Hans Ulrich Gumbrecht: Weltgeist im Silicon Valley. Leben und Denken im Zukunftsmodus.

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Hans Ulrich Gumbrecht (* 1948) lehrte von 1989 bis 2018 als Albert Guérard Professor in Literatur an der Stanford University in Kalifornien. Schwerpunkte seiner Reflexion und seiner Schriften sind die westliche Philosophie seit dem 18. Jahrhundert, die romanischen Literaturen und die Ästhetik des Sports. Er schreibt regelmässig für die Neue Zürcher Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, für Die Zeit, Weltwoche und Estado de São Paulo. Er hat vier erwachsene Kinder und lebt mit der Malerin Ricky Gumbrecht in Palo Alto, Kalifornien.

Herausgegeben und mit einer Einleitung von René Scheu, Feuilleton-Chef der Neuen Zürcher Zeitung.

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«Was die Elektronikspezialisten und ihr Denken in den ­vergangenen dreissig Jahren erfunden haben, waren nicht mehr ‹ wissenschaftliche › Lösungen von Problemen, sondern erste und dann immer entschlossenere Schritte zur Umgestaltung der vertrauten Welt. (...) Erfolgreich schreibe elektronische Codes allein, so erfährt man von den Praktikern, wer seinen individuellen, weder begrifflich noch mathematisch fassbaren Intuitionen vertraue. Denn offenbar entsteht am Anfang einer ­jeden Aufgabe, die man sich in dieser Dimension stellt, der Anschein einer Überkomplexität von Verfahrensmöglichkeiten, die in rein rationaler Weise nicht zu reduzieren oder gar p ­ roduktiv zu verarbeiten ist. (…) Die Denkform von Inge­nieuren und Designern liesse sich deshalb als ‹Kontem­pla­tion› beschreiben, das heisst als eine fokussierte und z­ ugleich entspannte Konzentration, die offen für das Un­erwartete der eigenen Intuitionen und das unerwartete andere ist. Kontemplation, das wissen wir aus der ­Tradition der Mystik, vollzieht sich am produktivsten in der Nähe zur Imagination, also in der Nähe zu Bildern und Visionen, die aus körperlicher Vertrautheit mit der Welt (eher denn aus abstrakten Begriffen) entspringen. Kontemplation und Imagination schliesslich gedeihen am ­besten unter der Rahmenbedingung einer Kopräsenz ­verschiedener Denkformen in wechselseitiger Offenheit.»

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Wenn Hegel heute die Frage nach dem Ort des Weltgeists stellte, würde ihn die Antwort bis ins Silicon Valley führen. Palo Alto, Cupertino oder Mountain View heissen die unscheinbaren Vororte, in denen die radikal optimistischen Denker und Macher unserer Gegenwart gerade die technische Zukunft erfinden. Diese jungen Seelen bilden das Intensitätszentrum einer neuen Welt, deren Vermessung und kritische Analyse eben erst begonnen hat. Direkt am Pazifik arbeiten sie an einer Denkkultur, die die philosophischen Traditionen alteuropäischen Zuschnitts mit dem amerikanischen Pragmatismus zur Konvergenz bringt. Hans Ulrich Gumbrecht, der fast 30 Jahre an der Stanford University lehrte, macht diesen neuen Geist ebenso fass- wie erfahrbar.

ISBN 978-3-03810-374-5

Weltgeist im Silicon Valley Leben und Denken im Zukunftsmodus

Hans Ulrich Gumbrecht

© Christoph Ruckstuhl

«Vor Hans Ulrich Gumbrecht ist nichts sicher, was zum Denken anregt.» Sarah Pines, Neue Zürcher Zeitung

Weltgeist im Silicon Valley

Hans Ulrich Gumbrecht

NZZ Libro

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© 2018 NZZ Libro, Schwabe AG Lektorat: Ulrike Ebenritter Umschlag und Gestaltung: Katarina Lang, Zürich Satz: Gaby Michel, Hamburg Druck, Einband: Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-03810-374-5 ISBN E-Book 978-3-03810-394-3 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe AG

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Inhalt

Zunächst Einleitung von René Scheu: Das Präsenztier  7 Der Weltgeist weht am Pazifik: Intensives Leben (und riskantes Denken) in Kalifornien  15

Impressionen aus dem Silicon Valley

Unsichtbar, aber real: Das Geheimnis eines Nichtorts  33 Steve Jobs oder Vom kalifornischen Totenkult  37 Charisma ist die Faktizität des Silicon Valley  43 Start-ups – die letzte Version des American Dream?  47 The Graduates of Silicon Valley  52 Neuer Reichtum ohne Skandal  59

Reflexionen über das Silicon Valley

Wohin steuern die Energiker?  65 So funktioniert Zukunftsintelligenz  71 Die Wahrheit entbirgt sich in der Elektronik  77 Das riskante Denken der Gegenwart  81 Die Dialektik der Mikroaggression  87 Suburbia: Lob der Peripherie  91

Konstellationen auf dem Globus

Unsere breite egalitäre Gegenwart  99 Die Weder-noch-Welt bleibt unheimlich  109 Die neue Internationale der Halbgebildeten  115 Das Denken wagen  121 Die Endlichkeit der Menschheit  125 Die nächste Katastrophe kommt ganz bestimmt  131 Wirklichkeitsdämmerung 135 Geschlechterdebatte: Jenseits der Gleichheit  139

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Irritationen zwischen Amerika und Europa

Trump oder Von Sehnsucht und falscher Nostalgie  147 Amerika, hast du es (immer noch) besser?  151 Die Gewitterluft des amerikanischen Südens  157 Schöner, softer Sozialdemokratismus  161 Umwertung der Wirtschaftswerte  169 Zeit der Verstimmung  173 Die neue Sehnsucht nach Intensität  177

Gespräche «Nachlassen geht nicht»: Hans Ulrich («Sepp») Gumbrecht unterhält sich mit René Scheu über siebzig Jahre Leben und Wirken  183 «Das ist genau das Wort: Gelassenheit»: Gumbrecht und die Schweiz  213 «Wir erschaffen eine künstliche Superintelligenz, die selbst lernt»: Gespräch mit Sam Ginn  221 «So denkt das Kind – aber nicht der reife Mensch»: Gespräch mit Robert P. Harrison  229 Biografische Daten  234 Quellen und Dank  237 Herausgeber 238

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Zunächst

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Das Präsenztier

Schwarzes T-Shirt, schwarzer Blazer aus Cord, Jeans, dazu als einzige kleine Extravaganz ein Paar hellbraune italienische Lederschuhe: Das ist die Berufskleidung des Romanisten und Philosophen Hans Ulrich Gumbrecht. So wie Mark Zuckerberg sich stets in ein weisses T-Shirt hüllt, so trägt Gumbrecht immerzu Schwarz. Silicon-Valley-Style. Eine solche grundlegende Entscheidung erleichtert einerseits das Leben, weil sie den Kopf frei macht für andere Belange. Andererseits wirkt sie stilbildend. Gumbrechts Gewandung erweist sich als cool, man könnte auch sagen: als sehr undeutsch und maximal antiprofessoral. In seinem Look verbirgt sich eine Pointe seines Lebens. Denn dieser Look erlaubt ihm, die wilden 1960er-Jahre der Bundesrepublik Deutschland in der unternehmerischen amerikanischen Gegenwart aufzuheben. Klar, das muss einem wie Gumbrecht gefallen. Wenn er kein Ironiker ist, so ist er doch ein «gambler», der mit den Erwartungen des Publikums zu spielen versteht. Vor allem aber akzentuiert die schwarze Grundierung jenen Körperteil, der dem Betrachter sogleich auffällt, wenn er Gumbrecht zum ersten Mal begegnet: den markanten Kopf. Die weissen Haare, arrangiert in einer Mischung aus Bürstenschnitt und Wuschelfrisur, weisen in alle Richtungen. Dieser Mann ist voller Energie und Lebenskraft. Zwischen Nase und Oberlippe prangt wie ein Relikt aus vergangenen Tagen ein mächtiger Schnauz. Das Gesicht ist voller Furchen, die grünen Augen leuchten selbst dann, wenn sie kaum Schlaf gefunden haben. Coolness paart sich mit Strenge – und Anstrengung. Kaum hat sich der erste Eindruck gesetzt, beginnt Gumbrecht zu sprechen. Seine tiefe, sonore Stimme erzeugt einen

