

Wo Unternehmer gross denken
Südtirol ist beliebt als Tourismusregion und bekannt für seine Weine und Äpfel. Dabei nimmt die italienische Provinz europaweit in Wachstum, Beschäftigung und Innovation eine Spitzenstellung ein. Wichtige Pfeiler der boomenden Wirtschaft sind nebst der Holzbranche Unternehmen in den Bereichen Agritech und Greentech.
Es ist die kulturelle Vielfalt, die zugleich alpine und mediterrane Lage, und die drei gesprochenen Sprachen Deutsch, Italienisch und Ladinisch, die Gesellschaft und Unternehmen in Südtirol seit jeher einen fruchtbaren Boden bereitet haben. Südtirol verbindet Traditionen mit neuen Strömungen, seine Wurzeln mit neuen Ideen. Innovation wird hier grossgeschrieben.
Dass Südtirol so innovativ sei und bei den Exporten die Nase vorn habe, sei auf die Mischung der beiden Kulturen, der Deutschen und der Italienischen, zurückzuführen, sagt Federico Giudiceandrea, Gründer und Präsident von Microtec, einem Hersteller von biometrischen Analysesystemen vor allem für die Obst und Holzindustrie. Das 1980 gegründete Unternehmen aus Brixen ist bei Anlagen zur optischen Erkennung von Holzeigenschaften Weltmarktführer. «Wir Südtiroler sind besonders offen und flexibel, weil wir mit zwei Ansichten aufwachsen und von klein auf lernen, dass es zwei Wege gibt, sich mit der Welt auseinanderzusetzen», so Giudiceandrea. Da falle es leichter zu akzeptieren, dass es auch einen dritten, vierten oder fünften Weg geben könne, erklärt er die Innovationsfreude in seinem Land. Zudem habe das Land Südtirol immer schon viel in Forschung und Entwicklung investiert. «Unternehmen finden hier eine grosse Unterstützung und sehr einfache Prozesse. Um für neue Projekte finanzielle Hilfen zu bekommen, reicht man einfach sein Projekt ein, ohne grosse und komplizierte Ausschreibungen.» Das würde es Unternehmen leicht machen, Innovationen voranzutreiben.
Mit einem Bruttoinlandprodukt pro Kopf von rund 47 555 Euro ist Südtirol eine der wohlhabendsten Provinzen in Italien. 2023 zählte das Institut für Wirtschaftsförderung in Bozen rund 60 000 aktive eingetragene Unternehmen, die in Landwirtschaft, Industrie und Handwerk, Handel, Tourismus und Dienstleistungen tätig sind. Auch die Nachhaltigkeitsentwicklung ist eine der stärksten im ganzen Land.
Ein Grundpfeiler der Südtiroler Wirtschaft ist das Handwerk: Gut 14 981 Firmen mit insgesamt rund 50 000 Beschäftigten sind in diesem Sektor angesiedelt. Der wichtigste Zweig ist die Holzbranche. Nach Schätzungen generiert der gesamte Wirtschaftsfaktor Wald Holz einen jährlichen Umsatz von rund 1,7 Milliarden Euro. Viele der in diesem Bereich tätigen Unternehmen sind bis heute familiär geführt und haben sich über die Jahre zu internationalen Playern entwickelt. Allen gemeinsam ist, dass sie in Produktion und Service auf Lösungen von hoher Qualität setzen.
International erfolgreich
Einer der erfolgreichsten Branchenakteure ist die in vierter Generation geführte Rubner Holding AG. Mit einem Erlös von 445 Millionen Euro gehörte sie im vergangenen Jahr zu den Top zehn der umsatzstärksten Unternehmen Südtirols. 1926 von Josef Rubner als erstes mit Wasserkraft angetriebenes Sägewerk in Kiens gegründet, ist Rubner heute eine international agierende Unternehmensgruppe mit 1400 Mitarbeitenden an 20 Standorten in vier Ländern. Allein in
«Wir Südtiroler sind besonders offen und flexibel, weil wir von klein auf lernen, dass es zwei Wege gibt, sich mit der Welt auseinanderzusetzen.»
