ist einer der schillerndsten Bundesräte der Schweizer Geschichte.
verschiedene journalistische Arbeiten etwa für das
Er wirkte als Innenminister während der krisenhaften 1930er-Jahre,
Magazin des Tages-Anzeigers und die Neue Zürcher
während des Zweiten Weltkriegs sowie während der wirtschaftlichen
Zeitung. Im Auftrag des Staatsarchivs Zug hat er
und sozialen Neuordnung nach 1945. In seiner 25-jährigen Amtszeit
den Privatnachlass von Philipp Etter erschlossen.
von 1934 bis 1959 initiierte er die Kulturstiftung Pro Helvetia, setzte
Mit der politischen Biografie über Bundesrat Etter
sich für Rätoromanisch als vierte Landessprache ein und stützte den
legt er seine Dissertation vor.
Ausbau der ETH sowie der Nationalstrassen. Er legte zudem wichti-
ge Grundsteine für die Einführung der Sozialwerke AHV und IV. Etter
Bundesrat Philipp Etter
(1891–1977)
«Philipp Etter ist eine herausragende und auch umstrittene Persönlichkeit, in der sich viele gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen im
(1891–1977)
und Kunstgeschichte in Zürich studiert. Er verfasste
Bundesrat Philipp Etter
Philipp Etter gilt als Vater der «geistigen Landesverteidigung» und
Thomas Zaugg
Thomas Zaugg (* 1985) hat Philosophie, Geschichte
Thomas Zaugg
Kanton Zug, in der Schweiz und in der Welt spiegeln.» Dr. Renato Morosoli, Staatsarchiv Zug
war ein katholisch-konser vativer Intellektueller, der in zahlreichen
Ansprachen, Schriften und Briefen das Zeitgeschehen kommentierte. Haften geblieben ist das umstrittene Bild eines autoritären Staatsmanns. Etter wurde als «Pseudo-Mussolini» oder «patriotischer Unschweizer», geprägt von uneingestandenem Antisemitismus, porträ
tiert. Sein privater Nachlass, bis 2014 unter Verschluss, hat bisher unbekannte Seiten ans Licht gebracht. Der Historiker Thomas Zaugg hat die Briefe, persönlichen Aufzeichnungen und Erinnerungsschriften ausgewertet. Er verortet Etter in seiner Zeit und seinem Milieu – unvoreingenommen und differenziert.
ISBN 978 3 03810 437 7 -
-
-
-
www.nzz-libro.ch
nzz_bundesrat_etter_kompl_abz2.indd 1
NZZ Libro
28.01.20 07:47
Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Frühjahrssemester 2019 auf Antrag der Promotionskommission, Prof. Dr. Tobias Straumann (hauptverantwortliche Betreuungsperson) und Prof. Dr. Matthieu Leimgruber, als Dissertation angenommen. Beiträge zur Zuger Geschichte Herausgegeben vom Historischen Verein des Kantons Zug Band 19 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Coverfoto: Philipp Etter nimmt 1951 an der Einweihung des Rapperswiler Seedamms teil. Staatsarchiv Aargau, RBA1-1-4570 © 2020 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel Lektorat: Simon Wernly, Langenthal Umschlag: GYSIN [Konzept + Gestaltung], Chur Gestaltung und Satz: Gaby Michel, Hamburg Druck, Einband: CPI books GmbH, Leck Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-03810-437-7
www.nzz-libro.ch NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG ®
MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen
www.fsc.org
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 4
FSC® C083411
29.01.20 16:32
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis Vorwort 11
7
Einleitung 13 1. Ausrichtung und Aufbau 14 2. Forschungsstand und Quellenlage 18 3. Methodischer Hintergrund 26 Teil 1 Zwischen Zug, Einsiedeln und Zürich (1891 – 1929) 31 1. In Menzingen 36 2. Die Entscheidung in Einsiedeln 47 3. In der werdenden Grossstadt Zürich 78 4. Vor und nach dem Landesstreik 1918 100 5. Konfessioneller Hader, Antijudaismus und «erlaubter» Antisemitismus 126 Teil 2 Ein Ständerat in der Wirtschaftskrise und die Erneuerung des «Geistes» (1929 – 1934) 145 1. Innere Fronten im politischen Katholizismus um 1930 153 2. Hitlers «Machtergreifung» 165 3. Im Frontenfrühling 185 Teil 3 Der junge Bundesrat (1934 – 1937) 225 1. Die Wahl eines Jungen 230 2. Der demokratische Korporatist 226
