In dieser Kardinalfrage des schweizerischen Staats-
Vom selben Autor bei NZZ Libro erschienen:
lebens stehen sich eben zwei Extreme einander
Jung ist ein herausragender Erzähler. Der Band ist leicht zu lesen, und Jung reisst den Leser mit, wenn er von Wirtschaftspionieren und deren Scheitern und Erfolgen erzählt. Michael Kitzing, Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 2 / 2020, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
gegenüber. Das eine Extrem lässt vor dem Bund die Kantone, das andere vor den Kantonen den Bund
Hinter dem Swiss Miracle standen nicht Chalets und Kühe, sondern Fabriken, Maschinen und Bahnhöfe, die bisweilen wie die Tempel einer neuen Religion anmuten, lautet der letzte Satz dieses starken Buchs. Markus Schneider, Schweizer Familie 2020
Ein glänzendes Standardwerk über die jüngere Geschichte der Schweiz. Lorenz Degen, Oltner Tagblatt 2020 Wer Jung über die Schweiz reden hört, könnte meinen, er spreche von Amerika. Das Land, von dem er berichtet, ist bevölkert von Pionieren, die entlegene Gebiete erschlossen und Grenzen verschoben haben. Diese Frontiers lagen nicht im Westen wie in den USA, sondern in den Alpen. Erik Ebneter, Weltwoche 2019 Das Laboratorium des Fortschritts. Die Schweiz im 19. Jahrhundert 978-3- 03810 -435-3 Eine spannende Biographie. Thomas Hürlimann, Weltwoche 2019 Diese Geschichte mit ihren Triumphen, aber auch Pleiten, Krimis und Skandalen ist eine fesselnde Lektüre. Markus Schär, SonntagsZeitung 2007
Alfred Escher zur Lage der Nation Ob im Zürcher Rathaus oder im Nationalratssaal in Bern – das Podium war für Alfred Escher so wenig relevant wie die Tribüne. Es ging ihm um die Sache. Mit seinen präsidialen Eröffnungsreden holte er inhaltlich weit aus, erschloss mit seinem politischen Programm Zürich und die Schweiz, oft im Kontext aktueller Entwicklungen im Ausland. Ohne Alfred Escher kann man sich die Entwicklung, welche die junge Schweiz nach 1848 nahm, nicht vorstellen. Auch die heutige Schweiz zehrt noch von der Erfolgsgeschichte, welche die jungen Politiker der ersten Stunde, die 48er, geschrieben haben. Im Verlauf seines Lebens stand Alfred Escher hunderte Male am Rednerpult. Was er zu sagen hatte – zur Rolle von Staat und Privatwirtschaft, zum Föderalismus, zur Flüchtlingspolitik, zur Neutralität, zum Verhältnis der Schweiz zu ihren Nachbarstaaten – ist auch heute noch überraschend aktuell.
Joseph Jung
Die fulminante Neubearbeitung und Neubeurteilung des Dramas um Lydia Welti-Escher und Karl Stauffer ist ein grosser Wurf. Das Buch überzeugt voll und ganz. Lupold von Lehsten, Institut für Personengeschichte 2011
Lydia Welti-Escher (1858 –1891). Biographie 978-3-03810 -167-3
Alfred Eschers Thronreden
unablässig darauf hinzuwirken, dass sie festgehalten werde, scheint mir in mehrfacher Beziehung namentlich in der Aufgabe von Zürich zu liegen. In dieser Kardinalfrage des schweizerischen Staatslebens stehen sich eben zwei Extreme einander gegenüber. Das eine Extrem lässt vor dem Bund die Kantone, das andere vor den Kantonen den Bund verschwinden. Die Wahrheit wird auch hier, wie dies so oft der
NZZ Libro ISBN 978-3-907291-32-0
www.nzz-libro.ch
so oft der Fall ist, in der Mitte liegen. Und diese rechte Mitte zur Anerkennung zu bringen und
Joseph Jung
Alfred Escher (1819–1882). Aufstieg, Macht, Tragik 978-3- 03810 -274-8
Alfred Eschers Thronreden
Ein hervorragendes, sorgfältig illustriertes und spannend geschrie benes Panorama eines wichtigen Kapitels der Schweizer Geschichte. Jürg Müller, Schweizer Revue 2020
verschwinden. Die Wahrheit wird auch hier, wie dies
Fall ist, in der Mitte liegen. Und diese rechte Mitte zur Anerkennung zu bringen und unablässig darauf hinzuwirken, dass sie festgehalten werde, scheint mir
Mit seinem Sendungsbewusstsein markiert Alfred Escher unmissverständlich die liberale Herrschaft im jungen Bundesstaat. Er setzte sich mit Themen auseinander, die aktueller nicht sein könnten. Escher bündelt Ideen und Tendenzen des Zeitgeistes. Seine Präsidialreden strotzen vom Selbstbewusstsein eines Politikers, der sich vorgenommen hat, die Schweiz auf den Weg des Fortschritts zu führen. Eschers Geheimnis war die logische Schärfe, die selbst schwierigsten Fragen gewachsen war. Meisterlich verstand er es, dank profunder Sachkenntnis verschachtelte Themenkomplexe in ihre Elemente zu zerlegen. Mit seiner geistigen Wucht und der eindrücklichen körperlichen Erscheinung schritt er selbstbewusst zum Rednerpult und vertrat seine Auffassungen und Anschauungen klar, deutlich und unerschrocken. Warum sollte er davor zurückschrecken, auch unbequem zu sein? Escher spürte die Gewissheit, dass seine inhaltlichen Positionen im Volk lange Zeit mehrheitsfähig waren. Er wähnte sich nicht als Sprecher eines Schattenkabinetts, nicht als Oppositionsführer oder gar als parlamentarische Randfigur. Und so fühlte er sich just in der Zeit der repräsentativen Demokratie als Repräsentant der breiten Volksmeinung. Dies gab ihm gewaltigen Rückenwird. So trat er im jungen Bundesstaat auf, und so sprach er. Und warum sollte er seine Thronreden verzwergen? Es ging ihm um das Gemeinwohl, alles andere hatte sich dem unterzuordnen. Joseph Jung (*1955), Dr. phil., Historiker und Publizist, Titularprofessor der Universität Freiburg i. Üe., Gastprofessor an Hochschulen und Universitäten. Ehemaliger Geschäftsführer und Leiter Forschung der Alfred Escher-Stiftung. Er ist auch Herausgeber der bei NZZ Libro erschienenen Alfred-EscherBriefe in sechs Bänden und einer digitalen Ausgabe. Von ihm stammen grundlegende Publikationen zur Wirtschafts- und Kulturgeschichte der Schweiz. www.jungatelier.ch
Je volkstümlicher die staatlichen Einrichtungen in Europa werden, desto mehr nähern sie sich denen der Schweiz. Die Zeiten der Vorrechte sind vorüber. Man fasst heutzutage bei Verleihung politischer Rechte den Menschen als solchen ins Auge und fragt nicht mehr nach seiner Familie und auch nicht mehr nach seiner Heimat.
Eine geschichtliche Schöpfung hat nur insofern eine Be
rechtigung, als sie mit den unwandelbaren Gesetzen der Vernunft im Einklang
Ob aber auch alles um uns wanke, die Schweiz wird, so Gott will, feststehen ! Dieser Wille geht dahin, dass sich die Schweiz steht.
nicht ohne dringende Not in auswärtige Händel einmischen, dass sie aber, wenn ihr vom Ausland in irgendwelcher Weise zu nahe getreten werden wollte, dies mit aller Entschiedenheit und unter Anwendung aller der Schweiz zu Ge bote stehenden Kräfte zurückweisen solle.
Von allen Seiten nähern sich die
Schienenwege immer mehr der Schweiz. Bereits wird die Frage, wie sie miteinander in Verbindung gebracht werden sollen, eifrig verhandelt. Es tauchen Pläne auf, gemäss denen die Bahnen um die Schweiz herum herum
Ja, meine Herren! Unser
geführt werden sollen. Der Schweiz droht somit die Gefahr, gänzlich umgangen zu werden und infolgedessen in der Zukunft das traurige
Die Schweiz als ge ge kräftigter demokratischer Freistaat ist der Dorn im Auge der europäischen Reaktion. Es darf nicht aus dem Auge gelassen werden, Bild einer europäischen Einsiedelei darbieten zu müssen.
dass die Schweiz ein kleines Land ist. Dieser Umstand kann nicht in Berücksich tigung fallen, wenn es sich um die Aufrechthaltung der Unabhängigkeit der Schweiz handelt. Kein Land ist zu klein, um seine Selbständigkeit zu verteidigen.
Es ist eine feststehende Tatsache, dass oft ein ganz kleiner Unterschied geradezu über die Konkurrenzfähigkeit zweier Länder entscheidet. Und wenn wir nichts tun für den höheren Unter richt, so haben wir den Glauben an die Zukunft verloren.
Das Schicksal
der Schweiz liegt nicht am wenigsten in ihrer eigenen Hand. Der Talisman, unter dessen schützender Obhut sie am ehesten durch alle Klippen, welche sich ihr bei der wechselvollen Gestaltung der politischen Verhältnisse Europas entgegentürmen können, hindurchzusteuern
Spricht man aber von der welt geschichtlichen Mission, welche die Schweiz zu erfüllen habe, so wird sie diese Aufgabe nicht mit ihren Bajonetten, sondern dadurch zu lösen berufen sein, dass sie der Welt das Beispiel eines Volkes gibt, welches von der vollen Freiheit, die es sich errungen, einen würdigen, zu seinem Glücke gereichenden Gebrauch zu machen versteht. Die Neutralitätspolitik der Schweiz muss mit vermögen wird, heisst Neutralität.
einem Wort eine selbständige sein. Die Schweiz soll demgemäss stetsfort dazu ge ge rüstet sein, sich gegen jeden Angriff auf ihre Neutralitätsstellung, welcher immer zugleich auch ein Angriff auf ihre Unabhängigkeit sein wird, komme er, woher er wolle, zur Wehr zu setzen.
Neutralität, rückhalt
Alpenland soll der Hochaltar der Freiheit in Europa sein. lose Neutralität, sei und bleibe der
Das Gefühl, dass mit den Finanzen des Bundes nicht sorgfältig und haus haus hälterisch genug umgegangen werde, ist ein weit verbreitetes.
Leitstern der Politik der Schweiz gegenüber dem Ausland !
Hüten wir uns, dass wir die Bundesgewalt allzusehr auf die selbständige Entwicklung der Kantone drücken lassen. Der schöne Baum unseres neuen Bundes, der seine schützenden Zweige über das ganze Vaterland ausbreitet, hat zu seinen Wurzeln die Kantone. Würden wir diese Wurzeln verkümmern und absterben lassen, so wäre damit auch dem Baum der sichere Untergang bereitet.
Die Schweiz kann nicht eine Grossmacht werden, und wenn
sie es auch könnte, so wäre kein Grund für sie vorhanden, es zu wollen. Die Schweiz soll sich bescheiden, zu bleiben, was sie ist. Sie soll aber stetsfort bereit sein, für die Erhaltung ihres unverkümmerten Bestands Gut und Blut einzusetzen.
