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Samstag, 10. April 2021

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Zukunft Gesundheit

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Vom Krankheits- zum Gesundheitsmanagement, eine Utopie? Ein Blick auf unser aktuelles Gesundheitssystem zeigt, dass dieses selbst erkrankt ist. Diagnose: Fehlanreize, falsche Optimierungsmechanismen, unklare Kommunikation und zu viel Segmentierung. Doch welcher Therapieansatz führt uns zu einem Gesundheitssystem, das seinen Namen verdient? SAMUEL KILCHENMANN

Daten und Digitalisierung müssen auch den Patientinnen und Patienten Nutzen bringen Die Möglichkeiten neuer Technologien scheinen heute schier unendlich, das wurde besonders durch die aktuelle Covid-19-Krise unter Beweis gestellt. Tests und Therapien wurden im Schnelldurchlauf entwickelt und durchgeführt. Die erhöhte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Druck auf die Regierungen setzten unbekannte verfügbare Mittel frei, regulatorische Prozesse wurden priorisiert. Auf der anderen Seite zeigte die Zusammenarbeit von Behörden, Forscherinnen und Forschern sowie der Gesundheitsindustrie, dass globale Kooperation sehr wohl funktionieren kann. Dabei wurde auch ersichtlich, dass der Austausch von Daten und Informationen eine essenzielle Rolle spielt. Digitale Datensammlungen bringen dann den grössten Mehrwert, wenn sie zu übergreifenden Lösungen führen. Der Datenschutz und dessen Governance beruhen dabei auf dem Einverständnis von Patientinnen und Patienten. Erst wenn diese einen Nutzen darin sehen, sind sie bereit, ihr Einverständnis zur Verwendung der Daten zu geben. Genau hier liegt oft die Problematik.

Die FutureHealth Basel findet 2021 erstmals virtuell statt.

Offene Kommunikation und solide Alternativen führen zu Vertrauen und Therapieerfolgen

Geschäftsmodelle mit Fokus auf die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten Die Dreiecksbeziehung zwischen dienstleistenden Personen und Unternehmen, Krankenversicherungen und Menschen mit Erkrankungen lässt sich nicht im herkömmlichen marktwirtschaftlichen System einordnen, da Patientinnen und Patienten nicht die primären Kundinnen und Kunden sind. Deshalb funktionieren auch traditionelle Verbesserungsmechanismen nicht, denn Betroffene wollen Bedürfnisbefriedigung. Die Optimierung der Interaktion zwischen dienstleistenden Personen und Unternehmen und Versicherung ist ihnen dabei herzlich egal. Neue Geschäftsmodelle wie «value-based-healthcare», «managedcare» oder etwa «health-as-a-service» bieten hier Abhilfe. Solche Systeme rücken die Patientinnen und Patienten anstatt des Profites in den Vordergrund. Dabei erhalten Betroffene die Möglichkeit, in den Dialog zu treten – etwas, das in unserem traditionellen System leider häufig zu kurz kommt.

Impressum Zukunft Gesundheit ist eine Verlagsbeilage der NZZ. Inhalt realisiert durch NZZ Connect. Verlagsbeilagen werden nicht von der Redaktion produziert, sondern von unserem Dienstleister für journalistisches Storytelling: NZZ Content Creation.

Projektmanagement NZZ Connect: Madeleine Nufer (Gesamtverantwortung); NZZ Content Creation: Norman Bandi (Inhalt) und Armin Apadana (Layout); Kontakt: NZZ Connect, C.F.L. Lohnerstrasse 24, 3645 Gwatt (Thun), connect@nzz.ch. www.nzz-futurehealth.com

FOTOS: PD

Digitale Daten­ sammlungen bringen dann den grössten Mehrwert, wenn sie zu übergreifenden Lösungen führen.

Initiativpartner

Heute beginnt jede Behandlung mit einer Suche auf Google. Während Informationen noch nie so leicht zugänglich waren wie heute, ist das grösste Problem, dass es im Netz neben hochstehendem Wissen auch sehr viel Missinformation gibt. Letzteres hat einen negativen Effekt auf die Integrität und das Vertrauen in unser Gesundheitssystem und dessen dienstleistende Personen und Unternehmen. Das kann nicht mit der Zensur oder dem ärztlichen «Glauben Sie nicht alles, was Sie auf Google lesen» abgetan werden. Dass genau solche Falschinformationen bei Betroffenen auf Anklang stossen, führt dazu, dass «Vertrauensverlust» gegenüber dem medizinischen Personal als begleitendes Symptom auftritt. Deswegen ist es wichtig, im Austausch auf die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten einzugehen. Warum das oft nicht der Fall ist? Mit dem System der «Tarmed Codes» wird nach Leistung, nicht nach Erfolg abgerechnet. Das Gesundheitswesen braucht also eine Generalüberholung auf sämtlichen Ebenen. Hierfür gibt es bisher leider noch keine Pille, nur eine nachhaltige Therapie mit offenem Dialog und der Einbindung aller Akteurinnen und Akteure, inklusive Betroffenen, könnte zum Erfolg führen.

Platinpartner

Bringt die Keyplayer der Gesundheitsbranche auf die virtuelle Bühne: Samuel Kilchenmann, Ph.D.

Erfahren Sie mehr über diverse Lösungsansätze in dieser Verlagsbeilage und an der virtuellen Ausgabe der FutureHealth Basel vom 27. und 28. April 2021. Mit «Rethinking Patient Experience» wollen wir kreativ wer-

den, bessere Geschäftsmodelle vorstellen und das Vertrauen bei Patientinnen und Patienten wiederherstellen. Gerade während einer Krise wie der aktuellen braucht unser Gesundheitssystem dieses Vertrauen mehr denn je.

FutureHealth Basel – die Konferenz für Changemaker der Gesundheitswirtschaft Das moderne Gesundheitssystem erfordert interdisziplinäre, branchenübergreifende Lösungen. Daher fokussiert FutureHealth Basel nicht isoliert auf Technologie oder Wissenschaft. Stattdessen steht das absolut Grundlegende im Zentrum der Konferenz: Patientinnen und Patienten und ihre Bedürfnisse. Denn im Gesundheitssystem der Zukunft wird dem Menschen eine immer bedeutendere Rolle zukommen. Dies hat Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem. 2021 findet die Konferenz virtuell statt und widmet sich dem Thema «Rethinking Patient Experience». Die Programmblöcke geben Einblicke in praxisrelevante Themen und ermöglichen einen lösungsorientierten Dialog. Visionäre Speaker blicken in die Zu-

kunft der Healthcare- und Life-Sciences-Industrie. Profilierte Expertinnen und Experten diskutieren in Deep Dive Sessions und Podien über konkrete Anwendungsbeispiele für das Gesundheitssystem Schweiz. Patientenvertreter und Start-ups sind im Programm integriert: die FutureHealth Basel bietet Raum für Fragen, Antworten und die Verortung der Inputs aus dem Publikum.

Seien Sie am 27. und 28. April 2021 live dabei – ganz bequem von zu Hause aus. Sichern Sie sich Ihr Ticket jetzt unter www.nzz-futurehealth.com

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«Ich wäre gern bereit, das BAG zu beraten» Wie das Schweizer Gesundheitssystem beinahe an einem Virus verendete – Interview mit Dr. Fabian Unteregger, Schweizer Comedian und Arzt. So könnten Patientinnen und Patienten auch selbst Messungen vornehmen, dadurch würden sie selbstständiger und das Fachpersonal könnte Entlastung erfahren. Heute beginnt beinahe jede Diagnose mit Google, inwiefern unterstützt dies das Pflegepersonal? Hier würde ich zwischen chronischen und akuten Betroffenen unterscheiden. Die chronischen wissen oft mehr über die eigene Krankheit als die Ärzte. Ausserdem könnte in Zukunft vieles in den eigenen vier Wänden stattfinden: bezüglich Pflege und ärztlichem Rat «on demand». Über Wearables und mithilfe künstlicher Intelligenz können bereits zuhause Indikationen diagnostiziert werden, das senkt Kosten.

RACHEL FASSBIND

Der Unmut gegenüber den Massnahmen des Bundes steigt. Falschinformationen verschärfen die Krise. Wie hätte souveräner kommuniziert werden können? Mit Humor, weiss Comedian und Arzt Fabian Unteregger. Täglich schreibt die Schweizer Wirtschaft ein Minus von 150 Millionen Franken, dem Virus fielen hierzulande bisher knapp 10 000 Menschen zum Opfer. Wir sprechen von der Coronapandemie als Krise, denn eine solche ist selbst verursacht. Eine Katastrophe hingegen wird von externen, unvorhersehbaren Faktoren ausgelöst. Warum wurden Staaten wie Taiwan weitaus weniger hart getroffen, obwohl sie grössenmässig der Schweiz ähnlich sind und sogar viermal so viele Einwohner haben? Situativ herrschten vielleicht dieselben Voraussetzungen, doch lag die grosse Unterscheidung im Kommunikationsstil. Besonders auf politischer Ebene setzt die taiwanesische Regierung auf die Meinung der Bevölkerung. Digitalministerin Audrey Tang geht als bestes Beispiel voran: Mittwochs ist in ihrem Ministerium Tag der offenen Tür. In den Gesprächen mit Mitbürgerinnen und Mitbürgern geht sie auf deren individuelle Anliegen ein und leitet daraus wirksame und effiziente Massnahmen ab. Lösungsfindung auf Mikroebene.

Covid-19 richtet den Zeigefinger auf die Baustellen des Gesundheitswesens. Gibt es auch positive Nebenwirkungen? Dank über 12 Milliarden US-Dollar an Subventionen schaffte die seit rund 30 Jahren schlummernde mRNA-Technologie endlich den Durchbruch. Es ist gut möglich, dass es durch diesen Entwicklungssprung auch mRNA-Impfungen gegen den Zika-Virus, Influenza, Tollwut und den Zytomegalie-Virus geben wird. Ganz zu schweigen von Anwendungen in der Onkologie – das ist eine Riesenchance.

