Sustainable Switzerland (D)

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Verlagsbeilage Nachhaltigkeit

Samstag, 17. Dezember 2022 CH-8021 Zürich Telefon +41 44 258 16 98 nzzone.ch
SONDERMARKE «AGENDA 2030» GESTALTET VON ANDREA MÜNCH UND MARKUS LÄUBLI; FOTO: DIE POST

Switzerland Entrepreneurs Club

Das offene nationale Netzwerk für zukunftsgerichtete Unternehmen und ihre Entscheidungsträger:innen!

Der Sustainable Switzerland Entrepreneurs Club unter dem Patronat von Sustainable Switzerland hat zum Ziel, die Schweizer Wirtschaft gemeinsam nachhaltiger, innovativer und technologieorientierter zu gestalten.

Als Mitglied profitieren Sie von einer breiten Palette an Inhalten sowie Aktivitäten und erhalten durch den Kontakt mit hochkarätigen Expert:innen aus verschiedenen Bereichen spannende Impulse sowie Zugang zu neuem Wissen.

Eine Initiative des Unternehmens NZZ mit führenden Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft.
Unternehmen sowie Organisationen engagieren sich bereits im Sustainable Switzerland Entrepreneurs Club ABAC R&D | Arosa Tourismus | BCG | Bernexpo | BHP Brugger und Partner | BKW | BMW | bNovate Technologies | Board Foundation | Breitling | CTA | Destination Davos Klosters | economiesuisse | Emch+Berger ImmoConsult | EPFL | ETH | Expert Suisse | Farner Consulting | Galenica | Globalance Bank | Greater Zurich Area | Helbling Technik | Jakob Kowner | Kellerhals Carrard | Kessler & Co | KKL Luzern | KSP Krieg Schlupp Partner | Kursaal Bern | Lidl Schweiz | Livesystems | Masaba Coffee | Max Havelaar Stiftung | Meier Tobler Group | die Mobiliar | Mojo Design | Nexplore | NZZ | OOS | Red Heights | Rematter | Responsible Hotels of Switzerland | Schaeppi Grundstücke | SAP | Schulthess Klinik | Schweiz. Vereinigung für Qualitäts und Management Systeme | Spencer Stuart & Associates | Stiftung SOS ­Kinderdorf | Sunrise | Swisscom | Swiss Prime Site | Syngenta Group | Tanner Mehrwert | Tiko Energy Solutions | UBS Mitglied werden
Diese

Nur gemeinsam können wir es schaffen

Alles spricht von Nachhaltigkeitszielen, um die Welt enkeltauglich zu machen. Doch die Zeit der Worte ist vorbei – für Taten braucht es Verbindlichkeit und Engagement. Genau deshalb fördern Initiativen wie Sustainable Switzerland dies übergeordnet.

FELIX GRAF

«Weltklimakonferenz in Sharm alSheikh: Der Gipfel der bitteren Wahrheiten», resümierte nicht nur die «Neue Zürcher Zeitung» vor Monatsfrist.

Warum? Vom 6. bis 18. November 2022

trafen sich im ägyptischen Badeferienort rund 40000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus fast 200 Ländern – darunter etliche Staats- und Regierungschefs – zur COP27, um konkrete Massnahmen zur Bewältigung der Klimakrise zu beschliessen. Sie gingen sogar einmal wieder zwei Tage in die einkalkulierte Verlängerung, aber auch die nächtlichen Verhandlungen sollten nicht mehr als einen kleinsten gemeinsamen Nenner liefern. In ihrer Abschlusserklärung einigten sich die verbliebenen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger auf den Aufbau eines globalen Fonds zum Ausgleich von klimabedingten Schäden und Verlusten in ärmeren Ländern. Wie effektiv dieser in Wirklichkeit sein wird, ist fraglich.

Weniger leere Versprechungen

Angetreten waren die Nachhaltigkeitsakteure der Staatengemeinschaft mit höheren sowie hehren Ambitionen:

Während es bei den Weltklimakonferenzen in den vergangenen Jahren darum ging, verbindliche Ziele zu setzen (Paris, 2015) und die Regeln für deren Umsetzung festzulegen (Glasgow, 2021), war ein zentrales Anliegen der COP27 die Implementierung von Prozessen. Ohne ist eine Erderwärmung um mehr als 1,5 Grad kaum mehr zu vermeiden –und darauf läuft es nun leider hinaus. Das sollten wir nicht leugnen, sondern als Ansporn betrachten, um es hierzulande besser zu machen.

Dazu müssen Impulse gesetzt werden, die das kollektive Engagement fordern und fördern. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde am 30. Mai 2022 Sustainable Switzerland lanciert (siehe Kasten). Die nationale Nachhaltigkeitsinitiative des Unternehmens NZZ mit namhaften Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft will zum Handeln sowie zum Dialog anregen. Sie laden die Öffentlichkeit ein, ökonomische, soziale und ökologische Verantwortung zu übernehmen und ihren Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung der Schweiz zu leisten. Denn: Nur gemeinsam können wir es schaffen.

Mehr Herzblut und Optimismus

Mittlerweile neigt sich das Jahr dem Ende entgegen und wir können attestieren, in gerade mal sieben Monaten mit Herzblut und Optimismus bereits einiges erreicht zu haben – insbesondere mit dem ersten Swiss Sustainability Forum vom 22. bis 24. Septem-

Sustainable Switzerland

Intention

Sustainable Switzerland – eine Initiative des Unternehmens NZZ – ist eine themenspezifische Dialogplattform mit Portal, Veranstaltungen und Netzwerk. In Kooperation mit namhaften Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft unterstützt sie die nachhaltige Entwicklung der Schweiz. Sustainable Switzerland will diese in der Öffentlichkeit sichtbar machen und einen Mehrwert für die Gesellschaft als Ganzes bieten, indem sie die relevanten Akteure vernetzt und alle Betroffenen zum Handeln bewegt. Denn Nachhaltigkeitsziele lassen sich nur durch enge Zusammenarbeit aller Anspruchsgruppen erreichen.

Sustainable Switzerland will zum Handeln und zum Dialog anregen.

Mission

«Wir fördern eine nachhaltige Zukunft für die Schweiz, unseren Planeten und seine Menschen. Lösungsorientiert, liberal und gemeinsam mit starken Unternehmen als treibende Kraft.»

Definition

Nachhaltigkeit steht nicht nur für Umweltschutz oder Massnahmen gegen den Klimawandel, sondern geht deutlich darüber hinaus. Allgemein anerkannt ist die Definition im sogenannten Brundtland-Bericht der Vereinten Nationen von 1987: «Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, welche die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.» Zentral ist in diesem Kontext die ganzheitliche Sicht: «Wirtschaftliche, gesellschaftliche und ökologische

ber 2022 in Bern. Verteilt über drei Tage wurden unter dem Patronat von Sustainable Switzerland 20 Referate und 15 Vertiefungsworkshops gehalten. Mit erfreulicher Bilanz: Während am Donnerstag und Freitag rund 720 Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft über Lösungen diskutierten, setzte sich am Samstag beim öffentlichen Erlebnistag das breite Publikum ganz praktisch mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander.

Aber auch digital sind wir auf gutem Weg. Das Portal sustainableswitzerland. ch erfreut sich wachsender Aufmerksamkeit, bislang hat das hauseigene Journalistenteam zusammen mit Partnern aus unserem Netzwerk rund 300 OnlineArtikel publiziert. Und die Community wächst: fast 2400 Follower auf LinkedIn, über 1000 Newsletter-Abonnenten und mehr als 50 Unternehmen sowie Organisationen als Mitglieder im Sustainable Switzerland Entrepreneurs Club. Die Reichweite in gedruckter Form liegt gar im siebenstelligen Bereich, dank je zwei

Prozesse sind vernetzt und beeinflussen sich gegenseitig. Das Handeln öffentlicher und privater Akteure darf nicht isoliert und eindimensional erfolgen, sondern muss den Wechselwirkungen zwischen den drei Dimensionen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt Rechnung tragen.»

