5 minute read

Einleitung

Next Article
Von den Anfängen

Von den Anfängen

Einleitung

«Stellen Sie sich vor: Ich habe einen eigenen Bahnhof, 38 Lokomotiven, 70 Kutschen, 35 Flugzeuge, 45 Autos, ein Dampfschiff und zwei Original-Raumschiffe. Damit bin ich eigentlich ganz glücklich in meinem Reich», sagte Alfred Waldis (1919–2013) in einem Interview mit der Schweizer Familie anlässlich seines Rücktritts im Juni 1979 – nach 20 Jahren als Direktor des Verkehrshauses der Schweiz.

Bis es so weit war, brauchte es allerdings Visionen für das Machbare, Durchsetzungskraft, Mut, Können, Wollen, Freude, Einsatz, Verzicht und den klaren Fokus auf das Wesentliche: das Verkehrshaus der Schweiz in Luzern.

Alfred Waldis hatte sich früh auf eine Beamtenlaufbahn bei der SBB eingestellt. Dass es anders kam, nannte er «Glück und Zufall».

Manche Luzerner dachten in den 1950er-Jahren, ein Verkehrshaus in Luzern, zudem an schönster Lage am See, sei unnötig, denn es gäbe bereits genügend defizitäre Museen. Und sie glaubten, in Luzern würde ein Museum gebaut, das man in Zürich nicht haben wollte. Doch das Verkehrshaus wurde realisiert und entwickelte sich – entgegen allen Befürchtungen – bereits im ersten Betriebsjahr zum bestbesuchten Museum der Schweiz. Die Zauderer hatten nicht mit einem Alfred Waldis gerechnet. In Fachkreisen kannte man den Bähnler und wusste, dass dieser fähig war umzusetzen, was der Bundesrat in seiner Botschaft vom 15. Juli 1958 verlangte: über die Rückschau hinweg eine Darstellung der aktuellen Probleme des Verkehrs zu vermitteln, auf künftige Entwicklungen und Tendenzen hinzuweisen, das Verständnis für den Verkehr zu fördern und den Sinn für Geschichte und Technik zu wecken. Zudem sollte die Jugend für das Vorhaben begeistert und ihr Interessen für eine gute und machbare Verkehrspolitik geweckt werden.

Als das Verkehrshaus der Schweiz am 1. Juli 1959 eröffnet wurde, waren Kinder und Jugendliche mit Ballonen vor Ort. Mit der Aufforderung «Fotografieren erwünscht» sorgte Alfred Waldis in der Museumswelt vom ersten Moment an für Furore.

Das Museum, das noch heute als Mehrgenerationenhaus und Begegnungsstätte für Eltern, Grosseltern, Kinder und Enkel gilt, umfasste zu jener Zeit lediglich Ausstellungshallen für den Schienen- und Strassenverkehr, das Post- und Fernmeldewesen sowie einen Konferenzsaal und das Archiv; die übrigen Verkehrsträger – Luftfahrt, Schifffahrt, Seilbahnen und Tourismus – waren in einer der beiden PTT-Hallen untergebracht.

Die hohen Besucherzahlen und damit der wider Erwarten grosse Erfolg erforderten jedoch schon bald einen Ausbau. Mit der Eröffnung des Planetariums, am 1. Juli 1969, erfüllte sich der von der Astronomie begeisterte erste Direktor des Verkehrshauses einen Traum; einen, der in der ganzen Schweiz und darüber hinaus für Schlagzeilen sorgte. Und drei Jahre später holte er, der gerne Pilot geworden wäre, für die Eröffnung der Halle Luft- und Raumfahrt Flugpioniere und Astronauten ins Verkehrshaus. Es war eine von vielen Veranstaltungen, die den Rahmen des bis dahin Bekannten sprengten.

