Völkerrecht kompakt
Daniel Högger, Cristina Verones (Hrsg.)
Presse und Politik konfrontieren uns täglich mit Begriffen wie « bewaffneter Konflikt », « internationale Verhandlung » oder « Menschenrechte ». Alle haben sie mit Völkerrecht zu tun. Gerade für den Kleinstaat Schweiz ist das Völkerrecht unentbehrlich zur Bewältigung der zahlreichen, oft auch grenzüberschreitenden Herausforderungen unserer Welt, wie etwa der Klimawandel, die Flüchtlingskrise und die globale Wirtschaftsordnung. Das Völkerrecht ist also viel mehr als ein abstrakter Begriff. Aber was ist es genau ? Woher kommt es ? Was regelt es, und wie wird es durchgesetzt ? Wer kann völkerrechtlich handeln ? Diesem Buch gelingt es, diese und weitere Fragen zum Völkerrecht fachkundig zu beantworten und diese komplexe, uns alle betreffende Materie einfach und verständlich darzustellen.
Daniel Högger, Cristina Verones (Hrsg.)
Völkerrecht kompakt
Eine komplexe und für die Schweiz bedeutsame Materie kurz und verständlich erklärt
ISBN 978-3-03810-180-2
www.nzz-libro.ch
foraus – Forum Aussenpolitik Verlag Neue Zürcher Zeitung
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© 2016 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich Lektorat: Marcel Holliger, Zürich Umschlag: Katarina Lang, Zürich Gestaltung, Satz: Claudia Wild, Konstanz Druck, Einband: Kösel GmbH, Altusried-Krugzell Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-03810-180-2 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung
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Inhalt
Autorenschaft Vorwort Abkürzungsverzeichnis
11 13 15
1
Einleitung: Völkerrecht im Alltag
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Was ist Recht?
23
3
Was versteht man unter Völkerrecht?
3.1 3.2 3.3 3.4
Begriff Besonderheiten des Völkerrechts Völkerrecht und Ethik Völkerrecht und Macht
27 27 28 30 31
4
Wie entstand das Völkerrecht?
4.1 Vorformen des Völkerrechts (vor 1648) 4.1.1 Frühstadien 4.1.2 Die mittelalterliche Rechtsgemeinschaft 4.2 Das klassische Völkerrecht (1648–1919) 4.2.1 Der Westfälische Friede 4.2.2 Der Wiener Kongress 4.3 Das moderne Völkerrecht (1919 bis heute) 4.3.1 Die Gründung des Völkerbunds nach dem Ersten Weltkrieg 4.3.2 Die Vereinten Nationen in der Nachkriegszeit (1945–1989) 4.3.3 Das Völkerrecht der Gegenwart (seit 1989)
33 33 33 34 35 35 36 39
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40 42
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Inhalt
5
Wo findet man das Völkerrecht?
45 45 48 51 51 52 53 53 54 55
5.1 Verträge 5.2 Gewohnheitsrecht 5.2.1 «Ius cogens» – zwingendes Völkerrecht 5.3 Allgemeine Rechtsgrundsätze 5.4 Weitere Quellen 5.4.1 Einseitige Erklärungen von Staaten 5.4.2 Akte internationaler Organisationen 5.4.3 «Soft law» 5.4.4 Rechtsprechung und Lehre
6
Wer kann völkerrechtlich handeln?
6.1 Was ist ein Völkerrechtssubjekt? 6.2 Staaten 6.2.1 Staatsbegriff 6.2.2 Anerkennung von Staaten 6.2.3 Verantwortlichkeit von Staaten 6.3 Internationale Organisationen 6.3.1 Allgemeines 6.3.2 Die UNO als bedeutende internationale Organisation 6.4 Individuen 6.5 Nichtregierungsorganisationen (NGO)
57 57 57 57 61 63 65 65
73 83 85
7
Welche Lebensbereiche regelt das Völkerrecht?
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 7.8
Menschenrechte Flüchtlingsrecht Humanitäres Völkerrecht Völkerstrafrecht Wirtschaftsvölkerrecht Umweltvölkerrecht Luft- und Weltraumrecht Hochseerecht
89 90 96 101 105 108 112 116 118
8
Wie wird Gewaltanwendung im Völkerrecht gehandhabt?
8.1 Grundprinzip: das Gewaltverbot der UNO-Charta 8.2 Ausnahmen vom Gewaltverbot 8.2.1 Der Selbstverteidigungsfall
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Inhalt
8.2.2 Militärische Zwangsmassnahmen 8.2.3 Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland 8.2.4 Humanitäre Intervention 8.3 Kollektive Sicherheit durch den UNO-Sicherheitsrat 8.3.1 Friedliche Streitbeilegung 8.3.2 Zwangsmassnahmen 8.3.3 Friedenserhaltende und friedensschaffende Massnahmen
125 125 126 129 129 129
131
9
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Wie wird das Völkerrecht durchgesetzt?
9.1 Internationale Gerichte und gerichtsähnliche Instanzen 9.1.1 Universelle Gerichte für Streitigkeiten zwischen Staaten 9.1.2 Internationale Strafgerichte 9.1.3 Regionale Menschenrechtsgerichtshöfe 9.1.4 Regionale Gerichte für andere Streitigkeiten zwischen Staaten 9.1.5 Gerichtsähnliche Instanzen 9.2 Zwischenstaatliche Durchsetzung von Völkerrecht 9.2.1 Suspension und Beendigung von völkerrechtlichen Verträgen 9.2.2 Retorsion und Gegenmassnahmen
135 136 138 142 145 146 147 147 149
151 151 153 154 155 157
11 Schlusswort
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Glossar Weiterführende Literatur Abbildungsnachweis
161 171 175
10
Wie wirkt das Völkerrecht innerhalb der Schweiz?