Südtirol sind 800 Mitarbeitende an acht Standorten tätig und tragen zur regionalen Wertschöpfung bei. Das Familienunternehmen verarbeitet heimisches Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft zu hochwertigen Häusern, Türen, Fenstern, Massivholzplatten und Brettschichtholz und bedient damit den Weltmarkt. Unternehmen wie Rubner sind zugleich tief verwurzelt in der Region und international ausgerichtet. Sie beschäftigen sowohl Handwerker als auch Techniker, Experten und Facharbeiter. Und sie zeichnen sich durch Innovationsgeist und Pionierdenken aus: Die X TIMBER AG ist nicht nur eines der grössten NadelholzSägewerken Italiens, sondern auch einer der leistungsfähigsten Hersteller von technischen Holzkomponenten in Mitteleuropa. Auf einer Produktionsfläche von über 70 000 Quadratmetern verarbeitet das 1949 gegründete Familienunternehmen Holz zu hochtechnologischen Bauteilen für die verschiedensten Industriezweige weiter. Unter anderem werden hier pro Woche für knapp 60 000 Türen verschiedene Komponenten hergestellt. Den anhaltenden Innovationsgeist der X Timer AG belegen zahlreiche Patente, zum Beispiel im Bereich Brandschutztüren.
Häuser aus Vollholz
Südtirol ist ein waldreiches Land: Die Hälfte der gesamten Landesfläche ist mit Wald bedeckt, was nicht nur die Landschaft, sondern auch die Morphologie prägt. Mit der fortschreitenden Umwandlung der bäuerlichen Gesellschaft in eine Produktions und Dienstleis
neue Massstäbe. Das multinationale, in über 70 Ländern vertretene Familienunternehmen aus Kurtatsch hat sich weltweit als verlässlicher Holzbauzulieferer etabliert. Das Produktsortiment umfasst Befestigungssysteme und Verbinder, Akustiklösungen für die Gebäudehülle, Absturzsicherungssysteme und Sicherheitsvorrichtungen. Kontinuierlich arbeitet der in den vergangenen Jahren stark gewachsene Baufachhandel an neuen Produkten und Dienstleistungen für Holzbauer, Zimmerer, Ingenieure, Architekten und Monteure. Für die Entwicklung neuer Lösungen setzt auch Rothoblaas auf die Zusammenarbeit mit Universitäten und Instituten und die Beteiligung an deren Forschungsprojekten.
tungsgesellschaft weichen vor allem die Weideflächen zunehmend Sträuchern und Bäumen. In den letzten Jahrzehnten wuchs die erfasste Waldfläche um 30 000 Hektar. Diese Entwicklung beeinflusst auch den Wohnungsbau. Einer der Pioniere auf diesem Gebiet ist das in Laas ansässige Unternehmen holzius, das ökologische Vollholzhäuser herstellt. Firmengründer Herbert Niederfriniger entstammt einem Bergbauernhof im Vinschgau. Der gelernte Tischler und Förster tüftelte für sein eigenes Haus an einem Holzverbindungsknoten, mit dem er ohne Leim und Metall eine stabile und langlebige Konstruktion errichten konnte. 2005 meldete Niederfriniger ein Patent dafür an, und aus dem naturverbundenen Förster mit Erfindergeist wurde ein Unternehmer mit einer nachhaltigen Vision, die den gesamten Prozess, von der CO2Speicherung durch das im Gebäude verbaute Holz bis hin zum späteren Abbau der Häuser, bei dem die unbehandelten Vollholzwände wieder in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden, umfasst. Rund 400 Ökohäuser zwischen dem Süden Italiens und dem Norden Deutschlands hat holzius in den vergangenen zehn Jahren realisiert. Handwerkliches Geschick, Präzision und innovative Herangehensweise – dafür stehen die Südtiroler Unternehmen. Sie arbeiten kontinuierlich an Weiterentwicklungen und geben sich erst dann zufrieden, wenn das Ergebnis höchsten Ansprüchen entspricht und zukunftsfähig ist. Was sie antreibt, ist die Überzeugung, dass nur wirklich gut ist, was für alle gut ist. Aus dieser Haltung heraus
Neue Standards setzen Aber Pioniergeist ist nicht ohne Mut, Risikobereitschaft und vor allem Durchhaltewillen denkbar. Und auch diese Qualitäten haben in Südtirol Tradition, wie das Beispiel der Firma Barth zeigt. 1877 wurde die Kunsttischlerei in Brixen als Einmannbetrieb gegründet und ist 147 Jahre später ein führendes Unternehmen im massfertigen Innenausbau. Weiterentwicklung und Fortschritt gehören hier zur Tagesordnung. Das heute 100 Mitarbeitende zählende Unternehmen ist weltweit in 70 Ländern mit InteriorDesignProjekten vertreten und erstellt personalisierte, massgeschneiderte Lösungen für Juweliere, Boutiquen, Museen, Firmensitze, Privatresidenzen und Hospitality. Alle Projekte sind Unikate, für die jahrhundertealte handwerkliche Tradition mit neuesten Materialien und Fertigungstechniken verbunden werden. Seit jeher besteht in Südtirol auch im Bereich Agritech und Greentech eine hohe Kompetenz. Global agierende Unternehmen setzen mit ihren Innovationen neue Standards. Das Bild von Südtirol als Land der Tüftler und Entwickler wird auch international immer präsenter. Für die Entwicklung neuer Ideen stehen Südtiroler Unternehmen öffentliche Anlaufstellen und eine breite Innovationslandschaft mit vielen Experten und Interessenvertretern aus Wirtschaft und Forschung zur Verfügung. Jährliche werden zahlreiche Patente angemeldet – und die StartupSzene wächst zusehends. Im Jahr 2023 zählte das Institut für Wirtschaftsförderung in Bozen rund 60 000 aktive eingetragene Unternehmen, die in Landwirtschaft, Industrie und Handwerk, Handel, Tourismus und Dienstleistungen tätig sind. Auch die Nachhaltigkeitsentwicklung ist eine der stärksten im ganzen Land.