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 5
29.01.20 16:32
Teil 4 Geistige Landesverteidigung (1935 – 1939) 315 1. Ein schwieriger Beginn (1935 – 1937) 323 2. Max Eduard Liehburg 350 3. Die Kulturbotschaft vom 9. Dezember 1938 366 4. Gonzague de Reynold 412 5. Der Laienapostel von 1939 436 Teil 5 Der Kriegsbundesrat (1939 – 1945) 453 1. 1940 460 2. Durchhaltekurs und geistige Landesverteidigung 536 3. Etter und die jüdischen Flüchtlinge 552 4. Das Schweigen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz 573 Teil 6 Zwischen Familienschutz und AHV (1938 – 1947) 581 1. Familienschutz ohne Bevölkerungspolitik (1938 – 1942) 581 2. Zwischen Familienlohn und AHV (1942 – 1947) 595 3. Volksgemeinschaft, Eugenik und Bundesverfassung um 1945 607 Teil 7 Wandel und Konkordanz (1945 – 1959) 635 1. Das Ende des langen Kulturkampfs, der «Komplex» 1940 641 2. Kultureller Aufbruch und Antikommunismus 669 3. Die Öffnung nach links und die Zauberformel von 1959 686 Schluss
701
Anhang Quellen- und Literaturverzeichnis Personenregister 755 Abbildungsnachweise 765
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 6
719
29.01.20 16:32
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 768
29.01.20 16:34
366
Geistige Landesverteidigung (1935–1939)
3. Die Kulturbotschaft vom 9. Dezember 1938
Zweifel hatten Philipp Etter bei der Ausarbeitung seiner Kulturpolitik begleitet, aber sie schien unter dem Druck der Ereignisse immer dringlicher zu werden. So schrieb Etter im Mai 1938 an Gonzague de Reynold: Durch den Anschluss Österreichs und durch das Verschwinden dieses alten Kulturlandes von der Karte der selbständigen Staaten ist die deutsche Schweiz in eine kulturell nicht ungefährliche Isolierung hineingeraten. Wir werden einem starken geistigen Druck der nationalsozialistischen Ideenwelt ausgesetzt sein. Ein freies deutsches Geistesleben besteht nicht mehr ausserhalb unserer Grenzen. Deshalb erhebt sich landauf[,] landab der Ruf nach «geistiger Landesverteidigung». Mögen auch hinter diesem Ruf sich da und dort recht selbstsüchtige und auch gewisse parteipolitische Ziele verbergen, so kann doch dem Ruf seine Berechtigung nicht abgesprochen werden. Ich bin an der Arbeit, eine Vorlage vorzubereiten. Die Aufgabe ist heikel. Aber sie kann gelöst werden, weil sie gelöst werden muss.135 Im Sommer 1938, unter dem Eindruck des «Anschlusses» Österreichs an das Dritte Reich, beendete Etter schliesslich die Arbeit an der Botschaft zur «Kulturwahrung und Kulturwerbung». Der Bundesrat propagierte darin die Gründung der privatrechtlichen Stiftung Pro Helvetia, die sich mit einem Kredit von einer halben Million Schweizer Franken für Kulturwahrung im Inland und für Kulturwerbung im Ausland einsetzen sollte. Die am 9. Dezember 1938 publizierte Kulturbotschaft wurde im März 1939 vom Parlament einstimmig gutgeheissen. 135 ALS-Reynold, Corr. aut. 32, 2, Brief von Philipp Etter an Gonzague de Reynold, 5. 5. 1938.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 366
29.01.20 16:33
Die Kulturbotschaft vom 9. Dezember 1938
367
