Als Muhammad Ali Swissair-Präsident werden wollte

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Umschlag: Beate Becker Gestaltung, Satz: Gaby Michel, Hamburg Druck, Einband: Druckhaus Nomos, Sinzheim Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-03823-733-4

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Inhaltsverzeichnis

Adolf Ogi

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Vorwort

13

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27 Wie Fluglotsen eine Skichilbi provozierten

31 Leben und Überleben in einem Bürgerkrieg

36 Warten in Zagreb

Peter Luethi Destination West Point: eine delikate Mission

Ruedi Hänssler Als Muhammad Ali Swissair-Präsident werden wollte

Gerhard Hayden Inferno in Kobe: Richterskala 7,3

Peter «Sam» Ehrbar Erwin Michel Rolf Küpfer Therese Burckhardt

41 Gefährlicher Flirt mit der Unterwelt

Marcel Hungerbühler

46 Zum Tee bei Scheich Saleh

50 Ohne Visa keine Einreise

55 Chek Lap Kok oder Hummer auf Schutt

59 Im Solde Mobutus: der freundliche Spion

Jean-Pierre Allemann Hansueli Meili Martin Bender


Urs von Schroeder

64 Hochverrat am grünen Tisch

69

73

78

83

88

93

Walter Stark Garlic is good for you

Christine Mühlebach Steen Von Träumen und Wünschen

Tony Plüss Am Brennpunkt der Suezkrise

Ines Braendle Wie war das schon mit Radio Eriwan?

Urs Sieber Ein Crash mit schweren Folgen

Maximilian Schmid Als Pioniere im Reich Mao Tse-tungs

Kurt Schmid

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Entführung in Buenos Aires

Karl Laasner

103

108

112

115

119

123

126

Zwischen den Fronten

Ekkehard Endrich Die Schande der Armut

John Meier Heimkehr der unbekannten Soldaten

John Meier «Les hirondelles de Swissair»

Fernando Picenoni Im Tohuwabohu einer toten Stadt

Oskar Gmünder Die Macht der Musik

Franz Siegenthaler In die Wüste geschickt


Thomas Meier

131

136

141

146

151

153

158

Bombendrohung in Tiflis

Hanspeter Wegmüller Fliegen im Ausnahmezustand

Werner Schaub «SR 111 has crashed!»

Jörg Sutter Im Tränenmeer von Halifax

Markus Meier Belohnte Standfestigkeit

Markus Schmid Der Kotau vor Kim Il Sung

Ernst Fischer Im Visier des KGB

Charles Reisacher

163

Umsturz in Kinshasa

André Krauss

168

173

178

182

187

189

194

Ein unmoralisches Angebot

René Schärer Die Witwen der Dürre

Sandro Crivelli Gestrandet in Toronto

Stefan Stapfer Giftgasalarm in Tel Aviv

Bodo von Alvensleben La «banca volante» dalle ... uova d’oro

Sandra Grendelmeier Auf einer Achterbahn in Libyen

Hansruedi Fischer Tod im Ryokan


Jean-Philippe Benoit

199

203

208

211

216

218

221

Encore un koniac?

Hans-J端rg Wagner Malabo, wo zum Teufel ist denn das?

Ueli Ganz Trigeminus sei Dank!

Ren辿 Brechb端hl Der schwarze Dienstag

Urs Pauli Die Postkarte 端ber dem Bett

Hans Kissenpfennig Im Fadenkreuz der geheimen Staatspolizei

Edith Krummenacher Im Heckwasser einer Auslandkarriere

Walter Kiener

226

Nicht ohne unsere Kentia

Markus Altenbach

229

Als die Swissair-Welt zusammenbrach

235

Nachwort

238

Namenverzeichnis

Hans Kissenpfennig


Vorwort

Als die SAirGroup, ein viel zu rasch gewachsener weltumspannender Konzern, im Oktober 2001 kollabierte und es zum unrühmlichen Grounding der Swissair kam, hätte – darüber sind sich heute die meisten einig – die Fluggesellschaft überleben können. Sie war gut im globalen Markt verankert, genoss weltweit einen ausgezeichneten Ruf und verfügte über eine hochmoderne Flotte. Dazu mangelte es ihr weder an treuen Kunden noch an genügend Verkehr. Es waren andere Gründe, die zu ihrem Kollaps führten. Vor und nach dem Grounding debattierten Wirtschaftstheoretiker, Politiker und Medienleute vor allem über die Frage, ob es für ein kleines Land wie die Schweiz sinnvoll sei, eine eigene Airline zu unterhalten. Zu limitiert sei der Heimmarkt, glaubten manche kleinmütig. Die gleiche Streitfrage hatte die Gemüter bereits ein halbes Jahrhundert zuvor erhitzt, als es um die Entscheidung ging, ob sich die Swissair mit der Rolle einer lokalen Zubringergesellschaft begnügen oder in den Langstreckenverkehr einsteigen solle. Die folgenden Jahrzehnte brachten eine überzeugende Antwort. Deutlicher als alle verbalen Argumente war der kometenhafte Aufstieg der Swissair zu einer der pro­ filiertesten und erfolgreichsten internationalen Airlines, die mit einer gesunden Mischung von vorsichtigem Pragmatismus und Pioniergeist solide Kontinuität vorlebte und zugleich immer wieder Impulse zu geben vermochte. Und dabei war das besonders Bemerkenswerte: Sie musste von den frühen 1950er-Jahren bis zum Grounding ein halbes Jahrhundert später – im Gegensatz zum Grossteil ihrer Konkurrenten – nie den Staat zu Hilfe rufen. Niemand käme ernsthaft auf die Idee, die Chancen nationaler Industrieunternehmen am Potenzial des Heimmarktes zu messen. Das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft bildet nicht die Tätigkeit im Bin9


nenmarkt, sondern das Exportgeschäft. Deshalb suchte die Swissair, gleich wie die meisten Schweizer Unternehmen und gleich wie auch ihre Nachfolgerin heute, den Erfolg im harten internationalen Wett­ bewerb. Bei der tiefen Frustration über das klägliche Ende des einst stolzen «Flaggschiffes der Nation» ging in der Öffentlichkeit beinahe vergessen, welche Rolle die Swissair im grösseren Kontext für die Schweiz gespielt hatte. Diese erstreckte sich weit über das Fliegen hinaus. Mit einem weltumspannenden Vertretungsnetz, auch in Ländern, die sie nicht selber anflog – etwa Australien, Neuseeland oder Mexiko –, diente sie mit starkem Engagement den Interessen der Schweizer Wirtschaft. Die Eröffnung neuer Flugstrecken ging oft Hand in Hand mit dem Sprung grosser Unternehmen in neue Märkte, wie das zum Beispiel in den 1970er-Jahren in China der Fall war. Dazu investierte die Swissair unter anderem jährlich Millionen von Franken in die touristische Landeswerbung, wovon alle Ferienregionen profitierten. Ihre Büros in den Metropolen der Welt waren – neben den diplomatischen Vertretungen – die optisch sichtbaren und stets ansprechbaren wichtigsten Aussenposten des Landes. Ihr Engagement zeigte sich nicht zuletzt in Zeiten von politischen Turbulenzen und kriegerischen Auseinandersetzungen, in denen sie sich verpflichtet fühlte, die «Lebens­ linien» im Interesse ihrer Kunden so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Viele humanitäre Einsätze für die UNO oder das IKRK markierten ihre Präsenz auch in düsteren Momenten der Weltgeschichte. Zahllose Bücher wurden bereits über die Swissair geschrieben. Die meisten beschäftigten sich mit technischen und aviatischen Themen sowie vor allem dem Flugbetrieb. Oder sie konzentrierten sich auf tragische Ereignisse oder ihren Untergang im Jahre 2001. Weitgehend ausgeklammert blieb das weltweite Netz der Verkaufsorganisation, die mit der Generierung der Erträge die Voraussetzung schaffte, dass überhaupt geflogen werden konnte. Beseelt wurde diese Organisation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die – einem strengen Rota­tions­ prinzip verpflichtet – alle paar Jahre ihren Hausrat packen und mit ihren Familien von einem Land in ein anderes umziehen und wieder neu 10