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Zunächst

Sog – und eine unheimliche Intensität. Gumbrecht ist erst ganz da, wenn er frei redet. Und wenn er redet, füllt er jeden noch so grossen Raum mit seiner Präsenz aus Physis und Phonetik. Die Leute hören ihm gebannt zu. Dann ist er in seinem Element, dann tritt er in Interaktion mit seinem Publikum, dann liest er in den Gesichtern der Zuhörer, dann berauscht er sich an sich selbst, dann läuft er zu Höchstform auf. In solchen Momenten scheint alles denkmöglich, die Fokussierung auf den Augenblick, in dem das Denken gerade stattfindet, ist total. Gumbrecht erweist sich als perfekte Stimmungsmaschine, als begnadeter Selbstbegeisterer, als ein Meister und Akteur des «hic et nunc». Was zählt, ist das, was hier und jetzt geschieht, was uns hier und jetzt berührt – und nichts ausserdem. Damit steht Gumbrecht quer in der intellektuellen Landschaft all der Poststrukturalisten, die er persönlich kannte, deren Arbeit er schätzte und mit denen er immer wieder assoziiert wird. Doch diese Einordnung ist grundfalsch. Während die Poststrukturalisten alle Selbstgegenwart des Subjekts und alle Gegenwärtigkeit der Welt obsessiv und angestrengt als subjektive Illusion beziehungsweise Konstruktion zu entlarven versuchten, hält Gumbrecht stur an einer unmittelbaren Selbsterfahrung des Menschen fest, die stets einer konkreten Räumlichkeit und Zeitlichkeit bedarf. Nehmen wir stellvertretend Jacques Derrida. Für ihn beruht die abendländische Metaphysik, die das Sein angeblich mit Präsenz gleichsetzt, auf dem System des «Sich-im-Sprechen-Vernehmens»,1 aus diesem «Phonozentrismus» folgen dann allerlei böse Dinge wie «Logozentrismus», «Ethnozentrismus» und «Phallozentrismus». Ganz anders Gumbrecht. Der grosse Gestus ist ihm zwar nicht fremd, doch bleibt er in seinen Exkursionen stets konkret, anschaulich, bodenständig. Was ihn an Derrida inter­ essierte, ist deshalb weniger dessen Denken, Belesenheit oder Sprache als vielmehr die Aura. Und diese Aura eines bewundernswerten intellektu­ ellen Gurus pflegte Derrida, daran erinnert sich Gumbrecht ganz genau, mit grosser Könnerschaft.2 Was zeigt: Der Mensch bleibt ein Präsenztier, das nur in einer je eigenen Umgebung funktioniert. Die Urszene der Gum­ brechtschen Anthropologie lässt sich deshalb tatsächlich als altgriechische Seminarsituation ohne alle technischen Gadgets vergegenwärtigen: Einer hört sich selbst sprechen und tritt in Resonanz mit sich und seinem Publikum. Es ist dies eine Übung in angewandter, vorgeführter Geistesgegenwart. Ja, man kann sagen, dass Hans Ulrich Gumbrecht wie das per-

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Das Präsenztier

fekte Antidot zu Jacques Derrida und all seinen Jüngern wirkt: nicht Dekonstruktion, sondern Ambition, nicht relativieren, sondern imponieren, nicht das Parfum der Frivolität, sondern, wenn immer es möglich ist, echte, gelebte Intensität. Nachdem die intellektuelle Revolution der französischen Philosophen eher spurlos an Gumbrecht vorüberging, scheint nun aber die Technik sein Verständnis des Menschen ernsthaft herauszufordern. Im digitalen Zeitalter wandelt sich das In-der-Welt-Sein in fundamentaler Weise: Alle starren wir auf einen Bildschirm – und sind dadurch mit allen zugleich lebenden Menschen auf dem Globus in Äquidistanz verbunden. Die Dimension der konkreten Räumlichkeit verschwindet. Alle kennen die merkwürdigen Alltagssituationen, zu denen dies führt: Man sitzt zusammen im selben Restaurant, also in unmittelbarer körperlicher Nähe, und kommuniziert über das Smartphone miteinander. Der Anwesende ist abwesend, der Abwesende anwesend. Wenn die Räumlichkeit schwindet, dann verändert sich auch die subjektive Erfahrung der Zeit. Im digitalen Zeitalter ist die Vergangenheit auf dem leuchtenden Bildschirm jederzeit abruf- und verfügbar, vergeht also gewissermassen nicht mehr; zugleich wirkt die Zukunft zunehmend entrückt, ja unvorstellbar – sie kommt, wenn überhaupt, nur noch als Katastrophenszenario in den Blick. Wir leben längst in einer «breiten Gegenwart der Simultaneitäten» (Gumbrecht), ohne dass wir Bedeutung und Tragweite dieser Entwicklung schon abschätzen könnten. Und wir mögen uns mit Gumbrecht ständig fragen: Was werden wir, was wird der heutige Mensch einst gewesen sein? Das ist der Blick, mit dem sich Gumbrecht dem Geschehen seiner unmittelbaren kalifornischen Gegenwart zuwendet. Als er 1989 einen Ruf nach Stanford annahm, war ihm nicht bewusst, dass er ins Auge des Sturms zog. Doch machten ihm dies seine neuen, wirklich hervorragenden Studenten bald klar. Sie wollten keine akademischen Exerzitien ab­ solvieren, sondern von den «humanities» fürs Leben lernen, um dieses Leben in den meisten Fällen durch Programmieren vor einem Bildschirm zu verändern. Und Gumbrecht entschloss sich, die Aufgabe anzunehmen, mit der ihn der Zufall bedachte: berührter und berührender Beobachter dessen zu sein, was sich um ihn herum im Silicon Valley ereignet, «hic et nunc». Die digitale Revolution findet an einem ganz bestimmten Ort statt – und hat eine ganz eigene Geschichte. Damit bestätigt sie Gumbrechts