10.1 10.2 10.3 10.4 10.5
Stellung des Völkerrechts Monismus/Dualismus «Self-executing»/«non-self-executing» Die umstrittene Schubert-Praxis Völkerrechtswidrige Volksinitiativen
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Autorenschaft
Herausgeber: Daniel Högger und Cristina Verones
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Autoren (in alphabetischer Reihenfolge): Nina Burri •• Anina Dalbert •• Simon Haefeli •• Daniel Högger •• Maj-Britt Horlacher •• Simone Hutter •• Barbara Kammermann •• Andreas Kind •• Flavia Kleiner
•• •• •• •• •• •• •• •• ••
Jonatan Niedrig Valerio Priuli Corinne Reber Benjamin Schärer Nicolas Schulthess Alexander Spring Regina Surber Cristina Verones
Die Autoren und Herausgeber bedanken sich bei Nina Burri, Denise F. Högger-Grüninger, Georges P. Högger, Benedikt Lachenmeier, Meret Lemann, Samuel Lemann, Jonatan Niedrig, Markus Nievergelt, Simon Schädler, Stefan Schlegel, Francesca Verones, Sandro Verones und Verena Verones für die gründliche Durchsicht und die kritischen Anmerkungen. Besonders dankbar sind wir Andreas Kind und Alexander Spring für die Initiierung und Vijitha Veerakatty und Fanny de Weck für ihr grosses Engagement bei der Begleitung dieses Projekts. Dank geht ausserdem an die Direktion für Völkerrecht des EDA für die Inspiration der Einleitungsbeispiele durch den Völkerrechtstag 2015.
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Vorwort
Das Buch beantwortet Fragen über die Natur, die Entstehung und durch das Völkerrecht geregelte Lebensbereiche. Es nimmt auch Stellung zum Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht, zumal in der Schweiz. Es ist kein geringes, es ist ein verdienstvolles Unterfangen, einen Stoff, der in der Regel Gegenstand dicker Lehrbücher ist, auf gut 150 Seiten zusammenzupressen. Unternommen wurde das keineswegs abenteuerlich gestaltete Abenteuer mit einem klaren Ziel vor Augen: Das Buch will das Völkerrecht einer weiteren Leserschaft in einem Land erschliessen, wo dessen Verhältnis zum Landesrecht be sonders intensiv diskutiert wird. Das Buch erfüllt gerade heute eine erwünschte aufklärerische Mission. Es ist schwierig, dieses Buch ohne den Eindruck aus der Hand zu legen, dass wir uns über die Entwicklung des Völkerrechts nur beglückwünschen können: «Wir», die Bürgerinnen und Bürger eines Landes, das mit der Welt stark und vielfältig verbunden ist. Machtmittel, um unsere Interessen zu vertreten, haben wir weniger als grössere Länder oder Ländergruppen. Regelprägungsmacht ist durchaus eine Form von Macht. Die völkerrechtliche Regelung immer weiterer Lebensbereiche erweitert unseren Handlungsspielraum und erhöht die Rechtssicherheit. Das Buch, ein Beispiel anschaulicher und an spruchsvoller Komplexitätsreduktion, verbirgt die Schwierigkeiten nicht, dieses Recht durchzusetzen. Es zieht daraus aber nicht die falsche Folgerung, Durchsetzungsschwierigkeiten mit Einflusslosigkeit gleichzusetzen. Der Wille der Verfasser ist spürbar, das Völkerrecht möglichst lebensnah darzustellen. Es reicht in durchaus lebensfreundlichem Sinne in viele Bereiche hinein, ohne dass wir uns dessen immer bewusst wären.
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Vorwort
Viel Erstaunen wird die Feststellung nicht wecken, wäre mit dem Lob der Globalisierung und dem Kleinreden des Völkerrechts ja ein Gipfel der Gedankenlosigkeit erklommen. Es gibt auch sonst noch genügend Erstbesteigungsmöglichkeiten. Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht beschäftigt viele Staaten. Es gibt Staaten mit einer kritischen Masse und Handlungsmöglichkeiten, die es ihnen erlauben, das Verhältnis in Ab hängigkeit ihrer jeweiligen Interessenlage zu bestimmen. Die Schweiz gehört nicht zu diesen Staaten. Die Stärkung des Völkerrechts und seines Ansehens bedeutet für sie einen Gewinn. Das Umgekehrte gilt auch. Sie hat sich in der Vergangenheit dieser Interessenlage entsprechend verhalten. Sich mit Berufung auf ein überhöhtes Souveränitätsverständnis auf die Seite der Völkerrechtsskeptiker zu schlagen, wäre ein Schlag gegen die internationalen Interessen der Schweiz. Die Verfasser hatten eine glückliche Hand mit dem Entscheid, die Bedeutung des Völkerrechtes auf möglichst vielen Gebieten zu zeigen. Die auf globaler Ebene regelungsbedürftigen Bereiche nehmen zu und mit ihnen die Bedeutung des Völkerrechts. Château-d’Oex, im März 2016 Jakob Kellenberger Ehemaliger Staatssekretär und Präsident des Internationalen Roten Kreuzes
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3 Was versteht man unter Völkerrecht?