Für Benedict
Joseph Jung
Alfred Eschers Thronreden 1848 bis 1868
NZZ Libro
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, und Joseph Jung, Walchwil/Zug Umschlag: Dr. Alfred Escher, Originalzeichnung von F. Weiss, in: Illustriertes Konversations-Lexikon, Leipzig 1870 Lektorat/Korrektorat: Edgar Haberthür, Winterthur Gestaltung und Layout: Urs Bernet, Die Büchermacher GmbH, Zürich Druck und Einband: Eberl & Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-907291-32-0 www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.
Inhalt Alfred Escher zur Lage der Nation 11 Die einmalige Chance 13 Ein Mann comme il en faut pour la Suisse! 14 Escher weist den Weg 16 Verhandlungsgeschick 18 Der Geist von 1848 23 Vom studentischen Vortrag zur politischen Brandrede 25 Der kometenhafte Aufstieg 29 Der letzte Bürgermeister von Zürich 32 Redekunst 34 Omnipräsenz 36 Die Logik der Zentralisation 38 Die wichtigste politische Errungenschaft der Neuzeit 44 Völkersolidarität und Fürstenmacht: 52 Die Stellung der Schweiz in Europa Grundsätze der Aussenpolitik und 54 die besondere Frage der Neutralität Neuenburg löst sich von Preussen 60 Konflikt mit Frankreich um Savoyen und das Dappental 67 Zürich 1868 /69: Das System wird gestürzt 73 Ein Toast auf die Freiheit 77 Alfred Eschers Reden 1848 bis 1868
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Quellen 264 Register 267
R 00
Joseph Jung Alfred Escher zur Lage der Nation
Joseph Jung Alfred Escher zur Lage der Nation
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Die einmalige Chance
Alfred Escher ist eine Ausnahmeerscheinung. Keine Persönlichkeit aus Politik und Wirtschaft hat die jüngere Schweizer Geschichte so stark geprägt wie er. Modellhaft steht er für die Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die sich im jungen Bundesstaat durchsetzte. Das war seine Erfolgsformel. Damit stiess Escher in bisher ungeahnte Dimensionen vor. An der Limmat baute er ein machtpolitisches Zentrum auf und verdichtete es zum System. Von Zürich aus eroberte er – unbeirrt von Lob und Tadel – die ganze Schweiz. «Wie Augustus das Römerreich, so sah er die Eidgenossenschaft zu seinen Füssen.»1 Diese Kritik eines konservativen Gegenspielers war allerdings bösartig. Sie wird Eschers Persönlichkeit und Wirkmächtigkeit nicht gerecht. Ohne Alfred Escher kann man sich die Entwicklung, welche die junge Schweiz nach 1848 nahm, nicht vorstellen. Auch die heutige Schweiz zehrt noch von der Erfolgsgeschichte, welche die jungen Politiker der ersten Stunde, die 48er, geschrieben haben. Mit der Bundesverfassung war der Rahmen gesetzt. Doch damit war die moderne Schweiz noch nicht gebaut. Grundlegende Fragen blieben zu beantworten: Welche Aufgaben gehörten in die Kompetenz des Bundes, welche in diejenige der Kantone? Die 48er fanden sich auf der grünen Wiese – eine Situation, wie es sie in der Geschichte von Staaten gewöhnlich nur einmal gibt.2 Escher griff überall dort ein, wo es ihm nötig schien. Wenn seine Reden Zürcher Geschichte erzählen, so sind sie gleichzeitig ein Kompendium der Schweizer Geschichte. Escher ist überall präsent. In der kantonalen wie in der eidgenössischen Politik gab es kein Gebiet, dem sich Escher nicht gewidmet hätte, wohl keine Frage, der er sich nicht stellte. Hatte er sich in eine Problematik eingearbeitet, liess er sie nicht mehr los, bis er die Lösung gefunden und umgesetzt hatte. Und so wurde die Schweiz zu einem Laboratorium des Fortschritts. Alles war möglich.3 Im Verlauf seines Lebens stand Alfred Escher hunderte Male am Rednerpult – im Grossen Rat des Kantons Zürich, im eidgenössischen Parlament, an Generalversammlungen seiner Bahn- und Finanzinstitute. Kaum mehr zählbar sind seine Voten, die nicht als strukturierte Reden vorbereitet, sondern der situativen Erfordernis geschuldet waren, wenn er als Regierungsrat, Nationalrat, Direktions- oder Verwaltungsratspräsident replizierte. Die Vielzahl seiner Wortmeldungen beeindruckt um so mehr, wenn man bedenkt, dass Escher das Wort nur dann ergriff, wenn er etwas zu sagen hatte und sich in einer Sachfrage kompetent fühlte, was angesichts der vielen Dossiers, die er zugleich bearbeitete, erstaunt und selbst von politischen Gegnern gewürdigt wurde. Statistisch ebensowenig erfasst sind die Joseph Jung: Alfred Escher zur Lage der Nation
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Toasts, für die er gemischte Gefühle hatte. Denn obwohl er den politischen Stegreif beherrschte, liebte er das hymnisch-diplomatische Reden nicht. In einer Art und Weise, wie dies heute nicht mehr vorstellbar ist, positionierte sich Escher mit seinen Eröffnungsreden zunächst im Zürcher Grossen Rat.4 Bereits mit seiner Rede als Grossratspräsident vom 28. März 1848 sprengte er gängige Muster: mit der Redezeit, die er sich gab; mit den Themen, die er aufgriff; mit den Prioritäten, deren Dringlichkeit er beschwor. [ R 1] An seinem Kurs hielt er auch als Nationalratspräsident fest. Und so kam es, dass diese präsidialen Eröffnungsreden, die unter der Bezeichnung «Thronreden» in die Geschichte eingingen, ganz unterschiedlich beurteilt wurden. In liberalen Kreisen umflort und zur Legende stilisiert, stiessen sie beim politischen Gegner gewöhnlich auf Fundamentalkritik. Escher polarisierte. Ob man fasziniert oder abgestossen war – Eschers präsidiale Auftritte liessen einen nicht unberührt. Sein Anspruch an Inhalt, Form und Stringenz seiner Reden forderte heraus. Doch nicht immer provozierte er gegensätzliche Reaktionen. Eschers staatsmännische Reden, von denen es mehrere gibt, fanden den ungeteilten Beifall aller politischen Lager. Die insgesamt 32 Reden, die hier im Wortlaut wiedergegeben werden, dokumentieren Alfred Escher als Politiker.5 Es handelt sich um 27 Präsidialreden aus der Zeit von 1848 bis 1868 : Mit 14 Reden eröffnete er Sitzungen des Zürcher Grossen Rats und mit 5 Reden Sessionen des Nationalrats; mit 8 Reden schloss oder vertagte er den Nationalrat. In 4 Reden sprach Escher in einer Eintretensdebatte und als Berichterstatter von nationalrätlichen Kommissionen. Eine Rede – sie dauerte nur einen kurzen historischen Augenblick – galt 1856 der Vereidigung des Generals.6 Ein Mann comme il en faut pour la Suisse!
Die radikal-liberalen Zürcher Politiker hinterliessen bei ihm keinen nachhaltigen Eindruck. Viele von ihnen seien unter harter Mühe aus dem Volk hervorgegangen, ihre plebejische Abkunft klebe ihnen an. Es seien stille, kleine, blasse Männer mit nüchternen, kalten, ruhigen Gesichtern, andere breitgeschultert und von martialischem Ansehen. Allein ein stattlicher junger Mann zeichne sich körperlich und geistig vorteilhaft aus: Dr. Escher. Zu dieser Erkenntnis gelangte der deutsche Schriftsteller und Historiker Theodor Mügge, als er auf seiner ausgiebigen Schweizer Reise im Sommer 1846 die Limmatstadt besuchte.7 Über die Mannigfaltigkeit der politischen Figuren, die das Schweizervolk auserwählt hatte, wunderte sich zweieinhalb Jahre später auch ein anderer Deutscher: Friedrich Engels, der Mitverfasser des Kommunistischen Manifests. Als damaliger Redaktor eines liberalen Blatts war er Ende 1848 in die Schweiz gekommen, um Land und Leute kennenzulernen. Denn diese etwas sonder14
bare, von Fortschrittsgläubigen hochgelobte Republik strahlte kräftig in die maroden europäischen Monarchien aus und zog Revolutionäre und Freiheitskämpfer aller Länder an. Engels wollte Anschauungsunterricht haben. So liess er sich am 6. Dezember auf der Tribüne des Nationalratssaals nieder, schaute dem Treiben zu und hielt seine Eindrücke fest. Sein scharfes Auge erfasste den 29-jahrigen Vizepräsidenten: Herrn Doktor Alfred Escher – Zürcher und ebenso schweizerischer Athenienser. «A la bonne heure, das ist ein Mann comme il en faut pour la Suisse!» Ihm widmete er eine denkwürdige Persönlichkeitsbeschreibung.8 Eschers äusserliche Erscheinung mit Frack und Gilet, von Zürichs bestem Tailleur angefertigt, zeige das liebenswerte, vom altgewohnten, kleinbürgerlichen Zuschnitt aber noch nicht vollständig befreite Bemü hen, den Pariser Modejournalen nachzueifern. Wie der Frack, so der Mann! Sehr sorglich, aber schrecklich bürgerlich geschnittene blonde Haare, der Bart desgleichen – eine Caprice, die bei einem Zürcher aus guter Familie sehr an Alkibiades den Ersten erinnere. Wenn Herr Vizepräsident Escher den Stuhl des Präsidenten besteige, um die Versammlung vorübergehend zu leiten, so vollziehe er dieses Manöver mit einer Mischung aus Würde und eleganter Nonchalance. Kurz, Herr Escher sei so elegant, wie man es im Schweizer Athen nur sein könne, und dazu reich, hübsch, von kräftigem Körperbau und nicht über 33 Jahre alt. Die Berner Damen sollten sich vor diesem gefährlichen Alkibiades aus Zürich hüten! Engels attestierte Escher eine weitere, nicht schweizerische Eigenschaft: Sein Gestus bestehe nämlich darin, dass er die Hand gerade vor sich hinstrecke und mit ihr die Bewegung eines Pumpenschwengels aufs täuschendste nachmache, während doch jeder Deutschschweizer für seine Reden, bei allen Gelegenheiten und für die Dauer seines Lebens, nur einen einzigen Gestus kenne: Der eine strecke den rechten Arm seitwärts im rechten Winkel erhoben von sich, ein anderer – in der Regel ein Offizier – mache zwar genau denselben Griff, halte nun aber den Arm gerade vor sich; dieser mache bei jedem dritten Wort eine Verbeugung, jener wechsle zwischen Front, halbrechts und halblinks. Kurz, wenn man den ganzen deutsch redenden Nationalrat zusammennehme, so bekomme man einen ziemlich vollständigen Telegraphen heraus. Engels bezieht sich allerdings nicht auf den Telegraphenapparat, sondern auf den Beamten, der diesen bedient und dessen stereotypen Bewegungen durch die eng beieinander liegenden Bedienungselemente des Geräts vorgegeben sind. Was uns an dieser Stelle besonders interessiert, ist Engels Beur teilung der rhetorischen Fähigkeiten: Herr Escher spreche recht fliessend und so gutes Deutsch, wie es einem Schweizer Athenienser nur möglich sei: attisches Idiom mit dorischem Akzent, aber ohne grammatische F ehler, und das sei nicht jedem Nationalrat der deutschen Schweiz gegeben. Herr Joseph Jung: Alfred Escher zur Lage der Nation