In einem Interview mit der Luzerner Neuste Nachrichten (LNN) – anlässlich seines 75. Geburtstags – antwortete Alfred Waldis auf die Frage, welches nachhaltige Ereignis er gerne nochmals erleben würde: «Den 1. Juli 1972. An diesem Tag wurde die Halle Luft- und Raumfahrt des Verkehrshauses mit namhaften Pionieren der Fliegerei und der Raumfahrt eröffnet. Es war grossartig. Neil A. Armstrong, der erste Mensch auf dem Mond, war dabei und auch John H. Glenn, der erste Amerikaner im Weltraum.» Nicht nur der Anlass, sondern auch die Ausstellungstechnik und das damit verbundene Aufhängen der Flugzeuge waren absolut einzigartig und wurden später in den USA als Vorbild erwähnt. Am 16. August 1972 hat Barry Goldwater vor dem amerikanischen Senat die Eröffnung der neuen Halle Luft- und Raumfahrt, das Verkehrshaus der Schweiz und seinen Leiter, Gestalter und Direktor Alfred Waldis in einer ausführlichen und begeisterten Rede gewürdigt. Eine solch grosse Ehre sei noch keinem Schweizer widerfahren, meinte der damalige Schweizer Botschafter in den USA, Raymond Probst.

Alfred Waldis erklomm die Stufen zum Erfolg in Windeseile, und sein Werdegang gleicht einer Tellerwäscherkarriere. «Er hatte eine Vision für sein Verkehrshaus. Dieser Vision hat er alles untergeordnet. Alles!», sagt Waldis-Nachfolger Arnold Kappler im Gespräch für dieses Buch.

Wer aber war dieser Alfred Waldis, der zur Schweizer Prominenz gehörte, im In- und Ausland ein gern gesehener Gast war, Träger des Innerschweizer Kulturpreises und Ehrendoktor der Universität St. Gallen?

Die Biografie über Alfred Waldis zu schreiben, bedeutet mitunter Mut zur Lücke. Niemals wäre es möglich, dem Ehrenbürger der Stadt Luzern in allen Belangen gerecht zu werden: Visionär, Gestalter, Museumsdirektor, Museumspädagoge, Kommunikationsprofi, Geldbeschaffer, Publizist, Reporter, Fachjournalist, Fotograf, Reiseleiter, um nur einige seiner Tätigkeiten zu erwähnen. Auch war er ein begeisterter Bergsteiger und spätberufener Kletterer, denn mit 61 Jahren trug er beim Aufstieg aufs Matterhorn erstmals einen Klettergurt und befestigte sich am Seil. Zudem war er Ehemann, Vater von drei Kindern und später Grossvater von sechs Enkeln.

Über 900 Reportagen hat er publiziert, rund 1200 Vorträge gehalten und mehr als ein halbes Dutzend Bücher geschrieben. In seiner Bibliografie fehle seine Biografie, meinte Journalist und Moderator Hanns Fuchs anlässlich des 80.Geburtstags von Alfred Waldis im Verkehrshaus. «Wann erscheint das Buch Waldis über Waldis?» Doch da winkte der Jubilar ab: «Ich schreibe nicht gerne über mich, es liegt mir nicht.»

Ich bin Alfred Waldis nie persönlich begegnet. Doch ich erinnere mich an Telefongespräche während der Jahre 2000 und 2001. Es ging um eine Reportage über die Balair in der damaligen SAirGroup-Konzernzeitung. Der längst pensionierte erste Verkehrshausdirektor sicherte mir für meinen Artikel und auch für ein geplantes Buchprojekt über die Charter-Airline jegliche Unterstützung zu. Und dann sagte er: «Kommen Sie doch einmal nach Luzern, dann führe ich Sie durch das Verkehrshaus und stelle Ihnen Hans Erni vor.» Ich höre noch heute die wohlwollende freundliche Stimme. Leider gab es keine Gelegenheit, dieser herzlich ausgesprochenen Einladung zu folgen. Viele Jahre später – das Buch über die Balair erschien 2017, für das mir die Familie

Waldis Unterlagen zu den Mittelholzer Memorial Flights zur Verfügung gestellt hatte, denn Alfred Waldis war zwischenzeitlich verstorben – begegneten auch mir «Glück und Zufall». Ich durfte das Leben des Museumspioniers erkunden und erspüren. Um die Biografie zu schreiben, recherchierte ich in vielen Dokumenten und Unterlagen und lernte dadurch einen Menschen kennen, der Aussergewöhnliches geleistet hat.

Alfred Waldis, ein Mann, der mit allen Bundesräten korrespondierte, der bei der NASA ein- und ausging, mit Astronauten und Kosmonauten befreundet war, der zum Stadtbild von Luzern gehörte und über den die LNN schrieb: «Egal wie mancher Direktor noch kommt: Alfred Waldis wird immer ‹Mr. Verkehrshaus› sein und bleiben.»

Trudi von Fellenberg-Bitzi Cham und Grüningen, Frühjahr 2022

This article is from: