NACHHALTIG INVESTIEREN
GRUNDLAGEN – STRATEGIEN – UMSETZUNG
Staub-Bisang/Stüttgen/Mattmann (2022)
Staub-Bisang/Stüttgen/Mattmann (2022)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2022 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel Komplett überarbeitete, revidierte und ergänzte Ausgabe des Titels «Nachhaltige Anlagen für institutionelle Investoren» von Mirjam Staub-Bisang, NZZ Libro 2011, ISBN 978-3-03823-710-5
Lektorat: Karin Schneuwly, Zürich Umschlag: icona basel, Basel Gestaltung, Satz: Claudia Wild, Konstanz Druck, Einband: BALTO Print, Litauen
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ISBN Print 978-3-907396-05-6
ISBN E-Book 978-3-907396-06-3
NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.
Nachhaltig investieren. Was heisst das?
nachhaltig orientierter Investoren
Rechtliche Rahmenbedingungen und selbstregulatorische
und Gütesiegel
und Rendite
nachhaltiger
Vorwort 11
Vorbemerkung der Autoren
1 Nachhaltig investieren. Was heisst das? 16
1.1 Umlenkung von Kapital zur gesellschaftlichen Transformation 16
1.2 Kontrolle ökonomischer Umwelt- und Sozialrisiken aus Investorensicht 19
1.3 Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) 23
1.4 Kleine Geschichte des Nachhaltigkeitsbegriffs 26
1.5 Konklusion für Praktiker 29
2 Motive nachhaltig orientierter Investoren 30
2.1 Finanzielle Motive 31
2.2 Regulatorische Motive 35
2.3 Ethische Motive 37
2.4 Hindernisse in der Umsetzung 39
2.5 Konklusion für Praktiker 41
3 Rechtliche Rahmenbedingungen und selbstregulatorische Standards 42
3.1 Nachhaltigkeitstaxonomie und Offenlegungsverordnung der Europäischen Union 42
3.2 Selbstregulatorische Ansätze und Initiativen zur Setzung von Standards 52
3.3 Konklusion für Praktiker 57
4 Daten, Ratings und Gütesiegel 59
4.1 Daten zur Beurteilung der Nachhaltigkeit von Unternehmen 59
4.2 Datenveredelung und Erstellung von Ratings 62
4.3 Divergenzen zwischen Nachhaltigkeitsratings 71
4.4 Gütesiegel für nachhaltige Anlageprodukte 75
4.5 Konklusion für Praktiker 84
5 Risiko und Rendite 85
5.1 Finanzielle Performance nachhaltiger Anlagen 87
5.2 Finanzieller Einfluss von Nachhaltigkeitsfaktoren auf Unternehmensebene 92
5.3 Nicht-finanzielle Performance: Wirkung nachhaltiger Anlagen auf die Realwirtschaft 94
5.4 Konklusion für Praktiker 98
6 Ausschlusskriterien und Negativselektion 102
6.1 Normbasiertes Screening und wertebasiertes Screening 103
6.2 Kontroverse Geschäftsfelder, -praktiken und -aktivitäten
Konklusion für Praktiker
7 Positivselektion 110
7.1 Bewertung, Reihung und Selektion von Investments nach Filterkriterien
7.2 Sonderformen der Positivselektion: Best-in-Class- und nachhaltiger Themenansatz 113
7.3 Konklusion für Praktiker
8 Best-in-Class-Ansatz 115
8.1 Filterung nachhaltiger Geschäftspraktiken mittels Ratings 115
8.2 Varianten des Best-in-Class-Ansatzes 116
Konklusion für Praktiker 120
9 ESG-Integration 122
9.1 Nachhaltigkeitsfaktoren als materielle finanzielle Risiken 122
9.2 Hilfsmittel zur Identifikation materieller finanzieller Risiken 126
9.3 Konklusion für Praktiker 128
10 Nachhaltiger Themenansatz 130
Geschäftsmodelle zur Lösung ökosozialer Herausforderungen 130 10.2 Nachhaltigkeit thematischer Investments? 132 10.3 Konklusion für Praktiker 137
11 Impact Investing 139
11.1 Intentionalität, Additionalität und Wirkungsmessung 139 11.2 Impact bei Privatmarktanlagen, Anleihen und Aktien 145 11.3 Risikoadjustierte Marktrendite und Impact-Reporting 147 11.4 Konklusion für Praktiker 150
12 Aktive Aktionärspolitik 152
ESG-Stimmrechtsausübung 154
ESG-Engagement 157
Konklusion für Praktiker 166
13 Klimastrategien 168
13.1 Transitorische und physische Risiken des Klimawandels 168
Metriken zur Beurteilung von CO2-Emissionen und Temperaturpfaden von Portfolios 173
Umsetzung von Klimastrategien im Anlageprozess 180
Leistungsfähigkeit von Klimastrategien? 193
Konklusion für Praktiker 195
14.1 Strategiekombination am Beispiel eines Asset Managers 197
14.2 Strategiekombination am Beispiel einer Pensionskasse 201
14.3 Konklusion für Praktiker 205
15 Anleihen 208
15.1 Grüne, soziale und «nachhaltige» Anleihen 210
15.2 Nachhaltigkeitsverbundene Anleihen 217
15.3 ESG-Screening der Emittenten von Unternehmensund Staatsanleihen 219
15.4 Konklusion für Praktiker 220
16 Nachhaltige Aktien- und Anleiheindizes 222
16.1 Nachhaltige Aktienindizes 223
16.2 Nachhaltige Anleiheindizes 228 16.3 Konklusion für Praktiker 231
17 Immobilien 233
17.1 Nachhaltigkeitsbeurteilung von Einzelimmobilien 234
17.2 Bewertung und Steuerung nachhaltiger Immobilienportfolios 236 17.3 Finanzielle Implikationen nachhaltiger Immobilienanlagen für Investoren 238
17.4 Konklusion für Praktiker 242
18 Alternative Anlagen 243
18.1 Private Equity 243 18.2 Private Debt 248 18.3 Infrastruktur 251 18.4 Anlagen in Entwicklungsfinanzierung: Mikrofinanz und Blended Finance 257
18.5 Rohstoffanlagen 264
18.6 Hedgefonds 268 18.7 Konklusion für Praktiker 271
19 Umsetzung nachhaltiger Strategien durch institutionelle Investoren 272
19.1 Anlageorganisation 273
Anlagepolitik, Anlagereglement und Anlagegrundsätze 274
19.3 Anlagestrategie und Asset Allocation 278
19.4 Selektion von Asset Managern und Anlageprodukten 283
19.5 Überwachung und Reporting 285
19.6 Konklusion für Praktiker 286
20.1 Methodische Herausforderungen von Marktstudien 287
20.2 Deutschland, Österreich und Schweiz als Beispiele 289 20.3 Institutionelle und private Anleger 292 20.4 Aktien, Anleihen und andere Anlageklassen 294 20.5 Konklusion für Praktiker 295 21 Ausblick 296
Initiativen nachhaltiger Investoren 299
Abbildungsverzeichnis 308
Abkürzungsverzeichnis 311
Literaturverzeichnis 315 Stichwortverzeichnis 348
Autoren 352 Dank 353
Das globale Wirtschaftssystem nachhaltiger und widerstandsfähiger zu gestalten, ist für unsere Generation eine der grössten Herausforderungen überhaupt. Nur dann, wenn wir sie erfolgreich meistern, werden auch unsere Kinder in einer gesunden und wohlha benden Gesellschaft leben können, andernfalls dürften sie mit immer grösseren sozialen und ökologischen Krisen konfrontiert sein. Aber wie können wir die gewünschte posi tive Entwicklung sicherstellen?
In der Unternehmensführung hat sich ein breiteres Engagement für alle Interessengrup pen gegenüber einem kurzsichtigen Fokus auf Aktionärsinteressen durchgesetzt. In den Führungsetagen haben Kriterien aus den Bereichen Umwelt, Soziales und gute Unter nehmensführung (ESG) die alleinige und enge Sicht auf Gewinn- und Verlustrechnung abgelöst. Die Erkenntnis setzt sich durch, dass Unternehmen mehr als nur wirtschaftli che Einheiten sind; sie sind soziale Einheiten, Teil der Gesellschaft und in einer natürli chen Lebenswelt beheimatet. Auch Investoren fördern diesen Trend mit hoher Priorität. Sie wollen, dass Unternehmen nachhaltige Geschäftspraktiken verfolgen und ihre sozi ale Verantwortung wahrnehmen. Dies liegt im langfristigen Interesse von Unternehmen, Investoren und auch der Gesellschaft.
«Nachhaltig Investieren» von Mirjam Staub-Bisang, Manfred Stüttgen und Brian Matt mann schafft Klarheit über die verschiedenen Ansätze des nachhaltigen Investierens, über die Vorteile und Risiken, die diese Ansätze für Anleger bergen, und über ihre mög lichen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft. Einige Themen dieses Buchs verdie nen besondere Beachtung.
Erstens, ESG-Ratings und -Labels können verwirrend sein, wie die Autoren zu Recht anmerken. So messen einige der etablierten ESG-Ratings, inwieweit Unternehmen finanzielle Risiken im Zusammenhang mit Umwelt-, Sozial- und Corporate-Gover nance-Themen kontrollieren. Entscheidend ist, dass es hierbei nicht um die negativen externen Auswirkungen dieser Unternehmen auf Umwelt oder Gesellschaft geht, son dern um die finanziellen Rückwirkungen nachhaltigkeitsbezogenen Verhaltens auf die Unternehmen und ihre Investoren selbst. Diese Unterscheidung ist relevant, und sie nicht anzuerkennen, hat zu Kontroversen um Sinn und Zweck des nachhaltigen Inves tierens beigetragen.
Zweitens ist es wichtig, dass Investoren, Unternehmer und Regulierungsbehörden über eine gemeinsame Taxonomie für nachhaltige Investitionen verfügen, um Greenwashing durch Unternehmen und Vermögensverwalter zu verhindern. Wie die Autoren betonen,
etabliert sich in Europa eine solche Taxonomie als Grundlage eines gemeinsamen Begriffsverständnisses: Anfang 2022 hat die Europäische Union ihr Klassifizierungssys tem für nachhaltige Finanzen veröffentlicht. Die Taxonomie ist zwar noch unvollkom men, wie die politischen Verhandlungen über die Definition nachhaltiger Geschäfts tätigkeit zeigen, aber zugleich ein enormer Schritt in die richtige Richtung.
Drittens sind mit nachhaltigen Investitionen erhebliche administrative Hürden verbun den, sowohl für Unternehmen als auch für Investoren. Für Unternehmen bedeutet die Messung und Verbesserung ihrer Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Bilanz einen erheblichen Zeit- und Ressourcenaufwand. Für Anleger kann der Zugang zu ESGDaten ebenfalls kostspielig sein. Im Laufe der Zeit müssen Komplexität und Aufwand für die Messung der ESG-Leistungen reduziert werden. Aus diesem Grund hat das World Economic Forum sich mit mehr als 150 seiner Partner auf standardisierte Nach haltigkeits-Messgrössen verständigt und unterstützt die Vereinheitlichungsbemühungen des International Sustainability Standards Board (ISSB). Erst wenn eine Standardisie rung erfolgt ist, kann Transparenz erfolgreich sichergestellt werden.
Die angesprochenen Themen zeigen, dass es zahlreiche Hürden zu überwinden gilt, bis nachhaltige Investitionen ihr volles Potenzial entfalten können. Zugleich wird die Not wendigkeit deutlich, dass Investoren und Unternehmensführer Literatur wie «Nachhal tig Investieren» sehr ernst nehmen müssen. Die Praxis des nachhaltigen Investierens ist notwendiger denn je, und dieses Buch wird vielen Anlegern den Weg weisen.
