einer Organisation darin beeinträchtigt, beabsichtigte Ergebnisse zu erreichen, oder es bestehen erhebliche Zweifel daran, dass Prozesse, Produkte oder Dienstleistungen die festgelegten Anforderungen erfüllen. Sie muss von der auditierten Organisation innerhalb von drei Monaten behoben werden. Bei einer Nebenabweichung liegt eine Nichterfüllung der Norm vor, die keine unmittelbare Beeinträchtigung dieser Fähigkeit bedeutet. Sie muss bis zur nächsten Überprüfung behoben werden.

Konformitätsbewertung: In einer Konformitätsbewertung wird dargelegt, dass festgelegte Anforderungen erfüllt sind. Die ISO/IEC-17000-Serie definiert die Anforderungen, die Konformitätsbewertungsstellen wie die SQS ihrerseits erfüllen müssen, um solche Bewertungen kompetent, unparteilich und einheitlich vorzunehmen.

Managementsystem: Ein Managementsystem ist ein Satz zusammenhängender oder sich gegenseitig beeinflussender Elemente einer Organisation, um Politiken, Ziele

28 Kapitel 1 Grundlagen

und Prozesse zum Erreichen dieser Ziele festzulegen. Es kann eine oder mehrere Disziplinen behandeln, zum Beispiel das Qualitäts-, Finanz- oder Umweltmanagement. Es enthält alle relevanten Elemente einer Organisation wie ihre Struktur, Rollen und Verantwortlichkeiten, Planung, Betrieb, Politiken, Praktiken, Regeln, Überzeugungen, Ziele und Prozesse zum Erreichen dieser Ziele.

Norm: Normen sind private und deshalb grundsätzlich freiwillige, von Sachverständigen erarbeitete Regeln, Empfehlungen oder Vorgaben für fast alle Gebiete des modernen Wirtschaftslebens. Sie dokumentieren den aktuellen Stand der Technik und lassen sich in zwei Gruppen aufteilen: in zertifizierbare Normen für Vertragsund Zertifizierungszwecke sowie in nicht zertifizierbare Normen wie z. B. Leitfäden. Normen der Internationalen Organisation für Normung (ISO), der Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC) und der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) sind Dokumente, die partizipativ und konsensual erstellt und alle fünf Jahre einer Prüfung auf ihre Funktionalität hin unterzogen werden. In Abgrenzung vom – oftmals synonym verwendeten – Standard wird eine Norm der ISO, IEC und ITU möglichst unter Einbezug aller interessierten Parteien entwickelt. Deshalb hat sie einen quasi-öffentlichen Charakter und eine breite Akzeptanz.

Prüfung: Die Prüfung ist ein Vorgang, der aus der Ermittlung eines oder mehrerer Merkmale eines Produkts, eines Prozesses oder einer Dienstleistung nach einem festgelegten Verfahren besteht. In der Normenwelt wird die Prüfung zur Bestimmung der Konformität mit festgelegten Anforderungen verwendet. Die Überprüfung entspricht dem Anlass der Prüfung, also einem Audit.

Qualität: Eine auf Qualität ausgerichtete Organisation fördert eine Kultur, die zu Verhaltensweisen, Einstellungen, Tätigkeiten und Prozessen führt, die Wert schaffen, indem sie die Erfordernisse und Erwartungen von Kunden und anderen relevanten Parteien erfüllen. Die Qualität der Produkte und Dienstleistungen einer Organisation wird durch die Fähigkeit bestimmt, Kunden zufriedenzustellen sowie unbeabsichtigte Auswirkungen auf relevante Parteien zu vermeiden. Die Qualität von Produkten und Dienstleistungen umfasst nicht nur deren vorgesehene Funktion und Leistung, sondern auch den von den Kunden wahrgenommenen Wert und Nutzen. Die Qualitätssicherung gehört zum Qualitätsmanagement und entspricht allen Vorkehrungen, damit die Qualitätsanforderungen erfüllt werden.

Regel: Eine Regel ist eine Vorschrift oder eine allgemein übliche Verfahrensweise, die angibt, wie etwas zu tun ist bzw. wie etwas «in der Regel» getan wird. Normen und Standards sind zwei unterschiedliche Regeltypen.

29 2 Begriffe, Definitionen, Typen

Standard: Standard und Norm werden oft synonym verwendet. Der Standard ist stärker technisch konnotiert. Er kann als Richtlinie, Verfahren oder Formel betrachtet werden, wie etwas am besten gemacht wird. Als Massstab dient er insbesondere dem einheitlichen Vergleich. Standards können sich auf vielfältige Aktivitäten und Gegenstände beziehen. In Abgrenzung von Normen werden sie seltener partizipativ und konsensual entwickelt und häufiger durch einen oder wenige marktmächtige Akteure gesetzt und durchgesetzt.

Validierung: Die Validierung beantwortet die Frage, ob etwas in Zukunft aller Voraussicht nach funktionieren wird. Technisch ausgedrückt: Es handelt sich um die Bestätigung einer Behauptung, dass die Anforderungen für einen spezifischen beabsichtigten Gebrauch oder eine spezifische beabsichtigte Anwendung erfüllt worden sind. Für diese Bestätigung muss ein objektiver Nachweis erbracht werden.

