Pax (D)

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PRIVATE UND BERUFLICHE VORSORGE

RÜSTEN SIE SICH FÜR DIE NEUE VORSORGEWELT ARTIKELSAMMLUNG 2021 DER NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG


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DIE ZUKUNFT SIEHT SCHÖNER AUS WENN MAN REALIST IST. Vorsorge muss vernünftig durchdacht sein. Deswegen arbeitet Pax mit unabhängigen Vertriebspartnern zusammen, die ausgewiesene Experten für Vorsorge sind. Dank ihrer Erfahrung und ihrem Wissen machen sie sich ein realistisches Bild von den Wünschen und Möglichkeiten unserer Kunden. Und erst dann bieten wir die passenden Lösungen an. Für uns ist das der Weg in eine schöne Zukunft: Die richtige Vorsorge beginnt mit dem richtigen Partner. www.pax.ch/Vertriebspartner


3 EDITORIAL

Kämpferisches zur privaten und beruflichen Vorsorge Mit Pax rundum geschützt für die Pensionierung DANIEL MUTZ UND SUSANNE BREUER

Liebe Leserin, lieber Leser Die Altersvorsorge ist in die Jahre gekommen: Modernisierungen sind dringend nötig, denn das Drei-Säulen-System deckt die gesellschaftliche Realität nicht mehr ab. Doch was muss geschehen? Was sind mögliche Veränderungen? Es gibt viel zu tun. Das verdeutlichen auch die beiden diesjährigen Artikelserien der «NZZ am Sonntag» und in der Montagsausgabe der «Neuen Zürcher Zeitung» mit fünf beziehungsweise zwölf redaktionellen Beiträgen zu den aktuellen Themen der beruflichen und privaten Vorsorge. Pax ist seit jeher ein verlässlicher Partner für die Zukunft. Das liegt einerseits an unserer genossenschaftlichen Struktur. Denn sie verbindet Solidarität mit nachhaltiger Gewinnorientierung: Alles, was Pax erwirtschaftet, bleibt im Unternehmen. Davon profitieren unsere Kunden, die in den Genuss einer stabilen Überschussbeteiligung kommen. Andererseits steht Pax in der beruflichen Vorsorge zum Vollversicherungsmodell. Als Vollversicherer trägt Pax die Risiken Alter, Invalidität und Tod, aber auch das Anlagerisiko. So sind die Vorsorgeleistungen zu 100% abgedeckt. Gleichzeitig reagiert Pax auf Veränderungen im Markt mit innovativen Produkten, zum Beispiel Pax DuoStar Vorsorge mit Garantieniveau – eine Revolution in der beruflichen Vorsorge. Schön, wenn Sie mit unserer Artikelsammlung taktische Informationen geniessen. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre! Pax, Schweizerische LebensversicherungsGesellschaft AG, Basel

Die Werte von Pax Dafür stehen wir ein: – Glaubwürdig heisst, wir entscheiden nachvollziehbar und zeigen Kontinuität in unserem Handeln. – Vorausschauend heisst, wir geben alles, um überdurchschnittlich erfolgreich zu sein. – Direkt heisst, wir sind unkompliziert und gestalten unsere Beziehungen persönlich.

Daniel Mutz Leiter Vertrieb & Marketing und Mitglied der Geschäftsleitung

Susanne Breuer Content & Channel Marketing

«Pax ist seit jeher ein verlässlicher Partner für die Zukunft.»

Angebote von Pax Private Vorsorge: – Pax Fondsanlagen – Pax LifeStar – Pax Kinderversicherung – Pax Erwerbsunfähigkeitsversicherung – Pax Spar-Lebensversicherung – Pax Todesfallversicherung

Berufliche Vorsorge: – Massgeschneiderte Lösung für Firmen – Pax DuoStar – BVG Business – BVG Start-up – Ergänzungsvorsorge www.pax.ch


4 INHALT

Rüsten Sie sich für die neue Vorsorgewelt Artikelsammlung 2021 der Neuen Zürcher Zeitung

Leitartikel «Reformstau überwinden» in der «Neuen Zürcher Zeitung»

Artikelserie «Die Schweizer und ihr Geld» in der «NZZ am Sonntag»

Die Grenzen der direkten Demokratie 6

Meine Pensionskasse, das unbekannte Wesen

Ein kleines Aktienportfolio für meine Mutter

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Mein langer Weg zur dritten Säule

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So verdiene ich mit der AHV eine Million Franken

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Party im Parterre, Bienen auf dem Balkon

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Impressum Ein Sonderdruck für Pax in Kooperation mit NZZ Content Creation. Herausgeber: Pax (Magazin); Neue Zürcher Zeitung AG (Artikel; 2021) Inhalt: erschienen in der «Neuen Zürcher Zeitung» und «NZZ am Sonntag» Projektleitung: Susanne Breuer, Pax; Norman Bandi, NZZ Content Creation Gestaltung/Layout: Multiplikator (Umschlag); Sara Sparascio (Inhalt) Druck: Multicolor Print AG (inklusive Bildbearbeitung und Korrektorat) Bildnachweis: zVg Pax (sämtliche Fotos); zVg NZZ (alle Illustrationen)

© Die Rechte der Herausgeber sowie der Autoren bleiben vorbehalten.


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Artikelserie «Vorsorgen für eine neue Welt» in der «Neuen Zürcher Zeitung»

Altersvorsorge steckt in den achtziger Jahren fest

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Scheidung bleibt für Frauen oft eine Armutsfalle

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Wie nachhaltig investieren Schweizer Pensionskassen?

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Falsche Annahmen und politische Zwänge

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Säule 3a oder PK-Einkauf – was ist besser?

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Wohnung kaufen zum Vermieten?

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Digitales Wertschriftensparen boomt

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Beim Jobabbau beginnt für «Ü 50» das grosse Zittern

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Kündigung – was passiert jetzt mit der Pensionskasse?

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Das Eigenheim als Rettungsanker der Altersvorsorge

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Altersarmut droht wegen Reformstau zuzunehmen

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Es ist Zeit, über die drei Säulen hinauszublicken

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6 REFORMSTAU ÜBERWINDEN

Die Grenzen der direkten Demokratie Die chronischen Blockaden in der Altersvorsorge liefern ein Lehrstück über das Funktionieren der Politik HANSUELI SCHÖCHLI

«Die Welt muss für eine nachhaltige Klimapolitik den CO2-Ausstoss deutlich reduzieren.» Diesen Satz würden die meisten Klimaforscher und wohl auch die Mehrheit der Bürger in der Schweiz unterschreiben. Auch in der Altersvorsorge stellt sich die gleiche Kernfrage wie in der Klimapolitik: Welche Hypotheken will man den Jüngeren und Ungeborenen hinterlassen? Das zentrale Element eines nachhaltigen Systems der Altersvorsorge liegt im Prinzip auf der Hand: Das ordentliche Rentenalter ist mit der Lebenserwartung zu verknüpfen. Doch Mehrheiten gab es für diesen Grundsatz in der Schweiz bisher nicht. Bei der Einführung der AHV 1948 lebten 65-Jährige im Mittel noch knapp 14 Jahre, zurzeit liegt die Restlebenserwartung für 65-Jährige bei über 23 Jahren – also etwa 70% höher als damals. Das ordentliche Rentenalter ist heute aber nicht höher als 1948. Bei den Frauen ist es mit 64 sogar ein Jahr tiefer als damals. Eine generelle Erhöhung des ordentlichen Rentenalters, so geht der Refrain seit Jahrzehnten, «ist nicht mehrheitsfähig». Die Angleichung des Frauenrentenalters an jenes der Männer steht mit der laufenden AHV-Revision zur Diskussion, doch sogar diese ist noch umstritten.

Das Pyramidensystem Die AHV ist ein Pyramidensystem; die heutigen Erwerbstätigen finanzieren die heutigen Rentner, und die Rentner von morgen sollen durch die Erwerbstätigen von morgen finanziert werden. Das funktioniert gut, solange die Löhne stark wachsen und die Erwerbsbevölkerung im Vergleich zur Rentnerbevölkerung genügend gross ist. Diese Bedingungen waren lange Zeit erfüllt, doch das Bild hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Die Löhne wachsen weniger als in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, und vor allem sinkt die Zahl der Erwerbstätigen pro Rentner. 1948 kamen, gemes-

sen an der Entwicklung der Altersgruppen 20–64 und 65+, etwa sechs Erwerbstätige auf einen Rentner, zurzeit sind es noch etwa drei, und in 15 bis 20 Jahren werden es laut dem Hauptszenario der Statistiker nur noch etwa zwei sein. Will man die AHV trotzdem im finanziellen Gleichgewicht halten, gibt es zwei Grundvarianten: Zusatzeinnahmen oder Ausgabensenkungen. Realistisch dürfte am Ende nur eine Kombination diverser Massnahmen sein. Der politische Trend war bisher aber klar: Je näher eine Massnahme an die Generationengerechtigkeit im Sinne der Gleichbelastung aller Generationen herankommt, desto unpopulärer ist sie. Der Generationengerechtigkeit am nächsten käme eine Senkung der nominalen Jahresrenten oder mindestens der Verzicht auf Erhöhungen. Doch obwohl dies in gewissem Ausmass für die meisten Rentner verkraftbar wäre und man die Ärmsten durch Erhöhung der Ergänzungsleistungen entschädigen könnte, ist die Sache ein politisches Tabu. Nicht mehr tabu, aber noch nicht ganz salonfähig ist die allgemeine Erhöhung des ordentlichen Rentenalters. Aus Sicht der Generationengerechtigkeit wäre auch dies noch eine relativ saubere Lösung, obwohl die Rentner ungeschoren davonkämen.

Die Jüngeren sollen zahlen Doch politisch im Vordergrund standen bisher Zusatzeinnahmen durch höhere Bundessubventionen und Lohnbeiträge. Gemessen am 2019 vom Volk angenommenen Paket AHV/Firmensteuern und an den Diskussionen über die laufende AHV-Revision, dürften insgesamt über 90% der geplanten finanziellen Verbesserungen für das Sozialwerk auf solche Zusatzeinnahmen entfallen. Solche Massnahmen zahlen vor allem die Jüngeren. So muss zum Beispiel ein 20-Jähriger einen zusätzlichen Lohnabzug noch 40 bis 50 Jahre lang tragen, ein 60-Jähriger aber nur noch 5 Jahre lang. Auch in der zweiten Vorsorgesäule – der beruflichen Vorsorge – ist Generatio-

nengerechtigkeit ein Fremdwort. Und dies, obwohl theoretisch in der zweiten Säule jeder Versicherte für sich selber spart.Die Praxis sieht schon lange anders aus. Gängig sind versteckte Quersubventionierungen von Jung zu Alt und von Gutverdienern zu Tiefverdienern. Die laufenden Renten sind, gemessen an den Beiträgen, insgesamt zu hoch. Gemäss der Oberaufsicht der beruflichen Vorsorge wurden seit 2014 pro Jahr im Mittel über 6 Mrd. Fr. von den Erwerbstätigen zu den Rentnern umverteilt. Hinzu kommt die ebenfalls systemfremde Umverteilung von «oben» nach «unten» via Unterschiede in der Rentenberechnung. Die vom Bundesrat 2020 vorgeschlagene Reform würde laut einer externen Studie die Umverteilung zulasten der Jüngeren sogar noch erhöhen.

Sechs Punkte für das Lehrbuch Die Blockaden in der Altersvorsorge liefern viel Futter für politische Lehrbücher. Dies sei hier anhand von sechs Thesen ausgeführt. ■ Vermischung von Umverteilungsströmen erschwert Lösungen. Die Altersvorsorge hat vor allem zwei grosse Umverteilungsströme, die im Prinzip systemwidrig sind: von jüngeren zu älteren Generationen und von höheren zu tieferen Einkommen. Tendenz: Je stärker eine Reform die Generationengerechtigkeit wieder herstellen würde (durch Erhöhung des Rentenalters und/oder Senkung der Jahresrenten), desto mehr würde auch die Umverteilung von oben nach unten reduziert. ­Darum kämpft die politische Linke am stärksten gegen ein nachhaltiges System. Sie will in erster Linie eine möglichst starke Umverteilung von oben nach unten und akzeptiert die Ungerechtigkeiten zwischen den Generationen als Sekundäreffekt. Gäbe es in der Altersvorsorge gar keine Umverteilung von oben nach unten, wäre Generationengerechtigkeit politisch eher möglich. Selbst dann wäre die Sache aber nicht leicht. Denn Umverteilungen


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von Jung zu Alt sind für alle Volksparteien politisch attraktiv – wegen des hohen Gewichts der Älteren an der Urne und wegen der naturgemäss relativ geringen Sensibilisierung der Jüngeren für das Thema Altersvorsorge. ■ Besitzstandwahrung über alles. Man nehme an, jeder Pensionierte bekäme eine Rente von mindestens 10 000 Fr. pro Monat. Und der Bundesrat würde dann im Interesse der Nachhaltigkeit des Systems eine generelle Rentenreduktion um 5% vorschlagen, womit jeder immer noch mindestens 9500 Fr. pro Monat hätte. Der Aufschrei unter dem Titel «Sozialabbau» wäre gross. Das Rentenniveau ist natürlich in der Praxis meist weit unterhalb der genannten Marke, doch insgesamt ist der Lebensstandard der meisten Rentner in der Schweiz viel höher als früher und aus Sicht von 90% der Weltbevölkerung auf sündhaft hohem Niveau. Auf welchem Niveau man auch immer ist: Jeder Verlust bringt einen Aufschrei. Laut einer alten Erkenntnis aus Ökonomie und Psychologie ist der Frust über einen Verlust meist viel stärker

Die politische Linke will in erster Linie eine möglichst starke Umverteilung von oben nach unten und akzeptiert die Ungerechtigkeiten zwischen den Generationen als Sekundäreffekt.

als die Freude über einen gleich grossen Gewinn. Ein zentraler Grund mag in der Evolutionsbiologie liegen: Die meisten Menschen haben während eines Grossteils der Geschichte am Rand des Abgrunds gelebt – weshalb nur schon kleine Einbussen eine existenzielle Gefährdung bedeuten könnten. In der heutigen Überflussgesellschaft Schweiz erscheint diese überragende Bedeutung der Besitzstandwahrung als grotesk, doch die Geschichte ist nicht so rasch von den Genen wegzubringen. ■ Subventionen sind Drogen. Dies hat direkt mit dem obigen Punkt zu tun. Sind Subventionen einmal gesprochen, bringt man sie fast nicht mehr weg – selbst wenn die ursprünglichen Gründe für die Sub-

vention nicht mehr vorliegen. Das gilt für offizielle Subventionen, die direkt vom Staat kommen, aber auch für versteckte Quersubventionierungen einer Gruppe zulasten anderer Gruppen. Aus einer Gesamtsicht wäre deshalb für Subventionen das Gleiche zu beherzigen wie für den Konsum von Kokain, Heroin und anderen Drogen: Man überlege sich lieber fünfmal, bevor man mit so etwas anfängt. ■ Profis verschleiern. Aus Sicht von Lobbyisten sind die besten Subventionen versteckt. Das System der Altersvorsorge ist wegen seiner Komplexität und zum Teil sehr langfristiger Folgewirkungen eine Einladung für Profi-Lobbyisten zur Zementierung von versteckten Umverteilungen. Die Verschleierung reduziert die Opposition, weil die Opfer gar nicht genau wissen, ob und allenfalls in welchem Umfang sie Opfer sind. Die Verschleierung erlaubt zudem den Profiteuren, sich selber und anderen vorzugaukeln, dass es gar keine Subventionen gebe und man somit alle Segnungen redlich selber verdient habe. So dürfte zum Beispiel wenig bekannt sein, dass die meisten AHV-Rentner ihre Rente nicht voll selber finanziert haben, sondern dass in vielen Fällen ein Drittel bis die Hälfte der Rente von anderen bezahlt wird – von Jüngeren und von den 10 bis 20% Reichsten. Das fördert noch zusätzlich die Anspruchshaltung sowie die Weigerung, auf Pfründen zu verzichten. ■ Folgegenerationen interessieren uns eher wenig. Die Menschen haben eine grosse Opferbereitschaft für ihre eigenen Kinder; dafür sorgen die Gene. Doch die Opferbereitschaft gegenüber einer anonymen und schwer definierbaren Masse namens «Folgegenerationen» ist stark beschränkt. Das beschränkt den politischen Druck, in der Altersvorsorge den Jüngeren und Ungeborenen möglichst keine Hypotheken zu hinterlassen. Das gilt im Prinzip auch für die Klimapolitik bei Vorschlägen, die direkt das Portemonnaie der heutigen Generationen treffen. Die direkte Demokratie hat viele Vorzüge. Doch auch sie stösst an ihre Grenzen, wenn zwischen dem Zeitpunkt des Entscheids und den Folgen Jahrzehnte vergehen können und die Kosten-Nutzen-Abwägung zwischen den Generationen sehr ungleiche Saldi bringt. ■ Ausreden sind willkommen. Es geht den Menschen nicht nur ums Geld. Man will typischerweise auch als «fair» wahrgenommen werden und sich selber so sehen. Die wenigsten wollen hören, dass sie sich um das Schicksal von künftigen Generationen

foutieren. Darum gibt es eine starke Nachfrage nach Ausreden für das Beharren auf dem Status quo und ein ebenso starkes Angebot. Zu den Klassikern in der Altersvorsorge gehört etwa die Behauptung, dass es keine Umverteilungen von Jung zu Alt gebe oder dass solche Umverteilungen in der Natur des Systems lägen. Beliebt ist auch die Behauptung, dass eine Erhöhung des Rentenalters nur mehr Arbeitslose produziere, weil der Arbeitsmarkt eine solche Erhöhung nicht verdauen könne. Solche Schutzbehauptungen sind zwar falsch. Aber das ändert nichts an ihrer Beliebtheit, weil sie nicht schon auf den ersten Blick völlig unplausibel erscheinen.

Ohne Patentrezept Patentrezepte gegen die genannten Phänomene gibt es nicht. Zu den genannten Vorschlägen aus der internationalen Literatur und Praxis gehören etwa ein Verfassungsartikel zugunsten künftiger Generationen oder die Bildung eines «Zukunftsgremiums» als Lobbyist für die Folgegenerationen. Ob dies viel nützen würde, erscheint eher zweifelhaft. Die auch schon genannte Idee einer höheren Stimmgewichtung der Jungen brächte derweil neue Probleme. Eher erfolgversprechend erscheint das Verankern von Nachhaltigkeitsgrundsätzen wie etwa einer Schuldenbremse für den Staatshaushalt oder die AHV. Solche Grundsätze mögen eher mehrheitsfähig sein als konkrete Beschlüsse für Sparprogramme oder ein höheres Rentenalter. Dennoch lassen in der Altersvorsorge der Schweiz solche Grundsätze immer noch auf sich warten. Am Ende mag die vielleicht wichtigste Massnahme die banalste sein: Aufklärung. Immer wieder.

www.nzz.ch/ld.1634377


8 DIE SCHWEIZER UND IHR GELD

Meine Pensionskasse, das unbekannte Wesen Eigentlich ist unser Autor ganz fit bei Finanzthemen, er ist ja Wirtschafts- journalist. Im Gespräch mit einem neutralen Berater kommt er dennoch ins Staunen. Von Jürg Meier

Geld, ganz praktisch: Beim Thema Finanzen gibt es Theorie und Praxis. In dieser Serie beschreiben Redaktoren der «NZZ am Sonntag» ihre persönlichen Erfahrungen mit Geldfragen.

Der Journalistenberuf hat viele Vorteile. Ich darf für meine Artikel Woche für Wo­ che die klügsten Menschen befragen. ­Danach werde ich Wochenende für Wo­ chenende von Familie und Freunden mit Fragen gelöchert. «Du kennst dich doch

aus», heisst es dann. Sag mal, haben wir am Aktienmarkt eine Blase? Soll ich Bit­ coins kaufen? Warum hat unser Hund Mundgeruch? Solch wichtige Fragen und viele mehr prasseln auf mich ein. Ich denke dann jeweils an mein geliebtes

ILLUSTRATION ANDREA CAPREZ

deutsches Sprichwort «Rat geben ist ein­ facher als helfen» und doziere gerne et­ was vor mich hin. Warum auch nicht? Ich habe mich zuvor ja mit ganz vielen klu­ gen Menschen über solche Themen unterhalten.


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Wenn die Fragen allerdings zu konkret werden, sage ich seit Jahren das Gleiche: Zu diesem Thema lasst ihr euch am bes­ ten unabhängig beraten. Ich selbst habe das natürlich nicht nötig, ich bin ja schliesslich Wirtschaftsjournalist. Das ist von jeher meine Überzeugung – bis zu dem Tag, als ich mich erstmals nä­ her mit meiner Pensionskasse befassen will. Der Grund: Ich war für einen Mo­ ment unachtsam. Und plötzlich bin ich 51. Ich liebe meinen Job zwar, aber ich muss mir dennoch darüber Gedanken machen, was mit mir passiert, wenn ich mit 65 nicht mehr ins Büro darf. Oder wenn ich der jungen Generation eine Chance geben will und meinen Tisch gar früher räume. Das ist durchaus eine Op­ tion, denn das gäbe mir genug Zeit für mein Hobby: der jungen Generation zu predigen, dass sie von gar nichts eine Ah­ nung hat.

sung schiebt er uns eine 40 Seiten dicke Analyse unserer Vermögensverhältnisse zu. Bald darauf fällt mir auf: Er kennt die­ ses Papier so gut, dass er uns ganze Seiten mit kleingedruckten Zahlenkolonnen souverän erklären kann, obwohl sie für ihn auf dem Kopf stehen. Das schafft Ver­ trauen. Auch darum, weil einer meiner Jugendhelden der Rock-Keyboarder Keith Emerson war. Der konnte seine Ham­ mondorgel sogar dann spielen, wenn die Tasten auf dem Kopf standen. Die Beratung führt zu einem eindeuti­ gen Ergebnis. Für meine Frau und mich lohnt es sich, uns das Kapital bei der Pen­ sionierung so weit als möglich auszahlen

len. Wenn wir die Steuerersparnis mit dem Betrag verrechnen, den wir in die Pensionskasse gesteckt haben, resultie­ ren die genannten 4,43% Rendite. Ver­ gleichen Sie das einmal mit dem Zins Ihres Sparkontos. Manche dieser Erkenntnisse hätten wir uns auch selber erarbeiten können. Wenn wir uns zum Beispiel abendelang durch Pensionskassenreglemente ge­ kämpft hätten, anstatt Pommes Chips zu essen und dazu auf Netflix «The Crown» zu schauen. Doch zu berechnen, wie sich verschiedene Varianten langfristig aus­ wirken oder welche Rolle Zinsen und In­ flation spielen – das hätten wir nie ge­ schafft. Irgendwann kommt ja die nächste Staffel von «The Crown».