Genf, Juni 2022
Prof. Dr. Dr. Klaus Schwab Gründer und Executive Chairman, World Economic Forum
Investoren berücksichtigen Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG) immer systematischer in ihren Anlageprozessen. Der Regulierungsschub der Europäischen Union beschleunigt diese Entwicklung rasant. Wer sich dem strukturellen Trend zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei Kapitalanlagen verweigert, wirkt aus der Zeit gefallen. Solche Investoren setzen sich finanziellen Risiken aus, für die sie sich erklären müssen. Bereits heute müssen Vermögensverwalter Nachhaltigkeitskriterien in die Gestaltung ihrer Produkte einbeziehen, um von Vermögenseignern – Vorsorgeein richtungen, Versicherungen oder gemeinnützigen Stiftungen – im Rahmen der Mana ger-Selektion berücksichtigt zu werden. Parallel dazu wächst bei Privatanlegern das Interesse an nachhaltigen und wirkungsorientierten Anlagelösungen. Zugleich nimmt der Bedarf an Wissen, Kompetenzen und Erfahrungen auf dem Gebiet nachhaltiger Invest ments zu. Das vorliegende Buch trägt dazu bei, die erforderlichen Sachkenntnisse wis senschaftlich und praxisnah zu erschliessen.
Das Autorentrio schöpft zu diesem Zweck aus unterschiedlichen Quellen: Das 2011 erschienene Buch von Mirjam Staub-Bisang «Nachhaltige Anlagen für institutionelle Investoren» liefert eine initiale Vorlage. Die seit 2017 jährlich publizierten «IFZ Sustai nable Investments Studien» von Manfred Stüttgen und Brian Mattmann dienen als inhaltliche Referenz für viele Einzelthemen. Ein Gastbeitrag zu nachhaltigen Immobi lien von Christian Kraft und Constantin Kempf erweitert die Expertise. Das so entstan dene Werk reflektiert den aktuellen Stand von Forschung und Praxis im Segment «nach haltige Anlagen». Es nimmt vielfach Bezug auf die Finanzwelt in den deutschsprachigen Ländern, speziell dem Schweizer Finanzplatz. Die dargelegten Analysen und Schlussfol gerungen sind gleichwohl übernational gültig.
Das Buch richtet sich an Investoren und Vermögensverwalter, die ihren treuhänderi schen Auftrag umfassend und langfristig erfüllen wollen. Auch Kundenberater von Ban ken, Portfolio- und Produktmanager, Vertriebsspezialisten sowie Verantwortliche in unterstützenden Funktionen wie Compliance, Marketing oder Kommunikation sind angesprochen. Überdies soll das Werk Studierende an Universitäten und Fachhochschu len sowie in Weiterbildungskursen dabei unterstützen, sich ein umfassendes Wissen über nachhaltige Anlagen anzueignen.
Allen Leserinnen und Lesern wünschen wir zahlreiche neue Erkenntnisse.
Luzern und Zürich, Juni 2022 Mirjam Staub-Bisang, Manfred Stüttgen, Brian Mattmann
Die ökologischen und sozialen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sind ausseror dentlich, da das Leben von Mensch und Natur langfristig bedroht ist. Klimawandel, ext reme Wetterereignisse, Wasserknappheit, Umweltverschmutzung oder der Verlust an Biodiversität bringen dramatische ökologische Verwerfungen mit sich.1 Armut und mangelnder Sozialschutz, Hunger und Ernährungsunsicherheit, prekäre Arbeitsbedin gungen, Kinder-/Zwangsarbeit und eine sich zuspitzende soziale Ungleichheit stellen die Menschheit vor enorme gesellschaftspolitische Aufgaben.2 Die Corona-Pandemie und geopolitische Konflikte – verstärkt durch den Ukraine-Krieg – verschärfen die Situation. Empfindlich spürbare Folgen für die Gesundheit, das Wohlergehen der Bevölkerung und die Energie- und Ernährungssicherheit sind absehbar. Speziell betroffen sind vulne rable Bevölkerungsgruppen.
Die Bewältigung der ökosozialen Herausforderungen erfordert enorme öffentliche und private Mittel, um notwendige Investitionen zu finanzieren, die es ermöglichen, zukünf tig nachhaltig zu produzieren und zu konsumieren. Hier kommen nachhaltige Kapital anlagen ins Spiel. Im Jahr 2014 schätzte die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) die Finanzierungslücke zur Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Ver einten Nationen (SDGs) allein in den Entwicklungsländern auf jährlich rund USD 2,5 Billionen bis ins Jahr 2030.3 Nach der Corona-Krise wurden die Schätzungen auf über USD vier Billionen korrigiert, die es – zusätzlich zu staatlichen Geldern – über Banken, Vorsorgeeinrichtungen, Versicherungen oder Stiftungen zu kanalisieren gilt.4
Nachhaltige Anlagen können dazu beitragen, diese enorme Finanzierungslücke zu fül len – durch neue Investitionen sowie durch Umleitung von Kapitalflüssen in Anlage formen, die die oben genannten ökosozialen Herausforderungen adressieren. Nachhal tige Anlagen ersetzen nicht die notwendigen politischen und rechtlichen Reformen auf der Makroebene, sondern komplementieren und akzentuieren solche Massnahmen
1 Vgl. World Economic Forum (WEF) (2022) 7–10, 14, 24–27.
2 Vgl. United Nations (UN) (2020) 6–8, 24–31.
3 Vgl. UN Conference on Trade and Development (UNCTAD) (2014) 140.
4 Vgl. OECD/UN Development Programme (UNDP) (2021) 2.
investieren. Was heisst das?
durch individuelle und institutionelle Investorenentscheide auf der betriebswirtschaftli chen Mikroebene.5
«Nachhaltige Anlagen»: Verschiedene Ansätze und Definitionsversuche Der Begriff «nachhaltige Anlage» ist reich an Facetten und wird auf unterschiedliche Arten ausgelegt. Ein Konsens besteht darin, dass bei nachhaltigen Anlagen nicht-finan zielle Kriterien in Investmententscheidungen berücksichtigt werden. Viele Investoren wollen damit eine positive realwirtschaftliche Wirkung erzielen, ihren ethischen Idealen Ausdruck verleihen; andere verfolgen ein finanzielles Kalkül. Nachhaltige Anlagen sind keine eigene Vermögensklasse, sondern ein Strategieansatz, der sich auf verschiedene Investmentkategorien anwenden lässt: Aktien, Anleihen, Immobilien oder auch Alter native Investments. Nachhaltige Investments integrieren ausgewählte Nachhaltigkeits kriterien, sogenannte ESG-Kriterien (E für «Environment», S für «Social», G für «Gover nance») in den Anlageprozess (Abbildung 1).
● Klimaveränderung
Ressourcenverknappung
Abfall
Verschmutzung
Abholzung der Wälder
Menschenrechte
Moderne Sklaverei
Kinderarbeit
Arbeitsbedingungen, -sicherheit
● Beziehungen zu Arbeitnehmern und Zulieferern
● Bestechung und Korruption
● Vergütung von Führungskräften
● Vielfalt und Struktur der Leitungsorgane
Politische Lobbyarbeit und Spenden
Steuerstrategie
Abbildung 1: Beispiele für Themenfelder nachhaltiger Anlagen.6
Eine Legaldefinition nachhaltiger Anlagen existiert im deutschen Sprachraum bisher nicht,7 ist aber in der EU-Kommission in Arbeit. Die Nachhaltigkeitstaxonomie des EUAktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums – siehe Kapitel 3.1 – wird künf tig Orientierung bieten. Zwei Konnotationen zeichnen den Begriff der nachhaltigen
Vgl. Stüttgen (2019) (a) 27; Ott (1997) 210–211.
In Anlehnung an UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) (o. J.) 1, Übersetzung durch die Verfasser.
Vgl. Gietzelt (2019) 43–50.
Anlage heute aus: Erstens die Assoziation eines positiven Beitrags eines solchen Invest ments zur Bewältigung der obengenannten ökosozialen Herausforderungen. Zweitens die Assoziation mit Anlagestrategien, die finanzielle Nachhaltigkeitsrisiken für Inves toren reduzieren sollen. Nachfolgend einige ausgewählte Definitionen nachhaltiger Anlagen.
Darmstädter Definition – ein ethischer Ansatz mit Blick auf realwirtschaftliche Wirkungen
In der Finanzwelt konkretisierte sich der Nachhaltigkeitsbegriff in den 1970/-80er-Jah ren. Die Universität Frankfurt a. M. entwickelte in Kooperation mit der Universität Hohenheim einen Kriterienkatalog zur Beurteilung der Nachhaltigkeitsqualität von Unternehmen und Kapitalanlagen. Das analytische Grundwerk wurde 1997 als «Frank furt-Hohenheimer Leitfaden» veröffentlicht. Dieser deckt 850 Einzelkriterien zur Beur teilung von Unternehmen ab, die den drei übergeordneten Kategorien Kulturverträg lichkeit, Naturverträglichkeit und Sozialverträglichkeit zugeordnet werden.8 Die «Darmstädter Definition nachhaltiger Geldanlagen» macht diesen sehr umfangreichen Kriterienkatalog praxistauglich.9
«Nachhaltige Geldanlagen tragen zu einer zukunftsfähigen Entwicklung bei. Sie ermögli chen dies durch eine umfassende Analyse der Anlageobjekte. Diese Analyse berücksichtigt wirtschaftliche und soziale Leistungen, Naturverträglichkeit und gesellschaftliche Ent wicklungen.
In ökonomischer Sicht erfordern nachhaltige Geldanlagen, dass
● Gewinne auf Basis langfristiger Produktions- und Investitionsstrategien statt in kurz fristiger Gewinnmaximierung erwirtschaftet werden,
● Erträge aus Finanzanlagen in vertretbarer Relation mit Erträgen aus realer Wert schöpfung stehen,
● die Erfüllung elementarer Bedürfnisse (z. B. Wasser) nicht gefährdet wird,
● Gewinne nicht auf Korruption beruhen.
In ökologischer Sicht erfordern nachhaltige Geldanlagen, dass die Gewinnerzielung im Einklang steht mit der
● Steigerung der Ressourcenproduktivität,
● Investition in erneuerbare Ressourcen,
● Wiedergewinnung und Wiederverwendung verbrauchter Stoffe,
● Funktionsfähigkeit globaler und lokaler Ökosysteme (z. B. Regenwälder, Meere).
8 Vgl. Hoffmann et al. (1997) 16–17, 27–205 sowie Stüttgen (2019) (a) 53–57.
9 Vgl. Hoffmann et al. (2004) 2 sowie Faust/Scholz (2014) 132–134.
investieren. Was heisst das?
In sozialer und kultureller Sicht erfordern nachhaltige Geldanlagen, dass die Gewinner zielung im Einklang steht mit der
● Entwicklung des Humankapitals (Verantwortung für Arbeitsplätze, Aus- und Weiter bildung, Förderung selbstverantwortlichen Arbeitens, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Respekt vor der Verschiedenheit der Einzelnen),
● Entwicklung des Sozialkapitals (Schaffung von Erwerbschancen, Ausgewogenheit zwischen den Generationen, diskriminierungsfreier Umgang mit Minderheiten, Funk tionsfähigkeit der Regionen, Förderung zivilgesellschaftlichen Handelns),
● Entwicklung des Kulturkapitals (Respekt vor kultureller Vielfalt unter Wahrung per sönlicher Freiheitsrechte und gesellschaftlicher Integrität, Mobilisierung der Poten ziale kultureller Vielfalt).»10
Die Darmstädter Definition nachhaltiger Geldanlagen galt in der deutschsprachigen Praxis lange Zeit als wegweisend für das Verständnis nachhaltiger Anlagen. Sie stellt darauf ab, dass nachhaltige Anlagestrategien bei der Selektion von Anlageobjekten neben ökonomischen auch ökologische und soziale Kriterien berücksichtigen. Spätere Ansätze betonen vermehrt die finanziellen Risiken und Chancen nachhaltiger Anlagen für Investoren.
Beispielhaft für einen Zugang, der die finanziellen Risiken von ökosozialen Aspekten der Unternehmensführung – und letztlich derjenigen für Investoren – ins Zentrum stellt, ist der Ansatz des US-amerikanischen Sustainability Accounting Standards Board (SASB).