­ eginnen mussten. Mit allem, was damit zusammenhängt: mit Kulturb und Sprachwechseln ebenso wie mit der Anpassung an oft schwierige äussere Lebensbedingungen. Sie waren flexible Weltbürger, welche die meiste Zeit ihres Lebens im Ausland verbrachten, einen grossen Freiraum genossen und in ihren Reichen oft wie kleine Könige herrschten. Mit Charisma, diplomatischem Geschick, der Fähigkeit, unermüdlich neue Kontakte zu knüpfen, und geschäftlichem Ideenreichtum trugen sie wesentlich zu Aufbau, wirtschaftlichem Erfolg und internationalem Ansehen der Swissair bei. Gleichzeitig halfen sie, den Namen und die «Idee Schweiz» neben vielen anderen konkurrierenden Möglichkeiten weltweit zu verankern. In diesem Buch kommen Auslandleute der Swissair zu Wort, die zusammengezählt weit über tausend Jahre in allen Ecken der Welt verbrachten: ehemalige Regional- und Landesvertreter, Finanzleute, Station Manager, die für die Flughafenorganisation zuständig waren, und Flugzeugmechaniker, die rund um den Globus im Einsatz standen. Die Autorinnen und Autoren berichten, jede und jeder aus eigenem Blickwinkel, über eine Erfahrung oder ein Ereignis, das ihnen unter die Haut gegangen ist, sie in aussergewöhnlicher Art gefordert hat oder ihnen als besonders amüsant in Erinnerung geblieben ist. Aus all diesen Geschichten entstand ein packendes Kaleidoskop höchst unterschied­ licher Reminiszenzen. Es prägt ein vielgestaltiges Bild des oft sehr aufregenden Alltags an der Swissair-Aussenfront. Die einen erzählen Erfahrungen von Krisen- und Kriegssituationen, andere berichten über Naturkatastrophen, Bombendrohungen oder Flugtragödien. Manche widmen sich dem zuweilen von zahllosen Stolpersteinen gepflasterten Aufbau neuer Vertretungen und Fluglinien an exotischen und oft von Korruption durchdrungenen Schauplätzen. Und ganz nebenbei erfahren wir von klandestinen Goldtransporten, Intermezzi mit Geheimdiensten, wie die Swissair weltweit Schlagzeilen machte, als sie vom Tod bedrohte Schwalben über die Alpen beförderte, oder dass Mu­ham­ mad Ali einst Präsident der Schweizer Airline werden wollte. Diese Geschichtensammlung entstand durch die Initiative von Hans Kissenpfennig, eines ehemaligen Kadermitglieds der Swissair, 11


dem es gelang, fünfzig Autorinnen und Autoren, die zum Teil noch immer im Ausland wohnen, von seiner Idee zu begeistern. Eine Besonderheit besteht darin, dass alle in ihrer Muttersprache schreiben durften, was die Multikulturalität und Vielsprachigkeit der einstigen Swiss­ air widerspiegelt. In der Folge kamen Episoden ans Tageslicht, die zum grossen Teil noch nie erzählt wurden oder zum Teil so delikat waren, dass sie – aus Rücksicht auf die Arbeitgeberin oder noch lebende Akteure – unter Verschluss gehalten werden mussten. Der zeitliche Abstand ermöglicht es, heute auch die letzten Schleier zu lüften. So ist dieses Buch – abgesehen davon, dass es Unterhaltung bietet – zu einem Vermächtnis an die Nachwelt geworden. Als langjähriger Transportminister der Eidgenossenschaft war ich eng mit der Swissair verbunden. Mir unterstand unter anderem das schweizerische Bundesamt für Zivilluftfahrt, zu dessen Aufgaben es gehört, die Verkehrsrechte mit den anderen Staaten auszuhandeln. Als Bundesrat war ich auch sehr oft mit der Swissair unterwegs und lernte nicht nur das fliegende Personal, sondern auch einige der Autoren persönlich kennen und schätzen. Trotzdem stiess auch ich in diesem Buch auf viel Neues und Überraschendes. Adolf Ogi ehemaliger Bundespräsident der Schweiz


Peter «Sam» Ehrbar Wie Fluglotsen eine Skichilbi provozierten

Der Sommer war heiss in Madrid, wie immer. Im August des Jahres 1976 war es aber ganz besonders heiss. Und es sollte für uns noch viel heisser werden. Wochenlange Streiks der französischen Fluglotsen brachten den Flugverkehr durcheinander, verärgerten Tausende von Passagieren und verursachten bei den Airlines horrende Kosten. Flugzeug- und Creweinsätze wurden auf den Kopf gestellt, und an den Abenden warteten Fluggäste oft vergeblich auf eine Weiterreise. Die Einzigen, die von der Notlage profitierten, waren die Hoteliers. Sie konnten sich bei der plötzlich explodierenden Nachfrage nach Zimmern ins Fäustchen lachen. Die DC-9 für unseren Nachmittagsflug nach Zürich, SR 651, stand pünktlich zum Abflug bereit. Um die achtzig Passagiere warteten ungeduldig, die Hälfte von ihnen musste in Zürich noch zeitig einen Anschlussflug erreichen. Die Besatzung kam ausgeruht vom Hotel, in dem sie die Nacht verbracht hatte. Und dann passierte es wieder: Die französischen Lotsen begannen, «nach Vorschrift» zu arbeiten. Damit vergrösserten sich die Abflugsverspätungen stündlich. Alle Flüge in Richtung Norden und Nordosten, die über französisches Gebiet führten, waren davon betroffen. Bei einzelnen Destinationen bot sich als Variante das Umfliegen des französischen Luftraumes an. Das verringerte zwar die Verspätung, erhöhte aber die Flugzeit. Für unsere Flüge nach Zürich war dies keine Option. Die Transithalle füllte sich mehr und mehr. Bei der enormen Menschenmenge war ans Verteilen von Getränke- und Essensgutscheinen nicht mehr zu denken. Zudem waren die Bar und das Restaurant zum Bersten voll. Die längst veraltete Klimaanlage kämpfte hoffnungslos gegen die immer drückender werdende Hitze an. Strenge Düfte verschiedenster Herkunft verdichteten sich zu einer fast unerträglichen Geruchskulisse. 27


Wir hatten für den Rückflug ein leichtes Mittagessen und die ganze Getränkepalette an Bord geladen. Plötzlich kam mir eine zündende Idee. «Das ist doch die Lösung!», sagte ich mir. Ich kontaktierte den Flugkapitän und unterbreitete ihm meinen Vorschlag. «Könnten wir unsere Passagiere nicht schon jetzt, nach mehr als einer Stunde Verspätung, zum Flugzeug bringen und ihnen dort das Essen servieren?» Captain Moritz Suter – der spätere Gründer der Crossair – besprach das mit den vier Damen der Kabinenbesatzung. «Ja klar, machen wir doch, gute Idee!», bekam ich schon bald zur Antwort. Ohne Zeit zu verlieren, informierte ich meine Mitarbeiter, sorgte bei den Flughafenpartnern für ein Abflug-Gate und bestellte Busse für die Crew und unsere Fluggäste. Die wartenden Passagiere der vielen anderen Fluggesellschaften verstanden die Welt nicht mehr, als sie die Ansage hörten, mit der wir unsere Leute zum Ausgang aufriefen. «Was, die Swissair fliegt! Und wir?», riefen sie in einer Mischung von Erstaunen und Empörung. An Bord begann der gewohnt gepflegte Swissair-Service. Die Passagiere waren zufrieden. Allerdings nur vorübergehend. Nach dem Kaffee erkundigten sich einige, zögernd nur, ob sie rauchen dürften. Da­ raus wurden immer mehr. Captain Suter, selbst passionierter Zigarrenraucher, hatte Verständnis. Seine Antwort lautete deshalb ja, vorausgesetzt, dass auch die Feuerwehr damit einverstanden sei. Sie war es, nur mussten hinten und vorne die beiden Flugzeugtüren offen bleiben. Die Feuerwehr hielt sich derweilen auf Sichtdistanz. Nun schaltete der ­Kopilot, der im Cockpit «Funkwache» hielt, das «No smoking»-Zeichen aus, worauf viele Raucher zu paffen begannen. Nach einer weiteren Stunde begannen sich die Passagiere spürbar zu langweilen. Ich wusste, dass sich an Bord eine Ländlerkapelle befand, die am 1. August bei der Schweizer Botschaft aufgetreten war. Der Verantwortliche war rasch gefunden. Auf meine Frage, ob die Musiker ­al­lenfalls auch an Bord spielen würden, reagierte er spontan positiv. Und auch Kommandant Moritz Suter, der sein Einverständnis geben musste, war begeistert von der Idee. Die Sache hatte nur noch einen 28