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Escher spreche wie alle Schweizer mit schreckenerregender Feierlichkeit und werde wohl in seinem siebzigsten Jahr keinen solenneren Ton anschlagen können, dabei sei er einer der jüngsten in der Versammlung. Es ist zu bedauern, dass Engels bei seinem Besuch im Nationalrat von Escher keine Präsidialrede zu hören bekam, sondern lediglich eine trockene Aufzählung von Voten aus der Petitionskommission. Nicht verwunderlich, dass der illustre Gast zum Schluss kam, die Rede habe absolut nichts Neues enthalten. Doch etwas anderes hatte Engels auch festgestellt: dass Eschers Ausführungen schon damals mediale Breitenwirkung erzielten. Diese beiden Profilbilder – von Mügge und Engels en passant gezeichnet – zeigen bemerkenswerte Merkmale des Jungpolitikers, die sich beim späteren Staatsmann wiederfinden. Dies trifft auch auf Eschers rednerischen Qualitäten zu. Seine imponierende Gestalt, die von physischer Kraft strotzte, vermittelte dem magistralen Auftritt eine natürliche Grundlage: Eine scharfsinnige Logik, die argumentativ und methodisch voranschritt; ein Auge, das den Raum in alle Richtungen durchmass und die Zuhörer an sich band; eine Stimme, die zwar feierlich sein konnte, indes weniger durch Wohllaut beeindruckte als durch ihren tiefen Klang; eine Stoffbeherrschung, die auf gründlicher Vorbereitung basierte und selbst Details gewissenhaft beachtete. Damit ist schon manches gesagt, was Eschers politische Reden dokumentieren und was den Redner qualifiziert. Escher weist den Weg
Alfred Escher sprach zur Lage der Nation. Ob im Zürcher Rathaus oder im Nationalratssaal in Bern – das Podium war für ihn so wenig relevant wie die Tribüne. Es ging ihm um die Sache. Mit seinen präsidialen Eröffnungsreden holte er inhaltlich weit aus, erschloss mit seinem politischen Programm Zürich und die Schweiz, oft im Kontext aktueller Entwicklungen im Ausland. Dies tat er bereits mit der ersten grossen Eröffnungsrede im Grossen Rat, und daran hielt er fest. Mit seinem Sendungsbewusstsein markierte Escher unmissverständlich die liberale Herrschaft im jungen Bundesstaat. So kam es, dass er mit grosser Selbstverständlichkeit als Zürcher Grossratspräsident über die Beziehungen der Schweiz zum Ausland sprach, Rundschau ausserhalb der eidgenössischen Grenzmarken hielt und im Zürcher Rathaus sein grosses Bild der schweizerischen Neutralitätspolitik entwarf. [ R 23] Auch bereits in der Eröffnungsrede vom 28. März 1848, wiewohl die Traktandenliste gemäss seinen eigenen Worten keine Veranlassung zu politischen Erörterungen im eigentlichen Sinne des Wortes gab: «So werden Sie doch nicht von mir erwarten, dass ich die welthistorischen Ereignisse mit Stillschweigen übergehe.» [ R 1] Grenzüberschreitend wie als Grossratspräsident äusserte sich Escher auch als Nationalratspräsident, wenn er kantonale Gegebenheiten 16
kommentierte und dabei seine politischen Präferenzen unverhohlen zum Ausdruck brachte – wie er es namentlich in frühen Präsidialreden tat. 1850 beispielsweise erregte er beim politischen Gegner Anstoss, als er sich in die R 10] Der Kritik Berner Politik einmischte und unverblümt Partei ergriff. [ in Berner Zeitungen schlossen sich konservative Medien auch andernorts an. Man sprach von einer perfiden Manier und grober Beleidigung. Eschers Rede sei mit dem Amt und der Funktion nicht zu vereinbaren. Ein Nationalratspräsident müsse für die ganze Schweiz da sein. Was Escher geboten habe, sei eine Flegelei vom Thron herab.9 Fehlende Distanz und Vermischung der Rollen: Sprach Escher als Bürgermeister des hohen Standes Zürich oder als Nationalratspräsident? Gab er seiner persönlichen Meinung Ausdruck? Die Antwort darauf gab ein konservatives Blatt, als es Eschers Eröffnungsrede im Nationalrat vom Frühjahr 1850 kommentierte: [ R 10] Hätte ein Untertan aus fernen Königreichen der Eröffnung des Nationalrats beigewohnt, hätte er sich gefragt: Bin ich in einem Volksstaat oder in einem Kronland? Denn die Rede Eschers sei einer Thronrede ähnlich, wie ein Tropfen Wasser dem andern.10 Ob in Zürich oder in Bern – mit seinen Präsidialreden wies Escher der Schweiz den Weg: bei innenpolitischen Herausforderungen der unterschiedlichsten Art, bei aussenpolitischen Krisen und selbst bei Fragen von Krieg und Frieden. Escher setzte sich mit Themen auseinander, die aktueller nicht sein könnten: mit dem Verhältnis der Schweiz zu den Nachbarstaaten, der Bedeutung der Neutralität, den Rollen von Staat und Privatwirtschaft, der Hilfe bei Katastrophen, dem Asylwesen und der Flüchtlingspolitik. Er stellte sich Fragen zu Forschung und Hochschulen, Verkehr und Wirtschaft. Escher besetzte gleichzeitig mehrere thematische Hügel und rückte dann strategisch vor. Escher spricht als Infrastrukturpolitiker, der – nach anfänglichem Widerwillen – den massvoll zentralisierten Bundesstaat als unverzichtbaren Kern für einen blühenden Wirtschaftsraum Schweiz betrachtet; als Verkehrspolitiker, der 1852 das privatwirtschaftliche Modell des Eisenbahnprojekts durchsetzt, damit einen Jahrhundertentscheid provoziert und die Voraussetzung für die erfolgreiche Industrienation, für den Finanzplatz wie für das Tourismusland Schweiz schafft; als liberaler Wirtschaftspolitiker, der die Privatinitiative dem staatlichen Eingriff vorzieht, zugleich aber weiss, dass gewisse Aufgaben sinnvollerweise in die öffentliche Hand zu legen sind; als Bildungspolitiker, der den Forschungsplatz Schweiz begründet und die Errichtung einer eidgenössischen Hochschule als Erfolgsfaktor des Landes erkennt; als Kulturpolitiker, der sich im Namen des Nationalgefühls um die Wahrung der sprachlichen Vielfalt der Schweiz bemüht; als Aussenpolitiker, der für die bewaffnete Neutralität Joseph Jung: Alfred Escher zur Lage der Nation
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eintritt und die Unabhängigkeit der Schweiz als höchstes Gut betrachtet. Und über alles: In seinen Präsidialreden erweist sich Escher als standfester Republikaner, dem Monarchien und Dynastien ein Greuel sind. Er ist ein unerschütterlicher Vertreter der repräsentativen Demokratie, welcher der Herrschaft des Volkes nicht traut und auch nach 1868 die Hoffnung auf die Wiederkunft des liberal-grossbürgerlichen Regierungssystems nicht aufgibt. Escher tritt als Realpolitiker auf, der programmatisch denkt, doch nicht von Illusionen geblendet wird und so das Wünschbare vom Machbaren zu unterscheiden weiss; als Staatsmann, dessen Panoramablick das Wohl des ganzen Landes anzielt, der in Zeiten von Gefahr, Angst und Not Ruhe ausstrahlt und Sicherheit vermittelt. Escher bündelt Ideen und Tendenzen des Zeitgeistes. Seine Präsidialreden strotzen vom Selbstbewusstsein eines Politikers, der sich vorgenommen hat, die Schweiz auf den Weg des Fortschritts zu führen. Und so spricht Escher als Visionär, der den höchsten Hügel in der politischen Landschaft dem Fortschritt zuweist. Von diesem Punkt aus nimmt er die Modernisierung des Landes in Angriff. Dies tat er bereits in der ersten grossen Eröffnungsrede vom 28. März 1848, als er vom allmächtigen Hauch des Fortschritts sprach. [ R 1] Dieses Streben ist Eschers Ceterum censeo, ein Weckruf ohne Unterlass. Auch am 5. April 1850 : «Ihr Männer des Fortschritts! Zur R 10] Sammlung!» [ Verhandlungsgeschick
Die Gründlichkeit, mit der Escher die im Verlauf einer Session zu behandelnden Themen vorstellte und im Kontext beleuchtete, mochte die Geduld der Parlamentarier auf eine harte Probe stellen. Es verlangte Sitzleder, wenn Escher zu seinen präsidialen Eröffnungsreden schritt und gewöhnlich während einer halben Stunde oder länger grundsatzpolitisch ausholte oder die einzelnen Traktanden präsentierte. Escher strapa zierte die Aufmerksamkeit der Parlamentarier im Höchstmass, als er am R 3] 21. Juli 1848 während einer ganzen Stunde ununterbrochen sprach. [ Dies ärgerte manche Politiker, namentlich jene aus dem gegnerischen Lager. Doch heute sind wir dem Redner für seine Ausführlichkeit dankbar. Lassen wir uns von der thematischen Fülle, die uns in Eschers grossen Reden erwartet, überraschen. Den Parlamentariern mochte es ähnlich ergangen sein, wenn Escher zu einem Thema ausholte, das nicht traktandiert war, wie etwa im Herbst 1852. War dies der Allmächtigkeit des Grossratspräsidenten zuzuschreiben? Mitnichten! Escher erbat sich das Recht hierzu, da das Thema wie kein anderes im öffentlichen Interesse stehe. Es war das Eisenbahnprojekt, das zu einer Lebensbedingung für alle Länder der zivilisierten Welt und besonders für die Industriestaaten 18