Fabian Unteregger, was könnte die Schweiz in Sachen Kommunikation beim asiatischen Inselstaat abschauen? Taiwan hat das hervorragend gelöst unter dem Motto «fast, fair & fun», Falschmeldungen haben sie zum Beispiel auf humorvolle Art und Weise als «Memes» aufbereitet. Ich glaube, es wäre hilfreich, früh und mit Witz zu informieren, denn dadurch erreicht man eine enorm schnelle Verbreitung. Und falls die Regierung sich bei einer Meldung geirrt hat, zügig den Fehler zugeben und aufklären. Welche Fehler genau? In einer Krise sollte über einen Kanal kommuniziert werden und das mit einer stringenten Botschaft. Die Kakofonie aus Bundesrat, Bundesamt für Gesundheit (BAG), Kantonen und mindestens noch einer Taskforce in uncharmanter Endzeitstimmung hat kein Vertrauen geschaffen. Ich wäre gern bereit, das BAG zu beraten. Das setzt aber Mut und Unternehmertum beim Bundesamt voraus. Auch wird der Digitalisierungsstand des Schweizer Gesundheitswesens kritisiert. Das Digital-Health-Rating 2019 der Bertelsmann-Stiftung zeigte, dass wir von 18 Industrieländern Rang 14 be-

Können wir das Gesundheitswesen noch retten?

Humor und Mut brauche die Schweizer Regierung, meint Fabian Unteregger, der die Konferenz FutureHealth Basel moderiert. PD legen. Eine aktuell hängige Motion im Nationalrat will deshalb etwa die Telemedizin sowie elektronische Patientendossiers fördern. Damit hätte nicht nur die Impflogistik massiv erleichtert werden können. Papierlisten sind bei mehreren Millionen zu impfenden Personen kaum zielführend. Die Dänen gehen mit dem elektronischen Patientendossier und

ONLINEKONFERENZ 27. – 28. April 2021

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neuen Superhospitals in eine spannende Richtung. Man hat sich in Dänemark erst auch dagegen gewehrt und gemeint, das ginge nicht. Dann kam einer und hat’s umgesetzt (lacht). Fortschritt vorantreiben durch aktive Unterstützung, deshalb Ihr Mitwirken bei der Initiative «Swiss Healthcare Startups», kurz SHS. Was ist deren Mission?

Ich habe SHS damals mitgegründet, um Innovation zu fördern. Ein Beispiel: Die veralteten Blutdruckmanschetten könnten durch ein effizienteres Schweizer Produkt ersetzt werden. Im Gegensatz zur lästigen Manschette gibt es hier kontinuierliche und präzise Messergebnisse – mit nur einem kleinen Armband am Handgelenk.

Das chinesische Schriftzeichen für Krise beinhaltet zwei Silben, einzeln gelesen ergeben diese die Worte Gefahr und Chance. Obwohl Covid-19 viel Leid brachte, wurde besonders in der Forschung der Fortschritt immens beschleunigt. Optimierungspotenzial zeigt sich in den Bereichen Digitalisierung, Kommunikation und Leadership. Als übergreifender Lösungsansatz bietet sich «shared decision making» an, ein Modell der partizipativen Entscheidungsfindung. Der Austausch auf Augenhöhe zwischen Ärzteschaft und Betroffenen optimiert in der Medizin die Therapien. Könnte dies auch auf politischer Ebene funktionieren? Voraussetzung ist natürlich, dass Entscheidungsträger ihre Macht aus der Hand geben. Was die Schweizer Regierung aus der Krise lernt, bleibt offen – Unteregger hofft, dass die Pandemie mehr ist als «die teuerste Hygieneschulung in der Geschichte der Menschheit».

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Basel Area prägt Gesundheitsinnovationen der Zukunft Ein Erfolgsfaktor der Basel Area ist ihre ständige Transformation. Von der Chemie über die Pharmaindustrie bis hin zum breit aufgestellten Life-Sciences-Cluster. Nun beginnt der Wandel in Richtung Digital Health, Healthtech und personalisierte Medizin.

Das Miracle-Projekt der Uni Basel ermöglicht virtuelle Reisen im menschlichen Körper. SGE

MARTIN JORDAN

Was ist Basel? Natürlich: Dreiländereck, Rheinhafen und Rheinschwimmen, Schweizer Kulturhauptstadt und die älteste Universität der Schweiz – das zeichnet Basel als lebensfrohe und weltoffene Stadt aus. Doch Basel ist vor allem auch das Zentrum der Basel Area, der Wirtschaftsregion bestehend aus den Kantonen Basel-Stadt, BaselLandschaft und Jura. Geprägt wird die Basel Area durch einen Life-SciencesCluster, der weltweit einzigartig ist. Nirgendwo ist die Dichte an erfolgreichen Life-Sciences-Unternehmen grösser als in der Basel Area. Angeführt von den beiden Weltkonzernen Novartis und Roche, deren Hauptsitze und Forschungszentren beide in Basel sind, bereichern auch Firmen wie Lonza, Johnson & Johnson, Bayer, Boehringer Ingelheim, Idorsia, Syngenta oder Straumann das hervorragend ausgestattete Ökosystem. Zudem spielen die Universität Basel, die Fachhochschule Nordwestschweiz sowie das Universitätsspital Basel eine zentrale Rolle als Forschungs- und Industriepartner. Dank ihnen gibt es zahlreiche öffentlich-private Partnerschaften wie zum Beispiel das Institute of Molecular and Clinical Ophthalmology Basel oder das Botnar Research Centre for Child Health.

Hotspot für innovative Start-ups Life-Sciences-Unternehmen generieren den mit Abstand grössten Anteil der Wertschöpfung in der Basel Area und tragen so massgeblich zum Wohlstand der Region und der Schweiz bei. Dafür sind im Wesentlichen die etablierten Grosskonzerne besorgt, doch auch neue Unternehmen fassen Fuss. Mehr und mehr zieht die Basel Area nämlich junge, verheissungsvolle Firmen an. So sagt Robert Sum, Leiter Innovationsprojekte der Standortförderung Baselland: «Die Region Basel hat sich zu einem

Hotspot für innovative Start-ups entwickelt. Vor allem in den Bereichen Biotech, Medtech, Digital Health, Healthtech und personalisierter Medizin haben sich viele Start-ups angesiedelt, die aus Hochschulen der Schweiz und dem angrenzenden Ausland ausgegründet wurden.»

Investitionen zahlen sich aus Tatsächlich ist die Basel Area im Begriff, sich als Wirtschaftsstandort ein weiteres Mal neu zu erfinden. Das war schon in den 1990er-Jahren der Fall, als die chemische Industrie noch die federführende Branche war. Damals, als Ciba-Geigy und Sandoz zu Novartis fusionierten, trennten sich die Wege von Chemie und Pharma. In der Folge wuchs die Life-Sciences-Industrie in der Basel Area rasant. Waren 1995 rund 14 000 Personen im Bereich Life Sciences beschäftigt, arbeiten heute rund 32 000 Menschen in diesem Wirtschaftszweig. In den vergangenen 15 Jahren wurden kleine, agile Biotechnologieunternehmen für Forschung und Entwicklung immer wichtiger. Die Basel Area konnte sich als Innovations-Hotspot etablieren, mit starken Hochschulen und einem attraktiven Umfeld für Gründung und Wachstum. Zwar prägen Novartis und Roche den Standort nach wie vor, doch daneben sind mittlerweile mehr als 700 Life-Sciences-Unternehmen aktiv und erfolgreich. So haben nicht nur internationale Grossfirmen wie Johnson & Johnson, Hengrui und Moderna Niederlassungen eröffnet. Stark zugenommen hat insbesondere auch der Anteil an Firmen, die für Gesundheitsinnovationen sorgen wollen – Holmusk, Zifo und Noul sind Beispiele für Unternehmen, die in den zukunftsweisenden Bereichen personalisierte Medizin, Healthtech und Digital Health tätig sind. Dass es sich lohnen kann, in der Basel Area ein Life-Sciences-Unternehmen zu gründen, zeigt der Blick in den neuesten Swiss Venture Capital Report:

Ein florierendes Innovations-Ökosystem ist auf die richtige Infrastruktur angewiesen. 2020 konnten in Basel ansässige Startups 540,4 Millionen Franken einwerben, wovon 530 Millionen Franken in Biotech-Firmen investiert wurden, was den Bestwert unter den Kantonen darstellt. Ausserdem sind spektakuläre Firmenverkäufe ins Ausland gelungen: Das Allschwiler Pharmaunternehmen Actelion wurde 2017 für 30 Milliarden Dollar an Johnson & Johnson verkauft. Die Actelion-Gründer investierten das Geld sogleich in den Aufbau der Biopharmafirma Idorsia. Ferner wurden 2013 die Basler Biopharmafirma Okairos für 250 Millionen Dollar an GlaxoSmithKline, 2019 die Basler Biotechfirma Therachon für 810 Millionen Dollar an Pfizer und 2020 die Basler Biotechfirma NBETherapeutics für 1,2 Milliarden Dollar an Boehringer Ingelheim verkauft. Gerade das Beispiel NBE-Therapeutics offenbart, dass es sich für die Basel Area ausbezahlt hat, in geeignete Infrastrukturen für Start-ups zu investieren. So stehen im Technologiepark Basel, in dem NBE-Therapeutics seinen Sitz hat, und im Switzerland Innovation Park Basel Area innovationsfördernde Arbeitsumgebungen und moderne Labors zur Verfügung. Der Switzerland Innovation Park Basel Area wird 2022 am Hauptstandort Allschwil in einen Neubau von Herzog & de Meuron umziehen und zusammen mit den bereits bekannten Mietern Basilea und dem Department of Biomedical Engineering der Universität Basel dazu beitragen, den Innovationscampus mit Leben zu füllen. Weitere öffentliche und private Immobilien ergänzen das Infrastrukturangebot.