Haken: Einige der Instrumente befanden sich in den Frachträumen und mussten zuerst ausgeladen werden. Doch das schafften wir in relativ kurzer Zeit, womit es losgehen konnte. Unglaublich, wie die interna­ tional durchmischte Schicksalsgemeinschaft reagierte! Die Gesichter unserer Fluggäste hellten sich auf und wurden immer freudiger. Bald begannen die Leute auch zu klatschen. Captain Suter fand, dass ein Tanz die Stimmung noch weiter heben könnte. Die Flight Attendants schritten gleich zur Tat und machten eine Ansage, doch niemand wagte sich aufs «Parkett». Deshalb bat Suter seine vier Besatzungsmitglieder, einen Damenwahltanz zu beginnen. Unbeschreiblich, was sich darauf abspielte. Das Flugzeug begann zu beben und sich vor allem vorne beim Bugradfahrwerk im Takt zu bewegen. Man stelle sich das vor: tanzende Passagiere im relativ engen Gang zwischen den Sitzreihen! Die Getränke gingen aus, die Gläser auch. Per Funk bestellte ich bei der Cateringfirma grosszügigen Nachschub. Ich mutierte zum Abwascher in der Bordküche, assistiert von Moritz Suter, der tatkräftig mithalf und die Gläser trocknete. Plötzlich, inmitten unseres Bordfestes, tauchte ein Flugkapitän der Air France am vorderen Eingang auf. Er habe beobachtet, wie Rauchwölklein aus unserem Flugzeug gekommen seien. Ausserdem habe er festgestellt, dass sich das vordere Federbein des Fahrwerks im Takt ­bewege … «Wissen Sie», erklärten wir ihm, «wir feiern gerade ein Verspätungsfest!» Der Franzose blickte grimmig. Die Passagiere seiner neben uns parkierten Fokker 28, die nach Lyon fliegen sollte, seien derart böse, dass er sich fast nicht mehr getraue, in sein Flugzeug zu steigen. Darauf fragte er, ob es wohl möglich sei, dass unsere Kapelle auch in seinem Flugzeug kurz aufspielen würde, um die Passagiere zu beruhigen. Unser Kapitän war einverstanden, vorausgesetzt, die Musiker willigten ebenfalls ein. Das taten sie sofort, worauf Moritz Suter die Kapelle zur Fokker der Air France führte. Unsere Musiker spielten dort drei oder vier Stücke. Keine Frage, dass die Franzosen ebenso begeistert waren wie unsere Fluggäste. Kurz darauf kam eine Ansage aus dem Cockpit unserer DC-9. «Leider habe ich eine schlechte Nachricht», kündete der Kopilot mit 29


schicksalsschwerer Stimme an. «Wir müssen innerhalb von 15 Minuten starten!» Obwohl die Passagiere ihre Anschlussflüge in Zürich verpassten, das Fest wollten sie nicht so abrupt abbrechen. Ob man es glaubt oder nicht: Es gab viele enttäuschte Gesichter. Ein letztes Stück der Ländlerkapelle beendete diesen denkwürdigen Nachmittag in Ma­drid. Nachdem alle Instrumente wieder verstaut und jeder Passagier angeschnallt war, rollte unsere DC-9 zur Startpiste. Die Verspätung belief sich schliesslich auf mehr als drei Stunden. In den Wochen nach diesem Streiktag erreichten uns viele wohlwollende Zuschriften von Passagieren, die unsere Skichilbi erlebt hatten. Und sogar die Zeitungen berichteten darüber. Unser damaliger Direktionspräsident, Armin Baltensweiler, lobte unsere «innovative Kundenbetreuung» und bedankte sich bei mir und meinem Team mit einem Brief und dem Buch «Swissair, Flugbild der Schweiz». Peter «Sam» Ehrbar begann seine vierzig­

jährige Swissair-Laufbahn als Luftverkehrslehrling. Nach drei Jahren als Allrounder in London wurde er in Bern, Budapest, Madrid und Paris tätig und leistete Kurzeinsätze in Moskau, Dublin, Larnaca und Seoul. Am Hauptsitz wurde er verantwortlich für die Personaldispositionen des Stationsausland­ kaders, arbeitete bei Kaderselektionen mit und war Leiter des Fundbüros und Welcome Desk. Er arbeitete auch im Passenger CareCenter und war zuletzt Auditor Aussen­ stationen für sicherheitsrelevante Aktivitäten Flugzeug- und Passagierabfertigung.

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Werner Schaub «SR 111 has crashed!»

3. September 1998, 5.23 Uhr. Die sanfte Musik meines Telefons holt mich abrupt aus einem tiefen Schlaf. Mein Kopf ist noch verhangen. Wer könnte dies sein? Ist etwas passiert? Schlaftrunken greife ich zum Hörer. Am anderen Ende meldet sich John King, mein Security-Kollege von der Swissair New York. Seine Worte werde ich zeitlebens nie mehr vergessen: «Werner, SR 111 has crashed!» Die MD-11 auf dem Flug von New York nach Genf ? Nein, das kann nicht sein! Das darf nicht wahr sein! Ich glaube es nicht und will es nicht glauben. Leider ist es eine brutale Tatsache. Das bestätigt sich, als ich am Fernseher CNN einschalte. Der amerikanische Nachrichtensender, unheimlich schnell wie immer, hat den Absturz bereits zum Hauptthema gemacht. Ich brauche nur wenige Minuten, um mich zu konzentrieren und bereit zu machen. In meiner Rolle als Sicherheitschef verständige ich vorerst meine Kollegen und einen Vertreter des Cockpitverbandes. Auch da Wort­ losigkeit und lange Stille. Sie brauchen ebenfalls Zeit, bis bei ihnen die volle Tragweite meiner schlimmen Botschaft durchdringt. Zweifel und Unglauben. Ich versuche nun, unsere Einsatzleitstelle am Flughafen Zürich zu erreichen. Etwa nach dem fünften Anlauf komme ich durch. Ja, sie wüssten es bereits, bekomme ich zu hören. Es gebe Pro­ bleme bei der Alarmierung des Krisenstabes. Während der endlos scheinenden Fahrt zum Flughafen wirbeln meine Gedanken durcheinander. Wieso wir? Welche Ursachen führten zum Absturz? Hat er etwas mit der Sicherheit am Flughafen oder mit Terrorismus zu tun? Wer sind die Passagiere? Wer die Besatzung? Befinden sich darunter mög­ licherweise auch Freunde oder Kollegen? Um 6.10 Uhr treffe ich im Operation Center ein. Mein Kollege Paul Herger und andere Leute sind bereits anwesend. Alle wirken verstört, sind geschockt und traurig und haben offensichtlich grosse Mühe, den 141