Das SASB ist eine im Jahr 2011 gegründete Organisation zur Nachhaltigkeitsbericht erstattung, die Unternehmen dazu anhalten will, möglichst standardisiert finanziell relevante Nachhaltigkeitsinformationen für Investoren offenzulegen. Basierend auf die sen Informationen können Investoren Nachhaltigkeitskriterien nutzen, um Anlage entscheide aus risikoorientierter Sicht zu optimieren. Die Nachhaltigkeitsdefinition des SASB umfasst die fünf Dimensionen «Umwelt», «Humankapital», «Sozialkapital», «Geschäftsmodell und Innovation» sowie «Leadership und Governance»:
«Broadly speaking, SASB uses the word ‹sustainability› to refer to corporate activities that maintain or enhance the ability of a company to create long-term shareholder value. SASB groups such activities into five ‹sustainability dimensions›: the environment, human
capital, social capital, business model and innovation, and leadership and governance. […] the specific activities that drive long-term value creation will necessarily vary from one industry to the next, as well as from company to company.»11
Die Gegenüberstellung der Darmstädter Definition und der SASB-Definition von Nach haltigkeit zeigt zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen: Einen wertnormativen Zugang mit Anspruch auf ökosoziale Wirkung der Anlage und einen Risiko-Rendite-orientier ten Zugang mit Anspruch auf langfristige finanzielle Performance-Optimierung. Die heute gängigen Definitionen von nachhaltigen Anlagen bewegen sich zwischen diesen beiden Polen – nachfolgend einige Beispiele.
Definition Swiss Sustainable Finance (SSF)
«Nachhaltige Anlagen bezeichnen jeden Investitionsansatz, der Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG) in die Selektion und Verwaltung von Investments mitein bezieht.»12
«Nachhaltige Geldanlagen ergänzen die klassischen Kriterien der Rentabilität, Liquidität und Sicherheit um ökologische, soziale und ethische Bewertungspunkte. Nachhaltige Geldanlagen ist die allgemeine Bezeichnung für nachhaltiges, verantwortliches, ethi sches, soziales, ökologisches Investment und alle anderen Anlageprozesse, die in ihre Finanzanalyse den Einfluss von ESG (Umwelt, Soziales und Governance)-Kriterien einbe ziehen. Es beinhaltet auch eine explizite schriftlich formulierte Anlagepolitik zur Nutzung von ESG-Kriterien.»13
«We define responsible investment as a strategy and practice to incorporate environmen tal, social and governance (ESG) factors in investment decisions and active ownership.»14
Die genannten Definitionen nachhaltiger Geldanlagen haben sich in der Praxis bewährt. Zugleich etablierten sich rund um das Thema Nachhaltigkeit zahlreiche weitere Fachbe griffe. Nachfolgend in alphabetischer Reihenfolge einige ausgewählte Beispiele:
11 Sustainability Accounting Standards Board (SASB) (2022).
12 Swiss Sustainable Finance (SSF) (2016) 114.
13 Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) (2021) (a). Um als nachhaltiges Anlageprodukt zu qualifizie ren, ist gemäss FNG eine explizite, schriftlich formulierte Anlagepolitik notwendig. Im englischspra chigen Raum wird sinngemäss oft eine verschriftlichte Absicht («intentionality») mit Blick auf die Nutzung von Nachhaltigkeitskriterien gefordert.
14 UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) (o. J.) 1.
investieren. Was heisst das?
● Corporate Responsibility: Verantwortung eines Unternehmens gegenüber Umwelt und Gesellschaft.
● Double Bottom Line: Neben finanziellen Zielen werden auch soziale oder ökologi sche Kriterien berücksichtigt.
● Engagement: Aktiver Dialog von Aktionären bzw. ihrer Vertreter mit der Unterneh mensführung zur Förderung von Nachhaltigkeitszielen.
● ESG: Bezeichnet die drei Standbeine der Nachhaltigkeit, namentlich Environmental (Umwelt), Social (sozial) und Governance (gute Unternehmensführung). ESGInvestitionen sind Kapitalanlagen, die alle drei Aspekte der Nachhaltigkeit berück sichtigen.
● ESG Investing: Anlageansatz, der ESG-Kriterien im Investmentprozess berücksichtigt.
● Financial First Investors: Primäres Ziel dieser Anleger ist die Maximierung der finanziellen Rendite, ohne jedoch die soziale und ökologische Rendite ganz aus den Augen zu verlieren.
● Impact First Investors: Primäres Ziel dieser Anleger ist die Erzielung einer möglichst hohen sozialen oder ökologischen Rendite. Im Vergleich zu den Financial First Investors nehmen sie dabei auch eine unter dem Markt liegende Rendite in Kauf.
● Impact Investing: Anlagen, die einen messbaren, direkten ökologischen oder sozia len Nutzen bezwecken. Beispiele sind Risikokapital für junge Firmen im Bereich Umwelttechnologie, die Vergabe von Mikrokrediten oder Green Bonds.
● Investment Stewardship: Fiduziarische Wahrnehmung von Aktionärsrechten durch Vermögensverwalter.
● Mission-Related Investments / Program-Related Investments: Anlagestrategien gemeinnütziger Stiftungen und Organisationen, die eng mit den spezifischen Zielen und der Förderstrategie der jeweiligen Institution verbunden sind. Eine marktkon forme Rendite wird angestrebt, ist aber nicht Bedingung.
● Responsible Investment (RI) / Sustainable Investment (SI): Anlageprodukte und -stra tegien, die neben ökonomischen Aspekten auch ökologische oder soziale Grund sätze sowie Prinzipien guter Unternehmensführung und -ethik berücksichtigen.
● Social Venture Capital: Risikokapital für eine soziale oder ökologische Zielsetzung, das aber auch eine finanzielle Rendite abwerfen soll.
● Socially Responsible Investments (SRI) / Ökologische Anlagen / Ethische Anlagen: Im weitesten Sinn Kapitalanlagen, die ökologische, soziale und andere ethische Über legungen berücksichtigen.
● Triple Bottom Line («people, planet, profit»): Im Unterschied zur Double Bottom Line werden Hauptbestandteile einer nachhaltigen Entwicklung in den Entschei dungsprozess einbezogen: wirtschaftliche, soziale und ökologische Kriterien.
● Venture Philanthropy: Ansatz der Philanthropie, der sich stark an unternehmeri schen Prinzipien orientiert. Mit Risikokapital oder Darlehen werden soziale, ökolo gische oder gesellschaftliche Anliegen unterstützt und gesellschaftliche Verände rungen gefördert.
Nachhaltige Anlagen stehen in einer langen Tradition. Chronologisch lassen sich drei Phasen unterscheiden:15
Phase 1: Ethisches Investieren – die Perspektive individueller Verantwortung: Nachhalti ges Investieren wurzelt historisch im Bedürfnis von Anlegern, in Einklang mit religiö sen oder moralischen Werten zu investieren. Vorläufer sind die Religionsgemeinschaf ten – speziell in der jüdischen und der katholischen Tradition, der muslimischen Tradition des schariakonformen Investierens sowie in der Tradition der christlichen Freikirchen. 1971 legen die Methodisten mit dem Pax World Fund einen Anlagefonds auf, der die Finanzierung von Aktivitäten in den Bereichen Rüstung, Alkohol und Glücksspiel ausschliesst und als Vorläufer von negativen Screenings und Ausschlusskri terien gilt. Portfolio-Screening wird in den 1970er-Jahren auch von der Anti-Apart heitsbewegung in Südafrika und von der Anti-Vietnamkriegsbewegung in den USA praktiziert. In diesem Fall werden Ausschlusskriterien aufgrund politischer Ziele for muliert. So will man Investitionen vermeiden, die Unrechtsregime stützen, und Rüs tungszulieferer schwächen. In Europa entwickeln sich nachhaltige Anlagen in den 1980er-Jahren aus den Umwelt-, Friedens- und Bürgerrechtsbewegungen heraus. Akti visten wollen ihren Einsatz für Umwelt und Soziales mit der Anlage ihrer Gelder unter stützen. Gemeinsam ist den Anlagestrategien dieser ersten Phase, dass Investoren ihre individuelle Verantwortung konkret wahrnehmen und es zugleich vermeiden wollen, in jene Unternehmen zu investieren, die nicht nachhaltige, kontroverse oder unmorali sche Geschäftsziele verfolgen.16
Phase 2: ESG-Anlagen – die finanzielle Perspektive auf Umwelt- und Sozialrisiken: Zu Beginn der 2010er-Jahre gewinnen nachhaltige Anlagen in der Finanzwelt an Aufmerk samkeit und werden zunehmend unter dem Begriff der ESG-Investments subsumiert. Man beginnt, die materiellen Finanzrisiken von Anlageobjekten unter Zuhilfenahme von ESG-Rating-Systemen systematisch zu beurteilen. So will man Umweltrisiken, Sozi alrisiken und Risiken der guten Unternehmensführung – sowie deren finanzielle Aus wirkungen auf Anlagen – frühzeitig erkennen. Ein Kanon an unterschiedlichen ESGStrategien etabliert sich, und institutionelle Investoren wie Versicherungsgesellschaften und Pensionskassen wollen vermehrt anhand dieser Strategien die finanziellen Risiken im Portfolio kontrollieren. Diese Phase dauert bis heute an und überschneidet sich zeit lich mit der vorangehenden und der folgenden Phase.17
15 Vgl. Busch et al. (2021) 3–5.
16 Vgl. Louche et al. (2012) 301–310; Stüttgen (2019) (a) 17–19; Busch et al. (2021) 3–4.
17 Vgl. Busch et al. (2021) 2, 4.
investieren. Was heisst das?
Phase 3: Wirkungsorientiertes Investieren (Impact Investing) – die realwirtschaftliche Perspektive: Seit Beginn der 2020er-Jahre erhalten nachhaltige Anlagen weitere Impulse. Das Klimaabkommen von Paris, das die globale Erderwärmung auf unter zwei Grad limitieren will, sowie die Verbreitung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Natio nen unterstützen eine grössere Hinwendung zur Wirkungsorientierung von nachhalti gen Anlagen. Den Weg für wirkungsorientierte Investments haben ab 2005 die Mikrofi nanzanlagen bereitet. Die positiven und negativen externen Effekte von Unternehmen auf Umwelt und Gesellschaft rücken für Anleger stärker in den Fokus. Wirkungsorien tierte Anlagen sollen realwirtschaftliche Transformationen bei Unternehmen bewirken und einen Beitrag zum Wandel und zur Bewältigung sozialer und ökologischer Heraus forderungen leisten. Anleger wechseln erneut die Perspektive: Während man in Phase 2 nach einem «Business Case von Nachhaltigkeit» fragte und kalkulierte, ob und wie sich die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsanliegen finanziell rechnet, rückt jetzt in Phase 3 der «Nachhaltigkeits-Case des Business» in den Blick. Man fragt also danach, ob ein Unternehmen neben finanziellen Zielen auch direkte oder indirekte Beiträge zur Lösung der grossen ökosozialen Probleme des 21. Jahrhunderts leistet. Beispielhaft für diesen Ansatz sind Klimastrategien, die Netto-Null-Ziele für das Jahr 2050 («Net Zero») gemes sen am CO2-Ausstoss von Anlagen verfolgen. Der positive Effekt dieser Impact Invest ments soll anhand von messbaren technischen oder realwirtschaftlichen Indikatoren –beispielsweise Reduzierung von Treibhausgasemissionen, Verringerung der Armut, Linderung von Wasserknappheit – überprüft werden können.18
Nachhaltige Anlagen basieren auf der Integration von ESG-Kriterien in Investmentent scheidungen. Auswahl, Priorisierung und Operationalisierung dieser ausserökonomi schen Kriterien fallen in der Praxis nicht leicht. Trotz eines Konsenses über die grossen Themen von ESG-Investments mangelt es noch immer an einem etablierten Standard für die «passendsten» Nachhaltigkeitskriterien, an denen sich Vermögensverwalter und Investoren ausrichten sollen. In dieser Situation orientieren sich professionelle Vermö gensverwalter und Investoren in jüngster Zeit häufig an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (Abbildung 2).19
18 Vgl. Busch et al. (2021) 2.
In der Finanzbranche werden diese meist als «UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs)» bezeichnet. Im weite ren Verlauf des Buchs wird diese Bezeichnung verwendet.