Partner

Main Partner: BCG, BKW, BMW, die Mobiliar, SAP, Swisscom, UBS; Scientific Partner: EPFL, ETH Zürich; Development Partner: economiesuisse; Focus Partner: Lidl Schweiz; Initiant: NZZ.

QR-Code scannen und Teil der Community von Sustainable Switzerland werden – die Plattform für Nachhaltigkeit.

Verlagsbeilagen pro Jahr auf Deutsch, Französisch sowie Italienisch in der «Neuen Zürcher Zeitung», «Le Temps» und «Corriere del Ticino».

Vordenker und Macher gesucht

Darüber hinaus tragen von Partnern gefördert Engagements Früchte. Im Februar wurde von economiesuisse zusammen mit dem WWF Schweiz und dem Verein «Go for Impact» ein gemeinsames Projekt zur Förderung der internationalen Science Based Targets initiative (SBTi) angestossen –dies mit sustainableswitzerland.ch als Informationsquelle für kostenlose Beratungsgespräche. Immer mehr Firmen verpflichten sich öffentlich, ihren Ausstoss von Treibhausgasen in der gesamten Wertschöpfungskette bis spätestens 2050 auf Netto-Null zu senken. Bereits im November hat sich hierzulande das 100. Unternehmen im Rahmen der SBTi freiwillig wissenschaftsbasierte Klimaziele gesetzt, weltweit sind es derzeit mehr als 4000 Firmen (siehe Kasten).

Was uns jedoch am meisten freut, ist der rege Diskurs zwischen engagierten Vordenkerinnen und Vordenkern mit ambitionierten Macherinnen und Machern – von ihnen scheint es in der Schweiz durchaus eine ganze Reihe zu geben. Genau diese Menschen braucht es, um die globale Klimakrise entschlossen anzupacken und die Umsetzung der Agenda 2030 sowie des Pariser Abkommens 2050 endlich in Angriff zu nehmen. Menschen, die mutig vorausgehen und Risiken auf sich nehmen. Das Propagieren von Nachhaltigkeitszielen allein genügt nicht, um die Welt für nachfolgende Generationen lebenswert zu machen. Verbindliche Bekenntnisse und konkrete Massnahmen sind gefragt. Genau deshalb fördern Initiativen wie Sustainable Switzerland dies übergeordnet. Wenn das kein guter Vorsatz für das bevorstehende Jahr 2023 ist!

Felix Graf ist CEO des Unternehmens NZZ.

SBTi: Noch heute eigene Klimaziele festlegen

Egal ob KMU oder Konzerne: Die Zahl der Schweizer Unternehmen, die sich freiwillig zu einer Senkung ihrer Treibhausgasemissionen bis 2050 auf NettoNull verpflichten, steigt und steigt. Im Rahmen des Förderprojekts von economiesuisse zur freiwilligen Dekarbonisierung innerhalb der Science Based Targets initiative (SBTi) konnten seit Anfang dieses Jahres über 50 weitere hiesige Firmen mit einem Umsatz von mehr als 200 Milliarden Franken neu vom Netto-Null-Ziel überzeugt werden. Damit haben sich im Rahmen von SBTi mittlerweile bereits über 100 Schweizer Unternehmen mit einem kumulativen Umsatz von 620 Milliarden Franken das Netto-Null-Ziel gesetzt. Der Erfolg der Kampagne ist eindrücklich: Seit Beginn des Jahres konnten die zugesagten Emissionseinsparungen von hiesigen Firmen auf fast 450 Millionen Tonnen CO2 erhöht werden – zum Vergleich: Die Schweiz hat Inlandsemissionen von etwa 50 Millionen Tonnen. Als verantwortungsvolles, nachhaltiges Unternehmen setzen Sie mit einem wissenschaftsbasierten Klimaziel ein starkes Zeichen. Profitieren auch Sie von gezielten Unterstützungsangeboten und einem kostenlosen Erstgespräch. sustainableswitzerland.ch/engagement/sbti

Impressum

Titelbild

Unter dem Namen «Agenda 2030» haben die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (UNO)

17 Sustainable Development Goals (SDGs) definiert, die einen weltweiten Referenzrahmen für nachhaltige Entwicklung darstellen. Mit der abgebildeten Sondermarke soll auf die Agenda 2030 und ihre SDGs aufmerksam gemacht werden.

Nachhaltigkeit ist eine Verlagsbeilage des Unternehmens NZZ in Kooperation mit Sustainable Switzerland. Inhalt realisiert durch NZZ Content Creation. sustainableswitzerland.ch Verlagsbeilagen werden nicht von der Redaktion produziert, sondern von unserem Dienstleister für journalistisches Storytelling. nzzcontentcreation.ch

Projektmanagement NZZ Content Creation: Rachel Fassbind und Norman Bandi (Inhalt), Juy Würtenberg und Sara Sparascio (Layout)

NZZone: Hannes Rothfuss (Verkauf)

Auf dem Sujet sind

17 Farben zu sehen, die für diese Ziele stehen. 2022 lieferte die Schweiz zum zweiten Mal einen umfassenden Länderbericht.

Quelle: Die Post

Kontakt: Neue Zürcher Zeitung AG, Falkenstrasse 11, Postfach, CH-8021 Zürich, +41 44 258 16 98, sales@nzz.ch nzzone.ch

Samstag, 17. Dezember 2022 Nachhaltigkeit NZZ-Verlagsbeilage 3
Felix Graf ist CEO des Unternehmens NZZ. SELINA MEIER

«Wenn ich rede, spricht nicht Brenda – es spricht Malawi»

Während Jugendaktivisten vor den Türen der Verhandlungsräume der Weltklimakonferenz im November ihre Forderungen kundtun, wächst auch eine neue Generation von Verhandlern heran. Sie wollen an den Entscheidungen mitwirken, die ihre Zukunft betreffen.

KALINA OROSCHAKOFF, SHARM AL-SHEIKH

Justina Aurea Belo. Brenda Mwale. Hyacinthe Niyitegeka. Prakriti Koirala. Sie kommen aus Osttimor, Malawi, Rwanda und Nepal. Sie sind Mitte zwanzig, Ende zwanzig oder Anfang dreissig. Und sie verhandeln auf der Weltklimakonferenz in Sharm al-Sheikh. Die vier Frauen wollen so sicherstellen, dass die Sorgen und Interessen ihrer kleinen und vom Klimawandel stark betroffenen Länder nicht völlig ungehört bleiben.

«Wenn ich einfach draussen vor der Türe bleibe, kann ich mich nicht drinnen an den Verhandlungen beteiligen, wo die Entscheidungen getroffen wer-

Realität. Wir können uns nicht mehr an alles anpassen», sagt sie warnend.

Frustrierte Aktivisten

Am Freitag protestierten junge Klimaaktivisten der «Fridays for Future»-Bewegung auf dem Gelände vor den Konferenz- und Versammlungsräumen. Jugendaktivisten hatten schon ein paar Tage zuvor auf einer Pressekonferenz die Trägheit der internationalen Klimapolitik beklagt. Sie finde keine Worte mehr, um über die Klimakrise zu sprechen, sagt Mitzi Jonelle Tan, eine Aktivistin aus den Philippinen. Junge Menschen seien es leid, nicht gehört zu werden.

sind die Machtverhältnisse in den UNOVerhandlungen ungleich, sie spiegeln das politische Gefüge der Welt. Und dennoch: In den Verhandlungsräumen hat jede Landesstimme dasselbe formelle Gewicht, Entscheidungen können nur einstimmig getroffen werden.