Nähe schaffen zwischen Forschenden und Start-ups Eine immer wichtigere Rolle spielen in der Basel Area die diversen Förderprogramme für Start-ups. Äusserst erfolgreich ist beispielsweise der Accelerator und Inkubator BaseLaunch. Seit 2018 haben Risikokapitalfonds aus Europa

und den USA über 190 Millionen Franken in neun von BaseLaunch unterstützte Biotech-Start-ups investiert. Ausserdem haben der DayOne Accelerator, der sich den Bereichen Digital Health und Healthtech widmet, und der Biotech-Inkubator Hemex massgeblich dazu beigetragen, dass sich in der Basel Area viele Start-ups angesiedelt haben, die aus Hochschulen der gesamten Schweiz ausgegründet wurden. Der DayOne Accelerator hat seinen Sitz am jüngsten Standort des Switzerland Innovation Parks Basel Area, auf dem Novartis Campus. Dort wird Nähe geschaffen zwischen den Start-ups und den Forschenden von Novartis, womit neue Formen des Austauschs, der Kol-

JOCHEN PACH

laboration und der Innovation möglich werden. Das Konzept funktioniert, denn bereits vier Monate nach Eröffnung im Sommer 2020 waren alle Plätze im Innovationspark belegt. Die Basel Area ist also gut aufgestellt, um optimistisch in die Zukunft blicken zu können. Das bestätigen die grosse Zahl von Start-ups, die in den vergangenen Jahren in der Region gegründet wurden, sowie die zahlreichen Ansiedlungen von internationalen Firmen. Martin Stricker, Co-Leiter Standort­ förderung Basel-Stadt, konstatiert: «Die Basel Area ist auf bestem Weg, sich als das Schweizer Wirtschafts- und Innovationszentrum der Zukunft zu etablieren.»

Drei Standortförderer verhelfen zum Geschäftserfolg in der Basel Area Die Standortförderung Baselland ist eine Dienststelle der Volkswirtschaftsund Gesundheitsdirektion Baselland und der Ansprechpartner für Unternehmen in Baselland gegenüber der kantonalen Verwaltung. Auch sucht die Standortförderung aktiv den Kontakt zu relevanten und interessanten Unternehmen, um deren Bedürfnisse und Anliegen gegenüber der Verwaltung besser verstehen zu können, um die staatlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen optimieren zu können. www.economy-bl.ch welcome@economy-bl.ch 061 552 96 92 Die Standortförderung im Amt für Wirtschaft und Arbeit Basel-Stadt ist die Dienstleisterin für Basler Unternehmen und solche, die es werden wollen. Dabei stehen der persönliche Kontakt und die professionelle Begleitung im Zent-

rum. Die Standortförderung vernetzt die Unternehmen gezielt mit der kantonsinternen Fachspezialistin oder dem Fachspezialisten und schafft optimale Bedingungen für das Wachstum der Unternehmen im Kanton. www.awa.bs.ch/standortfoerderung business@bs.ch 061 267 66 99 Basel Area Business & Innovation ist die Agentur für Standortpromotion und Innovationsförderung, die Unternehmen, Institutionen und Start-ups dabei unterstützt, in der Basel Area erfolgreich zu sein. Die Non-Profit-Organisation bietet ihre Dienstleistungen im Auftrag der Kantone Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Jura an. www.baselarea.swiss info@baselarea.swiss 061 295 50 00


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Lieber Prävention als vierfach zahlen Jeder Stolperunfall kostet die Schweizer Wirtschaft rund 6000 Franken, psychische Beschwerden gehören zu den drei teuersten Krankheiten. Präventionsmethoden könnten diese Kosten senken. Doch wie?

Aurelie Litynski ist Chief Happiness Officer bei Happitude at work.

RACHEL FASSBIND

Summiert man die durch Stress ausgelösten Erkrankungen, ergibt das jährlich mehr als sieben Milliarden Franken an Gesundheitskosten. Doch eigentlich passt das ganz gut zur Idealvorstellung des Bürgers aus ökonomischer Sicht. Um das Bruttoinlandsprodukt möglichst zu steigern, müsste der «optimale» Mensch spielsüchtig sein, an Krebs leiden, in einer Scheidung stecken und durch Medikamentenzufuhr seine Leistung aufrechterhalten.

Als Ergonomist weiss Olivier Girard, wie wichtig die richtige Haltung ist.

schnittlich wenige Unfälle und damit verbundene Kosten, fallen die Prämienrechnungen tiefer aus. Vice versa gilt hingegen auch. Genau hier setzt die Versicherung an, wo noch die grösste Fragestellung herrscht: Wer soll zahlen? Im Gespräch mit drei Expertinnen und Experten eruieren wir die Thematik der Verantwortung. Dabei geht es um die Gesichtspunkte des physischen, psychischen und mentalen Wohlbefindens.

Zugpferd oder Arbeitsesel?

«Nutzen wir den Muskelapparat richtig, brauchen wir nicht einmal zusätzliches Training»

Die Brücke zwischen wirtschaftlichem Erfolg und einer verantwortungsvollen Arbeitsumgebung zu schlagen, ist komplex, insbesondere für Arbeitgebende. Wie gestaltet man eine langfristige Strategie? Und was brauchen Mitarbeitende, um maximal leistungsfähig und kreativ zu sein? Gleichzeitig sollen sie vor Überforderung geschützt werden, damit sie nicht ausbrennen und das Unternehmen an Ausfallstunden und Produktivitätseinbussen leidet. Mit jedem investierten Franken in Gesundheitsprävention lässt sich das Vierfache an Schadensbegrenzung einsparen. Die Schweizerische Unfallversicherung SUVA hat hierfür ein klares Belohnungssystem aufgestellt. Verzeichnet ein Betrieb überdurch-

Als Ergonomist wird Olivier Girard tagtäglich von Menschen mit körperlichen Beschwerden wie Rücken- oder Kopfschmerzen kontaktiert. Was hilft? «Eine aufrechte Körperhaltung und stabile Fusspositionierung sind schon mal zwei essenzielle Faktoren. Leider lernen wir das oft viel zu spät oder gar nicht.» Denn als Kinder eignen wir uns durch ungeeignete Stühle in der Schule eine ungesunde Sitzposition an. Das können wir zwar als Erwachsene noch geradebiegen, werden aber oft erst aktiv, wenn wir schon Schmerzen verspüren. Was können wir also präventiv tun? «Hier ist die Zusammenarbeit zwischen Betrieben und Mitarbeitenden sehr wichtig. Als erster Schritt ist

eine optimale Ausstattung des Arbeitsplatzes an der Reihe, denn dadurch wird man produktiver. Unter Schmerzen leidet unsere Leistung stark.» Gerade bei Präsentationen und Pitches erzielen physisch gestärkte Personen bessere Ergebnisse.

«Wir müssen ein Klima des Vertrauens schaffen» Aurelie Litynski schult Unternehmen in positiver Psychologie und ist als Chief Happiness Officer tätig. Warum bräuchte es diese Jobposition öfter? «Meist brauchen wir Vorbilder und Menschen, die uns inspirieren, um aktiv zu werden.» Ihre wichtigsten Ansätze, wenn es um eine förderliche Firmenkultur geht: «Kompetente Führungskräfte können Teams dabei unterstützen, positive neue Strategien zu implementieren. Die Beziehung zu den Vorgesetzten und die Zusammenarbeit im Team sind hierbei für Mitarbeitende sehr wichtig. Wenn sie glücklich und motiviert sind, tragen sie mehr zum Erfolg des Unternehmens bei.» Wie genau wir eine konstruktive Feedbackkultur etablieren können, erklärt sie so: «Indem wir lernen, Anerkennung zu geben, anstatt nur zu kritisieren. Worte haben eine tiefe Wirkung, ein überraschendes Dankeschön reicht, um die Motivation stark zu beeinflussen.»

Stéphane Leluc ist Experte für Achtsamkeit.

«Sensorische Erfahrungen anstatt Stress» Stéphane Leluc ist Experte für Achtsamkeit. Hierbei steht besonders die Reduktion von Stress im Vordergrund – gerade im Berufsalltag eine wichtige Komponente: «Im Kern geht es darum, das sympathische Nervensystem zu beruhigen. Wir sind ja mehr als hyperventilierende Höhlenmenschen.» Ausserdem legt Achtsamkeit unseren Fokus auf das, was uns besonders wichtig ist. «Bei der ganzen Reizüberflutung ist es schwierig, Arbeit zufriedenstellend zu erledigen.» Stress ist für unseren Körper also ein Warnsignal. «Wenn ich beispielsweise meditiere und mein Gedankenkarussell sich nicht mehr aufhört zu drehen, weiss ich: Mein Körper braucht Ruhe. So können wir Empathie für unsere Bedürfnisse entwickeln – wie auch für unsere Mitmenschen.» Ziel wäre, die Bewertung der aktuellen Situation zu ersetzen mit der Empfindung der sensorischen Erfahrung, also Innehalten und Geniessen.

Prävention durch Synergie Erscheinen Mitarbeitende in schlechter mentaler und körperlicher Verfassung zur Arbeit, können sie nicht ihre volle Leistung erbringen. Die Förderung der Gesundheit der Mitarbeitenden lohnt sich also auch ausserhalb der Unfall-

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prävention. Virgin Pulse ist eines der Unternehmen, das sich dafür einsetzt. Sie verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz und beleuchten Aspekte wie körperliche Aktivität, Ernährung, Schlaf und mentale Gesundheit. Wie deren Gründer Richard Branson sagt: «Kümmern Sie sich um Ihre Mitarbeitenden und Ihre Mitarbeitenden werden sich um Ihr Unternehmen kümmern.»