Verifizierung: Die Verifizierung beantwortet die Frage, ob etwas bereits in der Gegenwart funktioniert. Technisch ausgedrückt: Es handelt sich um die Bestätigung einer Behauptung, dass festgelegte Anforderungen erfüllt worden sind. Für diese Bestätigung muss ein objektiver Nachweis erbracht werden.

Zertifikat: Das Zertifikat ist ein Dokument, das der zertifizierten Organisation gegenüber Dritten Glaubwürdigkeit verschafft und somit zum Vertrauen zwischen verschiedenen Akteuren beiträgt. Sofern das Zertifikat von einer akkreditierten Stelle ausgestellt wird und die Akkreditierungsmarke der SAS trägt, hat es gemäss dem Schweizerischen Strafgesetzbuch den Status einer Urkunde, also eines rechtsverbindlichen Dokuments.

Zertifizierung: Eine Zertifizierung ist eine Bestätigung durch eine neutrale und unabhängige Stelle, dass Anforderungen von Normen, Standards oder technischen Regeln erfüllt werden. Die Zertifizierung basiert auf einer Konformitätsbewertung, die sich zum Beispiel auf Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Managementsysteme beziehen kann. «Zertifizieren» stammt aus dem Lateinischen und bedeutet «etwas sicher machen».

Zertifizierungsstelle: Die Zertifizierungsstelle ist eine unabhängige öffentliche oder private Stelle, die unparteiische Audits durchführt. Sie darf keine Beratungsleistungen erbringen und ist für die Korrektheit des Zertifizierungsprozesses verantwortlich.

Relevante Quellen: www.iso.org, www.sas.admin.ch, www.snv.ch, www.sqs.ch

30 Kapitel 1 Grundlagen

3 Zertifizierung und Akkreditierung: ein System zur Prüfung von Anwendern und Prüfern

Die Expansion und Wirksamkeit des internationalen Systems von Normen und Standards kann nicht ohne die Zertifizierung und Akkreditierung erklärt werden. Sie sind zwei institutionelle Vorkehrungen, um die Normanwendung sicherzustellen und glaubwürdig zu kommunizieren. Sie schaffen Vertrauen, indem neben den Normanwendern auch deren Prüfer kontrolliert werden.

Akkreditierter versus nicht akkreditierter Normbereich

Mit der Zertifizierung wird einer Organisation bescheinigt, dass sie die Anforderungen einer Norm erfüllt. Im Fachjargon bedeutet dies Normkonformität in Bezug auf die Kompetenz einer Organisation und die Wirksamkeit ihrer Vorkehrungen. Die Akkreditierung gewährleistet, dass die Zertifizierungsstellen, die die Anwender auditieren und zertifizieren, ihrerseits die Vorgaben einhalten. Tatsächlich gibt es zahlreiche ISO-Normen für die sogenannte Konformitätsbewertung, an denen sich Zertifizierungsstellen und andere Konformitätsbewertungsstellen (KBS) orientieren müssen (vgl. «Wer die Prüfer prüft» im Schaubild auf S. 39).

Pro Land gibt es in der Regel eine anerkannte Akkreditierungsstelle. In der Schweiz nimmt die Schweizerische Akkreditierungsstelle (SAS), die dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO angegliedert ist, diese Funktion der «Prüferin der Prüfer» wahr. Sie ist Mitglied und Unterzeichnerin der Abkommen des Europäischen Akkreditierungssystems (EA) und des Internationalen Akkreditierungsforums (IAF) und damit Teil des europäischen wie auch des globalen Akkreditierungssystems. Eine Akkreditierung durch die SAS bietet Gewähr für die Kompetenz und Unparteilichkeit der Zertifizierungsstelle oder anderer KBS. Dadurch werden im Markt Transparenz und Vergleichbarkeit gestärkt. Die SAS erneuert die Zulassung alle fünf Jahre und prüft die KBS während der Gültigkeit der Akkreditierung mittels jährlicher Audits. Aufgrund seiner drei zentralen Akteure – der Entwickler von Normen, der Prüfer der Anwender (KBS) und der Prüfer der Prüfer (Akkreditierungsstellen) – wird dieses System «tripartit» genannt.

Allerdings umfasst dieses System nicht alle Normen und Standards. Der Bereich, in dem Organisationen oder Produkte durch nicht akkreditierte KBS oder überhaupt nicht geprüft werden, ist wesentlich grösser. Auch die ISO-Normen fallen nicht zwingend in den akkreditierten Bereich. Ein ISO-9001-Zertifikat zum Beispiel darf von einer beliebigen Stelle ausgestellt werden. Für die Güte und Wirk-

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samkeit eines Zertifikats ist deshalb massgeblich, durch wen es ausgestellt wurde. Indem sie die Zertifizierungsstellen und andere KBS prüft, stärkt die SAS deren Qualität, Glaubwürdigkeit und dadurch die Robustheit des Systems insgesamt. Welche Normen in den akkreditierten Bereich aufgenommen werden, entscheiden das IAF und die EA. In der Regel erfolgt ein entsprechender Antrag durch Verbände und andere Akteure der Wirtschaft. Die SAS entscheidet dann aufgrund ihrer Strategie sowie der Bedürfnisse in der Schweiz, ob sie für die Prüfung einer bestimmten Norm tatsächlich KBS akkreditiert.