Jeder habe hier eine Rolle zu spielen, sagt Mwale. Viele junge Aktivisten wollten erreichen, dass Politiker Verantwortung übernähmen. Sie wollten rhetorisch aufrütteln. Sie dagegen wolle sicherstellen, dass das jugendliche Engagement in die Verhandlungsräume getragen werde. Das sieht die 25-jährige Prakriti Koirala aus Nepal ähnlich. Sie sei hier, damit die Menschen in ihrer Umgebung auch auf

Sie wissen um die Eigenheiten und Einschränkungen des multilateralen Prozesses. Denn für eine Klimaverhandlung braucht man einen langen Atem. Durchbrüche gelingen nur über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Und oft sind sie verpackt und versteckt in technischen Formulierungen, die Aussenstehenden unverständlich bleiben und nur langsam in der realen Welt ihre Wirkung entfalten.

Ob am Ende der Konferenz die Schaffung eines neuen Fonds für klimabedingte Schäden beschlossen wird, wie ihn viele Entwicklungsländer fordern, ist derzeit zweifelhaft. Europäische Verhandler, ob aus der Schweiz oder der EU, sehen die Idee kritisch.

rin bei der britischen Denkfabrik Overseas Development Initiative, fördert die Initiative. Sie hat Jahre für Entwicklungsländer und Inselstaaten mitverhandelt. Roberts hofft darauf, in den kommenden Jahren eine formelle Struktur zu entwickeln, um jungen Unterhändlern eine Starthilfe zu geben – sofern es Geld dafür gebe. Noch sei alles sehr informell, sagt sie am Telefon. Vieles laufe über Mundpropaganda.

Selbstvertrauen gewonnen

Prakriti Koirala sagt, ohne Unterstützung und Trainings im vergangenen Jahr hätte sie nicht das Selbstvertrauen ge-

den», sagt Justina Aurea Belo aus Osttimor. Sie koordiniert eine Gruppe von jungen Delegierten aus armen Entwicklungsländern. In der UNO-Sprache der Klimakonferenzen sind diese Länder in der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder vereint. «Ich muss drinnen dabei sein», sagt sie mit Nachdruck. Dabei geht es ihr vor allem um das eine Thema, das dieses Jahr die Konferenz dominiert: Wer bezahlt für die klimabedingten Schäden und Verluste, die schon heute eintreten und teilweise unabwendbar sind?

Osttimor, Belos Herkunft, trägt so gut wie gar nichts zu den globalen Treibhausgasemissionen bei. Schützen wird diese Tatsache den Inselstaat nicht. Im Gegenteil, das Land ist schon heute stark von den heftigen Auswüchsen des Klimawandels betroffen, der extreme Wetterereignisse häufiger und intensiver machen kann. Belo hat die Gefahr durch Überschwemmungen in ihrem eigenen Haus erlebt, entfernte Familienmitglieder verloren. Sie erzählt von Ernteeinbussen und Wasserproblemen in ihrer Heimat. Entweder gebe es zu viel Wasser, zu wenig oder gar keines, sagt sie. Frauen seien besonders betroffen. Sie seien diejenigen, die Wasser holen müssten, um die Familie zu ernähren.

In den kommenden Tagen wird sie sich weiter dafür einsetzen, dass die reichen Industriestaaten, allen voran Europa und die USA, mehr Geld bereitstellen. «Wenn Industriestaaten weiter Geschäfte machen wollen, dann müssen sie für Verluste und Schäden aufkommen», sagt Belo. In ihren eigenen Ländern sollten sie verstärkt auf erneuerbare Energien setzen. Für die betroffenen Entwicklungsländer bedürfe es hingegen finanzieller Mittel. «Klimabedingte Verluste und Schäden sind eine

Viele Jugendliche und junge Erwachsene sind über die schleppende Geschwindigkeit der internationalen Klimapolitik frustriert. Angesichts der Zahlen ist das verständlich. Am Freitag erst mahnte eine internationale Gruppe von Wissenschaftern, dass die weltweiten CO2-Emissionen in diesem Jahr um 1 Prozent gegenüber dem Vorjahr stiegen und somit ein Rekordhoch erreichen würden. Der vorübergehende Einbruch während der Pandemie ist also bereits wieder mehr als wettgemacht. Greta Thunberg, die seit 2018 die globale Symbolfigur von «Fridays for Future» ist, kritisierte schon im Vorfeld die Klimaverhandlungen als ein blosses Greenwashing-Event. Sie ist nicht angereist. Dennoch sind viele Jugendaktivisten vor Ort, auch wenn Dutzende in den vergangenen Tagen mit explodierenden Hotelpreisen, stornierten Zimmerbuchungen und anderen Komplikationen konfrontiert waren – Vorfälle, die europäische Delegierte vor Ort besorgt beobachten.

Aber auch diejenigen, die nach Ägypten gereist sind, um sich in technisch anspruchsvollen Verhandlungen die Tage und Nächte um die Ohren zu schlagen, wissen, was es bedeutet, frustriert zu sein. Brenda Mwale ist 28 Jahre alt und arbeitet in Malawi als Aktivistin mit jungen Frauen. Sie sagt, dass es in den Konferenzsälen auch emotional werden könne. Vor allem dann, wenn das Gegenüber nicht verstehen könne –oder wolle –, was man vermitteln möchte.

Aber genau darum gehe es in den Verhandlungen: «Frustriert sein heisst nicht, dass ich meinem Ärger freien Lauf lasse. Ich muss diplomatische Worte finden und meine Auslegung als junge Person vermitteln», so Mwale. Natürlich

ihre Stimme hörten. «Man kann nichts verändern, wenn man sich nicht mit den politischen Massnahmen auseinandersetzt», sagt Justina Aurea Belo.

Langfristige Ambitionen

Alle vier Verhandlerinnen strahlen

Ernsthaftigkeit aus, ohne versteift zu wirken. Auf die Frage, was einen guten Verhandler ausmache, kommt die Antwort: gut vorbereitet sein, sich tief in die Materie einarbeiten, lernen, lesen, sich weiterbilden. Die jungen Frauen vermitteln einen Idealismus, der gleichzeitig in der Realität verankert und geduldig ist.

Anstatt langwierig eine neue Finanzierungsstruktur aufzubauen, sei es doch effektiver, die existierenden Initiativen und Programme zu nutzen, um die benötigten Geldflüsse sicherzustellen, so das Argument.

Diese Aussicht auf eine Enttäuschung hält die vier jungen Verhandlerinnen nicht von ihrem Einsatz ab. Auch Prakriti Koirala glaubt nicht daran, dass ein Fonds auf dieser COP etabliert werden wird. Das könne sich in den kommenden Verhandlungen jedoch ändern, sagt sie. Es gebe keine andere Option, als weiterzumachen. Brenda Mwale stellt sich auf viele Verhandlungsjahre ein und hat dabei einen langfristigen Plan für sich selbst. Irgendwann möchte sie zu einer der leitenden Verhandlerinnen aufsteigen, möglicherweise sogar für die Gruppe der Entwicklungsländer sprechen, erzählt sie. «Auf dem einen oder anderen Weg werde ich eines Tages eine Führungsposition in meinem Land erlangen», sagt auch Justina Aurea Belo und lacht. Als Frau müsse sie in ihrer Heimat viele Hürden überwinden, denen Männer nicht ausgesetzt seien. Doch ihre Erfahrung auf der COP27 helfe ihr, sich auf die Zukunft vorzubereiten.

Um die Gruppe der jungen Verhandlerinnen und Verhandler zu koordinieren, wird über Whatsapp kommuniziert. Man tauscht sich bei regelmässigen Treffen aus. Nicht alle jungen Delegierten sind so engagiert wie die vier Frauen. Eine Klimaverhandlung ist chaotisch und kann einen schnell überfordern, das haben sie alle bei ihrer ersten COP erlebt. Sharm al-Sheikh ist für sie nun bereits die zweite Klimakonferenz. Dank der Unterstützung durch NGOs wie Oxfam oder Irish Aid konnten sie herkommen. Erin Roberts, eine Forsche-

habt, das Wort zu ergreifen. Es sei unheimlich, vor «Veteranen» zu sprechen, die seit 27 Jahren dabei seien. Bei den Zwischenverhandlungen, die im Sommer in Bonn stattfanden, habe sie sich noch nicht getraut. Hier in Sharm alSheikh schon. «Ich sehe eine kleine Veränderung bei mir selbst», sagt sie. Die Zuversicht wachse. Auch Hyacinthe Niyitegeka sagt: «Du musst stark bleiben, darfst dich nicht ins Bockshorn jagen lassen.» Es gehe darum, die Realitäten des Klimawandels zu vermitteln: «Wir sind davon betroffen. Wir verlieren Menschenleben. Unsere Wirtschaften leiden unter den Verlusten.»