Tatsachen zu glauben. Die Telefone läuten ohne Unterlass, alle sprechen durcheinander. Was ist zuerst zu tun? Von den Mitgliedern des Emergency Teams ist noch niemand da. Die Situation ist ziemlich unübersichtlich und unorganisiert. Zu viele Leute sprechen durcheinander. Wie oft haben wir Notfallsituationen in unserer Organisation durchgespielt, doch hier zeigt sich, wie sehr sich theoretische Szenarien von der Wirklichkeit unterscheiden können. Ich versuche, die Verwirrung in den Griff zu bekommen, und übernehme das Kommando. Nach einer Weile trifft Manfred Brennwald ein, unser Chief Operation Officer und Stellvertreter des für den Flugbetrieb verantwortlichen Beat Schär. Dieser ist bereits nach Genf unterwegs, wo die MD-11 hätte landen sollen. Mit meinen Fachkenntnissen als ehemaliger Stationsleiter kann ich Brennwald gut unterstützen. Zunehmend beginnen jetzt die eingespielten Mechanismen zu greifen. Schritt um Schritt nimmt alles seinen Lauf, fast automatisch, mechanisch und diszipliniert, so wie wir das in unseren Emergency-Übungen trainiert haben. Ich erinnere mich noch gut, wie Beat Schär trotz un­ serer Einwendungen immer wieder darauf pochte, wir müssten uns auf Notfälle vorbereiten und solche Eventualitäten üben, üben und nochmals üben. Wie recht er hatte! Diese mentalen und organisatorischen Vorbereitungen helfen uns jetzt, ein Chaos zu vermeiden. Ich kontrolliere unsere Sicherheits-Checklisten fast in Trance. Sie sind unsere In­s ­ trumente, um die richtigen Prioritäten zu setzen und nichts zu vergessen. Telefonanrufe hier, Telefonanrufe dort … Aufträge … Informa­ tionen … Briefings. Es bleibt keine Zeit für Emotionen. Das Tempo und der Stress lassen ihnen keinen Raum mehr. Zeit für Verschnaufpausen gibt es wenig. Zum Glück haben wir Irene Handel, unsere gute Seele, die bei uns für Kaffee und Gipfeli sorgt. Endlich finde ich Zeit, den Krisenstab kurz zu verlassen und unser Büro aufzusuchen. Meine Kollegen dort werden überschwemmt von Anrufen und Anfragen verschiedenster Art. Ob «Tigers» – fliegende Sicherheitsbeamte – an Bord waren, will zum Beispiel gerade jemand wissen. Obschon die Tragödie in unserem Unternehmen wie eine Bombe eingeschlagen hat, muss der normale Flugbetrieb weitergehen. 142


Heinz Koch und Urs Scherer stellen sicher, dass keine Lücken ent­ stehen. Politische Entwicklungen in Krisengebieten und Probleme in anderen Ländern verflüchtigen sich nicht einfach, wenn bei uns ein Flugunfall passiert. Der routinemässige Flugbetrieb verläuft ruhig. Glücklicherweise sind alle Kolleginnen und Kollegen unseres kleinen Teams in Zürich, was in Anbetracht unserer vielen Dienstreisen nicht selbstverständlich ist. Wir werden so etwas wie ein Filter für alle eingehenden Anrufe an den Emergency-Raum. Wieder steht ein Briefing an. Die letzten Neuigkeiten und Nachrichten werden ausgetauscht und Fragen besprochen. Jetzt liegen auch die Passagierlisten, die Namen der Besatzungsmitglieder und die Fracht- und Postpapiere vor. Es stimmt mich sehr traurig, als ich erfahre, dass sich auch Bekannte an Bord befanden. Und nicht nur mich beschäftigt, was zu diesem Absturz führte. Diese Frage wird erst die genaue Untersuchung beantworten, wenn überhaupt. Das genügt natürlich den Medien nicht, weshalb sie sich mit Gerüchten und Spekulationen gegenseitig zu überbieten suchen. Endlich kann ich auch mit John King in New York sprechen. Die Swissair ist gerade dabei, einen Sonderflug mit Spezialisten, einem Care-Team und weiteren Helfern nach Halifax zu schicken. So beauftrage ich John, sich ebenfalls nach Neuschottland zu begeben. Er vermittelt mir ein Bild der Ereignisse am Kennedy-Flughafen. Unser Terminal sei dort einem grossen Ansturm von Angehörigen der verunglückten Passagiere ausgesetzt und von der Polizei gesichert worden. Er selber werde überschwemmt von Fragen der Federal Aviation Authority (FAA) und dem Federal Bureau of Investigation (FBI). John weiss noch nicht, was ihn in Halifax erwarten wird. Es ist beruhigend, einen Mann unseres Sicherheitsteams vor Ort zu haben. Auch seine Mission dort, wo er unter anderem zahllose Fragen der kanadischen Untersuchungsbehörden zu beantworten hat, wird zu einer harten Prüfung. Beim Krisenstab im Operation Center am Flughafen in Kloten herrscht auch an den folgenden Tagen 24-Stunden-Betrieb. Als sehr kleines Team fordert uns das sehr. Aber wir schaffen es. Wir wechseln 143


von täglicher Routine in ungewöhnliche Nachtschichten und einen Tag-und-Nacht-Rhythmus, passen uns an und versuchen, anstatt nachts zu schlafen, während des Tages ein paar Stunden Ruhe zu finden. Die Dauerpräsenz und der grosse Arbeitsanfall helfen uns, ein ­wenig über unseren inneren Schmerz und das Leid hinwegzukommen. Das Emergency Committee bleibt noch während Wochen an der Arbeit. Auch drei Wochen nach der Tragödie kennen wir die genaue Ursache des Absturzes noch nicht. Das verunsichert nicht nur uns, sondern die gesamte Swissair und natürlich besonders das fliegende Personal und den technischen Betrieb. Wenn kein technisches Problem vorlag, wer oder was war dann schuld? Immer wieder taucht das Wort «Sabotage» in unseren Köpfen auf. Dass ein Kabelbrand hinter dem Cockpit zum Versagen der elek­ tronischen Systeme geführt hat, wird sich erst im Laufe der folgenden Untersuchungen bestätigen. Unsere Haupttätigkeit ist es, Bestandteil eines Teams zu sein, zu helfen, das Prozedere unter die Lupe zu nehmen und neue Hinweise zu finden. Was uns viel Zeit und Energie raubt, ist die oft mühsame Aufgabe, uns mit zahllosen Briefen und Anrufen von Besserwissern herumschlagen zu müssen, welche die Ur­sachen des Absturzes zu kennen glauben und uns mit gut gemeinten Ratschlägen die Tür einrennen. Darunter befinden sich einige Wahnsinnige von unglaublicher Pene­tranz. Da ist man sich oft nicht mehr sicher, wem zu glauben und wer verrückt ist. Und es gilt zu bedenken: Die höchst ­aufwendige und beispiellos akribische Untersuchung der Katastrophe durch die kanadischen Behörden wird noch einige Jahre dauern. Bei mir persönlich schlagen die Auswirkungen dieser Tragödie erst später durch. Während ich in den ersten Tagen völlig von der Arbeit absorbiert war, begleiteten mich Traurigkeit, Unglaube und eine gewisse Wut nur unterschwellig. Danach hatte ich mehr Zeit zum Grübeln und um Antworten auf Fragen zu suchen. Oft schreckte ich nachts aus einem Traum und sah mich plötzlich in meiner Funktion als frü­ herer Stationsleiter in New York. Ich dachte an meine dortigen Kollegen, stellte mir vor, was sie fühlten, wie sie mit dem Unfall umgingen und wie ich mich verhalten hätte. 144


Ein paar Wochen später nehme ich die Gelegenheit wahr und fliege nach einer IATA-Konferenz in Montreal via New York in die Schweiz zurück. In New York kann ich mit John King und meinen früheren Kollegen sprechen und unsere Ansichten und Erfahrungen austauschen. Das tut mir gut. Ich weiss, ich werde über diese düsteren Nachwehen hinwegkommen. Das Leben muss weitergehen. Eine bewegende Erinnerung ist für mich eine kirchliche Feier in Kloten zum zehnjährigen Gedenken an SR 111. Der 3. September 1998 bleibt bei allen Swissair-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, die damals dabei waren, unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Werner Schaub trat am 1. Januar 1967 in die

Swissair ein. Während 25 Jahren wirkte er als Stationsleiter im Ausland. 1995 kehrte er als Sicherheitschef in die Schweiz zurück. In ­dieser Funktion blieb er auch bei der Swiss bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2007. Anschliessend war er teilzeitig als Head of Security bei PrivatAir in Genf tätig. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und zwei Enkelkinder und wohnt am Zürichsee.