Nachdem im vorhergehenden Kapitel ein erster Einblick in die wesentlichen Elemente des Rechts gegeben wurde, soll nun das Völkerrecht betrachtet und dabei insbesondere die Eigenheiten dieses Rechtsgebiets erklärt werden.
3.1 Begriff Eine allgemein anerkannte Definition des Völkerrechts existiert nicht. Seit es jedoch souveräne Staaten gibt, existieren Regeln, die das Neben- und Miteinander von Staaten ordnen. Das Völkerrecht be schäftigt sich mit den Regeln, die zwischen den Staaten gel- «Was aber die natür ten. Herkömmliche Regelungsbereiche des Völkerrechts sind liche Vernunft zwischen etwa die Staatshoheit (Grenzziehung, Erwerb/Verlust von allen Menschen ein Gebieten usw.), die Gepflogenheiten des diplomatischen Ver- gerichtet hat und von kehrs, der Kriegszustand oder das Recht internationaler allen Völkern gleich Gewässer (Hochseerecht). Im Laufe der Zeit hat sich das Völ- mässig beachtet wird, kerrecht stark ausgedehnt und regelt mittlerweile auch Berei- heisst Völkerrecht.» che, die nicht mehr nur Staaten allein betreffen, sondern auch Justinian (483–565), internationale Organisationen oder Private. So sind über die römischer Kaiser Jahre im modernen Völkerrecht Gebiete wie der universelle Menschenrechtsschutz, der Umweltschutz oder das Völkerstrafrecht hinzugekommen (zu den verschiedenen Anwendungsgebieten des Völkerrechts siehe Kapitel 7). Der deutsche Begriff «Völkerrecht» ist etwas unglücklich ge wählt: Das Völkerrecht ist nämlich nicht, wie man intuitiv meinen könnte, das Recht der «Völker», sondern entspricht viel eher dem englischen Begriff «public international law» (wörtlich übersetzt: internationales öffentliches Recht). Das Völkerrecht ist daher sozusa-
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Was versteht man unter Völkerrecht?
gen der internationale Arm des öffentlichen Rechts (zum Unterschied öffentliches und privates Recht siehe Kapitel 2).
3.2 Besonderheiten des Völkerrechts Wie wir im Kapitel «Was ist Recht?» gesehen haben, nimmt das Recht eine Ordnungsfunktion wahr. Es ordnet Freiheiten und Interessen verschiedener Akteure. Dasselbe gilt auch für das Völkerrecht, mit dem markanten Unterschied, dass es beim Völkerrecht überwiegend um die Freiheiten und Interessen von Staaten geht. Wie jedes nationale Recht basiert auch das Völkerrecht auf Wertvorstellungen. Werte sind jedoch global gesehen sehr verschieden. Dies zeigt sich anschaulich bei der unterschiedlichen Gewichtung von Menschenrechten in den verschiedenen Kulturkreisen. So zialistische Staaten oder Staaten mit einem derartigen Hintergrund legen traditionellerweise ihren Schwerpunkt eher auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte – zum Beispiel das Recht auf Nahrung und Bildung. Hingegen rücken bei den Industrienationen westlicher Prägung vor allem die Freiheitsrechte des Individuums in den Vordergrund – zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäusserung. Die Werte, die dem Völkerrecht zugrunde liegen, können aber als kleinster gemeinsamer Nenner zwischen den Staaten angesehen werden. Eine wesentliche Besonderheit des Völkerrechts ist dessen schwache Organisation. Zwar gibt es gerade in Europa zunehmend Kontrollinstanzen, welche die Einhaltung internationaler Vorschriften überwachen. Und Individuen können sich unter Umständen sogar im nationalen Kontext direkt auf internationale Normen berufen (siehe dazu Unterkapitel 10.3 zu «self-executing»/«non-self-executing» Normen). Jedoch fehlt es einerseits an einem einheitlichen Gesetzgebungsorgan und andererseits an einer weltweiten, zentralen Durchsetzungsmacht. In einem Nationalstaat gibt es in der Regel ein Parlament, eine Regierung, Gerichte und die Polizei. Auf völkerrechtlicher Ebene sind entsprechende Organe entweder nur schwach ausgeprägt oder gar nicht vorhanden. Historisch wurde deswegen behauptet, dass Völkerrecht kein Recht sei, da die Erzwingbarkeit und damit das entscheidende Element des Rechts fehle. Diese An sicht ist heute überholt. Es ist weitaus bedeutender, dass die Bürger
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7 Welche Lebensbereiche regelt das Völkerrecht?
Im folgenden Kapitel wird aufgezeigt, wie umfassend das Völkerrecht inhaltlich ist. Im Verlauf der Geschichte haben sich auf internationaler Ebene verschiedene Gebiete gebildet, die nach einer einheitlichen Regelung verlangten. Die so entstandenen Sachgebiete sind zum Teil zu eigenständigen Rechtsbereichen mit eigenen spezifischen Regeln
Abb. 11
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Welche Lebensbereiche regelt das Völkerrecht?
herangereift. Die wichtigsten und am weitesten fortentwickelten Rechtsgebiete sollen im Folgenden dargestellt werden. Die Auswahl ist keineswegs abschliessend.