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Zunächst

Grundsatz, wonach Raum und Zeit zwangsläufig das menschliche Denken und Handeln bestimmen. Im Fall des Silicon Valley ist die Situation – in den Worten des Internetunternehmers Peter Thiel – durchaus paradox: «Die technologische Internetrevolution war eigentlich dazu gedacht, die Tyrannei des Ortes und der Geografie zu durchbrechen. Und doch fand alles hier an diesem Platz statt.»3 Wie ist das möglich? Wie kann es sein, dass auf ­einem kleinen Territorium zwischen den beiden Städten San José und San Francisco, die kaum 50 Kilometer auseinanderliegen, eine intellektuelle Intensität entsteht, die das Zusammenleben aller Menschen auf der Erde für immer affiziert und verändert? Ist es Zufall, ist es Planung, ist es Geschick? Was sind die treibenden Kräfte, wie genau ticken die Köpfe dieser hier und jetzt sozialisierten Menschen, wie sehen sie die Welt heute und morgen? Um die ganz spezifische Räumlichkeit und die besondere Zeitlichkeit des Silicon Valley dreht sich dieses Buch vor allem, alteuropäisch gesprochen: um den Geist des Silicon Valley, der längst zum Weltgeist geworden ist. Zugleich liefert der Band Bausteine für die einzigartige Biografie eines «intellectuel sensible» an der Schnittstelle zwischen alter und neuer Welt, die erst noch zu schreiben ist. Impressionen vermischen sich mit Reflexionen, Irritationen mit Interventionen. Sie sind Ausdruck der Faszination, jene Gegenwart zu fassen, die unsere Zukunft bestimmen wird. Nichts bleibt, wie es ist – nur, was wird aus dem permanenten Wandel? Was ist vergangen, noch bevor es sich bewährt hat? Was wird sich bewähren, obwohl es sich erst in Ansätzen zu erkennen gibt? Peter Sloterdijk hat Gumbrecht einmal zu Recht einen «grossen Erinnerer» genannt.4 Dieser Sohn zweier Ärzte aus Würzburg schöpft aus dem reichen Fundus der Geistesgeschichte der letzten zweieinhalbtausend Jahre – und vermag deshalb in eigenwilliger Weise über die Berührung durch die Gegenwart zu schreiben, die unsere Zukunft sein wird, so als wäre sie bereits Vergangenheit. Daraus ergibt sich ein eigener Ton der Gelassenheit – und ein Duktus der konzentrierten Wahrnehmung. Gumbrecht ist in jeder Zeile seiner Texte ganz da: einerseits ganz bei sich, andererseits ganz in der Welt. Ausgerechnet er, der an der wohl technischsten und kapitalistischsten Eliteuniver­ sität der neuen Welt lehrt, beweist damit, warum es die «humanities» mehr denn je braucht: Sie sind eine Lektion in freier, grosszügiger Lebenszugewandtheit, in der Vermittlung zwischen Bibliothek und Berührung durch die Welt. Darum könnte dieses Buch auch einen ganz anderen Titel tragen:

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Das Präsenztier

Vom Nutzen und Vorteil der Geisteswissenschaften für das intensive Leben (und das jederzeit riskante Denken). Aber das wäre schon wieder alteuropäisch gedacht. Denn Leben ist Denken «in actu». Und Denken ist Experimentieren «in actu». Wer will schon belehren, wenn es doch noch so viel zu begreifen gibt! René Scheu, August 2018

1 Siehe Jacques Derrida, Grammatologie, aus dem Französischen übersetzt von HansJörg Rheinberger und Hanns Zischler, Frankfurt 1994, S. 19 ff. Siehe ebenfalls Jacques Derrida, Die Stimme und das Phänomen, aus dem Französischen übersetzt von HansDieter Gondek, Frankfurt 2003, S. 103 ff. 2 Vgl. die Anekdote mit Derrida auf dem Campus in Stanford, auf S. 202 in diesem Band. 3 Florian Schwab im Gespräch mit Peter Thiel: https://www.weltwoche.ch/ausgaben/ 2018-29/artikel/en-hypnotische-massenphanomene-die-weltwoche-ausgabe-292018.html (Zugriff: 1. 8. 2018). 4 https://www.nzz.ch/feuilleton/man-darf-ihn-einen-gelehrten-helden-in-der-post­ heroischen-zeit-nennen-der-romanist-hans-ulrich-gumbrecht-hat-grund-zufeiern-ld.1394415 (Zugriff: 1. 8. 2018).

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Impressionen aus dem Silicon Valley

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Unsichtbar, aber real: Das Geheimnis eines Nichtorts

Sehen kann man das Silicon Valley eigentlich nicht. Jedenfalls nicht als Landschaft, denn das Wort Valley hat in diesem Namen die weniger spezifische Bedeutung von Gebiet (wie in «Ruhr-Gebiet»). Es gibt dort weder Tal noch Senke. Im Raum ist Silicon Valley nichts als eine Reihe kleiner oder mittelgrosser Gemeinden, die über etwa 20 Kilometer nördlich von der Millionenstadt San José aneinandergereiht sind. Sie liegen auf der südwestlichen Seite einer Halbinsel zwischen dem Pazifik und der Bay of San Francisco, die in San José beginnt und in San Francisco endet. Man findet im Silicon Valley auch kein Äquivalent zur Architektur früherer industri­ eller Revolutionen. Wer die Postanschrift von Google, Apple oder Excel kennt, der wird irgendwo entlang des Silicon Valley ein Gebäude mit dem entsprechenden Logo entdecken, unscheinbar in jedem Fall und enttäuschend meistens, wenigstens für jemanden, der ein Elektronikfan sein will. Ein räumliches Äquivalent des kulturellen Einflusses und der wirtschaftlichen Macht, die wir mit dem Namen verbinden, scheint nicht zu existieren. Fünf Minuten von dem Haus entfernt, in dem ich wohne, war zum Beispiel jahrelang die Zentrale von Facebook. Ich bin die längste Zeit an ihr vorbeigegangen, ohne auch nur zu ahnen, dass dort die Stränge des stärksten Social Network zusammenlaufen. Manchmal dachte ich, es sei wirklich Zeit für eine Renovierung dieser ziemlich heruntergekommenen Immo­ bilie, und die ansässige Firma scheue bloss die Kosten. Keinerlei Phantasien von Mark Zuckerberg und seiner Familie kamen auf. Und solche Phantasien hätten ja auch kaum Anhaltspunkte gehabt. Gesichter wie das von Steve Jobs (vor allem) und Bill Gates hatten sich zwar irgendwann einge-

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Impressionen aus dem Silicon Valley

prägt, aber es sind und waren doch eher Allerweltsgesichter, so wie auch die vielen indischen und ostasiatischen Antlitze des Silicon Valley, amerikanische Antlitze eben, die typischerweise für nichts typisch sind. Mark Zuckerberg sieht aus wie der sprichwörtliche Nerd, auf Treffen des Weltwirtschaftsforums mag er eine ausgetragene Northface-Jacke anhaben, doch zu kommentieren, Understatement sei ein Trend von Silicon Valley, wäre schon eine heftige Überinterpretation. Entsprechend schwer fiel es den eigentlich so interpretationsfreudigen Jobs-Biografen, irgendwelche weiterführende Schlüsse aus der Tatsache zu ziehen, dass ihr Held mit ­Familie in einem (nicht mal rundum renovierten) Haus wohnte, dessen Kaufpreis Lichtjahre hinter den Möglichkeiten eines Multimilliardärs zurückgeblieben war. Offensichtlich hat sich die industrielle und kulturelle Revolution von Silicon Valley als eine Revolution der Immaterialität ereignet – «Les Immatériaux» war der (wie wir erst heute verstehen) visionäre Titel einer Ausstellung, mit der Jean-François Lyotard im Jahr 1985 im Centre Pompidou von Paris auf die ersten Symptome des elektronischen Zeitalters reagierte. Dieses Zeitalter hat sich mittlerweile, wie wir wissen, die Aufmerksamkeitsstrukturen, die Zeitbudgets, vielleicht sogar die Begierden der Zeit­ genossen unterworfen – und jedenfalls auch ihre Körpersprache, wie man immer wieder und ohne Ausnahme auf dem Weg vom Flugzeug zur Gepäckausgabe sehen kann, wenn die allermeisten Passagiere – nach Stunden der erzwungenen Enthaltsamkeit – mit dem iPhone am Ohr und nicht nur halblaut sprechend durch Hallen und Gänge eilen. Nichts hat die Welt so sehr und gewiss so nachhaltig geprägt wie Silicon Valley, aber was nun anders geworden ist, das drückt sich vor allem über undramatische Symptome aus. Tendenziell bleibt die jüngste Menschheitsrevolution so unsichtbar wie ihr Tal, das gar keins ist. Ich hatte einen Kollegen in Stanford, der die nicht nur akademisch verbindliche Geschichte des Silicon Valley schreiben wollte. Mittlerweile hat er die Universität in der Mitte des unsichtbaren Tals verlassen, lebte und lehrte im Südwesten des Landes und ist nun zu seiner Emeritierung nach Kalifornien zurückgekehrt, ohne dass jenes Buch fertig geworden oder gar erschienen wäre. So bleiben die Fragen nach dem Geheimnis dieses unscheinbaren Phänomens unbeantwortet. Warum hat sich gerade dort, um (damals noch unförmige) elektronische Rechenmaschinen her­ ­um, jene intellektuelle und industrielle Energie entfaltet, die die erste In-

