Schweiz: Konkordanz und KollegLDOLWlW VRUgen für StabilLWlW LQ GHU 5egierung
Zauberformel ohne Zauber
SPS
SVP
BDP
SVP
SPS
CVP
SVP CVP
46
FDP
FDP
FDP
FDP
SPS
FDP
FDP
SPS
CVP
FDP
SVP
SVP
CVP
CVP
CVP
FDP
FDP
FDP
44 Verteilung in Sitzen
BGB / SVP
30 20
Freisinn-Mitte / LPS
10 Freisinn-Linke / FDP
1891
1954
2007
Die Katholiken lehnen im Kulturkampf alles ab, was «von Bern oben» kommt, so auch die Verstaatlichung der Eisenbahnen 1891. Der freisinnige Eisenbahnminister Emil Welti tritt zurück. Für ihn kommt Joseph Zemp, der die Opposition angeführt hat, als erster Katholisch-Konservativer in den Bundesrat – und bringt die Verstaatlichungsvorlage 1898 beim Volk durch.
Als Ernst Nobs 1951 zurücktritt, ersetzt ihn Max Weber – als Militärdienstverweigerer angefeindet. Er bereitet eine Finanzreform vor, die den sozialen Ausgleich zwischen direkter und indirekter Besteuerung bringen soll. Die Vorlage scheitert 1953 in der Volksabstimmung, Weber tritt zurück. Der Bundesratssitz der SPS geht kurzfristig an die FDP, Ende 1954 an die KK.
Anders als die Vertreter der Sozialdemokraten lässt sich Blocher im Bundesrat nicht domestizieren: Er gebärdet sich eher als Oppositionsführer. Die Bundesversammlung wählt deshalb statt ihm Eveline Widmer-Schlumpf. Die SVP schliesst ihre beiden Bundesräte aus, diese gründen die Bürgerlich-Demokratische Partei. Die SVP erhält 2008 wieder einen Bundesratssitz.
1929
1959
Im Ersten Weltkrieg klaffen Gräben zwischen dem Bürgertum und den Bauern einerseits und den notleidenden Arbeitern und Angestellten anderseits. Wegen der Polarisierung nach dem Landesgeneralstreik von 1918 und dem Wahlerfolg der Sozialdemokraten von 1919 wählt die Bundesversammlung Rudolf Minger, der 1917 die Bernische Bauernund Bürgerpartei gegründet hat.
Um die Sozialdemokraten wieder in den Bundesrat einzubinden und die Vorherrschaft des Freisinns zu brechen, erfindet Martin Rosenberg, der Generalsekretär der KK, die «Zauberformel»: FDP, KK und SPS bekommen je zwei Sitze, die BGB einen. Die Spielregeln macht die Bundesversammlung klar, als sie nicht die Kandidaten wählt, die die SPS vorgeschlagen hat.
Wahl des ersten Bundesrates mit sieben Freisinnigen
1861
1873
Ausbruch des Kulturkampfs
1874
Totalrevision der Bundesverfassung Einführung des Referendums
Einführung der Verfassungsinitiative
Landesgeneralstreik Wahl des Nationalrats nach Proporz
Gründung der Katholischen Volkspartei
1943
Bruch der freisinnigen Mehrheit
Wahl des ersten sozialdemokratischen Bundesrates, Ernst Nobs
Wahl eines zweiten katholischkonservativen Bundesrates
1939
1921
Gründung der Kommunistischen Partei
Ausbruch des Zweiten Weltkriegs
1929
Wahl des ersten Bundesrates der Bauernpartei, Rudolf Minger
1931
Umstellung auf vierjährige Legislaturperiode
1971
Aufnahme des Juras als 23. Kanton
Einführung des Frauenstimmrechts auf Bundesebene
40 30 20 10 0
FDP
CVP
SPS
SVP
Quelle: www.swissvotes.ch, eigene Darstellung
2011
1990
2000
Ausschluss der beiden SVP-Bundesräte Gründung der Bürgerlich-Demokratischen Partei Wahl eines SVP-Bundesrates, Ueli Maurer
Öffnung
2007
1978
Gründung der Partei der Arbeit
50
Aufgrund der Parolen von 1985–1991 (grau) und 2005–2011 (rot) zeigt sich, wie sich die Positionen der Parteien voneinander wegbewegen.