Für die vier Frauen geht es um mehr als die eigene Befindlichkeit. Das scheint in jedem Gespräch klar durch. «Wenn ich rede, spricht nicht Brenda. Es spricht Malawi. Und wenn ich mich eingeschüchtert fühle, denke ich daran, wie viele Leben von meiner Intervention abhängen. Es geht um Millionen von Leben», sagt Brenda Mwale.

NZZ Planet A

Der Klimawandel ist nicht das Ende, sondern der Aufbruch in eine neue Zeit – voller Ideen, Chancen, Innovationen und neuer Wege. Wie leben wir mit dem Klimawandel? Welche Denker finden die besten Lösungen? Wie wird sich das Leben verändern? Finden Sie es mit uns heraus und abonnieren Sie unseren wöchentlichen Newsletter «NZZ Planet A».

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4 NZZ-Verlagsbeilage Nachhaltigkeit Samstag, 17. Dezember 2022
«Eines Tages werde ich eine Führungsposition in meinem Land erlangen.»
Justina Aurea Belo
Viele Jugendliche sind über die schleppende Geschwindigkeit der internationalen Klimapolitik frustriert. Brenda Mwale aus Malawi: «Frustriert sein heisst nicht, dass ich meinem Ärger freien Lauf lasse. FOTOS: PD

Von globaler Notlage zur nachhaltigen Entwicklung

Bundespräsident Ignazio Cassis eröffnete am 12. Dezember 2022 in Genf das internationale Gipfeltreffen zur wirksamen Entwicklungszusammenarbeit. Mehr als 3000 Teilnehmende, darunter 75 Minister und drei Staatschefs, diskutierten, um die Agenda 2030 gemeinsam voranzubringen.

NORMAN BANDI

Vom 12. bis 14. Dezember 2022 fand in Genf der Effective Development Cooperation Summit statt. In seiner Eröffnungsrede unterstrich Bundespräsident Ignazio Cassis, dass globale Herausforderungen nur durch eine stärkere und effizientere Zusammenarbeit bewältigt werden können. Getreu dem Grundsatz der Inklusivität bringt das Gipfeltreffen über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit Regierungsvertreter, aber auch Geberländer und die Zivilgesellschaft zusammen, um die nachhaltige Entwicklung besser in den lokalen Realitäten zu verankern.

Die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit ist seit langem ein zentrales Thema für unser Land. Die Schweiz will mit ihrem Beispiel andere Staaten inspirieren, insbesondere dank der starken Verankerung der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in den Empfängerländern und des Ökosystems in Genf, wo Wissenschaft und Diplomatie miteinander sprechen können.

Die Schweiz hat in der globalen Partnerschaft für wirksame Entwicklungszusammenarbeit seit 2019 den Co-Vorsitz als Vertreterin der Geberländer inne. Sie ist in dieser Rolle und als Gastgeberland verantwortlich für die Ausarbeitung des Schlussdokuments der Konferenz. Dieses Engagement der Schweiz zugunsten eines koordinierten Ansatzes in der Entwicklungszusammenarbeit steht im Einklang mit der Priorität des Landes, ein leistungsfähiges multilaterales System in variabler Zusammensetzung zu fördern sowie mit dem Einsitz in den UNO-Sicherheitsrat ab dem kommenden Jahr.

Plädoyer für Multilateralismus

«Die Abkehr von internationalen Gremien und das Risiko, ganze Regionen gegeneinander auszuspielen, ist eine sehr gefährliche Entwicklung», sagte der Bundespräsident in seiner Eröffnungsrede am 12. Dezember 2022. Ein Rückzug sei keine Lösung. «Das internationale Genf, das uns heute empfängt, hat uns gelehrt, dass Einigkeit Stärke bedeutet! Was uns unterscheidet, sollte uns nicht spalten, sondern bereichern!

Gemeinsame Werte und gegenseitiger Respekt sind unser Kompass. Wir müssen Verantwortung übernehmen und gemeinsam handeln. Dies ist die Daseinsberechtigung der globalen Partnerschaft.» Angesichts der Schwierigkeiten, denen sich der Multilateralismus gegenübersieht, mahnte Cassis, dass die Menschheit vor Herausforderungen stehe, die sie nur durch eine stärkere und effizientere Zusammenarbeit bewältigen kann.

Der Bundespräsident sprach davon, wie wichtig die Partnerschaft und die Konferenz sind, weil sie nicht nur Geber- und Empfängerländer vereinen, sondern auch multilaterale Organisatio-

nen, die Zivilgesellschaft, den Privatsektor und Vertreter von Parlamenten und Gewerkschaften. Er betonte insbesondere die zentrale Rolle der Wissenschaft für die Zukunft.

Halbzeit der Agenda 2030

Das hochrangige Treffen mit 75 Ministern und drei Staatschefs sowie mehr als 3000 Teilnehmenden fand zur Halbzeit der Agenda 2030 zur nachhaltigen Entwicklung statt und stand vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits braucht es Fortschritte bei den Zielen für nachhaltige Entwicklung, deren Umsetzung aufgrund der zahlreichen ak-

Bundespräsident

tuellen Krisen in Rückstand geraten ist. Andererseits gilt es, die Widerstandsfähigkeit der am stärksten bedrohten Länder gegen die Folgen des Klimawandels zu stärken. Es geht darum, die Agenda 2030 und ihre nachhaltigen Entwicklungsziele über die multilateralen Entwicklungsorganisationen mit den lokalen Realitäten in Einklang zu bringen.

Der Gipfel unterstreicht, dass eine effektive Zusammenarbeit ergebnisorientiert ist, alle Arten von Partnern einbezieht und transparent und rechenschaftspflichtig ist und das Vertrauen stärkt, das zu wirksamen Partnerschaften und besseren Ergebnissen in den Ländern führt.

Bundesrat plant Anpassung der Nachhaltigkeitsberichterstattung

(awp) Der Bundesrat will die Regelungen zur Konzernverantwortung auf internationale Regelungen abstimmen. Nachdem die EU bei der Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung nachgelegt hat, geht er von einem Anpassungsbedarf für die Schweiz aus. Bis im Juli 2024 will der Bundesrat eine Vernehmlassungsvorlage ausarbeiten lassen, wie er am 2. Dezember 2022 nach einer Aussprache zum Thema entschied.

Ab 250 Mitarbeitenden

Zur Nachhaltigkeitsberichterstattung wurde die revidierte EU-Richtlinie be-

reits verabschiedet. Demnach müssten neu Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden über die Risiken ihrer Geschäftstätigkeit in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte und der Bekämpfung von Korruption sowie Massnahmen dagegen berichten. Neu vorgesehen sei zudem die Prüfung der Berichte durch eine externe Revisionsstelle. Rund 60 Prozent der Schweizer Exporte gingen in die EU, so der Bundesrat. Die einheimische Wirtschaft werde in hohem Mass von der revidierten Richtlinie betroffen sein. Der Bundesrat geht deshalb von einem Anpassungsbedarf aus.

Weniger weit als mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung ist die EU laut Bundesrat hingegen mit Anpassungen der Richtlinie zu den Sorgfaltsprüfungspflichten. Entsprechend seien die Folgen für die Schweizer Wirtschaft noch nicht absehbar.

Die Koalition für Konzernverantwortung fordert für die Schweiz ein griffiges Konzernverantwortungsgesetz nach EU-Vorbild und unterstrich dies mit einer Petition mit über 217 000 Unterschriften. Der Bundesrat habe den Handlungsbedarf erkannt, spiele aber auf Zeit, kommentierte die Koalition die Ankündigungen.