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Unsichtbar, aber real: Das Geheimnis eines Nichtorts

tuition zu einer Industrie und über die Industrie zu einer wahren kultu­ rellen Revolution machte, im Vergleich zu der Maos kommunistische «Kulturrevolution» wie ein Kindergeburtstag mit schmerzhaften Folgen wirkt? Wie kommt es, dass – da ja das Silicon Valley offensichtlich ein Nichtort ist – auch die zweite Phase der Revolution «dort» stattfand, die mit der Steve-Jobs-Phase und all ihren Erfindungen erst eigentlich zu einer Lebens­form wurde? Ich meine den Apple-Screen und die Mouse, iPod, iPhone, iPad – und was an Apps weiter täglich kommt und kommen mag. Natürlich sind diese Fragen so unbeantwortbar (weil überkomplex – und deshalb banal) wie die Frage, warum Gutenberg ausgerechnet in Mainz die beweglichen Lettern erfand. «Zufall», sagt man da achselzuckend, oder «Kontingenz», als Intellektueller mit leicht gerunzelten Augenbrauen – und schickt die nächsten, interessanteren Fragen nach. Niemand muss im Silicon Valley wohnen, um «dort» zu arbeiten und «von dort» zu lernen. Warum kam Mark Zuckerberg von Massachusetts an die Pazifikküste? Oder, als Umkehrung derselben Frage: Warum entstehen im schwer industrialisierten Deutschland (im «Land der Zahnradindus­ trie», wie ich einen auch intellektuell einflussreichen deutschen Wirtschaftskapitän sagen hörte) kaum je elektronische Erfindungen? Warum schiessen andererseits in Silicon Valley immer neue Agenturen in die Welt, die den Strömen der lern- und kaufwütigen Besucher «Kontakte» versprechen? Schliesslich in abstrakter Frageform: Warum bleibt ausgerechnet die Revolution der Immaterialität so obsessiv an Silicon Valley als ihren (Nicht-)Ort gebunden? Ich kenne auch keine überzeugende Antwort auf diese Fragen, die doch entscheidend sind, wenn man die Produktivität von Silicon Valley verstehen und erfassen will. Eigenartigerweise gibt man sich dort mit oberflächlichen und immer wiederholten Standardlösungen zufrieden, die nur zeigen, dass Selbstbeobachtung und Selbstreflexion im lokalen intellektuellen Stil kaum eine Rolle spielen. Oft hat man auch von den «late­ralen» (gemeint ist: nicht hierarchischen) Organisationsformen der Arbeit in Silicon Valley gesprochen – und diese Bedingungen haben vielleicht mit jener Unsichtbarkeit und jenem unprätentiösen Stil zu tun, der eher die Absenz von Stil ist als das stilistisch schon immer ehrgeizige Understatement. Die Verschiedenheit der Gesichter, Körper und Akzente verliert an der amerikanischen Westküste etwas von ihrer distinktiven Schärfe (natürlich verschwindet sie nie ganz). Und weil sich dieser milde Glanz der

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Impressionen aus dem Silicon Valley

Neutralisierung über die lokale Kultur gelegt hat, so hört man, kehren die Unternehmer nicht ihre Überlegenheit hervor, während es andererseits die typischen «kleinen Angestellten» nicht zu Ressentiments verführt, obwohl sie wissen, wie viel tausend Mal mehr pro Tag die Firmengründer bei Google verdienen. Der klassische soziale Spannungen fast ganz aufhebende Neutralisierungseffekt setzt sich natürlich auch dahin fort, dass die stärksten Firmen Start-ups als potenzielle Konkurrenten der Zukunft in die Welt setzen. Keine gute Idee muss auf die Chance ihrer Realisierung verzichten – und trotzdem: Sollten sich die strukturellen Bedingungen des Silicon Valley und ihre Konsequenzen nicht gerade aus der Immaterialität der elektronischen Kommunikation überall herausbilden können, in Berlin, Mumbai, Singapur, Moskau und Sankt Gallen – ganz ohne Anbindung an einen spezifischen Ort? An manchen Tagen stelle ich mir vor, ich könnte die Energie des (Nicht-)Orts spüren wie ein permanentes Erdbeben, das Teil des alltäg­ lichen Lebens geworden ist. Aber könnte ich so ein Gefühl je haben, ohne zu wissen, wie nachhaltig Silicon Valley die Welt verändert hat? Gibt es etwas Objektives «hier», etwas, das in der Luft liegt oder die Erde vibrieren lässt, auf der wir uns bewegen? Es ist schwer, sich so einen Grund – im doppelten Sinn – ernsthaft und empirisch vorzustellen. Sollte es an der strahlenden Luminosität der allermeisten kalifornischen Tage liegen? Immerhin fasziniert die nordamerikanische Westküste unsere Welt nun schon zum dritten Mal – nach dem Gold Rush und nach Hollywood.

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Steve Jobs oder Vom kalifornischen Totenkult

Für einen sechs- oder siebenfachen Milliardär (bei dieser gar nicht so erstaunlichen Höhe liegen die Schätzungen des von ihm hinterlassenen Vermögens) lebte Steve Jobs bescheiden. Sein unauffälliges Haus liegt nahe bei einer Highschool in der Kleinstadt Palo Alto, neben den Häusern von Pastoren, Restaurantbesitzern und Professoren. Er scheint sich nicht interessiert zu haben für die besten Wohnlagen auf den Hügeln zwischen der Bay von San Francisco und dem Pazifik, wo die anderen Milliardäre ihre Schlösser aufstellen und eher mit Ausmass als durch exquisiten Geschmack beeindrucken. Im ersten aller Apple Stores, auf der University Avenue in Downtown Palo Alto, sah man ihn öfter mit Kunden oder Verkäufern sprechen, und die Kellner von «Jin Sho», dem besten japanischen Re­ staurant vor Ort, erzählen, dass sie zweimal pro Woche mit ihm rechneten. Seit die New York Times am Tag nach Jobs’ Tod «Jin Sho» auf der ersten Seite erwähnte, weil er dorthin zum letzten Essen seines Lebens mit einem Freund gegangen war, ist die Zahl der Reservierungen so sehr gestiegen, dass der Besitzer nun daran denkt, in der Nachbarschaft zu expandieren. Auf meinem Apple-Computer kann ich in den Tagen nach Steve Jobs’ Tod nicht zu den üblichen Internetfunktionen gelangen, ohne für den Moment des Klicks einem ernst-freundlichen Jobs in die Augen zu blicken. Vor Jobs’ Haus sammeln sich weiter, am zweiten Wochenende nach seiner ­Beerdigung nun schon, Blumen, Briefe und angebissene Äpfel. Auch die Fenster des Apple Stores auf der University Avenue werden Tag für Tag mit Botschaften und Grüssen bedeckt, die seine Bewunderer an den Toten schrei­ben und dort anbringen. Dieser Laden ist das biografisch markierte