geworden sei: ein unabweisliches Gebot der Selbsterhaltung für die ganze Schweiz und namentlich für den Kanton Zürich. «Es ist dies nicht etwa eine blosse deklamatorische Floskel, nein, es ist nicht mehr und nicht weniger als die nüchterne Wirklichkeit.» [ R 12] Was konnte Escher daran hindern, Themen aufzugreifen, die er als wichtig erachtete? Wer wollte ihn davon abhalten, so lange zu sprechen, wie er es für angemessen und der Sache dienlich hielt? Präsident Escher gab die politische Stossrichtung vor, er strukturierte die Themen, erwog und steckte Lösungen ab. Doch nicht nur das. Escher verstand es, Kontexte zu analysieren und historische Entwicklungen darzustellen. So etwa, wenn er als Nationalratspräsident die 1830er Jahre mit den Verhältnissen im jungen Bundesstaat verglich oder als Präsident des Grossen Rats die Bundesverfassung von 1848 dem Bundesvertrag von 1815 gegenüberstellte. [ R 8, 12] Eindrücklich auch, wie er die über Jahrhunderte gewachsenen staatsrechtlichen Strukturen des jurassischen Dappentals darlegte und dabei die Ausübung der Hoheitsrechte problematisierte. [ R 22] Legte Escher in seinen Eröffnungsreden gewöhnlich das ganze Programm auf den Tisch, spannte er in den Schlussreden den Bogen und beurteilte die im Verlauf der Sitzungen erzielten Resultate. Die Darlegung dieses Leistungsausweises erfolgte strukturiert, sachlich und im Unterschied zur Exposition bei Eröffnungsreden in Kürze, manchmal gefolgt von einer persönlichen Wertung: so etwa Ende 1849, als er den Beschluss betreffend die Heimatlosen würdigte. Dieser beweise, so Escher mit Blick auf die Nationalräte, «dass Ihr Herz nicht weniger warm schlägt für Menschlichkeit als für das Vaterland». [ R 9] Doch es kam auch vor, dass er in seiner Rückschau existenzielle Fragen aufgriff und beschwörende Worte fand. So veranlasste ein dringliches Thema Escher 1862 am Schluss der Session, staatspolitisch auszuholen. Es waren nämlich Bestrebungen aus Italien bekannt geworden, die auf den Anschluss des Tessins zielten. Damit war für Escher die Existenzfrage der Schweiz gestellt – und hier konnte er nicht schweigen. Er appellierte leidenschaftlich: «Wenn der Kanton Tessin, weil seine Bevölkerung italienischer Zunge ist, zu Italien gehört, so kann mit demselben Recht die deutsch sprechende Schweiz von Deutschland und die französisch redende von Frankreich in Anspruch genommen werden. Es würde also die Schweiz aus der Karte von Europa verschwinden.» [ R 28] Bei Vertagung oder Abschluss einer Session war Präsident Escher befriedigt, wenn er feststellen konnte, dass die Parlamentarier ihre Kräfte mit unverdrossener Hingebung für die Wohlfahrt des Vaterlandes eingesetzt und ihre Pflicht gewissenhaft erfüllt hatten. [ R 5, 18] Oder wenn er die abgeschlossene parlamentarische Arbeit als bedeutend würdigen konnte, weil die erzielten Beschlüsse von hoher Wichtigkeit waren. [ R 7] Joseph Jung: Alfred Escher zur Lage der Nation
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Ein anderes Mal bedankte er sich bei den Nationalräten, weil sie in der Debatte mit Einsicht, Mässigung und Takt mancherlei Klippen umschifft hätten, was selbst im Ausland gebührende Würdigung gefunden habe. [ R 20] Die parlamentarische Eintracht war Escher namentlich dann wichtig, wenn es darum ging, Geschlossenheit nach aussen zu demonstrie ren und zu diesem Zweck von partikularen Interessen und persönlichen Befindlichkeiten Abstand zu nehmen. Die Verschiedenheit der Ansichten sei zwar wichtig, doch vor den höheren Interessen des Vaterlands müsse diese zurücktreten. Darauf war im Sommer 1849 seine Schlussrede ge richtet, als er von Konzessionen sprach, die gemacht werden müssten, um dem Ausland nicht das Bild innerer Spaltung darzubieten. «Es bedurfte dazu vieler Selbstverleugnung, um des Vaterlands willen. Aber gerade dass der Nationalrat diese Selbstverleugnung besass, das ist das Hauptergebnis, das ist das schöne Hauptergebnis der kurzen Sitzung.» Darauf äusserte Escher zwei Wünsche, die er den Parlamentariern auf den Heimweg mitgab. Der erste betraf die bundesbrüderliche Eintracht: Die Nationalräte möchten doch den Geist, der sie bei den Verhandlungen durchdrungen habe, auch im Volk wecken und befestigen. Der zweite betraf den grundsätzlich festen Gang der Bundesbehörden. Die Einigung im Hinblick auf das gemeinsame höhere Ziel dürfe keinesfalls die parlamentarischen Prinzipien unterlaufen. «Soll aber die Bahn des Fortschritts innegehalten werden, so dürfen solche Konzessionen auch nicht zu viele gemacht werden.» [ R 7] Die Prinzipientreue war Eschers politische Grundlage. Mehrfach wurde sie Gegenstand seiner Schlussbetrachtungen. Auch im Sommer 1862. Bei der Vertagung der ordentlichen Session würdigte er die Verhandlungen, die das ansprechende Bild einer leidenschaftslosen Erörterung dargeboten hätten. Zwar mochte der Grund des allseitig freundlichen Zusammenwirkens in der Natur der Traktanden gelegen haben. Doch auch nicht minder darin, «dass wir, ohne unseren Grundsätzen irgendwie untreu zu werden, abweichende Ansichten milder zu beurteilen uns gewöhnt haben. Möge ich mich in dieser Anschauungsweise nicht täuschen! R 28] Ich wünsche es ebenso aufrichtig als warm.» [ Es kam vor, dass Escher mit den Verhandlungsverläufen nicht zufrieden war. So Ende 1849 im Nationalrat, als er eine gewisse Gereiztheit kritisierte, die sich bei der Behandlung der politischen Geschäfte kundgetan habe. Und er appellierte an die Parlamentarier, bei der nächsten Sitzung einer natürlicheren und gelassenen Stimmung Raum zu geben. Die Überzeugung solle sich immer mehr Bahn brechen, dass politische Freundschaft und Treue ungetrübt und ungeschwächt bestehen können, selbst wenn man nicht in allen Beziehungen einer Ansicht sei. [ R 9] 20
Eschers Liebenswürdigkeit im persönlichen Umgang fand ihren Niederschlag in seinen Schlussreden. Etwa beim Dank an die Parlamentarier für deren Engagement. Bewegte Worte fand er bei der Vertagung der ersten von ihm als Nationalratspräsident geleiteten Session im Sommer 1849. Er bedankte sich für das Wohlwollen, das seine Kollegen ihm gegenüber fortwährend an den Tag gelegt und mit dem sie seine Verrichtungen ganz wesentlich erleichtert hätten. «Nehmen Sie mit meinem warmen Dank die Versicherung entgegen, dass die Erinnerung an Sie tief in mein Herz gegraben sein wird, und genehmigen Sie meine Bitte, mich hinwieder Ihrem freundlichen Andenken empfohlen sein zu lassen.» [ R 5] Und je nach Umstand folgten die guten Wünsche für die Rückkehr in die Heimat und zur Familie, für die sessionsfreie Zeit, für Festtage oder für ein anstehendes neues Jahr. Manchmal aber schloss Escher die Sitzung mit einem herzhaften Ruf, so im Sommer 1857 : «Es lebe die EidgenossenR 20] schaft! Es lebe der Kanton Neuenburg!» [ Eschers Verständnis von Aufgabe und Funktion eines Grossrats- oder Nationalratspräsidenten ging weit über rein formale Leitungstätigkeiten hinaus, die darin bestanden, Traktandenlisten zu erstellen, Sitzungen zu eröffnen und zu schliessen, die Debatten formell zu leiten und dabei das Wort zu erteilen. Sein Verständnis war ein ganz anderes. Als Präsident wollte er nicht residieren, sondern aktiv gestalten, schöpferisch tätig sein, die Richtung vorgeben und damit die Themenführerschaft markieren. Eschers aktive und programmatische Führungsrolle als Präsident hielt ihn nicht davon ab, gleichzeitig in Kommissionen tätig zu sein, Gutachten und Entwürfe für Bundesgesetze zu schreiben, Anträge zu stellen, Motionen in die Wege zu leiten und Prozesse der unterschiedlichsten Art anzustossen. Eschers Kompetenz, Sitzungen zu leiten, war aufsehenerregend. Seine konzisen Zusammenfassungen, mit denen er gewöhnlich die zu behandelnden Themen einführte, seine souveräne Fähigkeit, aktuelle Traktanden in den historischen Kontext zu stellen und Entwicklungen aufzuzeigen oder inhaltlich komplexe und politisch delikate Fragen zu strukturieren und einer Lösung zuzuführen, wurden als meisterhaft bezeichnet. Bereits als 29-jähriger Grossratspräsident und als 30-jähriger Nationalratspräsident trat er wie ein Routinier auf. Er vereinte Wissen und Kenntnisse in Sachthemen mit Intellektualität und einem genuinen Sensorium für Stimmungen. Und unübersehbar war Eschers Unerschrockenheit, sein mutiges Anpacken, das entschlossene Vorausgehen und in allem der patriotische Eifer. Es lag nicht an der Sitzungsleitung und an der Führungsqualität des Präsidenten, sondern an den Umständen der Zeit und der Bequemlichkeit der Politiker, wenn offiziell anberaumte parlamentarische SitzunJoseph Jung: Alfred Escher zur Lage der Nation
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gen nicht oder erst verspätet stattfinden konnten, weil das Quorum der Präsenz nicht erreicht war. Escher mochte Verständnis dafür aufbringen, wenn die prekären Reiseverhältnisse im jungen Bundesstaat als Grund für verspätetes Eintreffen geltend gemacht wurden. Selber ein Beispiel von Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit, ging ihm indes jegliches Verständnis ab, wenn seine Parlamentarierkollegen nach durchzechter Nacht den morgendlichen Sitzungsbeginn verschliefen oder gar Bern aus zweifelhaften Gründen verliessen. Als Nationalratspräsident zog er gegen dieses Malaise zu Feld. Mit unterschiedlichem Erfolg. Es kam immer wieder vor, dass die Parlamentarier statt zu Sitzungsbeginn erst im Verlauf des Morgens allmählich im Ratssaal eintrafen. Dies hatte beispielsweise am 1. Juli 1849 zur Folge, dass Escher seine Rede statt um 9 Uhr erst eine Stunde später halten konnte. Andere Verspätungen hatten weit gravierendere Auswirkungen. So am 4. April 1850 : Die Sitzung konnte um punkt 9 Uhr, so der anberaumte Zeitpunkt, nicht eröffnet werden. Trotz allem Warten ergab der Namensaufruf, dass selbst um 11 Uhr erst lediglich 49 statt der reglementarisch erforderlichen 56 Parlamentarier an Ort und Stelle waren. Fast vollständig fehlten die Berner Nationalräte, da gleichentags eine Sitzung des Grossen Rats stattfand, und von den 12 Zürchern waren nur 4 anwesend. Escher äusserte sein Bedauern und ersuchte die Herren inständig, am folgenden Tag pünktlich um 9 Uhr zu erscheinen. Doch auch dann konnte die Sitzung nicht wie geplant eröffnet werden. Es wurde 11 Uhr, bis das Quorum erfüllt war und der Präsident zu seiner Rede schreiten konnte.11 Wiederholt allerdings äusserten die Parlamentarier den Wunsch, eine Session abzubrechen. Die Erledigung persönlicher Geschäfte lasse die Anwesenheit nicht mehr länger zu. Seit etwa drei Jahren habe man die Hälfte der Zeit hier zugebracht, meinte ein Nationalrat der ersten Legislaturperiode. Privatgeschäfte wie öffentliche Angelegenheiten in den Kantonen litten offenbar darunter. Den einen zog es heim ins Comptoir, den anderen zu kantonalen Amtsgeschäften. Doch hielten gewöhnlich auch Schützenfeste und andere patriotische Feiern Parlamentarier von der Teilnahme an Ratssitzungen ab. Hinzu kamen Verkehrsprobleme. So fiel etwa 1853 auf, dass die sämtlichen eidgenössischen Räte aus dem Kanton Schwyz mehr als einmal dem parlamentarischen Betrieb in Bern fernblieben.12 Diese Umstände führten im eidgenössischen Parlament zu labilen Verhältnissen. Bei Eröffnung der Session am 16. April 1849 waren lediglich 57 Nationalräte anwesend, just einer mehr als erforderlich. Führt man sich vor Augen, welch grundlegende Geschäfte in den ersten Jahren des jungen Bundesstaats entschieden werden mussten, überrascht der Mangel an Disziplin. Manche Traktanden blieben dem Zufall überlassen. Tatsäch22