Zu den jungen Unternehmen, die es bereits geschafft haben, gehört die Firma Alpitronic. Innerhalb weniger Jahre ist das Bozener Startup in Europa zum Marktführer für Schnellladesäulen in der
Elektromobilität herangewachsen und betreibt heute Niederlassungen in mehreren europäischen Ländern sowie in Grossbritannien und in den USA. 2018 begann die Firma als Anbieter massgeschneiderter HighTechLeistungselektroniksysteme für Hersteller aus der Automobil, Luft und Raumfahrtbranche sowie der Industrie. Die weitreichende Erfahrung auf dem Gebiet der Leistungselektronik spielte eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung eines DCSchnellladesystems: der Hypercharger ist eine hochinnovative, sehr zuverlässig arbeitende Schnellladesäule für EFahrzeuge – und weit verbreitet. Inzwischen hat vermutlich jeder EAutofahrer auf einer Langstrecke schon eine HyperchargerLadesäule von Alpitronic gesehen. Auch viele andere Südtiroler Jungunternehmer denken gross und wollen die Welt ein Stück weit besser machen. Sie sind motivierte Startupper, die Visionen haben und bereit sind, für ihren Erfolg hart zu arbeiten. Es wird an zukunftsträchtigen Projekten getüftelt: Wie transportiert man Baumaterialien und andere schwere Fracht in unwegsames Gelände oder schwer zugängliche Gebiete und reduziert dabei Lärm und Emissionen? Die Antwort auf diese Frage liefert das im Bereich Greentech tätige Unternehmen Flying Basket mit einer LastenDrohne made in Südtirol. Drohnen verbrauchen weniger Energie als Hubschrauber, sind emissionsarm und zudem fast lautlos unterwegs. Mit der Entwicklung komplett autonomer Drohnen, die immer dieselbe Strecke fliegen, zum Beispiel von einem Postverteilerzentrum zum nächsten, hat sich Flying Baskets bereits das nächste Ziel gesteckt. Dafür arbeitet das erfolgreiche Unternehmen eng mit dem Forschungsinstitut für Fusion Grant im NOI Techpark zusammen. Viele Südtiroler Unternehmen werden gegründet, gerade weil sie eine neue Idee haben und weil sie den Mut haben, diese auch umzusetzen. Dieser Geist etwas Neues und das besser zu machen, ist ein zentraler Inhalt ihres Unternehmergeists. Doch ist es für kleine Unternehmen gleichsam schwerer, etwas Neues zu erfinden, als für mittlere und grosse Unternehmen. Um sie zu unterstützen, werden ihnen mittels Institutionen wie der Handelskammer, der IDM Südtirol, Forschungseinrichtungen und dem NOI Techpark spezifische Dienstleistungen, Labors, Forschungsinfrastruktur und Expertinnen und Experten zur Verfügung gestellt. Der NOI Techpark ist Südtirols Innovationsviertel, ein Katalysator für Unternehmergeist, der unter einem Dach genau das vereint, was für Startups wichtig ist: Forschungsinstitute, Universität, Verbände, erfolgreiche Unternehmen und Innovationstreibende. Hier sind die


«Es gibt in Südtirol eine grosse Risikobereitschaft, Unternehmen wachsen zu lassen und eine stete Neugierde, innovative Projekte zu entwickeln.»