Mit der Akkreditierung wird gemäss der Akkreditierungs- und Bezeichnungsverordnung des Bunds «formell die Kompetenz einer Stelle anerkannt, nach international massgebenden Anforderungen bestimmte Prüfungen oder Konformitätsbewertungen durchzuführen». Das heisst, dass die Akkreditierung dazu da ist, Organisationen zu prüfen, die ihrerseits Prüfungen und Bewertungen vornehmen – und zwar in ganz unterschiedlichen Bereichen, wie die untenstehende Darstellung zeigt.

Die Bereiche und Normen der Akkreditierung werden von technischen Ausschüssen der internationalen Normungsgremien – der Europäischen Kooperation für Akkreditierung und des Internationalen Akkreditierungsforums – erarbeitet. Diese setzen sich aus Vertretern der nationalen Normungsorganisationen zusammen und orientieren sich an den Bedürfnissen, die von Akteuren aus Wirtschaft und Gesellschaft an sie herangetragen werden. Die Entscheidung einer nationalen Akkreditierungsstelle, eine Akkreditierungsnorm anzunehmen, hängt von den Bedürfnissen im Land und der eigenen Strategie ab.

Die Akkreditierung wird weltweit auf der Grundlage der Norm ISO/IEC 17011 durchgeführt.

Innerhalb der Europäischen Union sieht die europäische Verordnung 765/2008 vor, dass jeder Mitgliedstaat seine eigene nationale Akkreditierungsstelle benennt. Das bedeutet, dass diese Tätigkeit seit 2008 als Ausdruck der öffentlichen Gewalt anerkannt ist.

Akkreditierungstyp Beschreibung

Kalibrierlaboratorien für Messgrössen (zum Beispiel in den Bereichen Elektrizität, Faseroptik, Druck, Temperatur, magnetische und elektrische Felder, Durchfluss). –

Konformitätsbewertungsnorm: ISO/IEC 17025:2017

Solche Laboratorien führen Kalibrierprüfungen der physikalischen Grössen von Messgeräten auf der Grundlage spezifischer Methoden durch. Dabei berücksichtigen sie die Rückverfolgbarkeit auf das internationale Einheitensystem, was eben der Kalibrierung von Messgeräten für Widerstand, Spannung, Volumenstrom, Induktivität usw. entspricht.

32 Kapitel 1 Grundlagen
Die Akkreditierung in der Schweiz

Akkreditierungstyp Beschreibung

Prüflaboratorien für Lebensmittel, Tierfutter, Pflanzenschutzmittel, kosmetische Produkte, elektrische Geräte u. a. –

Konformitätsbewertungsnorm: ISO/IEC 17025:2017

Referenzmaterialhersteller, d. h. Hersteller von chemischen, mikrobiologischen und anderen Referenzmaterialien für Laboratorien und Produzenten. –Konformitätsbewertungsnorm: ISO 17034:2016

Ringversuchsanbieter für die Lebensmittelchemie, Lebensmittelmikrobiologie, Immunologie, klinische Toxikologie u. a. –Konformitätsbewertungsnorm: ISO/IEC 17043:2010

Inspektionsstellen für die Landwirtschaft, Tierhaltung, Lebensmittel, Futtermittel, Seilbahnen, Eisenbahnen, Stromproduktion und viele andere Bereiche. –

Konformitätsbewertungsnorm: ISO/IEC 17020:2012

Solche Laboratorien führen mit anerkannten und akkreditierten Methoden Tests an Produktproben durch, um deren Sicherheit und Gesetzeskonformität fest- bzw. sicherzustellen.

Laboratorien und Hersteller von Produkten sind auf Referenzmaterialien angewiesen, um zuverlässige Prüfungen durchzuführen. Akkreditierte Referenzmaterialhersteller stellen die Zuverlässigkeit der Kenndaten von Referenzmaterialien sowie deren Rückverfolgbarkeit auf internationale Einheiten sicher.

Für Laboratorien und Inspektionsstellen ist es wichtig, dass ihre Messungen mit anderen vergleichbar sind. Akkreditierte Ringversuchsanbieter stellen Proben mit gesicherten Kenndaten zur Verfügung und werten die Resultate aus, die Dritte mit diesen Proben erzielen.

Akkreditierte Inspektionsstellen prüfen Lebensmittel, Futtermittel, Medikamente oder technische Anlagen auf Sicherheitsmängel. Dabei orientieren sie sich in der Regel an gesetzlichen Anforderungen oder an solchen in spezifischen Normen. Inspektionsstellen können extern und intern sein, d. h. Teil der zu überprüfenden Organisation sein.

Medizinische Laboratorien für molekulare Diagnostik, Chromosomen- und Genom-Diagnostik sowie Analysen in anderen Bereichen. –

Konformitätsbewertungsnorm: ISO 15189:2012

Zertifizierungsstellen für Produkte zum Beispiel aus den Bereichen Lebensmittel, Papier, Holz, Baumaterialien. –

Konformitätsbewertungsnorm: ISO/IEC 17065:2012

Diese Laboratorien führen medizinische Analysen zu unterschiedlichen Themen durch.