Abbildung 2: Die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs).20
Die UN-Nachhaltigkeitsziele sind ein Katalog von 17 Zielen und 169 Unterzielen für eine ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft. Sie wurden 2015 von der UN-Generalversammlung als globaler Plan (Agenda 2030) for muliert. Die SDGs richten sich an die 193 UN-Mitgliedstaaten und sollen bis 2030 erreicht werden. Die Vereinten Nationen selbst und auch die Akteure der Finanzindust rie arbeiten daran, die SDGs so zu operationalisieren, dass sie als Richtschnur im Port foliomanagement von Investoren dienen können. Folgt man diesem Ansatz als Investor, so orientiert man sich in seinen Prioritäten – implizit oder explizit – an einem Wir kungsziel (Impact) und nicht mehr alleine an den finanziellen Risiken einer Anlage.
Um als Anleger mit den SDGs zu arbeiten, muss man die für eine Investition infrage kommenden Unternehmen bzw. den Beitrag ihrer Aktivitäten zur Erreichung der SDGs einzelnen Zielen zuordnen. Idealerweise wählt man zu diesem Zweck eines oder auch mehrere Ziele aus, auf die man fokussieren will. Dann definiert man Kenngrössen (key performance indicators, KPIs), an denen man den Beitrag der Investition zur Erreichung der ausgewählten SDGs messen will. Die Zuordnung von Anlageobjekten zu einzelnen SDGs (das sogenannte «Mapping») sollte quantitativ und qualitativ mit Fakten belegt sein. Das ist methodisch anspruchsvoll und aufwendig. Deshalb bietet es sich an, sich bei der Umsetzung an Best-Practice-Beispielen zu orientieren. Ein solches Beispiel liefert PGGM, der Asset-Management-Arm der zweitgrössten niederländischen Pensionskasse (siehe nachstehende Box). Andere, weiterführende Methoden der Zuordnung von SDGs
investieren. Was heisst das?
zu Investmentobjekten empfehlen beispielsweise MSCI ESG Research21 oder die «Impact Investing Market Map» der UN Principles for Responsible Investment (UN PRI).22
Beispiel PGGM: Orientierung an den UN-Nachhaltigkeitszielen
Die niederländische Pensionskasse PFZW verwaltet über seine Asset Management Organisation PGGM ein Vermögen von EUR 252 Mrd.23 Bei der Selektion ihrer Invest ments orientiert sich PGGM an vier Nachhaltigkeitsthemen – Klima, Wasser, Ernährung und Gesundheit – und ordnet diesen Themen die nachfolgenden fünf SDGs zu (Abbil dung 3): SDG 2 (kein Hunger), SDG 3 (Gesundheit und Wohlergehen), SDG 6 (sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen), SDG 7 (bezahlbare und saubere Energie) und SDG 12 (nachhaltige/r Konsum und Produktion).24
Klima
Wasser
Vgl. Menou/Nishikawa (2016).
Jährlich produzierte erneuerbare Energien
MWh
Jährlich vermiedene Emission von Treibhausgasen z. B. Tonnen CO2
Jährlich vermiedene Verschmutzung durch andere Emissionen, die sonst in der Biosphäre enden würden
Jährliche Wasserersparnis m3
Jährlicher Zuwachs an Menschen mit Zugang zu sauberem Wasser
Menschen Jährliche Abwasserreinigung m3
Jährliche Erhöhung der Erträge Tonnen/ha
Jährlich vermiedene Ernte-, Transport- und Lagerverluste
Jährliche Verbesserungen der Nähr werte
Jährlicher Zuwachs an Menschen mit Zugang zu genügend lokaler Nahrung
Vgl. UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) (2018) (a).
Vgl. PGGM N. V. (2019) 3.
Vgl. Reichenberg Gustafsson (2019) (a) 9–10.
Jährlicher Zuwachs an behandelten Personen Menschen
Jährliche Reduktion der Krankheitstage Tage Jährliche Senkung der Kosten für Behandlungen und Medikamente €
Abbildung 3: Zuordnung von Wirkungsindikatoren zu SDGs.25
PGGM entwickelte gemeinsam mit renommierten Universitäten ein eigenes Zuord nungssystem. Damit helfen die SDGs, die gewählten Nachhaltigkeitsthemen zu struktu rieren und operationalisieren, sodass man die messbaren Wirkungen von Kapitalanlagen einzelnen Nachhaltigkeitsfaktoren transparent und nachvollziehbar zurechnen kann.26
Im modernen Sprachgebrauch haben das Adjektiv «nachhaltig» bzw. das Substantiv «Nachhaltigkeit»27 verschiedene semantische Konnotationen – je nach Kontext. Die Begriffswolke in Abbildung 4 zeigt Begriffe, die oft mit «nachhaltig» assoziiert werden. Als sinnähnlich im allgemeinen Sprachgebrauch gelten beispielsweise die Adjektive «regenerationsfähig», «zukunftsfähig» oder «generationengerecht».
grünimpact responsible
sozialverträglich wirksam
ökologisch livable Megatrend
Sozial Umwelt
o rtgesetzt kostensparend
Rendite
wiederverwertbar ökonomisch
dauerhaft
Kreislaufwirtschaft
lang f
t igLangzeitfolgen
Marketi n g
Materiality regenerationsfähig regener i erbar
risikoarm
Risikofaktor
sicher spürbar
sustainable verantwortungsvoll
zeitgemäss zukunftsfähig
investieren. Was heisst das?
Für nachhaltige Anlagen haben sich wiederum sinnverwandte Bezeichnungen etabliert, die sich je nach Land, Autor, Thema oder Zweck der Betrachtung unterscheiden.28 Manchmal ist von «ethischen» oder «verantwortungsvollen», von «ökologischen» oder «sozialen Investments» die Rede. Oft findet man Anglizismen oder deren Abkürzungen wie beispielsweise «Environmental, Social, Governance (ESG)», «Socially Responsible Investments (SRI)» oder «triple bottom line investing». Auch bildhafte Vergleiche wie beispielsweise «grüne Anlagen» (im Unterschied zu «braunen Anlagen») bringen das Thema plakativ auf den Begriff. Um den Nachhaltigkeitsbegriff besser zu verstehen, lei ten wir den Gehalt nachfolgend etymologisch sowie historisch her.
Das alte Substantiv «Nachhalt» bezeichnet ursprünglich «etwas, das man für Notzeiten zurückbehält, Rückhalt».29 Daraus hat sich Ende des 18. Jahrhunderts das Adjektiv «nachhaltig» gebildet, aus dem sich die Nachhaltigkeit als moderner Begriff ableitet. Im deutschen Sprachraum gilt etwas als nachhaltig, wenn es längere Zeit anhält und wirk sam ist. Dahinter verbirgt sich noch immer der Gedanke des Notvorrats.30
Der Gedanke der Nachhaltigkeit erfährt unterschiedliche kulturelle Interpretationen. Das hat auch die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (Brundtland-Kommission) unter dem Vorsitz der ehemaligen norwegischen Minister präsidentin Gro Harlem Brundtland erkannt und den Begriff 1987 definiert: Nachhal tig ist demnach eine Entwicklung, wenn sie «die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedi gen können».31
«Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs. It contains within it two key concepts:
● the concept of ‹needs›, in particular the essential needs of the world’s poor, to which overriding priority should be given; and
● the idea of limitations imposed by the state of technology and social organization on the environment’s ability to meet present and future needs.»32
28 Vgl. Stüttgen (2019) (a) 16.
Drosdowski (1989) 478.
Vgl. Drosdowski (1989) 478.
World Commission on Environment and Development (WCED) (1987) Chapter 2, IV Conclusion, Übersetzung durch die Verfasser.
World Commission on Environment and Development (WCED) (1987) Chapter 2, IV Conclusion.
Das Ideal, nicht mehr zu verbrauchen als reproduziert werden kann, ist in Kollektiven allerdings schwieriger umzusetzen als für Einzelpersonen. In der Ökonomie bezeichnet man dieses Problem auch als «tragedy of the commons». Individuen haben demnach Anreize, Gemeingüter (z. B. Luft, Wasser) zulasten anderer zu übernutzen. Sie fügen so der Allgemeinheit und schliesslich sich selbst Schaden zu. Als Gegentrend zu dieser «Tragik der Allmende» hat sich in den vergangenen Jahrhunderten das Prinzip der Nachhaltigkeit entwickelt. Dazu nachstehend einige historische Eckdaten:
● Der kursächsische Ökonom Hans Carl von Carlowitz fordert in seiner «Sylvicultura Oeconomica» (1713) eine «nachhaltende Nutzung» der Baumzucht. Er gilt als Schöpfer des Wortes «nachhaltig». Später wird ein Prinzip der Nachhaltigkeit einge führt: Es soll nur so viel Holz geschlagen werden, wie Bäume nachwachsen können.
● 1968 wird der «Club of Rome» gegründet, der mit dem Bericht «Die Grenzen des Wachstums» bis heute den Diskurs über nachhaltiges Wachstum prägt.
● 1987 legt die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (WCED) ihren Bericht vor, der erstmals das Prinzip des nachhaltigen Wirtschaftens formuliert (Brundt land-Report).
● 1992 wird an der UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Uni ted Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC) verabschiedet.
● 1997 vereinbaren die Industrieländer das Kyoto-Protokoll mit Zielen zur Reduzie rung der Kohlendioxidemissionen.
● 1999 lanciert die UNO die Initiative Global Compact (UN GC). Sie umfasst Leit prinzipien zu Menschenrechten, Arbeitsnormen sowie Umweltschutz für Unter nehmen.
● 2000 verabschieden 189 Mitgliedstaaten der UNO die sogenannte Millenniumser klärung zur Zukunftssicherung der Menschheit. Die Millenniumsziele werden 2015 durch die Sustainable Development Goals (SDGs) abgelöst.
● 2006 lanciert die UN die Principles for Responsible Investment (UN PRI). Die PRI bieten Investoren Orientierung und sollen Nachhaltigkeitsaspekte bei Investitionen fördern.
● 2010 findet in Cancún eine Konferenz der UNO über den Klimawandel statt. Alle Staaten bekennen sich zu dem Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen.
● 2015 einigen sich 197 Staaten im Pariser Klimaschutzabkommen («Paris Agree ment») darauf, den Anstieg der globalen Erderwärmung im Vergleich zum vorin dustriellen Zeitalter deutlich unter zwei Grad zu halten.
● 2015 entwirft die UN-Generalversammlung die 17 Ziele für nachhaltige Entwick lung (UN Sustainable Development Goals, SDGs).
● 2018 kündigt die EU einen Aktionsplan zur nachhaltigen Ausgestaltung von Finanz flüssen und Investitionen an, mit dem Ziel, ein einheitliches EU-Klassifikationssys tem für nachhaltige Anlagen (Taxonomie) und nachhaltigkeitsbezogene Offenle gungspflichten für Finanzmarktakteure zu schaffen.
investieren. Was heisst das?
● Ab 2019 werden verschiedene Net-Zero-Initiativen lanciert. Ambitionierte CO2Reduktionsziele zum Klimaschutz werden formuliert. Es entstehen Vereinigungen von Finanzmarktakteuren zur Umsetzung der Pariser Klimaziele.
● 2021 werden an der 26. Klimakonferenz in Glasgow mehrere Beschlüsse gefasst, um die Bemühungen zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels zu verstärken.
● 2022 treten erste, auf Umweltkriterien bezogene Teile der EU-Taxonomie-Verord nung sowie nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten für Finanzprodukte in Kraft.
● Die Bewältigung ökosozialer Herausforderungen wie Klimawandel, Wasserknapp heit, Armutsbekämpfung und Verteilungsgerechtigkeit erfordert bedeutende finan zielle Mittel.
● Nachhaltige Anlagen können Finanzmittel zur Bewältigung dieser gesellschaftli chen Herausforderungen mobilisieren und Finanzströme umleiten.
● Nachhaltige Anlagen können Investoren helfen, finanzielle Risiken aus ökosozia len Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und finanzielle Opportunitäten zu erschliessen.