Die Spannweite der Interpretationen dieses in der damaligen Hochstimmung auch «Magna Charta» genannten Dokuments hat sich bis heute immer weiter ausgedehnt.136 Hans Ulrich Jost vermutete 1983, dass sich die Schweiz in Anlehnung an ausländische Vorbilder in einen «helvetischen Totalitarismus» geflüchtet habe, in dem eine nationalistische, antiliberale, militaristische und kulturpessimistische Haltung vorherrschend gewesen sei. Kurt Imhof dagegen bezeichnete Mitte der 1990er-Jahre die geistige Landesverteidigung als einen «antitotalitären Basiskonsens», an dem auch Etter Anteil nahm.137 Oliver Zimmer sah 2004 in der Kulturbotschaft den Versuch einer Verbindung von konservativen und liberalen Identitätsbildern, die mit dem Bezug auf die gemeinsame Geografie, das Bergmotiv, einheitsstiftend gewirkt hätten.138 Jakob Tanner glaubt 2015 in Etters «Pathosformeln» Distanz und zugleich Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie zu entdecken.139 Viele Ansätze zu einer inhaltlichen Bestimmung sehen den katholischkonservativen Bundesrat im ideologischen Fahrwasser einer rechten Avantgarde, die mit der geistigen Landesverteidigung den Boden habe bereiten wollen für ihre antidemokratische, fremdenfeindliche und antimoderne Politik. Hinweise darauf, dass Etter seine Kulturbotschaft auf vielerlei Vorarbeiten und breit abstützte, wurden in den letzten Jahrzehnten hingegen selten weiterverfolgt. Wirkmächtig blieb stattdessen die These Hans Ulrich Josts über den «helvetischen Totalitarismus» aus dem Jahr 1983. Josef Mooser sprach 1997 zwar von einer vielerseits und unterschiedlich betriebenen Kulturpolitik, von einer geistigen Landesverteidigung, die von sozialdemokratischen, freisinnigen und katholisch-konservativen Vertretern jeweils anders interpretiert worden sei.140 Etters Kulturpolitik blieb allerdings auch bei Mooser von einem Vorbehalt begleitet. Aram Mattioli wies 1994 in seiner Dissertation darauf hin, dass der Schriftsteller Gonzague de Reynold, «der profilierteste Kopf der autoritären Rechten in
136 Bonjour, Geschichte der schweizerischen Neutralität, 1967, Bd. 3, S. 382. 137 Jost, Imhof, Geistige Landesverteidigung: helvetischer Totalitarismus oder antitotalitärer Basiskompromiss?, 1998, S. 374. 138 Zimmer, «A Unique Fusion of the Natural and the Man-made», 2004. 139 Tanner, Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, 2015, S. 235. 140 Mooser, Die «Geistige Landesverteidigung» in den 1930er Jahren, 1997.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 367
29.01.20 16:33
368
Geistige Landesverteidigung (1935–1939)
der Schweiz»,141 Etter bei der Niederschrift der Kulturbotschaft beraten habe. Die autoritäre Rechte nahm, nach dieser Argumentation, direkt Einfluss auf die Kulturbotschaft und entzog dieser die liberalen Ideen von 1848, um sie durch die konservativen Motive von Bodenverwurzelung und Heimatscholle zu ersetzen. Nicht mehr die Willensnation freier Bürger, die sich im 19. Jahrhundert in einem demokratischen Rechtsstaat zusammengeschlossen hatten, sondern die alteidgenössische Wesensgemeinschaft, geprägt von der Trias Christentum, Föderalismus und Brauchtum, stand gemäss dieser Darstellung im Zentrum. So urteilte auch Josef Mooser: «Gerade in der ‹Kulturbotschaft› unter der Federführung des katholisch-konservativen Bundesrates Philipp Etter dominierte ein neuer Konservatismus, der sich seit der Jahrhundertwende vielgliedrig entfaltet hatte und im schweizerischen Zusammenhang in dem Literaten, Universitätsprofessor, politischen Pamphletisten und Historiker Gonzague de Reynold (1880 – 1970) seinen kontinuierlich wirksamsten und einflussreichsten Propagandisten besass.»142 Georg Kreis vermutete 1995 gar: «Wahrscheinlich war Etters Mitteilungsbedürfnis grösser als sein Bedürfnis, sich in die Welten anderer einzulesen.»143 Der Vorwurf lautet, dass Etters Kulturpolitik einen starren Gegensatz zwischen der modernen Demokratie und der Alten Eidgenossenschaft postuliert und den Liberalismus verdrängt habe: «Angesichts