7.1 Menschenrechte Das Wort «Menschenrechte» wird in politischen Diskursen aus unterschiedlichen Motiven immer wieder verwendet. Oft werden die Menschenrechte auch mit dem Begriff «Völkerrecht» gleichgesetzt. Im Alltag wird ebenfalls immer wieder gerne auf die Menschenrechte verwiesen. Doch was genau sind die Menschenrechte? Als Menschenrechte werden gemeinhin Rechte bezeichnet, die jedem Menschen gleichermassen bedingungslos zustehen. Menschenrechte bestehen daher aufgrund des «Mensch-Seins» und können einem Menschen nicht abgesprochen werden. Im Kern geht es bei den Menschenrechten darum, das (schwächere) Individuum vor «Wir können unter dem (stärkeren/übermächtigen) Staat zu schützen. Als primäschiedliche Religionen, res Völkerrechtssubjekt (zur Völkerrechtssubjektivität siehe verschiedene Sprachen, Unterkapitel 6.1) und damit Unterzeichner von menschenungleiche Hautfarbe rechtlichen Verträgen wird hauptsächlich der Staat zur Reshaben, jedoch gehören pektierung der Menschenrechte verpflichtet. Die Menschenwir alle einer mensch rechte werden heute von fast allen Staaten in ihrem Grundsatz lichen Rasse an. anerkannt, weshalb man in der Wissenschaft von einer uni Wir alle teilen dieselben versellen Geltung ausgeht. Allerdings gibt es regionale UnterGrundwerte.» schiede bezüglich dessen, was unter Menschenrechten verKofi Annan (*1938), standen wird. Dies schlägt sich in den unterschiedlichen regiehemaliger onalen Menschenrechtskonventionen nieder. Während zum UNO-Generalsekretär Beispiel das Recht auf Gesundheit in der Afrikanischen Menschenrechtskonvention enthalten ist, fehlt ein entsprechendes Recht in der Europäischen Menschenrechtskonvention. Asien hingegen kennt gar keine regionale Menschenrechtskonvention, weshalb nur die globalen Menschenrechtskonventionen, die innerhalb der UNO ausgearbeitet wurden, Anwendung finden können. Rechtsgeschichtlich werden die Menschenrechte namentlich auf die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika zurückgeführt. Prominent heisst es in deren Unabhängigkeitserklärung von 1776 im ersten Abschnitt, dass alle Menschen gleich erschaffen worden seien und gewisse unveräusserliche Rechte haben. Aufge-
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Menschenrechte
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zählt werden das Recht auf Leben, auf Freiheit sowie das Streben nach Glückseligkeit. Mindestens ebenso stark wirken die Schlag wörter «liberté», «égalité» und «fraternité» aus der Französischen Revolution, die unter dem Namen Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen 1789 die erste Menschenrechtserklärung hervorgebracht haben. Die wichtigste internationale Rechtsquelle für die Menschenrechte ist das Völkervertragsrecht; das zentrale Dokument ist dabei die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR). «Ihr kennt kein Sie wurde 1948 von der UNO-Generalversammlung verab- Völkerrecht ohne schiedet und enthält einen umfangreichen Katalog von Rech- ein Volksrecht und kein ten. Sie ist die erste globale Erklärung von Rechten, die den Volksrecht ohne Menschen inhärent zustehen. Die AEMR ist selber zwar kein ein Menschenrecht.» völkerrechtlicher Vertrag, sondern eine rechtlich unverbind- Johann Heinrich liche Resolution der UNO-Generalversammlung. Sie war aber Pestalozzi (1746–1827), der Ausgangspunkt für die Entstehung des UNO-Pakts I Schweizer Pädagoge über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie des UNO-Pakts II über bürgerliche und politische Rechte. Beide Pakte gehören zum Völkervertragsrecht und stellen das heutige Herzstück des universalen Menschenrechtschutzes dar. Die zwei zentralen UNO-Pakte inspirierten weitere wichtige Völkerrechtsverträge, die im Rahmen der UNO entstanden sind. Heute existieren zusammen mit den beiden UNO-Pakten neun grosse UNO-Menschenrechtskonventionen: •• Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I). Der Pakt enthält zum Beispiel das Recht auf Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, das Recht auf Arbeit, das Recht auf Streik, das Recht auf Bildung und das Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben. •• Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II). Dieser UNO-Pakt garantiert zum Beispiel das Recht auf Leben, das Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit sowie das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit, einschliesslich das Recht an Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. •• Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. Das Übereinkommen verbietet nicht nur jegliche Diskriminierung aufgrund der «Rasse», sondern auch aufgrund von anderen Merkmalen wie nationale oder ethi-
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Welche Lebensbereiche regelt das Völkerrecht?
befassen will oder kann. Der IStGH kann sich einer Situation annehmen, wenn diese von einem Vertragsstaat vor den Gerichtshof gebracht wurde oder durch den UNO-Sicherheitsrat überwiesen wurde. Zudem können die Ankläger auch auf eigene Initiative Fälle eröffnen. Ein zentraler Kritikpunkt am IStGH ist, dass bis heute alle Fälle ausschliesslich den afrikanischen Kontinent betreffen. Nebst den Sondertribunalen für Ex-Jugoslawien und Ruanda und dem IStGH existieren auch sogenannt gemischt-internationale oder hybride Strafgerichte. Speziell ist bei diesen, dass sie sowohl auf nationaler als auch auf völkerrechtlicher Grundlage beruhen und meistens aus nationalen und internationalen Richtern zusammengesetzt sind. Dabei gelten sie im Vergleich zu den übrigen internationalen Strafgerichten als kostengünstige Alternative, die durch ihre geografische Nähe zu den Tatorten Gerechtigkeit dorthin bringen soll, wo die Opfer leben. Beispiele hierfür sind die Sonderkammern in Osttimor, die Ausserordentliche Kammer in Kambodscha, das Sonder tribunal für den Libanon, die Kammer für Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina sowie der Sondergerichtshof für Sierra Leone. Bei Letzterem wurde aber der Fall des ehemaligen Präsidenten Charles Taylor aus Sicherheitsgründen nach Den Haag verlegt.