● Ein finanziell- und risikoorientierter Nachhaltigkeitsansatz will finanziell wesent liche ökosoziale Risiken und Chancen für Investoren erkennen, um Vermögen sys tematisch zu schützen und zu mehren.
● Ein ethisch motivierter Nachhaltigkeitsansatz stellt neben den Werten von Investo ren die Wirkung von Anlagen auf die Umwelt und Soziales ins Zentrum und will zu deren Entwicklung einen Beitrag leisten.
● Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) können Investoren Ori entierung dabei geben, eigene Nachhaltigkeitsziele zu definieren, zu konkretisieren und ihre Erreichung zu messen.
● Um die Netto-Null-Klimaziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, entste hen in der Finanzindustrie zahlreiche individuelle und kollektive Initiativen.
● Die schrittweise Umsetzung des EU-Aktionsplans beschleunigt die Verbreitung nachhaltigen Investierens bei Vermögenverwaltern und Vermögenseignern und trägt zur Standardisierung nachhaltiger Anlagen bei.
Drei Hauptmotive prägen das Verhalten an Nachhaltigkeit orientierter Investoren: finanzielle, regulatorische und ethische Motive. Je nach Art des Investors können noch weitere Faktoren für eine Anlageentscheidung von Bedeutung sein, wie z. B. die Ambi tion eines institutionellen Investors als «verantwortungsvoller» Anleger wahrgenommen zu werden, um so den Erwartungen von Anspruchsgruppen (z. B. von Aufsichtsgremien, Politik, Begünstigten oder internationalen Initiativen) zu entsprechen.33
Abbildung 5 ordnet verschiedene Typen von Investoren anhand von Tendenzaussagen den finanziellen und ethischen Motiven im Rahmen einer Vierfelder-Matrix zu. Wir nehmen dabei an, dass der Wunsch nach Compliance mit regulatorischen Vorgaben spe ziell für institutionelle Investoren Hand in Hand mit finanziellen Motiven geht und ent sprechend mit den finanziellen Motiven korreliert ist.
PrivatanlegerAbbildung 5: Finanzielle und ethische Motive nachhaltiger Investoren.
Finanzielle MotiveGering ausgeprägt Stark ausgeprägt
Stark ausgeprägt
Philanthropen
Pensionskassen/ Versicherungen
Ethische Motive
Gemeinnützige Stiftungen
Religionsgemeinschaften
Oft formulieren Investoren Ansprüche an nachhaltige Anlagen, in denen sich finanzielle und ethische Motive gegenseitig bedingen und begrenzen. Beispielhaft hierfür sind Privatinvestoren, die nachhaltige Anlagen gegenüber konventionellen Anlagen aus ethi schen Erwägungen bevorzugen, allerdings nur dann, wenn die Rendite der nachhaltigen Anlagen mindestens gleich gut oder besser ist. Man könnte hier auch von einem «beding ten Nachhaltigkeitsinteresse» sprechen. Im Englischen bezeichnet man diese Investoren manchmal typologisch als solche, «who do care», und unterscheidet sie von sozial-öko logischen Puristen, den «true believers».34 Letztere würden – falls erforderlich – auf Rendite verzichten, um höherwertigen moralischen Werten zu genügen. Motivverflech tungen lassen sich auch bei Pensionskassen beobachten, die Anlagen, die eigentlich finanziell motiviert sind – aus intrinsischem Antrieb oder aufgrund externen Drucks –, zusätzlich mit ethischen Motiven zu begründen suchen. Sie betonen dann ihre gesell schaftliche Verantwortung als einflussreiche und verantwortungsvolle Investoren oder auch ihre Pflichten gegenüber künftigen Generationen.
Obwohl es bei konkreten Anlageentscheidungen in der Praxis gelegentlich zu einer Ver mengung der Motive kommt, müssen diese klar analysiert und unterschieden werden, weil, ausgehend von der jeweiligen Motivlage und der rechtlichen Situation, die passen den Nachhaltigkeitsstrategien einer Anlage ausgewählt und priorisiert werden sollten.35 Je klarer Investoren – oder deren Berater – die spezifischen Nachhaltigkeitsmotive ken nen und artikulieren können, umso passgenauer und zielsicherer können sie jene nach haltigen Anlagen auswählen, die am Markt verfügbar sind.
Finanzielle Motive beruhen auf einem Risiko-Rendite-Kalkül. In diesem Fall erwartet man als Investor von nachhaltigen Anlagen handfeste ökonomische Vorteile. Man will entweder den materiellen Einfluss von ESG-Risiken auf den finanziellen Wert von Unternehmen als Anlageobjekte – und somit auf die finanzielle Performance von Anla gen – möglichst gut kontrollieren. Oder man rechnet damit, dass künftige Kapitalflüsse in nachhaltige Anlagen deren Bewertungen steigern werden und dass diese antizipierte Preissteigerung noch nicht in den jeweils aktuellen Marktpreisen reflektiert ist. Nach haltige Anlagen könnten demnach zu einer Steigerung der Rendite beitragen. Nachhal tigkeitsrisiken von Anlagen sollen auf diese Weise reduziert und Nachhaltigkeitschan cen erschlossen werden, um eine bessere risikoadjustierte Kapitalrendite zu erzielen.
34 Vgl. Stüttgen/Mattmann (2017) 9–10.
35 Zum Zusammenhang zwischen Anlegermotiven und Nachhaltigkeitsstrategien vgl. Gabriel (2019) 58–62 sowie Wagemans et al. (2013) 238–243.
Nachhaltige Anlagestrategien als mögliche Renditetreiber Finanz- und risikoorientierte Investoren nutzen verschiedene nachhaltige Anlagestrate gien: Neben Ausschlüssen, Best-in-Class-Selektion, Engagement und anderen Nachhal tigkeitsstrategien kommt bei dieser Investorengruppe speziell die sogenannte ESG-Inte gration zum Einsatz. Die ESG-Integration bezieht Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen explizit in die traditionelle Fundamentalanalyse von Unternehmen ein und versucht, diese Risiken und Chancen monetär zu bewerten. Die ESG-Integration ist primär darauf gerichtet, die materiellen Wirkungen von ESG-Risiken bzw. -Chancen auf den Unter nehmenswert zu eruieren. Die Überzeugung finanziell motivierter Investoren von besse ren risikoadjustierten Renditen wurde von RobecoSAM (heute: Robeco), einem Vermö gensverwalter und Pionier nachhaltigen Investierens, zum Beispiel wie folgt ausgedrückt: «…[our] research provide[s] us with credible evidence that firms that adopt corporate sustainability practices are not contradicting or neglecting their primary objective, which is to maximize the profits of their shareholders. On the contrary, it would appear that the puzzle of corporate financial performance broadly encompasses both financial and extra-financial considerations. Investing in sustainability leaders ultimately con tributes to superior long-term investment results with improved risk-return profiles.»36
Larry Fink, CEO des Vermögensverwalters BlackRock, formuliert zur finanziellen Bedeutung des richtigen Umgangs mit Klimarisiken in seinem 2020er-Brief an CEOs im gleichen Sinn:
«Climate Risk is Investment Risk. […] Our investment conviction is that sustainabilityand climate-integrated portfolios can provide better risk-adjusted returns to inves tors.»37
Die finanziell motivierten Investoren stammen meist aus der klassischen Finanzindust rie; aufgrund ihrer Kapitalkraft zählen sie heute zu den wichtigsten nachhaltigen Anle gern. Wir rechnen hierzu vor allem institutionelle Investoren wie Pensionskassen und Versicherungen bzw. Rückversicherungen, die das Potenzial nachhaltiger Anlagen für die Risiko-Rendite-Optimierung erkennen. Diese Anleger kann man auch als «risiko sensible Performance-Optimierer» bezeichnen.38 Sie erwarten von nachhaltigen Anla gen eine gesteigerte Performance, ein professionelleres Risikomanagement und eine bes sere Abstimmung mit den Interessen und Bedürfnissen von Begünstigten und anderen Anspruchsgruppen.39
RobecoSAM (2014)
Fink (2020).
Vgl. Stüttgen (2019) (a) 5; Stüttgen/Mattmann (2017) 9–10.
Vgl. Bernow et al. (2017)
Pensionskassen haben als primären Zweck, die Rentenansprüche ihrer Begünstigten ein zulösen, also prioritär ein finanzielles Ziel, verbunden mit einer entsprechenden rechtli chen Verpflichtung. Deshalb geht es ihnen darum, firmenspezifische Risiken in ihrem Anlageportfolio zu erkennen und für eingegangene Risiken adäquat entschädigt zu wer den. Typische Nachhaltigkeitsrisiken von Unternehmen – Umweltrisiken, soziale Risi ken, rechtliche Risiken oder auch Reputationsrisiken – können sich für Unternehmen als bedeutende finanzielle Gefahren erweisen. In diesem Fall wirken sie sich auf die Rendite der Anlageobjekte von Pensionskassen potenziell negativ aus. Pensionskassen wollen zudem vermeiden, in zukünftig möglicherweise wertlose oder deutlich wert verminderte Vermögenswerte, sogenannte «stranded assets», zu investieren. «Stranded assets» sind Vermögenswerte von Unternehmungen, die sich aufgrund langfristiger sozio-ökologischer oder technologischer Transformationsprozesse in Zukunft entweder als wertlos oder sogar als risikoreiche finanzielle Verpflichtung erweisen könnten. Fos sile Energieträger werden typischerweise zu dieser Kategorie gezählt. In der Schweiz und auch in anderen europäischen Ländern ziehen sich grosse Pensionskassen aus solchen Investments vermehrt zurück, um das Risiko potenzieller Vermögensverluste frühzeitig zu reduzieren.40
Bei Pensionskassen kommt es in jüngster Zeit zu einer Vermengung des finanziellrisiko-orientierten Motivs mit dem Motiv, regulatorische Vorgaben systematisch ein zuhalten (Compliance), sowie dem Bedürfnis, wesentlichen Anspruchsgruppen die Wahrnehmung von Verantwortung im Anlageprozess zu signalisieren. Speziell in der Europäischen Union sind gesetzgeberische Vorgaben weit vorangeschritten, die die betrieblichen Pensionskassen in die Pflicht nehmen, Nachhaltigkeitskriterien im Invest mentprozess zu berücksichtigen. Und schliesslich kommen immer mehr Pensionskassen zur Überzeugung, dass sie ihre treuhänderische Verantwortung verpflichtet, Nachhaltig keitskriterien im Investmentprozess aus Risikoüberlegungen zu integrieren und diese gegenüber ihren Destinatären transparent auszuweisen.41
Versicherungsgesellschaften nehmen im Segment der institutionellen Investoren mit pri mär finanziellen, risikoorientierten Motiven eine Vorreiterrolle ein. Einerseits sind sie Risikomanager und -träger in ihrem eigentlichen Kerngeschäft, z. B. Lebensversicherun gen, Sachversicherungen oder Rückversicherungen. Andererseits sind sie grosse institu tionelle Investoren auf der Kapitalanlageseite und müssen mit ihren Anlagen sicherstel len, dass sie ihren Verpflichtungen aus dem operativen Geschäft, die vielleicht erst in 30, 40 oder 50 Jahren anfallen, nachkommen können. Ökologische und soziale Risiken müssen finanziell präzise modelliert werden, um sie versicherbar zu machen. Klima wandel, überlastete Gesundheitssysteme oder demografische Transformationen sind
Stüttgen/Mattmann (2017) 17–18.
Stüttgen/Mattmann (2017) 13–19; Stüttgen/Mattmann (2018) 9, 13–18.