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und nun von investierten kollektiven Gefühlen geladene Zentrum eines neuen Kults geworden, der von dort über elektronische Bahnen auf Apple Stores und Bildschirme der ganzen Welt ausstrahlt. Ich möchte den Kult ernst nehmen – ein Kult, der mich sehr überrascht hat und dem ich räumlich ebenso nah wie affektiv fern bin. Welches Bedürfnis kommt in ihm zum Vorschein, und handelt es sich womöglich um ein neues Bedürfnis, das Bedürfnis eines neuen Zeitalters? In den Kulturwissenschaften hat sich seit geraumer Zeit die These durchgesetzt, wonach die «Stars» unserer Gegenwart (das Wort ist seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Gebrauch) als säkularisierte Version und als Funktionsäquivalent der nicht allein christlichen Heiligen angesehen werden. Und weil man Steve Jobs ja immer wieder als den Star des Silicon Valley gefeiert hat, ergibt sich beinahe zwingend die Frage, ob die Anhänger des neuen Totenkults ihn nicht als einen Quasi-Heiligen verehren. Heilige und die Legenden, die ihr Leben erzählen, haben schon immer vor allem drei Funktionen erfüllt. Heilige werden als Verkörperungen und mithin als Illustrationen bestimmter Tugenden erfahren. In der Nähe zu den Orten ihres vergangenen Lebens und in der Gegenwart ihrer Reliquien steigt zweitens die Hoffnung auf göttliche Hilfe und auf Interventionen durch Wunder. Schliesslich sollen Heilige als Fürsprecher zwischen den Menschen und Gott vermitteln. Vor diesem Hintergrund stellt sich nun – einigermassen überraschend und deutlich – heraus, dass sein Kult Steve Jobs offenbar nicht zum Heiligen macht. Denn buchstäblich keine der weiterhin täglich erneuerten Botschaften an ihn unterstellt, dass er Tugenden in einer besonders markanten Weise verkörpert habe. Doch die sich schnell verbreitenden und bestärkenden gegenläufigen Gerüchte, wonach Jobs eher ein unangenehmer Kollege und Zeitgenosse gewesen sein muss, tun der Verehrung keinen Abbruch. Ebenso wenig verschwendet irgendjemand einen Gedanken oder gar eine Hoffnung auf die Möglichkeit, dass in der Nähe des ersten Apple Stores etwa ein Wunder als Ereignis die Kontinuität des Alltags durchbrechen könnte. Und mit wem, mit welcher spezifischen «höheren Ebene» sollte der verstorbene Steve Jobs seine Bewunderer wohl vermitteln – oder vermittelt haben? Der Kult nimmt seinen Ursprung zwar in der amerikanischen Welt unserer Gegenwart, wo die meisten Individuen für das private Leben eine Religion wählen und ihr treu bleiben. Eine hinreichend unspezifische gemeinsame Vorstellung von einer die alltägliche

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Steve Jobs oder Vom kalifornischen Totenkult

Welt übersteigenden Sphäre, an die die Gläubigen verschiedener Konfessionen und Religionen anschliessen könnten, gibt es jedoch gerade dort schon längst nicht mehr. Vielleicht hilft unserem Verständnis besser als die These von Jobs’ Heiligkeit ein biografisches Detail weiter, das zu erwähnen und ernst zu nehmen zunächst wie ein Sakrileg wirkt. Der junge Steve Jobs soll zu einer Halloween-Party als Jesus Christus verkleidet erschienen sein. Anders als die Heiligen erfüllt die Figur von Jesus Christus ja eben nicht die Funktion, Menschen mit Gott zu vermitteln – vielmehr ist Jesus Christus aus der Sicht christlicher Theologie selbst eine Dimension des «dreieinigen Gottes». Er ist Gott als Verkörperung, Gott, wie er unter den Menschen leben konnte – und genau um diesen Aspekt geht es mir. Denn die Lebensleistung von Steve Jobs hatte sich ja nicht darin verwirklicht, neue naturwissenschaft­ liche Entdeckungen gemacht oder neue technische Möglichkeiten erfunden zu haben. Vielmehr hat er die bestehenden Möglichkeiten der elektronischen Technologie über Dispositive wie den Apple-Bildschirm und die Maus, das iPhone und das iPad ins Alltagsleben gebracht und zu einem Teil des gelebten Alltags werden lassen, so wie Jesus Christus die Konkretisierung und Vergegenwärtigung Gottes im Alltag sein wollte. Eben weil es ihm um Konkretisierung, Vergegenwärtigung und mithin um das Erlebbarmachen neuer Möglichkeiten der Technik ging, war Jobs so konzentriert auf ästhetische Details, ja wahrhaft besessen von ihrer Optimierung. Und genau auf diese Weise, über eine Ästhetik, die technisches Potenzial mit dem Alltagsleben vermittelte, haben Jobs und Apple am Ende den Konkurrenten Microsoft hinter sich gelassen. Für dieses Erlebbarmachen sind ihm viele Millionen Menschen dankbar, und vor allem deshalb erinnern sie sich an ihn. «You made my world a happier place. I will carry your inspiration in my happy moments for the rest of my life», habe ich auf einem der Sticker am Fenster des Apple Stores gelesen. Oder, spezifischer: «Thank you for your vision. Your products helped my daughter forget her pain during my hospital stay this summer.» Auch Jesus Christus hat für seine Gläubigen die «Welt zu einem glücklicheren Ort gemacht», indem er sie von der Erbsünde erlöste. Weil ich aber die aufgezeigte Konvergenz zwischen Jobs und der Christusfigur nicht zu einer Vollständigkeitsobsession geraten lassen will, ist es wichtig, zunächst einmal festzustellen, dass ein Äquivalent zum Mythos der Erlösung in der Jobs-Geschichte und im Jobs-Kult nicht zu existieren scheint.

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Impressionen aus dem Silicon Valley

Die Vielfalt anderer Affinitäten hingegen ist erstaunlich. Wie Jesus Christus ist Jobs früh, aber doch im erfüllten Alter gestorben (man geht wohl nicht zu weit, wenn man sagt, dass die 33 Jahre des Sterbealters von Jesus Christus in seiner Welt einen ähnlichen Stellenwert gehabt haben müssen wie die 56 Jahre, die Steve Jobs gelebt hat). Keine der Botschaften an Jobs klagt je darüber, dass er zu früh gestorben sei – so wenig wie die Evangelien dies im Blick auf Jesus tun. Beide hatten die ihnen vom Schicksal zugewiesene Aufgabe erfüllt. Wie es in den Geschichten über Jesus Christus der Fall ist, hat das Leben von Steve Jobs unter aussergewöhnlichen Bedingungen begonnen. Von einer unverheirateten Mutter und als Sohn eines syrischen Vaters einer Adoptivfamilie übergeben worden zu sein, das entspricht zwar nicht ganz einer Jungfrauengeburt, doch diese beiden Lebensanfänge stellen eine Distanz her zwischen dem zu Höherem geborenen Kind und jenen Eltern, bei denen es aufwächst. Wie im Leben von Jesus Christus schliesslich, das hatte ich eingangs bereits erwähnt, gibt es nun in der Geschichte von Steve Jobs sogar ein «letztes Abendmahl». Vor allem die Konvergenz zahlreicher individueller Gefühle von Dankbarkeit – und nicht eine kollektive und deshalb abstrakte Dankbarkeit – trägt den Steve-Jobs-Kult. Seine Bewunderer sprechen über ihn – und zu ihm – wie zu einem vertrauten Freund, der noch am Leben ist. Neben das «Thank you for everything» werden immer wieder kleine Herzchen gemalt. «Steve Jobs you were awesome!» «Thanks for sharing your gift.» «You are my hero and inspiration to be better and ‹different› in life.» Und sie alle, die dem toten Steve Jobs schreiben, unterstellen, dass er in einer anderen Sphäre, im Himmel der technologischen Welt sozusagen, weiterlebt. Man scheint sich dies – wie bei Jesus Christus – eher als eine Rückkehr zu einer höheren Sphäre vorzustellen und weniger – wie bei den (anderen) Sterb­ lichen – als Belohnung für ein vorbildlich geführtes Alltagsleben. Doch welches Bedürfnis unserer Welt sollte in diesem Kult seine Konkretisierung, Erscheinung und Erfüllung gefunden haben? Natürlich wird man die These noch einmal erwähnen, dass in einer Kultur, die ihre religiösen Horizonte weitgehend verloren hat, Sehnsüchte nach einer «höheren Sphäre» wohl unvermeidlich nach Möglichkeiten ihrer Vergegenständlichung suchen. Aber genau die zentrale Voraussetzung dieser These trifft ja auf die Privatsphäre in den Vereinigten Staaten gerade nicht zu. Dort leben die meisten Menschen mit einer individuellen Vorstellung vom Himmel. Die Mehrzahl jener Verehrer, die Steve Jobs nach seinem Tod per-