2008
Gründung von Grüner Partei und Grüner Alternative
1944
1919
Frauenmehrheit im Bundesrat
1983
Rücktritt des sozialdemokratischen Bundesrates Max Weber
60
Die Parteien driften auseinander
2010
Wahl von Elisabeth Kopp (FDP) als erste Bundesrätin
1954
1918
Gründung der Freisinnigdemokratischen Partei
1984
Wahl des Bundesrates nach «Zauberformel»
1917
1894
1980
1959
Wahl des einzigen Bundesrates der Liberalen, Gustave Ador
Wahl des ersten katholisch-konservativen Bundesrates, Joseph Zemp
1970
1960
1950
1940
1930
1920
1910 1914
Ausbruch des Ersten Weltkriegs
1891
Beginn der demokratischen Bewegung gegen den Freisinn
1900
1890
1880
1870
1860
1888
Gründung der Sozialdemokratischen Partei
Abwahl von Bundesrat Christoph Blocher
GLP
2003
Bruch mit der «Zauberformel» Wahl von Christoph Blocher als zweiter SVP-Bundesrat
1999
Totalrevision der Bundesverfassung
1937
SP SP
LdU
CVP
LPS
CVP EVP EVP
GP
FDP FDP
SVP SVP
GP
Gründung des Landesrings der Unabhängigen Friedensabkommen in der Metallindustrie
1936
NA
Gründung der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei
AP
Abgrenzung
Grossbritannien: Das Konkurrenzsystem führt zu schnellen Wechseln in der Regierung
1985– 1991
700 600
Others
Irish National
500 400 Labour
300 200 Conservative
100 0
2005–2011
Quelle: Hermann 2011
Whigs / Liberal
Als älteste parlamentarische Demokratie hat Grossbritannien ein ausgeprägtes Zwei-ParteienSystem. Im 19. Jahrhundert kämpften die liberalen Whigs gegen die konservativen Tories, im 20. Jahrhundert Konservative gegen Labour. Die Parteien wechselten sich in Regierung VFKUDI½HUWH )OlFKH und Opposition oft in schneller Folge ab.
Das Buch zum Thema Quelle: www.telegraph.co.uk/news/election; eigene Darstellung
Die SVP, die in den 1990er-Jahren ihren Wähleranteil verdoppelt hat, macht die Wahlen von 2003 zum Plebiszit über ihren Vordenker Christoph Blocher. Nach dem erneuten Wahlsieg fordert sie ultimativ einen Bundesratssitz für ihn. Die Bundesversammlung wählt Blocher – sie will damit wie einst bei KK und SPS eine potentiell obstruktive Opposition einbinden.
1850
1847 Angesichts der Gefahr, die vom Dritten Reich droht, bekennen sich die Sozialdemokraten in den Dreissigerjahren zur Landesverteidigung, und seit 1937 gilt in der Maschinen- und Metallindustrie das Friedensabkommen. Als sich im Zweiten Weltkrieg der Sieg der Alliierten abzeichnet, wählen die Bürgerlichen mit Ernst Nobs den ersten sozialdemokratischen Bundesrat.
Verteilung in Sitzen
Nach der Gründung des Bundesstaates sitzen mehr als vierzig Jahre lang sieben Vertreter der «freisinnigen Grossfamilie» im Bundesrat. Der Freisinn spaltet sich auf in Demokraten, Radikale und Liberale. Dank dem Referendum können ab 1874 die Katholiken zusammen mit freisinnigen Föderalisten vorwiegend aus der Romandie das Parlament blockieren.
1848
Gründung des Bundesstaates
House of Commons
2003
70
Eigentum
1943
In der Ständekammer (links) hatten die Katholiken immer eine starke Stellung. FDP und KK/CVP hielten bis 1931 mehr als 40 Sitze und haben heute noch die Mehrheit.
KK / CVP
0
1848
6WlQGHUDW Andere BDP SPS
Abweichende Parolen in Prozent
2006–2010
SVP CVP
2001–2005
LPS CVP
Seit den 1980er-Jahren fasste die SPS bei der Hälfte der Volksabstimmungen eine andere Parole als der Bundesrat, seit fünf Jahren tut dies auch die SVP.
1996–2000
CVP
Die Volkskammer (oben) wurde im 19. Jahrhundert von der «freisinnigen Grossfamilie» beherrscht, mit dem eher linken Flügel (später FDP) und der Mitte (später LPS). Den Umbruch brachte die Einführung der Proporzwahl 1919.