7.5 Wirtschaftsvölkerrecht Die zunehmende Globalisierung führt auch in wirtschaftlichen Bereichen zu einer immer weiter gehenden Zusammenarbeit der Staaten. Das Wirtschaftsvölkerrecht bezeichnet dabei das Rechtsgebiet, das das Völkerrecht mit dem Handels- und Wirtschaftsrecht verknüpft. Internationales Handelsrecht setzt Regeln für grenzüberschrei«In der Wirtschaft geht tende wirtschaftliche Transaktionen, wie sie sich zum Beispiel es nicht gnädiger zu aus dem direkten Verkauf über Grenzen hinweg ergeben. als in der Schlacht im Internationales Wirtschaftsrecht wird oft als Oberbegriff Teutoburger Wald.» benutzt, der auch das internationale Handelsrecht einschliesst. Friedrich Dürrenmatt Nebst handelsrelevanten Regeln enthält es zum Beispiel auch (1921–1990), Bestimmungen zum Kartellrecht. Wirtschaftsvölkerrecht hinSchweizer Schriftsteller gegen hat den generellen Anspruch, Ordnung in die grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten zu bringen und die Initiative nicht einzelnen Staaten oder Privaten zu überlassen, was die Gefahr des Rechts des Stärkeren ber-
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Wirtschaftsvölkerrecht
gen würde. Wirtschaftsvölkerrecht basiert vor allem auf Staatsverträgen, insbesondere das Übereinkommen zur Welthandelsorganisation (WTO) und das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT). Die Entstehung des Wirtschaftsvölkerrechts ist eng mit den Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden. Unter den Auswirkungen des Kriegs wurde 1944 eine internationale Währungsordnung geschaffen. Dadurch sollten der internationale Zahlungsverkehr und damit der internationale Handel erleichtert werden. In Bretton Woods (USA) wurden von mehreren Staaten entsprechende Abkommen (heute deshalb Bretton-Woods-Abkommen genannt) verhandelt und unterzeichnet, unter anderem das Allgemeine Zoll- und Handels abkommen (GATT). Zusammen mit den anderen Abkommen legte dieses die Grundlage für die heutige völkerrechtliche Weltwirtschaftsordnung. Zur Durchsetzung des in Bretton Woods vereinbarten Systems wurden die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IMF) geschaffen, die ein weltweit stabiles Währungssystem garantieren sollen. Die Weltbank vergibt insbesondere langfristige, festver zinsliche Kredite an wirtschaftlich rückständige Mitgliedstaaten zur Finanzierung von Projekten. Zu den Aufgaben des IMF gehört unter anderem die Unterstützung von Entwicklungsländern durch Kredite, um deren Zahlungsschwierigkeiten zu überbrücken. Nebst diesen beiden Organisationen wurde zur Umsetzung des GATT auch die Erschaffung einer internationalen Handelsorganisation als UNO-Sonderor ganisation erfolgreich verhandelt. Die Internationale Handelsorganisation sollte sich nicht nur um den Abbau von Handelshemmnissen kümmern, sondern wäre auch befugt gewesen, andere Themen wie Investitionen und den Arbeitsmarkt anzugehen. Der nötige Vertrag zur Gründung dieser Organisation wurde jedoch von den USA und ein paar anderen Staaten nicht gebilligt und trat nie in Kraft. In Ermangelung einer internationalen Handelsorganisation verwandelte sich das 1948 in Kraft gesetzte GATT über die Jahre de facto in eine internationale Organisation. Unter dem GATT wurden sieben Verhandlungsrunden zur Liberalisierung des Welthandels durchgeführt. Erst in der achten Verhandlungsrunde, der sogenannten Uruguay-Runde, wurde die Frage nach einer Welthandelsorganisation erneut aufgegriffen. Dies führte letztlich 1995 zur Bildung der neuen Welthandelsorganisation (WTO), die das GATT inkorporierte. Die WTO ist die wichtigste internationale Organisation im Bereich des Wirtschaftsvölkerrechts. Sie ist nicht Teil der UNO, son-
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Welche Lebensbereiche regelt das Völkerrecht?