lich kam es vor, dass Geschäfte eine unerwartete Wendung nahmen, je nachdem, wer anwesend war. Namentlich zu Beginn und gegen Ende der Session machte sich dieser Übelstand bemerkbar. Wiederholt ermahnte Escher seine Kollegen, in Bern auszuharren und nicht nach Hause zu gehen. Einmal musste er sie dringend bitten, in der Bundesstadt zu bleiben, da man ja beschlossen habe, das Münzgesetz zu vollenden, und auch das Militärgesetz sei durchaus fertig zu behandeln. Doch Escher übertrieb in umgekehrter Richtung. Am 30. Juni 1849 schloss Nationalratspräsident Escher die Session um 22 Uhr. [ R 5] Nicht anders in Zürich. Escher setzte durch, dass ein Gegenstand auch spätabends noch im Grossen Rat auf die Traktandenliste gesetzt wurde.13 Eschers Meisterschaft in der Verhandlungsführung – eine Präzision, die fast schon zu präzis war – wurde von Freund und Feind gleichermassen gewürdigt.14 Diese Fähigkeit hatte er in der Zofingia eingeübt. Nachdem er sie bereits als Jungpolitiker ausgespielt hatte, sah er keinen Grund, dies als 30-jähriger Nationalratspräsident nicht wieder zu tun – ohne Selbstzweifel angesichts der ihn umgebenden arrivierten und vielfach schon angegrauten Parlamentarier. So trat er 1850 auf, nach einem langen und herausfordernden parlamentarischen Jahr mit nicht weniger als 126 Sitzungen – die Kommissionssitzungen nicht gerechnet –, und schritt am 9. Mai zur grossen Schlussrede. [ R 11] Mochte die konservative Kritik an den nun von ihm auch im eidgenössischen Parlament praktizierten Thronreden nicht ausbleiben, wurde dem Präsidenten doch ebenso attestiert, dass er den Nationalrat mit Besonnenheit geleitet habe. Als dann Johann Konrad Kern als Vizepräsident den Dank an Escher aussprach, erhoben sich sämtliche Nationalräte von den Sitzen zu einer Standing Ovation. Was kann die Anerkennung einer exzeptionellen Leistung deutlicher zum Ausdruck bringen und Eschers parlamentarische Führungsrolle besser illustrieren? 15 Auch in Zürich erhielt Escher Akklamation für ausgezeichnete Geschäftsführung, die an Geschick, Gewandtheit und Zügigkeit nichts zu wünschen übriglasse. Dies würdigte selbst die konservative Presse. Anfang 1852 etwa attestierte sie ihm, die Grossräte durch kluge Leitung wohlbehalten und auf dem kürzesten Weg durch die Beratung geführt zu haben – anerkanntermassen keine Kleinigkeit bei einem so umfangreichen Gesetz, wie es das Militärgesetz war.16 Der Geist von 1848
Eschers beispielloser Aufstieg in der Politik, seine patronalen Auftritte, die jeder Diskussion den Weg vorzeichneten, und die spätere Kumulation und Verflechtung seiner politischen Ämter mit wirtschaftlichen Machtpositionen charakterisieren ihn als Grossbürger. Dabei trat er just in jenen Joseph Jung: Alfred Escher zur Lage der Nation
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Jahren auf die Bühne der schweizerischen Öffentlichkeit, als die letzte und vielleicht grösste Stunde des Schweizer Grossbürgertums geschlagen hatte. Damals herrschten im Parlament klare Verhältnisse; die Regierung war nicht auf Konkordanz ausgerichtet, Referendum und Initiative lagen als demokratische Volksrechte noch in weiter Ferne. Doch bald schon sollte das sich ausdifferenzierende demokratische System entschieden auf das schnell aufstrebende Kleinbürgertum setzen. In einem solchen Klima war für einen wirtschaftlichen und politischen Machtpol, wie Escher ihn verkörperte, kein Platz mehr.17 Eschers Präsidialreden dokumentieren die Entwicklung des jungen Bundesstaats in eindrücklicher Weise. Da sie von einem Protagonisten stammen, der hautnah an vielen Brennpunkten des Geschehens war, kommt ihnen exemplarische Bedeutung zu. Wohl gab es andere Politiker, die auch bedeutsame Reden hielten. Doch es gab keinen, weder in Zürich noch in einem anderen Kanton oder auf eidgenössischer Ebene, der mit Escher zu vergleichen wäre: Escher steht allein da. Kein anderer Politiker, der das Podest im Grossen Rat und im Nationalrat derart häufig bestieg, auch kein anderer Präsident, der Thronreden hielt und auftrat wie Alfred Escher.18 Eschers Präsidialreden lassen ganz unterschiedliche Phänomene zutage treten, die Wesen und Zustand der jungen Schweiz charakteri sieren: Zürichs kapitale Stellung, die im Verlauf der 1850er Jahre dank neuen Infrastrukturen – Bahnen, Hochschulen und Finanzinstituten – glanzvoll ausstrahlte und die – ohne Bundesstadt zu sein – landesweit die wirtschaftliche und kulturpolitische Vorherrschaft für sich beanspruchte; Zürichs politische Vertreter im jungen Bundesstaat, die eine herausragende Rolle spielten; die rasch gewachsenen und sich bewährenden Bundeseinrichtungen, die rückblickend betrachtet den 1848 eingeschlagenen Weg als den richtigen ausweisen. Schliesslich Eschers politische Potenz, die ihn – bald schon mit wirtschaftlicher Strahlkraft kombiniert – in der Schweiz zu einer singulären Figur machte. Dies alles ergab eine ungeheure Dynamik, die von den Wirtschaftspolitikern im jungen Bundesstaat ausgeschöpft wurde und die Modernisierung des Landes in einem Ausmass und in einem Tempo beflügelte, wie man sich dies bei der Bundesstaatsgründung nicht hätte vorstellen können. Es lag nicht allein an der Person. Es war dieser 48er-Geist, der den Aufbruch zur modernen Schweiz so mächtig beflügelte. 1848 hatte sich ein historisches Zeitfenster geöffnet, das präsidiale Reden im Stil Eschers erst zuliess und sich Ende der 1860er Jahre wieder schloss. Eschers Thronreden sind nur im jungen Bundesstaat möglich, in dieser kurzen, wenig regulierten Pionierphase von rund zwanzig Jahren. Mit der Verfassungsreform in verschiedenen Kantonen und den damit verbundenen 24
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Alfred Eschers Reden 1848 bis 1868
Alfred Eschers Reden 1848 bis 1868
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28. März 1848 Die republikanische Schweiz bahnt dem freien Europa den Weg 11. Mai 1848 Die Gleichstellung aller Schweizer als Lebensnerv der politischen Entwicklung 21. Juli 1848 Klugheit spricht dafür, den Entwurf zur neuen Bundesverfassung anzunehmen 26. Dezember 1848 Zwischen Asylpolitik und Auswanderung: Armut als ein Hauptproblem der Gegenwart 30. Juni 1849 Alles wankt, aber die Schweiz wird, so Gott will, feststehen 1. August 1849 Tausende von Asylsuchenden stellen die Aussenpolitik auf die Probe 8. August 1849 Nur der Weg gegenseitiger Zugeständnisse führt zur Eintracht 12. November 1849 Eidgenössische Bildungseinrichtungen und Eisenbahnen befeuern den Fortschritt 22. Dezember 1849 Politische Freundschaft und Treue trotz unterschiedlichen Ansichten 5. April 1850 Die Schweiz als Hochaltar der Freiheit und als Dorn im Auge der europäischen Reaktion 9. Mai 1850 Ein Zoll, eine Post, eine Währung, eine Armee: Es lebe der neue Bund! 28. September 1852 Die Eisenbahn dient allen Klassen zivilisierter Länder
91 102 114 131 138 142 145 148 158 161 172 175
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20. Dezember 1852 Der Bahnbau ist die wichtigste Aufgabe der Gegenwart
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17. Januar 1854 Eidgenössische Bildungseinrichtungen: jetzt oder nie!
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30. Dezember 1856 Im Aufblick zu Gott: Die Bundesversammlung vereidigt General Dufour 14. Januar 1857 Im Bundesstaat ist kein Platz für ein preussisches Fürstentum
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15. Januar 1857 Im äussersten Fall ist der Krieg mit der ganzen Welt zu wagen 16. Januar 1857 Durch Mässigung gewinnen wir Kraft – und die Achtung der Welt 9. Juni 1857 Ja zur Unabhängigkeit Neuenburgs von Preussen
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12. Juni 1857 Gut gemacht – Es lebe Neuenburg!
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5. Mai 1859 Die Neutralität als Kleinod
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17. Januar 1860 Die Schweiz soll Frankreich im Streit um ein Juratal entgegenkommen 13. Februar 1861 Dank dem Talisman der Neutralität liegt das Schicksal der Schweiz in ihrer Hand 29. April 1861 Der Ruf des Vaterlands und die angemessene Bewaffnung der Schweizer Armee 24. Juni 1861 Der Brand von Glarus weckt das tiefe Zusammengehörigkeitsgefühl aller Schweizer 28. Oktober 1861 Rückhaltlose Neutralität bleibe der Leitstern der Schweiz!