Zentrale Rolle für Monitoring

Am Ende der Konferenz steht eine Erklärung, welche die Führung und Verantwortung der Länder in den Mittelpunkt der Bemühungen stellt, die Agenda 2030 voranzubringen. Zudem soll die Notwendigkeit bekräftigt werden, in den Ländern Kapazitäten aufzubauen, aktive und integrative Dialoge zwischen allen Beteiligten über die Entwicklungsprioritäten und Entwicklungsstrategien fortzuführen und das gegenseitige Vertrauen und die Rechenschaftspflicht der Entwicklungsakteure durch bessere und leichter zugängliche Daten zu stärken. Weiter sollen die Reformen und Instrumente der Global Partnership for Effective Development Co-operation (GPEDC) genehmigt werden. Neben der Rolle als Gastgeberland und Co-Vorsitzender der GPEDC hat die Schweiz auch den Vorsitz des Multilateral Organisation Performance Assessment Network (MOPAN), dem Netzwerk von Geberländern, die im Bereich Monitoring zur Leistungsfähigkeit multilateraler Entwicklungsorganisationen zusammenarbeiten. Anlässlich des 20. Jahrestags von MOPAN eröffnete Bundespräsident Ignazio Cassis auch einen High-Level-Event zu den Herausforderungen des multilateralen Systems.

Weitere Informationen zur GPEDC gibt es online unter folgendem Link: effectivecooperation.org

Fokus auf SDG 16 und SDG 17

Die 2012 begründete Global Partnership for Effective Development Cooperation (GPEDC) ist nach eigenen Angaben das wichtigste Multistakeholder-Instrument zur Förderung der Wirksamkeit der weltweiten Entwicklungszusammenarbeit, um «die Wirksamkeit aller Formen der Entwicklungszusammenarbeit zum gemeinsamen Nutzen der Menschen, des Planeten, des Wohlstands und des Friedens zu maximieren». Sie bringt Regierungen, bilaterale und multilaterale Organisationen, die Zivilgesellschaft, den Privatsektor sowie Vertreter von Parlamenten und Gewerkschaften zusammen, die sich für die Stärkung der Wirksamkeit ihrer Entwicklungspartnerschaften einsetzen. Die GPEDC setzt sich insbesondere für die Verwirklichung von SDG 16 (wirksame, rechenschaftspflichtige, inklusive Institutionen) und SDG 17 (globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung) ein, die ihrerseits die Voraussetzung für die Verwirklichung aller anderen 15 Sustainable Development Goals (SDGs) der UNO sind.

Ab 500 Mitarbeitenden

Bereits ab Januar 2024 müssen grosse Unternehmen in der Schweiz eine verbindliche Klimaberichterstattung veröffentlichen. Der Bundesrat hat am 23. November 2022 die Verordnung dazu auf Anfang des übernächsten Jahres in Kraft gesetzt. Es handelt sich um die Vollzugsverordnung über die Berichterstattung in Klimabelangen. Die Verordnung sieht die verbindliche Umsetzung der international anerkannten Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) in der Schweiz vor. Bericht erstatten müssen Publikums-

gesellschaften, Banken und Versicherungen mit mindestens 500 Mitarbeitenden sowie einer Bilanzsumme ab 20 Millionen Franken oder einem Umsatz von über 40 Millionen Franken.

Die Berichterstattungspflicht für grosse Unternehmen ist Teil des indirekten Gegenvorschlages zur Konzernverantwortungs-Initiative. Diese erreichte im November 2020 an der Urne zwar das Volksmehr, scheiterte aber am Ständemehr.

AWP ist die führende Finanz- und Wirtschaftsnachrichtenagentur der Schweiz und Liechtenstein.

Samstag, 17. Dezember 2022 Nachhaltigkeit NZZ-Verlagsbeilage 5
«Wir müssen Verantwortung übernehmen und gemeinsam handeln.»
Ignazio Cassis
UN SDG ACTION CAMPAIGN SUPPORT TEAM
Bundespräsident Ignazio Cassis in Genf mit der nigerianischen Politikerin Amina J. Mohammed, stellvertretende Generalsekretärin der Vereinten Nationen (UNO).

Das Trainingscenter für nachhaltige Innovation

Ideen bilden den Nährboden für eine nachhaltige Entwicklung. Doch wie lässt sich die Innovationskultur in einem Unternehmen fördern – und ist Innovation überhaupt erlernbar? Das Mobiliar Forum macht zahlreiche Firmen und Organisationen fit für eine Zukunft, in der wirtschaftlicher Erfolg und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen.

Der Wille, er wäre grundsätzlich vorhanden. Aber eben: Das Tagesgeschäft lässt häufig viel zu wenig Raum für Kreativität und Innovation. Dabei wäre es so wichtig, neue Wege einzuschlagen und die ökonomische wie ökologische Zukunft proaktiv anzupacken. «Fachkräftemangel, Pandemie, Klimawandel: Angesichts all dieser Herausforderungen ist es nicht weiter erstaunlich, dass sich Führungskräfte und Mitarbeitende mitunter wie im berühmten Hamsterrad wähnen und wenig Zeit haben, um den Blick nach vorne zu richten», sagt Fabrizio Laneve.

Laneve ist Projektleiter Gesellschaftsinnovation bei der Mobiliar und zeichnet als solcher verantwortlich für das Mobiliar Forum Thun, einer auf mittelständische Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen ausgerichteten Innovationswerkstatt. «Im Rahmen unserer Workshops verlassen die Teilnehmenden ausgetretene Pfade und entwickeln frische Ideen, wie ihr Unternehmen, ihre Organisation, aber auch sie selber die Zukunft anpacken wollen.» Dies geschieht sowohl in Bezug auf konkrete Produkte, Designs oder Dienstleistungen als auch im Blick auf längerfristig angelegte Prozesse. Da geht es vor allem um die nachhaltige Weiterentwicklung von Unternehmen oder Organisationen – eine Frage der Existenzsicherung. «Vielfach gehen diese Visionen ganz automatisch einher mit dem Nachhaltigkeitsgedanken», führt Laneve aus. Zentraler Treiber sei hier stets die Innovation. «Am Mobiliar Forum stellen wir uns bewusst auf den Standpunkt, dass diese erlernbar ist. Man kann sich Innovation antrainieren.»

Kreativitätsbooster für alle

Das 2014 ins Leben gerufene Mobiliar Forum ist Teil des Gesellschaftsmanagements der genossenschaftlich verankerten Versicherungsgesellschaft. Das Angebot ist für die Teilnehmenden – abgesehen von An- und Abreise, Übernachtung und Verpflegung – kostenlos. Jeder einzelne Workshop wird inhaltlich auf das jeweilige Unternehmen ausgerichtet und professionell moderiert. In der Regel wird mit Teams von 12 bis 16 Personen gearbeitet. «Ganz wichtig ist eine gute Mischung der Teilnehmenden, sowohl was Geschlecht und Alter als auch berufliche Funktion und Hierarchiestufe anbelangt», erläutert Fabrizio Laneve. Gemeinsamer Antrieb soll der Wille sein, etwas Neues zu schaffen.