dern eine unabhängige Organisation. Die WTO soll den internationalen Handel fördern und bildet das «Dach» des internationalen Handelsrechts. Darunter sind drei Abkommen untergebracht: das GATT, das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) sowie das Abkommen über den Schutz der geistigen Eigentumsrechte (TRIPS). Das Fundament bilden die Regeln zur Beilegung von Streitigkeiten. Das Ziel dieses Streitbeilegungsverfahrens ist eine friedliche Lösung bei Handelsstreitigkeiten, indem es diplomatische und gerichtsähnliche Streitbeilegungsmechanismen verbindet. Das GATT als erste der drei Säulen der WTO findet auf den gesamten Waren- und Güterhandel Anwendung, es sei denn, es gelte ein Spezialabkommen. Das wichtigste Grundprinzip des GATT ist das Diskriminierungsverbot; das Verbot also, Staaten unterschiedlich zu behandeln und ihnen unterschiedliche Regeln zu gewähren. Es besteht weiter aus den Grundsätzen der Meistbegünstigung und der Inländergleichbehandlung. Das Prinzip der Meistbegünstigung be sagt, dass jede vereinbarte Handelsvergünstigung zwischen Staaten unverzüglich und bedingungslos für alle GATT-Vertragsparteien gelten muss. Gewährt zum Beispiel die Schweiz Costa Rica günstigere Importzölle für Kakaobohnen, muss sie diese günstigeren Zölle allen GATT-Vertragsparteien zugestehen. Eine Ausnahme vom Meistbegünstigtenprinzip ist allerdings für regionale Integrationsabkommen, wie zum Beispiel die EU, möglich. Das heisst, dass die EU-Mitgliedstaaten die Handelsvorteile des EU-Binnenmarkts nicht auch Drittstaaten einräumen müssen. Das Prinzip der Inländergleichbehandlung legt fest, dass importierte Waren nicht schlechter gestellt werden dürfen als gleiche inländische Waren. Als dritten wichtigen Grundsatz hält das GATT fest, dass nur Zölle und keine anderen Handelshemmnisse erhoben werden dürfen. Es geht also bei all diesen Regeln darum, dass alle Staaten die gleichen Chancen im Handel haben und keine Staaten einzelne befreundete Staaten bevorzugen dürfen oder zusammen ein Monopol errichten können. Das GATS ist das Abkommen über den internationalen Dienstleistungshandel. Unter das GATS fallen alle Dienstleistungen mit einer internationalen Komponente, zum Beispiel in der Schweiz von einem Ausländer erbrachte Dienstleitungen, aber auch von einem Schweizer im Ausland angebotene Dienstleistungen. Die Grundsätze der Meistbegünstigung sowie der Gegenseitigkeit und Transparenz gelten auch für das GATS.
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10 Wie wirkt das Völkerrecht innerhalb der Schweiz?
10.1 Stellung des Völkerrechts Täglich werden wir mit Rechtsnormen konfrontiert, die auf unterschiedlichen Normstufen stehen. In der Schweiz lassen sich die Rechtsnormen in vier verschiedene Hierarchiestufen unterteilen. Die Frage stellt sich nun, wie diese vier verschiedenen Hierarchiestufen zueinander stehen. Was passiert, wenn sich zwei Normen widersprechen? Welche Normenstufe erhält bei einem Konflikt den Vorrang? Der Grundsatz besagt, dass sich die Hierarchie vom grossen Regelungsbereich (Völkerrecht, das zum Teil universelle Geltung hat) zum kleinen Regelungsbereich (Gemeinderegelung, die nur auf eine politische Gemeinde der Schweiz anwendbar ist) erstreckt. Das bedeutet, dass nationales Recht, wenn immer möglich, völkerrechtskonform ausgelegt werden muss. Somit ergeben sich, mit wenigen möglichen Ausnahmen, folgende Hierarchieregeln: •• Völkerrecht geht Bundesrecht, kantonalem Recht und Gemeinderecht vor; •• Bundesrecht geht kantonalem Recht und Gemeinderecht vor; •• kantonales Recht geht Gemeinderecht vor. Völkerrecht Bundesrecht Kantonales Recht Gemeinderecht
Das Völkerrecht lässt sich in allgemeines und in zwingendes Völkerrecht (Lateinisch: «ius cogens», siehe Abschnitt 5.2.1) unterteilen. Zwingendes Völkerrecht geht dabei unter allen Umständen dem restlichen Völkerrecht vor. Abb. 15
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Abb. 16
Wie wirkt das Völkerrecht innerhalb der Schweiz?
Die folgende Pyramidendarstellung soll diese Hierarchie veranschaulichen. Zwingendes Völkerrecht Übriges Völkerrecht Bundesverfassung Bundesrecht
Bundesgesetze
Völkerrecht
Ausnahmebereich (Volksinitiativen, die übrigem Völkerrecht widersprechen oder Schubertpraxis)
Bundesverordnungen Kantonsverfassung Kantonales Recht
Kantonale Gesetze Kantonale Verordnungen Reglemente der Stimmberechtigten
Gemeinderecht
Reglemente des Gemeindeparlamentes Verordnung der Gemeindeexekutive
Das Völkerrecht findet sich zuoberst in der Hierarchiepyramide. Es geht bei einem Widerspruch grundsätzlich dem Landesrecht vor. Diese Regel ist zwar nicht explizit in der Schweizer Bundesverfassung erwähnt, ergibt sich jedoch aus der Auslegung mehrerer Verfassungsbestimmungen (so vor allem aus Artikel 5 Ziffer 4 der Bundesverfassung: «Bund und Kantone beachten das Völkerrecht»). Das Bundesgericht bestätigte diesen Grundsatz. Zudem lässt sich dieser Grundsatz aus dem Völkerrecht selbst ableiten. So sieht die Wiener Vertragsrechtskonvention vor, dass Verträge einzuhalten sind (lateinisch «pacta sunt servanda») und dass sich ein Staat bei Umsetzung von Völkerrecht nicht auf sein innerstaatliches Recht berufen kann, um die Verletzung von Völkerrecht zu rechtfertigen. Im Fall, dass etwa Staat A mit Staat B einen Vertrag über den Handel und Zölle für Cannabisexporte abschliesst, kann dieser Staat A sich später nicht auf den