der äusseren Bedrohung hatten sich die Konturen des Gesellschaftspolitischen seit 1938 im Glanz oder im Nebel des Patriotischen und Nationalpolitischen verwischt. Die Parteipositionen verblassten auf Kosten des liberalen und sozialdemokratischen Gedankengutes. Die Position der Rechten konnte, nicht als solche deklariert, zur vaterländischen Position gemacht werden.»144 Ähnlich bezeichnet Aram Mattioli «die mystische Erdverbundenheit» und die Konstanten der nationalen Geschichte in Etters Kulturbotschaft als Teil einer «durch und durch konservativ» inspirierten Kulturpolitik: «Von den Idealen des Jahres 1848 war bei ihm kaum die Rede und wenn, dann oft in einer autoritären Sinnentleerung.»145 141 142 143 144 145
Mattioli, Zwischen Demokratie und totalitärer Diktatur, 1994, S. 244. Mooser, Die «Geistige Landesverteidigung» in den 1930er Jahren, 1997, S. 690 f. Kreis, Philipp Etter – «voll auf eidgenössischem Boden», 1995, S. 203. Ebd., S. 214. Mattioli, Zwischen Demokratie und totalitärer Diktatur, 1994, S. 242.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 368
29.01.20 16:33
Die Kulturbotschaft vom 9. Dezember 1938
369
In einem ersten Abschnitt soll im Folgenden gezeigt werden, dass Etters Kulturbotschaft weniger ausschliesslich von konservativer oder katholischer Tendenz geprägt war, als es in vielen Darstellungen erscheint. Kompromiss, Konsens und vor allem Konformismus überwogen. Erstens verwendete Etter Motive aus einer seit dem 18. Jahrhundert verbreiteten, während des Ersten Weltkriegs erneuerten Ikonografie: die Schweiz als Alpenrepublik, gegründet durch bäuerlichen Freiheitswillen, ein Vorbild für ein friedliches Europa verschiedenster Kulturen. Zweitens war die Kulturbotschaft von einer Grundstimmung geprägt, die in der Zwischenkriegszeit in vielen politischen Lagern und besonders unter Historikern vorherrschte. Die Kulturbotschaft stützte sich auf Topografie und alteidgenössische Legendengeschichte, zwei äusserst traditionalistische Erklärungsnarrative. Der Föderalismus erschien als das wesentliche Bestimmungsmerkmal der Schweiz, die sich durch ihren ausgeprägten Regionalismus von den totalitären Diktaturstaaten abheben wollte. Doch die Eintrübung des Jargons hin zur Naturgewalt, der Rückgriff auf die Geschichte der Alten Eidgenossenschaft vor 1798 und auch der stärker betonte Föderalismus können nicht auf Etters katholischen Konservatismus allein projiziert werden, sondern waren die weitverbreiteten Erklärungsmuster einer «Volksgemeinschaft», die auch in liberalen und linken Kreisen populär wurden. Die Kulturbotschaft machte zudem einige Zugeständnisse an die politische Linke. Ein separater Abschnitt behandelt Gonzague de Reynolds Anteil an der Botschaft, der weit weniger ins Gewicht fiel, als bislang dargestellt: Aufgrund neu aufgefundener Quellen kann gezeigt werden, dass der Freiburger Schriftsteller den demokratischen Konformismus der Kulturbotschaft kritisierte und Etter vergeblich nahelegte, das Dokument umzuformulieren.146 Im zweiten Teil der folgenden Ausführungen soll ein Hinweis weiter ausgearbeitet werden, der in der bisherigen Literatur zumeist gänzlich fehlt: Die organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen für eine gross angelegte Kulturpolitik waren um 1938 nicht gegeben, was insbesondere viele Sozialdemokraten enttäuschte. Die Pro Helvetia war für Etter geradezu Inbegriff einer aus den Landesteilen möglichst paritätisch zusammengesetzten Kulturstelle, die unabhängig vom Staat funktionieren 146 Siehe Teil 4, Kapitel 4, S. 430 f.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 369
29.01.20 16:33
370
Geistige Landesverteidigung (1935–1939)