Stefania Favretto
wichtigen Innovationsplayer Südtirols vereint und unterstützen gemeinsam die, die es noch werden wollen. Der NOI Techpark in Bozen vernetzt zurzeit 70 Unternehmen und 27 innovative Startups, drei Forschungseinrichtungen und drei Fakultäten der Freien Universität Bozen. In 52 HighTechLaboren arbeiten hier Forscher in verschiedenen Technologiefeldern.
Grosse Risikofreude
Auch das auf Aquaponik spezialisierte Startup Solos hat für sein AgritechProjekt im NOI Techpark die passende Unterstützung gefunden. Solos produziert schwimmende Salate, die in einem geschlossenen Kreislaufsystem von Fischen gedüngt werden. In einem 8000 Quadratmeter grossen Gewächshaus in Tramin setzt das Startup sein Anbausystem um. Die Vorteile: Eine Wassereinsparung um 90 Prozent im Vergleich zu konventioneller Landwirtschaft und der komplette Verzicht auf Chemikalien. Und dies bei höherer Produktivität. Denn durch den Anbau im Wasser kann Solos auf bis zu zwölf Mal mehr Quadratmetern produzieren.
«Es gibt in Südtirol eine grosse Risikobereitschaft, Unternehmen wachsen zu lassen und eine stete Neugierde, innovative Projekte zu entwickeln», erläutert Stefania Favretto, Funding Consultant von IDM Südtirol, die als Dienstleister der Südtiroler Wirtschaft Internationalisierung und Innovation fördert. Dabei seien Südtiroler selbst immer wieder überrascht, wie innovativ und international die ansässigen Firmen seien. «Unsere Förderpolitik ist auf jene Bereiche ausgerichtet, die über ein grosses Entwicklungspotenzial verfügen. Grundlage hierfür ist die ‹Smart Specialisation Strategy› (RIS3), die die Spezialisierungsbereiche des Landes Südtirol identifiziert. Zu den besonders geförderten Bereichen gehören Automation & Digital, Food & Life Sciences, Green Technologies und Alpine Technologies.» Im Bereich Alpine Technologies entstehen viele neue Ideen als Antworten auf die geografischen Bedingungen der Region. Die Topografie von Südtirol mit ihren vielen Steillagen stellte schon immer eine grosse Herausforderung für die Bewirtschaftung des Obst und Weinbaus dar. Normale Maschinen können hier teilweise nicht eingesetzt werden. Die Firma Geier hat aus dieser Not eine Tugend gemacht: Für ihre multifunktionalen Raupenfahrzeugen ist kein Hang zu steil, keine Zeile zu schmal, kein Gelände zu unwegsam. Das erste Raupenfahrzeug – eine Tüftelei aus eigener Notwendigkeit heraus –wurde in einer Holzscheune entwickelt und mit einem VWMotor und simpler mechanischer Lenkung ausgestattet. Von hier aus nahm die Erfolgsstory ihren Lauf. Heute zählt der Marktführer im Segment Raupenfahrzeuge über 40 Mitarbeitende, darunter Maschinenbaumechaniker, Konstrukteure, Metallfacharbeiter, Mechaniker, Mechatroniker und Verkäufer. Mit einem Exportanteil von 78 Prozent werden die sechs verschiedenen Serienmodelle weltweit vertrieben, hauptsächlich in die Haupt absatzmärkte Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Ungarn, Kalifornien und Neuseeland. Südtiroler Unternehmen sind zugleich regionale und grenzüberschreitende Akteure, die Zukunftstrends aufspüren und Wachstum und Fortschritt für Südtirol schaffen, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben – immer mit dem klaren Fokus auf Nachhaltigkeit. Nicht wenige dieser Betriebe sind als «hidden champions» Marktführer und innovative Vorreiter in ihren Bereichen. Wie bei den Raupenfahrzeugen von Geier, beruht der Erfolg auf der Summe aus persönlichen Erfahrungen, hochwertiger Technik und steter Innovation.
Federico Giudiceandrea
Holzbauten der Südtiroler Firma Rubner auf dem Campus der Deloitte-Universität bei Paris.
Solos produziert schwimmende Salate, die in einem geschlossenen Kreislaufsystem von Fischen gedüngt werden.
Moritz und Matthias Moroder entwickeln mit ihrer Firma Flying Basket Frachtdrohnen.