Kostenfreie Wellbeing-Sessions für Ihr Wohl! Steigern auch Sie mit simplen Übungen Ihr persönliches Wohlbefinden. Seien Sie mit dabei an den virtuellen GratisWorkshops mit Aurelie Litynski, Stéphane Leluc und Olivier Girard! Mitmachen auf nzz-futurehealth.ch:   13. April 2021, ab 16 Uhr mit Aurelie Litynski   15. April 2021, ab 17 Uhr mit Stéphane Leluc   20. April 2021, ab 16 Uhr mit Olivier Girard

Künstliche Intelligenz optimiert Medizin Moderne Therapieansätze erfordern einen zielgerichteten Einsatz neuer Technologien und Tools. STEFAN TROLLER

Personalisierte Medizin gilt bei Fachleuten als eine der bedeutendsten Entwicklungen des 21. Jahrhunderts. Durch Datenverknüpfung schafft sie neue Möglichkeiten im Gesundheitswesen. Während die personalisierte Medizin die Effizienz steigert und dadurch Kosten senkt, verspricht sie Patientinnen und Patienten positive Erfahrungen und bessere Behandlungen. Als vielseitiges Instrument im Umgang mit Daten bietet sich künstliche Intelligenz (KI) an. KI sorgt gegenüber konventionellen Ansätzen für einen immensen Vorteil. Da sie bei der Datenverknüpfung, Interpretation und Vorhersage hilft, ermöglicht sie präzisere Entscheidungen im klinischen Bereich. Unnötige Interventionen

können vermieden und Erfolge durch patientenspezifische Behandlungen verbessert werden. Die Einsatzgebiete von KI sind vielfältig: in der Sensorik zum Beispiel bei Signalverarbeitung von Blutdrucksensoren, in intelligenten Implantaten oder in der Diagnostik von Krebs und Augenkrankheiten. Ein solches Praxisbeispiel ist ein Überwachungssystem für das menschliche Auge, das Helbling Technik völlig neu entwickelt. Dabei verfolgt ein handgehaltenes Scangerät zuhause den Verlauf von Netzhautkrankheiten. Die Messdaten werden mit einem Deep-Learning-Ansatz ausgewertet und unter Einhaltung höchster Cybersecurity-Standards anonymisiert in die Cloud übertragen. So wird etwa der ideale Zeitpunkt für nächste Behandlungsschritte festgelegt.Die Verwendung von KI und

insbesondere von maschinellem Lernen wirft aber auch Fragen auf. Eine grosse Herausforderung stellt der Entscheid dar, wann der Einsatz von KI sinnvoll ist. Hierfür ist das Verständnis der Datenkette von der Physiologie über die Sensorik bis zur Diagnose notwendig. In der Regel sind keine grossen Datenmengen verfügbar: Es braucht Methoden, um die wenigen Daten anzureichern und damit wirksame Lösungen zu entwickeln. Richtig eingesetzt, kann KI ein leistungsfähiges Instrument sein, um die personalisierte Medizin voranzubringen, zu verbessern und Patientinnen und Patienten mehr ins Zentrum zu rücken.

Stefan Troller ist Mitglied der Geschäfts­ leitung bei der Helbling Technik Bern AG.

Augenkrankheiten im Fokus von Algorithmen.

ETERNALCREATIVE / ISTOCKPHOTO


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Ist ein Avatar im Haus? Die Zukunft beginnt jetzt! Durch Covid-19 ist die Zukunftsvision einer virtuellen, vernetzten Gesundheitsversorgung in greifbare Nähe gerückt. An der Schwelle dieser Revolution müssen wir einen verantwortungsvollen Umgang mit Innovation sicherstellen. Ethik, Gerechtigkeit und Vertrauen sollten dabei im Mittelpunkt stehen. heit laufend durch Software überwacht wird. Der Dienst hätte nach Mustern in den Nutzerdaten suchen können, die darauf hindeuten, dass Nutzerinnen oder Nutzer sich mit dem Virus angesteckt haben, und ihnen dann Handlungsanweisungen erteilen können.

STEPHEN K. KLASKO

Die Covid-19-Pandemie und die Einschränkung der normalen Bewegungsfreiheit haben in der Gesundheitsversorgung einen wachsenden Trend beschleunigt – den Einsatz digitaler Mittel, um eine neue Vision davon zu schaffen, wie wir Menschen helfen. Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums, bezeichnet dies als «Vierte industrielle Revolution». Diese Revolution hat Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Unternehmen rund um den Globus. Nun erreicht sie auch die Gesundheitsversorgung. Über eines müssen wir uns jedoch im Klaren sein: Hightech allein stellt keine Lösung für das Gesundheitswesen dar. Die Technologie wird für Umbrüche sorgen und vieles vereinfachen. Doch es braucht menschliches Einfühlungsvermögen, um ein ideales Gesundheitssystem zu schaffen und gleichzeitig die mit jeder anderen Revolution verbundenen Nebenwirkungen zu vermeiden. Der Verbrennungsmotor leitete die industrielle Revolution ein – aber auch ein von Kriegen um Öl geprägtes Jahrhundert. Die landwirtschaftliche Revolution ermöglichte die Erzeugung billiger Maisprodukte wie Sirup, aus dem Süssstoff für Millionen von Produkten hergestellt wurde – der als Ursache für die weitverbreitete Fettleibigkeit gilt. Die Social-Media-Revolution in jüngerer Zeit erleichterte es uns zwar, mit Freunden und Familie in Verbindung zu bleiben – sie ermöglichte aber auch Hass- und Lügenkampagnen, die zur Beeinflussung nationaler Wahlen führten. Wenn es um das Gesundheitswesen geht, muss Vertrauen der zentrale Leitgedanke dieser Revolution bleiben. Wenn der Mensch an erster Stelle stehen soll, muss das gesamte System des Gesundheitswesens überprüft werden.

Alles, wovor Mitarbeitende aus dem Bereich der öffentlichen Gesundheit gewarnt haben, bewahrheitete sich mit Covid-19. Allzu lange standen in unseren Debatten die sozialen und wirtschaftlichen Determinanten von Gesundheit im Vordergrund. Dabei haben wir es aber versäumt, uns um ein dringendes Anliegen zu kümmern: die Beseitigung der daraus resultierenden Ungleichheiten im Gesundheitssystem. Dies trifft unabhängig von den nationalen Plänen für Gesundheitsausgaben zu. Für Menschen mit eingeschränktem Zugang zu Bildung, Arbeitsplätzen, angemessenem Wohnraum, Lebensmitteln und Internet hatte Covid-19 verheerende Auswirkungen. Bei der Erhebung nationaler Kennzahlen zum Gesundheitszustand schneidet diese Gruppe weiterhin schlecht ab. Wir müssen unsere Verantwortung wahrnehmen. Gerechtigkeit ist wichtig. Ich beziehe den Zugang zum Internet ausdrücklich ein, weil Konnektivität im 21. Jahrhundert zu einem ausschlaggebenden Faktor für Gesundheit geworden ist. Es ist nun ein entscheidendes Kriterium. Schon an der Antwort auf die Frage «Haben Sie Internetzugang?» erkennen Ärztinnen und Ärzte heute, ob eine Patientin oder ein Patient Schwierigkeiten haben wird, sich für Impfungen anzumelden oder telemedizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen.

Wir müssen bei der Auswahl und Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten auf menschliches Einfühlungsvermögen setzen. Seit einem Jahrhundert zählen bei der Auswahl von Studierenden im Fach Medizin standardisierte Testwerte für Biochemie, die Noten in den naturwissenschaftlichen Fächern und die Fähigkeit, den Citratzyklus auswendig zu lernen. Und dann wundern wir uns, wenn sie kein Einfühlungsvermögen besitzen, nicht gut kommunizieren oder Teams aufbauen können. Die Zukunft des Gesundheitswesens hängt von Teams ab, die KI-gestützte Analysen grosser Datenmengen in eine klar verständliche Sprache übersetzen können, die für die Betroffenen aussagekräftig ist. Ausserdem ist Einfühlungsvermögen das Herzstück der Ethik. Beim Design-ThinkingAnsatz stellen wir den Menschen in den Mittelpunkt und entwickeln alles um ihn herum. Ausgangspunkte jeder Entwicklung müssen Ethik und Einfühlungsvermögen sein. In der Zukunft wird jede Gesundheitsfachkraft Zugang zu einem KI-gestützten Bot haben, der genetische Codes analysieren kann und den Citratzyklus auswendig kennt. Deswegen brauchen wir Ärztinnen und Ärzte, die ihren Patientinnen und Patienten diese Codes erklären und ein Team zusammenstellen können, das ihnen bei der Einhaltung der ärztlichen Empfehlungen hilft.

Die Gesundheitsversorgung kann nicht überleben, wenn sie sich nur mit der Behandlung der Kranken beschäftigt. In den USA erreichte die Zahl der Spitäler in den 1990er-Jahren ihren Höhepunkt. Philadelphia beispielsweise hat in 50 Jahren 30 Spitäler verloren und 33 Prozent seiner zugelassenen Spitalbetten eingebüsst. In Indien aber lässt

Stellen Sie sich nun folgende Situation vor. Wir schreiben den 2. Januar 2030.