1991–1995
Zusammensetzung
0
Die Parteien spielen Opposition
Nationalrat
1986–1990
Freisinn-Linke / FDP
1981–1985
KK / CVP
1976–1980
BGB / SVP
40
1971–1975
Freisinn-Mitte / LPS
Wohlfahrt
Verteilung in Prozent
Nationalrat
SPS
60
20
Bundesrat
Die Schweiz ist ein Sonderfall, nicht nur mit ihrer Neutralität, ihrem Föderalismus und ihrer direkten Demokratie, sondern auch mit ihrem Regierungssystem: Der Bundesrat zeichnet sich aus durch eine weltweit einzigartige Stabilität. In der 163 -jährigen Geschichte des Bundesstaates änderte sich die parteipolitische Zusammensetzung der Landesregierung – von kurzen Übergangslösungen abgesehen – nur neunmal. Die «Zauberformel» von 1959 bewährte sich 44 Jahre lang. In parlamentarischen Demokratien, so in Grossbritannien als ältester VLHKH *UDILN XQWHQ , wechseln sich dagegen die Parteien in Regierung und Opposition oft in schneller Folge ab und stossen gerne die Projekte der Vorgänger wieder um. Die Schweiz braucht eine Regierung, in der alle wichtigen Parteien sitzen, gerade wegen ihrer direkten Demokratie: Vorlagen, hinter denen Bundesrat und Parlament nur mit knappen Mehrheiten stehen, scheitern oft in der Volksabstimmung. Deshalb musste jede Opposition, die die Gesetzgebung lahmlegen konnte, in die Regierung eingebunden werden, so 1891 die Katholisch-Konservativen, 1943/59 die Sozialdemokraten und 2003 die erstarkte SVP mit einem zweiten Sitz. Die Vertreter der Bundesratsparteien hatten so in der Bundesversammlung meist einen Anteil von mehr als 80%, zeitweise bis zu 95%. Die politische Stabilität brachte der Schweiz ökonomischen Erfolg: Die Jahre nach 1891, 1943/59 und 2003, mit einer Regierung im Gleichgewicht, gehören zu den Blütezeiten der Schweizer Wirtschaft. Die Stabilität bietet Sicherheit für die Unternehmer und Wettbewerbsvorteile für das Land. Die Schweiz sollte also die Konkordanz pflegen – sie, wie es der Politikwissenschafter Michael Hermann in einer Studie für Avenir Suisse empfiehlt, «nicht abschaffen, sondern revitalisieren».
6WlQGHUDW
Konkordanz
Sonderfall Schweiz
Freisinn-Mitte / LPS
1966–1970
BDP LdU
80
In der Schweiz ist das Volk die Opposition. Will der Bundesrat zu tragfähigen Lösungen kommen, muss er sich auf eine möglichst grosse Mehrheit abstützen. Wenn sich eine Partei zu sehr zu einer schlagkräftigen Opposition entwickelte – wie die Katho lisch-Konservativen nach der Verfassungsrevision von 1874 oder die Sozialdemokraten nach dem Landesgeneralstreik von 1918 –, wurde sie in den Bundesrat eingebunden. Der Wähleranteil der Bundesratsparteien VFKUDI½HUWH )OlFKH lag so meist über 80 %.
1961–1965
Andere
Die «Zauberformel» von 1959 (2 FDP, 2 CVP, 2 SPS, 1 SVP) verleiht der Schweizer Kollegialregierung mehr als vierzig Jahre lang eine einzigartige Stabilität. Nur die Sozialdemokraten geben sich ab 1983, als ihre Kandidatin Lilian Uchtenhagen nicht in den Bundesrat gewählt wird, «schampar unbequem»: Sie sind gleichzeitig Regierungspartei und Opposition. Der Bürgerblock zerbricht 1992 in der Auseinandersetzung um den Beitritt der Schweiz zum EWR. Die SVP verdoppelt innert zwölf Jahren ihren Wähleranteil und bewegt sich von FDP und CVP weg. Zwischen 2007 und 2011 können die «oppositionellen Bundesratsparteien» SPS und SVP das Parlament blockieren.
Quelle: Gruner, Die Parteien in der Schweiz, 1969, BFS; eigene Darstellung
100
Taugt das Schweizer Regierungssystem angesichts der Krise der Konkordanz noch für die Zukunft? Diese Frage untersuchte im Auftrag von Avenir Suisse der bekannte Politikwissenschafter Michael Hermann. Er stellt in seinem Buch «Konkordanz in der Krise» die Erfolgsgeschichte des Schweizer Modells dar. Und er empfiehlt: «Revitalisieren statt abschaffen!»
Konzept, Text: Markus Schär Gestaltung: Arnold. Inhalt und Form AG, www.a-if.ch