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11 Schlusswort
Die Schweiz hat gleich in mehrfacher Weise ein fundamentales Interesse an der Einhaltung, Durchsetzung und Weiterentwicklung des Völkerrechts. Als globaler rechtlicher Rahmen erleichtert es nicht nur die internationale Zusammenarbeit und Koordination, sondern fördert auch gemeinsame Interessen und Werte und schafft Sicherheit und Berechenbarkeit. Ursprünglich war das Völkerrecht vor allem Mittel, um die Beziehungen der Staaten untereinander zu koordinieren. Aufgrund des technischen Fortschritts und der dadurch stetig zunehmenden internationalen Verflechtung sehen sich die Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft zunehmend mit diversen Herausforderungen konfrontiert, deren Handhabung für einzelne Nationalstaaten zu komplex oder gar unmöglich ist. Weltweiter Handel, Umweltschutz und Terrorismus sind hierfür nur einige Beispiele. Völkerrecht betrifft aber nicht nur die Schweiz als Staat, sondern begegnet uns Bewohnern tagtäglich. Unsere eigene internationale Vernetzung durch die modernen Kommunikationsmittel oder Reisen wären zum Beispiel ohne das Völkerrecht nicht möglich oder zumindest sehr viel komplizierter. Auch trägt das Völkerrecht erheblich zu unserem persönlichen Schutz bei – sei dies durch Sicherheitsnormen im Transportwesen oder aber gegenüber unserem eigenen Staat durch die Garantien der Menschenrechte. Dies alles resultiert in einem Wandel des Völkerrechts von einem reinen Koordinations- hin zu einem Kooperationsrecht. Das Völkerrecht ist zudem das Recht einer Gemeinschaft, deren Mitglieder ähnliche Werte und gleichartige Interessen verfolgen, etwa Frieden, Wohlstand und Sicherheit. Diese gemeinsamen Werte und Interessen werden durch das Völkerrecht – sei dies in geschriebener oder ungeschriebener Form – als internationale, gemeinsame Normen festgelegt und finden sich dann oft auch in den nationalen
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Schlusswort
Rechtssystemen wieder, etwa als Grund- und Menschenrechte. Genauso wie sich die internationale Gemeinschaft und ihre gemeinsamen Ideen mit der Zeit wandeln, können sich auch diese Normen ändern. Hatte beispielsweise bis Anfang des vergangenen Jahrhunderts jeder Staat noch das Recht, einen anderen anzugreifen, zählt heute der Akt der Aggression zu den schwersten internationalen Verbrechen. Aber nicht nur ändern sich bestehende Normen, es kommen ebenso fortwährend neue dazu, synchron mit gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen. Entsprechend gab es etwa bis vor ein paar Jahrzehnten keine Notwendigkeit, den Weltraum zu regulieren, da dieser ausser Reichweite der Staaten lag. Erst mit der Entwicklung der Luft- und Raumfahrt wurde die Regulierung der Nutzung des Raums oberhalb der Erdatmosphäre erforderlich. Völkerrecht gewährt ausserdem Schutz der kleineren Staaten gegen die grossen. Mächtige und grosse Staaten können ihre Interessen auf unterschiedliche Arten durchsetzen, sei dies mit wirtschaft lichen Massnahmen oder gar mit Drohungen und Gewalt. Die Schweiz als Kleinstaat hat diese Möglichkeiten nicht. Gleichzeitig ist die Schweiz darauf angewiesen, dass ihre Neutralität, ihre Grenzen und Souveränität von anderen respektiert werden. Es ist für die Schweiz somit entscheidend, dass der zwischenstaatliche Umgang nicht auf Macht, sondern auf für alle geltendem und von allen beachtetem Recht beruht. Die Schweiz und das Völkerrecht sind keine Gegensätze. Vielmehr sind die Schweiz und das Völkerrecht untrennbar miteinander verbunden. Anders gesagt, ist das Völkerrecht Teil der Schweiz und die Schweiz ist Teil des Völkerrechts.
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Glossar
Ad-hoc-Gericht . . . wird für einen bestimmten, nicht vorhergesehenen Fall oder eine solche Situation errichtet und ist nur für diesen einen Fall beziehungsweise diese eine Situation zuständig. Nach dessen Erledigung wird das Gericht wieder aufgelöst. Afrikanischer Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völ ker (AGfMR) . . . mit Sitz in Arusha (Tansania), ist ein regionaler Men-
schenrechtsgerichtshof und überprüft die Einhaltung der Afrikanischen Menschenrechtscharta durch die Mitgliedstaaten. Allgemeine Rechtsgrundsätze . . . bestehen aus Prinzipien, die allen
Rechtsordnungen gemeinsam sind. Es handelt es sich dabei um fundamentale Regeln für das Verhalten der Völkerrechtssubjekte (zum Beispiel Verhältnismässigkeitsprinzip). Biodiversität . . . bezeichnet die Vielfalt der existierenden Ökosysteme (Wald, Wasser, Alpenraum . . .), Arten (Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen . . .) und Gene (Rassen oder Sorten). Kurz gesagt bedeutet Biodiversität die «Vielfalt des Lebens». Dispute Settlement Body . . . ist Teil einer Streitbeilegung innerhalb der
Welthandelsorganisation. Wenn sich zwei oder mehrere Staaten in einer Frage des internationalen Handels nicht einig sind, wird ein solcher «body» eingesetzt, der den Streitfall entscheiden kann. Domaine réservé . . . ist «der reservierte Bereich», also der Bereich, der
nicht vom Völkerrecht geregelt wird, sondern in die ausschliessliche Regelungskompetenz der einzelnen Staaten fällt. Beispiele für solche Bereiche sind die Wahl des politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Systems innerhalb eines Staats.