sollte. Auf linker Seite wünschte man sich dagegen eine propagandistische Offensive, die durchaus mit den Heldenerzählungen vom Rütli und vom Tell hätte operieren dürfen. Die Auseinandersetzung über die geistige Landesverteidigung wurde zu weiten Teilen nicht über die Bilder geführt, sondern betraf das unterschiedliche Staatsverständnis. Von Föderalismus und Liberalismus gehemmt, konnten sich die Bürgerlichen nicht erwärmen für eine antifaschistische, teure und zentralistische Kulturpropaganda, wie sie die Linke sich erträumt hatte. Dass sich die Bürgerlichen vereinzelt dem Vorwurf ausgesetzt sahen, den Totalitarismus zu imitieren, entbehrte unter diesen Voraussetzungen nicht einer gewissen Absurdität. Die 48 Seiten umfassende Kulturbotschaft beginnt mit der Auflistung der Anregungen und Eingaben, die seit 1935 zu ihrem Entwurf führten, erläutert im zweiten Kapitel, wie die Kulturpflege in der Schweiz durch den Bund und die Kantone geregelt sei, um im dritten Kapitel die Entwicklungen im Ausland gegenüberzustellen, in dem «seit dem letzten Krieg im Verhältnis zwischen Kultur und Staat eine Umwälzung von gewaltiger Tragweite» sich vollzogen habe, die organisierte Propaganda überhandnehme und die Kultur keine «staatsfreie Sphäre» mehr sei.147 Das vierte Kapitel als Kern der Botschaft beinhaltet eine Absage an Rassismus und radikalen Nationalismus und definiert «Sinn und Sendung der Schweiz». Die darauffolgenden vier Kapitel widmen sich möglichen Massnahmen der «Kulturwahrung im Inland» und der «Kulturwerbung im Ausland», beinhalten organisatorische sowie budgettechnische Bemerkungen zur Stiftung Pro Helvetia und diskutierten zum Schluss die Aufgaben der «nationalen Erziehung» im Schulwesen. Über seine Inspirationsquellen hat sich Etter nie konkret geäussert. Die Botschaft zur Anerkennung des Rätoromanischen von 1937 hatte er auf Expertisen und Argumentationsvorlagen der Bündner Regierung, der Neuen Helvetischen Gesellschaft und auf Hermann Weilenmanns Die vielsprachige Schweiz von 1925 abgestützt.148 Bei der Kulturbotschaft allerdings bestand Etter nachdrücklich auf seiner Autorschaft.149 Dies mag nicht zutref147 BBl 1938 II, S. 994. 148 Valär, Weder Italiener noch Deutsche !, 2013, S. 321 f. 149 So schrieb Etter beispielsweise Ende September 1938 an Gonzague de Reynold: «Die Arbeit an meiner Botschaft kam letzte Zeit ins Stocken. Wenn ein Departementschef eine Botschaft selbst schreibt, sind solche Störungen fast unvermeidlich.» ALS-Reynold, Corr. aut.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 370
29.01.20 16:33
32 Etter 1938 an einem Zeitungsstand in Bern, in der Hand den Bund. Neben dem katholischkonservativen Vaterland sind die liberalkonservativen Basler Nachrichten eines seiner Leibblätter. Rechts im Bild die Schweizer Illustrierte Zeitung mit einem Bericht ßber George Orwell, der im Radio ßber eine Landung Ausserirdischer berichtete.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 402
29.01.20 16:33
33 Etter bĂźrdet sich mit der geistigen Landesverteidigung viel auf, findet 1936 Nebelspalter-Karikaturist Gregor Rabinovitch.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 403
29.01.20 16:33
34 Etter hält im Oktober 1937 zur Eröffnung der Hohlen Gasse in Küssnacht eine Ansprache an die Schuljugend.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 404
29.01.20 16:33
35 Der Schriftsteller Gonzague de Reynold, aus einer Freiburger Patrizierfamilie stammend, in seinem Schloss in Cressier. De Reynold ist einer von vielen Beratern, die Etter zur Ausformulierung seiner Kulturpolitik beizieht.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 405