Lassen wir uns das Pensionskassenkapital auszahlen, sparen wir auch Steuern.

Tröstliche Erkenntnis

Entscheidende Pensionskasse Um über all diese Fragen rund um die Al­ tersvorsorge zu entscheiden, brauche ich zuerst eine klare Vorstellung davon, wie es mit der Pensionskasse steht. Der Bei­ trag der ersten Säule, der AHV, lässt sich relativ einfach berechnen, ebenso die Säule 3a, deren Geld sich meist recht gut sichtbar bei einer Bank oder Versicherung ansammelt. Aber die Pensionskasse? Wie viel Geld ist von ihr zu erwarten? Sollen meine Frau und ich uns dieses Geld als monatliche Rente auszahlen lassen? Oder doch lieber das Kapital beziehen? Und wenn wir das tun: Was machen wir dann mit all dem Geld, wenn es einmal auf unserem Konto liegt? Müssen wir am Schluss gar noch Negativzinsen zahlen? So beschliessen meine Frau und ich, uns für eine Beratung bei einem unab­ hängigen Experten anzumelden. Beim ersten Gespräch fallen mir zuerst die he­ rausgeputzten Büros auf. Bei meinen Interviews mit Bankenchefs hatte ich mich schon früher jedes Mal gefragt, wes­ halb die Empfangsräume von Finanzin­ stituten immer aussehen, als seien sie erst am Tag zuvor renoviert worden. Jetzt, da es um mein eigenes Geld geht, wird mir klar: Auch ich will an einem Ort empfangen werden, an dem mir jede perfekt aufgestellte Vase und jeder feh­ lerlos ausgeführte Wandbelag zuruft: «Wir wissen, wie man mit Geld umgeht. Darum ­können wir jeden Tag in einer perfekten Welt leben.» Wegen Covid-19 finden die Gespräche in gelüfteten Räumen statt. Eine Plexi­ glaswand trennt uns von unserem Bera­ ter, der uns gegenübersitzt. Als Begrüs­

zu lassen. Das macht uns finanziell fle­ xibler, weil wir nicht jeden Monat auf die Rente warten müssen – ein grosser Vor­ teil für ein kinderloses, dem Genuss durchaus zugetanes Ehepaar. Wir laufen zwar Gefahr, dass uns im hohen Alter das Geld ausgeht, eine Situation, die im Jar­ gon «Langleberisiko» heisst. Doch weil wir auch noch ein paar andere Pfeile im Köcher haben – etwa unsere Eigentums­ wohnung – sind wir auch dafür genügend abgesichert. Und noch etwas kommt dazu: Lassen wir uns das Pensionskas­ senkapital auszahlen, sparen wir auch noch Steuern. Ohnehin ist die Bedeutung der Steu­ ern der Faktor, der uns in der Beratung am meisten überrascht. Meine Freunde und Verwandten sollten mich nicht mit Fragen über erfolgversprechende Aktien oder kurz vor dem Durchbruch stehende Kryptowährungen löchern. Sondern sich einmal genauer mit ihren Steuerverhält­ nissen befassen. Unser Berater hat genau das gemacht. Das Resultat: 4,43%. Diese Rendite erzie­ len wir, wenn wir drei Jahre hintereinan­ der einen Teil unserer Ersparnisse an unsere Pensionskasse überweisen – «Pen­ sionskasseneinkauf» wird das in der Fachsprache genannt. Den Einkaufsbe­ trag dürfen wir in der Steuerrechnung vom Einkommen abziehen. Mit der Folge, dass wir aus Sicht des Steueramtes plötz­ lich wieder so wenig verdienen wie zur Zeit, als wir unsere ersten Stellen antra­ ten. Und auch viel weniger Steuern zah­

Nach zwei Stunden wackeln wir leicht be­ nommen aus dem Beratungsgespräch und sind erstaunt über all die Dinge, die wir nicht wussten. Es gibt aber auch eine tröstliche Erkenntnis: Weil sich meine Frau und ich schon lange um Finanzfra­ gen kümmern, haben wir vieles richtig gemacht. Etwa beim Hypothekarzins gnadenlos mit den Banken verhandelt. Das hat uns viel Geld gespart. Natürlich kann eine Beratung nicht Antworten auf alles geben. Sollen wir das Geld wirklich in die Pensionskasse ste­ cken? Oder würden wir nicht doch besser die Hypothek weiter abzahlen, wie wir es geplant hatten? Diese Entscheidungen nimmt einem ein Berater nicht ab. Aber wenn man sie fällt, weiss man genau, wie die Alternativen aussehen – denn zuvor hat sie der Experte in seitenlangen Kolon­ nen vorgerechnet. Entscheidend ist: Die Berater müssen unabhängig sein und dürfen keine Fi­ nanzprodukte verkaufen, wie das viele Banken und Versicherungen tun. Das heisst aber auch: Die Beratung kostet, weil solche Firmen keine Kommissionen erhalten. Ein paar tausend kommen für uns schon zusammen. Aber der finan­ zielle Nutzen übersteigt diesen Betrag bei weitem. Und wenn einen der Betrag är­ gert: Dann macht man halt die nächsten Ferien nicht im Vierstern-, sondern im Zweisternhotel. Oder man kauft einen Occasionskombi statt einen neuen SUV. Und schwups, hat man das Geld wieder drin. So habe ich also die Medizin, die ich meinen Fragestellern so gerne verordne, jetzt auch selbst geschluckt und habe mich beraten lassen. Zum guten Glück.

https://nzzas.nzz.ch/ld.1604087


10 DIE SCHWEIZER UND IHR GELD

Ein kleines Aktienportfolio für meine Mutter Über Anlagethemen in der Zeitung zu schreiben, ist das eine. Die eigene Mutter zu beraten, das andere. Unsere Autorin wagt den Kantengang. Von Birgit Voigt Wenn meine Mutter mir von den Gesprä­ chen mit ihrem Bankberater erzählt, rollt sie oft mit den Augen. Seine Stan­ dardvorschläge missfallen ihr gründlich. Meist zielen sie darauf ab, sie zu einem teuren Verwaltungsmandat zu überre­ den. Ich lache oft und bedaure den Bankangestellten. Denn auch wenn meine inzwischen 87-jährige Mutter graue Haare auf dem Kopf hat, denkt sie noch blitzschnell. Ein altes Muttchen ohne Ahnung vom Anlegen ist sie jeden­ falls nicht. Geld war in ihrer Familie immer ein Thema, vor allem, wie es sich anfühlt, wenn man alles verliert. Als Kind hörte sie von ihrer Grossmutter immer wieder, wie in den 1920er Jahren die Hyperinfla­ tion Barvermögen in Luft auflöste. Eine Generation später flüchtete sie selbst vor dem kommunistischen Regime der DDR in den Westen. Damals eine ganz junge Frau, trug sie auf der illegalen Ausreise alle Kleider, die sie anziehen konnte. Es war Hochsommer, und sie sass voller Angst vor Entdeckung mit ihrem Winter­ mantel im Zug.

Anleihen mit sieben Prozent Trotz oder wegen der prägenden Erleb­ nisse als Flüchtling hat sie früh begon­ nen, Erspartes anzulegen. Wenn sie dann an die positiven Erfahrungen in den 1990er Jahren denkt, bekommt sie glän­ zende Äuglein: «Damals war das Anlegen einfach.» Sie findet in ihren Unterlagen Belege für deutsche Staatsanleihen, die mit 7% verzinst wurden. Später kamen Obligationenfonds und Unternehmensanleihen hinzu, und als die Erträge auch da immer mickriger wurden, setzte sie auf die eine oder an­ dere Aktie. Dabei kam ich als Tochter mit ererbter Affinität zu Geldthemen ins Spiel. Bei meinen wöchentlichen Besu­ chen bekomme ich seit Jahren jeweils ausgeschnittene Zeitungsartikel vorge­ legt, die sich mit Firmen befassen, die meine Mutter interessant findet.

Positive Berichterstattungen auf Fi­ nanzwebsites wie Cash.ch und in der Tageszeitung sind ihre Indikatoren. Dabei hat sie oft ein besseres Gespür für gute Firmen als meine Wenigkeit, die meist die Berichte von Finanzana­ lysten zu Rate zieht. Im Grundsatz ist ihr Portfolio aber konservativ ausge­ richtet, mit einem Fokus auf Dividen­ den. Es finden sich die üblichen Schweizer Blue-Chip-Aktien und ein, zwei eher exotische Investments. Zu­ gegebenermassen ist das keine weltbe­ wegende Anlagestrategie. Nach dem letzten Börsenabsturz vor einem Jahr und der beispiellosen Kurs­ erholung in den letzten Monaten krei­ sen unsere Gespräche inzwischen im­ mer wieder um das Thema Inflation. Meine Mutter kramt in den Erinnerun­ gen und spricht darüber, dass ein Ei frü­ her 20 Pfennig kostete. Ich sage dann: «Mama, das war vor hundert Jahren.» Sie sagt: «Warte es nur ab.» Zusammengefasst kann der Leser leicht erkennen: So richtig analytisch und strukturiert gingen wir bisher nicht vor. Die Gefühle stehen uns im Weg. Doch mit dem neuen Jahr wollen wir einen neuen Anlauf nehmen. Ich sehe nicht gerade die Hyperinflation zurück­ kehren. Aber wenn man beobachtet, wie alle Staaten Geld in Umlauf bringen und jetzt in den USA die langfristigen Zinsen auf Staatsanleihen plötzlich hochschies­ sen, muss man sich als Anleger für eine neue Phase wappnen.

Quadratur des Kreises Wir sind deshalb in den letzten Wochen in die Welt der ETF eingetaucht und ha­ ben ein theoretisch wünschbares Port­ folio zusammengebastelt. Das Ziel war die Quadratur des Kreises: einen Teil des Vermögens mit konservativen Anla­ gen sichern, etwas Einkommen über Di­ videnden generieren und ein bisschen Wachstum einbauen. Dabei bitte mög­ lichst wenig Währungsrisiko eingehen,

und ja, ein bisschen Spass am Zocken möchte meine Frau Mama auch noch haben. Für den defensiven Teil bleiben wir der Schweiz und dem Franken treu. Wir mögen die lokalen Konzerne mit ihren unterschiedlichen Qualitäten. Nestlé, Roche und Novartis gelten als krisenre­ sistent und sind solide Dividendenzah­ ler. Die Finanzbranche mit Versicherun­ gen und Banken ist bei steigenden Z ­ insen im Aufwind, und vor allem die Versiche­ rungen zahlen gute Dividenden. Wir pla­ nen, insgesamt die Hälfte des anvisierten Kapitaleinsatzes auf zwei Schweizer ETF zu verteilen: den UBS ETF SMI für die grosskapitalisierten Werte als Grund­ stein und als Ergänzung den UBS ETF SPI Mid für eine breite Abdeckung der inno­ vativen mittelgrossen Unternehmen im Land. Dazu hält meine Mutter an einem vor Jahren gekauften ETF auf den deut­ schen Mittelstandsindex MDAX fest. Da die deutsche Autoindustrie starke Erho­ lungsanzeichen zeigt, bin ich einverstan­ den. Daneben hoffen wir, dass die Eurozone als Ganzes etwas besser in die Gänge kommt. Zur breiteren Verteilung der Risiken wollen wir bei den umliegenden Nach­ barn einen kleineren Batzen anlegen. Da­ bei treibt uns beide das Währungsrisiko um, wenn man aus dem Frankenraum in Euro anlegt. Aber im Moment scheint sich der Franken abzuschwächen. Wir schwanken zwischen zwei ETF, die beide auf europäische Dividendentitel zielen, aber eine unterschiedliche Auswahl an Firmen auflisten. Ich plädiere für den State Street S&P Euro Dividend Aristo­ crats mit 40 Unternehmen. Der setzt einen Schwerpunkt bei den Versorgern. Da wachsen die Bäume nicht in den Himmel, doch es locken 3,1% ausge­ schütteter Rendite. Der MDAX-ETF soll dann, wie schon bisher, für das Wachs­ tum sorgen. Dann kommt die knifflige Frage, was gegen inflationäre Tendenzen hilft. Gold kaufen, am liebsten ein paar Vreneli


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Geld, ganz praktisch: Beim Thema Finanzen gibt es Theorie und Praxis. In dieser Serie beschreiben Redaktoren der «NZZ am Sonntag» ihre persönlichen Erfahrungen mit Geldfragen.

unters Kopfkissen? Wir wissen es beide besser: zu teuer und zu riskant. Wir eini­ gen uns auf einen Rohstoff-Fonds, der Edel- und Industriemetalle sowie Ener­ gieträger abbildet und – da der Dollar ein Wackelkandidat ist – zumindest die Euro­ währung absichert: Lyxor Commodity ex Agriculture Euro hedged. Amerikanische Aktien sind uns in­ zwischen schlicht zu teuer. Wir haben den Zug verpasst und trösten uns damit, dass wir nicht viel für die Internet-Gi­ ganten übrighaben. Nach einer soliden Korrektur könnten wir uns für einen der vielen ETF auf den S&P 500 ESG erwär­ men. Stattdessen wollen wir uns noch eine Prise Asien ins Portfolio holen. Auch hier fällt die Wahl schwer. Sollen

Die Beratung besteht nur noch darin, einen Link zur neuen App zu schicken.

wir auf einen Fonds setzen, der den Schwerpunkt bei Informationstechnolo­ gie hat oder bei Finanzen? Einer mit oder ohne Dividende? Einer mit viel China drin oder mit viel Hongkong? Mo­ ralisch halten wir es mit Hongkong,

ILLUSTRATION ANDREA CAPREZ

pragmatisch sehen wir China im Vorteil. Im Moment ist der UBS ETF auf den MSCI AC Asia Ex Japan in Dollar der Fa­ vorit. Unsere Diskussionen zogen sich ein paar Wochen hin. Dazwischen galt es für meine Mutter, in der neuen Welt des Bankings nicht den Anschluss zu verlie­ ren. «Die Beratung besteht bald nur noch darin, einen Link zur neuen Login-App zu schicken», beschwerte sie sich vor wenigen Wochen, als ihr Institut die Sicherheitsmassnahmen fürs E-Banking verschärfte. Doch inzwischen steht das Probe-Portfolio. Jetzt müssen wir uns nur noch trauen, es auch umzusetzen.

https://nzzas.nzz.ch/ld.1605303


12 DIE SCHWEIZER UND IHR GELD

Mein langer Weg zur dritten Säule Unser Autor liess sein halbes Berufsleben verstreichen, bis er endlich begann, seine private Vorsorge zu äufnen. Nun tut er es dafür mit Überzeugung. Von Markus Städeli

Geld, ganz praktisch: Beim Thema Finanzen gibt es Theorie und Praxis. In dieser Serie beschreiben Redaktoren der «NZZ am Sonntag» ihre persönlichen Erfahrungen mit Geldfragen.

Der Entschluss, in die 3. Säule einzuzah­ len, reifte vor etwa zwei Jahren. Im Mai 2019 schritt ich zur Tat: Ich richtete einen Dauerauftrag ein. Seither fliessen Monat für Monat 567 Franken vom Lohnkonto

zum Anbieter meiner Vorsorgelösung. Dessen Namen werde ich später noch ver­ raten. Vorher jedoch gilt es etwas zu er­ klären. Ich bin bereits 47 Jahre alt und kann die Vorboten des Niedergangs nicht

ILLUSTRATION ANDREA CAPREZ

länger ignorieren: Sehschwäche, steife Gelenke, ein alkoholbedingtes Doppel­ kinn, permanent gewordene Sorgenfal­ ten. Kein Zweifel, es geht rasch abwärts mit mir.


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Und so liegt die Frage auf der Hand: Wieso um Himmels willen habe ich so lange zugewartet, bevor ich tat, was mir Banken und Versicherungsberater seit je ans Herz legen: in die 3. Säule einzahlen? Denn alle Zeichen deuten darauf hin, dass den Gürtel sehr eng schnallen muss, wer im Rentenalter nur AHV und Pensions­ kasse hat. Ist es nicht eine Art Bürger­ pflicht, eigenverantwortlich fürs Alter vorzusorgen und dabei auch noch Steu­ ern zu sparen? Mein Versäumnis hat nichts mit ju­ gendlichem Leichtsinn zu tun. Ich bin mindestens seit der Primarschule ein sehr ernsthafter Mensch. Fehlendes Wis­ sen kann ich ebenfalls nicht geltend ma­ chen: Im zarten Alter von 20 heuerte ich bei einer Grossbank an, wo mir innert Monaten jegliche Unschuld in Finanzfra­ gen abhandenkam. Trotz einigen Auszei­ ten, in denen ich mit dem Rucksack durch entfernte Weltgegenden irrte, war ich in all den Jahren selten zu klamm, um nicht trotzdem etwas in die 3. Säule einzuzahlen. Der Grund, weshalb ich so spät auf den richtigen Weg gekommen bin, ist viel­ mehr ein tiefes Misstrauen gegenüber der Finanzindustrie. Mir fiel der Zusammen­ hang zwischen den überteuerten, aber meist sehr mittelmässigen Anlagepro­ dukten der Banken und den hohen Boni ihrer Manager schon früh auf. Und eine Sache war mir immer klar: Ich wollte nicht einfach auf ein 3a-Konto einbezah­ len, sondern das Geld in Wertschriften anlegen. Aber hatte ich Lust darauf, für eine so banale Dienstleistung jährlich 2% Gebühren abzudrücken? No way!

Nicht übers Ohr gehauen Anfang der nuller Jahre eröffnete ich zwar bei meiner Hausbank ein 3.-SäuleKonto, doch da war ich noch nicht über ihre Gebührenordnungen im Bilde. Erst hinterher studierte ich die Konditionen der Wertschriftenprodukte. Die Lektüre der Hochglanzbroschüre verstörte mich so sehr, dass ich es bleiben liess. Ich zahlte nie einen Rappen auf mein frisch eröffnetes Konto ein. Dafür begann ich, bei einem Online-Broker auf eigene Faust zu investieren. Ohne Steuervorteile, aber immerhin mit dem guten Gefühl, nicht übers Ohr gehauen zu werden. Natürlich hätte ich einen Anbieter fin­ den können, der in der 3. Säule nicht ganz so heftige Gebühren verrechnet wie meine Hausbank. Finanziell hätte sich das bestimmt gelohnt. Aber ich war ein Prinzipienreiter, und diese neigen nun einmal dazu, Dummheiten zu begehen.

Dafür streue ich mir hier Asche aufs Haupt. Diese Episode möchte ich trotzdem noch schildern: Jahre später lud mich meine Bank zu einem Kundengespräch ein. Es war gerade Finanzkrise, sodass sie sich genötigt sah, ausnahmsweise auch mit kleinen Fischen wie mir zu verkehren – auch wenn das ihren Mitarbeitenden als eine lästige Pflicht vorgekommen sein muss. Ich nahm den Termin gern wahr, aus beruflichem Interesse. Als Wirt­ schaftsjournalist war es reizvoll, den Be­ rater einer Bank zu sprechen, deren schnell wechselnde Chefs ich damals oft zu Gesprächen traf.

Ich zahlte nie einen Rappen auf mein frisch eröffnetes 3a-Säulen-Konto ein.

Ein junger, glatt gegelter Banker nahm mich in Empfang. Es sei ihm aufgefallen, dass ich ein Konto für die 3. Säule eröff­ net, aber nie etwas darauf einbezahlt hätte. Ich erklärte ihm, dass mich die ho­ hen Gebühren seines Arbeitgebers nach­ haltig verschreckt hätten. Der Mann lachte und sagte mir freimütig, auch er habe seine 3. Säule anderswo. Die Gebüh­ ren seien tatsächlich absurd hoch, selbst mit Mitarbeiterkonditionen. Das Thema 3. Säule war für mich da­ mit für viele Jahre vom Tisch. Doch nach und nach drangen Nachrichten über posi­ tive Entwicklungen an mein Ohr. Erstens kamen die exzessiven Gebühren unter Druck. Zweitens begannen die Anbieter, den Aktienanteil ihrer Produkte zu erhö­ hen. Früher war dieser bizarrerweise bei 50% plafoniert. Und drittens, und jetzt wurde ich hellhörig, kamen erste 3a-Pro­ dukte auf den Markt, die auf Indexfonds (ETF) basierten. ETF sind zweifellos die wichtigste Erfindung der Finanzbranche seit dem Bancomaten. Sie haben einen Demokratisierungsschub an der Börse ge­

bracht. Denn mit ETF können Kleinanle­ ger zu einem Bruchteil der Kosten ganze Wertschriftenbündel kaufen – und sind dadurch gut diversifiziert. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, trumpfte das VZ Vermögenszen­ trum als erste Firma mit einer ETF-3a-­ Lösung auf. Die zweite, die auf meinem Radar auftauchte, war Viac. Dort wurde ich Kunde. Inzwischen sind weitere An­ bieter zum Reich des Guten überge­laufen, etwa die Zürcher Kantonalbank mit ihrem Produkt Frankly. Wir sind im 21. Jahrhun­ dert angekommen!

Volle Transparenz Diese 3a-Lösung baut nicht nur auf kos­ tengünstige ETF, sondern zeichnet sich auch durch maximale Transparenz aus. Ich will das Wachstum meines Vorsorge­ vermögens auf meinem Handy verfolgen können. Ich möchte neben Anlagelösun­ gen ab der Stange, die nach Risikonei­ gung abgestuft sind, auch die Möglichkeit haben, mein Depot individuell zusam­ menzustellen. Und diesen Mix auch je­ derzeit wieder ändern können. Nicht weil ich denke, dass das notwendigerweise bessere Anlageresultate bringt. Doch ich wünsche mir Kontrolle. Punkt. Nach anfänglichem Herumschrauben an der Zusammensetzung meines ETFPortfolios fahre ich nun schon seit länge­ rem mit diesem Mix: 5% Barmittel, 10% grosse Schweizer Aktien, 15% kleine und mittelgrosse Schweizer Aktien, 10% japa­ nische Aktien, 15% Schwellenländerak­ tien, 10% Dividendenaktien weltweit, 15% Schwellenländeranleihen, 10% Im­ mobilien Schweiz, 10% Immobilien Europa. Das ist ein sportliches Portfolio. Es liegt jetzt 13% im Plus, aber im April letzten Jahres war ich damit auch einmal 18% unter Wasser. Mein Anbieter nimmt jeden Monat ein sogenanntes Rebalancing vor. Dabei wer­ den Anlagen, die besonders gut gelaufen sind, relativ zu den anderen reduziert. Jene, die zurückgeblieben sind, aufge­ stockt. Das und meine Angewohnheit, je­ den Monat den gleichen Betrag einzuzah­ len, wirkt glättend auf die Entwicklung. Und jetzt schaue ich noch rasch in meiner App, was mich der ganze Spass kostet: 0,49% pro Jahr, all-in. Ein gutes PreisLeistungs-Verhältnis, finde ich. Nein, der Schein trügt nicht: Nach langem Hadern mit der 3. Säule bin ich nun zu einem glü­ henden Verfechter geworden. Ich würde am liebsten auch mein Pensionskassen­ geld auf diese Art und Weise verwalten.

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14 DIE SCHWEIZER UND IHR GELD

So verdiene ich mit der AHV eine Million Franken Brav zahlt unser Autor in die AHV ein. Doch nun will er wissen, welche Rente er erwarten kann. Es geht um sehr viel Geld, wie er bald erkennt. Von Albert Steck Habe ich in meinem Leben effektiv so viel Geld verdient? Der AHV-Auszug erzeugt bei mir eine freudige Überra­ schung: Als ich das Couvert der Aus­ gleichskasse öffne, finde ich darin eine lange Liste mit allen Gehältern, die ich Jahr für Jahr erhalten habe. Am Ende steht die stolze Summe von: 2 675 080 Fr. Der Schweiss und die strapazierten Nerven im Job haben sich also gelohnt. Im Dokument lese ich ebenso, dass mein erster AHV-pflichtiger Lohn auf das Jahr 1986 zurückgeht. Das war der erste Ferienjob vor 35 Jahren. Für das gesamte bisherige Erwerbsleben ergibt das somit ein durchschnittliches Jah­ resgehalt von 76 000 Fr. – Mittelmass, könnte man sagen. Den AHV-Auszug – er ist übrigens gratis – habe ich bestellt, um die Höhe meiner künftigen Altersrente abzu­ schätzen. Immerhin zahle ich von mei­ nem Lohn eine ansehnliche Summe in das Sozialwerk ein: 8,7% beträgt der derzeitige AHV-Lohnbeitrag, der hälftig von Arbeitgeber und Arbeitnehmer übernommen wird. Folglich sind durch meine Erwerbstätigkeit schon mehr als 200 000 Fr. in die AHV geflossen, die den heutigen Rentnern zugutegekom­ men sind. Der Auszug hat noch einen weiteren Nutzen: Ich kann kontrollieren, ob meine AHV-Beiträge Lücken aufweisen. Zurzeit liegt die minimale Einzahlung bei 503 Fr. im Jahr. Zum Glück habe ich diese Schwelle stets erreicht, auch in meinem Studium. Denn pro fehlendes Beitragsjahr würde meine Rente le­ benslänglich um einen 44-stel gekürzt. Eine Lücke könnte ich rückwirkend während fünf Jahren korrigieren. Das voraussichtliche Datum meiner Pensionierung ist der 1. November 2033. Nun kann ich eine erste Hoch­ rechnung zu meiner künftigen AHVRente vornehmen. Dazu hilft mir die sogenannte Skala 44, welche im Inter­ net unter www.ahv-iv.ch publiziert ist.

Maximalrente beträgt 2390 Franken Je nach Zivilstand muss ich zwei Varian­ ten beachten. Zuerst der Fall für eine le­ dige Person: Als ersten Schritt teile ich meine Lohnsumme aus dem AHV-Aus­ weis durch die Zahl 44. Wäre meine Pen­ sionierung bereits heute, so würde mir die AHV einen Jahreslohn von 60 800 Fr. anrechnen (2 675 080 Fr. geteilt durch 44). Gemäss der Skala 44 hätte ich somit Anspruch auf eine monatliche AHVRente von 2070 Fr. Was mir die Skala anschaulich zeigt, ist die Umverteilung zwischen hohen und tiefen Einkommen: Hätte ich nur einen halb so hohen Jahreslohn von­ 30 400 Fr., so würde meine Rente nicht auf die Hälfte schrumpfen. Stattdessen bekäme ich immer noch 1570 Fr. im ­Monat – also 500 Fr. weniger.

90 Prozent der Rentner erhalten mehr Geld aus der AHV, als sie dafür bezahlt haben.

Umgekehrt ist die AHV nach oben be­ grenzt: Die Maximalrente liegt zurzeit bei 2390 Fr. pro Monat. Damit ich im Alter so viel Geld erhalte, muss ich im Berufsleben im Schnitt 86 040 Fr. pro Jahr verdient ha­ ben – dies ist das maximale rentenbil­ dende Einkommen. Mehr Lohn würde mir keine höhere Rente ermöglichen. Wenn ich die 86 040 Fr. mit 44 multi­ pliziere, so erhalte ich eine Lohnsumme von 3 785 760 Fr. In der Praxis wird diese

Zahl noch um die Inflation bereinigt. Trotzdem kann ich anhand dieser Zahl ungefähr abschätzen, wie viel Geld ich in den verbleibenden Jahren bis 65 verdie­ nen muss, um in den Genuss der Maxi­ malrente zu kommen. Was ich bei der Prognose ebenfalls berücksichtigen muss: Die AHV-Rente ­ steigt über die Zeit an. Die Zunahme ist je zur Hälfte an die Teuerung und die Lohn­ entwicklung gekoppelt. So lag die maxi­ male Monatsrente vor 30 Jahren noch bei 1600 Fr. Nehmen wir an, dieser Betrag würde während meines Ruhestands im Schnitt auf 3000 Fr. pro Monat steigen, das wäre ein Viertel mehr als heute. Dann müsste ich als alleinstehender Rentner 93 Jahre alt werden, um mit der AHV ins­ gesamt 1 Mio. Fr. zu verdienen. Eine Million ist viel Geld. Das wäre auch deutlich mehr, als ich selber in das Sozialwerk einbezahlt habe. Wobei zu be­ rücksichtigen ist, dass ich die AHV nicht nur über meine Lohnbeiträge mitfinan­ ziere, sondern ebenso durch die Steuern – rund ein Viertel der jährlichen Einnah­ men von 44 Mrd. Fr. erhält die AHV auf diesem Weg. Trotzdem: Die erste Säule ist eine grosse Umverteilungsmaschine. Laut Schätzungen erhalten 90% der Rentner mehr Geld aus der AHV, als sie dafür be­ zahlt haben. Subventioniert wird das So­ zialwerk durch die Topverdiener sowie die jüngere Generation, welche dereinst für eine immer grössere Zahl an Pensio­ nären sorgen muss. Da ich verheiratet bin, kommt für mich eine zweite Variante der Rentenbe­ rechnung zur Anwendung – welche noch­ mals etwas komplizierter ist. Ab der Ehe­ schliessung fliesst die Hälfte meines Ein­ kommens auf das AHV-Konto meiner Frau, umgekehrt wird mir die Hälfte ihrer Lohnsumme angerechnet. Zudem erhal­ ten wir Erziehungsgutschriften: Für jedes Jahr, in dem mindestens eines unserer drei Kinder unter 16 ist, werden uns bei­ den je gut 20 000 Fr. gutgeschrieben (auch dieser Betrag ändert sich über die


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Geld, ganz praktisch: Beim Thema Finanzen gibt es Theorie und Praxis. In dieser Serie beschreiben Redaktoren der «NZZ am Sonntag» ihre persönlichen Erfahrungen mit Geldfragen.

Zeit). In unserem Fall erhöht das die Lohnsumme um jeweils rund 0,5 Mio. Fr. Während ich als Alleinstehender eine Maximalrente von 2390 Fr. erreichen könnte, ist der Betrag für Ehepaare auf 150% plafoniert. Somit erhalten meine Frau und ich zusammen höchstens­ 3585 Fr. Diese Grenze sorgt in der Politik regelmässig für Debatten – die Mitte-Par­ tei will das Maximum auf 155% erhöhen, was derzeit einer Summe von 3705 Fr. entspräche.

Paare erreichen meist den Plafond Der Einfachheit halber nehme ich an, dass meine Frau und ich schon vor der Heirat gleich viel verdient hätten. Somit

kann ich die 3585 Fr. durch 2 dividieren und erhalte eine Maximalrente von je­­ Fr. 1792.50. Laut der Skala 44 benötigen wir dazu ein jährliches Durchschnittsein­ kommen von je rund 42 000 Fr. Wenn ich diese Zahl mit 44 multipliziere, komme ich auf eine erforderliche Lohn­ summe von je 1,85 Mio. Fr. Angerechnet wird dabei auch die erwähnte Erzie­ hungsgutschrift von 0,5 Mio. Fr. Somit kann ich davon ausgehen, dass meine Frau und ich im Ruhestand der­ einst die maximale Ehepaarrente errei­ chen. Wir sind dabei in guter Gesellschaft: Rund 60% der Rentnerpaare e ­ rhalten laut Statistik den Höchstbetrag der AHV. Als Zwei-Personen-Haushalt benötigen wir ein kleineres Budget als eine alleinste­ hende Person. Damit sind wir als Paar

ILLUSTRATION: ANDREA CAPREZ

auch weniger auf die Subventionierung durch andere angewiesen, um unsere künftige Rente zu finanzieren. Wenn ich oder meine Ehefrau im Ru­ hestand stirbt, ändert die Rentenberech­ nung erneut: Für die hinterbliebene Per­ son fällt die Plafonierung weg. Zudem wird die Rente bis zum Maximum von 2390 Fr. um einen Verwitwetenzuschlag von 20% aufgestockt. Das Fazit meiner persönlichen Rentenprognose: Die AHV ist ein komplexes Werk, und auch die Rentenberechnung gestaltet sich aufwendig. Dafür kenne ich dank dem AHV-Ausweis nun die vorläu­ fige Bilanz meines Arbeitslebens – zwar nicht inhaltlich, aber immerhin finanziell.

https://nzzas.nzz.ch/ld.1607721


16 DIE SCHWEIZER UND IHR GELD

Party im Parterre, Bienen auf dem Balkon Kaum eine Anlage scheint so attraktiv wie eine Eigentumswohnung zum Ver­mieten. Heute wissen wir es besser: Es ist ein aufwendiges Nullsummenspiel. Von David Strohm

Geld, ganz praktisch: Beim Thema Finanzen gibt es Theorie und Praxis. In dieser Serie beschreiben Redaktoren der «NZZ am Sonntag» ihre persönlichen Erfahrungen mit Geldfragen.

Die Geschichte beginnt vor acht Jahren mit einem Brief einer Versicherung. Auf unserem Konto geht ein ansehnlicher Be­ trag ein. Er stammt aus einer Lebensver­ sicherung, die vor vielen Jahren mein

Schwiegervater für meine Frau eingerich­ tet hatte. Das ausbezahlte Geld, mit dem wir überhaupt nicht gerechnet hatten, liegt fortan auf unserem Konto, praktisch zins­

ILLUSTRATION: ANDREA CAPREZ

los. Es dauert eine Weile, bis sich unser freundlicher Anlageberater meldet, von dem wir sonst nur selten hören. Er weist auf den Klumpen im Portfolio hin, für den er eine bessere Verwendung wüsste.


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Unter den Vorschlägen, die er uns macht, finden sich sogenannte struktu­ rierte Produkte. Die mag meine Frau nicht, weil sie den Mechanismus nicht versteht. Vielleicht doch besser Obliga­ tionen? Die aber werfen derzeit kaum et­ was ab. Oder noch mehr Anteile an Ak­ tienfonds? Doch davon haben wir schon ein paar. Sie stellen das andere grosse Klumpenrisiko im Anlagekorb dar. Wir entscheiden uns für etwas völlig anderes: Eine Wohnung soll es sein. Nicht zum Selbstgebrauch, denn zügeln wollen und müssen wir nicht, sondern zum Ver­ mieten. «Buy to let» heisst das in der Fachsprache. Mit dieser Wahl sind wir nicht allein. Etwa ein Sechstel aller neu erstellten Wohneigentumsobjekte wird in der Schweiz gleich wieder vermietet. Immer weiter steigende Immobilienpreise und die Aussicht auf regelmässiges Mietein­ kommen lassen diese Form der Investi­ tion attraktiv erscheinen. Der Trend be­ gann vor rund zehn Jahren, zuerst bei den finanzkräftigen Investoren. Ange­ sichts von Negativzinsen und günstigen Finanzierungsmöglichkeiten ist er inzwi­ schen auch bei der breiten Masse der Pri­ vatanleger angekommen – so wie bei uns. Kaum haben wir unsere Kriterien fest­ gelegt – Altbau mit Lift, zentrale Lage und maximal möglicher Preis – und ein Such­ a­bo auf den Inserateplattformen ange­ legt, trudeln auch schon die ersten Ange­ bote ein. Einen Haken haben die meisten, oft ist mehr als ein Kriterium nicht ­erfüllt. Schnell lernen wir auch: Die Verkäufer können unter zahlreichen Interessenten auswählen, für jedes attraktive Objekt entsteht ein Bieterwettbewerb. Wir wer­ den schnell sein müssen mit unserem Entscheid.

Auch dieses Objekt hat einen Haken Makler werden auf unser Interesse auf­ merksam und senden uns ungefragt Dos­ siers. Doch das Traumobjekt lässt auf sich warten. Bis eines Tages doch eines im E-Mail-Briefkasten landet. Hier stimmt einfach alles: Volltreffer. Wir neh­ men Kontakt auf mit den Anbietern. Es ist eine sympathische Familie, die ihrer­ seits ein Häuschen mit Garten gefunden hat und nun das Geld aus dem Verkauf benötigt, um das neue Objekt finanzieren zu können. Für die meisten der Mitinteressenten hat auch diese Wohnung einen Haken. Sie ist vermietet an eine ältere Dame, die dort seit über 30 Jahren wohnt. Das Ob­ jekt lässt sich also nicht selbst nutzen,

ohne dass der jetzigen Bewohnerin we­ gen Eigenbedarf gekündigt werden muss. Wir aber können den Verkäufern und der verängstigten Dame versichern: Bei uns besteht kein Bedarf, auch wenn es rein theoretisch allenfalls eine Lösung für das eigene Alter darstellt. Damit kommen wir in die engere Auswahl.

Anteile eines Immobilienfonds hätten weniger Arbeit gemacht und mehr gebracht.

Eine kurze Besichtigung muss reichen, denn die Liste der Interessenten ist lang. Die Verkäuferschaft, die jetzt von allen Seiten bedrängt wird, bekommt nun auch mehr geboten. Uns signalisiert sie: Wir würden den Zuschlag erhalten, wenn wir noch einmal fünf Prozent mehr auf den schon vereinbarten Preis legen. Raue Sit­ ten auf dem Verkäufermarkt. Was will man machen? Dann geht es schnell: Zah­ lungsversprechen werden von der Bank geholt, Verträge aufgesetzt, unterschrie­ ben und beim Notar beglaubigt. Der Ein­ trag im Grundbuch ist die Krönung, da­ rauf gibt es ein Glas Schampus. Das ist nun sechs Jahre her. Nicht alles ist so herausgekommen, wie wir uns das gedacht haben. Man muss sich auf eini­ ges gefasst machen als Immobilienbesit­ zer, das wussten wir. Freunde und der Anlageberater hatten uns vor den Risiken gewarnt. Für eine eingehende Prüfung der Bausubstanz hatte die Zeit nicht ge­ reicht. Mit der freundlichen alten Dame sind wir seither in regelmässigem Kon­ takt. Die meldet uns, was in der Woh­ nung nicht funktioniert. Ein Wasserscha­ den hier, ein Fenster undicht dort. Bald werden auch die Thermostate der Hei­ zung am Ende ihrer Lebensdauer sein, sie lassen sich nur noch schwer drehen.

Korrespondenz füllt Bundesordner Das Mehrfamilienhaus, in dem sich unsere Wohnung befindet, wird im Auf­ trag der Stockwerkeigentümergemein­ schaft von einer professionellen Haus­ verwaltung betreut. Einzelne Einheiten

darin, wie unsere, übernimmt sie wegen möglicher Interessenkonflikte nicht. Das heisst, um all die Details kümmern wir uns selbst: Handwerker bestellen, wenn etwas rinnt. Gleichzeitig mit der Verwal­ tung und der Versicherung verhandeln, wenn ein Schaden auftritt – und das ist seither schon zweimal der Fall gewesen. Unzählige Briefe sind uns nun schon ins Haus geflattert. Die Korrespondenz füllt mehrere Bundesordner. Highlight im Jahr ist jeweils die Ver­ sammlung der Stockwerkeigentümer. Davon hat es viele, das Haus ist gross. Die eine Hälfte wohnt im Haus, die andere besteht aus Erben oder «Buy to let»-Käu­ fern, so wie wir. Bei der letzten Versamm­ lung gaben die Bienenkästen auf dem Balkon von Miteigentümer X, zu reden. Herr X betreibt Urban Farming. Das sei ökologisch wertvoll, versichert er, der Honig vorzüglich. Doch nebenan verur­ sachen die summenden Tierchen Dreck und Lärm. Auf dem Balkon über ihm ha­ ben die Bienen schon zugestochen. Herr X möge sein Hobby in die freie Natur ver­ legen, wünschen die Nachbarn. Er selbst will nicht. Am Schluss entscheidet die Gemeinschaft mit einfacher Mehrheit. Die Kästen müssen weg, den Vollzug soll die Verwaltung überprüfen. Im Jahr zuvor war über die Umnut­ zung einer Wohnung im Parterre gestrit­ ten worden, die kurz davor den Eigentü­ mer gewechselt hatte und seither als «Airbnb-Absteige» genutzt wird. Den Be­ griff bringen die Bewohner im ersten Stock in die Diskussion ein, die von den Emissionen der Feriengäste genervt sind. Der Verwalter, der den Anlass jeweils mit grosser Gelassenheit moderiert, zuckt mit den Schultern und verweist auf das Reglement, mit dem das Miteinander ge­ regelt ist. Es lässt im Erdgeschoss aus­ drücklich eine gewerbliche Nutzung zu. Die Bilanz unseres Investments ist ge­ mischt. Die moderate Miete der alten Dame hat sich über die Jahre nur ganz leicht erhöht. Zieht man vom Ertrag all die Nebenkosten, Steuern, Versiche­ rungsprämien und Reparaturen ab, bleibt unter dem Strich bestenfalls eine schwarze Null. Rücklagen für eine ir­ gendwann fällige Renovation haben wir damit noch gar nicht gebildet. Einzig die hypothetische Wertsteige­ rung von mittlerweile 20 Prozent, die sol­ che Wohnungen seit unserem Kauf erlebt haben, lässt uns ruhig schlafen. Anteile an einem Immobilienfonds hätten wohl weniger Arbeit gemacht und vielleicht sogar noch mehr eingebracht.

https://nzzas.nzz.ch/ld.1608807


18 VORSORGEN FÜR EINE NEUE WELT

Altersvorsorge steckt in den achtziger Jahren fest Das Schweizer Vorsorgesystem berücksichtigt neue gesellschaftliche Realitäten zu wenig – Experten machen Vorschläge für Anpassungen MICHAEL FERBER

Das Jahr 1985 ist schon eine ganze Weile her. Michail Gorbatschow wurde damals Generalsekretär der sowjetischen KPdSU, die Schweiz führte die Autobahnvignette ein, der deutsche Tennisspieler Boris Becker gewann zum ersten Mal in Wimbledon, und die österreichische Band Opus belegte mit «Live is Life» Platz eins der Schweizer Jahreshitparade. Abgesehen von diesen – völlig willkürlich zusammengestellten – Begebenheiten, trat 1985 auch das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) in Kraft. Damit wurde die berufliche Vorsorge in der Schweiz obligatorisch. Ziel dieser zweiten Säule des Altersvorsorgesystems ist es, die gewohnte Lebenshaltung sicherzustellen, während die 1948 geschaffene Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) – die erste Säule – den Existenzbedarf gewährleisten soll. Komplettiert wird das System durch die private Vorsorge, die dritte Säule.

Vom Vorbild zum Sonderling Dieses Vorsorgesystem galt lange als absolut vorbildlich. In internationalen Rankings belegte es stets einen der vordersten Plätze. Doch mit den anhaltenden Niedrigzinsen und der demografischen Entwicklung ist das Schweizer Drei-SäulenSystem in die Jahre gekommen. Mangelnde Reformen haben dazu geführt, dass einige rechtliche Grundlagen der Altersvorsorge antiquiert wirken. «Das System ist heute zu wenig an die gesellschaftliche Realität angepasst. Die Vorsorge spiegelt die gesellschaftliche Situation der 1970er und 1980er Jahre», sagt Salomè Vogt, Leiterin von Avenir Jeunesse, der Plattform der jungen Generation des Think-Tanks Avenir Suisse. So basiert das Schweizer Vorsorgesystem noch stark auf einem Familienmodell, in dem der Vater Vollzeit arbeitet und die Mutter zu Hause bleibt und sich um die

Kinder kümmert. Die sozialen Rollen zwischen Frauen und Männern haben sich in den vergangenen Jahrzehnten aber massiv verändert. Auch sind Scheidungen häufiger geworden. Wie Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, betrug der Anteil der geschiedenen Ehen nach 30 Jahren beim Heiratsjahrgang 1969 in der Schweiz noch rund 26%. Beim Jahrgang 1989 waren es indessen knapp 43% – ein Höchstwert. Die grössere Instabilität von Ehen zeigte sich zudem bereits in den ersten Jahren. Beim Heiratsjahrgang 1991 wurde eine Spitze erreicht, fast 12% der Ehen waren bereits nach fünf Jahren wieder geschieden. Diese Zahl ist in den vergangenen Jahren wieder etwas zurückgegangen. Beim Heiratsjahrgang 2014 betrug sie noch etwas mehr als 6%. Aufgrund der vielen Scheidungen gibt es heute aber mehr Alleinerziehende und Patchworkfamilien. Laut Daten des Bundesamts für Statistik traf im Jahr 2019 zwar auf rund 71% der Haushalte mit Kindern unter 25 Jahren die Beschreibung «Ehepaare, Erstfamilien» zu – die Paare waren also verheiratet, und der Familie gehörten ausschliesslich gemeinsame Kinder an. Bei 16,2% der Haushalte handelte es sich indessen um Einelternhaushalte, und auch die sogenannten «Fortsetzungsfamilien» kamen auf einen Anteil von insgesamt 6%. Des Weiteren fiel auf, dass es sich bei 9,5% der Eltern um Konkubinatspaare handelte. Nichtverheiratete Eltern, Patchworkfamilien, Alleinerziehende – alle diese Gruppen und ihre Bedürfnisse sind in der Schweizer Altersvorsorge ursprünglich kaum berücksichtigt. «Im System wird das ganz traditionelle Familienbild unterstellt», sagt Martin Eling, Professor an der Universität St. Gallen (HSG). Es sei höchste Zeit, dies an die Realität anzupassen. «Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen ist das Reformtempo in der Altersvorsorge zu langsam.» Auch ist das Altersvorsorgesystem auf Vollzeitstellen ausgerichtet. «In den siebziger und

achtziger Jahren war das die gesellschaftliche Realität», sagt Vogt. «Zudem blieben Arbeitnehmer oft ein Leben lang bei ihrem Unternehmen, und der Patron kümmerte sich um die Vorsorge der Mitarbeiter.» Lebensstellen bei einer Firma sind heute seltener, die Menschen wechseln ihren Arbeitsplatz häufiger, und auch die Unternehmenswelt ist schnelllebiger geworden. Im Jahr 1980 wurden schweizweit 3080 Konkursverfahren eröffnet, 2019 waren es hingegen 15 808. Zudem arbeiten heute viel mehr Menschen in Teilzeit. Laut dem Bundesamt für Statistik trifft dies in der Schweiz derzeit auf sechs von zehn erwerbstätigen Frauen und 1,8 von zehn Männern zu. Diese sind in der beruflichen Vorsorge benachteiligt. «Der Koordinationsabzug und die Eintrittsschwelle in der zweiten Säule haben Nachteile für Teilzeitarbeitende und damit vor allem für berufstätige Frauen», sagt Eling. Alleinerziehende könnten zumeist keine Vollzeitstelle antreten und hätten folglich ein erhöhtes Armutsrisiko. «Das zieht sich dann bis ins Alter durch», sagt er. Der Koordinationsabzug beträgt in diesem Jahr 25 095 Fr. und wird vom anrechenbaren Lohn abgezogen, daraus resultiert dann der versicherte Lohn. Für Teilzeitbeschäftigte mit geringeren Löhnen ist dies problematisch, da der in der beruflichen Vorsorge versicherte Lohn damit geringer ausfällt. Der Koordinationsabzug sei ein «historisches Konstrukt, das heute nicht mehr benötigt wird», sagt der HSGProfessor dazu. Die Eintrittsschwelle zum BVG-Obligatorium beträgt derweil seit diesem Jahr 21 510 Fr. Löhne darunter müssen also nicht versichert werden. «Die Eintrittsschwelle muss zwar nicht zwingend null sein, aber man könne sie beispielsweise halbieren», schlägt Eling vor. Auch Vogt setzt sich dafür ein. «Allerdings muss man bei einer Senkung der Eintrittsschwelle darauf achten, dass es für Arbeitgeber nicht unattraktiv wird, solche ­Beschäftigungsverhältnisse weiter anzubieten», sagt sie.


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Teilzeitbeschäftigte und Alleinerziehende sind benachteiligt.

Laut Vogt steigt zudem die Zahl der Erwerbstätigen, die mehrere Jobs bei verschiedenen Arbeitgebern haben. «Heute sind rund 8% der Erwerbstätigen in der Schweiz für mehrere Arbeitgeber tätig», sagt sie. «Mit der Digitalisierung wird die Plattformarbeit in Zukunft noch zunehmen. » Damit sind Erwerbstätige, die Aufträge über digitale Plattformen entgegennehmen, gemeint – beispielsweise UberFahrer. Auch auf diese Entwicklung habe das Altersvorsorgesystem bisher keine überzeugende Antwort. Um die Situation etwa von «Plattformarbeiterinnen» zu verbessern, schlägt Avenir Jeunesse vor, bei Teilzeitarbeitenden mit Löhnen von mehreren Arbeitgebern die Summe der Löhne als versicherten Lohn zu betrachten – und nicht die einzelnen Löhne. Heute sei dies zwar gesetzlich möglich, in der Praxis gebe es aber viele Hürden, wie beispielsweise den Datenschutz. Vogt schlägt vor, neben Selbständigen und Angestellten einen dritten rechtlichen Status einzuführen: den selbständigen An-

gestellten. Dieser wäre in der AHV und der beruflichen Vorsorge versichert. Seine Versicherungskosten würden zur Hälfte vom Arbeitgeber übernommen, aber in geringerem Umfang. So wären die Arbeitenden auch gegen Unfälle und Krankheiten abgesichert. Gleichzeitig hätten sie aber auch weiterhin viel Flexibilität, denn Kündigungsfristen oder bezahlte Ferien seien nicht vorgesehen. Wie bei Selbständigen auch gäbe es indessen für sie keine Möglichkeit, sich gegen Arbeitslosigkeit abzusichern.

Mehr Eigenverantwortung nötig Wolle man das Altersvorsorgesystem zukunftsfest machen, müssten Individualisierung und Eigenverantwortung in Zukunft stärker im Fokus stehen, sagt Vogt. «Menschen, die Sabbaticals nehmen, ins Ausland gehen oder ein zweites Mal studieren, müssen darauf achten, dass sie in der Altersvorsorge keine Lücken haben.» Mit diesem Mehr an Eigenverantwortung sei eine bessere Information über die

ILLUSTRATION JOANA KELÉN

­ ltersvorsorge nötig. «Auch Auszeiten für A die Kinderbetreuung oder für die Pflege von Angehörigen sind im System nur unzureichend abgebildet», sagt Eling. Zudem sind die «Frauen-Fallen» im Schweizer Altersvorsorgesystem zu entschärfen. Dazu zählt neben Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle zur beruflichen Vorsorge auch das frühere ­Frauenrentenalter von 64 Jahren. So haben Frauen ein kürzeres Erwerbsleben als Männer, bei denen das Rentenalter ebenfalls zu geringe 65 Jahre beträgt. Frauen haben zudem im Durchschnitt eine höhere Lebenserwartung als Männer – folglich steigt bei ihnen die Gefahr, dass das Geld im Alter nicht reicht, noch zusätzlich. Avenir Jeunesse empfiehlt zudem, die zweite Säule nicht an den Arbeitgeber, sondern an den Arbeitnehmer zu koppeln.

www.nzz.ch/ld.1606076


20 VORSORGEN FÜR EINE NEUE WELT

Falsche Annahmen und politische Zwänge Die drei Säulen der Altersvorsorge stehen auf einer morschen Zahlenbasis

Man kann so lange rechnen, wie man will. Stimmen die Annahmen nicht, stimmt auch das Ergebnis nicht.

WERNER GRUNDLEHNER

Als vor wenigen Tagen die Vorlage zur Revision AHV 21 im Ständerat diskutiert wurde, zeigte sich einmal mehr, dass die Sanierung der ersten Säule unseres Vorsorgesystems wohl weiter aufgeschoben wird. Mit etwas Glück wird das Pensionsalter der Frauen leicht angehoben. Doch für eine Revision, die diesen Namen verdient, fehlt der Mut. Das hat Gründe: Partikularinteressen, ein kurzfristiger Horizont, ein Übergewicht der älteren Bürge-

rinnen und damit die Angst vor einer Niederlage an der Urne. Die letzte grössere Revision des Sozialwerkes gelang vor mehr als einem Vierteljahrhundert.

Pensionsalter zu tief Auch in der zweiten Säule (Pensionskasse) schaut es nicht gut aus. Die Personen im Ruhestand beziehen zu lange und zu hohe Renten. Die Kassen schütten Ersparnisse der Aktiven aus, was sie gar nicht dürften, denn Pensionskassen funk-

ILLUSTRATION JOANA KELÉN

tionieren nach dem Kapitaldeckungsverfahren. Jeder Versicherte spart dabei für sich selbst und bekommt seine Ersparnisse plus Anlageerfolg im Ruhestand ausbezahlt – so die Theorie. In der dritten Säule sparen trotz Steueranreizen noch lange nicht alle Schweizer. In diesem Text soll aufgezeigt werden, mit wie viel «falschem» Zahlenmaterial im Vorsorgesystem gerechnet wird. «Jede Prognose ist so gut wie die dahinterstehende Annahme», sagt jedoch der Vorsorgeexperte Werner C. Hug. Es gebe somit


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keine «falschen» Zahlen, sondern nur inadäquate Annahmen. Die zweite Säule bestehe aus Obligatorium und Überobligatorium. Das Obligatorium sei politisch so gewollt, hier gebe es keine Annahmen, sondern Vorschriften. Pensionsalter – Männer mit 65 Jahren, Frauen mit 64: Viele westeuropäische Länder mit einer vergleichbaren Demografie haben bereits beschlossen, das Rentenalter bis 2030 auf 67 bis 68 Jahre anzuheben. Wenn das Rentenalter gleich bleibt und die Lebenserwartung steigt, nehmen auch die Bezugsjahre zu, und es braucht mehr Vorsorgekapital. Als die AHV im Jahr 1948 gegründet wurde, rechnete man mit 44 Erwerbsjahren und 13 Bezugsjahren. Die Zahl der Erwerbsjahre ist gleich geblieben, doch die Zahl der Bezugsjahre hat sich auf 23 erhöht. Mindestverzinsung 1%: Der Bundesrat hat im November entschieden, den BVGMindestzinssatz auch 2021 bei 1% zu belassen, und folgte damit nicht dem Rat der Expertenkommission. Ein Mindestzins sollte tief angesetzt werden. Vorsorgeeinrichtungen sind gesetzlich verpflichtet, Wertschwankungsreserven für harte Zeiten zu bilden. Und Vorsorgeeinrichtungen zahlen im Obligatorium weiterhin zu hohe Renten aus, was gemäss Hug zu einem Raubbau an der Substanz führt. BVG-Mindestumwandlungssatz 6,8%: Der im Pensionskassengesetz (BVG) vorgeschriebene Mindestumwandlungssatz beträgt 6,8% für den obligatorischen Teil. Für überobligatorische Guthaben kann die Pensionskasse den Umwandlungssatz selbst bestimmen. Zahlreiche Kassen verwenden hier tiefere Sätze und quersubventionieren so die Rente aus dem obligatorischen Guthaben. Wird aus Obligatorium und Überobligatorium eine Mischrechnung gemacht, dann nennt man das System umhüllend. Im umhüllenden Modell wird ein einheitlicher Rentenumwandlungssatz sowohl für den obligatorischen Teil als auch den überobligatorischen Teil angewendet. Der Umwandlungssatz bestimmt, welcher Prozentsatz des zum Pensionierungszeitpunkt verfügbaren Altersguthabens als lebenslängliche Rente ausgerichtet wird. Bei einem Umwandlungssatz von 5% resultiert pro 100 000 Fr. obligatorisches Altersguthaben eine jährliche Rente von 5000 Fr. Ist dieser Prozentsatz zu hoch angesetzt – weil die Leute länger leben und weil auf dem Altersguthaben über die Restlebensdauer zu wenig Zins verdient wird –, reicht das angesparte Altersguthaben nicht aus, um die Rente bis zum Lebensende zu finanzieren. Das fehlende Geld kommt dann von der Aktivgenera-

tion. Mittlerweile werden in der beruflichen Vorsorge jährlich 7 Mrd. Fr. von Aktiven zu Rentnern umverteilt. Lebenserwartung zu tief angesetzt: Die Lebenserwartung wird auch von Vorsorgeeinrichtungen oft unterschätzt: Viele Kassen stützen sich auf die statistische Lebenserwartung. Diese ist aber ein historischer Wert und gilt für den Durchschnittsschweizer ab Geburt, aber nicht für eine 50-jährige Schweizerin mit guter Gesundheit. Allokation des Vorsorgevermögens, zu hoher Anteil an Festverzinslichen: Gemäss vielen Aussenstehenden agieren viele Pensionskassen zu statisch oder spätzyklisch: Der Aktienteil wird erst erhöht, wenn die Börse schon lange haussierte, kurz vor einer Korrektur. Allgemein weisen Vorsorgeeinrichtungen einen hohen Anteil an Obligationen auf, im derzeitigen Tiefzinsumfeld werden damit kaum noch Einnahmen generiert. «Mit der Finanzkrise haben viele Pensionskassen gelernt, dass prozyklisch investieren fragwürdig ist», sagt der Pensionskassenexperte Roger Baumann von C-Alm. Attestierten jedoch Experten und Aufsichtsbehörden einer PK bei tieferem Deckungsgrad stets eine tiefere Risikofähigkeit, so wird sie automatisch zu prozyklischem Investieren genötigt. Nach Ansicht von Hug haben die Kassen in der Vergangenheit zu wenig risikoreich angelegt. «Die Kassen waren oder sind noch im Aufbau und können die laufenden Renten aus den laufenden Beiträgen finanzieren», sagt der Experte. In den nächsten 10 bis 15 Jahren werde es mehr Rentner geben als Aktive, die Kassen könnten dann nicht mehr risikoreich anlegen. In der Schweiz hat sich gemäss Baumann eine Asset-Allokation von 20 bis 40% in Aktien, 10 bis 30% in Immobilien und dem Rest in Nominalwerten etabliert. Weil die Kassen regelmässig garantierte Leistungen erbringen müssten, brauche es auch sichere Obligationen. Diese seien auch mit einem Minuszins noch wertstabiler als Aktien. Zu hohe Kosten der Kassen? Für den Laien scheinen Pensionskassen eine Vielzahl von Beratern, Brokern und Banken zu beschäftigen, was zwangsläufig auch hohe Gebühren verursachen dürfte. «Die PK haben sich in den vergangenen Jahren diesbezüglich stark verbessert, die durchschnittlichen Vermögensverwaltungskosten sind noch bei etwa 45 Basispunkten», sagt Baumann. Man könne sein Geld nirgends so günstig verwalten lassen wie in einer Pensionskasse. Günstige Kassen, ohne alternative Anlagen, weisen teilweise Vermögensverwaltungskosten von 3 bis 5 Basispunkten auf.

Gefährdete Sozialpartnerschaft Die Vorsorgeexperten weisen einstimmig darauf hin, dass in der beruflichen Vorsorge zwischen dem obligatorischen und dem überobligatorischen Versicherungsteil zu unterscheiden sei. Wenn von gesetzlichen Anpassungen gesprochen werde, gehe es um rund 20% des PK-Volumens. Der Rest befindet sich im überobligatorischen Teil oder in umhüllenden Kassen. Wenn etwa über Rentenkürzungen diskutiert werde, gehe es meist um den überobligatorischen Teil, der vom Arbeitgeber bestimmt werde. Meist würden Renten gekürzt, die in der Vergangenheit auch stark erhöht worden seien. «Im obligatorischen Teil waren die realen Renten aber noch nie so hoch wie heute», fügt Baumann an. «Das kollektive Zwangssparen hat nur dann einen Sinn, wenn über längere Zeit ein besseres Risiko-Rendite-Verhältnis geschaffen werden kann als beim individuellen Sparen», sagt Hug – wenn also ein Transfer von Finanzmarktrisiken über Generationen stattfinden kann. Der Vorteil des Zwangssparens kann demnach nur greifen, wenn Risikofähigkeit und Risikobereitschaft, die soziale Verantwortung des Arbeitgebers und die paritätische Verwaltung und Verantwortung des Stiftungsrates langfristig gesehen werden. «Bricht diese Sozialpartnerschaft, die Verteilung der Finanzmarktrisiken über alle – also die aktiv versicherten Jungen und die alten Versicherten und die Rentner –, auseinander, dann hat die privat durchgeführte berufliche Vorsorge keine Zukunft», so Hug. Deshalb sollte die Politik die zweite Säule nur im Bereich des Obligatoriums regulieren.

www.nzz.ch/ld.1607366


22 VORSORGEN FÜR EINE NEUE WELT

Digitales Wertschriftensparen boomt Reformstau und tiefe Zinsen geben dem Markt für digitale Lösungen in der dritten Säule Auftrieb LORENZ HONEGGER

Das private Vorsorgesparen ist populär. Die Flexibilisierung der Abwicklung dank Apps soll diesen Trend noch verstärken. Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) will mit ihrer Vorsorge-App Frankly bis in einigen Jahren Milliarden an Vorsorgegeldern verwalten. Auf den ersten Blick hatte die ZKB den schlechtestmöglichen Zeitpunkt für die Lancierung ihrer digitalen VorsorgeApp Frankly gewählt: Der Startschuss erfolgte im März 2020, als die globalen Finanzmärkte aufgrund der beginnenden Corona-Pandemie auf breiter Front so stark und so schnell einbrachen wie noch kaum je zuvor. Dennoch liessen sich seither rund 25 000 Kunden überzeugen, ihr Erspartes in der dritten Säule über Frankly anzulegen. Das verwaltete Vermögen bei Frankly beläuft sich mittlerweile auf 600 Mio. Fr. ZKB-Chef Martin Scholl sagt im Gespräch mit der NZZ, längerfristig strebe die Bank mit Frankly ein verwaltetes Vermögen von 10 bis 20 Mrd. Fr. an: «Wir wollen der relevanteste Player am Markt werden.» Als Umsetzungszeitraum für dieses Ziel nennt er fünf bis sieben Jahre. Scholls Optimismus zeigt es: Das Geschäft mit digitalen Vorsorge-Apps für die freiwillige, steuerbegünstigte Vorsorge (Säule 3a) floriert. In den vergangenen Jahren ist eine ganze Reihe von Angeboten auf den Markt gekommen, die es den Kunden erlauben, ihre kaum noch verzinsten Gelder von ihren 3aSparkonten abzuziehen und zu günstigen Konditionen in Wertschriften zu investieren. Sie heissen Viac, Sparbatze oder eben Frankly und wollen sich einen Teil vom über 120 Mrd. schweren, jedes Jahr um 4 Mrd. wachsenden Markt für Säule-3a-Vermögen sichern.

Mehr Risiko für mehr Rendite Die ZKB bietet den Nutzern von Frankly mehrere aktiv und passiv verwaltete

Fonds zu einer pauschalen All-in-Gebühr von 0,46% an. Die Flatrate ist vor allem bei Vorsorgefonds mit hohem Aktienanteil attraktiv: Denn normalerweise geht ein höherer Aktienanteil mit deutlich höheren Gebühren einher. Das dürfte erklären, weshalb sich 27,8% der FranklyNutzer für einen Indexfonds der höchsten Risikostufe mit 95% Aktienanteil entschieden haben. Ein hoher Wertschriftenanteil beinhaltet aufgrund des in der Altersvorsorge sehr langen Anlagehorizonts – je nach Alter mehrere Jahrzehnte – höhere Renditechancen (und Risiken). Der Unterschied gegenüber einem herkömmlichen Sparkonto kann zum Zeitpunkt der Auszahlung zehn-, wenn nicht sogar hunderttausende Franken betragen. Neben den tiefen Zinsen steigert auch der Reformstau bei der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) und den Pensionskassen die Popularität des Wertschriftensparens. Jüngere Generationen müssen sich aufgrund der steigenden Lebenserwartung auf tiefere Umwandlungssätze und damit geringere jährliche Auszahlungen aus ihrem angesparten Pensionskassenvermögen einstellen. Auch eine Erhöhung des Rentenalters dürfte längerfristig kaum zu vermeiden sein. ZKB-Chef Scholl sagt, die Mühe der Schweizer Politik, die erste und zweite Säule der Altersvorsorge zu reformieren, führe den Menschen vor Augen, dass sie selber etwas tun müssten, um ihren Lebensstandard nach der Pensionierung einigermassen aufrechtzuerhalten. Wenn in Bern neue Reformanläufe scheiterten, sei dies jeweils beste Werbung für Angebote wie Frankly. Die ZKB setzt mit der Vorsorge-App nicht nur auf Neukunden, sondern kannibalisiert bewusst auch traditionelle Säule-3a-Konten von Kunden, die ihr privates Vorsorgevermögen neu am Finanzmarkt anlegen wollen. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Schon vor vier Jahren lancierte die WIR Bank die Vorsorge-App Viac, über die

mittlerweile 46 000 Kunden rund 1,1 Mrd. Fr. an Säule-3a-Geldern verwalten. Über 95% des Geldes ist in Anlagestrategien mit Aktien investiert. Viac geht laut eigenen Angaben davon aus, im Bereich der 3a-Wertschriftenlösungen von Banken mittlerweile über einen Marktanteil von 5% zu verfügen. Und obwohl sich der Konkurrenzkampf verschärfe, bleibe der Markt attraktiv, sagt Viac-Chef Daniel Peter. «Langfristig werden sich die Aktienmärkte positiv entwickeln, die maximale Einzahlung steigt laufend. Auch der Anteil der Bevölkerung, der eine Säule 3a hat, wird sicher noch leicht steigen.» Diesen Eindruck bestätigt auch An­ dreas Dietrich, Finanzprofessor an der Hochschule Luzern. Er bezeichnet das Wachstum beim digitalen Wertschriftensparen in der dritten Säule als eindrücklich. Für Smartphone-Angebote sprächen aus Kundensicht die oftmals tieferen Gebühren, die unkomplizierten Umschichtungsmöglichkeiten bei den Fonds – beispielsweise von einem tiefen zu einem hohen Aktienanteil – sowie das bessere Nutzererlebnis. Die Kundenstruktur von Angeboten wie Frankly und Viac sei vergleichbar mit derjenigen von Neobanken wie Revolut und N26. «Die klassischen Nutzer sind überwiegend männlich, gut gebildet, zwischen 38 und 40 Jahre alt und eher im urbanen Raum anzutreffen.» Zentral für den Erfolg der Angebote sei, dass der Wechsel von einem traditionellen 3aSparkonto auf eine digitale Plattform möglichst bürokratiefrei erfolgen könne, sagt Dietrich. «Das muss mit ein paar Klicks bewerkstelligt sein, sonst schreckt man die Kundschaft ab.»

Nachträglicher Einkauf kommt Zusätzlichen Schub dürfte der Markt für das Wertschriftensparen in den nächsten Jahren dank einem Parlamentsentscheid vom vergangenen Herbst erhalten. Bis jetzt gibt es eine jährliche steuerlich be-


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Die Digitalisierung der Altersvorsorge schreitet bis jetzt vor allem in der dritten Säule voran.

günstigte Einzahlungslimite für jeden Arbeitnehmer, die derzeit bei 6883 Fr. liegt. Wer den Betrag nicht einzahlt, kann dies in der Zukunft nicht mehr nachholen. Die eidgenössischen Räte haben den Bundesrat mit der Motion «Einkauf in die Säule 3a ermöglichen» nun beauftragt, die gesetzlichen Grundlagen so zu ändern, dass Personen, die in der Vergangenheit keine oder nur Teilbeträge in die Säule 3a einbezahlt haben, sich alle fünf Jahre mit maximal 34 128 Fr. in die dritte Säule einkaufen dürfen. Wer über längere Zeit über kein oder ein zu geringes Einkommen verfügte, erhält so die Möglichkeit, das entstandene Loch zu stopfen.

www.nzz.ch/ld.1608056

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24 VORSORGEN FÜR EINE NEUE WELT

Das Eigenheim als Rettungs­ anker der Altersvorsorge Viele Menschen streben ein mietfreies Wohnen im Alter an – was es zu beachten gilt, damit die Rechnung aufgeht

Die Frage, ob es sich im Alter unter dem eigenen Dach günstiger lebt, erfordert eine anspruchsvolle Rechnerei.

MICHAEL SCHÄFER

Es schleckt keine Geiss weg: Die Altersvorsorge hat in der Schweiz schon weniger Anlass zur Sorge gegeben als heute. Zwar beneiden uns manch andere Länder um das Drei-Säulen-System, das insgesamt für eine hohe Stabilität sorgt. Aber die demografische Entwicklung sorgt dafür, dass auf eine Rentnerin oder einen Rentner immer weniger Erwerbstätige kommen, und auch das Niedrig-

zinsumfeld stellt für das Vorsorgesystem eine grosse Herausforderung dar. Warum also nicht eine vierte Säule anfügen, die die sich auftuende Lücke wieder schliesst oder sogar überkompensiert? In einer Umfrage, was sich am ehesten als vierte Säule der Altersvorsorge eignet, wäre aber vermutlich eine andere Antwort am häufigsten, nämlich das Eigenheim. Und das nicht ohne Grund: Zum einen erlaubt der Staat die Verwendung von Vorsorgegeldern für den Er-

ILLUSTRATION JOANA KELÉN

werb einer selbst bewohnten Immobilie, womit ihr ein gewisser Vorsorgecharakter zugesprochen wird.

Günstiger als zur Miete Zum anderen liegt der Gedanke nahe, dass so im Alter ein grosser Ausgabenposten wegfällt, weil man für die eigenen vier Wände keine Miete zahlen muss. Die Idee erscheint derzeit besonders verlockend, weil die Hypothekarzinsen seit Jahren


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äusserst niedrig sind. Das führt dazu, dass trotz deutlich gestiegenen Immobilienpreisen in der Mehrzahl der Schweizer Gemeinden Kaufen tatsächlich günstiger ist als Mieten. Die Überlegung greift aber zu kurz. Ob man nämlich langfristig mit einem Eigenheim besser fährt als mit einer vergleichbaren gemieteten Bleibe, hängt von vielerlei Faktoren ab. Zudem gibt es mehrere Stolpersteine zu beachten. Einmal abgesehen von einschneidenden Veränderungen im persönlichen Umfeld – wie einer Scheidung –, bei denen ein Eigenheim schnell zu einer grossen Belastung werden kann, ist es möglich, dass sich die Verhältnisse mit der Zeit verschieben. Ein anfänglicher finanzieller Vorteil kann sich ohne weiteres eines Tages in einen Nachteil verwandeln. Wie sich die wichtigsten Faktoren entwickeln werden, lässt sich naturgemäss nicht vorhersagen. Umso mehr sollte man sich ihrer bewusst sein und sie im Blick behalten. Zu den kritischen Parametern zählen die Hypothekarzinsen. Wer heute eine zehnjährige Finanzierung abschliesst, hat gute Chancen, sich einen Zins spürbar unter 1% sichern zu können. Gleichzeitig muss man aber damit rechnen, die Hypothek dereinst nicht zu ähnlich günstigen Konditionen verlängern zu können. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass auch die Mieten steigen, wenn die Zinsen es tun. Allerdings geschieht das in der Regel mit einer zeitlichen Verzögerung. Zudem dürfte die zusätzliche finanzielle Belastung durch die Hypothek stärker ins Gewicht fallen als eine allfällige höhere Miete. Definitiv nicht vergessen gehen sollte in der Kalkulation die verpasste Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital. Welcher Wert hier angesetzt werden sollte, hängt von der individuellen Anlagestrategie ab. Sichere Anleihen werfen bekanntlich auf absehbare Frist nichts ab, für Aktien sind die langfristigen Erwartungen zwar unterdurchschnittlich, 5 bis 6% pro Jahr dürften aber auch künftig realistisch sein. Unterschätzt werden häufig die Unterhaltskosten einer Immobilie. Von 1% des Kaufpreises sollte man jährlich ausgehen, vor allem bei älteren Objekten gilt es zudem, den Renovationsbedarf im Auge zu behalten. Langfristig gesehen den grössten Hebel stellt die Wertentwicklung des Eigenheims dar. In den vergangenen Jahren hat man sich hierzulande an Zuwächse von 3% und mehr gewöhnt. Mit einer Fortsetzung dieser Entwicklung sollte man aber nicht rechnen, zumal es regional und lokal teilweise deutliche Unterschiede gibt. Vor

­ llem wenn es zu spürbaren Zinssteigea rungen kommen sollte, wären rückläufige Eigenheimpreise für Experten keine Überraschung.

Pensionskasse nicht «plündern» Wenn nach reiflicher Überlegung die Entscheidung zugunsten des Eigenheims ausfällt, stehen viele Haushalte angesichts der üppigen Immobilienpreise aber vor einer hohen Hürde. Bei einem Kaufpreis von 1 Mio. Fr. muss man in der Regel mindestens ein Eigenkapital von 200 000 Fr. einbringen. Wer nicht über diese Summe verfügt, kann maximal die Hälfte der Eigenmittel durch einen Vorbezug oder eine Verpfändung der Pensionskasse beschaffen. Florian Schubiger von hypotheke.ch empfiehlt, diesen Weg möglichst zu vermeiden und stattdessen eher auf Mittel aus der dritten Säule zurückzugreifen. «Reisst man eine Lücke in die Pensionskasse, muss man empfindliche Einbussen bei der Rente hinnehmen oder die Lücke später wieder schliessen, was teuer werden kann», sagt der Experte. Auch eine Verpfändung könne zum Bumerang werden, wenn man die Immobilie ungeplant veräussern muss und dabei der einstige Kaufpreis nicht erzielt werden kann. Die Banken achten zudem darauf, dass die Belastung durch das Eigenheim maximal einen Drittel des Einkommens ausmacht. Berücksichtigt werden dabei Unterhaltskosten von 1% des Kaufpreises, eine jährliche Amortisation, solange die Belehnung über zwei Dritteln liegt, sowie kalkulatorische Zinsen in der Höhe von meist 5%. Bei einer Kreditsumme von 800 000 Fr. erfordert das immerhin ein Jahreseinkommen von mindestens 180 000 Fr. Selbst wer diese zweite Hürde beim Erwerb überspringt, darf sie nicht aus den Augen verlieren. Geht es auf die Pensionierung zu, wird sie nämlich wieder relevant. «Spätestens wenn die Kunden 55 Jahre alt sind, überprüfen die meisten Banken, ob die Tragbarkeit auch im Alter gegeben sein wird», erläutert Schubiger.

immerhin ein Alterseinkommen von rund 130 000 Fr. nötig, gibt Schubiger zu bedenken. Um eine durch die Entnahme von 100 000 Fr. im Alter von 40 Jahren entstandene Lücke wieder zu schliessen, müssen bei einer angenommenen Rendite der Pensionskasse von 1% bis zur Pensionierung jährlich 4500 Fr. eingezahlt werden, rechnet Schubiger vor. Werde das unterlassen, müsse man die Hypothek frühzeitig auf ein im Alter tragbares Niveau amortisieren oder über genügend freies Vermögen verfügen, um dies zum Zeitpunkt der Pensionierung nachzuholen. Wie man es dreht und wendet: Auch wenn man über Jahre mit dem Eigenheim Geld sparen kann – einfach verjubeln darf man es nicht.

Strenge Tragbarkeitsregeln Für viele Eigenheimbesitzer wird die Pensionierung noch einmal zu einer echten Herausforderung. Selbst bei einer unangetasteten Pensionskasse muss mit Einkommenseinbussen von 30% oder mehr gerechnet werden. Wurde die Hypothek aus dem obigen Beispiel bis zur Pensionierung nur auf die geforderten zwei Drittel des Immobilienwerts amortisiert, sei

www.nzz.ch/ld.1610496


26 VORSORGEN FÜR EINE NEUE WELT

Scheidung bleibt für Frauen oft eine Armutsfalle Jüngste Urteile des Bundesgerichts und die Revision des Scheidungsrechts passen die Unterhaltsregelung der Lebensrealität an WERNER GRUNDLEHNER

Jedes Jahr setzen sich in der Schweiz über 4000 Frauen dem Risiko aus, im Pensionsalter in die Altersarmut abzugleiten. Diese Aussage lässt sich mit der folgenden Überschlagsrechnung untermauern: In den vergangenen zehn Jahren liessen sich in der Schweiz jährlich rund 16 500 Ehepaare scheiden, und die Statistik zeigt, dass jede vierte geschiedene Rentnerin in der Schweiz Ergänzungsleistungen bezieht. Viele dieser Frauen wurden noch unter dem bis zum Jahr 2000 geltenden alten Scheidungsrecht geschieden, bevor der Vorsorgeausgleich (Aufteilung des während der Ehe angesparten Pensionskassenguthabens) sowie der Vorsorgeunterhalt (Unterhaltszahlungen zum Ausgleich von Vorsorgelücken nach der Scheidung) eingeführt wurden. Grundsätzlich sollte sich die finanzielle Lage künftiger geschiedener Rentnerinnen aufgrund dieser Ausgleichsmechanismen schrittweise verbessern. «Unsere Analyse zeigt aber, dass dieser Gender-Pension-Gap in absehbarer Zeit trotzdem nicht verschwinden wird», sagt Andreas Christen, Studienautor und Senior Researcher Vorsorge bei Swiss Life Schweiz. Christen weist darauf hin, dass es just bei der Publikation der Studie im März 2021 zu einem wegweisenden Bundesgerichtsurteil kam. Neu gilt der Einzelprüfungsfall statt der bis anhin geltenden Faustregeln. Eine davon lautete etwa, dass eine Frau im Alter von 45, die seit 15 Jahren nicht mehr gearbeitet hat, nach der Scheidung nicht mehr in den Arbeitsmarkt zurückkehren kann und muss. Bereits in den Jahren zuvor kam es zu verschiedenen Anpassungen, nachdem das Scheidungsrecht letztmals 2017 revidiert wurde. So gilt etwa gemäss Art. 122 ZGB, dass der Vorsorgeausgleich zum Zeitpunkt der Scheidungseinreichung erfolgt und nicht bei der effektiven Scheidung. Dazwischen können manchmal mehr als zwei Jahre liegen, in denen die Frau kei-

nen Anspruch mehr auf die Vorsorgeersparnisse ihres Noch-Ehemannes hat. Das Bundesgericht hat auch die «10/16-Regel» durch das «Schulstufenmodell» ersetzt. Früher war die Annahme, dass es einer Frau, deren jüngstes Kind 10 Jahre alt ist, möglich sei, 50% zu arbeiten. Wenn das Nesthäkchen 16-jährig war, wurde eine Vollbeschäftigung zugemutet. Heute gehe man von der Eigenversorgungskapazität der Ehepartner aus, sagt die Anwältin Simone Thöni, Spezialistin für Familienrecht in der Rechtskraft Advokatur. Man müsse begründen, warum eine Vollzeitstelle nicht zumutbar sei. Natürlich ist die Kinderbetreuung weiterhin ein unbestrittener Grund, um nicht voll zu arbeiten. Nach dem Schulstufenmodell ist es dem überwiegend betreuenden Elternteil ab Beginn der Schulpflicht des jüngsten Kindes zumutbar, einer Erwerbstätigkeit von 50% nachzugehen, 80%, wenn es die Oberstufe besucht, und 100% ab dem 16. Altersjahr. Bei einer grossen Kinderschar mit beträchtlichen Altersabständen sehe die Sache anders aus. Das ist jedoch ein zweischneidiges Schwert. Wer lange und zu einem grossen Teil in der Kinderbetreuung engagiert ist, darf höhere Unterhaltszahlungen erwarten, hat aber beim Schritt zurück in die Arbeitswelt die schlechteren Karten. «Die jüngsten Praxisänderungen drücken vor allem aus: Heiraten ist keine Lebensversicherung mehr», sagt Anwältin Thöni. Es sei auch eine Anpassung an die Lebensrealität – zumindest im städtischen Raum.

Trotz Kindern hohes Pensum Der Vorsorgeunterhalt soll den theoretischen Leistungsverlust decken, der durch die Scheidung entsteht. Oft ist aber aufseiten des Ehepartners zu wenig Geld vorhanden, um einen angemessenen Unterhalt zu zahlen. Dieser soll in erster Linie dem Unterhalt der Kinder dienen, in zweiter Linie jenem des betreuenden

Ex-Ehepartners und erst zuletzt dessen Vorsorge ermöglichen. Nur der Kindesunterhalt wird als separate Zahl ausgewiesen, da er sich mit dem fortschreitenden Alter der Kinder auch reduziert. Der Unterhalt für den Partner und dessen Vorsorgeanteil werden nicht getrennt ausgewiesen. Nur wenn ein begründetes Urteil erfolgt, werden diese Beträge erläutert. Selten kommt es auch zur «überhälftigen» Teilung. Damit kann man etwa den zukünftigen Nachteil in der Vorsorge des einen Partners mit einem höheren Anteil am Vorsorgeguthaben ausgleichen. «In der Regel versucht man, dieses Ungleichgewicht aber mit dem Vorsorgeunterhalt auszugleichen», sagt Thöni. Man könne jedoch nicht mehr Geld verteilen, als bisherige Einnahmen zur Verfügung stünden. Ein Anhaltspunkt für die Höhe des Vorsorgeunterhalts könne etwa sein, wie viel Geld die Frau in die dritte Säule hätte einzahlen können, wenn die Ehe Bestand gehabt hätte. Der Mann kann sich – falls die Ehe in Unfrieden aus­ einandergeht – nicht einfach für ein tieferes Arbeitspensum entscheiden, um der Ex-Partnerin weniger zahlen zu müssen. Die Berechnungsgrundlage bleibt das Einkommen vor der Scheidung, sofern diese Leistung weiterhin möglich und zumutbar ist. Der Gender-Pension-Gap dürfte sich gemäss der Studie von Swiss Life trotz der neuen Praxis zwar reduzieren, aber nicht verschwinden. Das Verbesserungspotenzial wäre hoch: Die Studie des Versicherers zeigt, dass 50% der Frauen, die Unterhalt erhalten, es auch schaffen, für das Alter zu sparen. In der Gruppe ohne Unterhalt schafft dies nur ein Viertel. Das wirksamste Mittel, um nach der Scheidung nicht in die Armutsfalle zu tappen, ist gemäss Christen, auch während der Ehe und des Heranwachsens der Kinder in einem möglichst hohen Pensum einer Beschäftigung nachzugehen. Christen räumt ein, dass das je nach Beruf, Familiensituation und Möglichkeiten der Kinderbetreuung oft nicht möglich ist.


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Eine Heirat ist für die Frau keine Lebensversicherung mehr, wie neuste Bundesgerichtsurteile zeigen.

Frühzeitig reagieren Entspannter sein können viele Frauen, wenn sie während der Scheidung ihr Augenmerk auch auf die Altersvorsorge richten. Gemäss Erhebung der Swiss Life machten dies aber nur rund ein Fünftel der Frauen, die sich vom Partner trennten. «Während der Scheidung ist es meist zu spät für die Frau, sich um die Vorsorge zu kümmern», sagt Thöni. Sinnvoll wäre es, sich schon viel früher darüber Gedanken zu machen und beispielsweise die Beitragslücke in der Pensionskasse mit einer Einzahlung zu reduzieren. Eine Möglichkeit, die Ehepartnerin zu schützen, wäre es, frühzeitig in der 3. Säule (auf den Namen der Frau) zu sparen. Aber auch hier gilt: Bessergestellte bekommen in der Scheidung genug mit auf den Weg. Bei denjenigen, wo das

Geld knapp ist und der Unterhalt vielleicht gar nicht bezahlt wird, dürften auch bereits vorher die Mittel für die Säule 3a fehlen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch, dass Männer nach der Scheidung einen grösseren Teil der Kinderbetreuung übernehmen – die Möglichkeit wird ihnen aber öfter abgesprochen. Das gemeinsame Sorgerecht ist mittlerweile die Regel und wird nur in begründeten Ausnahmen nicht angewendet. Seit 2017 prüfen die Behörden auf Verlangen eines Elternteils bei einer Scheidung die alternierende Obhut. Das bedeutet, dass Kinder abwechslungsweise bei Vater und Mutter wohnen. Dies ist gemäss Thöni auch möglich, wenn bis zur Scheidung der Mann 100% arbeitete und die Frau nur ein kleines Pensum hatte. Theoretisch ermöglicht dieses Modell eine gleichberechtigte Auf-

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teilung von Familie und Beruf für Frau und Mann. Laut dem Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen komme es jedoch nur in seltenen Fällen zu dieser Lösung. Häufig setzten Gerichte bei Trennungen ein traditionelles Familienmodell durch. Zudem ist es für berufstätige Männer oft schwierig, auf ein 50%-Pensum zu wechseln.

www.nzz.ch/ld.1612323


28 VORSORGEN FÜR EINE NEUE WELT

Säule 3a oder PK-Einkauf – was ist besser? In der Corona-Zeit sorgen Herr und Frau Schweizer verstärkt für das Alter vor – die Vor- und Nachteile zweier zentraler Varianten

Neben Einzahlungen in die Säule 3a bieten sich auch Pensionskasseneinkäufe an. Die Vor- und Nachteile der beiden Vorsorgevarianten.

MICHAEL FERBER

«In unsicheren Zeiten denken mehr Menschen an die Altersvorsorge», sagt Nils Aggett, Präsident des Vereins Vorsorge Schweiz (VVS). So erklärt er, dass die Zahl der Kunden, die bei den dem VVS angeschlossenen Säule-3a-Stiftungen 2020 Gelder eingezahlt haben, um fast 10% auf 1,3 Mio. gestiegen ist. «Viele Ausgaben,

beispielsweise für Ferien und für Restaurantbesuche, sind während der CoronaZeit entfallen, deshalb hatten die Leute mehr Geld zur Verfügung», sagt er. Die Säule 3a ist die steuerlich geförderte private Vorsorge im Schweizer Altersvorsorgesystem. Ein anderer beliebter Weg, um die Vorsorge aufzustocken, sind freiwillige Einzahlungen in die Pensionskasse – sogenannte Einkäufe. Sie sind ebenfalls steuer-

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lich gefördert und entsprechend beliebt. Laut dem Bundesamt für Statistik ist das Volumen der von aktiven Versicherten getätigten Einkäufe und Einmalanlagen von 5,3 Mrd. Fr. im Jahr 2015 auf 6,8 Mrd. Fr. im Jahr 2019 gestiegen. Die wachsenden Volumen zeigen, dass viele Versicherte zusätzliche Gelder in die Altersvorsorge investieren. Doch wo sind diese besser aufgehoben – in der Säule 3a


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oder in der Pensionskasse? Die beiden Varianten haben verschiedene Vor- und Nachteile.

1. Steuervorteile Steuerpflichtige dürfen sowohl Säule-3aEinzahlungen als auch Pensionskasseneinkäufe in der Steuererklärung vom steuerpflichtigen Einkommen abziehen. Lässt man sich die Gelder aber später als Kapital auszahlen, wird eine Kapitalauszahlungssteuer fällig. Diese ist von Kanton zu Kanton verschieden, die Unterschiede sind dabei ziemlich gross. Bei Pensionskasseneinkäufen ist zu beachten, dass man sich das eingezahlte Geld frühestens drei Jahre danach als Kapital wieder auszahlen lassen kann. Anderenfalls muss der Versicherte die gesparten Steuern wieder zurückzahlen. Wenn man es geschickt macht, lassen sich laut dem Finanzexperten und Dozenten Iwan Brot mit Pensionskasseneinkäufen sehr hohe Nettorenditen erzielen – aufgrund der Steuerersparnisse. Wenn die Kasse einen guten Gesundheitszustand habe, sei das Risiko relativ gering. Auch mit der Säule 3a lassen sich Steuern sparen. Wichtig ist dabei, mehrere Konten zu führen, damit man sich die Gelder beim Bezug gestaffelt auszahlen lassen kann.

2. Einzahlungsbeträge Für Einzahlungen in die Säule 3a gelten Maximalbeträge. Wer einer Pensionskasse angeschlossen ist, darf im Jahr 2021 maximal 6883 Fr. einzahlen. Für Personen, die nicht in einer Pensionskasse versichert sind, sind es indessen in diesem Jahr bis zu 34 416 Fr. bzw. maximal 20% des Nettoeinkommens. Letztere Variante wird auch als «grosse Säule 3a» bezeichnet. Auch für Pensionskasseneinkäufe gibt es Maximalhöhen. Diese sind für die jeweiligen Versicherten unterschiedlich. Die meisten Vorsorgeeinrichtungen nennen sie in dem Anfang Jahr verschickten Vorsorgeausweis.

3. Umverteilung Ein grosser Vorteil der Säule 3a gegenüber der Pensionskasse ist, dass man hier für sich selber Vermögen spart bzw. anlegt. In der zweiten Säule kommt es hingegen zu einer recht starken Umverteilung von aktiven Versicherten hin zu Rentnern. Reto Spring, Präsident des FinanzplanerVerbands Schweiz, geht davon aus, dass sich dieser Umverteilungseffekt bei jüngeren Versicherten durchaus in einer um einen Viertel niedrigeren Rente niederschlagen kann. Besonders hart treffe die

Umverteilung gut verdienende Arbeitnehmer mit einem Gehalt ab 100 000 Fr., sagt er. Diese hätten schliesslich mehr überobligatorische Guthaben, und hier komme die Umverteilung besonders stark zum Tragen.