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Glossar
Dualismus . . . ist ein System, in dem völkerrechtliche Verträge durch ein
nationales Ausführungsgesetz in die Rechtsordnung eingegliedert werden. In Abgrenzung zum Monismus. Dublin-System . . . ist ein von der Europäischen Union etabliertes System,
das festlegt, dass grundsätzlich ein Staat für die Prüfung eines Asylgesuches zuständig ist. Ethik . . . wird auch «Sittenlehre» genannt. Sie ist ein Bereich der Philoso-
phie, der sich mit dem menschlichen Handeln befasst, seine Voraussetzungen analysiert und die Resultate bewertet. Im Zentrum der Ethik steht das moralische Handeln, also das Handeln, das davon ausgeht, dass eine be stimmte Handlung «richtig» oder «gut» ist, während eine andere «schlecht» oder «böse» ist. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) . . . mit Sitz in
Strassburg, ist ein regionaler Menschenrechtsgerichtshof. Als Organ des Europarats überprüft er die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention, die individuelle Rechte wie zum Beispiel die Meinungsäusserungsfreiheit oder das Recht auf Familie garantiert. Er entscheidet über Beschwerden von Einzelpersonen gegen einen Mitgliedstaat der Konvention. Europäisches Konzert . . . ist die durch den Vertrag von Chaumont im März 1814 gegründete und danach wiederholt erweiterte Gemeinschaft europäischer Staaten zum Zweck der friedlichen Beilegung von Konflikten. Failed state . . . ist englisch für «gescheiterter Staat». Damit wird ein Staat bezeichnet, der nicht mehr in der Lage ist, grundlegende staatliche Aufgaben auszuüben, wie zum Beispiel eine vollständige Kontrolle über sein Territorium, aber dennoch formal weiter als Staat existiert. Das bekannteste Beispiel ist Somalia. Gleichgewicht des Schreckens . . . steht für das während des Kalten
Kriegs (1945–1990) durch die beiden gegnerischen Grossmächte UdSSR und USA aufgrund ihres jeweiligen Nuklearwaffenarsenals gebildete ständige Gleichgewicht militärischer Schlagkraft, durch das sie sich gegenseitig vom atomaren Erstschlag abhielten. Gewohnheitsrecht . . . ist die gefestigte, einheitliche Übung von Staaten
(Staatenpraxis), die von der Überzeugung der rechtlichen Verbindlichkeit
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Abbildungsnachweis
Icons Smartphone: Zeit: Flugzeug:
C. Verones, 2015 C. Verones, 2015 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Plane_icon.svg (gemeinfrei) Schweizer Pass: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Swiss_Pass_ 2010.jpg#/media/File:Swiss_Pass_2010.jpg (gemeinfrei) Postkarte: C. Verones, 2015 Banane: Pixabay (gemeinfrei) Abb. 1: Abb. 2:
Abb. 3:
Abb. 4:
Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14:
C. Verones, 2015 Hugo Grotius (1583–1645), «De iure belli ac pacis», Amsterdam, 1735 (Rare Book Collection, Lillian Goldman Law Library, Yale Law School, gemeinfrei) Kupferstich nach dem Gemälde «Wiener Kongress» (1819) nach einem Gemälde von Jean Baptiste Isabey (Wikimedia Commons, gemeinfrei) «The Gap in the Bridge» (1919) von Leonard Raven-Hill im Punch Magazine vom 10. Dezember 1919 (Wikimedia Commons, gemeinfrei) C. Verones, 2015 C. Verones, 2015 C. Verones, 2015 C. Verones, 2015 C. Verones, 2015 C. Verones, 2015 C. Verones, 2015 C. Verones, 2015 C. Verones, 2015 C. Verones, 2015 (basierend auf https://commons.wiki media.org/wiki/File:Zonmar-en.svg, gemeinfrei unter CC BY-SA 3.0)
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Abbildungsnachweis
Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17:
C. Verones, 2015 C. Verones, 2015 C. Verones, 2015
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Völkerrecht kompakt
Daniel Högger, Cristina Verones (Hrsg.)
Presse und Politik konfrontieren uns täglich mit Begriffen wie « bewaffneter Konflikt », « internationale Verhandlung » oder « Menschenrechte ». Alle haben sie mit Völkerrecht zu tun. Gerade für den Kleinstaat Schweiz ist das Völkerrecht unentbehrlich zur Bewältigung der zahlreichen, oft auch grenzüberschreitenden Herausforderungen unserer Welt, wie etwa der Klimawandel, die Flüchtlingskrise und die globale Wirtschaftsordnung. Das Völkerrecht ist also viel mehr als ein abstrakter Begriff. Aber was ist es genau ? Woher kommt es ? Was regelt es, und wie wird es durchgesetzt ? Wer kann völkerrechtlich handeln ? Diesem Buch gelingt es, diese und weitere Fragen zum Völkerrecht fachkundig zu beantworten und diese komplexe, uns alle betreffende Materie einfach und verständlich darzustellen.
Daniel Högger, Cristina Verones (Hrsg.)
Völkerrecht kompakt
Eine komplexe und für die Schweiz bedeutsame Materie kurz und verständlich erklärt
ISBN 978-3-03810-180-2
www.nzz-libro.ch
foraus – Forum Aussenpolitik Verlag Neue Zürcher Zeitung