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Steve Jobs oder Vom kalifornischen Totenkult

sönliche Worte voller Dankbarkeit geschrieben haben, werden am Wochenende den Gottesdienst einer expliziten und offiziellen Religion besuchen – und dort zu anderen Göttern beten. Vielleicht muss es also im Jobs-Kult doch noch einen zusätzlichen Aspekt von Erlösung geben, der freilich ohne Erbsünde und Selbstopfer auskommt. Vielleicht ist es nicht genau genug zu sagen, dass Steve Jobs die – abstrakten und sozusagen «neutralen» – Möglichkeiten der Technologie ins Alltagsleben gebracht hat. Indem er jene Möglichkeiten in Phänomene des «Zuhandenen» verwandelte, hat er auch und vor allem einen Teil jener Furcht gebannt, die lange Zeit mit der Technologie verbunden war (und als Potenzial für immer mit ihr verbunden bleiben wird). Technologie, das kann die Bedrohung nuklearer Verstrahlung und nuklearer Waffen sein, die Zerstörung der überlebensnotwendigen Biosphäre und der Atmosphäre, die absolute Kontrolle individuellen Verhaltens, aber auch die Zerstörung und Manipulation jener Veranlagungen, die man genetisch an neue Generationen weitergeben möchte. Doch seit es die Ästhetik der Apple-Produkte gibt, steht uns Technologie nicht mehr als mögliche Bedrohung gegenüber. In einem Apple-Computer oder in einem iPad wird Technologie, statt zu bedrohen, zu einer Annäherung an und einer Öffnung auf die Welt. Sie wird uns nahe und zugänglich in vielfachen Dimensionen, mit deren Sinnlichkeit wir nicht gerechnet hatten. Das ist die neue Zuhandenheit der Welt, die sich nun wie ein weicher Handschuh über unser Leben ziehen kann. Und dies genau vergegenwärtigen und feiern, ohne dafür abstrakte Begriffe zu brauchen, die Momente und die Dauer des Kults von Steve Jobs. Ich sehe in der Gegenwart zumindest keinen Grund für jene «kritische Intervention», die sich Intellektuelle sonst so gern abverlangen – oder anmas­ sen. Ob das, was Jobs geleistet hat, die Angst vor der Technologie auf Dauer bannen wird, ist eine ganz andere Frage.

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«Wir erschaffen eine künstliche Superintelligenz, die selbst lernt»: Die jungen Wilden im Silicon Valley René Scheu spricht mit Sam Ginn in Stanford.

Eben noch sassen wir gemeinsam in einem Vorlesungssaal und lauschten den gelehrten Ausführungen einiger hoch gehandelter Professoren. Nun haben wir Platz genommen auf einer beschatteten Holzbank im Campus der Stanford University und atmen tief durch. Sam Ginn, der im April 2018 seinen 21. Geburtstag feierte, wirkt relaxed wie immer. Man merkt ihm nicht an, dass er ein ebenso gefragter wie gehetzter Mann ist. Er macht den Eindruck eines normalen Undergraduate, der zufälligerweise zwei ziemlich unterschiedliche Fächer studiert, nämlich Computerwissenschaften und Komparatistik, Letzteres unter anderem bei Robert Harrison. Doch gilt Ginn auf dem Campus als eines der Wunderkinder in der Erforschung der künstlichen Intelligenz. Wenn er gerade keine Vorlesungen besucht, treibt er sich im Stanford Artificial Intelligence Lab herum. Und wenn er nicht im Lab ist, fliegt er durch die USA, um seine Software unter die Leute zu bringen. Zusammen mit seinem Kommilitonen Faraz Fadavi hat er das Start-up Vetspire gegründet. Ihr Hauptprodukt ist ein Tool, das Veterinärmedizinern erlaubt, ihre Protokolle in Windeseile zu erstellen – sie reden, das Programm ordnet alles und gibt auch gleich noch Vorschläge für Indikationen, weil es menschliche Sprache versteht. Erste Veterinärkliniken haben mit der Software zu arbeiten begonnen, aus gutem Grund: Auf eine Stunde Untersuchung kommen gemeinhin eine bis zwei Stunden Protokollierung. Fällt diese Arbeit weg, gewinnen die Ärzte Zeit – und sie generieren

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Gespräche

Daten, die wiederum anderen Ärzten helfen, bessere Diagnosen zu erstellen. Wenn es um Software geht, spielt der Netzwerkeffekt stets die entscheidende Rolle: Je mehr mitmachen, desto grösser ist der Nutzen jener, die mitmachen. Und desto grösser ist zugleich der Profit des Unternehmens. Win-win, happiness for everyone. Ginn und seine Kumpane wollen die Software perfektionieren und demnächst auch an Arztpraxen und Krankenhäuser vertreiben. Sie orten grosses Businesspotenzial – und so bescheiden Ginn in seinem Auftreten rüberkommt, so unbescheiden sind seine Erwartungen: «Wenn mir jemand 500 Millionen Dollar bietet, würde ich das Start-up verkaufen.» Pause. «Darunter nicht.» Sollte er scheitern, baut er eben die nächste Firma auf, die mehr Erfolg hat. Ihm geht es nicht um das Geld, sondern um das Können. Um Fun. Und um ein intensives Leben. Von sich aus kommt er auf die ETH Zürich zu sprechen, die er lobt. Von einem Investor hat er gehört, dass es nicht das Kapital sei, das die Schweiz vom Silicon Valley unterscheidet. Es sei auch nicht das Niveau der Bildung. Und auch in Zürich hätten sie kluge Köpfe. Es ist der Mindset. Sam sagt: «Wir glauben hier tatsächlich, dass wir gerade dabei sind, die Welt zu erobern.» Pause. «Wir wissen, dass uns der Rest der Welt dafür belächelt. Aber es stört uns nicht im Geringsten.» Sam Ginn, wir haben uns in einem Seminar über Glückseligkeit kennengelernt. Sie gelten hier in Stanford als grosser Heidegger-Kenner, trotz ihres zarten Alters von erst zwanzig Jahren. Doch eigentlich sind Sie einer, der Codes schreibt. Verraten Sie mir: Woran arbeiten Sie genau? An etwas, das hier viele gerade ziemlich stark fasziniert: Ich beschäftige mich mit künstlicher Intelligenz. Mein Fokus liegt auf der Verarbeitung natürlicher Sprache. Ich arbeite sozusagen an einem Code, der es Computern ermöglichen soll, die menschliche Sprache in ihrer ganzen Komplexität zu verstehen. Ganz konkret: Wäre Ihr Programm in der Lage, unser Gespräch nicht nur zu transkribieren, sondern – wie soll ich sagen – dessen Gehalt auch zu begreifen? Im Idealfall wäre es das. Doch habe ich mich erst mal auf die Sprache der Medizin fokussiert. Das Programm ist imstande, den Sinn eines Diskurses zu verstehen, in diesem Fall: den Sinn eines medizinischen Protokolls.