4. Anlagestrategien In der dritten Säule gibt es eine grosse Auswahl an Produkten. «Vor allem mit den digitalen Angeboten hat sich der 3aMarkt massiv ausgeweitet», sagt Aggett. Je nachdem, welche Risiken sie eingehen wollen, können Kunden hier Produkte mit einem hohen oder niedrigen Aktienanteil auswählen. Mit 3a-Versicherungsprodukten können sie zudem die Risiken Tod und Invalidität absichern. Für manche Sparer ist ein 3a-Zinskonto, bei welchem das Geld nicht angelegt wird, der richtige Weg – beispielsweise, wenn man sich in absehbarer Zeit ein Eigenheim kaufen möchte. Bei der Pensionskasse können Versicherte indessen nicht entscheiden, wie das Geld investiert wird – ausser sie verdienen gut genug, um einen 1e-Plan abzuschliessen. Nicht jede Pensionskasse bietet allerdings solche Pläne an. Dabei handelt es sich um Sparpläne, die Lohnbestandteile oberhalb der Grenze von 129 060 Fr. versichern. Hier können Versicherte zwischen verschiedenen Investmentstrategien wählen, allerdings tragen sie auch das Risiko selbst. Zudem sind die Kosten der Vermögensverwaltung in der Pensionskasse im Allgemeinen geringer als in der Säule 3a. Das Geld wird ausserdem in Anlageklassen investiert, zu denen man als Kleinanleger keinen Zugang hat. Dazu zählen etwa Private Equity, Hedge-Funds oder Infrastrukturinvestitionen.

jüngere Versicherte. Finanzberater empfehlen PK-Einkäufe im Allgemeinen erst ab dem Alter von 50 Jahren. Bei früheren Einzahlungen wird der Steuervorteil stark verwässert, da das Geld dann lange Zeit in der Pensionskasse gebunden ist. «Bei Pensionskasseneinkäufen bewerten viele Versicherte den Steuervorteil sehr stark», sagt Brot. Allerdings sei es wichtig, unter anderem die Renditechancen der Kasse anhand der Anlagestrategie sowie deren Qualität vorher zu prüfen. So sollte der technische Deckungsgrad einer Pensionskasse deutlich über 100% liegen. Die Kennzahl zeigt das Verhältnis des angesparten Vermögens zu den Verpflichtungen an. Ein geringer Deckungsgrad und ein hoher technischer Zins sind Alarmzeichen. Aus Sicht von Brot ist es ausserdem sehr wichtig, mit welchem technischen Zins eine Pensionskasse diskontiert. Dies hat auch Auswirkungen auf ihren Deckungsgrad. Angesichts des Niedrigzinsumfelds ist es seriös, mit einem niedrigen technischen Zins zu rechnen – auch wenn dann der Deckungsgrad geringer ausfällt. Brot hält einen technischen Zins von 1 bis 1,5% derzeit für angebracht, dies hängt aber auch von der sonstigen Situation der Pensionskasse ab. Hat eine Kasse einen hohen Anteil an Rentnern, ist sie bei der Anlage der Vorsorgegelder in der Regel limitiert und kann nur geringere Risiken eingehen. Dies wiederum dürfte sich in tieferen Renditen niederschlagen, was sich beim Endguthaben bemerkbar macht.

5. Verrentung der Gelder Ein Nachteil der Säule 3a ist, dass man sich das dort angesparte Vermögen bei der Pensionierung nur als Kapital und nicht als Rente auszahlen lassen kann. Spring weist derweil darauf hin, dass man Säule-3a-Gelder kostenneutral in die Pensionskasse übertragen und sich seine Rente aus der zweiten Säule so aufbessern kann. Bei der Pensionskasse hat man indessen die Möglichkeit, sich das gesparte Vermögen als Kapital auszahlen zu lassen oder dieses als Rente zu beziehen. Auch ein Mix ist möglich.

Fazit: Säule 3a ausschöpfen Brot rät, die Säule 3a zuerst auszuschöpfen, bevor man über Pensionskasseneinkäufe nachdenkt. Dies gilt vor allem für

www.nzz.ch/ld.1613253


30 VORSORGEN FÜR EINE NEUE WELT

Beim Jobabbau beginnt für «Ü50» das grosse Zittern «Früher aufhören» ist in der Realität oft ein Albtraum – ein Stellenverlust kurz vor dem Ruhestand bringt Einbussen in der Vorsorge WERNER GRUNDLEHNER

Frühpensionierung, Selbständigkeit, Kündigung, Altersarbeitslosigkeit – es gibt viele Szenarien für Arbeitnehmer kurz vor dem Pensionsalter. Doch Erwartung und Realität passen selten zusammen. Eine Frühpensionierung kommt nur für Gutsituierte infrage. Wer wegen Personalabbaus oder aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand ­geschickt wird, sieht sich vor grosse finanzielle Herausforderungen gestellt. Angesichts des finanziellen Zustandes der ­Vorsorgeeinrichtungen sowie der gestiegenen Lebenserwartung herrscht die Meinung vor, dass Schweizer Arbeitnehmer sogar über das reguläre Pensionsalter von 65 Jahren (beziehungsweise 64 für Frauen) hinaus arbeiten sollten. Dabei ist es für viele schon eine Herausforderung, bis zum gesetzlichen Ruhestand arbeitstätig zu bleiben. Die Angestellten im Vorpensionsalter weisen nicht das grösste Kündigungsrisiko auf. Laut dem Outplacement-Berater Von Rundstedt tragen es vielmehr die 40- bis 50-Jährigen, die 25% der Beschäftigten ausmachen und 42% der Kündigungen erhalten. Im Gegenzug entspreche die Kündigungsquote für die «50+» etwa dem demografischen Beschäftigungsanteil der Altersgruppe. Doch die­ Ü50 gelten als teuer und schwer vermittelbar, und daher ist es für sie am schwierigsten, in den Arbeitsmarkt zurückzufinden. Fast die Hälfte der Gruppe, die in der Schweiz seit mehr als einem Jahr arbeitslos ist, besteht aus 50-Jährigen und Älteren.

Was heisst freiwilliger Rückzug? «Ältere Mitarbeiter können mit der Geschwindigkeit und dem Wandel in der Arbeitswelt nicht immer mithalten», sagt Michael Weiss vom Beratungsunternehmen Neuorientierung50Plus.Manche ziehen sich freiwillig zurück, oft in eine vermeintliche «Selbständigkeit», die unter

dem Strich kaum etwas einbringt. Nicht wenige Ü50 sind ausgesteuert, erscheinen nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik und drohen in die Altersarmut abzugleiten. Der grösste Fehler ist laut Weiss, dass die von einer Entlassung Betroffenen zu lange warten. Wer erst nach der Kündigung oder längerer Arbeitslosigkeit reagiere, sei definitiv zu spät daran. Es gelte, aktiv zu bleiben und zu beobachten, wie spruchreif der Personalabbau sei und welche Alternativen sich eröffneten. Dies könne man aber schwer allein lösen, besser solle man Hilfe im Unternehmen oder von einem Berater holen. Zudem gilt es, die finanzielle Situation der eigenen Vorsorge zu analysieren, um den eigenen Spielraum abschätzen zu können. «Das tönt banal, wird aber von den wenigsten wirklich gemacht», sagt Weiss.

Umwandlungssatz wächst mit Eine Frühpensionierung sollte man laut Weiss, wenn immer möglich, nicht in Betracht ziehen. Pro Jahr dürfte der Arbeitnehmer dadurch rund 100 000 Fr. verlieren. Allein bei Vorbezug der AHV um ein Jahr beträgt die lebenslange Einbusse 6,8%, bei zwei Jahren sind es 13,6%. Eine Lösung ist eine Teilpensionierung, bei der ein Teil der Rente bezogen wird, oder noch besser ist eine Teilzeitbeschäftigung von 50%. Bei Ersterer wird das Vorsorgeguthaben allerdings bereits strapaziert, bei Letzterer noch etwas aufgebaut. «Je länger man im Arbeitsleben bleibt, desto höher wird der Umwandlungssatz», sagt Mark Huber von Pensexpert. Bei einzelnen Kassen, die beabsichtigten, den Umwandlungssatz in den kommenden Jahren anzupassen, könne es jedoch sinnvoll sein, die Rente frühzeitig zu beziehen, um diese Reduzierung zu umgehen. «Leider sind die Zeiten üppiger Sozialpläne vorbei, so bedeutet eine vorzeitige Pensionierung meist eine erhebliche Einkommenseinbusse», sagt Reto Spring von Academix Consult und Präsident des

Finanzplanerverbands Schweiz. Was sollte ein Arbeitnehmer tun, wenn er auswählen kann zwischen Frühpensionierung oder Entlassung? Man könne nicht Taggelder der Arbeitslosenversicherung beziehen und schon Schritte Richtung Frühpensionierung unternehmen – also Pensionskassengelder beziehen und sich mit ALV-Bezügen «ein schönes Leben machen», sagt Spring. Steht man zwei Jahre vor der Pensionierung, ist eine Entlassung vorteilhafter, weil man dann über die ALV noch 70% seines Einkommens abgesichert hat. Auch die AHV-Beiträge werden von der Arbeitslosenversicherung (ALV) übernommen.

Progression brechen Wie bei der regulären stellt sich auch bei der vorzeitigen Pensionierung die Frage, ob man das Vorsorgevermögen als Rente oder einmalige Kapitalauszahlung bezieht. Für die Rente spricht ein lebenslang gesichertes Einkommen, ohne dass man sich um Anlagethemen kümmern muss, und es gibt Hinterbliebenenleistungen. Für den Kapitalbezug sprechen Flexibilität sowie Vorteile beim Vererben und bei den Steuern. Faktoren wie Lebenserwartung, Gesundheit, Zivilstand, Investment-Erfahrung und übrige Vermögenswerte spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. «Oft ist ein Mix eine gute Lösung, sodass ein existenzielles Grundeinkommen gesichert ist», sagt Spring. Um das Abrutschen in Armut und Sozialhilfe für ältere Arbeitslose (Ausgesteuerte ab Alter 60) zu verhindern, trat per 1. Juli 2021 das neue Bundesgesetz über Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose in Kraft das frühestens für 58-Jährige zum Tragen kommt, die keine Anstellung mehr finden, mindestens 20 Jahre in der Schweiz erwerbstätig waren und nicht zu vermögend sind. Es muss berücksichtigt werden, dass Pensionskassenguthaben erst ab 58 als Rente oder Kapitalleistung vorbezogen


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Zwar sind die ältesten Mitarbeiter nicht am häufigsten von Entlassungen betroffen, doch bleiben sie am längsten arbeitslos.

werden können. Vorher muss das Vorsorgevermögen auf ein Freizügigkeitskonto überwiesen werden. «Nur wenige Freizügigkeitseinrichtungen offerieren später die Möglichkeit, das Guthaben als Rente zu beziehen», sagt Huber. Wichtig sei es, dass die Gelder auf zwei verschiedene Freizügigkeitsstiftungen gesplittet einbezahlt würden, sodass später ein zeitlich verschobener Bezug möglich sei und die Steuerprogression gebrochen werden könne. Auch die Beiträge an die berufliche Vorsorge (Pensionskasse) werden hälftig von der ALV übernommen, sofern man sich innert 90 Tagen bei der Auffangeinrichtung BVG anmeldet. Statt dieser minimalen Weiterführung kann man sich als Arbeitsloser aber auch vom BVG befreien lassen. Wer im Alter 58 arbeitslos wird, kann seit dem 1. Januar 2021 in der

angestammten Pensionskasse bleiben und sich so den Rentenanspruch sichern.

Entlassungswelle steht an Spring fügt an, dass es empfehlenswert sei, den Versicherungsschutz zu überprüfen. Bei der Krankenkasse ist der Unfallzusatz im Obligatorium wieder einzuschliessen. Und spätestens 30 Tage nach dem Zahlungseingang des letzten Salärs sollte eine Abredeversicherung abgeschlossen werden. Diese sichert bei Unfallfolgen die Einkommenseinbussen wenigstens während eines halben Jahres zu vorteilhaften Konditionen (Kollektivvertrag). Danach kann man ohne Gesundheitsprüfung in den Einzeltarif wechseln, was zwar teurer wird, aber für gesundheitlich vorbelastete Personen oft die einzige Möglichkeit darstellt.

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«Die Corona-bedingte Entlassungswelle steht wohl erst noch bevor», sagt Weiss. Er erwartet diese auf Ende Jahr und für 2022. Die Unternehmen hätten bis anhin staatliche Unterstützung erhalten. Weiss macht den Arbeitnehmern aber Mut. Wer offen sei, auch neue Wege und Ideen zu prüfen, finde wieder einen Job – dazu brauche es aber oft die Unterstützung von Dritten.

www.nzz.ch/ld.1614858


32 VORSORGEN FÜR EINE NEUE WELT

Altersarmut droht wegen Reformstau zuzunehmen Dem Grossteil der Älteren in der Schweiz geht es finanziell gut – es gibt aber auch Menschen, die weniger begütert sind

In der beruflichen Vorsorge findet heute eine Umverteilung statt von Aktiven zu Rentnern.

MICHAEL FERBER

Die meisten Personen im Rentenalter in der Schweiz sehen ihre finanzielle Lage positiv. Dies zeigt ein Bericht des Bundesamts für Statistik (BfS) vom vergangenen Oktober. Demnach stufen 72% der über 65-Jährigen die finanzielle Lage ihres Haushalts auf einer Skala von null

(gar nicht zufrieden) bis zehn (vollumfänglich zufrieden) mit 8 oder mehr ein. Bei den 18- bis 64-Jährigen ist dies nur bei 54% der Fall. Doch es gibt auch Ältere, die weniger begütert sind. So weist das BfS eine «Armutsquote» für Personen ab 65 in Höhe von 13,6% aus – diese liege deutlich höher als bei den Menschen im Erwerbs-

ILLUSTRATION JOANA KELÉN

alter (5,8%). Dabei ist Armut in der reichen Schweiz, global gesehen, natürlich relativ. «Man muss aufpassen, dass man das Problem der Altersarmut in der Schweiz nicht grösser macht, als es ist», sagt der Berner Vorsorgespezialist Werner C. Hug. Der BfS-Bericht rücke das Negative in den Vorder- und das Positive in den Hintergrund. Der Lebensstandard


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in der Schweiz sei enorm hoch und die Kriterien für Armut etwas über Gebühr angelegt. Dem Grossteil der Älteren gehe es heute finanziell sehr gut.

Wer gilt in der Schweiz als arm? Bei der Armutsgrenze orientiert sich das BfS an den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos). Die Armutsschwelle der Skos berücksichtige «neben dem physischen Überleben auch das Bedürfnis nach minimaler gesellschaftlicher Teilhabe», wie es in einem Grundlagenpapier heisst. Die durchschnittliche Armutsgrenze im Jahr 2018 ist darin wie folgt festgehalten: 2293 Fr. pro Monat für eine Einzelperson, 3028 Fr. für ein Paar ohne Kinder sowie 3968 Fr. für ein Paar mit zwei Kindern für Grundbedarf, Wohnkosten und weitere Auslagen. Die Krankenkassenprämien sind darin nicht enthalten. Laut der BfS-Statistik nimmt die Einkommensarmut mit dem Alter zu, so ist sie bei Personen ab 75 höher als bei den 65- bis 74-Jährigen. Auch sind Menschen ohne nachobligatorische Ausbildung mit 19,1% überproportional davon betroffen, bei ihnen besteht das Einkommen im Alter viel häufiger vor allem aus Renten aus der ersten Säule (AHV/IV/EL) als bei Personen mit Tertiärabschluss (69% zu 33%). Hat jemand keine zweite und dritte Säule aufgebaut, besteht ein Armutsrisiko. Laut Pro Senectute verfügte 2015 ein substanzieller Teil der Rentnerinnen und Rentner im Alter nur über die AHV – dies sei bei 31,5% der Frauen und 17% der Männer der Fall gewesen. Laut BfS ist die Armutsquote für Frauen ab 65 Jahren (15,2%) zudem höher als für Männer (11,9%). In Sachen Altersarmut sei dennoch weniger die derzeitige Rentnergeneration als vielmehr die Situation der heute 30- bis 40-Jährigen besorgniserregend, sagt Hug. Diese litten bei der Vermögensbildung unter Negativzinsen und der Umverteilung von aktiven Versicherten zu Rentnern in der beruflichen Vorsorge. In den kommenden Jahren müssten sie noch mit zusätzlichen Steuern und Abgaben rechnen. Auch Martin Eling, Professor am Institut für Versicherungswirtschaft an der Universität St. Gallen, sieht dies so. «Die Personen, die in 20 oder 30 Jahren in Rente gehen, konnten dann vor­ aussichtlich weniger ansparen, sie werden weniger Vermögen haben, aber dafür länger leben.» Es sei deshalb wichtig, dass die Politik heute handle, es gehe dabei um das Fundament des Schweizer Sozialstaats. «Das

Schweizer Altersvorsorgesystem braucht dringend Reformen, um wachsende Altersarmut wie beispielsweise in Deutschland zu vermeiden», sagt Eling. Die Nachhaltigkeit des Systems werde derzeit massiv ausgehöhlt.

Frauen sind stärker betroffen Als Beispiele nennt er den zu hohen BVG-Mindestumwandlungssatz in der beruflichen Vorsorge, der zu einer Umverteilung von Aktiven zu Rentnern führe. «Das ist der wahre Rentenklau», sagt der HSG-Professor. Zudem müsse das gesetzliche Rentenalter erhöht werden. Problematisch seien auch der Koordinationsabzug sowie die Eintrittsschwelle in die berufliche Vorsorge, da die Vorsorge von Menschen mit geringeren Einkommen dadurch geschmälert werde. Auch im Bereich Pflege gebe es offene Fragen. «Wird man im Alter pflegebedürftig, ist auch ein gutes Vermögen in zwei, drei Jahren weg», sagt Martin Eling. Für die heutige Rentnergeneration zeigt die Statistik, dass Frauen überproportional von Altersarmut betroffen sind. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass Frauen häufiger als Männer in Teilzeit arbeiten, mehr Pausen bei der Erwerbstätigkeit einlegen und auch niedrigere Löhne haben. Hinzu kommt, dass ihre Lebenserwartung höher ist als diejenige von Männern. Laut Veronica Weisser und Jackie Bauer, Vorsorgeexpertinnen bei der UBS, schützt die Ehe insofern, als das während der Ehe von beiden Partnern erwirtschaftete Einkommen, auch das in der Pensionskasse, beiden Ehegatten gleichermassen zusteht. Brenzlig kann es indessen nach einer Scheidung werden. Laut einer im März publizierten Studie des Versicherers Swiss Life ist jede vierte geschiedene Rentnerin in der Schweiz auf Ergänzungsleistungen (EL) zusätzlich zur AHV angewiesen. Nach einer Scheidung sei die Verpflichtung des Besserverdienenden, den anderen zu unterstützen, sehr limitiert, teilen die UBS-Vertreterinnen mit. Sei die Erwerbskarriere einer Mutter ins Stocken geraten und nehme diese die Erwerbstätigkeit nach der Scheidung mit tiefem Lohn wieder auf, so verursache insbesondere der Koordinationsabzug, dass kaum Kapital in der beruflichen Vorsorge angespart werde. Der Koordinationsabzug beträgt dieses Jahr 25 095 Fr. und wird vom Bruttolohn abgezogen. So soll eine Überversicherung verhindert werden.

Höhere Fixkosten bei Singles Die höhere Armutsgefährdung von Geschiedenen dürfte nicht zuletzt auch damit zusammenhängen, dass der Lebensunterhalt in einem Einzelhaushalt mit grösseren Fixkosten pro Kopf verbunden sei als in einem Paarhaushalt, sagt Valérie Müller vom Think-Tank Avenir Suisse. «Zudem sind Alleinlebende bei Pflegebedürftigkeit häufiger auf einen Heimaufenthalt angewiesen.» Müller ist indessen zuversichtlich, dass sich die Situation für geschiedene Frauen in Zukunft entschärfen könnte. Schliesslich seien Frauen zunehmend erwerbstätig. «Hinzu kommt, dass ein Vorsorgeausgleich in der zweiten Säule eingeführt wurde», sagt sie. Bei einer Scheidung werden die Vorsorgeansprüche in der Pensionskasse zwischen den Ehepartnern ausgeglichen, was vor allem Frauen, die während der Ehe kaum oder nicht erwerbstätig waren, zugutekommt. Letztlich würde eine stärkere Erwerbstätigkeit von Frauen und Eltern helfen, dem Problem der Altersarmut zu begegnen. Weisser und Bauer fordern denn auch weitere Verbesserungen bei der externen Kinderbetreuung. «Die Familien würden höhere Erwerbseinkommen erzielen, dadurch mehr Steuern bezahlen, die Mütter bzw. die Eltern blieben dem Arbeitsmarkt in viel höherem Masse erhalten und würden ihre Erwerbskarrieren intakt halten und ihre berufliche Vorsorge äufnen», sagt Weisser. Eine andere Möglichkeit, Altersarmut entgegenzuwirken, könne sein, auch im Alter «Skaleneffekte zu nutzen», beispielsweise durch Alters-WGs und das bessere Zusammenwirken zwischen den Generationen, sagen die UBS-Vertreterinnen. Auch die Unternehmen sind dabei in der Pflicht. Es gelte, zu schauen, welche Jobs ältere Leute noch gut ausüben könnten, was ihnen ermöglichen würde, ein Einkommen zu erzielen, statt dass sie mit einem fixen Alter aufs Abstellgleis gestellt würden.

www.nzz.ch/ld.1623716


34 VORSORGEN FÜR EINE NEUE WELT

Wie nachhaltig investieren Schweizer Pensionskassen? Die Hälfte der befragten Kassen in einer NZZ-Untersuchung legt mindestens 50 Prozent ihrer Vorsorgegelder nach Nachhaltigkeitskriterien an PATRICK HERGER, ALEXANDRA STÜHFF

An den Börsen spielen längst nicht mehr nur Finanzkennzahlen eine Rolle. Die Kapitalmärkte bewerten Firmen auch danach, wie ökologisch (Environment) und sozial (Social) sie sich verhalten und wie gut geführt sie sind (Governance). Diese sogenannten ESG-Kriterien sind ein zusätzlicher Filter, durch den insbesondere börsenkotierte Unternehmen betrachtet und dann entweder ausgewählt oder aussortiert werden.