Treibt die Transformation im Gesundheitswesen voran: Stephen K. Klasko, MD, MBA. PD

sich die Idee, Spitäler für die Versorgung der gesamten Bevölkerung zu bauen, erst gar nicht umsetzen. Dort findet die Krankenversorgung vielmehr ambulant statt und wird sich in Zukunft zunehmend hin zur digitalen Medizin verlagern. Für viele Menschen in der ganzen Welt wird die Gesundheitsversorgung in Zukunft über ihr Smartphone stattfinden. Unsere Aufgabe besteht darin, ein vernetztes Versorgungssystem zu schaffen, das Menschen mit Gesundheitsfachkräften, aber auch mit dem besten Know-how zur persönlichen Unterstützung und mit Empfehlungen verbindet. Gleichzeitig hat uns Covid-19 aber auch dazu veranlasst, die Spitäler selbst – die letzte Ressource für Schwerkranke – zu überdenken. In unserem Buch «UnHealthcare» fordern mein Mitautor Hemant Taneja und ich ein System der «Gesundheitssicherung». Dabei gehen wir von einer Grundüberzeugung aus: Menschen wollen keine Patientinnen oder Patienten sein. Sie wollen unabhängig sein, sich entfalten und glücklich sein, ohne dass ihnen die Gesundheitsversorgung in die Quere kommt. Seit Beginn der Pandemie ist uns schmerzlich bewusst geworden, dass die Krise vielleicht einen anderen Verlauf genommen hätte, wenn schon vor-

Wir müssen sicherstellen, dass durch die digitale Revolution in der Gesundheits­ versorgung nicht nur die Wohlhabenden gesünder werden.

her eine neue Art der Versorgung – die wir im Buch als Gesundheitssicherung bezeichnen – vorhanden gewesen wäre. Ein massgeblicher Faktor der Gesundheitssicherung sind Daten: die Möglichkeit jedes Individuums, laufend und in Echtzeit Daten über den Gesundheitszustand zu erhalten, damit sie/er sich selbst gesund halten und weder Arztpraxen noch Spitäler aufsuchen muss. Sobald diese Daten in der Cloud sind, können sie anonymisiert und für Zwecke der Bevölkerungsgesundheit analysiert werden. Nehmen wir an, zig Millionen Menschen weltweit hätten im Januar 2020 diese Art von Diensten in Anspruch nehmen können. Dann hätten die Daten den Behörden helfen können, den Ausbruch des Virus oder die Entwicklung von Clustern frühzeitig zu erkennen und Massnahmen zur Eindämmung der Auswirkungen zu ergreifen. Das hätte das Leben zahlreicher Ärztinnen und Ärzte, Krankenpflegekräfte und Mitglieder der Notdienste vereinfachen oder gar retten können, denn sie hätten weniger Fälle behandeln müssen und mehr fortschrittliche Informationen über ihre Patientinnen und Patienten nutzen können. Gleichzeitig hätten Menschen, die die Gesundheitssicherungsdienste in Anspruch nehmen, darauf vertrauen können, dass ihre Gesund-

Ein mutierter Stamm eines membranumhüllten RNA-Virus grassiert unter der Bevölkerung von Philadelphia. Natürlich geraten Menschen, die alt genug sind, um sich noch an die dunklen Zeiten Anfang 2020 und die Covid-19-Krise zu erinnern, insbesondere Gesundheitsfachkräfte, sofort in Panik … aber nur für einen kurzen Augenblick … und dann lächeln sie. Denn sie wissen, dass sich die Gesundheits­ versorgung von einem kaputten, fragmentierten, teuren und ungerechten «Krankenversorgungs»- zu einem «Ge­ sund­heitssicherung»-System weiterentwickelt hat, bei dem der Grossteil der Versorgung zu Hause stattfindet. KI-Bots erkennen die neue Krankheit sofort. Wearables erfassen unmittelbare physiologische Veränderungen und weisen die Betroffenen an, sich in Isolation zu begeben. Mit dem 3D-Drucker in ihrer Wohnung stellen sie für das neue Virus geeignete Filtermasken her. Arzneimittel werden per Drohne geliefert. 10GBreitbandkonnektivität gilt überall als selbstverständlich, wodurch Schulen und Arbeitsplätze zu Versammlungsorten und nicht zu menschlichen Lagerhallen werden und problemlos auf rein virtuelle Aktivitäten umgestellt werden können. Diese Vorstellung ist meilenweit entfernt von dem, was wir in Philadelphia und auf der ganzen Welt während der Covid-19-Krise im Jahr 2020 erlebt haben. Ein Jahrzehnt später: Gesundheitssicherung war ganz klar eine Frage von Leben und Tod. Stephen K. Klasko, MD, MBA, ist Präsident der Thomas Jefferson University und CEO von Jefferson Health. Er ist Mitautor des Bu­ ches «UnHealthcare: A Manifesto for Health Assurance»: www.healthassurance.ai.


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Coronaimpfung dank künstlicher Intelligenz Atemberaubend schnell wurden Impfstoffe gegen Corona entwickelt – auch dank künstlicher Intelligenz. Für den Grossteil der Pharmaindustrie ist das Neuland. Enormer Zeit- und Effizienzgewinn Das Fazit: Nur etwas mehr als einen Monat nach der Publikation der genetischen Sequenz des Virus konnten die Entwicklungsabteilungen mit der Herstellung der Impfstoffe beginnen. Das bedeutet einen Zeitgewinn von bis zu 90 Prozent, wenn man es mit der herkömmlichen Impfstoffentwicklung vergleicht. Hinzu kommt, dass die ersten Vakzine eine Wirksamkeit von teilweise über 90 Prozent zeigten. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt den von Anfang an offen zugänglichen Daten (Open Source Data) sowie dem Einsatz intelligenter Maschinen und maschinellen Lernens (Artificial Intelligence, kurz AI). «Die Coronapandemie hat den Einsatz dieser digitalen Technologien im pharmazeutischen Bereich ganz klar beschleunigt», sagt Dr. Marie-Lyn Hecht, Associate Partner bei EY-Parthenon Life Sciences. Artificial Intelligence hat zur raschen Entwicklung der Covid-19-Vakzine beigetragen. PD

Der Startschuss fiel am 12. Januar 2020, als die chinesischen Behörden die genetische Sequenz des SARSCoV-2-Virus online stellten. Minuten später wurden weltweit Systeme der künstlichen Intelligenz mit den Daten gefüttert. Bereits nach wenigen Stunden waren einzelne BiotechUnternehmen in der Lage, einen «Ent-

wurf» für einen Impfstoff gegen das fast unbekannte Coronavirus vorzulegen. Auf der Grundlage von Trainingsdaten bekannter Krankheitserreger hatten die Machine-Learning-Tools geschätzt, welche Komponenten des Virus das menschliche Immunsystem am ehesten erkennen und welche Immunantwort sie auslösen werden.

Umgang mit Daten als grosse Herausforderung Mit ihrem internationalen Team bringt Hecht langjährige Erfahrung in der Strategieberatung im Pharma-, Biotech- und Medizintechnik-Bereich ein mit Fokus auf digitale Strategien und Transformation. «Die digitale Transformation stellt für viele Unternehmen aus der Pharmaund Gesundheitsindustrie eine grosse Herausforderung dar», sagt Hecht. So verfügen die Firmen zwar über umfang-

Wissen ist die beste Medizin.

reiche Datenmengen, sie wissen aber nicht, wie sie diese nutzen können und sollen. Sehr oft handelt es sich dabei um sensitive, also personenbezogene Informationen. Um diese zu verwenden, muss die Datenintegrität – Korrektheit, Konsistenz und Vollständigkeit der Daten – sichergestellt sein. Die Daten dürfen keinen Bias aufweisen, durch sie dürfen keine Vorurteile entstehen, beispielsweise aufgrund von Herkunft oder Geschlecht. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Daten frei ausgetauscht werden können. «Die Unternehmen brauchen ein integratives digitales Ökosystem, welches es ihnen erlaubt, Daten mit anderen zu teilen», sagt Hecht.

sächliche Reaktion des menschlichen Immunsystems auf ein Vakzin muss immer noch versuchsweise erforscht werden. AI kann die traditionelle Arzneimittelforschung nicht ersetzen, aber ergänzen. Damit leistet sie nicht zuletzt einen Beitrag an die Nachhaltigkeit: Denn was schneller geht, braucht weniger Ressourcen – sowohl menschliche als auch materielle – und belastet die Umwelt damit deutlich weniger.

Integration, Partnerschaft, Merger?

Coronavirus: RNA und Proteine

Dieser Gastbeitrag wurde von EY zur Verfügung gestellt.

Für die «Tanker» unter den Pharma- und Gesundheitsfirmen, die sich zu digitalen Unternehmen entwickeln wollen, gibt es laut Hecht verschiedene Wege: «Sie ändern ihr Geschäftsmodell und integrieren AI als Bestandteil ihres Betriebs. Sie gehen Partnerschaften mit Tech-Unternehmen ein, welche die gefragten Technologien beherrschen. Oder sie kaufen die Technologie über einen Merger ein. Welcher der beste Weg ist, hängt von der Firmenstruktur sowie anderen Voraussetzungen ab.» Die Grenzen von Artificial Intelligence bei der Arzneimittelentwicklung sieht Hecht dort, wo die klinische Prüfung der Impfstoffe beginnt. Die tat-

Bei den mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 wird ein Stück des RNA-Bauplans von SARS-CoV-2 verwendet, um eine Abwehrreaktion im menschlichen Körper auszulösen. Die im Labor hergestellte virale Messenger-Ribonukleinsäure (mRNA) wird im Impfstoff als Botenmolekül verwendet. Dieses trägt einen Teil des Bauplans des Erregers in die Zelle, wo nach diesem Plan das sogenannte Spike-Protein gebildet wird. Das Immunsystem erkennt dieses als fremd und bildet Antikörper – die Immunantwort hat eingesetzt.