Zertifizierungsstellen für Personal bzw. berufliche Fachkompetenzen, zum Beispiel für Schweiss-, Löt- und Montagepersonal, Fachpersonen im Brandschutz oder Gerichtsexperten. –

Konformitätsbewertungsnorm: ISO/IEC 17024:2012

Zertifizierungsstellen für Managementsysteme

zum Beispiel in den Bereichen der Qualität, Umwelt, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, Energie und Informationstechnologie. –

Konformitätsbewertungsnorm: ISO/IEC 17021-1:2015

Konsumentinnen und Konsumenten sowie die verarbeitende Industrie sind darauf angewiesen, dass Produkte festgelegten Anforderungen entsprechen. Akkreditierte Produktzertifizierungsstellen prüfen und bescheinigen dies mittels Zertifikaten, zum Beispiel dem International Featured Standard (IFS Food), BRCGS (Verpackungsmaterialien) oder PEFC (Chain of Custody of Forest Based Products).

Viele personale Kompetenznachweise werden durch Branchenverbände ausgestellt. Für andere Bereiche und Berufs- bzw. Kompetenzprofile – die in der Regel hochspezialisiert sind – übernehmen akkreditierte Zertifizierungsstellen diese Aufgabe.

Akkreditierte Zertifizierungsstellen für Managementsysteme stellen Zertifikate aus, die bestätigen, dass die begutachteten Managementsysteme normkonform und wirksam sind. Dadurch erhalten die Anspruchsgruppen der zertifizierten Organisation die Gewissheit, dass Letztere über Strukturen und Arbeitsabläufe verfügt, die eine termingerechte Leistung in der vereinbarten Qualität sicherstellen.

33 3 Zertifizierung und Akkreditierung

Die historische Entwicklung anhand des Beispiels der SQS

Die Entwicklung des Normensystems ist aufs Engste mit der wirtschaftlichen Globalisierung verknüpft. Die Internationale Fernmeldeunion (1865) und die Internationale Elektrotechnische Kommission (1906), neben der 1947 gegründeten Internationalen Organisation für Normung (ISO) die massgeblichen Entwickler internationaler Normen, wurden im Kontext der sogenannten ersten Globalisierung ins Leben gerufen. Diese hob in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an und ging mit dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) abrupt zu Ende. Die zweite Globalisierung, die in den 1970er-Jahren einsetzte und bis heute anhält, bildete den Kontext für die Entstehung und Expansion des heutigen tripartiten Normensystems.

Diese Entwicklung lässt sich anhand der SQS aufzeigen, die – 1983 gegründet – ihrerseits ein Kind der zweiten Globalisierung war und bald zu einer treibenden Kraft für den Aufbau der internationalen Zertifizierungsinfrastruktur wurde. Das tripartite Normenregime bezieht sich auf weitaus mehr als Managementsystem-Normen. Die folgende Darstellung fokussiert dennoch auf diese Normen, weil sie die Art und Weise, wie Organisationen funktionieren, global und tiefgreifend beeinflusst haben.

Die 1980er-Jahre waren durch den Trend hin zur Qualitätssicherung (QS) von Organisationen und deren Leistungen gegenüber Vertragspartnern und Kunden geprägt. Nachweisführung über die Qualitätsfähigkeit sollte dabei Lieferketten einschliessen und so die Qualitätsrisiken für Abnehmer und die damit verbundenen negativen Auswirkungen minimieren. Die Prüfung der QS erfolgte in der Regel durch Vertragspartner oder von diesen beauftragte Drittstellen mittels Audits. Im Fokus standen vielfach Grossprojekte von internationalen Auftraggebern – zum Beispiel im Bereich des Kraftwerkbaus – oder die öffentliche Beschaffung wie bei Rüstungsaufträgen.

In diesem Kontext entwickelte sich eine eigentliche «Flut» an Audits – und mit ihr das Bedürfnis in der Schweizer Industrie, vonseiten einer neutralen Prüfstelle einen international anerkannten Qualitätsausweis zu erhalten. Statt zahlreicher Audits durch die Kunden sollte nur noch eines durch eine solche Prüfstelle durchgeführt werden. Vor diesem Hintergrund wurde am 3. Juni 1983 in Bern die Schweizerische Vereinigung für Qualitätssicherungs-Zertifikate (SQS) gegründet. Deren Zweck war es, mittels Begutachtung und Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen «die Bestrebungen der Schweizer Wirtschaft auf den Gebieten der Produkteund Dienstleistungs-Qualität und der Produktivität» zu fördern und zu unterstützen.

Dieser breite Auftrag spiegelte sich in der Trägerschaft der SQS. Zu den zehn Gründungsmitgliedern zählten Bundesbehörden und -betriebe, Wirtschaftsverbände, Handelskammern sowie andere wirtschaftsnahe Akteure (vgl. Übersicht über die SQS-Mitglieder). Die SQS war fortan nebst der British Standards Institu-

34 Kapitel 1 Grundlagen

Mitglieder der SQS (Gründungsmitglieder von 1983)

• AM Suisse

• Armasuisse

• Bundesamt für Bevölkerungsschutz

• Curaviva Schweiz

• electrosuisse

• Eidgenössische Materialprüfungsanstalt

• EXPERTsuisse

• Fachverband der Schweizerischen Kies- und Betonindustrie

• Fachverband für Schweizer Betonprodukte (SwissBeton)