Höhere Werte, mehr Rendite Dabei geht es um mehr als den Willen, sich nicht unethisch zu verhalten. Von den inzwischen über 2000 Studien zu ESG zeigt eine deutliche Mehrheit, dass höhere ESG-Werte tendenziell mit höheren Renditen einhergehen. Auf der einen Seite senkt ein guter ESG-Score die Kapitalkosten. Auf der anderen Seite hat sich gezeigt, dass Unternehmen mit einem guten ESGRating geringeren systematischen Risiken ausgesetzt waren, also Risiken, die alle Unternehmen eines bestimmten Marktes, eines Sektors oder einer Branche betreffen. ESG stellt daher eine Art Filter dar, eine zusätzliche Dimension der Risikoanalyse, die institutionelle Anleger vor jedem Investment machen. Diese kann, je nach Strategie, strenger sein, wenn man bestimmte Unternehmen oder Branchen ganz ausschliesst. Sie kann aber auch weiter gefasst sein, wenn Investoren zum Beispiel den sogenannten Best-in-Class-Ansatz wählen (vgl. Glossar). Zu diesen institutionellen Anlegern zählen Fonds und Versicherungen und auch Pensionskassen, die meistens einen Mix verschiedener ESG-Strategien wählen. Thomas R. Schönbächler vertritt als Vorsitzender der BVK-Geschäftsleitung die grösste Pensionskasse der Schweiz mit knapp 130 000 Versicherten. Gefragt, warum die BVK so stark auf ESG fokussiert sei, verweist er auf die fiduziarischen Pflichten, also die Pflicht, im Interesse der

Versicherten zu handeln. Schönbächler sieht ESG-Kriterien als Bestandteil des Risikomanagements und ist überzeugt, dass ESG-konforme Anlagen langfristige Risiko-/Renditevorteile mit sich bringen. Die BVK verwaltet 85% ihres Vorsorgevermögens nach ESG-Kriterien. Die BVK wolle dem Kapital ihrer Versicherten eine Stimme geben und übe deshalb ihre Stimmrechte aktiv aus, betont Schönbächler. Aber selbst als grosse Pensionskasse mit 38 Mrd. Fr. an weltweit investierten Geldern komme die BVK bei den SMI-Firmen auf einen Anteil von höchstens 0,5%. Deswegen sei es wichtig, erklärt der BVK-Chef, sowohl die ESGGrundlagenarbeit als auch die investierten Gelder zu poolen, um bei den Unternehmen mehr Gewicht zu erhalten. Bei der Grundlagenarbeit geht es darum, konkrete Regeln zur Umsetzung möglichst objektiver ESG-Kriterien zu erarbeiten. Das Interesse an einer ESG-Implementierung nimmt bei kleinen und grossen Pensionskassen zu. PPCmetrics habe, sagt Hansruedi Scherer, seit Jahresbeginn so viele Spezialprojekte zum Thema Nachhaltigkeit wie noch nie. Scherer ist Mitgründer der Firma, die institutionelle Investoren und damit auch Pensionskassen im gesamten Prozess der Vermögensanlage berät. Sie gilt als Marktführer und hat somit einen guten Einblick in die Pensionskassenwelt. Nachhaltigkeit ins Anlagekonzept zu integrieren, ist keine triviale Angelegenheit. Einige Pensionskassen widmen sich diesem Thema seit Jahren und verwalten inzwischen ihr gesamtes Anlagevermögen ESG-konform. Manche Pensionskassen beschränken das Konzept auf einen Teil ihrer Vorsorgegelder. Das zeigt eine Umfrage, die die NZZ unter rund 30 Vorsorgeeinrichtungen in der Schweiz gemacht hat, darunter die Pensionskassen der SMIKonzerne sowie von Coop, Migros und den staatsnahen Betrieben Post, SBB und Swisscom. Zudem haben die Pensionskasse des Bundes Publica, der AHV-Fonds Compenswiss und eine Auswahl kantonaler Kassen an der Umfrage teilgenommen.

Die Antworten führen zu zwei Erkenntnissen: Erstens haben ESG-Themen wie Klimawandel und Menschenrechte in der Öffentlichkeit an Bedeutung gewonnen und werden auch von allen befragten Pensionskassen als wichtig erachtet. Der Grad der Umsetzung ist bei den befragten Kassen jedoch sehr unterschiedlich. Bei der Hälfte der Vorsorgeeinrichtungen liegt der Anteil der auch nach ESG-Kriterien verwalteten Vermögen zwischen 51 und 100%.

Häufig Ausschlusskriterien Zweitens sind Ausschlusskriterien die gängigste ESG-Massnahme. Das sei meistens der erste Schritt, wenn eine Kasse sich mit dem Thema befasse, stellt Silvia Rudigier fest. Grundlage hierfür sei in der Regel zunächst die SVVK-Ausschlussliste, sagt die ESG-Expertin bei PPCmetrics. Um die komme man heutzutage nicht mehr herum. Der Schweizer Verein für verantwortungsbewusste Kapitalanlagen (SVVK) wurde 2015 ins Leben gerufen, um seine Mitglieder bei der Umsetzung einer nachhaltigen Anlagestrategie zu unterstützen. Zu den Gründungsmitgliedern zählen auch die Pensionskasse des Bundes, der AHV-Fonds sowie die Pensionskassen aller Betriebe mit Staatsbeteiligung. Umso erstaunlicher ist es allerdings, dass gerade zwei Pensionskassen von Betrieben mit staatlicher Beteiligung eine Antwort auf die Frage der NZZ, welchen Anteil ihrer Vorsorgegelder sie einem ESG-Screening unterziehen, verweigern (vgl. Tabelle). So antwortet die Pensionskasse der Post schriftlich: «Sowohl die Medien als auch die Öffentlichkeit erwarten von institutionellen Investoren immer öfter eine Aussage zu einem exakten prozentualen Anteil der Vermögensanlagen, welche nach ESG-Kriterien getätigt werden. Eine solche Aussage ist aus Sicht der Pensionskasse Post sehr pauschal, deckt die Komplexität der ESG-Thematik nicht ab und ergibt demzufolge unseres Erachtens ein falsches Bild.» Und auch die Pensions-


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Es geht um mehr als den Willen, nicht unethisch zu wirtschaften: Wenn sich Firmen ökologisch und sozial verhalten und auch gut geführt sind, so steigt oft auch die Rendite.

kasse der Swisscom lässt sich nicht auf die Äste hinaus. Immerhin geht aus der Antwort hervor, dass der Stiftungsrat die Strategie für verantwortungsbewusstes Investieren Ende 2019 in Kraft gesetzt hat. Bis auf wenige Ausnahmen scheinen aber die von der NZZ befragten Kassen mit der Frage nach dem prozentualen Anteil keine Probleme zu bekunden, zumal auch die in der Branche renommierte und vielbeachtete jährliche Schweizer Pensionskassenstudie von Swisscanto exakt die gleiche Frage stellt. Einen wichtigen Punkt muss man allerdings herausstreichen: Die tabellarische Übersicht stellt kein Ranking dar, das Kassen mit vollständiger ESG-Integration gleichsetzt mit einer guten Note und solche, die weniger als die Hälfte ihrer Vorsorgegelder nachhaltig anlegen, schlecht beurteilt. Dennoch gibt der prozentuale Anteil den Versicherten einen Hinweis darauf, wie umfassend das Thema bei den Kassen umgesetzt wird. Dabei fällt es nicht allen Pensionskassen gleich leicht, bestimmte ESG-Kriterien zu implementieren. Die grosse BVK etwa hat für den ESG-Bereich 1,5 Stellen zur Verfügung; kleinere Kassen können sich

das nicht leisten. Deswegen gibt es grosse Diskrepanzen dabei, wie genau die ESGKriterien umgesetzt werden. Wenn für ein umfassendes ESG-Konzept die Ressourcen fehlen, steigt die Wahrscheinlichkeit, punkto ESG zu den beiden einfachsten Umsetzungsmassnahmen zu greifen: erstens schlicht die ESG-Produkte grosser Finanzunternehmen zu kaufen oder zweitens bestimmte Unternehmen auszuschliessen. Beides ist deutlich einfacher, als etwa den direkten Dialog mit Unternehmen zu suchen, um sie zu Verhaltensänderungen in Richtung einer höheren ESGKonformität zu bewegen. Diese Strategie wird unter «Engagement » zusammengefasst. Eine Vorsorgeeinrichtung, die vor bald 40 Jahren gegründet wurde, um ökologisch und sozial nachhaltig zu investieren, ist die Sammelstiftung Nest. Ihre 3,3 Mrd. Fr. Vorsorgegelder sind, abgesehen von Barmitteln, vollständig nachhaltig investiert. Ulla Enne, Anlagechefin bei Nest, rät zu einer pragmatischen Herangehensweise, gerade weil das Thema komplex sei. «Learning by doing» habe in den Anfängen von Nest gegolten, weil es noch kein

ILLUSTRATION JOANA KELÉN

Angebot an investierbaren Anlagen gegeben habe. Mittlerweile sei es umgekehrt: Das Angebot sei riesig, und die Devise gelte noch immer.

Immobilien nicht vergessen Umso wichtiger sei es, kritisch zu hinterfragen: «Heutzutage brüstet sich jeder Vermögensverwalter damit, nachhaltig zu investieren. Das sollte eine Pensionskasse nicht einfach glauben, sondern es sich belegen lassen», sagt Enne. Bei den öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen sei der öffentliche Druck gross, gerade beim Thema Klimawandel, sagt Rudigier. Und auch wenn die meisten Kassen mit ESG starteten, indem sie den Filter auf ihr Aktien- und Obligationenportfolio anwendeten, sollten gerade Pensionskassen eine wichtige Anlageklasse nicht vergessen: Immobilien. Für Rudigier bietet sich beim Neubau ebenso wie bei der Sanierung einer Immobilie eine ideale Möglichkeit, in das Thema einzusteigen.

Fortsetzung auf Seite 36


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Glossar: Environment, Social and Governance (ESG) ■ SRI (Socially Responsible Investing): Eine Investmentstrategie, die neben Renditezielen vor allem soziale Ziele umfasst. ■ Nachhaltiges Investieren (Sustainable Investing): Eine Investmentstrategie ähnlich wie SRI, aber mit einer breiteren Ausrichtung. Zusätzlich zu sozialen Zielen werden auch Umweltziele sowie Massnahmen für gute Unternehmensführung berücksichtigt (siehe auch ESG). ■ Unternehmensverantwortung (Corporate Responsibility): Die Verpflichtung von Unternehmen, die Wirkungen der eigenen Geschäftstätigkeit auf Umwelt und soziale Gemeinschaften zu berücksichtigen, darüber Rechenschaft abzulegen und für eventuelle problematische Folgen einzustehen. ■ ESG (Environment, Social and Governance): ESG steht für Environmental, Social and Governance, also Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung. Bezieht sich vor allem auf unternehmerisches Handeln, welches (zumeist auf freiwilliger Basis) soziale und ökologische Ziele in die Geschäftstätigkeit integriert. Dient auch als Investment-Ansatz. ■ Positives Screening/Best-in-Class: Auswahl derjenigen Investments, die im Hinblick auf Nachhaltigkeit innerhalb einer Branche oder einer Kategorie am besten abschneiden. Dafür werden die Unternehmen oder Anlagen nach bestimmten ESGKriterien in eine Rangfolge gebracht, um dann diejenigen auszuwählen, welche hinsichtlich Nachhaltigkeit die höchsten Standards erfüllen. ■ Negatives Screening /Ausschlüsse: Ausschluss bestimmter Firmen oder Anlagen aus dem Pool möglicher Investments, weil sie nicht mit den Nachhaltigkeitskriterien vereinbar sind. Häufig ausgeschlossen werden bestimmte Waffenhersteller oder Produzenten von süchtig machenden Genussmitteln (Alkohol, Tabak). ■ Filterung / Screening: Investmentansatz, bei dem der Pool möglicher Anlagen aufgrund zuvor definierter Kriterien gefiltert wird. Dabei kann man einen positiven Filter verwenden, der diejenigen Anlagen he-

rausfiltert, welche die gewünschten Kriterien erfüllen und daher infrage kommen. Oder man nutzt einen negativen Filter, der all diejenigen Anlagen aussortiert, welche nicht infrage kommen. ■ Impact-Investing: Impact-Investments sind Investments, die neben einer positiven finanziellen Rendite das Ziel haben, eine messbare soziale oder ökologische Wirkung zu erzielen. ■ Themeninvestments: Investitionen in Anlagen, welche Nachhaltigkeit fördern. Dabei steht ein bestimmtes Thema im Vordergrund, beispielsweise die Minderung des Klimawandels oder die Ernährungs­ sicherheit. ■ Engagement / Einflussnahme: Massnahmen von Investoren mit dem Ziel, die Unternehmen zu beeinflussen. Dazu gehört insbesondere ein langfristig ausgerichteter Dialog von Investoren und Unternehmen, der die Unternehmen dazu bewegen soll, höhere ESG-Standards zu implementieren. ■ ESG-Integration: In der Vergangenheit hatten Nachhaltigkeitsberichte und Finanzberichte nur wenig miteinander zu tun. Bei der ESG-Integration geht es darum, einen umfassenden integrierten Bericht zu erstellen. Dieser verknüpft die Nachhaltigkeitsdaten des Unternehmens mit der Strategie und den Finanzergebnissen, etwa durch die Berücksichtigung von ESG-Risiken.


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«Versicherte erwarten Nachhaltigkeit» Ulla Enne sagt, wie Pensionskassen bei den Themen Ökologie und Ethik vorgehen können Frau Enne, Nest ist mit der Absicht gegründet worden, ökologisch und ethisch zu investieren. Was haben Sie in diesen bald vierzig Jahren gelernt? Unser Motto war immer «Learning by doing». Vieles mussten wir uns selbst erarbeiten. Deshalb haben wir auch Inrate gegründet.

PD

Inrate vergibt Nachhaltigkeitsratings an Unternehmen. Genau. Sie sollten damals unser Nachhaltigkeitsverständnis umsetzen in ein investierbares, nachhaltiges Titeluniversum. Damals gab es ja nichts Vergleichbares.

Ulla Enne Leiterin Responsible Investing bei der NestSammelstiftung

Das ist inzwischen ganz anders. Das Angebot ist gross und wächst kräftig weiter. Das Pariser Klimaabkommen, die Verpflichtung zum Zwei-Grad-Ziel, die Klimajugend – all das hat dazu beigetragen, dass Nachhaltigkeit in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist. Investoren springen auf das Thema auf. Und auch die Versicherten erwarten zunehmend, dass Pensionskassen ihre Vorsorgegelder nachhaltig anlegen. Manche Pensionskassen zögern noch. Typische Argumente: zu intransparent, zu teuer, entgangene Rendite. Was erwidern Sie diesen Nachhaltigkeitsskeptikern? Zum letzten Punkt zuerst: Pensionskassen sind per Gesetz verpflichtet, eine marktkonforme Rendite zu erzielen für ihre Versicherten. Dass das machbar ist, zeigt unsere langjährige Performance der vergangenen zehn Jahre. Sie haben in sieben von zehn Fällen den UBS-PK-Vergleichsindex geschlagen (siehe Grafik).

Genau. Das «Zu-teuer-Argument» kann ich ebenfalls entkräften. Die Kosten, nachhaltig zu investieren, sind in den vergangenen Jahren in dem Masse gesunken, wie das Angebot an Produkten gewachsen ist. Und Kassen können selbst für mehr Transparenz sorgen, indem sie bei ihren Vermögensverwaltern genau hinschauen und nachfragen. Wonach? Heutzutage brüstet sich jeder Vermögensverwalter damit, nachhaltig zu investieren. Das sollte sich eine Pensionskasse belegen lassen. Welche Nachhaltigkeitskennzahlen berücksichtigt der Vermögensverwalter, drängt er bei den Firmen auf Verbesserungen – Thema Engagement – oder welche Ausschlusskriterien wendet er an? Genauer hinschauen und nachfragen lohnt sich.

Welchen Rat geben Sie einer Pensionskasse, die das Thema endlich angehen will? Beginnen Sie mit der eigenen Motivation: Wieso will man nachhaltig investieren? Passend zum eigenen Nachhaltigkeitskonzept sucht man dann im Markt nach geeigneten Produkten oder Anbietern. Klingt einfach. Zumindest den Anfang einfach mal zu machen, ist nicht so schwer. Sobald man ein konkretes Ziel hat, nimmt man das bestehende Portfolio unter die Lupe. Die meisten werden feststellen, dass schon sehr viel vorhanden ist, auf dem sie aufbauen können. Interview: Alexandra Stühff

Es herrscht aber auch ein Durcheinander bei den Daten, welche die Unternehmen erheben und offenlegen. Da es dort noch keine einheitlichen Vorgaben gibt, was genau erfasst und wie gemessen wird, macht es jede Firma ein bisschen anders. Man läuft Gefahr, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Dass Daten noch nicht einheitlich erhoben werden oder dass die Transparenz noch nicht vollständig da ist, ist für mich aber noch lange kein Grund, vom Thema Nachhaltigkeit die Finger zu lassen. Es gibt genügend gute Anbieter, darunter MSCI, FTSE, Inrate, Trucost, für deren Vorgehensweise man sich entscheiden kann. Und was oft vergessen geht: Teilweise haben gewisse Kennzahlen schon ihren Weg in die Standard-Unternehmensanalyse und zu den entsprechenden Datenanbietern wie Bloomberg gefunden. Viele Pensionskassen haben nicht die Ressourcen, um beispielsweise den aktiven Dialog mit Unternehmen zu suchen und so auf positive Veränderungen hinzuarbeiten. Was raten Sie denen? Kleine oder mittelgrosse Pensionskassen, dazu zählen wir auch, können sich für ihr kotiertes Portfolio sogenannten Engagement-Pools anschliessen, um mit ihren Stimmen gehört zu werden. In unserem Fall läuft das über Ethos.

www.nzz.ch/ld.1624736


38 VORSORGEN FÜR EINE NEUE WELT

Wohnung kaufen zum Vermieten? Wer mit Immobilien seine wachsende Vorsorgelücke schliessen will, unterschätzt allzu oft die Risiken MICHAEL SCHÄFER

Das Tiefzinsumfeld macht Anlegern nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit zu schaffen. Zwar befinden sich die Aktienmärkte seit der Finanzkrise in einem langfristigen Aufwärtstrend, der nur von kurzen Rückschlägen unterbrochen war. Diese Korrekturen waren aber teilweise heftig, und nicht jeder ist ein geborener Aktieninvestor, der die Auf und Abs an den Börsen mit einer hohen Quote an Dividendenpapieren im Portfolio mitmachen kann oder will.

Anlagedruck auch für Private Weil es schon lange keine risikoarmen Anlagen mehr gibt, die eine nennenswerte Rendite versprechen, sitzen derzeit viele Haushalte auf hohen Liquiditätsbeständen. Das ist aus zweierlei Hinsicht problematisch. Einerseits wälzen die Banken die Negativzinsen, die sie der Nationalbank für das Deponieren von Geldern zahlen müssen, zunehmend auch auf Privatkunden ab. Zwar gewähren etliche Banken noch relativ hohe Freibeträge, die meist nochmals grosszügiger ausfallen, wenn Kunden gewisse Produkte oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen, wie etwa eine Hypothek. Die Freibeträge sinken aber in der Tendenz, so wird die UBS ab Juli einen Negativzins von 0,75% bei Guthaben erheben, die 250 000 Fr. übersteigen – bis anhin sind es 2 Mio. Fr. Andererseits ist der Mangel an Anlagen, die eine vernünftige Rendite bei überschaubarem Risiko bieten, im Hinblick auf die Altersvorsorge besonders schmerzhaft. Weil auch die Leistungen der Vorsorgesysteme durch die Renditewüste beeinträchtigt werden und die zweite Säule zusätzlich durch Umverteilungen von den Beitragszahlern zu den Pensionierten geschwächt wird, müssen die Versicherten selbst mehr unternehmen, um die sich auftuenden Lücken zu schliessen. Was aber tun, wenn man nicht noch mehr Aktien und Hochzinsanleihen im

Portfolio halten will? Zahlreiche Schweizer Haushalte scheinen eine Lösung gefunden zu haben: Sie erwerben Wohnliegenschaften, vorab Eigentumswohnungen, um sie zu vermieten («buy to let»). Obwohl die sogenannten Cashflow-Renditen (Mietertrag im Verhältnis zum Marktwert) solcher Objekte seit Jahren nach unten tendieren, liegen sie noch deutlich über den Hypothekarzinsen. In dieser Konstellation können Anleger aus dem Nachteil der niedrigen Zinsen sogar einen Vorteil machen. Je tiefer der Hypothekarzins und je höher die Fremdkapitalquote, umso höher fällt grundsätzlich die Rendite auf das eingesetzte Kapital aus. Das scheint sich herumgesprochen zu haben. Sowohl die Daten der beiden Grossbanken Credit Suisse und UBS als auch jene von Raiffeisen lassen darauf schliessen, dass hierzulande rund jede sechste Wohnliegenschaft zum Zweck der Vermietung erworben wird. Ist damit die Patentlösung gefunden, mit deren Hilfe sich alle Anlageprobleme inklusive der Vorsorge lösen lassen? Das wohl nicht, aber wenn man es richtig angeht, kann «buy to let» zumindest dazu beitragen, und nicht selten sogar in zweierlei Form. Neben der Motivation, eine attraktive Rendite zu erzielen, kann eine Wohnung nämlich auch in der Absicht erworben werden, sie im dritten Lebensabschnitt selbst zu nutzen. Letzteres kann sich insbesondere dann lohnen, wenn man heute schon die passende altersgerechte Bleibe an der richtigen Lage findet und man zu einem späteren Zeitpunkt für ein adäquates Objekt deutlich mehr zahlen müsste. Aber auch wenn man die Wohnung nicht eines Tages selbst nutzen will, bietet sie laut Fredy Hasenmaile, Leiter Immobilienanalyse bei der Credit Suisse (CS), die Chance, am langfristigen Aufwärtstrend der Immobilienpreise zu partizipieren. Zudem sei ihr Wert als Sachanlage zumindest teilweise gegen eine Inflation geschützt. Ob die Rechnung langfristig aufgehen wird, hängt aber von einer Reihe von Fak-

toren ab. An erster Stelle ist die Wertentwicklung der Immobilie anzuführen, die sich aber naturgemäss nicht vorhersagen lässt. Quasi im gleichen Atemzug ist die zu erwartende Rendite zu nennen. Sie hängt natürlich von der erzielbaren Miete ab, es zeigen sich aber auch regionale Muster. Auf einen Nenner gebracht, befinden sich laut Claudio Saputelli, Anlagechef Immobilien der UBS, die attraktivsten Standorte in steuergünstigen Gemeinden mit einer tiefen Leerstandsquote.

Rendite gleicht Leerstandsrisiko Wie der Immobilienexperte in einem jüngst auf Linkedin veröffentlichten Beitrag schreibt, lockten periphere Lagen zwar mit vergleichsweise üppigen Bruttorenditen, hohe Leerstandsrisiken würden diese jedoch relativieren. Und Seelagen wie etwa an der Zürcher Goldküste seien aufgrund der hohen Immobilienpreise aus einer «Buy to let»-Perspektive unattraktiv. Aktuelle Daten von Wüest Partner untermauern diese Thesen, wenn auch nicht jede Gemeinde akkurat in die genannten Schubladen passt. Berechnet hat die Immobilienberatung die Eigenkapitalrenditen für eine neuwertige Wohnung mit einer Fläche von 110 m2, die zu zwei Dritteln fremdfinanziert wurde. Für die Hypothek wurde ein Zins von 1,3% angenommen und für die Betriebs-, Instandhaltungs- und Sanierungskosten ein Fünftel der Mieteinnahmen. Mit die niedrigsten Eigenkapitalrenditen weisen die Regionen Pfannenstiel und Zimmerberg (je 2,8%) auf. Etwas mehr gibt es in Basel-Stadt (2,9%), Zug (3,0%) und Zürich (3,3%). Leerstände sind dort überall kaum ein Thema, wie auch in Bern, wo die Rendite immerhin 4,1% beträgt. Am oberen Ende der Skala finden sich unter anderem Olten mit einer Eigenkapitalrendite von 5,2%, der Oberaargau und Solothurn (je 5,7%) sowie der Bezirk Thal (6,2%), allerdings liegen die Leerstandsquoten hier zwischen 6 und 9%.