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Sandra Grendelmeier Auf einer Achterbahn in Libyen

Schauplatz dieser Geschichte ist The Great Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya oder einfacher gesagt: Libyen. Im Mai 1999 hoben die Vereinten Nationen nach sieben Jahren ihr Flugembargo gegen den Wüstenstaat auf, und so führte denn auch die Swissair wieder ihre fünf wöchentlichen Flüge durch: dreimal nach Tripolis und zweimal nach Benghasi. Während des Embargos hatte es nur zwei Arten gegeben, nach Libyen zu reisen: entweder auf dem Landweg via Tunesien oder Ägypten oder auf dem Seeweg von Malta. Diese Reisen waren beschwerlich, zeitintensiv und öfters chaotisch. Verständlich, dass wir mit unseren neuen Flügen mit offenen Armen empfangen wurden. Das Geschäft lief entsprechend gut, unsere Verkaufsbüros in Tripolis und Benghasi wurden förmlich überrannt. Wir heuerten sogar einen Türsteher an, der ein Nummernsystem einführte und an manchen Tagen die Pforten von innen schliessen musste, um dem Ansturm Herr zu werden. Die Flugzeuge waren voll, und die Vorausbuchungen sehr vielversprechend. Ja, so machte die Arbeit Spass! Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 änderte sich auch unsere Welt schlagartig. Was würde uns die Zukunft bringen? Wir hatten ein mulmiges Gefühl. Ob wohl eine Spur der Attentäter in den Wüstenstaat führte? Die Gerüchteküche brodelte, Angst machte sich breit, das Embargo war noch in aller Gedächtnis. Wir hofften inbrünstig, dass sich unsere Befürchtungen nicht bewahrheiten würden. Die Swissair hatte an diesem verhängnisvollen Dienstag ihr Flugzeug – an Bord auch unser Landesvertreter Willy Hagmann mit seiner Frau – flugplanmässig und problemlos nach Tripolis und wieder zurück geflogen. Am Abend des 11. Septembers entschied unser Krisenstab in Zürich kurzfristig, den nächsten geplanten Libyen-Flug zu streichen. Leider wurden wir nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen. Dies war umso bedauerlicher, als uns die Tragweite einer solchen Ent189


scheidung bewusst war und wir vor eventuellen Konsequenzen hätten warnen können. Dafür war es jetzt zu spät. Der Entscheid war mittels Telex an die libysche Luftfahrtbehörde gegangen, mit Kopien an unsere Vertretungen in Tripolis und Benghasi. Der Wortlaut war eher undiplomatisch verfasst. Als Grund für die Annullierung wurden «sicherheitspolitische Bedenken» bezeichnet. So etwas hörten die lokalen Behörden natürlich überhaupt nicht gern. Zumal es die Swissair «wagte», den Flugbetrieb nach Teheran und Tel Aviv weiterhin aufrechtzuerhalten. Ein unglaublicher Affront. Der Entscheid unseres Krisenstabes wurde so ausgelegt, dass die Schweiz (Swissair = Schweiz) vermute, Libyen stecke hinter den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon. Wieso würden sonst nur die Libyen-Flüge gestrichen? Die Retourkutsche der Behörden liess nicht lange auf sich warten: Willy Hagmann wurde zur Zivilluftfahrtbehörde zitiert, wo man ihm harsch mitteilte, dass uns die Flugrechte nach Libyen ab sofort und bis auf Weiteres entzogen worden seien. So, da waren wir nun also. Voll ausgebuchte Flieger, aber kein Fluggerät mehr. Die Nachricht unseres Malaise verbreitete sich in Win­ deseile, und die Telefonleitungen liefen heiss. Jetzt galt vor allem eines: die Ärmel hochkrempeln und umbuchen, umbuchen und nochmals umbuchen. Wir hatten ein ganz tolles Team, bestehend aus langjährigen Mitarbeitern, die schon einige Krisen und Notsituationen durchgestanden hatten. Deshalb ist ein Libyer nicht so schnell zu erschüttern. Alle meldeten sich sofort zum Dienst und wussten, was zu tun war. Zu unserem Glück akzeptierten die anderen Fluggesellschaften unsere Tickets. So war unsere Umbuchaktion eine lösbare Aufgabe, sehr ärgerlich zwar, aber lösbar. Es gelang uns, sämtliche Kunden bei Lufthansa, Austrian Airlines oder Alitalia unterzubringen. Die entschieden schwierigere Aufgabe bestand darin, den verhängnisvollen Entscheid so schnell wie möglich rückgängig zu machen. Für Willy Hagmann begann ein Spiessrutenlauf. Täglich war er – mit ständigen Rücksprachen mit unserem Hauptsitz – unterwegs im Dreieck vom Büro zur Schweizer Botschaft, von dort zur Luftfahrtbehörde 190


und dann wieder zurück ins Büro. Jeder Schritt wurde diskutiert und jedes Wort sorgfältig interpretiert. So verbrachten wir einige Wochen. Euphorische Momente – «Wir befinden uns kurz vor einem Durchbruch» – wechselten sich ab mit Abstürzen, wenn unsere Bemühungen wieder ins Leere gelaufen waren. Es gab interessante Gespräche, es wurde viel Tee getrunken, doch es passierte nichts. In einem Land wie Libyen ist es ziemlich schwierig, an Entscheidungsträger heranzukommen, geschweige denn zu einem persönlichen Gespräch empfangen zu werden. Und als Ausländer ist dies beinahe unmöglich, es sei denn, man habe Beziehungen. Und so brachten wir unseren General Sales Agent ins Spiel. Dieser General Sales Agent war für die Verkäufe in Benghasi verantwortlich. Die Inhaber dieser Agentur pflegten gute Beziehungen zu wichtigen Behörden, und ein funktionierender Flugbetrieb war natürlich auch in ihrem Interesse. Durch ihre Vermittlungsversuche bekamen wir einen Termin beim Tourismusminister. Diesen suchten wir zusammen mit einem Vertreter der Schweizer Botschaft auf. Wir waren zuversichtlich, dass wir damit einen Durchbruch erzielen würden. Das Gespräch mit dem Minister war angenehm, der Tee sehr süss, aber leider mussten wir danach einsehen, dass auch dieser Termin nicht zum gewünschte Ergebnis führte. So verstrich die Zeit vor allem mit täg­ lichem Putzen von Türklinken bei den Behörden. Als endlich für alle gestrandeten Passagiere eine Lösung gefunden worden war, gab es für das Verkaufsteam nicht mehr viel zu tun. Wer kauft schon einen Flugschein, wenn es keinen Flug gibt! Kurz darauf, es war inzwischen Oktober geworden, brach bei der Swissair die Welt zusammen. Dank Satellitenfernsehen konnten wir auf den deutschsprachigen Sendern hautnah mitverfolgen, welch traurige Szenen sich nach dem Grounding in der Schweiz abspielten. Während unsere Kollegen weltweit damit beschäftigt waren, Passagiere zu beruhigen oder umzubuchen, hatten wir bereits ein leeres Büro und all diese Widrigkeiten sinnigerweise nicht. Dafür hatten wir ein anderes Problem: das mit den Flugrechten … Nach der vorübergehenden Einstellung des Flugbetriebes nach dem 191