Denn nur mit Know-how kann man Lösungen entwickeln, die der Gesundheit und der Lebensqualität dienen. Eine patientenzentrierte Medizin braucht innovative Technologien, die wir entwickeln. Als international agierendes Unternehmen für Engineering und Business Consulting nutzen wir unsere Expertise, um gemeinsam mit unseren Kunden neue Produkt- und Geschäftsideen zu entwickeln – immer mit dem Fokus auf den Menschen, dem sie dienen. So verbessern wirtschaftliche Erfolge die Lebensqualität der Patienten: mit Kopf, Herz und Tatkraft. Besuchen Sie unsere Website, um mehr über uns und unsere Leistungen zu erfahren: www.helbling.ch

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Der Therapeut auf meiner Couch Philipp ist gestresst. Neben dem virtuellen Meeting versucht er gerade parallel dazu, seine E-Mails zu beantworten. Dabei hat er die Zeit völlig vergessen, die Überstunden summieren sich. Im Homeoffice passiert ihm das ständig. Da er allein lebt, stört das auch niemanden. Philipp merkt dabei gar nicht, dass sein Stresspegel über die vergangenen Monate exponentiell gestiegen ist. gebogen einer medizinischen Instanz herausfinden, wie akut seine Lage ist und welche Behandlungsform sich eignen würde. Wirksam könnte etwa ein «blended treatment»-Ansatz sein, bei dem die psychologischen oder psychiatrischen Sitzungen durch E-TherapieElemente ergänzt werden. Online fin-

Das Eingeständnis ist oft mit Scham verbunden.

E-Therapien sind Teil des «blended treatmend»-Ansatzes.

RACHEL FASSBIND

It’s cool to be busy – bis es «chlöpft» Obwohl die Schweiz 2020 im «Weltglücksbericht» zum drittglücklichsten Land der Erde gekürt wurde, erleben laut aktuellen Statistiken des Bundesamtes für Gesundheit bis zu 34 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer mittlere bis erhöhte psychi-

sche Belastung. Gleichzeitig berichten 90 Prozent von einer guten Lebensqualität, schätzen sich als glücklich und vital ein. Dankbar für die eigene Lebenslage zu sein schliesst nicht aus, unter erhöhtem Druck, Einsamkeit, Stress, finanziellen Sorgen oder familiären Konflikten zu leiden. 2018 liessen sich knapp 70 000 Personen aufgrund einer psychiatrischen Hauptdiagnose hospitalisieren. Nach der Entlassung erleben sie oft den Drehtüreffekt – sie spazieren herein, bekom-

ADOBE STOCK / OLGASTRELNIKOVA

men Unterstützung, gehen wieder und begegnen denselben Herausforderungen wie vorher.

Rundumversorgung durch Klicks Gerade jemand wie Philipp, der an typischen Burn-out-Symptomen leidet, sich dessen aber noch gar nicht bewusst ist, gehört zur Risikogruppe. Um mehr Klarheit zu gewinnen, könnte er virtuell durch einen umfassenden Fra-

den Patientinnen und Patienten stets eine Vielzahl von Übungen, die von den Therapierenden jeweils auf deren Bedürfnisse zugeschnitten wurden. Dadurch lässt sich die Fähigkeit der Problembewältigung im Alltag trainieren und steigert gerade bei Suchterkrankten durch die 24/7-Unterstützung den Durchhaltewillen. Das gemischte Behandlungskonzept senkt nachweislich die Rückfallrate, wie eine Studie von Mansson zeigte. Die positiven Effekte der neunwöchigen «blended care»-Therapie waren auch ein Jahr später intakt. Weitere Vorteile, die aus der Methode resultieren, sind beispielsweise die Flexibilität, selbst-

ständig von zuhause aus Teilschritte der Therapie zu absolvieren, oder etwa das Einsparen von Zeit und Geld.

Stigmatisierung von psychischen Krankheiten Trotz allem begeben sich mehr als 150 000 Personen, die unter starker Belastung leiden, nicht in Therapie. Philipp ist zwar erfunden, könnte aber einer der Betroffenen sein. Er traut sich nicht, Hilfe anzufordern, oder versteht erst zu spät, wie prekär die Situation ist. Ob bei Burn-out, depressiven Verstimmungen oder Suchterkrankungen: Das Eingeständnis ist oft mit Scham verbunden. Digitale Therapien können diese Barriere senken und den Einstieg erleichtern.

Ein sicheres Umfeld schaffen Lord Nigel Crisp, ehemaliger Manager des National Health Service (NHS), setzt sich für Aufklärungsarbeit ein. In seinem Buch «Health ist made at home, hospitals are for repairs» stellt er diverse Lösungsansätze vor. Einer davon ist das Programm «Alliance», das sich auf die Salutogenesis stützt, eine Methode der Komplementärmedizin. Die Essenz davon: sich ein sicheres Umfeld zu schaffen, um über psychische Belastung sprechen zu können – ob zuhause oder bei der Arbeit.

«Schweizer Krankenhäusern fehlt der Mut» Nicolas Durand, CEO von Abionic, erklärt im Interview, was der Diagnostikbranche in der Schweiz noch fehlt und warum es an Innovationsmut mangelt. SERAINA BRANSCHI

Der Fokus von Abionic liegt auf der Diagnostik, was sind die grössten Herausforderungen in diesem Bereich? Und wo liegen die grössten Stärken von Abionic? Die Diagnostikbranche in der Schweiz steht derzeit vor vielen Herausforderungen. Die wichtigste davon ist

der Verlust der gegenseitigen Anerkennung zwischen der Schweiz und Europa, was konkret die Anforderung bedeutet, einen gesetzlichen Vertreter oder eine europäische Niederlassung zu gründen. Auch die neuen Normen der In-vitroDiagnostika Verordnung (IVDR) stellen eine grosse Belastung dar und die auf dem Markt erwarteten Leistungen werden immer höher. In den letzten

Das abioSCOPE®: Die revolutionäre Plattform für die In-vitro-Diagnose (IVD). ABIONIC

zehn Jahren hat Abionic eine eigene Nanotechnologie entwickelt, die das Potenzial hat, der schnellste diagnostische Test der Welt zu sein. Die neue Technologie erfordert aber auch viel Überzeugungsarbeit bei den Personen, die mit dieser neuen Produktgeneration noch nicht vertraut sind. «Testen, testen, testen …» Während der aktuellen Covid-19-Krise rückte die Diagnostik stark in den Fokus. Wie hat Abionic auf diese veränderte Situation reagiert? Im März 2020 kontaktierte Abionic das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und diverse politische Persönlichkeiten mehrfach, um ihnen die Entwicklung eines Covid-19-Schnelltests vorzuschlagen. Dieser liefert das Ergebnis fünf Minuten nach der Entnahme eines kleinen Blutstropfens. Leider gab es keine Resonanz und Abionic beschloss, sich auf seinen Sepsis-Test zu konzentrieren. Dies gehört zu den häufigsten Todesursachen weltweit und ist eine oft auftretende Todesursache bei Covid-19-Patienten. Darüber hinaus haben klinische Studien gezeigt, dass dieser Test den Schweregrad bei SARS-CoV-2-Patienten messen kann. Was bietet der Coronatest von Abionic, was andere Tests nicht können? Der Abionic-Test liefert innerhalb von fünf Minuten ein Ergebnis in Laborqualität aus einem Blutstropfen, der dem Patienten aus der Fingerbeere entnommen wurde. Einer der Tests misst den Schweregrad der Erkrankung bei Covid-19-Patienten und ermöglicht es

den Ärzten zu entscheiden, ob die Patientin beziehungsweise der Patient zu Hause bleiben kann, ins Krankenhaus eingewiesen oder sofort auf die Intensivstation geschickt werden sollte. Die Triage im Krankenhaus als Folge der Überfüllung der Intensivstationen ist eine der Hauptbefürchtungen, die die Behörden zu solch drastischen Massnahmen veranlasste. Unser Test kann helfen, die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit zu treffen, um die Überlebenschancen der am schwersten betroffenen Patientinnen und Patienten zu maximieren. Was fehlt Ihrer Meinung nach der Gesundheitsbranche noch für die Zukunft? Wir waren sehr schockiert über den mangelnden Mut der Krankenhausärzte in der Schweiz, von denen die meisten nicht bereit waren, in Krisenzeiten eine neue Technologie auszuprobieren, selbst wenn sie ihnen kostenlos angeboten wurde. Deshalb haben wir uns auf die Vermarktung in Europa und Asien konzentriert und dort einige Erfolge erzielt. Es ist sehr erstaunlich, dass in der Schweiz diese Krise eine der ersten war, in der die Innovation in den Hintergrund gerückt ist. Ausserdem ist es auffällig, dass die politischen Behörden sich nicht einmal auf bestimmte Schlüsselprojekte einlassen wollten, die eine schnellere Rückkehr zur Normalität hätten ermöglichen können.

Abionic wurde 2010 gegründet und konzent­ riert sich auf Medizinprodukte und In-vitroDiagnostik. Mehr dazu: www.abionic.com.

Die Diagnostik­ branche in der Schweiz steht derzeit vor vielen Herausforder­ungen.

SEF.Growth SEF.Growth ist eine Initiative des Swiss Economic Forum (SEF) zur Förderung von KMU und Jungunternehmen in der Schweiz, die die Weichen auf nachhaltigen Erfolg und Wachstum stellen wollen. Die Angebote sind an die Bedürfnisse der Unternehmerinnen und Unternehmer angepasst. Besonders erfolgversprechende Unternehmen erhalten das Qualitätslabel «SEF.HighPotential KMU». Abionic gehört zu diesen High-Potentials. www.sef-growth.ch


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«Betroffene müssen im Fokus stehen» In der Schweiz sind rund 2,2 Millionen Menschen von einer chronischen Krankheit betroffen. Die fünf häufigsten sind Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Atemwegserkrankungen, Diabetes und Erkrankungen des Bewegungsapparates.