Risiken, die für Versicherer somit unmittelbar geschäftsrelevant sind. Die Assekuranz hat deshalb erstens ein ausgeprägtes Interesse an der Risikoprävention und -reduktion im Umwelt- und Sozialbereich. Zweitens verfügt sie auch auf der Kapitalanlageseite über ein besonders gutes Verständnis der finanziellen Dimension nachhaltiger Anlagen.42
Führende Rückversicherer – wie beispielsweise in Deutschland die Munich Re oder in der Schweiz die Swiss Re – verfolgen aus diesem Grund eine nachhaltige Anlagepolitik. Die Swiss Re hält eine Orientierung an ESG-Indizes für ökonomisch sinnvoll und setzt diese als Benchmarks für ihr gesamtes Anlageportfolio im Umfang von mehr als USD 100 Mrd. um. Laut der Swiss Re werfen diese Investments zwar eine leicht geringere Gesamtrendite ab als marktgewichtete Indizes, dafür sind sie jedoch – gemäss Aussa gen von Swiss Re – deutlich weniger volatil als traditionelle Benchmarks und tragen zu einem besseren risikoadjustierten Ergebnis bei.43 Auch Erstversicherer wie die Zurich Insurance oder die Allianz verfolgen eine nachhaltige Anlagepolitik. Die Zurich Insu rance erwartet von der Integration von Nachhaltigkeitskriterien über alle Anlageklas sen ein besseres Risiko-Rendite-Profil. Bei einer Umfrage von AXA Investment Mana gers bei 122 Versicherern in Frankreich, Deutschland und Grossbritannien nannten 40 Prozent der Befragten eine bessere Performance von nachhaltigen Investments als Motiv für die Einbeziehung von ESG-Kriterien in den Anlageprozess. Damit rangieren erwartete Performance-Vorteile im Portfolio als zweitwichtigstes Motiv hinter dem in dieser Studie an erster Stelle genannten Motiv der Compliance mit einer immer strikte ren Regulierung.44
Asset Manager und Banken lassen in ihrer Rolle als Produzenten und Vertriebskanäle nachhaltiger Fondsprodukte eine Spielart des finanziellen Motivs erkennen. Fondsan bieter sehen die wachsende Nachfrage von privaten und institutionellen Investoren zunehmend als Chance, neue Wachstumspotenziale zu erschliessen und den Markt für aktive und passive Fondsprodukte weiter zu durchdringen. Sie wollen ihre Kunden mit einer erweiterten Produktpalette und einer umfassenderen Beratung enger an sich bin den. Zwar tragen nachhaltige Fonds – entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil – heute keine höheren Gebühren als konventionelle Fonds, aber ihre hohen Zuwachsraten, spe ziell im Vergleich zu konventionellen Anlageprodukten, stellen für Anbieter nachhalti ger Fonds eine finanzielle Chance dar, schneller als der Gesamtmarkt zu wachsen (siehe auch Kapitel 20).
Vgl. Stüttgen/Mattmann (2019) (a) 1.
Vgl. Rohner (2017) 6; Stüttgen/Mattmann (2018) 19–20.
Vgl. AXA Investment Managers (2017).
Schliesslich ist das Bestreben, regulatorische Vorgaben einzuhalten (Compliance), ein wichtiger Antrieb, auf Nachhaltigkeit bezogene Kriterien in die Vermögensanlage zu integrieren. Dieses Motiv ist aktuell stark ausgeprägt und gewinnt weiter an Bedeutung. Neue nationale und supranationale Gesetze und Gesetzesinitiativen sowie international anerkannte Konventionen zwingen Investoren vermehrt dazu, Nachhaltigkeitsrisiken von Anlagen – und teilweise auch deren Wirkungen auf die Umwelt und Soziales – zu identifizieren und transparent auszuweisen.
Asset Manager werden durch die europäische Offenlegungsrichtlinie (EU Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR) verpflichtet, ihre Produkte gemäss ihrem Nach haltigkeitsprofil transparent zu qualifizieren. Banken werden durch die europäische Regulierung des Markts für Finanzinstrumente (Markets in Financial Instruments Directive, MiFID II) künftig rechtlich verpflichtet, die Nachhaltigkeitspräferenzen von Privatkunden zu erheben und entsprechende Produkte anzubieten.
Institutionelle Investoren werden reguliert Speziell für institutionelle Investoren wie Asset Manager, Vorsorgeeinrichtungen/Pen sionskassen oder auch Versicherungen, ist es wichtig, regulatorische Vorgaben genau einzuhalten. Objektive Normen (z. B. Gesetze zur Förderung nachhaltiger Investments oder zur Erhöhung der Transparenz) müssen beachtet werden, andernfalls drohen Sank tionen. Das einwandfreie Wohlverhalten in Bezug auf Gesetze oder selbstauferlegte Pflichten (z. B. UN Principles for Responsible Investment, eine von den Vereinten Nati onen unterstützte globale Investoreninitiative) kann zudem das Image eines «verantwor tungsvollen» Investors fördern.
Oft wird im Zusammenhang mit dem regulatorischen Motiv auch auf die treuhänderi sche Sorgfaltspflicht hingewiesen, die institutionelle Investoren haben, wenn sie Gelder für Dritte verwalten. Demnach sollen treuhänderisch handelnde Investoren Nachhaltig keitskriterien in ihre Anlageprozesse integrieren, um sich nicht einer Pflichtverletzung schuldig zu machen. Kapitel 3 wird näher auf Regularien für institutionelle Investoren eingehen.
Treuepflichten werden Personen aufgelegt, die in einer vertrauensvollen Beziehung stellvertretend für andere Personen handeln. Wer Vermögen Dritter verwaltet, unter steht der Pflicht zur Sorgfalt und der Pflicht zur Loyalität.45 Treuepflichten begrenzen die diskretionäre Entscheidungsfreiheit von Vermögensverwaltern.
Ob die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien im Anlageprozess eine Treue pflicht darstellt, war lange Zeit umstritten. Es kommt darauf an, wie weitgehend diese Pflicht ausgelegt wird. Mehrheitlich geht man heute davon aus, dass Nachhaltigkeits risiken – beispielsweise Klimarisiken – eine wesentliche finanzielle Bedeutung für Anleger haben können. Dementsprechend sind diese Risiken von Finanzmarktakteuren als Teil ihrer Treuepflicht zu berücksichtigen. Hingegen umfasst die treuhänderische Pflicht nicht, Auswirkungen von Anlageentscheidungen auf das Klima – also deren Impact – in Anlage- und Beratungsprozesse einzubeziehen.46
Die Debatte über treuhänderische Pflichten im Kontext nachhaltiger Anlagen hat eine lange Geschichte. In einem wegweisenden Gutachten der Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer – dem sogenannten Freshfields Report – erkannten die Gutachter bereits 2005 eine reale Gefahr für Asset Manager und Berater, wegen Vernachlässigung professioneller Sorgfaltspflichten verklagt zu werden, wenn sie als Treuhänder Nachhal tigkeitserwägungen nicht in ihre Anlageentscheidungen einbeziehen. Diese Interpreta tion der fiduziarischen Pflichten war zu Beginn des 21. Jahrhunderts sehr weitsichtig.47 Im Jahr 2015 haben verschiedene UN-Organisationen gemeinsam den Bericht «Fiduciary Duty in the 21st Century»48 lanciert. Der Bericht kommt zum Schluss: «failing to consider all long-term investment drivers, including ESG-issues, is a failure of fiduciary duty».49
Die UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) definieren die fiduziarischen Pflichten von Investoren wie folgt:
«Modern fiduciary duties of investors require them to:
Incorporate financially material ESG factors into their investment decision making, consistent with the time-frame of the obligation.
Understand and incorporate into their decision making the sustainability prefer ences of beneficiaries/clients, regardless of whether these preferences are financially material.
Be active owners, encouraging high standards of ESG performance in the companies or other entities in which they are invested.
Support the stability and resilience of the financial system.
Disclose their investment approach in a clear and understandable manner, including how preferences are incorporated into the scheme’s investment approach.»
(2020)
(2019) 13–14,
Deringer (2005).
UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) et al. (2015).
Principles for Responsible Investment (UN PRI) et al. (2015)
Principles for Responsible Investment (UN PRI)/UN Environment Programme Finance Initiative (UNEP FI) (2021).
Das Motiv der Compliance mit regulatorischen Vorgaben spielt für Privatinvestoren keine Rolle. Sie sind grundsätzlich freier in der Gestaltung ihrer Anlagen als institutio nelle Investoren. Von regulatorischen Entwicklungen, die institutionelle Investoren in die Pflicht nehmen, können private Anleger allenfalls profitieren, z. B. weil regulatori sche Vorgaben sie vor Informationsasymmetrien bei Fondsprodukten oder im Anlage beratungsprozess schützen. So zielen bestimmte rechtliche Normen wie SFDR darauf ab, dem Greenwashing bei nachhaltigen Anlagenprodukten vorzubeugen.
Dem ethischen Motiv liegt die Absicht zugrunde, eine positive Wirkung der Anlagen auf Umwelt und Gesellschaft zu erzielen. Zudem existiert das Bedürfnis, Kapitalanlagen mit eigenen persönlichen Werten in Einklang zu bringen.51 Ethische Motive wurzeln typi scherweise in einer wertnormativen Überzeugung von Anlegern. Ethisch motivierte Anleger stammen oft aus gesellschaftlich oder politisch engagierten Kreisen oder auch aus religiösen Zirkeln. Es kann sich dabei z. B. um institutionelle Investoren wie Religions gemeinschaften oder gemeinnützige Stiftungen, aber auch um Privatanleger handeln. Je nach Ausprägungsgrad ihres Motivs nennt man diese Anlegerkategorie gelegentlich auch «sozial-ökologische Puristen»52 oder «true believers». Solche Investoren wollen ihre Anlagen nach Prinzipien, Normen und Standards ausrichten, die sich aus einer bestimm ten Tradition, aus einem spezifischen institutionellen Zweck, aus objektiven moralischen Normen oder aus subjektiven Werten ergeben. Die Gemeinsamkeit der ethisch motivier ten Investoren besteht darin, dass sie mit ihrer Anlage in erster Linie eine Wirkung auf ein nicht-finanzielles Ziel erreichen wollen. Dies kann eine positive Verhaltensänderung von Unternehmen sein, eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit, die Mobilisierung von Kapi talflüssen für einen spezifischen Zweck oder die Vermeidung einer negativen Rückwir kung des eigenen Anlageverhaltens auf das persönliche Gewissen. Nicht alle ESG-Strate gien sind gleichermassen gut geeignet, um solche Ziele zu erfüllen.
Religionsgemeinschaften als Pioniere nachhaltigen Investierens wurden bereits in Kapi tel 1 erwähnt. Die Anlagekriterien für Investments sollen bei diesen Gemeinschaften im Einklang mit religiösen Normen und Werten stehen. So will man beispielsweise Invest ments in Unternehmungen vermeiden, die Menschenrechte verletzen, schlechte Arbeits bedingungen bieten, Personen diskriminieren oder andere Verhaltensweisen zeigen, die sich an bestimmten Normen und Werten stossen. Teilweise wird auch versucht, mittels einer aktiven Aktionärspolitik (Ausübung der Stimmrechte, aktives Engagement) Ein
51 Zur moralischen und ideellen Dimension von Investments vgl. Schaefers (2014) 74–76; Schaefers (2013) 11–17; Schaefers (2019) 208–215 sowie Stüttgen (2019) (a) 49–60.
52 Vgl. Stüttgen/Mattmann (2017) 10.
fluss auf Unternehmen zu nehmen, um unerwünschte Verhaltensweisen zu ändern. Oft bieten Fondsanbieter speziell auf moralisch-religiös motivierte Personengruppen zuge schnittene Produkte an. Sie nehmen dazu ein wertebasiertes Screening vor, um aufgrund religiös begründeter Moralvorstellungen bestimmte Geldanlagen und Finanzgeschäfte auszuschliessen. Ein wesentliches Merkmal der sogenannten Scharia-Fonds ist z. B. die Übereinstimmung der Vermögensverwaltung mit den Prinzipien des islamischen Finanzwesens, deren Einhaltung oft durch einen Scharia-Rat überwacht wird.53
Beispiel «Katholische Werte-Fonds» von Union Investment: Fonds mit religiöser Wertebasis
Ein Fonds, der speziell die Werte der katholischen Kirche anspricht, ist der Anfang 2022 aufgelegte «Katholische Werte-Fonds» von Union Investment, der sich an Nachhaltig keitskriterien ausrichtet.54 Dazu wird die Orientierungshilfe «Ethisch-nachhaltig inves tieren» für Finanzverantwortliche katholischer Einrichtungen in Deutschland herange zogen, die von der Deutschen Bischofskonferenz und vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken herausgegeben wurde. Diese Orientierungshilfe sieht feste Ausschlusskri terien vor, z. B. von Unternehmen, die gegen die Prinzipien des UN Global Compact verstossen. Zusätzlich werden Unternehmen aus bestimmten Industrien exkludiert. Ausserdem meidet dieser Mischfonds Anleihen von Staaten, in denen die Todesstrafe erlaubt ist.
Gemeinnützige Stiftungen kann man oft ebenfalls mit guten Gründen zur Kategorie der Investoren mit ethischen Motiven zählen. Sie fixieren in ihren Statuten ihre institutio nellen Zwecke – ihre Mission, wie den Schutz des Klimas, die Bekämpfung der Armut oder die Förderung von Kindern. Gemeinnützige Stiftungen können – ganzheitlich betrachtet – als Wirkungseinheiten mit einer Mission verstanden werden, zu deren Ver wirklichung die Vermögensanlage beiträgt.55 Die spezifischen Anliegen der gewählten nachhaltigen Anlagen sollten darum eine Zielharmonie mit den übergeordneten Zielset zungen der jeweiligen gemeinnützigen Stiftung aufweisen. Zugleich wollen gemeinnüt zige Stiftungen mit ihren Anlagen eine Rendite erwirtschaften, die im Idealfall zumin dest der Marktrendite entspricht. Anders als Philanthropen, die Gelder freizügig und ohne materielle Gegenleistung verteilen – sie gelten daher auch nicht als Investoren –, benötigen die meisten Stiftungen die Erträge aus ihren Anlagen zur Erfüllung ihres Stif tungszwecks. Die Erträge sollen aber nicht auf eine Weise erwirtschaftet werden, die dem Stiftungszweck zugrunde liegende moralische Normen verletzt.56
Vgl. Stüttgen/Mattmann (2020) 144 und 14.
Vgl. Union Investment (2022) 62–63.
Vgl. Stüttgen/Mattmann (2017) 21–22.
Wenn eine Stiftung ihre Mission in finanzielle Entscheidungen integriert, spricht man auch von «zweckbezogenem Investieren» oder «Mission Investing», vgl. Wiener (2014) 299–300; Fritz (2016) ix.
Wenn eine Stiftung sich beispielsweise dem Schutz der Meere widmet oder gegen den Missbrauch von Tieren kämpft und zugleich in solche Unternehmen investiert, die die Ökosysteme des Meeres schädigen oder für Tierversuche bekannt sind, dann ist der Stif tungsrat nicht nur mit einem moralischen Dilemma konfrontiert, sondern zusätzlich mit erheblichen Reputationsrisiken. Ähnlich wie die Religionsgemeinschaften können Stiftungen beispielsweise mit Ausschlussstrategien im Anlageprozess arbeiten oder gezielt wirkungsorientierte Investments auswählen. Wenn der Zweck einer Stiftung bei spielsweise darin besteht, die Armut in Entwicklungsländern zu bekämpfen, dann kön nen als Sonderform von «Impact Investments» beispielsweise Anlagen in Mikrokredite sinnvoll sein, die mittellosen Menschen helfen, eine unternehmerische Existenz auf- und auszubauen (siehe Kapitel 18).57
Privatanleger zählen unter Umständen ebenfalls zur Gruppe der nachhaltigen Investo ren mit ethischen Motiven. Dies ist dann der Fall, wenn sie ihre Anlagen gezielt so aus wählen, dass diese mit ihren eigenen subjektiven Werten in Einklang stehen. Wer bei spielsweise Anlagen in die Tabak-, Alkohol-, Erotik-, Glücksspiel- oder Waffenindustrie aus seinem Anlageuniversum ausschliesst, der tut dies, um sein eigenes Gewissen zu schützen und um kognitive Dissonanzen zu vermeiden. Die genannten Industrien sind in den meisten Industrieländern rechtlich erlaubt, moralisch aber oft verpönt. Dies ist ein wesentlicher Grund, warum sie auch von Privatanlegern oft aus dem Anlageuniver sum exkludiert werden. Ähnlich wie die anderen genannten Anlegergruppen suchen auch Privatanleger letztlich eine ausgewogene Balance zwischen persönlichen Werten und individueller moralischer Verantwortung einerseits und finanziellen Erträgen andererseits.58
Die Motive, nachhaltig zu investieren, sind zahlreich, und doch sind nachhaltige Anlagen – gemessen am Gesamtumfang verwalteter Vermögen – aktuell noch immer ein Nischensegment. Was sind die Gründe für diesen gelegentlich als «Nachhaltigkeits lücke»59 bezeichneten Umstand? Die Hindernisse unterscheiden sich, je nachdem, ob man institutionelle oder private Anleger betrachtet. Nachfolgend seien einige der Hür den beschrieben, mit denen Anleger konfrontiert sein können:
Vgl. Stüttgen (2019) (b) 120–121.
Vgl. Wagemans et al. (2013) 239.
Vgl. Paetzold (2019) 77.
Bei der Integration von Nachhaltigkeitskriterien in einen Investmentprozess stellen sich für institutionelle Investoren – Vermögensverwalter wie auch Vermögenseigner – einige Fragen: Wie wirken sich Firmenausschlüsse auf das Risiko-Rendite-Profil eines Portfo lios aus? Wie geht man mit subjektiven, weil wertnormativ begründeten Ausschlüssen um? Welche Daten soll man für eine ESG-Integration nutzen? Welche Ressourcen erfor dert ein ESG-Engagement, und worin bestehen die Chancen? Antworten auf diese Fra gen verlangen Expertise und Erfahrung. Vielen institutionellen Investoren fehlt dieses Wissen noch, sie müssen es intern aufbauen oder bei externen Beratern und Dienstleis tern zukaufen. Hierin besteht eine wichtige Barriere für institutionelle Investoren, deren Überwindung ein dediziertes Projekt mit entsprechenden Ressourcen voraussetzt. Spe ziell für kleinere und mittelgrosse institutionelle Investoren ist dies oft ein beträchtliches Hindernis.60
Auch die unzureichende Verfügbarkeit nachhaltiger Anlagelösungen, die die spezifi schen Bedürfnisse von institutionellen Investoren befriedigen, die Kosten nachhaltiger Anlagen oder deren Tracking Error wurden – und werden gelegentlich noch heute – als Stolpersteine für ein nachhaltiges Investment betrachtet. Zusätzliche Kosten fallen bei spielsweise für den Kauf von ESG-Daten bei spezialisierten Agenturen an. Die Lizen zierung von ESG-Indizes kann ebenfalls zu höheren Kosten im Anlageprozess führen. In der Vergangenheit waren speziell Pensionskassen bei nachhaltigen Anlagen zurückhal tend, weil das Angebot an günstigen passiven Fonds limitiert und auch das Verständnis für die wenigen verfügbaren Produkte noch begrenzt war. Dies hat sich inzwischen geändert: Die Anzahl der nachhaltigen Indizes und auch das Angebot der auf diesen nachhaltigen Indizes aufbauenden passiv verwalteten Anlageprodukte (ETFs/Index fonds) sind schnell gewachsen. Die Angebotsverfügbarkeit und die Gebühren für nach haltige Anlagelösungen stellen heute für institutionelle Investoren keine Hindernisse mehr dar.
Hindernisse für Privatinvestoren: Mangelnde Expertise von Anlageberatern Privatinvestoren sind bis heute im Wesentlichen aus zwei Gründen zurückhaltend bei der Anlage in nachhaltige Finanzprodukte. Erstens besteht noch immer eine – wenn gleich unbegründete – Skepsis, ob nachhaltige Anlagen eine ebenso gute Rendite erzie len können wie konventionelle Anlagen. Dieser Renditevorbehalt ist eine historische Reminiszenz: In der Frühzeit des nachhaltigen Investierens – des «ethischen Investie rens» – nahm man an, dass die positiven Wirkungen und Nebeneffekte nachhaltiger Anlagen stets mit einer Einbusse an Ertrag erkauft werden müssten. Heute gilt diese Ansicht unter Experten als überholt. Das Repertoire an Nachhaltigkeitsstrategien hat sich stark weiterentwickelt, und man vertraut nicht mehr allein auf (potenziell perfor mance-schädliche) Ausschlusskriterien. Ausserdem weiss man unter professionellen In-
vestoren inzwischen, dass speziell die ESG-Integration risikoadjustiert Performancevor teile bringen kann. Dieses Wissen hat aber noch nicht flächendeckend den Kreis der Privatanleger erreicht. Ein Grund dafür ist, dass Anlageberater von Privatkunden nicht immer über die notwendige Expertise verfügen, um die Chancen und Grenzen nachhal tiger Investments gut verständlich aufzeigen zu können. Aufklärung über Nachhaltig keitsthemen erscheint vielen Kundenberatern als zu anspruchsvoll und eine mögliche Diskussion über kontroverse persönliche Wertesysteme als zu zeitaufwendig. Auch die Frage, ob konventionelle Anlagen, die man im Produktsortiment anbietet, gewissen Nachhaltigkeitsstandards widersprechen, wird bei Anlageempfehlungen gerne umgan gen – auch dies ein Hindernis für die weitere Verbreitung nachhaltiger Anlagen.61
● Die Motive nachhaltig orientierter Investoren unterscheiden sich zwischen Privatin vestoren und institutionellen Investoren zum Teil deutlich.
● Institutionelle Investoren wie Versicherungen und Pensionskassen integrieren Nachhaltigkeitskriterien in ihre Anlagestrategien, um die risikoadjustierte Rendite zu verbessern.
● Einige Investoren wollen signalisieren, dass sie «verantwortungsvoll» anlegen. Die ses Motiv kann durch Druck von internen oder externen Anspruchsgruppen ver stärkt werden.
● Professionelle Investoren werden zunehmend verpflichtet, regulatorische Vorgaben mit Nachhaltigkeitsbezug – rechtliche Normen oder internationale Konventionen –einzuhalten.
● Manche Investoren verfolgen ethische Motive – beispielsweise Religionsgemein schaften, gemeinnützige Stiftungen oder auch Privatpersonen. Sie wollen einen Bei trag zum – aus ihrer jeweiligen Perspektive – positiven Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft bewirken (Impact). Andere wollen ihre subjektiven Wertvorstellungen und Ideale in ihren Anlagen widerspiegeln.
● Eine Unterscheidung der Motive ist wichtig, um die jeweils passende Nachhaltig keitsstrategie im Anlageprozess zu wählen und um Missverständnisse darüber zu vermeiden, was nachhaltige Anlagen leisten können.
● Noch immer gibt es Hindernisse bei der Umsetzung nachhaltiger Anlagen: man gelnde Expertise, Kosten der Datenbeschaffung und -analyse, fehlende Ressourcen zur Umsetzung. Viele dieser Hürden werden im Zuge wachsender Erfahrung und grösserer Produktvielfalt bei nachhaltigen Anlagen zunehmend besser überwunden.
61 Vgl. Paetzold (2019) 93. Die im August 2022 in Kraft getretenen Anpassungen an der EU-Finanz marktrichtlinie MiFID II will dieses Hindernis abbauen (siehe nächstes Kapitel).
Ein Haupttreiber des Wachstums nachhaltiger Anlagen ist – neben veränderten Investo renpräferenzen – die zunehmende rechtliche Regulierung institutioneller Investoren. In den 27 Ländern der Europäischen Union (EU) sind zahlreiche Gesetze mit Fokus auf nachhaltige Investments bereits in Kraft, weitere geplant. Wichtige Finanzplätze ausser halb der EU – beispielsweise Grossbritannien, die Schweiz, die USA, Kanada, Japan oder China – verfolgen die Entwicklungen in der EU, gehen national aber eigene Wege. Meist überwiegen «weiche», selbstregulatorische Ansätze; man orientiert sich an Empfehlun gen oder Verhaltenskodizes tonangebender Selbstregulierungsorgane zu nachhaltigen Investments.62
Unabhängig davon, ob eine Regulierung nachhaltiger Anlagen «hart» oder «weich» aus gestaltet ist, verfolgt sie mehrere Zwecke: Man will Finanzflüsse in Richtung nach haltiger wirtschaftlicher Aktivitäten kanalisieren, nachhaltige Anlagen standardisieren, finanzielle Nachhaltigkeitsrisiken transparent offenlegen und fiduziarische Pflichten präzisieren. Privatinvestoren sind von Regulierungsbestrebungen meist nur indirekt betroffen, und zwar indem ihnen zusätzliche (Schutz-)Rechte gewährt werden. Instituti onellen Investoren und Finanzintermediären werden hingegen Pflichten auferlegt. Sie müssen bei Anlageprozessen und Investmentprodukten strategische, organisatorische und operative Anpassungen vornehmen. Betroffen sind sämtliche Glieder in der Wert schöpfungskette: Kundenbeziehungen, Portfoliomanagement, Investment-Controlling, Marketing, Kommunikation sowie Informationstechnologien für Vertriebs-, Handelsoder Reporting-Systeme.
Um die Regulierungsbestrebungen der EU in Sachen Nachhaltigkeit zu würdigen, muss man sich den formalen Rechtscharakter dieser Regulierung klarmachen. Die EU-Regu lierung unterscheidet zwischen Verordnungen, Richtlinien und Empfehlungen:63 Ver ordnungen («Regulations») sind für Marktakteure der EU-Mitgliedstaaten unmittelbar verbindlich, es sind «Gesetze der Gemeinschaft». Richtlinien («Directives») müssen hin gegen zuerst von den Mitgliedstaaten in nationale Gesetze überführt werden, erst dann
62 Die folgenden Ausführungen stützen sich auf Stüttgen/Mattmann (2022).
63 Darüber hinaus gibt es weitere Regulierungen, die sich direkt an Unternehmen der Realwirtschaft wenden. Zu den verschiedenen Regulierungsarten vgl. European Union (2022).
sind sie für die Marktakteure verpflichtend. Empfehlungen («Recommendations») sind rechtlich nicht bindend, aber es kann für die Marktakteure trotzdem sinnvoll sein, sich an diesen zu orientieren. Abbildung 6 gibt einen Überblick über die wichtigsten Regulie rungen für die Finanzindustrie im europäischen Raum mit Nachhaltigkeitsbezug.
Name Typ Beschreibung EU Action Plan on Sustainable Finance Strategiepapier
EU Sustainable Finance Taxonomy
EU Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR)
Neue Verordnung sowie Anpassung bestehender Verordnung
Neue Verordnung
Strategie zur Finanzierung nach haltigen Wachstums in der EU
Ökonomisches Klassifizierungs system für «nachhaltige» Aktivitä ten
ESG-Offenlegungspflichten für Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater auf Unternehmens-, Dienstleistungs- und Produktebene
MiFID II, UCITS Directive, AIFMD
Anpassung bestehender Richtlinien
Zusätzliche Anforderungen für den Einbezug von Nachhaltigkeitsaspek ten, z. B. in die Anlageberatung von Privatkunden
EU Climate Benchmarks and Benchmarks’ ESG Disclosures
Standardisierung von Methoden für grüne Benchmarks und Offen legungspflichten für alle als Bench marks verwendeten Indizes
EU Green Bond Standard (GBS)
EU Ecolabel for Retail Financial Products
Empfehlung oder Richt linie (noch nicht definiert)
Empfehlung oder Richt linie (noch nicht definiert)
Standardisierung von Green Bonds, um die Transparenz und Vergleich barkeit zu erhöhen
Künftige Bewertung von Finanz produkten mit einem EU-Ecolabel
Abbildung 6: Ausgewählte EU-Regularien für Finanzmarktakteure.64
Der EU-Aktionsplan – ein Strategiepapier – ist der Ursprung und Verknüpfungspunkt der verschiedenen Regulierungen.65 Der Plan umfasst zehn Aktionsfelder für eine Reform der Finanzindustrie in Richtung Finanzstabilität und Nachhaltigkeit.66 Er will dazu beitragen, das Pariser Klimaziel einer globalen Erderwärmung von deutlich unter 2 Grad zu verwirklichen67 und die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) zu erreichen. 2018
64 In Anlehnung an Goldman Sachs (2019) 6. Vgl. auch Deloitte (2022).
65 Weiterführende Strategiepapiere sind der «European Green Deal» zur Finanzierung eines kli mafreundlichen Umbaus der Wirtschaft in Europa sowie die «Renewed Sustainable Finance Strategy».
66 «Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums», siehe Europäische Kommission (2018) (a).
67 Zugleich sollen Anstrengungen unternommen werden, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen.
hat die EU-Kommission in einer ersten Etappe verschiedene Massnahmen zur Umset zung initiiert.68 Adressaten dieser Regulierungen sind institutionelle Investoren, Anbie ter nachhaltiger Finanzprodukte, die EU-Mitgliedstaaten und EU-Institutionen.
Die drei aktuell wichtigsten Regulierungsinitiativen für institutionelle Investoren sind die EU-Nachhaltigkeitstaxonomie, die EU-Offenlegungsverordnung (SFDR) sowie die Nach haltigkeitsanpassungen an der Finanzmarktrichtlinie MiFID II. In Kombination sollen sie die Transparenz der Nachhaltigkeitscharakteristika von Portfolios erhöhen und spe ziell Privatkunden vor Greenwashing schützen. Anbieter nachhaltiger Fondsprodukte müssen darlegen, ob und in welchen Teilen die als nachhaltig positionierten Portfolios «taxonomiekonform» sind und wie ESG-Risiken im Investment- und Beratungsprozess berücksichtigt werden. Die Darlegungen sollen auf einer «comply-or-explain»-Basis erfolgen, d. h. die Akteure müssen zeigen, ob und wie ihre Produkte mit den Vorgaben übereinstimmen und müssen mögliche Abweichungen davon ausführlich erläutern.69
EU-Nachhaltigkeitstaxonomie: Die Verordnung über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen schafft ein einheitliches Klassifikationssys tem («Taxonomie») dessen, was als nachhaltige ökonomische Aktivität gelten soll.70 Die Taxonomie soll Investoren, Unternehmen, Emittenten und Projektentwicklern beim Übergang zu einer resilienten, dekarbonisierten und ressourceneffizienten Wirtschaft Orientierung geben.71 Für Finanzmarktakteure wird die Taxonomie speziell dann rele vant, wenn andere EU Regulierungen darauf verweisen. So sollen Finanzinstitute etwa zur Offenlegung jenes Anteils von Investments verpflichtet werden, der taxonomiekon form angelegt ist.72 Die ersten Offenlegungspflichten auf der Grundlage der Taxonomie gelten ab 2023 für Investoren und Unternehmen; in den folgenden Jahren wird die Zahl der Offenlegungspflichten stetig zunehmen. Konkret enthält und verfolgt die Taxonomie die folgenden sechs Umweltziele: (1) Abschwächung des Klimawandels, (2) Anpassung an den Klimawandel, (3) Nachhaltig keit und Schutz von Wasser und marinen Ressourcen, (4) Übergang zu einer zirkulären Ökonomie, (5) Prävention und Management von Umweltverschmutzung, (6) Schutz bzw. Rekultivierung von Biodiversität und Ökosystemen.73 Eine Taxonomie, die soziale Ziele umfasst, ist gegenwärtig noch in Arbeit.74
68 Vgl. Europäische Kommission (2018) (b) «Implementing the action plan». Siehe Goldman Sachs (2019) und Swiss Sustainable Finance (SSF) (2019) zur detaillierten Darstellung des EU-Aktionsplans und seiner Bedeutung für Finanzmarktakteure.
Vgl. Goldman Sachs (2019) 6, 16, 26; Gerlach (2022).
Vgl. Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union (2020), Verordnung (EU) 2020/852.
Vgl. EU Technical Expert Group on Sustainable Finance (2020) 2.
Vgl. Europäische Union (2022) (a).
Vgl. EU Technical Expert Group on Sustainable Finance (2020) 2.
Vgl. Platform on Sustainable Finance (2021).
Zur Klärung des Nachhaltigkeitsbegriffs schreibt die EU: «Um nach der EU-Taxonomie-Verordnung als nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit eingestuft zu werden, muss ein Unternehmen nicht nur einen Beitrag zu mindestens einem Umweltziel leisten, sondern darf auch gegen die anderen nicht verstoßen. Eine Tätigkeit, die darauf abzielt, das Klima zu schützen, aber gleichzeitig die Biodiversität negativ beeinflusst, kann somit nicht als nachhaltig eingestuft werden. Die Einstufung der wirtschaftlichen Tätigkeit bezüglich Nachhaltigkeit orientiert sich dabei an folgen den vier Kriterien, die auf die zuvor genannten Umweltziele aufbauen:
1. Die wirtschaftliche Tätigkeit leistet einen Beitrag für mindestens eines der Umwelt ziele
2. Die wirtschaftliche Tätigkeit schadet keinem der Umweltziele signifikant (does no significant harm, DNSH)
3. Die wirtschaftliche Tätigkeit erfüllt ein Minimum an Sicherheitsstandards, zum Beispiel die UN Guiding Principles on Business and Human Rights, um einen negativen sozialen Einfluss zu vermeiden
4. Die wirtschaftliche Tätigkeit erfüllt die technischen Auswahlkriterien (Screening criteria) entwickelt von der EU Technical Expert Group»75
Zweck der EU-Nachhaltigkeitstaxonomie ist es nicht, verbindliche Vorgaben für Kapitalanlagen zu machen. Allerdings werden Finanzmarktakteure in weiterführenden Gesetzen aufgefordert, transparent auszuweisen, inwieweit ihre Anlagen mit der Nach haltigkeitstaxonomie übereinstimmen. Es ist zu erwarten, dass einige Fonds und Banken in ihren Anlagen von der Taxonomie abweichen. Ein Grund hierfür ist die Kontroverse darüber, welche Energieträger als «grün» eingestuft werden sollen. Atomkraft und Gas –wie in der Taxonomie in letzter Minute aus politischen Gründen verankert – erachten zahlreiche Marktteilnehmer und Umweltschützer nicht als «grüne» Energieträger. Die Orientierungsleistung der Taxonomie wird deshalb in jüngster Zeit gelegentlich ange zweifelt.76
EU-Offenlegungspflichten für nachhaltige Anlagen und Nachhaltigkeitsrisiken: Die Offenlegungsverordnung SFDR77 richtet sich an Finanzmarktteilnehmer und Finanzbe rater, insbesondere Produktanbieter und -verkäufer, Portfolioverwalter und -berater, aber auch Vorsorgeeinrichtungen und institutionelle Investoren. Diese sollen ihre Strategien für den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken in Investment- und Anlagebera tungsprozessen transparent offenlegen, und zwar vorvertraglich und laufend aktuali siert. Die Regulierung bezweckt den Schutz von Endanlegern, eine bessere Vergleich
und Rat der Europäischen Union (2019) (a), Verordnung (EU) 2019/2088.
Nachhaltig investieren heisst Risiken reduzieren und Verantwortung übernehmen. Umweltschädigendes Verhalten, die Missachtung sozia ler Rechte und unethisches Geschäftsgebaren sind finanziell riskant. Die Finanzindustrie wird von der Gesellschaft und von Regulatoren gefordert, zur Lösung der ökosozialen Herausforderungen unserer Zeit beizutragen. Professionelle Investoren berücksichtigen deshalb heute bei ihrer Kapitalanlage die Kriterien Ökologie, Soziales und gute Unternehmensführung. Die nachhaltige Ausrichtung der Anlagestrategie optimiert das Risiko-Rendite-Verhältnis eines Portfolios und hat positive Auswirkungen.
Wie das gelingt, zeigen die Anlageexperten Mirjam Staub-Bisang, Manfred Stüttgen und Brian Mattmann mit wissenschaftlichem Tief gang und zahlreichen Beispielen aus der Praxis. Das Buch veran schaulicht, wie Investoren die Chancen nachhaltiger Anlagestrategien umsetzen und neben finanzieller Rendite auch Impact erzielen können.
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