Grounding hatten wir aus verständlichen Gründen die Behördenvertreter nicht mehr so intensiv «bearbeitet» wie vorher, doch dann – oh Wunder ! – bekamen wir am 12. Oktober 2001 aus heiterem Himmel ein arabisches Fax der Luftfahrtbehörde, in dem uns kundgetan wurde, dass die Flugrechte Schweiz–Libyen wieder erteilt worden seien! Unter normalen Umständen hätten wir natürlich Luftsprünge gemacht, aber zwischenzeitlich befand sich unsere Firma bekanntlich in Konkurs, und wir wussten selber nicht, was mit uns geschehen würde. Obwohl die Swissair dann ihren Flugbetrieb wieder aufnahm, blieb die gute Nachricht aus Libyen vorerst unbeachtet. Es gab wichtigere Pro­ bleme zu lösen, weshalb die Flüge nach dem Wüstenstaat weiterhin gestrichen blieben. Dies passte wiederum den lokalen Behörden nicht. Erneut wurde unser Landesvertreter zur Flugbehörde beordert und Klartext gesprochen: Jetzt, wo wir die Rechte wieder hätten, müssten wir per sofort den Flugbetrieb wieder aufnehmen! Nun war nochmals diplomatisches Geschick angesagt, und darin war Willy Hagmann ein grosser Meister. Unsere Mission bestand jetzt darin, uns für die erhaltenen Flugrechte zu bedanken, aber gleichzeitig darauf aufmerksam zu machen, dass es die Swissair als solche nicht mehr gab. Eine schwierige Situation, zumal die Fluggesellschaft in der arabischen Welt gleichgesetzt wurde mit den hohen Werten der Schweiz. Und eine solche Gesellschaft sollte es plötzlich nicht mehr geben! Wie vermutet, stiess dies bei den lokalen Behörden auf wenig Verständnis. Wir seien ja noch hier, unsere Angestellten trügen noch die gleichen Uniformen, also müsse es die Firma auch noch geben, lautete die Antwort von unbestechlicher Logik. Wir bekamen die Auflage, die Flüge unverzüglich wieder aufzunehmen, ansonsten die Flugrechte zwischen den beiden Staaten endgültig aufgehoben würden und eine allfällige Nachfolgegesellschaft diese erst wieder neu aushandeln müsse. Zum Glück zeigte sich die Swissair – das, was von ihr übrig ge­ blieben war – einsichtig. Am 28. Oktober nahmen wir den Flugbetrieb nach Tripolis und Benghasi wieder auf. Unser exzellenter Ruf im libyschen Markt war jedoch bereits ruiniert. Weiter machte die Tatsache, 192


dass die anderen Airlines unsere Flugscheine seit dem Grounding nicht mehr akzeptierten, die Sache auch nicht einfacher. Wir konnten also nur noch auf reinen Swissair-Strecken Flugscheine verkaufen. So kam es, dass wir bis Ende März, als die Ablösung durch die Swiss erfolgte, fünfmal die Woche mit fast leeren Maschinen nach Libyen flogen. Ich erinnere mich noch gut an den Kommentar eines treuen Kunden, der über Zürich nach Portugal flog: «Hut ab vor der Crew! Trotz der widrigen Umstände und der Ungewissheit um die Zukunft bot sie einen hervorragenden Service!» Vielleicht lag es aber auch einfach an der Tatsache, dass der Kunde als Einziger in der Businessclass sass und so die ungeteilte Aufmerksamkeit der ganzen Kabinenbesatzung geniessen konnte. Sandra Grendelmeier begann ihre Swissa­ ir-Laufbahn als Luftverkehrsangestellte in ­Zürich und absolvierte darauf eine zweieinhalbjährige Ausbildung als Auslandbuchhalterin. Danach folgte ein Einsatz als Finanzchefin in Libyen. Ihr Aufenthalt dort endete 2009, als sie, inzwischen zur Landesvertreterin der Swiss aufgestiegen, die Vertretung schliessen musste: eine sehr emotionale Aufgabe, verbunden mit dem Abschied von langjährigen Mit­ arbeitern, mit denen sie so manche Krise ausgestanden hatte. Heute ist sie bei Lufthansa in New York im Personaldienst tätig.

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Markus Altenbach Als die Swissair-Welt zusammenbrach

Das Bild ging um die Welt: Ein Swissair-Kopilot sitzt nachdenklich am Strand der Copacabana und blickt verloren hinaus ins Meer. Was für ein Symbol für das Ende einer einst so stolzen Fluggesellschaft! Vieles wurde schon geschrieben über den kläglichen Untergang dessen, was einst als ein Wahrzeichen der Schweiz im Ausland gegolten hatte. Doch wie erlebten wir als Mitarbeiter an der Front jenen 2. Oktober 2001, als wir von einer Stunde auf die andere mitten in den Strudel der Ereignisse gerissen wurden? Wie gelang es uns, trotz allem zu funk­ tionieren und unsere Arbeit zu tun? Ich möchte einige Momente dieses unvergesslichen Tages festhalten, wie wir sie bei der Swissair in Brasilien erlebt haben. Das Unheil begann schon am frühen Morgen. Die Einsatzleitstelle in Zürich wies uns an, die beiden sich gerade in Brasilien befindlichen MD-11 und alle Besatzungen sofort zurück in die Schweiz zu schicken. Die eine MD-11 war unterwegs von Rio de Janeiro nach Buenos Aires und musste deshalb unverzüglich umkehren und zurück nach Rio fliegen. Das zweite Flugzeug stand am Flughafen Guarulhos in São Paulo. Es hätte nach Santiago de Chile weiterfliegen sollen, doch wegen der damaligen kritischen finanziellen Verhältnisse in unserem Konzern musste ich diese Strecke schon einige Tage vorher einstellen lassen. Neben den beiden Jets befanden sich fünf vollständige Besatzungen, also sechzig Piloten und Flight Attendants, in Brasilien. Die Crews – viele befanden sich an ihren Freitagen irgendwo und waren schwer zu finden – und die Flugzeuge waren also schleunigst nach Hause zu schicken. Eine Herkulesarbeit stand uns bevor, und natürlich war an einen geordneten Tagesablauf nicht mehr zu denken. In unserem Büro in São Paulo war schon bald der Teufel los. Kurz vorher hatte ich noch alle leitenden Mitarbeiter der Stadtorganisation von Verkauf, Reservation und Finanzen zusammengerufen, um das 229


weitere Vorgehen zu besprechen. Wir legten fest, was wir tun mussten, durften oder nicht durften, versuchten Prioritäten zu setzen und verschiedene Vorgehensvarianten zu planen. Zuerst sollten die Kunden informiert werden, die für die Flüge vom 2. Oktober gebucht waren. Für unsere Verkaufsmitarbeiter war es alles andere als ein Zuckerlecken, den Passagieren die Hiobsbotschaft zu übermitteln, dass die Swissair die Anschlüsse und Rückflüge nicht mehr garantieren könne. Dann waren unsere Stammkunden und Grossfirmen an der Reihe, die wichtigsten Agenten und Reisebüros. Sie alle waren über unsere Situation ins Bild zu setzen. Es dauerte nicht lange, bis die Telefonanlage praktisch zusammenbrach. Für ausgehende Gespräche gab es fast keine freien Leitungen mehr, denn fortwährend riefen Kunden, Agenten, Journalisten, Lieferanten oder Kollegen an. Verunsicherte Kunden forderten Lösungen, die es nicht gab, Agenten und Kunden wollten ihr Geld zurück, was aber nicht möglich war. Lieferanten pochten auf die sofortige Tilgung der Ausstände. Für unsere Mitarbeitenden war es in diesem chaotischen Durcheinander eine unglaubliche Herausforderung, Haltung zu bewahren und ihre Aufgaben konzentriert zu be­ wältigen. Dann plötzlich laute Schreie. An unserem Ticketschalter entbrannte ein Handgemenge. Eine kleine Gruppe argentinischer Kunden wollte nicht akzeptieren, dass sie nicht mehr mit uns nach Buenos ­Aires zurückfliegen und wir keine passende Lösung anbieten konnten, weil andere Gesellschaften unsere Flugscheine nicht mehr akzeptierten. Wir hatten auch die klare Order, kein Geld rückzuerstatten. Ich alarmierte die Sicherheitsbeamten des Gebäudes. Diese bemächtigten sich der handgreiflich gewordenen Kunden und drängten sie aus dem Büro. Es blieb uns in der Folge nichts anderes übrig, als unser Stadtbüro ab­zusperren und Kunden nur nach telefonischer Absprache zu empfangen. Den Mitarbeitern unserer Flughafenorganisationen in Galeão in Rio de Janeiro und Guarulhos in São Paulo erging es inzwischen nicht besser. Auf der Suche nach Informationen und Lösungen stürmten die ersten Passagiere die Ticket- und Abfertigungsschalter. Auch unsere Frachtleute hatten ihre liebe Not mit ihren Agenten, die auf 230