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Gelingt es, ein Klumpenrisiko zu vermeiden, kann eine Immobilie durchaus auch der Vorsorge dienen.

Die genannten Renditen sind Durchschnittswerte, in vielen Fällen wird naturgemäss weniger realisiert. Unerwartete Kosten und Leerstände können das Ergebnis zusätzlich schmälern. «Wer sich erstmals mit der Vermietung einer Wohnung befasst, vergleicht oft nur die erzielbare Miete mit der Belastung durch die Hypothek», sagt Martin Neff. «Selbst wer alle Kosten realistisch einkalkuliert, kann von einem grösseren Schaden überrascht werden, der die Rendite über Jahre hinaus verhagelt», sagt der Chefökonom von Raiffeisen Schweiz warnend.

Zur Diversifikation geeignet Nicht zu unterschätzen seien zudem der potenziell hohe Aufwand, die Illiquidität von Immobilienanlagen sowie die Zinsrisiken, erklärt Hasenmaile. «Buy to let» funktioniere vor allem bei tiefen Hypothekarsätzen. Zwar sei ein baldiger signifikanter Zinsanstieg unwahrscheinlich,

Einnahmenüberschüsse sollten Anleger aber erst einmal auf die hohe Kante legen, bis sich zeige, ob die Zinserwartungen korrekt seien. Die grösste Gefahr bestehe darin, dass meist ein hohes Klumpenrisiko eingegangen werde, sagt Neff. Finde sich kein Mieter oder komme dieser seinen Verpflichtungen nicht nach, schlage das unmittelbar auf die Rendite durch. Wie eine Studie der Credit Suisse aus dem Jahr 2019 zeigt, besitzen rund 90% der «Buy to let»-Anleger nur ein Objekt. Bleibt die Miete aus, sinken die Einnahmen schlagartig von 100 auf 0%. Die häufig stattfindende Konzentration der Gelder auf ein Objekt könne aber auch problematisch werden, wenn dieses an Wert verliere, fügt Neff an. Damit müsse man rechnen, wenn es im Umfeld der Liegenschaft zu Veränderungen komme, durch die sich die Qualität der Lage verschlechtere. Unter dem Strich geht man bei «Buy to let» andere Risiken ein als in einem typi-

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schen Wertschriftenportfolio, insofern findet eine Diversifikation statt. Ist man sich der angesprochenen Risiken bewusst und wählt man das oder die Objekte sorgfältig aus, kann «Buy to let» einen sinnvollen Teil der Anlagen darstellen – auch im Hinblick auf die eigene Altersvorsorge.

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40 VORSORGEN FÜR EINE NEUE WELT

Kündigung – was passiert jetzt mit der Pensionskasse? Versicherte müssen bei einem Stellenwechsel oder einer Arbeitslosigkeit entscheiden, was mit ihren Vorsorgegeldern geschehen soll

Wer von einer Firma zur nächsten zieht, schickt auch sein Pensionskassenguthaben auf die Reise.

MICHAEL FERBER

Eine Kündigung oder ein Jobwechsel ist nicht nur ein persönlicher Einschnitt. Auch das Guthaben in der Pensionskasse geht in diesem Fall auf Wanderschaft. Nicht nur ist dieses für viele Arbeitnehmer der grösste Vermögenswert – auch aufgrund der zunehmenden Schieflage und der Umverteilung in der beruflichen Vorsorge lohnt es sich, sich mit der Thematik zu befassen. Gerade auf längere

Sicht geht es dabei um viel Geld, das allenfalls dann im Ruhestand fehlt. Auf folgende Punkte ist dabei zu achten. ■ Variante A: Geld fliesst in die Pensionskasse des neuen Arbeitgebers. Wechselt ein Versicherter die Stelle, so erhält er das gesamte Vorsorgekapital, das in der Pensionskasse für ihn angespart wurde, inklusive der Zinsen. Hat er bereits eine neue Stelle, so wird das Guthaben aus der beruflichen Vorsorge direkt auf die Pen-

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sionskasse des neuen Arbeitgebers übertragen. Laut Philipp Zumbühl vom Luzerner Vorsorgeunternehmen Finpension gibt es aber eine Ausnahme – wenn man mehr Kapital mitbringt, als zum Erreichen der Maximalrente in der neuen Vorsorgeeinrichtung nötig ist. Sofern die neue Vorsorgeeinrichtung nicht trotzdem auf der Übertragung des gesamten Altersguthabens bestehe, könne man wählen, ob man den Überschuss einzahle oder ob man es sich auf ein Freizügigkeitskonto auszahlen


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lasse. Diesen Entscheid sollte man davon abhängig machen, wie es um die Qualität der neuen Pensionskasse beschaffen ist, wie sie die Vorsorgegelder verzinst, welchen Umwandlungssatz sie anbietet und wie stark die Umverteilung von aktiven Versicherten zu Rentnern ist. Die Konditionen der Kasse sollte man mit den Angeboten im Bereich Freizügigkeit vergleichen. ■ Variante B: Geld fliesst in den Bereich Freizügigkeit. Grundsätzlich könnten die Vertreter der neuen Pensionskasse – sofern diese bereits feststeht – nicht wissen, wie viele Freizügigkeitskonten eine Person hat oder wie viel Geld darauf liegt, sagt Zumbühl. Das Gesetz verpflichte die Sparer zwar, alle Freizügigkeitsleistungen in die neue Kasse einzuzahlen, aber niemand könne dies kontrollieren. «Es ist ein Graubereich.» Manche Personen stiegen auch früher aus dem Arbeitsleben aus, sagt Zumbühl. «Wer dann noch 15 Jahre bis zur Pensionierung hat, lässt das Geld teilweise im Freizügigkeitsbereich stehen.» Vorteilhaft am Bereich Freizügigkeit ist, dass es dort keine systemfremde Umverteilung von aktiven Versicherten zu Rentnern gibt, wie dies in der Pensionskasse sehr wohl der Fall ist. Wie die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) unlängst mitgeteilt hat, sind 2020 geschätzte 4,4 Mrd. Fr. in der beruflichen Vorsorge auf diese Art und Weise umverteilt worden. Im Jahr davor waren es sogar 7,2 Mrd. Fr. Der Vermögensberater Marcel Chevrolet rät folglich dazu, die Gelder möglichst im Bereich Freizügigkeit zu belassen und sie dort anzulegen, wenn man einen Anlagehorizont von mehreren Jahren hat. «So kann man um die Umverteilung in der beruflichen Vorsorge he­ rumkommen», sagt er. Diese dürfte aus seiner Sicht in den kommenden Jahren anhalten. «Es ist davon auszugehen, dass der Druck auf die Pensionskassen noch zunehmen wird, weil die Zinsen weiterhin niedrig bleiben und die Alterung der ­Bevölkerung voranschreitet.» Doch die Strategie hat möglicherweise auch eine Kehrseite: Bringe man nicht das gesamte Freizügigkeitsguthaben in die neue Pensionskasse ein, sei man allenfalls schlechter gegen die Risiken Tod und Invalidität geschützt, sagt Zumbühl. Bei manchen Pensionskassen hänge etwa die Höhe von Invaliden- bzw. Witwen- und Waisenrenten vom Altersguthaben ab. Auch ist zu beachten, dass man sich aus dem Kapital, das im Bereich Freizügigkeit liegt, bei der Pensionierung in der Regel keine Rente auszahlen lassen kann. Will man die Freizügigkeitsgelder später doch noch in die

Pensionskasse einzahlen, ist ausserdem nicht sicher, dass die Kasse diese noch annimmt. ■ Vor- und Nachteile von Freizügigkeitslösungen: Im Bereich Freizügigkeit sind die Gelder aus der Pensionskasse weiterhin gebunden – es sei denn, die entsprechende Person verlässt die Schweiz oder bezieht sie vor, weil sie eine Immobilie kauft oder sich selbständig macht. Bleiben die Gelder aber vorerst im Bereich Freizügigkeit, gibt es verschiedene Möglichkeiten, sie dort zu verwalten. Dabei sind die Sparer flexibel. Zunächst einmal gibt es Freizügigkeitskonten. Bei diesen erhalten die Sparer aber praktisch keinen Zins. Eine weitere Möglichkeit ist es, die Gelder in Wertschriften anzulegen. Dabei ist indessen der Anlagehorizont zu beachten. Wer bald eine neue Stelle antritt und vorhat, die Gelder in die dortige Pensionskasse einzubringen, sollte die Gelder besser auf dem Freizügigkeitskonto lassen – schliesslich ist es sehr ­riskant, in Aktien anzulegen, wenn die Anlagedauer nur kurz ist. Bleiben die Gelder indessen einige Jahre im Bereich Freizügigkeit, sollte man über eine Investition in Wertschriften nachdenken. Gemäss der Schweizerischen Sozialversicherungsstatistik lagen im Jahr 2019 Gelder im Volumen von insgesamt 55,6 Mrd. Fr. im Bereich Freizügigkeit. Wie Vertreter des Verbands Vorsorge Schweiz (VVS) an einem Anlass im April dieses Jahres ausführten, dürften lediglich rund 18% davon in Wertschriftenlösungen angelegt sein. In den vergangenen Jahren hat sich der Wettbewerb unter den Anbietern von Wertschriftenlösungen im Bereich Freizügigkeit intensiviert. So sind mittlerweile auch komplett digitale Lösungen, bei denen man die Gelder mittels Smartphone-App investieren kann, auf dem Markt. «Es gibt in diesem Bereich mittlerweile ein breites Angebot, und die Gebühren für die Wertschriftenlösungen kommen zunehmend unter Druck. Davon profitieren die Kunden», sagt Chevrolet. Laut Benjamin Manz vom Online-­ Vergleichsdienst Moneyland haben verschiedene Finanzhäuser allerdings unlängst Gebühren für die Kontoführung im Bereich Freizügigkeit eingeführt. Ausserdem würden bei der Auflösung eines Kontos – ­beispielsweise, weil eine Person Vorsorgegelder für den Kauf von Wohneigentum vorbezieht, auswandert oder zu einem anderen Anbieter wechselt – Gebühren fällig. Diese könnten bis zu mehrere hundert Franken betragen. ■ Frist von sechs Monaten: Laut Zumbühl hat man sechs Monate Zeit, um sich zu entscheiden, wie das Pensionskassenka-

pital nach der Kündigung der Stelle angelegt werden soll. Wird man nicht tätig, überweist die Pensionskasse das Geld nach Ablauf der Frist an die Stiftung Auffangeinrichtung BVG. Die bisherige Kasse sei dabei verpflichtet, das Guthaben bis zur Auszahlung mit dem BVG-Mindestzins von derzeit 1% zu verzinsen. Habe man der Kasse die Angaben zur Überweisung mitgeteilt, müsse diese das Pensionskassenguthaben innerhalb von 30 Tagen überweisen. ■ Geld auf zwei Freizügigkeitsstiftungen überweisen: Wie es in der Freizügigkeitsverordnung heisst, kann die Austrittsleistung aus der bisherigen Pensionskasse auf maximal zwei Freizügigkeitseinrichtungen übertragen werden. Dies könne steuerlich sinnvoll sein, da man den Bezug der Gelder bei der Pensionierung auf verschiedene Kalenderjahre verteilen könne, sagt Chevrolet. So liessen sich Steuern sparen, da die Progression gebrochen werde. Aus Sicht von Zumbühl bietet es sich an, zwei unterschiedliche Strategien zu fahren und so zu diversifizieren. So könne man einen Teil des Geldes auf einem Freizügigkeitskonto liegen lassen und den anderen mit einem hohen Aktienanteil anlegen. «Tritt man eine neue Arbeitsstelle an, kann man möglicherweise eines der beiden Konten stehen lassen, wenn man bereits genug Kapital in die neue Pensionskasse einbringt», sagt er. ■ Versicherung von Tod und Invalidität: Wie Zumbühl ausführt, sind bis einen Monat nach dem Austritt aus der bisherigen Pensionskasse die Risiken Tod und Invalidität bei dieser versichert. Wenn man sich beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) anmelde, sei man ab dem Zeitpunkt, zu dem man eine Arbeitslosenentschädigung bezahlt bekomme, bei der Stiftung Auffangeinrichtung BVG gegen diese Risiken versichert. ■ Späterer Bezug von Freizügigkeitsgeldern möglich: Der Bezug von Freizügigkeitsgeldern kann um bis zu fünf Jahre nach dem ordentlichen Rentenalter aufgeschoben werden, für Frauen also bis zum Alter von 69 und für Männer bis zum Alter von 70 Jahren.

www.nzz.ch/ld.1628623


42 VORSORGEN FÜR EINE NEUE WELT

Es ist Zeit, über die drei Säulen hinauszublicken Die erste und die zweite Säule sind stark reformbedürftig, die dritte bringt kaum noch etwas – was bleibt also zu tun? WERNER GRUNDLEHNER

Die AHV (erste Säule) sitzt auf einer Zeitbombe. Das Bundesamt für Sozialversicherungen rechnet wegen der Alterung der Bevölkerung bis 2030 mit einem kumulierten Defizit im zweistelligen Milliardenbereich. Auch die berufliche Vorsorge (BVG, zweite Säule) leidet unter der Reformunfähigkeit der Politik, hier kommt es schon heute zu einer massiven Umverteilung von Aktiven zu Rentnern. Das private Vorsorgen in der Säule 3a bietet mit dem Steuerabzug ein schlagendes Argument, doch die Kontolösungen werfen kaum oder keinen Zins ab. Unter diesen Umständen fragen sich viele, ob sie eine eigene Vorsorgelösung finden müssen und wie diese aussehen könnte. Den beiden ersten Säulen kann sich ein Angestellter nicht entziehen. Anders sieht es bei einem Selbständigerwerbenden aus. «Durch einen hohen Spesenaufwand können theoretisch das steuerbare Einkommen und die Abgaben an die erste Säule reduziert werden», sagt Gabor Gaspar von der ATG Allfinanz & Treuhand Group. Der Beitritt in eine Pensionskasse (PK) ist zudem für Selbständige nicht obligatorisch. Anders sieht es aus, wenn man eine GmbH oder AG gründet, dann ist man wieder Angestellter dieser Gesellschaft, mit obligatorischen Beiträgen an die erste und die zweite Säule.

Vorsorgen gilt nicht als «sexy» Ein «privates» Vorsorgen ausserhalb der gesetzlichen Vorsorge ist für die meisten Bürger sowieso angebracht, denn der Lebensstandard dürfte sich sonst nach der Pensionierung nicht halten lassen. Eine individuelle «private» Anlagelösung ist durchaus realisierbar. Doch 80 bis 90% beschäftigen sich gemäss Gaspar zu wenig mit dem Thema. Notwendig wäre eine klare Anlagestrategie mit einer breiten Diversifikation. Der durchschnittliche Privatanleger steige aber in der Euphorie nahe beim Höchst ein und verkaufe im

Tiefst – das hat sich gemäss Gaspar auch im «Corona-Crash» im März 2020 gezeigt. Zudem fehlt ohne Zwang oft die Disziplin zum regelmässigen Sparen und dazu, das angesparte Kapital nicht zum Konsum zu nutzen. Aber Vorsorgen gelte halt nicht als «sexy», und so werde es auch behandelt. Oft steht ein Angestellter vor der Frage, ob er die Beitragslücke in der PK schliessen soll. Eine solche weisen die meisten auf, da der neueste Lohn zur Berechnung des theoretischen Rentenanspruchs herangezogen wird und der Lohn der meisten Versicherten im Laufe des Berufslebens beträchtlich steigt. Nur in seltenen Fällen sind gemäss Gaspar PKEinkäufe aber vor 50 sinnvoll – anders sehe es aus, wenn man wohlhabend sei und diese Steuererleichterung nützen möchte. Versicherte können Gelder auch aus der PK «herauslösen», beispielsweise für den Erwerb einer Immobilie – aber nur wenn diese selbst genutzt wird. Man könne die ersten Jahre dort wohnen und dann das Haus verkaufen, sagt Gaspar. Das sei aber ähnlich, wie den Wohnsitz zu wechseln, um von tieferen Steuern beim Kapitalbezug zu profitieren – eine schwer umsetzbare Praxis, welche von den Steuerbehörden mit Argusaugen verfolgt werde. So offensichtlich sei es zudem gar nicht, dass man im eigenen Haus günstiger wohne als zur Miete. Wenn jemand ein Vermögen von 200 000 Fr. habe und das in ein Eigenheim investiere, führe das zudem zu einem Klumpenrisiko. Etwa wenn die Zinsen stiegen oder die Anflugschneise des Flughafens geändert werde. Für Gaspar ist Liquidität entscheidend: «Man kann an der MigrosKasse halt nicht mit Backsteinen bezahlen.» Zudem könne die Tragbarkeit trotz dem derzeitigen Tiefzinsniveau zu einem Problem werden, wenn man aufhöre zu arbeiten oder einen tieferen Lohn erhalte und die Bank einen höheren Eigenkapitalanteil fordere.

Jobwechsel ändert die Lage Die grössten Gefahren für die eigene Vorsorge liegen in den Jahren vor der Pensionierung. Ein Jobverlust kann sich verheerend auswirken. Aber auch ein Jobwechsel kann die Ausgangslage stark verändern. Gaspar bringt das Beispiel eines CEO, der eine neue Herausforderung suchte und in ein Start-up wechselte. Der versicherte BVG-Lohn betrug nur noch einen Bruchteil. Um das Sparen in der Säule 3a sei ein richtiger Hype mit neuen Angeboten über Apps ausgebrochen. Der Steuervorteil sei je nach Kanton aber gar nicht so gross, wie viele glaubten. Wenn man 3a nütze, dann solle man eine Lösung mit einem hohen Wertpapieranteil wählen, da man sonst kaum einen Ertrag erhalte. Im gegenwärtigen Zinsumfeld bietet das 3b-Sparen nicht mehr viel. Eigentlich sei auch ein herkömmliches Bankkonto ein 3b-Konto. Denn «steuerfrei beziehen», wie die 3b-Anbieter werben, kann man auch von diesen Konti. Früher hätten 3bVersicherungslösungen unter gewissen Umständen sinnvoll sein können. Aber wenn man nicht einmal mehr 100% Rückzahlung garantiert bekomme, wähle man bei Versicherungsbedarf besser eine reine Risikoversicherung und lege den Rest des Geldes an einem anderen Ort an. Investieren kann man auch in die eigene Weiterbildung. So kommt man im Job weiter, verdient mehr und kann mehr für das Alter auf die Seite legen. Lebenslanges Lernen ist zwar ein schönes Schlagwort, es komme aber darauf an, wie gezielt man sich weiterbilde, sagt Willy Graf, Geschäftsführer von VVK. «Einfach jedes Angebot nutzen, das der eigene Arbeitgeber anbietet, bringt meist nicht viel.» Man müsse auch individuell abschätzen, ob man die bisherige Kompetenz ausbauen oder sich neu ausrichten wolle. Eine zielgerichtete Ausbildung führt in der Regel zu einem höheren Einkommen. «Es ist aber stets zu beobachten: Mehr Lohn führt auch zu einem höheren Haushalts-


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Die Schweizer Altersvorsorge, wie sie bisher aufgebaut war, ist auf lange Sicht nicht zukunftsfähig.

budget», sagt Graf. Die Vorsorgesituation verbessere sich so gesehen nicht, weil auch die Ansprüche und Lebenskosten stiegen. Doch Vorsorgen bedeute nicht immer nur Kapital äufnen für den Ruhestand. Man kann sich auch Zeit erarbeiten und auf ein Konto gutschreiben lassen. Vorreiter in der Schweiz ist die im Jahr 2011 gegründete Organisation Kiss. In lokalen oder regionalen Genossenschaften ­organisieren Koordinatorinnen für ihre freiwillig tätigen Mitglieder begleitete Betreuungsdienstleistungen. Die Freiwilligen bekommen dafür Zeitgutschriften. Diese können sie später selbst für den Bezug von Dienstleistungen einsetzen. Die Mitglieder betreuen Hilfebedürftige beim Einkaufen, bei kleinen Arbeiten, gemeinsamen Anlässen wie einem Mittagstisch oder leisten einfach Gesellschaft. «Wir arbeiten auch mit Menschen im zweiten Arbeitsmarkt, Migranten und al-

Man kann sich auch Zeit erarbeiten und auf ein Konto gutschreiben lassen. Vorreiterin in der Schweiz ist die Organisation Kiss.

len Menschen, die sich einbringen möchten», sagt ein Sprecher. Kiss gebe den Menschen eine Struktur und Anerkennung durch das Nachweisen der Stunden. Wie bei der Einführung der AHV braucht die erste Generation älterer Kiss-Mitglie-

ILLUSTRATION JOANA KELÉN

der kein eigenes Stundenguthaben, um Leistungen in Anspruch zu nehmen. Die meisten Freiwilligen, die ihre Zeitvorsorge aufbauen, seien zwischen 65 und 75 Jahre alt – drei Viertel davon sind Frauen. Am meisten nachgefragt würden Betreuungsleistungen. Viele ältere Menschen, die allein zu Hause leben, sind auf Hilfe angewiesen – dadurch wird ihnen auch ein längerer Verbleib in den eigenen vier Wänden ermöglicht. Die Organisation hat nach eigenen Angaben 2015 nachweisen können, dass durch ihren Einsatz die Kosten in Alters- und Pflegeheimen um 14 bis 18% gesenkt wurden. Professionelle Pflege kann Kiss aber nicht ersetzen.

www.nzz.ch/ld.1629900


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AUCH IM RUHESTAND TUN, WAS MAN WILL. ODER DANN ERST RECHT. Vorsorge ist dazu da, dass der Ruhestand eben nicht ruhig wird. Schliesslich geht es auch darum, sich aktiv Wünsche zu erfüllen. Genau deshalb bietet Pax flexible Lösungen, um ganz individuellen Vorsorgewünschen gerecht zu werden. So stellen wir sicher, dass unsere Kunden im Alter voll durchstarten können. www.pax.ch


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