• Foederation der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien

• Gruppe der Schweizerischen GebäudetechnikIndustrie

• Handelskammer Deutschland Schweiz

• Hotelleriesuisse

• IG exact Office

• Institut für Technologiemanagement

• Jardin Suisse Unternehmerverband Gärtner Schweiz

• KUNSTSTOFF.swiss

• Liechtensteinische Industrie- und Handelskammer

• ÖBU

• procure.ch – Fachverband für Einkauf und Supply Management

• sanu future learning ag

• Schweizer Tourismus-Verband

• Schweizerische Gesellschaft für Organisation und Management

• Schweizerische Normen-Vereinigung

• Schweizerischer Baumeisterverband

• Schweizerischer Gewerbeverband

• Schweizerischer Maler- und Gipserunternehmer-Verband (SMGV)

• Schweizerischer Verein für Schweisstechnik

• Schweizerischer Verein für technische Inspektionen

• Schweizerischer Versicherungsverband

• Schweizerischer Wirtschaftsverband der Informations-, Kommunikations- und Organisationstechnik

• Schweizerisches Verpackungsinstitut

• scienceindustries

• Stahlbau Zentrum Schweiz

• Swiss Association for Quality

• Swiss Textiles Textilverband Schweiz

• Swiss Venture Club

• SwissBoardForum

• SWISSMECHANIC

• Swissmem

• Switzerland Global Enterprise

• Tecom Schweiz

• Verband der Schweizer Unternehmen (economiesuisse)

• Verband des Schweizerischen BaumaterialHandels

• Verband Musikschulen Schweiz

• Verband Schweizer Gebäudehüllen-Unternehmungen (Gebäudehülle Schweiz)

• Verband Schweizerischer Betontechnologen

• Verbandsmanagement Institut

• Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen

• Vereinigung Schweizerischer Futtermittelfabrikanten

tion die weltweit einzige Organisation, die solche Qualitätssicherungszertifikate anbot – aber nicht lang. Ab Mitte der 1980er-Jahre setzte in Europa ein starkes Wachstum an Zertifizierungsstellen für Qualitätssicherungs- und Managementsysteme ein. Getrieben wurde es durch die Schaffung des Europäischen Binnenmarkts sowie durch Regulierungen, die der Qualitätssicherung und den Konformitätsnachweisen für das Inverkehrbringen von Produkten eine neue Bedeutung verliehen.

Die SQS war beim Aufbau dieser Zertifizierungsstellen eine gefragte Partnerin, weil sie bereits über Markterfahrung verfügte. In dieser Führungsrolle gründete sie 1990 zusammen mit sieben weiteren Partnern, die die Grundwerte eines hohen

35 3 Zertifizierung und Akkreditierung

Nach dem Wachstum die Konsolidierung auf hohem Niveau

Die Umsatzentwicklung der SQS, der mit Abstand führenden Anbieterin von ISO-Zertifikaten in der Schweiz, spiegelt die allgemeine Marktentwicklung. Diese war geprägt von einem starken Wachstum der Nachfrage in den 1990er- und 2000er-Jahren sowie einer Konsolidierung seit den 2010er-Jahren.

Qualitätsstandards und einer ausgeprägten Wirtschaftsorientierung teilten, das European Certification Network, das später im Zuge seiner Internationalisierung in International Certification Network (IQNET) umbenannt wurde. Das Netzwerk bezweckte eine hohe Marktrelevanz und Anerkennung von Zertifikaten durch die Kooperation und Kompetenz seiner Mitglieder. Die IQNET-Zertifizierungsstellen sollten gleiche oder vergleichbare Verfahrensweisen anwenden, was die gegenseitige Anerkennung der Prüfergebnisse und damit eine breite Akzeptanz der Zertifikate ermöglichte.

Der Ansatz von IQNET war – und ist – jener der Selbstregulierung. Die Zertifizierungsstellen, die ihm angehören, prüfen sich regelmässig mittels Peer-Assessments. Damit die Mitglieder die Anforderungen erfüllen, betreibt IQNET ein Weiterbildungsprogramm. Zudem hat es ein Best-Practice-Bewertungsmodell und Maturity-Rating entwickelt. Es dient dazu, neben Compliance-Kriterien auch die unternehmerische Komponente der Zertifizierungsstellen zu prüfen und zu messen, sie mittels Benchmarks gezielt zu fördern und damit den Nutzen des IQNET-Systems sicherzustellen.

Die SQS prägte die Institutionalisierung und die unternehmensorientierte Entwicklung von IQNET massgeblich. Sie finanzierte ab 1997 während drei Jahren die Stelle des ersten Generalsekretärs Armin Girschweiler, der zuvor Geschäftsführer der SQS gewesen war, und sorgte dafür, dass der im Jahr 2000 gegründete Verein

36 Kapitel 1 Grundlagen
1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 Umsatz (in CHF) 60 000 000 50 000 000 40 000 000 30 000 000 20 000 000 10 000 000 0

IQNET seinen Sitz in Bern hatte und noch immer hat. Der Autor gehörte während 20 Jahren dem Vorstand an, davon vier als Präsident. Weitere SQS-Vertreter leiteten Arbeitskomitees, um zum Beispiel das Peer-Assessment-Modell sowie damit verbunden gute Praktiken der Konformitätsbewertung zu entwickeln und zu überprüfen. SQS-Experten engagierten sich oft auch als Trainer des IQNET-Assessorenteams. Durch ihre Rolle bei IQNET, heute ein globales Netzwerk mit 38 Mitgliedern und über 400 Standorten, ist die SQS zudem stets in den Gremien der Akkreditierungssysteme von IAF und EA vertreten gewesen.