Die Spanne der gecoachten Unternehmen reicht vom Start-up bis zum klassischen Handwerksbetrieb, von der Baugenossenschaft bis zum Hilfswerk. Bisher haben rund 3000 Personen an einem der zweieinhalbtägigen Workshops in Thun oder Lausanne (in französischer Sprache, seit 2020) teilgenommen. So zum Beispiel Esther Güdel, Kommunikationsverantwortliche der Winterhilfe Schweiz. Für ein Hilfswerk sei die öffentliche Wahrnehmung von zentraler Bedeutung, weshalb man im Forum nach Wegen und Mitteln gesucht habe, wie sich diese Wahrnehmung in der Zukunft steigern lässt. Vor allem das interdisziplinär ausgerichtete Teamwork hat Esther Güdel überzeugt. «Die Location und eine grosszügig bemessene Zeitspanne haben uns eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglicht, wie es im Büroalltag so einfach nicht möglich wäre.» Daraus hätten sich letztlich viele neue Ideen ergeben, die fast alle auch realisierbar seien. Für Es-

ther Güdel und ihre Kolleginnen und Kollegen hat sich der zweieinhalbtägige Workshop gelohnt. Man habe ökonomische Inputs erhalten und sei auch innerbetrieblich mit frischen Ideen weiter gekommen. Güdel sagt: «Ich glaube, dass jeder Mensch in irgendeiner Form kreativ ist, sofern man ihm die Möglichkeit und den Raum dafür zugesteht.»

Eine Beobachtung, die auch Fabrizio Laneve immer wieder macht. Nicht selten nämlich seien es die introvertierten Typen oder jene, von denen man es firmenintern nicht unbedingt erwarte, welche die besten Ideen präsentierten. «Es lohnt sich für jedes Unternehmen, Zeit zu investieren, in der die Mitarbeitenden frei und wild denken dürfen.»

Abkehr von der Kritikkultur

Der Fokus des Mobiliar Forum ist denn auch auf die Erarbeitung konkreter Lösungsansätze gerichtet, ganz besonders auf solche, die in der Folge rasch umgesetzt werden können. «Lieber morgen mit 200 Franken eine Idee in die Tat umsetzen, als 20 000 Franken in eine Projektfindung zu investieren, um dann vielleicht in drei Monaten alles wieder zu verwerfen», bringt es Fabrizio Laneve auf den Punkt. Ein Ansatz, der bei den Teilnehmenden verfängt. «Das Vorgehen ist ungemein zielführend und iterativ», sagt etwa Tobias Gerfin, CEO von Kuhn Rikon. «Wir haben Ideen gesammelt, etwas kreiert, haben es wieder verworfen, einen Prototypen erstellt, haben Feedbacks gesammelt, sind erneut einen Schritt zurückgegangen, haben wieder von vorne angefangen –und nach zweieinhalb Tagen konnten wir zwischen vier absolut ausgereiften Ideen auswählen, um letztlich eine davon zu realisieren.»

Für den Hersteller von hochwertigem Kochgeschirr gehört Nachhaltig-

keit schon seit vielen Jahren zur Firmenphilosophie. «Je länger ein Produkt seine volle Leistung bringt, desto besser sieht seine Umweltbilanz aus», so Gerfin. Diese Prämisse gilt ganz besonders für das smarte, langlebige und platzsparende Pfannen- und Topfsystem, welches Kuhn Rikon mit dem vom Mobiliar Forum adaptierten «Design Thinking» entwickelt hat. Die Methode bricht unter anderem mit der üblichen Feedbackkultur: An die Stelle ausufernder Kritik und langfädiger Diskussionen treten kurze und positiv besetzte Rückmeldungen. «Nur zwei Punkte sind wichtig: Was gefällt mir an einer Idee, und was wünsche ich mir zusätzlich noch? Aus der Kritik- wird so kurzerhand eine Wunsch-

kultur, die Optimismus ausstrahlt und ungemein mächtig ist», erklärt Tobias Gerfin. Was ihn besonders beeindruckt hat, ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Ideen letztlich in einem Prototypen niedergeschlagen haben. «Ich vergleiche das Ganze gerne mit einem Gutschein, den man erhält und mit nach Hause nehmen kann. Ob und wie dieser dann eingelöst wird, das entscheidet allein der Empfänger.» Kuhn Rikon hat aus dem Forum-Workshop die Idee zu einer Reihe von platzsparenden «Smart&Compact»-Kochtöpfen mitgenommen. Die Produkte wurden binnen weniger als einem Jahr entwickelt und sind erfolgreich auf den Markt gebracht worden.

Für Fabrizio Laneve ist der Küchengeschirrhersteller ein gutes Beispiel dafür, wie das Mobiliar Forum die Innovationskraft von Unternehmen fördern, die Wettbewerbsfähigkeit stärken und nachhaltig wirkende Prozesse auslösen kann. «Wir wollen erreichen, dass die Firmen und Organisationen ihre Zukunft in den eigenen Händen halten. Dank Innovation.» Als Versicherer sei man in der Lage, fast alles zu versichern, bemerkt der Projektleiter des Mobiliar Forum. Gegen fehlende Innovation hingegen gebe es keine Police. «Mit unseren Workshops wollen wir gerade den KMU neue Perspektiven eröffnen und damit den langfristigen, nachhaltigen Erfolg ermöglichen.»

Innovation für KMU

Das Mobiliar Forum sieht sich als Innovationsplattform für Schweizer KMU und NGOs. In den kostenlosen Workshops arbeiten Unternehmen und Organisationen an den zentralen Fragen rund um die Zukunft ihres Geschäfts, ihrer Produkte oder Dienstleistungen. Professionelle Moderatorinnen und Moderatoren führen durch einen strukturierten Prozess, in dem die Teams neue Lösungen entwickeln und testen. In kurzer Zeit erarbeiten sie so Antworten auf ihre individuellen Fragestellungen. Die zweieinhalbtägigen Workshops finden im Frühjahr und im Herbst im Schloss Thun und im Musée des Beaux-Arts in Lausanne statt.

mobiliar.ch/mft

6 NZZ-Verlagsbeilage Nachhaltigkeit Samstag, 17. Dezember 2022
Auszeit fürs Team: Die zweieinhalbtägigen Workshops finden im Frühjahr und im Herbst im Schloss Thun und im Musée des Beaux-Arts in Lausanne statt. FOTOS: PD

Weniger ist mehr, auch beim Bauen

Er ist weltweit in rauen Mengen gefragt und hat doch keinen guten Ruf mehr: Beton. Schuld daran ist seine negative Umweltbilanz. Forschende der ETH Zürich entwickeln innovative Verfahren, um die eingesetzte Menge dieses Baustoffs nachhaltig zu reduzieren.

ELMAR ZUR BONSEN

Hätten Sie’s gewusst? Die Baubranche ist in allen Industrieländern der ressourcenintensivste Wirtschaftszweig. Mit Abstand. Das kratzt am Ruf und stellt den gesamten Sektor vor immense Herausforderungen. Einerseits verbraucht sie enorm viel Material und Energie, andererseits produziert sie Abfall in rauen Mengen und belastet das Klima. Allein auf den Gebäude- und Infrastrukturbereich – Bau, Betrieb und Abriss –entfallen heute mehr als ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen. Kritik entzündet sich vor allem an der massenhaften Verwendung des Baustoffs Beton. Dieser ist zwar vielfältig einsetzbar und sorgt für sichere, stabile Bauwerke. Das macht ihn ja auch so beliebt. Doch die Sache hat einen entscheidenden Haken: Um den globalen Bedarf an Beton zu decken, werden heute weltweit mehr als vier Milliarden Tonnen

Zement produziert, jedes Jahr. Zement ist das Bindemittel im Beton, das – mit Wasser gemischt – Sand und Kies zusammenhält. Diese Herstellung ist mit einem gewaltigen Energieaufwand verbunden. Hochgerechnet entstehen allein dadurch fast 8 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen. Zum Vergleich: Auf den weltweiten Flugverkehr entfallen «nur» etwa 3 Prozent.

Wegweisende Lösungen

Angesichts solcher Zahlen suchen Experten nach Möglichkeiten, den «embodied Carbon» zu senken, also all die CO2-Emissionen, die während des gesamten Lebenszyklus des Betons entstehen – von der Herstellung bis zur Entsorgung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der ETH Zürich verfolgen zum Beispiel drei Ansätze, um den Fussabdruck von Betonbauten zu verringern: sparsamer mit Ressourcen umgehen, verstärkt Alternativen nutzen, mehr Material recyceln. Auch die Baubranche ist keineswegs untätig. Doch die Zeit drängt. Denn angesichts der rasanten Zunahme der Weltbevölkerung werden immer mehr Wohnraum und Infrastrukturen benötigt. Um den grössten Schub des Städtewachstums in der Geschichte der Menschheit bewältigen zu können, müssten weltweit voraussichtlich 230 Milliarden Quadratmeter neue Bodenfläche bebaut werden.