29.01.20 16:33
36 Marcel Pilet-Golaz und Bundespräsident Etter an der Eröffnung der Landesausstellung 1939 auf der Zürcher Bahnhofstrasse, fotografiert von Hans Staub.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 406
29.01.20 16:33
37 Die Schweiz definiert sich 1939 anlässlich der Landesausstellung in Zßrich durch das christliche, das Rote und das Schweizer Kreuz.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 407
29.01.20 16:33
38 Die Gemeindefahnen auf dem Höhenweg stehen für die föderalistisch-schweizerische Vielfalt in der Einheit.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 408
29.01.20 16:33
39 Romuald, Kindermädchen Frieda, Joe, Bundesrat Etter, seine Gattin Marie, Philipp Anton und Alois im Schifflibach der Landesausstellung 1939.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 409
29.01.20 16:33
40 Der Ringier-Fotograf Hermann Stauder besucht die Familie Etter 1938 in ihrem Urlaub in Unterägeri auf dem Hof Wyssenschwendi.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 410
29.01.20 16:33
41 Die Etter-Kinder schaukeln vor ihrem Vater, inszeniert von Ringier-Fotograf Hermann Stauder.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 411
29.01.20 16:33
Der Autor
Thomas Zaugg (* 1985) hat Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte in Z端rich studiert. Er verfasste verschiedene journalistische Arbeiten unter anderen f端r das Magazin des Tages-Anzeigers und die Neue Z端rcher Zeitung. Mit der Biografie 端ber Philipp Etter legt er seine Dissertation vor.
Zaugg_Etter_001-768_SL7.indd 767
29.01.20 16:34
ist einer der schillerndsten Bundesräte der Schweizer Geschichte.
verschiedene journalistische Arbeiten etwa für das
Er wirkte als Innenminister während der krisenhaften 1930er-Jahre,
Magazin des Tages-Anzeigers und die Neue Zürcher
während des Zweiten Weltkriegs sowie während der wirtschaftlichen
Zeitung. Im Auftrag des Staatsarchivs Zug hat er
und sozialen Neuordnung nach 1945. In seiner 25-jährigen Amtszeit
den Privatnachlass von Philipp Etter erschlossen.
von 1934 bis 1959 initiierte er die Kulturstiftung Pro Helvetia, setzte
Mit der politischen Biografie über Bundesrat Etter
sich für Rätoromanisch als vierte Landessprache ein und stützte den
legt er seine Dissertation vor.
Ausbau der ETH sowie der Nationalstrassen. Er legte zudem wichti-
ge Grundsteine für die Einführung der Sozialwerke AHV und IV. Etter
Bundesrat Philipp Etter
(1891–1977)
«Philipp Etter ist eine herausragende und auch umstrittene Persönlichkeit, in der sich viele gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen im
(1891–1977)
und Kunstgeschichte in Zürich studiert. Er verfasste
Bundesrat Philipp Etter
Philipp Etter gilt als Vater der «geistigen Landesverteidigung» und
Thomas Zaugg
Thomas Zaugg (* 1985) hat Philosophie, Geschichte
Thomas Zaugg
Kanton Zug, in der Schweiz und in der Welt spiegeln.» Dr. Renato Morosoli, Staatsarchiv Zug
war ein katholisch-konser vativer Intellektueller, der in zahlreichen
Ansprachen, Schriften und Briefen das Zeitgeschehen kommentierte. Haften geblieben ist das umstrittene Bild eines autoritären Staatsmanns. Etter wurde als «Pseudo-Mussolini» oder «patriotischer Unschweizer», geprägt von uneingestandenem Antisemitismus, porträ
tiert. Sein privater Nachlass, bis 2014 unter Verschluss, hat bisher unbekannte Seiten ans Licht gebracht. Der Historiker Thomas Zaugg hat die Briefe, persönlichen Aufzeichnungen und Erinnerungsschriften ausgewertet. Er verortet Etter in seiner Zeit und seinem Milieu – unvoreingenommen und differenziert.
ISBN 978 3 03810 437 7 -
-
-
-
www.nzz-libro.ch
nzz_bundesrat_etter_kompl_abz2.indd 1
NZZ Libro
28.01.20 07:47