Während IQNET die internationale Vernetzung und den Kompetenzaufbau der Zertifizierungsstellen vorantrieb, entwickelten die ISO und die IEC parallel dazu normative Grundlagen. 1995 führten sie mit der ISO/IEC-17000-Reihe die ersten Normen für die Konformitätsbewertung ein. Diese richteten sich nicht an die Anwender von Managementsystemnormen – wie zum Beispiel die ISO 9001 zu Qualitätsmanagement – sondern an die Prüfer. Ziel war es, die zentralen Themen verlässlicher und wirksamer Prüfungen abzubilden und Unterschiede in den Vorgehensweisen zu vermeiden. Durch ihre Experten war die SQS an der Entwicklung sowohl der Normen für die Auditierung und Zertifizierung als auch der Anforderungen für Zertifizierungs- und Akkreditierungsstellen beteiligt.

Die Entwicklung von Konformitätsbewertungsnormen war das eine, ihre Durchsetzung das andere. Komplementär zum Selbstregulierungsansatz von IQNET wurde deshalb in den 1990er-Jahren jener der staatlich regulierten Akkreditierung entwickelt. Die anhaltend dynamische Entwicklung des Zertifizierungssystems mit immer mehr Akteuren in immer mehr Ländern erforderte robustere Mechanismen, um die Kompatibilität von Vorgehensweisen, die Kompetenz der Akteure und die Glaubwürdigkeit der Zertifizierungen durch eine unparteiliche Qualitätsinfrastruktur auf europäischer und globaler Ebene sicherzustellen.

Die SAS wurde 1991 gegründet. Im folgenden Jahr erhielt die SQS als erste privatwirtschaftliche Zertifizierungsstelle überhaupt eine Akkreditierung der SAS. In Europa wurde kurz darauf das Europäische Akkreditierungssystem errichtet (EA), später auf globaler Ebene das IAF. Beide stellten alsbald mittels Peer-Assessments bei ihren Mitgliedsorganisationen sicher, dass diese Zertifizierungsstellen gemäss den ISO-Konformitätsbewertungsnormen sowie den EA- oder IAF-Verfahren regelmässig und einheitlich überprüften.

Die Verpflichtung der relevanten Akteure auf einen globalen, präzise festgelegten Verfahrensnenner im Rahmen des internationalen Akkreditierungssystems war – und ist – eine Antwort auf die weltweite Arbeitsteilung sowie die hohen Ansprüche an Sicherheit und Gewissheit bei Produzenten und Konsumenten. Sie birgt aber auch die Gefahr der übertriebenen Formalisierung, der ineffektiven und kostspieligen Überregulierung. In diesem Spannungsfeld kommt Zertifizierungs-

37 3 Zertifizierung und Akkreditierung

Was geprüft wird

Die SQS in der historischen Entwicklung des tripartiten Normensystems: das Beispiel von Managementsystem-Normen

Seit den 1980er-Jahren ist eine komplexe und robuste Infrastruktur für die Entwicklung, Anwendung und Überprüfung von Normen und Standards entstanden. Sie besteht aus

• der Entwicklung und Anwendung von Normen, zum Beispiel Managementsystem-Normen der ISO («was geprüft wird»);

• Normen und Organisationen für die Prüfung der Anwender – also Konformitätsbewertungsnormen für die SQS und andere Konformitätsbewertungsstellen («wer die Anwender prüft»);

• Normen und Organisationen für die Prüfung der Prüfer – also den Regeln der Europäischen Akkreditierung (EA) und des Internationalen Akkreditierungsforums (IAF) sowie staatlichen Regeln für die nationalen Akkreditierungsstellen.

Anhand der SQS, die den Aufbau dieser internationalen Qualitätsinfrastruktur massgeblich geprägt hat, lässt sich die Entwicklung nachzeichnen.

Normen

Die ISO entwickelt länderund branchenübergreifende Normen für Managementsysteme (MS).

SN 029100

Schweizer QSModell (1982)

ISO 9001/2/3 QS-Stufen (1987)

ISO 9001

QS-Modell (1994)

ISO 9001

QM-Modell (2000) – Überprüfung und ggf. Revision alle fünf Jahre

ISO 14001 zu Umweltmanagement (1994) –Überprüfung und ggf. Revision alle fünf Jahre

OHSAS 18001 zu Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (1999)

ISO 9001

High-LevelStruktur (2015)

Stand 2022: 58 ISO-Normen zu MS

ISO 14001 High-LevelStruktur (2015)

ISO 45001 High-Level Struktur (2018) – Überprüfung und ggf. Revision alle fünf Jahre