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Die jungen Wilden im Silicon Valley

Dar­­um kann es den Inhalt variieren, in Form von Protokollen, Zusammenfassungen oder Schlussfolgerungen. Das ist schon mal ziemlich neu. Aber nun wird es erst richtig spannend. Der Code beruht auf dem Prinzip dessen, was wir interaktives Sprachlernen nennen: Je mehr Gespräche er versteht, desto besser versteht er sie. Wenn rechenstarke Lernfähigkeit auf grosse Datenmengen trifft, dürfte die Quantität dereinst in Qualität umschlagen – dann wird der Code alles erfassen, was Menschen von sich geben, vom Alltag bis zur Philosophie. Wir stehen hier erst am Anfang, aber die Aussichten sind schlicht atemberaubend. Machen wir erst einmal einen Schritt zurück. In welchem theoretischen ­Rahmen bewegen Sie sich? Welche Sprachtheorien machen Sie sich zunutze? Das ist ein interessanter Punkt. Wir haben in Stanford zwei Departments, eines für Linguistik und eines für Computerwissenschaften. Sie arbeiten sehr eng zusammen. In der Linguistik haben Sie viele Leute, die sich beispielsweise mit Noam Chomskys Generativer Grammatik befassen. Wir Verfasser von Codes arbeiten hingegen viel pragmatischer. Am Anfang steht nicht die richtige Theorie, sondern die Praxis. Wir programmieren selbstlernende Algorithmen, die wir mit Daten füttern – und wenn der Algorithmus in der Praxis etwas taugt, erlaubt uns dies Rückschlüsse auf eine Theorie der menschlichen Sprache. Das stellt einen völlig neuen Zugang dar. Seit wann verfolgen Sie ihn? Die Wende geschah um das Jahr 2012 herum. Wir merkten: Wenn wir topdown vorgehen, kommen wir nicht mehr weiter. Das ist die Kernkompetenz der Wissenschaft: Sie formuliert universelle Regeln – und erklärt daraus die Sprache, die Welt, was auch immer. Wir gehen nun aber gerade umgekehrt vor: Wir beginnen mit dem Nullpunkt der Theorie. Der Computer hat keine Ahnung von Sprache, Grammatik, Semantik. Doch er lernt – und am Ende versteht er unser Gespräch. Was hat es mit dem Jahr 2012 auf sich? Selbstlernende Algorithmen bedürfen einer hohen Rechenleistung und grosser Datenmengen, damit sie ihre Stärken ausspielen können. Die Hardware, die dazu in der Lage ist, war erst 2012 gegeben – und seither geht es rasant voran.

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Gespräche

Google hat jüngst einen Entwicklungsschritt verbucht, als es mit seinem Programm AlphaGo den Profi-Go-Spieler Lee Sedol niedermachte. Noch vor zehn Jahren wäre ein solcher Matchausgang undenkbar gewesen. Wohnen wir einer Wende in der Leistungsfähigkeit der künstlichen Intel­ ligenz bei? Davon bin ich überzeugt. Jahrzehntelang versuchten Menschen, die besten Go-Strategien zu programmieren – mit mässigem Erfolg. Dann kamen sie auf die Idee, ein Programm zu entwickeln, das millionenfach gegen sich selbst spielt, um so zu lernen. Und die Lerneffekte waren so krass, dass der beste menschliche Go-Spieler gegen AlphaGo nicht mehr den Hauch einer Chance hat. Diese Art des Deep Learning wird dereinst zweifellos als Revolution gelten: Es gibt eine Zeit davor und eine Zeit danach. Und dabei stehen wir in der Entwicklung noch ganz am Anfang. Die grosse Revolution wurde schon mehrfach ausgerufen, ohne dass sie tatsächlich eintraf. Aber kommen wir nun zurück zu Ihnen. Worin besteht genau Ihr neuer Zugang zu künstlicher Intelligenz? Bis zum heutigen Tag ist es so, dass ein Algorithmus mit möglichst gros­ sen Datenmengen gefüttert wird. Er erkennt Muster, und diese Muster ­erlauben ihm, die Sprache zu ordnen. Das ist der cartesianische Weg: Das Ego, also der Computer, sammelt die Daten, die von aussen kommen, verarbeitet sie – und heraus kommt eine Intelligenz, die Sprache in bestimmten Grenzen versteht. Das läuft sehr gut, die Programme sind erfolgreich. Aber entweder haben Sie ein Programm, das stark in Go ist, oder eines, das stark in Spracherkennung ist. Was fehlt, ist eine allgemeinere Intelligenz, die sich auf alle möglichen Gebiete anwenden lässt – und überall lernt. Eine solche Software wäre nahe an der menschlichen Intelligenz. Um im Beispiel zu bleiben: Der Go-Spieler, der gegen AlphaGo verloren hat, hat auch ein Leben neben dem Brett. Dort muss er sich durchschlagen, also essen, Menschen verstehen, Auto fahren, sich in der Stadt orientieren, einkaufen gehen. Sie arbeiten also an der Entwicklung einer solchen menschenähnlichen Intelligenz? Sie spitzen zu – aber ja, ich bin fasziniert von der Idee einer allgemeinen künstlichen Intelligenz, die aus Interaktionen zwischen Menschen lernt. Sie könnte nicht nur ein bestimmtes Problem bestmöglich lösen, sie

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Publikationen

Quellen und Dank

Die Einleitung von René Scheu und der Text von Hans Ulrich Gumbrecht am Anfang sowie das autobiografische Gespräch am Ende des Buchs sind Erstveröffentlichungen. Sie bilden die Klammer des publizistischen Projekts. Die weiteren in diesem Band enthaltenen Texte sind bei unterschiedlichen Gelegenheiten und in verschiedenen Kontexten zwischen 2010 und 2018 entstanden. Sie alle wurden für diese Publikation redaktionell überarbeitet und aktualisiert, doch wurde zugleich darauf geachtet, die ursprüngliche Diktion beizubehalten. Die Texte erschienen zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung und im Blog der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, mit zwei Ausnahmen: Ein Essay wurde für das liberale Debattenmagazin Schweizer Monat und einer für die Welt verfasst. Autor und Herausgeber danken den Verlagen für die Erlaubnis zum Wiederabdruck.

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Herausgeber

René Scheu (*1974), Dr. phil., studierte Philosophie und Italianistik an den Universitäten Zürich und Triest und promovierte mit einer Arbeit über zeitgenössische italienische Philosophie. Von 2007 bis 2015 war er Herausgeber und Chefredaktor des liberalen Debattenmagazins Schweizer Monat. Seit 2016 ist er Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung. Er hat zahlreiche Bücher herausgegeben und übersetzt.