Unterstützen ihre Patientinnen im Kampf gegen Endometriose: Dr. med. (bg) Alina Staikov, Melanie Vogt und Dr. med. Plamen Kostov.

MADELEINE NUFER

Eine chronische Erkrankung, die weniger bekannt ist, ist die Endometriose. Was erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass schätzungsweise jede zehnte Frau davon betroffen ist. 30 bis 50 Prozent der Frauen, die in einem Kinderwunschzentrum in Behandlung sind, haben Endometriose. Die Entstehung sowie die Ursachen sind bis heute nicht abschliessend erforscht, die Krankheit hat einen chronischen und wiederkehrbaren Verlauf. Die Beschwerden sind zahlreich, nicht zwingend zyklusabhängig und führen häufig zu Arbeits- oder Schulausfällen. Der Weg zur Diagnose dauert im Durchschnitt sieben bis zehn Jahre, ist kräftezehrend und mit hohen Gesundheitskosten verbunden. Solch sogenannte «nichtübertragbare Krankheiten» sind nicht nur für Patientinnen, Patienten und deren Angehörige belastend, sie verursachen zudem rund 80 Prozent der Gesundheitskosten. Melanie Vogt ist «1 von 10». Sie ist ausserdem Endometriosis Care Nurse in der Praxis für Frauengesundheit gynpoint in Zürich. Gemeinsam mit Dr. med. (bg) Alina Staikov, Leiterin von gynpoint (www.gynpoint.ch), und Dr. med. Plamen Kostov, Chefarzt Frauenklinik See-Spital Horgen (www.seespital.ch), berät sie Frauen vor, während und nach der Diagnose. Wann begann Ihr Leidensweg? Melanie Vogt: Beschwerden hatte ich eigentlich seit meiner ersten Periode im Alter von circa 11 Jahren. Mit 21 begannen die starken Symptome und der Weg zur Diagnose begann. Diese erhielt ich rund 2 Jahre später. Gab es Fehldiagnosen? Melanie Vogt: Wie bei so vielen anderen Betroffenen wurde auch bei mir erst einmal das Reizdarmsyndrom diagnostiziert. Eine weitere Fehldiagnose war eine Blinddarmentzündung. Was führt zu so häufigen Fehldiagnosen? Dr. med. (bg) Alina Staikov: Bei der Endometriose können die Beschwerden sehr unterschiedlich sein und variieren von Patientin zu Patientin. Angenommen, eine Betroffene klagt über Darmbeschwerden, hat aber keine Begleitsymptome wie starke Menstruationsblutungen oder Schmerzen beim

Geschlechtsverkehr, ist eine Endometriose nicht als Erstes auf dem Radar. Dr. med. Plamen Kostov: Im Falle der Endometriose ist die Diagnosestellung ein weiteres Problem: um diese endgültig festzustellen, bedarf es einer Laparoskopie. Es gibt keinen einfachen nichtinvasiven Test, der den Befund bestätigt. Sowohl für Behandelnde als auch Betroffene ist eine Operation oft keine erste Wahl. Fehldiagnosen kosten die Betroffenen nebst Nerven auch viel Geld. Wie können gleichzeitig Kosten gesenkt und Leidenswege verkürzt werden? Dr. med. (bg) Alina Staikov: Anhand von umfassender Aufklärung. Gerade bei weniger bekannten chronischen Krankheiten fehlen sowohl bei der Ärzteschaft als auch der Gesellschaft das Wissen über deren Existenz. Dr. med. Plamen Kostov: Eine übergreifende Zusammenarbeit zwischen Praxen, Spitälern, Spezialistinnen und Spezialisten hilft, den Diagnoseprozess zu verkürzen. Solche Kooperationen sollte man verstärken: Ärztinnen und Ärzte als erste Anlaufstelle dürfen nicht fürchten, eine Patientin zu verlieren, wenn sie sie an Spezialistinnen und Spezialisten oder Spitäler verweisen. Vielmehr sollten die Betroffenen im Fokus stehen und alles dafür getan werden, dass es ihnen besser geht. Die Zusammenarbeit zwischen den Praxen gynpoint und dem See-Spital macht dies deutlich. Spricht man von Kosten, müssen natürlich auch Sozialkosten wie zum Beispiel Arbeitsausfälle berücksichtigt werden. Frau Vogt, als Endometriosis Care Nurse sind Sie Teil dieses übergreifenden «Netzwerkes». Wie reagieren Ihre Patientinnen darauf? Melanie Vogt: Eine solch umfassende Betreuung vor, während und nach der Diagnose hilft ungemein. Gerade in der Abklärungsphase merken wir, dass das Vertrauen in die Behandlung und die Ärzteschaft gestärkt wird. Die Frauen fühlen sich ernst genommen und gut behandelt. Für chronisch Kranke ist ausserdem nicht nur die Diagnose wichtig, denn das ist in der Regel nur der Anfang. Die nachfolgenden Behandlungen und der regelmässige Austausch mit Fachpersonen führen zu einem besseren Verständnis für die Krankheit und den Umgang damit.

«Für chronisch Kranke ist nicht nur die Diagnose wichtig, denn diese ist nur der Anfang. Die nach­ folgenden Behandlungen und der regelmässige Austausch mit Fachpersonen führen zu einem besseren Verständnis für die Krankheit und den Umgang damit.» Melanie Vogt

Solche Allianzen können also zu mehr Lebensqualität bei kranken Personen, schnelleren Diagnosen und passenden Behandlungsmethoden führen. Dazu kommt eine Reduzierung der Gesundheitskosten. Doch noch ist das nicht der Standard in der Schweiz. Wie kann das geändert werden? Dr. med. (bg) Alina Staikov: Die Antwort lautet wiederum Aufklärung. Wie Dr. Kostov richtig gesagt hat, dürfen medizinische Fachpersonen keine Angst haben, Patientinnen zu verlieren. Das Wohlergehen und die Gesundheit der Patientin muss letztlich das oberste Ziel sein und sollte immer im Fokus stehen. Wir bei gynpoint arbeiten nebst dem See-Spital auch mit Ernährungsberatungen, Beckenbodenphysiologinnen und -physiologen und psychologischen Fachpersonen zusammen. So stellen wir sicher, dass die Frauen bestmöglich begleitet und unterstützt werden.

FOTOS: RON CLARK

Ausserdem betreiben wir eine Endometriose Helpline für Fragen und Informationen rund um das Thema. Endometriose ist eine komplexe Krankheit, die Behandlung muss also dementsprechend umfänglich sein. Melanie Vogt: Unterstützung und Begleitung sind für uns Betroffene immens wichtig. Ein gutes Supportsystem gibt uns Halt und sorgt dafür, dass wir unsere Körper nicht noch zusätzlichem Stress in Form von Selbstzweifeln aussetzen. Ist das Schweizer Gesundheitssystem gut genug für chronisch Kranke? Dr. med. (bg) Alina Staikov: Jede Person in der Schweiz kann eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen und sich untersuchen lassen. Doch die langen Zeitabstände zwischen Konsultationen, Behandlungen und Diagnosestellungen müssen und können verkürzt werden.

Endometriose – das Chamäleon der Gynäkologie Bei der Endometriose siedelt sich gebärmutterähnliche Schleimhaut ausserhalb des Uterus an. Die häufigsten Symptome sind Schmerzen während der Periode und dem Sexualverkehr, star­ke Blutungen sowie Unfruchtbarkeit. Hinzu kommen von der Menstruation unabhängige Unterbauchschmerzen, Übelkeit, Blähungen und Er­schöpfung. Die Ursache ist nicht abschliessend geklärt, die Behandlung komplex. Therapieformen sind darauf ausgelegt, die Beschwerden der Betroffenen bestmöglich in Schach zu halten. Dies führt im Idealfall zu einer Verbesserung der Lebensqualität, hilft Schäden an anderen Organen zu vermeiden und die Fertilität zu verbessern. Bei Bauchspiegelungen werden bestehende Endometrioseherde entfernt und mit Hormonen kann versucht werden, das Wachstum von neuen Herden zu verlangsamen. Mehr zum Thema Endometriose erfahren Sie online unter www.endometriosevereinigung-schweiz.ch oder bei der Endometriose Helpline unter 079 260 70 12.

Love Letters To My Uterus: Ein Projekt der Endometriosevereinigung Schweiz, gynpoint Praxis für Frauengesundheit und des See-Spitals Horgen: www.loveletterstomyuterus.ch.


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Biotech-Start-ups entwickeln die Medikamente von morgen Die Schweiz verfügt über eine starke Biotechindustrie, die sich durch ihre Innovationskraft auszeichnet. Trotzdem ist mehr Venture Capital notwendig. DOMINIK ESCHER

Das Interesse an der Biotechbranche war noch nie so gross wie heute. Die Pandemie hat unser Leben in vielen Bereichen zum Erliegen gebracht. Dass Impfungen und Therapien gegen Covid-19, die unser Leben wieder in die Normalität zurückbringen sollten, fast ausschliesslich aus Biotechfirmen stammen, hat die Branche in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Pharmafirmen übernehmen dabei als Partnerin und Partner den kostspieligen Teil der klinischen Entwicklung, Produktion, Vertrieb und Marketing. Die Innovation stammt aber ausschliesslich aus kleineren und mittleren Biotechfirmen. Die Schweiz ist im Biotechbereich äusserst stark und gemessen an der Bevölkerung verfügt sie über überdurchschnittlich viele Firmen in diesem Sektor. Aktuell gibt es in der Schweiz rund 300 Biotechfirmen, die mehr als 15 000 Personen beschäftigen. Die meisten dieser Unternehmen betreiben Forschung und Entwicklung. Da es normalerweise oft ein sehr langer Weg von 10 bis 15 Jahren ist, bis ein neues Medikament auf den Markt kommt, können diese Firmen keinen Umsatz aus bereits bestehenden Produkten generieren. Sie müssen sich über eine Zusammenarbeit mit Pharmafirmen oder über Venture Capital finanzieren. Laut dem «Swiss Biotech Report» konnten die Schweizer Biotechunternehmen im Jahr 2019 rund 1,2 Milliar-

den Franken aufnehmen und damit ihre Forschung und Entwicklung finanzieren. Dabei flossen 577 Millionen in private Firmen. Der Grossteil dieser Gelder stammte aus dem Ausland und zeigt die Schwäche im Schweizer Biotechsystem auf: Obwohl wir über herausragende Biotechfirmen verfügen, fehlt das Geld in der Schweiz, diese zu finanzieren.