Die drei Managementthemen, die in den hiesigen Unternehmen am häufigsten durch ISO-Normen geregelt werden, sind Qualität, Umwelt sowie Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz (GSA). • Die Schweizer Norm SN 029100 wurde 1982 eingeführt und 1987 durch die ISO 9001 abgelöst (Qualität). Diese stellte ein dreistufiges Modell dar, das aus der Qualitätssicherung der Organisation, Herstellung und Produkte bestand. Mit der revidierten ISO 9001:1994 wurden diese Stufen in einem ganzheitliches Modell integriert. • In den 1990er-Jahren entwickelten die ISO ihre Norm 14001 (Umwelt) und eine Stakeholdergruppe der British Standards Institution die Norm Occupational Health and Safety Assurance System (OHSAS) 18001. Die OHSAS 18001 wurde 2018 zur ISO 45001 (GSA) weiterentwickelt. • Mit der Revision ISO 9001:2015 erfolgte die Umstellung auf die von der ISO im Jahr 2012 entwickelte High-Level-Struktur (heute «Harmonisierte Struktur«). Diese stellt bezüglich aller ISO-Managementsystem-Normen verbindlich eine gemeinsame Struktur (gleiche Thementitel in gleicher Abfolge) und gemeinsame Anforderungen dar. Damit entspricht sie dem Bedürfnis, Normen einfacher kombinieren zu können und integrierte Managementsysteme zu fördern.

38 Kapitel 1 Grundlagen
1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020

Auditierung und Zertifizierung

Die SQS prüft und zertifiziert die Anwender (Fokus Schweiz/Europa).

Die Mitglieder des International Certification Network (IQNET) prüfen und zertifizieren die Anwender weltweit.

Gründung der SQS als Verein mit Sitz in Bern (1983)

SQS als erste Zertifizierungsstelle in der Schweiz akkreditiert (1992)

SQS beginnt strategische Marktbearbeitung in Italien (1992)

Gründung des European Certification Network EQNnet; SQS ist Gründungsmitglied (1990)

Gründung eines Branch-Office in Mailand (2011)

IQNET wird mitwirkender Stakeholder bei der ISO (A-Liaison) (2001)

Internationalisierung und Gründung von IQNET als Verein mit Sitz in Bern (1997–2001)

Gründung der SQS Deutschland GmbH mit Sitz in Konstanz (2021)

Stand SQS 2022 > 50 Akkreditierungen und Zulassungen 50 Vereinsmitglieder

Normative Grundlagen

Die ISO und die IEC stellen Normen für die Konformitätsbewertung zur Verfügung. Normanwender sind Zertifizierungs- bzw. Akkreditierungsstellen.

ISO/IEC Guide 62 für die Zertifizierung von QMS* (1996)

ISO/IEC Guide 66 für die Zert. von UMS* (1999)

IQNET wird Association Member des International Accreditation Forum (2010)

ISO/IEC 17021 (ab 2015 ISO/IEC 17021-1) zu den allgemeinen Anforderungen an die MS-Zertifizierung (2006)

ISO/IEC Guide 68 für die gegenseitige Anerkennung von Zertifikaten (2002)

IQNET wird anerkannter Stakeholder der Europäischen Akkreditierung (2014)

Ab 2016 Normen zu den Kompetenzanforderungen an die Auditierung und Zertifizierung spezifischer MS-Normen (ISO/ IEC 17021-2 zu Umwelt, ISO/ IEC 17021-3 zu Qualität, etc.)

Selbstregulierung

Die Mitglieder von IQNET prüfen sich gegenseitig.

Akkreditierung

Die EA und das IAF prüfen ihre Mitglieder, die nationalen Akkreditierungsstellen, die die Zertifizierungsstellen prüfen.

* QMS = Qualitätsmanagementsystem

UMS = Umweltmanagementsystem

Einführung des Peer-AssessmentModells (1992)

Gründung des Intern. Akkreditierungsforums (1993)

European Accreditation for Certification (1991–1997)

Gründung der Schweiz. Akkreditierungsstelle (1992)

ISO/IEC 17040 für Peer-Assessments von Zertifizierungsstellen u. a. Organisationen (2005)

ISO/IEC 17011 für die Akkreditierung (2004) –Überprüfung und ggf. Revision alle fünf Jahre

Einführung des Modells für BestPractice-Evaluation (2004)

Gründung der Europäischen Akkreditierung (1997)

Schweiz. Akkreditierungsverordnung AkkBV (1996)

Gründung des European Accreditation Advisory Board (1998)

Stand 2022

Einführung des Maturity-RatingModells (2015)

Europäische Akkreditierungsverordnung

Regulation (EC)

No765/2008 (2008)

• 94 IAF Members (Akkr.stellen)

• 28 IAF Associated Members (z. B. IQNET)

• 49 EA Members (Akkr.stellen)

• 19 SAS-akkreditierte Zertifizierungsstellen für MS

• 24 SAS-Anforderungsdokumente für MS-Zertifizierungsstellen

39 3 Zertifizierung und Akkreditierung Wer die Prüfer prüft Wer die Anwender prüft
1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020

stellen eine besondere Aufgabe zu. Wenn im akkreditierten Bereich gewisse Normen entweder noch nicht vorhanden sind oder ihre Anwendung zu aufwendig ist, können sie nicht-akkreditierte Angebote im Markt bereitstellen.