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23. Dezember 1861 Emanzipation der Juden als grosse zivilisatorische Idee: Politiker als Ratgeber des Volkes 26. Juli 1862 Wenn das Tessin italienisch wird, verschwindet die Schweiz von der Landkarte 31. Januar 1863 Die verjüngte Eidgenossenschaft zeigt sich ihren Aufgaben gewachsen 25. Januar 1864 Die Schweiz kann keine Grossmacht werden; sie soll bescheiden bleiben, was sie ist 10. Februar 1868 Jetzt soll niemand dem Verfassungsrat dreinreden! 28. Dezember 1868 Möge jeder von uns nur der Wahrheit die Ehre geben
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Die republikanische Schweiz bahnt dem freien Europa den Weg 28. März 1848 Grosser Rat, Eröffnung der ordentlichen Sitzung Präsident Die Schweiz nach dem Sonderbundskrieg | Das Image der Schweiz im Ausland | Bundesverfassung, Bundesstaat oder Einheitsstaat | Souveränität der Schweiz | Politische und wirtschaftspolitische Entwicklung Europas, Fürstenmacht oder Volksherrschaft, Achtung der Nationalitäten und Rechte der Nationen | Vom Herd der Anarchie zum sicheren Eiland – Die Schweiz als Vorkämpferin der Freiheit und des Fortschritts in Europa | Politische Gleichstellung aller Schweizer | Die soziale Frage und das Los der arbeitenden Klassen
Sehr geehrte Herren! Wenn auch die Traktandenliste, die ich Ihnen vorzulegen im Fall war, keine Veranlassung zu politischen Erörterungen im eigentlichen Sinne des Wortes darbietet, so werden Sie doch nicht von mir erwarten, dass ich die welthistorischen Ereignisse mit Stillschweigen übergehe, die, während sie ein Jahrhundert auszufüllen geeignet wären, in der kurzen Spanne Zeit seit unserer letzten bis zu unserer heutigen Versammlung sich zugetragen haben. Als wir das letzte Mal zusammentraten, war uns der Rückblick auf Ereignisse vergönnt, die sich an die bedeutungsvollen in der Geschichte unseres Vaterlandes anreihen. Der Sonderbund lag in Trümmern vor uns, und aus diesen Trümmern war die Einheit des Vaterlands neu erstanden. Es waren die Jesuiten aus der Eidgenossenschaft entfernt und mit ihnen die ultramontane Macht im Herzen Europas gebrochen worden. Die Schweiz, die so lange bloss das Bild innerer Zerrissenheit und Schwäche dargeboten, hatte eine Kraft entfaltet, die ihr neuerdings einen ehrenvollen Platz unter den Völkern Europas sicherte. Kurz, wir freuten uns damals der Wiedergeburt unseres Vaterlands. So günstig sich die Verhältnisse in der Eidgenossenschaft gestaltet hatten, ebenso drohend schien die Stellung zu sein, welche das Ausland gegenüber derselben eingenommen. Die meisten Machthaber Europas sahen die Ermannung der Schweiz mit scheelen Augen an. Begreiflich! Es hatte ein freies Volk vor aller Welt gezeigt, was es im Kampfe für seine höchsten Interessen vermöge; es war zu besorgen, sein Beispiel möchte auch anderen Völkern die in ihnen schlummernde Kraft zum Bewusstsein gebracht haben. Darum sollte jetzt der freien Schweiz zu Leibe gegangen R 1 | Die republikanische Schweiz bahnt den Weg
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werden. Durch Unterstützung des Sonderbundes konnte dies nicht mehr geschehen. War derselbe auch zärtlichst gehegt und gepflegt, war er auch in seiner Ungesetzlichkeit von Mächten, die Gesetzlichkeit als ihr erstes Prinzip zur Schau trugen, mit der gesetzlichen Tagsatzung auf dieselbe Linie gestellt worden: er war seinen hohen Beschützern unversehens abhanden gekommen und konnte, wie besorgt er auch aufgesucht wurde, nirgends mehr gefunden werden. Man musste also auf einem anderen Wege der Schweiz beizukommen suchen. Die Schweiz strebte jetzt nach einer dem neuen Stadium der Entwicklung, in das sie getreten, entsprechenden verbesserten Verfassung. Diesen Bestrebungen, die ja zu neuen Erfolgen eines freien Volks hätten führen können, musste entgegengetreten werden, und als Handhabe dazu sollte die Mitwirkung der Mächte bei der Konstituierung der Eidgenossenschaft in ihrem gegenwärtigen Bestand benutzt werden. Und wie gebärdete man sich dabei! Fand man es nicht ratsam, den geraden Weg einzuschlagen, so verschmähte man auch einen anderen nicht. So hiess es zum Beispiel zwar freilich, die Eidgenossenschaft dürfe ihren Bundesvertrag revidieren, aber sogleich wurde an dieses grossmütige Zugeständnis die Bedingung geknüpft, es müsse die Kantonalsouveränität in ihrem bisherigen Bestand bleiben. Natürlich! Wurde doch durch diese Bedingung die Revision des Bundesvertrags unmöglich oder doch völlig wertlos gemacht! Dann hiess es wieder, wenn die Eidgenossenschaft in einer neuen Verfassung, die sie sich gäbe, die Kantonalsouveränität beschränken würde, so könnte sie der Neutralität, die ihr nur in der Vor aussetzung der Erhaltung der Kantonalsouveränität in ihren bisherigen Grenzen zugesichert worden sei, verlustig erklärt werden. Die, welche diese Sprache führten, wussten wohl, dass die papierene Zusicherung der Neutralität ein trügerisches Phantom ist. Aber indem sie dieses wussten und während sie nie daran gedacht hätten, um jener Zusicherung allen Willen die Neutralität der Schweiz zu achten, wurde sie doch gerne dazu benutzt, um ein freies Volk in der AusDer Sonderbund lag in Trümmern vor uns, übung des unveräusserlichen Rechts der und aus diesen Trümmern war die Einheit des Vaterlands neu erstanden. Es waren die Selbstkonstituierung zu hemmen. Da mussten wir das Schauspiel erleben, dass Jesuiten aus der Eidgenossenschaft ent fernt und mit ihnen die ultramontane Macht auf der einen Seite eine der Grossmächte der Schweiz erklärte, sie könne ihren im Herzen Europas gebrochen worden. Bundesvertrag nur unter der Bedingung der Zustimmung sämtlicher 22 Kantone revidieren, und dass auf der anderen Seite der Schweizer Kanton, der unter dem allmächtigen Einfluss dieser Grossmacht stand, der einzige war, der an den Bundesrevisionsarbeiten keinen Anteil nahm: wir mussten also Zeuge davon sein, dass jene Macht nur eine auf der Zustimmung aller 22 Kantone beruhende Bundesverbesserung anerkennen zu wollen erklärte, zugleich dann aber bewirkte, 92
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Durch Mässigung gewinnen wir Kraft – und die Achtung der Welt 16. Januar 1857 Nationalrat, Vertagung der ausserordentlichen Session Präsident Abschluss der Neuenburger Angelegenheit, Rückblick
Meine Herren! Unsere Tagesordnung ist erschöpft. Wir können uns trennen mit dem Bewusstsein, unsere Pflicht gewissenhaft erfüllt zu haben. Indem wir durch unsere Schlussnahme in der Neuenburger Angelegenheit der Welt einen neuen Beweis unserer Mässigung gegeben, haben wir zugleich auch, wenn es dessen noch bedurft hätte, einen neuen Titel auf die allseitige Anerkennung der gänzlichen Unabhängigkeit Neuenburgs und somit unseres gesamten schweizerischen Vaterlands erworben. Die Erreichung dieses Ziels, nach dem wir seit Jahren gerungen und von dem wir nicht lassen werden, steht uns – wir dürfen nicht daran zweifeln – in naher und sicherer Aussicht. Die Art aber, Die wahre Kraft eines Volkes offenbart wie wir das Ziel, das wir uns vorgestellt, sich nicht zum mindesten durch die anstreben, kann nur dazu geeignet sein, Mässigung, die es in seinem Auftreten an den Tag zu legen weiss. Ein kleiner Staat die öffentliche Meinung, die uns jetzt schon in hohem Grade zugetan ist, noch aber vollends wird nur durch eine ruhige günstiger für uns zu stimmen. Die wahre Haltung und durch besonnenes Handeln Kraft eines Volkes offenbart sich nicht der Welt Achtung einflössen und zum mindesten durch die Mässigung, sie seine Kleinheit vergessen machen. die es in seinem Auftreten an den Tag zu legen weiss. Ein kleiner Staat aber vollends wird nur durch eine ruhige Haltung und durch besonnenes Handeln der Welt Achtung einflössen und sie seine Kleinheit vergessen machen. Ich erkläre die ausserordentliche Session des schweizerischen Nationalrats neuerdings auf unbestimmte Zeit vertagt.
R 18 | Mässigung und die Achtung der Welt
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Dank dem Talisman der Neutralität liegt das Schicksal der Schweiz in ihrer Hand 13. Februar 1861 Grosser Rat, Eröffnung der ordentlichen Sitzung Präsident Wert und Bedeutung der Neutralität für die Schweiz, die aufrichtige Neutralitätspolitik als Prinzip | Bescheidenheit eines kleinen Staates in der auswärtigen Politik versus Selbstüberhebung | Die Garantie der Grossmächte für die immerwährende Neutralität der Schweiz versus selbständige Verteidigung der Neutralität | Wehrkraft und Nährkraft, die Komponenten der Verteidigungsfähigkeit
Meine Herren! Sie treten heute zum ersten Male seit dem Jahreswechsel zusammen. Der neue Zeitabschnitt, den wir angetreten, scheint ein ebenso inhaltsschwerer werden zu sollen wie derjenige, der ihm vorausgegangen. Noch sind die grossen Umgestaltungen, welche das alte Europa in ein neues umzuwandeln begonnen haben, in vollem Gang, und keinem Sterblichen ist es vergönnt, dass endliche Ergebnis dieses weltgeschichtlichen Umbildungsprozesses auch nur mit einiger Sicherheit vorauszusehen. Wie wird unser Vaterland aus dieser tiefgreifenden Krise, in welcher Europa begriffen ist, hervorgehen? Das Schicksal der Schweiz liegt nicht am wenigsten in ihrer eigenen Hand. Der Talisman, unter dessen schützender Obhut sie am ehesten durch alle Klippen, welche sich ihr bei der wechselvollen Gestaltung der politischen Verhältnisse Europas entgegentürmen können, hinWie wird unser Vaterland aus dieser durchzusteuern vermögen wird, heisst tiefgreifenden Krise, in welcher Europa Neutralität. Es ist eine eigentümliche Erbegriffen ist, hervorgehen? Das Schicksal scheinung, dass, während vor einem Jahrder Schweiz liegt nicht am wenigsten in zehnt in unserem Vaterland sehr geteilte ihrer eigenen Hand. Der Talisman, unter Ansichten über den Wert des Prinzips dessen schützender Obhut sie am ehesten der Neutralität obwalteten, heutzutage durch alle Klippen, welche sich ihr bei der jedermann sich für dasselbe erklären zu wechselvollen Gestaltung der politischen müssen glaubt. In dieser Wandlung erVerhältnisse Europas entgegentürmen blicken wir das allseitige Zugeständnis, können, hindurchzusteuern vermögen dass in der Neutralitätspolitik die einzige wird, heisst Neutralität. auswärtige Politik, welche in der Schweiz auf Volkstümlichkeit Anspruch machen könne, zu finden sei. Dagegen berechtigt jene Wandlung durchaus nicht zu dem Schluss, dass nunmehr eine vollständige Übereinstimmung der Ansichten betreffend die von 218