Zögerliche Geldgebende Prinzipiell ist in der Schweiz genügend Kapital vorhanden, doch fliesst davon wenig in den Bereich Venture Capital. In den letzten Jahren nahm erfreulicherweise die Zahl von privaten Investierenden, sogenannten Business Angels, stetig zu, doch ist die Biotechindustrie die mit Abstand kapitalintensivste Industrie im Bereich der Innovation. Das bedeutet, dass sich Biotechfirmen nicht lange über Business Angels finanzieren können. Zudem birgt dieser Ansatz das Risiko, dass im Falle eines Scheiterns der Firma die privat Investierenden einen Totalverlust akzeptieren müssen. Deshalb ist es sinnvoll, in mehrere Unternehmen parallel zu investieren und so ein Portfolio aufzubauen. Dies ist genau der Ansatz von Venture Capital.

Venture Capital für neue Behandlungen von schweren Krankheiten

Der Venture Capital Fund BB Pureos Bioventures (Pureos) wurde mit dem Ziel lanciert, in private Biotechfirmen zu investieren, die neue Medikamente gegen schwere Krankheiten entwickeln. Der Fund verwaltet aktuell 170 Millionen US-Dollar. Insgesamt soll ein Portfolio von 15 bis 20 Biotechunternehmen aufgebaut werden. Seit dem Start vor knapp zwei Jahren hat Pureos bereits in zehn Biotechfirmen investiert, mehrere Male als sogenannter Lead Investor, der die ganze Finanzierungsrunde anführt und abschliesst. 40 Prozent der Investitionen wurden in Schweizer Biotechunternehmen getätigt und bei all diesen Firmen ist jeweils ein Partner von Pureos aktiv im Verwaltungsrat engagiert. Das Team von Pureos zeichnet sich durch langjährige Erfahrung in den Bereichen Venture Capital, Biotech, Firmengründung und Medikamentenentwicklung aus.

Innovation aus der Schweiz unterstützen Nebst Pureos hat es erfreulicherweise in den letzten Monaten noch weitere Initiativen gegeben, um vermehrt Venture Capital in der Schweiz zur Verfügung zu stellen. So wurde zum Beispiel der Swiss Entrepreneurs Fund lanciert, der einerseits direkt in innovative Firmen und andererseits auch in neue Venture Funds als Fund-of-Fund

Dr. Dominik Escher von BB Pureos Bioventures.

Obwohl wir über herausragende Biotechfirmen verfügen, fehlt das Geld in der Schweiz, diese zu finanzieren.

BELLEVUE ASSET MANAGEMENT AG

investiert. Es bleibt zu hoffen, dass in der Schweiz neue Venture Funds für Biotechunternehmen starten, und dass die bestehenden Venture Funds weiter wachsen, damit die für die Gesellschaft wichtigen Innovationen unterstützt werden können. Die Pandemie hat uns in den letzten Monaten klar gezeigt, wie relevant die Biotech­ industrie ist. Dr. Dominik Escher ist Managing Partner von BB Pureos Bioventures.

Kein Ruhmesblatt für die Schweiz Mit der Coronakrise dürften wohl alle gemerkt haben, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens in der Schweiz schwer im Verzug ist. Ein elektronisches Patientendossier hätte den Kampf gegen die Pandemie vereinfacht und verbessert. FELIX E. MÜLLER

Alle, die dereinst aus historischer Sicht über die Coronakrise in der Schweiz schreiben, werden mit Sicherheit prominent erwähnen, dass die Behörden im Jahr 2020 Daten über Fallzahlen und Hospitalisierungen per Fax ausgetauscht hätten. Das Beispiel dient als Illustra-

tion, wie ungenügend das Land in mancherlei Hinsicht auf die Pandemie vorbereitet gewesen sei. Nicht zu bestreiten ist die Tatsache, dass gerade Corona enorme Rückstände in der Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens aufgezeigt hat. Da es kein nationales Erfassungstool gab, war die Vergleichbarkeit der Daten zumin-

dest anfänglich nicht gegeben. Der Bundesrat musste deshalb auf der Basis unzuverlässiger Statistiken handeln. Später bastelte jeder Kanton an seinen eigenen Plattformen, um die Impfkampagne zu organisieren. Für die Erstimpfung wurden die Patientinnen und Patienten gebeten, den alten Impfpass auf Papier mitzubringen.

Hochschulen von Weltruf – Datenmeldung per Fax

Durch das EPD wären raschere und präzisere Diagnosen möglich.

EHEALTH SUISSE

All das ereignete sich einem der reichsten Länder der Welt, in dem es technische Hochschulen und medizinische Institutionen von Weltruf gibt. Doch in Bezug auf ein digitales, datenbasiertes Gesundheitswesen ist die Schweiz ein Entwicklungsland. Nichts illustriert diese Tatsache besser als das Trauerspiel um ein elektronisches Patientendossier (EPD), in dem alle gesundheitsrelevanten Daten einer Personeines Patienten – Untersuchungen, Röntgenbilder, Therapien, verschriebene Medikamente etc. – verzeichnet wären. Die Vorteile eines EPD liegen eigentlich auf der Hand. Behandlungen liessen sich effizienter durchführen, weil die Ärztinnen und Ärzte rasch Zugriff auf die Krankheitsgeschichte der Patientinnen und Patienten hätten. Zu Behandelnde müssten nicht, wie bis anhin, mit einem Stapel Röntgenbilder bei einer neuen Ärztin oder einem neuen Arzt vorstellig werden, die dann doch lieber selbst nochmals Aufnahmen erstellen, als das mitgebrachte Material zu studieren. Das EPD hilft somit nicht nur, Kosten zu sparen. Es erlaubt auch raschere und präzisere Diagnosen. Das vorhandene Datenmaterial liesse sich auch mithilfe von Algorithmen fundierter interpretieren, was die Qualität der Behandlungen verbessern würde.

Welche Vorteile ein EPD bringt, zeigten in der Coronakrise Staaten wie Israel oder Dänemark, bei denen ein EPD eine zentrale Rolle in der Bekämpfung des Virus spielte. Beide Länder verzeichneten deutlich weniger Todesfälle, Dänemark auch nur die Hälfte der Ansteckungen als die Schweiz. Und im Impfen erwies sich Israel als Weltmeister. Dänemark wie Israel sind Staaten, die sich hinsichtlich Grösse, Wohlstand, Bildungsniveau und Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems in einer ähnlichen Liga wie die Schweiz bewegen. Was ist denn der Grund dafür, dass die Schweiz beim EPD derart in Rückstand liegt? Sicher spielt der Föderalismus eine wesentliche Rolle. Die Zuständigkeit für das Gesundheitswesen ist auf Bund, Kantone und Gemeinden verteilt. Die Kosten werden von privat organisierten Krankenkassen getragen. Die Ärztinnen und Ärzte sehen sich als unabhängige Dienstleisterinnen und Dienstleister. Und die Spitäler sind Unternehmen, für die Investitionen in die IT, in digitale Behandlungsmethoden zunächst einmal einfach Mehrausgaben sind.

EPD zu den Bremsern. Das wirkt sich auf politischer Ebene aus. Dort ist der Druck zu wenig gross, um föderalistische und ökonomische Vorbehalte wegen der Einführung eines EPD zu überwinden. Zudem hielt sich das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in dieser Frage eher zurück wegen des Widerstands aus den Kantonen, die eifersüchtig ihren Kompetenzbereich in der Gesundheitspolitik verteidigen. Schliesslich schüttet der Datenschutz zusätzlich Sand ins Getriebe. Dieser besitzt in der Schweiz einen hohen Stellenwert. Aber

Datenschutz und Kantönligeist als Hindernisse

der Datenschutz könne doch nicht über den Gesundheitsschutz gestellt werden, bemerkte kürzlich die Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel. Die Nationalrätin der Mitte will nun, zusammen mit Parlamentariern aus verschiedenen anderen Parteien, den Druck auf den Bundesrat erhöhen, das Thema EPD zu einer gesundheitspolitischen Priorität zu machen, indem dieser einen verbindlichen Fahrplan für dessen Einführung vorlegt. So hätte das Coronavirus wenigstens in einer Hinsicht etwas Gutes gehabt: Es hat der Schweiz den Spiegel vorgehalten, wie schlecht es um die Digitalisierung ihres Gesundheitssystems bestellt ist.

Es fehlt also an ökonomischen Anreizen, um auf ein EPD umzustellen. Besonders ausgeprägt ist dies bei der Ärzteschaft, wo Krankendaten vielfach noch auf Papier nachgetragen werden. Nur jede dritte Arztpraxis führt heute ein vollständig elektronisches Patientendossier. Aber solange eine Ärztin oder ein Arzt mit Papier «durchkommt», sieht sie beziehungsweise er wenig Veranlassung zu einer Umstellung auf ein einheitliches digitales Format. Die Ärztegesellschaft gehört folglich beim

Welche Vorteile ein EPD bringt, zeigten Staaten wie Israel oder Dänemark.


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