Turm aus dem Drucker

Im Zuge des Baubooms werden schon heute weltweit jedes Jahr rund 4,4 Milliarden Tonnen Beton produziert. Beton ist damit das am häufigsten verwendete Baumaterial, nach Wasser sogar der am häufigsten verwendete Stoff auf der Erde. Der erste Lösungsansatz liegt also auf der Hand: weniger Beton, insbesondere weniger Zement.

«Wir müssen das Design und die Konstruktion von Gebäuden überdenken», betont Benjamin Dillenburger, Professor für Digitale Bautechnologien an der ETH Zürich. Mit seinem Team setzt er auf computergestützte Planung und digitale Fabrikation. Beides werde die Baubranche grundlegend verändern, ist der 45-jährige Wissenschaftler überzeugt. Er ist bei seiner Forschung auf den Einsatz robotergestützter 3DDruckverfahren spezialisiert.

Wie das in der Praxis funktioniert, zeigt exemplarisch eine kühne Konstruktion: der «Weisse Turm» im Bündner Dorf Mulegns. Mit einer Gesamthöhe von über 23 Metern soll er zu einem der höchsten vollständig im 3D-Druckverfahren erstellten Bauwerke der Welt hochgezogen werden. Dabei trägt ein Roboter nacheinander 5 Millimeter dünne Betonschichten auf. Das Material ist exakt weich genug, um sich zu verbinden und homogene Komponenten zu bilden, härtet aber auch schnell genug aus, um die Folgeschichten zu tragen. Auch beim Designprozess kommen digitale

Technologien zum Einsatz. Die gesamte

Struktur des Turms wird mit einer an der ETH entwickelten Software entworfen, die eine genaue Definition der Geometrie ermöglicht und die erforderlichen Daten direkt an die Druckroboter sendet. Der Clou: «Mit Hilfe der neuartigen Technologie muss Beton gezielt nur dort aufgetragen werden, wo er tatsächlich benötigt wird», erklärt Dillenburger. Das Resultat? Die Betonmasse wird reduziert, weil dünnwandige, hohle und massgeschneiderte Bauteile hergestellt werden können. Zudem kann ganz auf die Schalung verzichtet werden.

Bauen mit Lehm

Muss es immer Beton sein? «In den meisten Häusern braucht man gar nicht die aussergewöhnliche Festigkeit, die Beton zu bieten hat», erklärt Guillaume Habert, Professor für Nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich. Er rät darum zum Masshalten, so wie bei der Ernährung. «Auch bei Gebäuden können wir Diät halten, in diesem Fall mit fossil erzeugten Baumaterialien.» Dies ermöglichen etwa Glas (weniger kohlenstoffintensiv), eine optimierte Struktur mit kohlenstoffarmen Materialien (Brettschichtholz), möglichst kohlenstofffreier Lehm sowie kohlenstoffnegative und schnell erneuerbare Materialien wie Stroh, Flachs oder Hanf und Massivholz.

Auch hier helfen innovative Fertigungsmethoden, die eine emissionsarme und zugleich rentable Bauweise ermöglichen. Pionierarbeit leistet auf diesem Gebiet das ETH-Spin-off Oxara: Gemeinsam mit Professor Habert wurde ein zementfreier Beton entwickelt, der 20-mal umweltfreundlicher als herkömmlicher Beton ist und für nicht oder nur wenig tragende Elemente in zwei- bis dreistöckigen Gebäuden verwendet werden kann. Oxara verwendet als Rohstoff lehmhaltige Erde, etwa aus dem Aushub von Baustellen. Das benötigte Material gibt es im Überfluss, auch in der Schweiz. Oxara nutzt es zur nahezu emissionsfreien Herstellung von gegossenem Erdbeton. Das Rezept: Man nehme die lehmhaltige Erde, gebe Wasser sowie einen eigens entwickelten mineralischen Zusatzstoff hinzu und giesse die Mischung in eine Schalung. Innerhalb von ein bis zwei Tagen lassen sich so stabile Bauteile herstellen. «Industriell produziert, trägt dieses Verfahren zu einer Lösung für nachhaltiges, wirtschaftlich tragfähiges Bauen bei», ist Habert überzeugt.

Aus seiner Sicht wäre es aber falsch, Beton und andere Baustoffe gegeneinander auszuspielen. «Es gibt keine guten oder schlechten Materialien, sondern das richtige Material am richtigen Ort», so Habert. Bezogen auf die Schweiz seien nicht einmal die Neubauten das Hauptproblem, sondern die fehlende energetische Sanierung bestehender Gebäude. Für die Dämmung werde oft expandierter Polystyrol-Hartschaum (EPS), auch als Styropor bekannt, verwendet, der mit Erdöl hergestellt wird. Man muss sich einmal klarmachen: «Wir stossen CO2 für die Produktion von Dämmmaterialien aus, um dann damit den Energieverbrauch von Gebäuden zu reduzieren – biobasierte Dämmstoffe wären viel sinnvoller», bringt der ETH-Professor den Widerspruch auf den Punkt.

Aus alt wird neu

Catherine De Wolf, Assistenzprofessorin im Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich, setzt wiederum auf die Kreislaufwirtschaft. Statt wertvolle Materialien zu entsorgen, sollen sie in einen Stoffkreislauf zurückgeführt werden. Jahr für Jahr fallen allein in der Schweiz mehr als 70 Millionen Tonnen Abfall an, 84 Prozent davon durch das Baugewerbe. «Wenn wir uns klar machen, wie viele Ressourcen das sind, wie viel graue Energie in diese Produkte eingeflossen ist und welche fantastische Qualität diese Materialien besitzen, rea-

lisieren wir erst, wie viele Chancen wir verpassen», erklärt die Wissenschaftlerin.

Kuppel aus Abbruchmaterial

Sie möchte mithilfe digitaler Verfahren von einer linearen Wirtschaft, die auf einem «Take-Make-Waste»-Modell beruhe, zu einer Kreislaufwirtschaft kommen, bei der die Lebensdauer von Bauressourcen maximal ausgeschöpft werde: durch Wiederverwertung, Renovation, Aufbereitung und Recycling.

In dem von ihr geführten Circular Engineering for Architecture (CEA) Lab setzt sie dafür maschinelles Lernen, Laserscanning, Augmented Reality oder auch Blockchain-Technologie ein.

So entwickelt und testet ihr Team Verfahren, mit denen sich Gebäude scannen

und darin verborgene Schätze aufspüren lassen. Auf diese Weise können urbane Rohstofflager erschlossen und die dort lagernden Materialien nachverfolgt und «abgebaut» werden, statt bereits auf der Mülldeponie am Ende ihres Lebens zu landen. Ein Beispiel: In einem Projekt mit Studierenden sollte eine geodätische Pavillon-Holzkuppel ausschliesslich aus Abbruchmaterial errichtet werden.

Im ersten Schritt wurden Materialien aus einem alten Autohaus geborgen. Anschliessend katalogisierte die Gruppe die verfügbaren Teile, in erster Linie Holzstücke, und programmierte einen Algorithmus, um die optimale Geometrie und die Abmessungen für die Kuppelstruktur mit minimalem Abfall zu berechnen. Ausserdem entwickelte man eine digitale Plattform,

die den Status und die Qualität jedes einzelnen Bauelements verfolgt. Für die Kuppel erhielt jedes geborgene Holzteil einen QR-Code, der auf einen Online-Materialpass verweist. «Skaliert man die Daten auf mehrere Gebäude, wird man Muster im Materialfluss erkennen und die Verfügbarkeit von Materialien zur Wiederverwendung vorhersagen können», erläutert Catherine De Wolf. Auch das ist ein wichtiger Schritt, um den ökologischen Fussabdruck einer ganzen Industrie nachhaltig zu senken.