der Schweiz dem Ausland gegenüber zu beobachtende Politik erzielt sei; haben wir doch stetsfort Gelegenheit, uns davon zu überzeugen, dass, so oft des Genaueren in Frage kommt, worin eigentlich die schweizerische Neutralität zu bestehen habe, jeweilen sehr verschiedene Ansichten zutage treten. Diese gerade jetzt wieder vielfach sich kundgebende Erscheinung beweist, dass es nicht genügt, das Prinzip der Neutralität als den Leitstern, welchem die Schweiz in ihrer auswärtigen Politik folgen soll, zu bezeichnen, sondern dass noch des näheren dargelegt werden muss, was eigentlich unter jenem Prinzip zu verstehen sei. Die schweizerische Neutralitätspolitik soll nach meinem Dafürhalten vor allem eine aufrichtige sein. Ich glaube demgemäss nicht, dass die Schweiz, indem sie ihre Neutralität proklamiert, gleichwohl darauf ausgehen solle, einen bestimmenden Einfluss auf die Geschicke Europas auszuüben: Die Schweiz kann nicht zu Die schweizerische Neutralitätspolitik gleicher Zeit neutral sein und Partei soll nach meinem Dafürhalten vor allem nehmen. Ich glaube auch nicht, dass die eine aufrichtige sein. Ich glaube dem Schweiz sich zu gebaren habe, wie wenn gemäss nicht, dass die Schweiz, indem sie sie bloss nach einer Seite hin auf ihrer ihre Neutralität proklamiert, gleichwohl Hut zu sein hätte: eine derartige Defendarauf ausgehen solle, einen bestimmen sive müsste in kurzer Zeit den Charakter den Einfluss auf die Geschicke Europas einer Offensive annehmen! Ich glaube auszuüben: Die Schweiz kann nicht endlich nicht, dass die Schweiz sich nach zu gleicher Zeit neutral sein und Partei Allianzen umsehen solle: denn indem sie nehmen. Ich glaube auch nicht, dass die bloss mit den einen Bündnisse vorbereiSchweiz sich zu gebaren habe, wie wenn ten würde, müsste sie mit den anderen sie bloss nach einer Seite hin auf ihrer Hut unausbleiblich in Feindschaft geraten. zu sein hätte: eine derartige Defensive Eine solche aufrichtige Neutralitätsmüsste in kurzer Zeit den Charakter einer politik wird, ich verhehle es mir durchaus Offensive annehmen! nicht, von manchen als zu anspruchslos über die Achsel angesehen werden. Es beirrt mich dies nicht im mindesten! Der Einzelne, der seine Kräfte richtig bemisst, steht in der Achtung der Welt höher als derjenige, der sie überschätzt. Gerade so wird im Leben der Völker ein kleiner Staat wie die Schweiz sich durch eine bescheidene Politik mehr Ansehen zu erwerben vermögen als durch die Politik der Selbstüberhebung. Spricht man aber von der weltgeschichtlichen Mission, welche die Schweiz zu erfüllen habe, so wird sie diese Aufgabe nicht mit ihren Bajonetten, sondern dadurch zu lösen berufen sein, dass sie der Welt das Beispiel eines Volkes gibt, welches von der vollen Freiheit, die es sich errungen, einen würdigen, zu seinem Glück gereichenden Gebrauch zu machen versteht. Die Neutralitätspolitik der Schweiz, wie ich sie auffasse, soll aber auch eine selbständige sein. Die immerwährende Neutralität der Schweiz R 23 | Neutralität als Talisman
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ist zwar durch feierliche Verträge der Mächte gewährleistet, und noch in den letzten Tagen ist die Notwendigkeit derselben für Europa von der Regierung unseres westlichen Nachbarstaates in einem bemerkenswerten offiziellen Aktenstücke anerkannt Der Einzelne, der seine Kräfte richtig worden. Ohne Zweifel hat die Schweiz bemisst, steht in der Achtung der Welt in der Garantie ihrer Neutralität durch höher als derjenige, der sie überschätzt. die Mächte eine sehr wichtige Gewähr Gerade so wird im Leben der Völker ein kleiner Staat wie die Schweiz sich durch für die Aufrechthaltung derselben zu erblicken. Wie hoch sie aber auch den eine bescheidene Politik mehr Ansehen zu erwerben vermögen als durch die Politik Wert dieser Gewähr anschlagen mag, sie darf sich mit derselben allein nicht der Selbstüberhebung. Spricht man begnügen. Das Grundprinzip der von aber von der weltgeschichtlichen Mission, der Schweiz gegenüber dem Ausland welche die Schweiz zu erfüllen habe, zu beobachtenden Politik darf nicht so wird sie diese Aufgabe nicht mit ihren bloss auf der Zustimmung der Mächte Bajonetten, sondern dadurch zu lösen berufen sein, dass sie der Welt das Beispiel beruhen: es muss in unserer eigenen Überzeugung, dass es dem Vaterland am eines Volkes gibt, welches von der vollen meisten fromme, und in unserem festen Freiheit, die es sich errungen, einen Willen, es um jeden Preis und selbst mit würdigen, zu seinem Glück gereichenden den grössten Opfern zu behaupten, seine Gebrauch zu machen versteht. erste Stütze finden: die Neutralitätspolitik der Schweiz muss mit einem Wort eine selbständige sein. Die Schweiz soll demgemäss stetsfort dazu gerüstet sein, sich gegen jeden Angriff auf ihre Neutralitätsstellung, welcher immer zugleich auch ein Angriff auf ihre Unabhängigkeit sein wird, komme er, woher er wolle, zur Wehr zu setzen, und sie wird in Zeiten, welche wie die gegenwärtigen angetan sind, wohltun, der Organisation ihrer Verteidigungskräfte eine mehr als gewöhnliche Aufmerksamkeit zu widmen. Dabei glaube ich aber vor einer Einseitigkeit aufs nachdrücklichste warnen zu sollen, in welcher, wenn sie zur Geltung käme, nicht die kleinste Gefahr für die Verteidigungsfähigkeit unseres Vaterlandes erblickt Die Neutralitätspolitik der Schweiz muss werden müsste. Man übersieht sehr oft, mit einem Wort eine selbständige sein. Die Schweiz soll demgemäss stetsfort dazu dass die Unabhängigkeit eines Landes nicht bloss auf seiner Wehr, sondern gerüstet sein, sich gegen jeden Angriff ebensosehr auch auf seiner Nährkraft beauf ihre Neutralitätsstellung, welcher ruht, und ebensohäufig ist man geneigt, immer zugleich auch ein Angriff auf ihre ausser acht zu lassen, dass es zu einer Unabhängigkeit sein wird, komme er, wirksamen Verteidigung unseres Landes woher er wolle, zur Wehr zu setzen. nicht bloss einer schlagfertigen Armee, sondern auch eines wohlgeordneten Finanzzustands und der dadurch bedingten Erhaltung des Landeskredits, dessen sich die Schweiz bis anhin zu erfreuen hatte und von dem sie je nach Gestaltung der Umstände 220
Register Personen Dieses Register umfasst die Nennungen im Einführungstext «Alfred Escher zur Lage der Nation» wie auch in Alfred Eschers Reden. Nicht aufgenommen sind die Erwähnungen Alfred Eschers, der juristischen Personen sowie der Namen aus den Quellen- und Literaturangaben.
Allet Alexis (1820–1888) 217 Amiel Henri-Frédéric (1821–1881) 63 Barman Joseph Hyazinthe (1800– 1885) 62, 196 Benso Camillo di Cavour (1810–1861) 67 Bontems Charles (1796–1879) 217 Bornhauser Thomas (1799–1856 40 Brun Rudolf (um 1300–1360) 33 Camperio Philippe (1810–1882) 185 Diethelm Melchior (1800–1873) 40 Dubs Jakob (1822–1879) 70 Dufour Guillaume-Henri (1787–1875) 58, 61, 62, 64, 192, 196 Engels Friedrich (1820–1895) 14 –16 Fazy James (1794–1878 ) 40, 56, 68 Fierz Hans Jakob (1787–1861) 227 Finsler Hans Georg (1800–1863) 227, 228 Frey-Herosé Friedrich (1801–1873) 61 Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861), König von Preussen 60–63 Furrer Jonas (1805–1861) 38, 39, 61, 68, 70, 131, 136 Garibaldi Giuseppe (1807–1882) 57 Gonzenbach August von (1808–1887) 188, 217 Gotthelf Jeremias (1797–1854) 32 Heer Oswald (1809–1883) 74 Hess Johann Jakob (1791–1857) 190 Heusler Andreas (1802–1867) 190 Hungerbühler Matthias Johann (1805– 1884) 186, 187, 190, 217 Keller Gottfried (1819–1890) 29, 30, 68 Kern Johann Konrad (1808–1888) 23, 62, 65, 70, 73, 197
Register
Locher Friedrich (1820–1911) 75, 76 Mazzini Giuseppe (1805–1872) 57 Mommsen Theodor (1817–1903) 32 Monnard Charles (1790–1865) 190 Munzinger Josef (1791–1855) 40 Mügge Theodor (1806–1861) 14, 16 Naeff Wilhelm Mathias (1802–1881) 40 Napoleon III. (1808–1873) 60–62, 65, 67, 70, 71, 196, 197, 215 Napoleon Bonaparte (1769–1821) 72 Ochsenbein Ulrich (1811–1890) 40 Ott Friedrich Salomon (1813–1871) 226 Peyer im Hof Johann Friedrich (1817– 1900) 70 Radetzky von Radetz Johann Joseph Wenzel (1766–1858) 57 Rahn Hans Konrad (1802–1881) 74 Ruchonnet Louis (1834–1893) 33 Rüttimann Johann Jakob (1813–1876) 38–40, 74 Schwarzenbach-Landis Johannes (1804– 1861) 231 Schweizer Alexander (1808–1888) 74 Segesser Philipp Anton von (1817–1888) 33 Sidler Georg Joseph (1782–1861) 227 Stämpfli Jakob (1820–1879) 44, 56, 60, 63, 68, 70, 72 Troxler Ignaz Paul Vital (1780–1866) 40 Waldmann Hans (1435–1489) 33 Wilhelm I. (1797–1888), König von Preussen 72 Wyss Georg von (1816–1893) 31
267
Schlagworte Dieses Register strukturiert die Schlagworte, die Alfred Eschers 32 Reden vorangestellt sind. Der Verweis (R) bezieht sich auf die entsprechende Rede.