Die SQS hat diese Aufgabe immer wieder wahrgenommen, indem sie sich auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene in der Entwicklung von Normen für Unternehmen und andere Organisationen engagierte. In den 1980er- und 1990er-Jahren ging es vorab darum, das Verständnis und die Methoden für die betriebliche Qualitätssicherung und die Produktqualität weiterzuentwickeln und so eine umfassende Unternehmensqualität und ein ganzheitliches Qualitätsmanagement zu erreichen. Davon zeugen die verschiedenen Versionen der ISO 9001 und nicht zuletzt auch die 1994 vorgenommene Namensänderung in Schweizerische Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme. Im Verlauf dieser Entwicklung wurden zusätzliche Themen aufgegriffen, zum Beispiel der Umweltschutz (ISO 14001), die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (ISO 45001) oder das Risikomanagement (ISO 31001).

Der jüngste Wandel in den Anforderungen an die Bewertung von Unternehmen und das Erbringen von Nachweisen steht im Zeichen der nachhaltigen Entwicklung. Unterschiedliche Anspruchsgruppen und der Gesetzgeber verlangen von Unternehmen zunehmend, dass sie glaubwürdig belegen und berichten, welches ihre Aktivitäten und Wirkungen unter den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit sind. Die SQS brachte deshalb 2021 gemeinsam mit Quality Austria «Circular Globe» auf den Markt, ein Modell zur Bewertung des Reifegrads von Organisationen bezüglich der Kreislaufwirtschaft. Seit 2022 ist sie Partnerin von esg2go, einem für KMU entwickelten Instrument zur Nachhaltigkeitsbewertung und -berichterstattung (vgl. hierzu den Artikel 21 im Kapitel 3). Sie verifiziert und validiert Nachhaltigkeitsberichte nach diesem und anderen relevanten Standards.

Diese Produkte aus dem nicht akkreditierten Bereich sind insofern mit ISOZertifikaten vergleichbar, als sie Unternehmen einen glaubwürdigen Nachweis ermöglichen, bestimmte Anforderungen zu erfüllen. Allerdings entsprechen diese Anforderungen keiner Norm, die entweder erfüllt oder nicht erfüllt ist, sondern einem Bewertungsmodell, in dem ein Unternehmen im zeitlichen Verlauf und im Vergleich mit anderen Organisationen beurteilt wird.

Gemein ist all diesen Produkten, dass sie es Unternehmen in der Schweiz erleichtern oder ermöglichen, sich verändernden Anforderungen gerecht zu werden, sich stetig zu verbessern, einen entsprechenden Nachweis mit grosser Akzeptanz zu erbringen und so Zugang zu internationalen Lieferketten und ausländischen Märkten zu erhalten. So dynamisch sich das tripartite Normensystem in den vergangenen vier Jahrzehnten entwickelt hat, so beständig ist die SQS ihrer Mission treu geblieben.

40 Kapitel 1 Grundlagen

Nachfrage von drei Kernnormen und einer zunehmenden Ausdifferenzierung geprägt

ISO 9001

ISO 14001

ISO 45001

Andere

Im Jahr 2022 waren über 13 000 von der SQS ausgestellte Zertifikate gültig. Die weitaus grössten Anteile entfielen auf das Qualitätsmanagement (ISO 9001), das Umweltmanagement (ISO 14001) sowie Vorkehrungen für die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (ISO 45001). Allerdings nimmt die Nachfrage nach anderen, z. B. branchenspezifischen Zertifikaten zu. Deshalb bewertet und auditiert die SQS mittlerweile nach über 100 Normen und Standards.

Vom Mikrounternehmen bis zum Grosskonzern

Mikrounternehmen u. a. Organisationen (< 10 Mitarbeitende)

Kleine Unternehmen u. a. Organisationen (10–49 Mitarbeitende)

Mittlere Unternehmen u. a. Organisationen (50–249 Mitarbeitende)

Grosse Unternehmen und Organisationen (> 250 Mitarbeitende)

Die Zusammensetzung der SQS-Kundschaft zeigt auf, dass Nachweise für den Zugang zu lokalen, nationalen oder internationalen Märkten für Unternehmen aller Grössen relevant sind. Auch Verbände, Behörden u. a. Organisationen gehören zu den über 9000 Kunden der SQS.

41 3 Zertifizierung und Akkreditierung
6062
1151 4106
1913
26 % 11 % 37 %
26 %

Normen und Standards erleichtern es Unternehmen und anderen Organisationen, hohe Erwartungen zuverlässig zu erfüllen. Sie tragen so zu unserem Vertrauen in eine Normalität bei, die sich durch Qualität, Sicherheit und Komfort auszeichnet – und damit keineswegs «normal» ist. So nötig und wirksam Normen und Standards für eine arbeitsteilige und komplexe Gesellschaft sind, so gering ist das öffentliche Bewusstsein von ihnen. Deshalb gibt dieses Sachbuch erstmals einen Überblick über Normen- und Standardsysteme in der Schweiz.

Aus einer historischen und aus einer zukunftsgerichteten Perspektive greift das Buch folgende Fragen auf: Warum und wie sind Normen und Standards in den letzten Jahrzehnten so bedeutsam geworden? Wie genau stiften sie ihren betriebswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen? Inwiefern können sie Innovation sowie Transformation behindern oder befördern – und welches Potenzial ergibt sich hieraus für eine nachhaltige Entwicklung?

Journalistinnen, Wissenschaftler und weitere Experten geben Antworten anhand von Grundlagenartikeln sowie Fallbeispielen von Unternehmen und anderen Organisationen.

ISBN 978-3-907396-28-5

www.nzz-libro.ch

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