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In der gleichen Reihe:

Der Glanz der Vergangenheit Über den Geist der Reaktion Herausgegeben und mit einem Vorwort von René Scheu 144 Seiten, Broschur ISBN 978-3-03823-323-3 Die Revolutionäre der Gegenwart sind die Reaktionäre. Der amerikanische Ideenforscher Mark Lilla analysiert ihre Denk- und Handlungsmuster anhand bedeutender moderner Denker und aktueller Phänomene. Seine Sicht birgt Zündstoff. Aber auch wer Lil­las Darstellung nicht teilt, liest sie mit Gewinn. Denn sowohl in den USA wie auch in Europa weht ein reaktionärer Geist. Lillas Buch ist insofern das Buch der Stunde. Der Autor erweist dem Reaktionär nicht die Ehre, sondern entledigt ihn seiner Ideenkleider und verwandelt ihn in einen politischen Gegner, der sich fassen lässt. «Lilla ist ein Denker, der nicht nur gerne zwischen den Stühlen zu sitzen kommt, sondern dieselben auch noch auf ungewohnte Weise anordnet. Der sagt, Reaktionäre seien Radikale – und sie könnten interessant sein.»  Katharina Döbler, Deutschlandfunk Kultur NZZ Libro www.nzz-libro.ch

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Hans Ulrich Gumbrecht (* 1948) lehrte von 1989 bis 2018 als Albert Guérard Professor in Literatur an der Stanford University in Kalifornien. Schwerpunkte seiner Reflexion und seiner Schriften sind die westliche Philosophie seit dem 18. Jahrhundert, die romanischen Literaturen und die Ästhetik des Sports. Er schreibt regelmässig für die Neue Zürcher Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, für Die Zeit, Weltwoche und Estado de São Paulo. Er hat vier erwachsene Kinder und lebt mit der Malerin Ricky Gumbrecht in Palo Alto, Kalifornien.

Herausgegeben und mit einer Einleitung von René Scheu, Feuilleton-Chef der Neuen Zürcher Zeitung.

www.nzz-libro.ch UG_Gumbrecht_Weltgeist_Klappenbroschur_02_HI-RES.indd 1

«Was die Elektronikspezialisten und ihr Denken in den ­vergangenen dreissig Jahren erfunden haben, waren nicht mehr ‹ wissenschaftliche › Lösungen von Problemen, sondern erste und dann immer entschlossenere Schritte zur Umgestaltung der vertrauten Welt. (...) Erfolgreich schreibe elektronische Codes allein, so erfährt man von den Praktikern, wer seinen individuellen, weder begrifflich noch mathematisch fassbaren Intuitionen vertraue. Denn offenbar entsteht am Anfang einer ­jeden Aufgabe, die man sich in dieser Dimension stellt, der Anschein einer Überkomplexität von Verfahrensmöglichkeiten, die in rein rationaler Weise nicht zu reduzieren oder gar p ­ roduktiv zu verarbeiten ist. (…) Die Denkform von Inge­nieuren und Designern liesse sich deshalb als ‹Kontem­pla­tion› beschreiben, das heisst als eine fokussierte und z­ ugleich entspannte Konzentration, die offen für das Un­erwartete der eigenen Intuitionen und das unerwartete andere ist. Kontemplation, das wissen wir aus der ­Tradition der Mystik, vollzieht sich am produktivsten in der Nähe zur Imagination, also in der Nähe zu Bildern und Visionen, die aus körperlicher Vertrautheit mit der Welt (eher denn aus abstrakten Begriffen) entspringen. Kontemplation und Imagination schliesslich gedeihen am ­besten unter der Rahmenbedingung einer Kopräsenz ­verschiedener Denkformen in wechselseitiger Offenheit.»

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Wenn Hegel heute die Frage nach dem Ort des Weltgeists stellte, würde ihn die Antwort bis ins Silicon Valley führen. Palo Alto, Cupertino oder Mountain View heissen die unscheinbaren Vororte, in denen die radikal optimistischen Denker und Macher unserer Gegenwart gerade die technische Zukunft erfinden. Diese jungen Seelen bilden das Intensitätszentrum einer neuen Welt, deren Vermessung und kritische Analyse eben erst begonnen hat. Direkt am Pazifik arbeiten sie an einer Denkkultur, die die philosophischen Traditionen alteuropäischen Zuschnitts mit dem amerikanischen Pragmatismus zur Konvergenz bringt. Hans Ulrich Gumbrecht, der fast 30 Jahre an der Stanford University lehrte, macht diesen neuen Geist ebenso fass- wie erfahrbar.

ISBN 978-3-03810-374-5

Weltgeist im Silicon Valley Leben und Denken im Zukunftsmodus

Hans Ulrich Gumbrecht

© Christoph Ruckstuhl

«Vor Hans Ulrich Gumbrecht ist nichts sicher, was zum Denken anregt.» Sarah Pines, Neue Zürcher Zeitung

Weltgeist im Silicon Valley

Hans Ulrich Gumbrecht

NZZ Libro

02.09.18 17:29


Hans Ulrich Gumbrecht (* 1948) lehrte von 1989 bis 2018 als Albert Guérard Professor in Literatur an der Stanford University in Kalifornien. Schwerpunkte seiner Reflexion und seiner Schriften sind die westliche Philosophie seit dem 18. Jahrhundert, die romanischen Literaturen und die Ästhetik des Sports. Er schreibt regelmässig für die Neue Zürcher Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, für Die Zeit, Weltwoche und Estado de São Paulo. Er hat vier erwachsene Kinder und lebt mit der Malerin Ricky Gumbrecht in Palo Alto, Kalifornien.

Herausgegeben und mit einer Einleitung von René Scheu, Feuilleton-Chef der Neuen Zürcher Zeitung.

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«Was die Elektronikspezialisten und ihr Denken in den ­vergangenen dreissig Jahren erfunden haben, waren nicht mehr ‹ wissenschaftliche › Lösungen von Problemen, sondern erste und dann immer entschlossenere Schritte zur Umgestaltung der vertrauten Welt. (...) Erfolgreich schreibe elektronische Codes allein, so erfährt man von den Praktikern, wer seinen individuellen, weder begrifflich noch mathematisch fassbaren Intuitionen vertraue. Denn offenbar entsteht am Anfang einer ­jeden Aufgabe, die man sich in dieser Dimension stellt, der Anschein einer Überkomplexität von Verfahrensmöglichkeiten, die in rein rationaler Weise nicht zu reduzieren oder gar p ­ roduktiv zu verarbeiten ist. (…) Die Denkform von Inge­nieuren und Designern liesse sich deshalb als ‹Kontem­pla­tion› beschreiben, das heisst als eine fokussierte und z­ ugleich entspannte Konzentration, die offen für das Un­erwartete der eigenen Intuitionen und das unerwartete andere ist. Kontemplation, das wissen wir aus der ­Tradition der Mystik, vollzieht sich am produktivsten in der Nähe zur Imagination, also in der Nähe zu Bildern und Visionen, die aus körperlicher Vertrautheit mit der Welt (eher denn aus abstrakten Begriffen) entspringen. Kontemplation und Imagination schliesslich gedeihen am ­besten unter der Rahmenbedingung einer Kopräsenz ­verschiedener Denkformen in wechselseitiger Offenheit.»

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Wenn Hegel heute die Frage nach dem Ort des Weltgeists stellte, würde ihn die Antwort bis ins Silicon Valley führen. Palo Alto, Cupertino oder Mountain View heissen die unscheinbaren Vororte, in denen die radikal optimistischen Denker und Macher unserer Gegenwart gerade die technische Zukunft erfinden. Diese jungen Seelen bilden das Intensitätszentrum einer neuen Welt, deren Vermessung und kritische Analyse eben erst begonnen hat. Direkt am Pazifik arbeiten sie an einer Denkkultur, die die philosophischen Traditionen alteuropäischen Zuschnitts mit dem amerikanischen Pragmatismus zur Konvergenz bringt. Hans Ulrich Gumbrecht, der fast 30 Jahre an der Stanford University lehrte, macht diesen neuen Geist ebenso fass- wie erfahrbar.

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Weltgeist im Silicon Valley Leben und Denken im Zukunftsmodus

Hans Ulrich Gumbrecht

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«Vor Hans Ulrich Gumbrecht ist nichts sicher, was zum Denken anregt.» Sarah Pines, Neue Zürcher Zeitung

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