i­ hren Rechten bestanden und um die schon gemachten Buchungen fürchteten. Und dann kam ein verzweifelter Hilferuf unseres Stationsmecha­ nikers: Die Treibstoffgesellschaft Esso weigere sich, unsere MD-11 zu betanken! Sie bestehe auf Barzahlung in US-Dollars. Senhor Elvelcio Frigerio, unser Finanzchef, beruhigte: Wir hätten noch genügend Geld­reserve auf der «conta corrente» bei unserer Hauptbank. Dies war aber nur ein kleiner Trost, denn darauf zuzugreifen, war beinahe aussichtslos. Geldtransaktionen von Airlines in Brasilien liessen sich nur mit der Zustimmung der Zentralbank abwickeln. Es war früher Nachmittag, und nur ein bestimmter Abteilungsleiter der Bank durfte den Bezug dieses Betrages bewilligen. Die Zeit drängte, denn wir wollten gemäss Flugplan abfliegen. Der Herr Bankleiter war jedoch noch beim Mittagessen und nicht erreichbar. Unser Senhor Frigerio schaffte dann trotzdem das fast Unmögliche. Nachdem der Bankleiter endlich aufgetaucht war, erhielt unser Mann, wenn auch mit Verspätung, das nötige Bargeld. Welche Überredungskünste es ihn kostete, auch noch die in Brasilien fast unmögliche Bewilligung zum Umtausch in Dollar zu erhalten, lässt sich kaum beschreiben. Nun hatten wir also das Geld, es waren knapp 90 000 Dollar, leider aber in kleinen Scheinen – ein unglaublicher Berg von Banknoten! Damit läuft man in Brasilien besser nicht durch die Strassen! Glücklicherweise besass unsere Firma einen gepanzerten Dienstwagen, mit dem Senhor Frigerio und zwei Mitarbeiter als Eskorte schliesslich das Bargeld bei Esso in Guarulhos ab­ liefern konnten. Jetzt kam endlich das grüne Licht zum Betanken des Flugzeuges. Etwa zur gleichen Zeit erhielt ich einen Anruf unserer Distriktlei­ terin aus Rio de Janeiro. In Galeão, von wo wir auch eine MD-11 in die Schweiz zurücksenden mussten, weigerte sich nun die Tankfirma ebenfalls, das Flugzeug zu betanken. Dieses Mal war es Shell. Auch diese forderte Dollar in bar. Zwar hatten wir jetzt genügend Cash in Lokalwährung in São Paulo, und unsere Bank hätte es auch nach Rio überweisen können, aber die Überweisung wäre erst einen Tag später auf dem Konto der dortigen Geldwechselstelle eingetroffen. Die Leute 231


der Wechselstelle in Rio de Janeiro liessen nicht mit sich verhandeln. Die Zeit drängte, es wurde Abend, und wir hatten immer noch keine Lösung gefunden. Ich rief von São Paulo aus in Zürich an und erreichte endlich unseren Finanzdirektor, Walter Kälin. Nach einigem Hin und Her und obwohl, wie er sagte, wirklich keine Mittel zur Verfügung stünden, versprach er mir dennoch, dass er umgehend das Gespräch mit Shell aufnehmen werde. Es gelang mir an diesem Tag nicht mehr, nochmals mit ihm zu sprechen, doch offensichtlich erwirkte er ein kleines Wunder. Etwa zwei Stunden später kam nämlich die erlösende Nachricht aus Rio, das Flugzeug werde aufgetankt und die Bezahlung an Shell werde über den Hauptsitz abgewickelt. Thomas Graf, der Stationsleiter in Rio de Janeiro war, erzählte mir später, wie es bei ihnen am Flughafen zugegangen sei. Die Mitarbeiter mussten den Kunden erklären, wie es um unsere Firma stand und dass deren Anschlüsse in der Schweiz oder auch ihre Rückflüge von der Swissair nicht mehr garantiert werden konnten. Als das Flugzeug schliesslich mit etwa zwei Stunden Verspätung in Richtung Zürich abhob und allmählich am Horizont verschwand, hatten alle Mitarbeiter Tränen in den Augen. Sie ahnten, dass dies soeben der letzte SwissairFlug von Rio de Janeiro gewesen war. Mit beträchtlicher Verspätung startete schliesslich auch die MD-11, die in São Paulo gestanden hatte, zu ihrem Flug in die Schweiz. Wir alle waren erschöpft und kämpften mit den uns überwältigenden Gefühlen. Wir waren unsäglich traurig, fassungslos und zutiefst aufgewühlt. Gegen Mitternacht fuhr ich endlich nach Hause. Die Strassen von São Paulo waren fast menschenleer. Ich wusste, die Nacht würde wieder sehr kurz sein. Auch ahnte ich, dass uns noch zahllose weitere ­Herausforderungen bevorstanden. Die persönliche Ungewissheit und die meiner Mitarbeiter bereiteten mir grosse Sorgen. Die Liebe zur Swissair drängte diese Gefühle etwas in den Hintergrund und liess uns das fast Unmögliche während der nächsten Tage und Wochen durchstehen.

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Markus Altenbach stiess 1974 zur Swissair,

durchlief verschiedene verkäuferische Funk­ tionen in Zürich und begann dann seine Auslandkarriere als Verkaufs-, Distrikt- und ­Gebietsleiter. Er war in Saudi-Arabien, Rio de Janeiro, Stuttgart und Kopenhagen tätig und kehrte danach wieder zurück nach Brasilien. Heute ist er in São Paulo für Swiss International Air Lines als Gebietsleiter verantwortlich für Lateinamerika.

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Nachwort

Nach dem Grounding der Swissair im Schicksalsjahr 2001 verschwanden in kürzester Zeit die Flugzeuge mit dem Namenszug und dem Schweizer Kreuz am Heck, die Besatzungen mit ihren dezenten Uniformen und die Verkaufsbüros mit ihren von Weitem sichtbaren Em­ blemen in allen Grossstädten der Welt. Damit verflüchtigten sich auch die Symbole ihrer visuellen Identität. Geblieben sind Erinnerungen, tief verankert in den Herzen ihrer vielen Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wo immer sich Ehemalige begegnen, werden sie wieder wach: Erinnerungen an Höhen und Tiefen, dramatische Zeiten und euphorische Momente, an unvergessliche Episoden, mit grossen Anstrengungen gemeisterte heikle Situationen und kleine persönliche Triumphe. Aussergewöhnliche und oft an die Nieren gehende Erfahrungen machten die, welche im Dienste der Swissair viele Jahre und oft fast das ganze Leben im Ausland verbrachten, zahllose Male mit der Familie umzogen und – oft unter schwierigen Bedingungen – mit politischen Wirren, Korruption in Drittweltländern und Bedrohungen verschiedenster Art fertig werden mussten. Ist es nicht ein Jammer, fragte ich mich, wenn die spannendsten Geschichten, die wir im Auslandeinsatz erlebten, nicht weitererzählt werden und so verloren gehen? Dieser Gedanke liess mich nicht mehr los und beflügelte mich, die einstigen Kolleginnen und Kollegen per E-Mail aufzufordern, eine ihnen besonders unvergessliche Geschichte zu Papier zu bringen. Wer weiss, vielleicht könnte daraus ein Buch entstehen. Noch ahnte ich nicht, dass sich diese Vision zu einem Projekt entwickeln könnte, das mir später den Schlaf rauben würde. Auf die alten Strukturen der durchorganisierten Swissair konnte ich nicht mehr zurückgreifen. Alles umfassende Adresslisten gibt es nicht mehr. Zudem sind viele Leute der einstigen Auslandorganisa235