Assekuranz Versicherungswesen Asylfrage, Asylrecht Italienische Flüchtlinge R 4 Deutsche Flüchtlinge R 6 Aussenpolitik, Beziehungen zum Ausland R 4, R 5, R 10, R 19, R 23, R 26, R 28, R 30 Blick auf die internationale Lage 1864 R 30 Handelsverträge Handelsverträge Konflikte mit Frankreich Savoyer Angelegenheit, Dappental-Angelegenheit, Vorfälle 1861 R 26 Konflikt mit Preussen 1856/57 Neuenburger Angelegenheit Konflikt mit Turin (Sardinien Piemont) 1862 Tessin Bahnbau Eisenbahnen Bund versus Kantone (Kompetenzen) R 29, R 30 Bundesbehörden, Bundesstaat, Bundesverfassung Bundesbehörden Bundeseinrichtungen R 8 Vergleich mit Tagsatzung R 3, R 6, R 20, R 29 Zusammensetzung R 3 Bundesmittel (Finanzen) R 4, R 5 Prioritätsfrage bei Ausgaben R 14 Umgang 1862 /63 R 28, R 29 Bundesrechtspflege R 5 Bundessitz R 4 Bundesstaat R 1, R 2, R 3, R 8 Einheitsstaat Bundesverfassung 1848 R 1, R 2, R 3, R 29 Artikel 21 R 28 Artikel 22 R 14 Vergleich mit Bundesvertrag 1815 R 12, R 29
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Dappental-Angelegenheit R 22, R 29 Einheitsstaat R 1, R 2, R 3 Bundesstaat Eisenbahnen R 8, R 9, R 12, R 13, R 27, R 29 Europa Blick ausserhalb der Grenzmarken R 30 Erwachen der Völker 1848 R 5 Politische und wirtschaftliche Entwicklung R 1 Fortschritt R 1, R 8, R 31 Fürstenmacht R 1, R 5, R 10 Glarus, Brand 1861 R 25 Handelsverträge R 29 Hessische Truppen, Grenzverletzung R 6 Hochschule und Universität (Eidgenössische) R 4, R 8, R 14 Jesuiten R 1, R 8 Juden, Rechtsverhältnisse R 27 Jura industriel (Bahn) R 29 Kantonalegoismen R 2 Kantone Glarus Glarus Kantonales Leben 1830er versus 1840er Jahre R 8 Kantonssouveränität versus Bundesgewalt R 29 Kompetenzen R 3 Verfassungsrevisionen, Ereignisse, in: TG, GL, VD, ZG R 10 Zürich Zürich Kardinalfrage des Staatslebens R 30 Bund versus Kantone Konfessionelle Trennung Kulturen, Sprachen Kulturen, Sprachen (Schweiz) R 14
Militär Handfeuerwaffen, Bewaffnung und Bekleidung Armee R 29 Kapitulationen R 5 Reduktion Verwaltungskosten 1862 R 28 Nationalitäten Nationen (Rechte) R 1 Schweiz Kulturen, Sprachen Neuenburger Angelegenheit R 16, R 17, R 18, R 19, R 20 Neutralität, Neutralitätspolitik R 3, R 5, R 23, R 26 Niederlassungsbewilligung R 9 Parlament (eidgenössisches) Rückblicke Politiker, Aufgaben und Pflichten R 2 Postverträge mit Frankreich und Belgien R 9 Reaktion, reaktionäre Kräfte R 3, R 5 Rechtsgleichheit der Schweizer Schweiz Rheinau, Kloster Zürich Rheinkorrektion R 28 Rhonekorrektion R 29 Rückblicke, eidgenössisches Parlament Ende 1848 R 4 Mai 1850 R 11 Bundesbehörden Savoyer Angelegenheit R 21 Schweiz Anarchie, Image im Ausland R 1 Aufgabe R 10 Besondere Verhältnisse als kleines Land R 10 Blick auf die Schweiz R 30 Einmischung des Auslands R 3 Politische Gleichstellung aller Schweizer R 1, R 2, R 3 Selbständigkeit R 10 Souveränität R 1 Vorkämpferin von Freiheit und Fortschritt in Europa R 1
Register
Soziale Frage Auswanderung und Verarmung R 4 Los der arbeitenden Klassen R 1 Sonderbund, Sonderbundskrieg R 1, R 8, R 10 Tagsatzung Bundesbehörden Tessin, drohende Annexion durch Italien 1862 R 28 Universität Zürich Zürich Unterrichtsanstalten (Höhere) Hochschule USA 1861, Schweizer Volkswirtschaft R 26 Vaterland Oberste Grundsätze bei äusserer Gefahr R 6, R 7 Staatsklugheit R 7 Verteidigung mit Gut und Blut R 28 Vereidigung von G.-H. Dufour zum General R 15 Verfassungsrevisionen Kantone Versicherungswesen R 26, Zürich, Glarus Volksherrschaft R 1 Volkszählung R 9 Völkersolidarität R 1, R 5, R 10 Zentralisation Masse, Münzen, Gewichte R 3, R 8, R 9, R 10, R 11 Militärwesen R 3, R 9, R 11 Postwesen R 3, R 4, R 8, R 11 Zölle R 2, R 3, R 4, R 8, R 10, R 11 Zürich Assekuranzwesen R 26 Benachteiligung und Opfer R 3 Besoldung Polizeikorps 1861 R 24 Brandkatastrophe in Glarus R 25 Brandversicherungsanstalt R 24, R 25 Eisenbahnverbindungen R 13, R 27 Ereignisse 1850 R 10 Fortschritt und Stillstand R 30 Gesetzessammlungen R 24
269
Gesetzliche Bestimmungen, Systematik 1861 R 26 Grunddienstbarkeit Flur- und Waldwege 1861 R 27 Hypothekarkasse und Einzinsereien R 13 Jahresgeschäfte 1849 R 9 Kirchenverfassung, Kirchenwesen 1861 R 24, R 25 Kloster Rheinau 1861 R 25, R 27 Militärorganisation R 24, R 25 Neujahrswünsche 1868/69 R 32 Petition der Stadt Zürich zum Baugesetz 1861 R 27 Pfarrwahlen und Kantonsverfassung R 4 Rechenschaftsberichte Regierungsrat, Gesetzesrevision R 26
270
Rechtsverhältnisse Juden Juden Reorganisationsperiode ab 1830 R 30 Repräsentativsystem R 32 Staatsrechnung 1860 R 26 Stadt versus Landschaft R 30 Stellung in der grossen Lebensfrage R 2 Steuersätze 1861 R 26, R 27 Systematische Vorwürfe versus Erfolgsgeschichte R 30 Universität, Genese R 14 Verfassungsrevision 1868 R 31, R 32 Wirksamkeit im Bundesstaat R 30 Zürich 1868: Sumpf oder Fortschritt R 31 Zweikammersystem R 2, R 3
Man hört bisweilen die Lehre aufstellen, es liege kraft der Völkersolidarität in der Pflicht der Schweiz, so oft in einem anderen Land ein Kampf um die Volksfreiheit ent brenne, die Waffen zu ergreifen und denen zu Hilfe zu eilen, die in diesem Kampf für die gute Sache streiten. Aber es ist der grossen Sache der Volksfreiheit nicht mit blosser Begeisterung gedient: sie erheischt auch wohlüberlegende Klugheit. Und die Klugheit gebietet nun eben, den Unter schied, der in dieser Beziehung zwischen einem grossen und einem kleinen Staat be steht, wohl ins Auge zu fassen. Ein grosser demokratischer Staat mag die Pflichten, welche ihm die Völkersolidarität auferlegt, in der eben geschilderten Weise verstehen. Für einen kleinen Staat wie unser Vaterland können diese Pflichten unmöglich dieselben sein.
In dieser Kardinalfrage des schweizerischen Staats-
Vom selben Autor bei NZZ Libro erschienen:
lebens stehen sich eben zwei Extreme einander
Jung ist ein herausragender Erzähler. Der Band ist leicht zu lesen, und Jung reisst den Leser mit, wenn er von Wirtschaftspionieren und deren Scheitern und Erfolgen erzählt. Michael Kitzing, Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 2 / 2020, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
gegenüber. Das eine Extrem lässt vor dem Bund die Kantone, das andere vor den Kantonen den Bund
Hinter dem Swiss Miracle standen nicht Chalets und Kühe, sondern Fabriken, Maschinen und Bahnhöfe, die bisweilen wie die Tempel einer neuen Religion anmuten, lautet der letzte Satz dieses starken Buchs. Markus Schneider, Schweizer Familie 2020
Ein glänzendes Standardwerk über die jüngere Geschichte der Schweiz. Lorenz Degen, Oltner Tagblatt 2020 Wer Jung über die Schweiz reden hört, könnte meinen, er spreche von Amerika. Das Land, von dem er berichtet, ist bevölkert von Pionieren, die entlegene Gebiete erschlossen und Grenzen verschoben haben. Diese Frontiers lagen nicht im Westen wie in den USA, sondern in den Alpen. Erik Ebneter, Weltwoche 2019 Das Laboratorium des Fortschritts. Die Schweiz im 19. Jahrhundert 978-3- 03810 -435-3 Eine spannende Biographie. Thomas Hürlimann, Weltwoche 2019 Diese Geschichte mit ihren Triumphen, aber auch Pleiten, Krimis und Skandalen ist eine fesselnde Lektüre. Markus Schär, SonntagsZeitung 2007
Alfred Escher zur Lage der Nation Ob im Zürcher Rathaus oder im Nationalratssaal in Bern – das Podium war für Alfred Escher so wenig relevant wie die Tribüne. Es ging ihm um die Sache. Mit seinen präsidialen Eröffnungsreden holte er inhaltlich weit aus, erschloss mit seinem politischen Programm Zürich und die Schweiz, oft im Kontext aktueller Entwicklungen im Ausland. Ohne Alfred Escher kann man sich die Entwicklung, welche die junge Schweiz nach 1848 nahm, nicht vorstellen. Auch die heutige Schweiz zehrt noch von der Erfolgsgeschichte, welche die jungen Politiker der ersten Stunde, die 48er, geschrieben haben. Im Verlauf seines Lebens stand Alfred Escher hunderte Male am Rednerpult. Was er zu sagen hatte – zur Rolle von Staat und Privatwirtschaft, zum Föderalismus, zur Flüchtlingspolitik, zur Neutralität, zum Verhältnis der Schweiz zu ihren Nachbarstaaten – ist auch heute noch überraschend aktuell.
Joseph Jung
Die fulminante Neubearbeitung und Neubeurteilung des Dramas um Lydia Welti-Escher und Karl Stauffer ist ein grosser Wurf. Das Buch überzeugt voll und ganz. Lupold von Lehsten, Institut für Personengeschichte 2011
Lydia Welti-Escher (1858 –1891). Biographie 978-3-03810 -167-3
Alfred Eschers Thronreden
unablässig darauf hinzuwirken, dass sie festgehalten werde, scheint mir in mehrfacher Beziehung namentlich in der Aufgabe von Zürich zu liegen. In dieser Kardinalfrage des schweizerischen Staatslebens stehen sich eben zwei Extreme einander gegenüber. Das eine Extrem lässt vor dem Bund die Kantone, das andere vor den Kantonen den Bund verschwinden. Die Wahrheit wird auch hier, wie dies so oft der
NZZ Libro ISBN 978-3-907291-32-0
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so oft der Fall ist, in der Mitte liegen. Und diese rechte Mitte zur Anerkennung zu bringen und
Joseph Jung
Alfred Escher (1819–1882). Aufstieg, Macht, Tragik 978-3- 03810 -274-8
Alfred Eschers Thronreden
Ein hervorragendes, sorgfältig illustriertes und spannend geschrie benes Panorama eines wichtigen Kapitels der Schweizer Geschichte. Jürg Müller, Schweizer Revue 2020
verschwinden. Die Wahrheit wird auch hier, wie dies
Fall ist, in der Mitte liegen. Und diese rechte Mitte zur Anerkennung zu bringen und unablässig darauf hinzuwirken, dass sie festgehalten werde, scheint mir
Mit seinem Sendungsbewusstsein markiert Alfred Escher unmissverständlich die liberale Herrschaft im jungen Bundesstaat. Er setzte sich mit Themen auseinander, die aktueller nicht sein könnten. Escher bündelt Ideen und Tendenzen des Zeitgeistes. Seine Präsidialreden strotzen vom Selbstbewusstsein eines Politikers, der sich vorgenommen hat, die Schweiz auf den Weg des Fortschritts zu führen. Eschers Geheimnis war die logische Schärfe, die selbst schwierigsten Fragen gewachsen war. Meisterlich verstand er es, dank profunder Sachkenntnis verschachtelte Themenkomplexe in ihre Elemente zu zerlegen. Mit seiner geistigen Wucht und der eindrücklichen körperlichen Erscheinung schritt er selbstbewusst zum Rednerpult und vertrat seine Auffassungen und Anschauungen klar, deutlich und unerschrocken. Warum sollte er davor zurückschrecken, auch unbequem zu sein? Escher spürte die Gewissheit, dass seine inhaltlichen Positionen im Volk lange Zeit mehrheitsfähig waren. Er wähnte sich nicht als Sprecher eines Schattenkabinetts, nicht als Oppositionsführer oder gar als parlamentarische Randfigur. Und so fühlte er sich just in der Zeit der repräsentativen Demokratie als Repräsentant der breiten Volksmeinung. Dies gab ihm gewaltigen Rückenwird. So trat er im jungen Bundesstaat auf, und so sprach er. Und warum sollte er seine Thronreden verzwergen? Es ging ihm um das Gemeinwohl, alles andere hatte sich dem unterzuordnen. Joseph Jung (*1955), Dr. phil., Historiker und Publizist, Titularprofessor der Universität Freiburg i. Üe., Gastprofessor an Hochschulen und Universitäten. Ehemaliger Geschäftsführer und Leiter Forschung der Alfred Escher-Stiftung. Er ist auch Herausgeber der bei NZZ Libro erschienenen Alfred-EscherBriefe in sechs Bänden und einer digitalen Ausgabe. Von ihm stammen grundlegende Publikationen zur Wirtschafts- und Kulturgeschichte der Schweiz. www.jungatelier.ch