tion in der ganzen Welt verstreut. Mein Freund Walty Vollenweider, der seine Auslanderfahrungen im Buch «Business Class» festgehalten hatte, warnte mich vor dem immensen Aufwand. Dank Werner Lehnherr, der alljährlich ein Abendessen der ehemaligen Auslanddirektoren organisiert, kam ich zu den ersten Adresslisten. Ernst Beutler von SR Technics, inzwischen ein ausländisches Unternehmen, verschaffte mir den Kontakt zu den einstigen Stationsmechanikern. Ohne das breite Beziehungsnetz meines früheren Mitarbeiters Walter Isaak wäre ich unmöglich an die Hunderte von Adressen der District Manager, Sta­ tionsleiter und Verkaufschefs gekommen. Zum Glück war ich nicht allein auf meiner Wanderung durch unwirtliches Gelände. Ich hatte einen Bergführer in der Person des er­ fahrenen Publizisten und Buchautors Urs von Schroeder, der während seiner langen Swissair-Tätigkeit im Kommunikationsbereich sehr eng mit der Auslandorganisation zusammengearbeitet hatte. Er erklärte sich bereit, die textliche Verantwortung des Buches zu übernehmen. Im Verlauf des Projekts wurden wir zu einem gut harmonierenden und sich gegenseitig ergänzenden Team. Die moderne Technik ermöglichte es, zeitgleich über dreihundert auf fünf Kontinenten verstreute Ehemalige aufzufordern, sich Gedanken über eine authentische und besonders denkwürdige Geschichte zu machen. Überzeugungsarbeit war nicht erforderlich. Die Idee wurde von vielen dankbar und oft enthusiastisch aufgenommen. Das Bedürfnis, eine besondere Erfahrung festzuhalten, schien gewaltig zu sein. Viele wollten gleich mehrere Geschichten schreiben! Unser Ziel war es, ein möglichst vielseitiges und abwechslungsreiches Kaleidoskop von Erlebnissen und Erfahrungen zu bündeln, die den Leserinnen und Lesern einen Eindruck des Lebens an der Swissair-Aussenfront vermitteln würden. Aus den zahlreichen Einsendungen konnten wir schliesslich fünfzig Geschichten auswählen. Viele – das zieht sich wie ein roter Faden durch – beginnen mit dem schrillen Ton des Telefons, der zur Unzeit einen ereignisreichen Tag einläutet, der sich dann tief ins Gedächtnis der Beteiligten einbrannte und oft lebensverändernd wurde. Es gelang uns, unser Duo mit einem engagierten Redaktionsteam 236


zu verstärken: Ueli Ganz, Kurt Wyler, Peter Müller und Tony Ettlin. Zusammen mit dem Lektor Urs von Schroeder verbrachten sie viele Hundert Stunden damit, die Texte zu verfeinern, ihnen den nötigen Schliff zu geben und sie zur Buchreife zu bringen. Dies geschah im ständigen Dialog mit den Autorinnen und Autoren, die mehrheitlich noch nie eine Geschichte für ein Buch geschrieben hatten. Alle Beteiligten waren hochmotiviert, arbeiteten freiwillig und unentgeltlich und waren beseelt vom Willen, ein spannend zu lesendes Werk zu schaffen. Viele haben zu diesem Buch beigetragen. Müsste ich eine Verdienstordnung aufstellen, würde ich das Redaktionsteam ganz oben ansiedeln. Eine besondere Freude war es, dass wir in NZZ Libro, dem Buchverlag der Neuen Zürcher Zeitung, auf Anhieb einen Verlag fanden, der sich für unser Werk begeistern liess. Schon im ersten Gespräch mit dem Verlagsleiter Hans-Peter Thür und der Programmleiterin Ursula Merz spürten wir, dass wir die richtigen Partner vor uns hatten. Sie waren angetan von unseren Geschichten und bereit, daraus ein schönes Buch zu machen. Ich danke dem Verlag und insbesondere Ursula Merz, die unser Projekt bis zur Geburt des Werkes begleitet hat. Dank gebührt vor allem den Kolleginnen und Kollegen, die unserem Aufruf Folge leisteten und ihre Erinnerungen festhielten. Es erstaunt, dass sie diese bisher noch nicht erzählten Geschichten, selbst wenn sie sich teilweise schon vor Jahrzehnten ereignet hatten, mit so viel Kraft schilderten, als ob sie sie erst gestern erlebt hätten. Sie schufen damit ein packendes Vermächtnis für die Nachwelt und ermög­ lichen dem Leser zu erahnen, was wirklich hinter dieser Fluggesellschaft steckte und ihren Erfolg, ja ihren Mythos ausmachte: der Einsatz und die gelebten Werte ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Hans Kissenpfennig

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Namenverzeichnis

Abdelkarim, Maurice  66 Ahl, Hakan  56 Allemann, Jean-Pierre  50 Altenbach, Markus  229 Alvensleben, Bodo von  187 Alzouman, Saleh  46 Arquisch, Tony  123 Baltensweiler, Armin  30, 46, 96 Baratashvili, Lily  131 Bender, Martin  59 Benoit, Jean-Philippe  199 Beutler, Ernst  236 Bihina, Doris  121, 203 Bischof, Hans  136 Boysen, Henning 55 Braendle, Ines  83 Brechbühl, René  211 Brennwald, Manfred  142 Bruggisser, Philippe  204, 217 Bühler, Charly  20 Burckhardt, Therese  41

Frigerio, Elvelcio  231 Galli, Ueli  138 Ganz, Ueli  208, 237 Gédéon, Sami  64 Gehriger, Alfons  93, 101 Gharakhanina, Vahik  15 Gmünder, Oskar  123 Grefberg, Jan  74 Grendelmeier, Sandra  189 Hagmann, Willy  189 Halidi, Hamidi  47 Handel, Irene  142 Hänssler, Ruedi  18 Haslebacher, Peter  14 Hayden, Gerhard  23 Herger, Paul  141 Hobeika, Roland  66 Howes, Lenn  90 Hungerbühler, Marcel  46, 156 Hüsler, Herbert  163 Isaak, Walter  236

Cotti, Flavio  150 Crivelli, Sandro  178 Curchod, Theo  59 De Mello, Rosalia  139 Diawaku, Jean-Pierre  163 Edelmann, Walter  123 Ehrbar, «Sam» Peter  27, 73 Eid, Amal  65 Endrich, Ekkehard  108 Ettlin, Tony  237 Fischer, Ernst  158 Fischer, Hansruedi  194 Fraefel, Franz  136 Friedrich, Charles  61 238

Kälin, Walter  232 Katzmann, Bo  123 Kessler, Norbert  90 Khoperia, Vano  132 Kiener, Walter  226 King, John  141 Kissenpfennig, Hans  11, 218, 237 Koch, Heinz  143 Krauss, André  168 Krummenacher, Edith  221 Küpfer, Rolf  36 Kuhn, Andreas  113 Laasner, Karl  103 Lang, Erik  14 Laperchia, Ralph  69


Lehnherr, Werner  236 Lieb, Helmut  126 Loepfe, Otto  123 Lushiku, Isabelle  163 Luethi, Peter  13, 21, 156 Martigão, Carlos  173 Mattenschlager, Robert  123 Meier, John  112, 115 Meier, Markus  151 Meier, Schaggi  101 Meier, Thomas  131 Meili, Hansueli  55 Michel, Erwin  31 Meichtry, Richard  55 Minder, Hansruedi  94 Mühlebach Steen, Christine  73 Müller, Peter  237 Niederhäuser, Ernest  119, 205 Nizam, Mohammed  65 Omba, Elise  163 Pasquier, Roger  93 Pauli, Urs  216 Picenoni, Fernando  119, 204 Plüss, Tony  78

Schaub, Werner  141 Scherrer, Helmut  46 Scherrer, Urs  143 Schmid, Kurt  98, 202 Schmid, Markus  153 Schmid, Maximilian  93 Schneeberger, Jost  138 Schroeder, Urs von  64, 236 Schwab, Reynold  59 Seiler, Werner  20 Senn, Adolfo  78 Sidani, Imad  65 Sieber, Urs  88 Siegenthaler, Franz  126 Speck, Walter  158 Stapfer, Stefan  182 Stark, Walter  69 Staub, Werner  214 Steen, Gunnar  74 Stöcklin, Hannes  136 Sturzenegger, Heinz  204 Surber, Ruedi  46 Suter, Moritz  28 Sutter, Jörg  146 Techtermann, Roger  62 Tschanz, Peter  46 Vollenweider, Walty  236

Reutlinger, Paul  200 Reisacher, Charles  163 Ritschard, Willi  96 Rohrer, Heini  136 Rosen, Barry  13 Salzborn, Willy  218 Schär, Beat  142 Schärer, René  173

Wagner, Hans-Jürg  203 Weber, «Ogi» August  93 Wegmüller, Hanspeter  136 Wichser, Heinz  15 Wyler, Kurt  237 Zambashvili, Eka  132 Zimmerli, Max  62

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