Die Forschung der ETH Zürich zu nachhaltigem Bauen wurde an einer Ausstellung des Swiss Sustainability Forum 2022 gezeigt. Weiterführende Informationen dazu: forum.sustainableswitzerland.ch.

Samstag, 17. Dezember 2022 Nachhaltigkeit NZZ-Verlagsbeilage 7
Blick ins ETH-Labor: Roboter fabrizieren die Säulen für den Weissen Turm von Mulegns. Die Fertigstellung soll 2024 erfolgen. Bauherr ist die Nova Fundaziun Origen. FOTOS: ETH ZÜRICH / GIULIA MARTHALER Visualisierung des Weissen Turms, wie er später aussehen könnte.
Es gibt keine guten oder schlechten Materialien, sondern das richtige Material am richtigen Ort.
Professorin Catherine De Wolf Professor Guillaume Habert Professor Benjamin Dillenburger

Nachhaltigkeitsmacher aus der Schweiz

Dank seines riesigen Kundenstamms verfügt der deutsche Softwarekonzern SAP über einen enormen Hebel, um das Thema Nachhaltigkeit in den Unternehmen weltweit effektiv voranzutreiben. Eine wichtige Funktion in diesem globalen Bestreben übernimmt dabei ein hiesiger Umweltnaturwissenschaftler.

SOPHIE ZELLWEGER

Seit Juni ist Jonas Dennler globaler Chief Marketing and Solution Officer für Sustainability beim Softwarekonzern SAP. Der Zürcher Manager verfügt über einen Abschluss in Umweltnaturwissenschaften der ETH Zürich und ist auch sonst seit Jahren im Umweltwesen engagiert. So hat der 41-Jährige die Jungen Grünen der Stadt Zürich mitgegründet, war Mitglied des Stiftungsrats der Klimastiftung Schweiz und im Investitionsausschuss des Livelihoods Fund, einem Investmentvehikel, das sich für die Wiederherstellung der natürlichen Ökosysteme von archaischen und ländlichen Gemeinschaften einsetzt. Seine Karriere beim deutschen Softwarehaus lancierte Dennler 2009 als globaler Umweltverantwortlicher. Er war unter anderem im Lead für die CO2-Bilanzierung des Unternehmens und bei der Einführung eines globalen Umweltmanagementsystems.

Positiven Einfluss auf Wirtschaft und Umwelt

Dass der engagierte Umweltmanager mittlerweile von der Schweiz aus die weltweiten Nachhaltigkeitsanstrengungen eines globalen Akteurs wie SAP koordiniert, ist kein Zufall – und auch kein Widerspruch. Schliesslich bietet die Schweiz mit ihrer langjährigen Expertise im Bereich Ökologie sowie ihren führenden Hochschulen ein hervorragendes Umfeld, um Nachhaltigkeitslösungen in die Welt zu tragen. Gleichzeitig kann Dennler in seiner aktuellen Funktion für seine Herzensangelegenheit mehr bewirken als in mancher anderen Firma.

Den grössten Impact in der Nachhaltigkeitsthematik erzielt SAP nämlich als «Enabler» ihrer über 400 000 Kundinnen und Kunden, indem der Softwarekonzern sie dazu befähigt, die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit zu schaffen. «Unsere Vision bei SAP ist es, die Welt und das Leben der Menschen nachhaltig zu verbessern», erklärt Dennler. Dazu will das Unternehmen

weltweit einen positiven Einfluss auf Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft ausüben. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf den Themen Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, sozialer Verantwortung sowie ganzheitlicher Steuerung und Berichterstattung.

Hierzu hat die Softwareschmiede aus Walldorf in Deutschland eine «Sustainability Growth Unit» gegründet, direkt im Verantwortungbereich des CEO’s Christian Klein. In Zusammenarbeit mit den Partnern aus dem SAP-Ecosystem nutzt das Unternehmen sein ProzessKnow-how und seine Industrieexpertise, um seine Kundinnen und Kunden auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu unterstützen. «Wenn diese Nachhaltigkeitsdaten direkt in ihre Kerngeschäftsprozesse integrieren, können sie schneller und besser im Sinne der Nachhaltigkeit entscheiden», ist Dennler überzeugt.

SAP-Technologie wird genutzt, um Sustainability-Daten zu erfassen, diese zu berichten sowie daraus Massnahmen ableiten zu können. Je granularer und integrierter die Daten erfasst und zur Verfügung gestellt werden, desto besser können anschliessend Entscheide getroffen werden. Die Firmenlösungen von SAP bieten unternehmensweite und branchenspezifische Nachhaltigkeitsfunktionen, mit denen die Kundinnen und Kunden ihre Nachhaltigkeitsbestrebungen in grossem Umfang vorantreiben können.

Konkrete Lösungen für höhere Nachhaltigkeit

Somit hilft das Softwarehaus Unternehmen dabei, bei Nachhaltigkeitsfragen eine verbesserte Transparenz zu erreichen und eine höhere Granularität in den ESG-Daten zu erhalten. Statt mit Durchschnittszahlen zu operieren, sollen die Betriebe die tatsächlichen Ist-Werte kennen. «Dazu werden die ESG-Daten erfasst und in das SAP-System integriert. Dies führt mit den entsprechenden Nachhaltigkeitslösungen zu einer granularen Datentransparenz auf der Grundlage von Ist-Daten, nicht von Durchschnittswerten», erklärt Dennler.

In einem weiteren Schritt unterstützt SAP ihre Kundinnen und Kunden auch im Bereich der zunehmenden regulatorischen Vorgaben und der steigenden Anzahl an Investorenfragebögen – und zwar mithilfe einer standardisierten Sammlung und Darstellung von firmenweiten Nachhaltigkeitskennzahlen. Dies wird auch in der Schweiz immer relevanter, auch im Kontext der anstehenden TCFD-Gesetzgebung, welche grössere Unternehmen ab 2024 verpflichtet, ihren «Carbon Footprint» zu veröffentlichen und die finanziellen Risiken in Bezug auf Umweltrisiken zu beschreiben.

Die Lösungen von SAP unterstützen die Unternehmen darüber hinaus bei den zahlreichen regulatorischen Anforderungen der EU, wenn es bei -

spielsweise darum geht, die «Extended Producer Responsibility» in den Systemen abzubilden, den ökologischen Impact über den gesamten Lebenszyklus zu evaluieren und entsprechend zu managen oder neue, nachhaltige Businessmodelle zu generieren.

Null Emissionen. Null Abfall. Null Diskriminierung.

SAP geht in Sachen Nachhaltigkeit als Wegbereiter voraus und sieht sich selbst in der Verantwortung. Das anspruchsvolle Ziel des Softwareherstellers dabei lautet: Null Emissionen. Null Abfall. Null Diskriminierung. SAP hat sich dazu verpflichtet, in Übereinstimmung mit dem 1,5-Grad-Celsius-Ziel, für die gesamte Wertschöpfungskette bereits 2030 Klimaneutralität zu erreichen – 20 Jahre früher als ursprünglich geplant. So engagiert sich SAP im Bereich der Kreislaufwirtschaft beispielsweise für plastikfreie Meere, eine nachhaltige Landwirtschaft sowie die Rückverfolgbarkeit von Materialien und Rohstoffen.

Wenig erstaunlich, dass SAP schon heute von vielen Marktteilnehmern als ein Sustainability Leader wahrgenommen wird. Lorbeeren, auf denen sich das Unternehmen nicht ausruhen will.

Zumal die Herausforderungen im Bereich Nachhaltigkeit nicht von einzelnen Firmen allein gelöst werden können. In diesem Sinne setzt auch Jonas Dennler in seiner globalen Funktion als Chief Marketing and Solution Officer für Sustainability Akzente in der Produktstrategie und, im Rahmen von «Mission Based Ecosystems», auf branchenübergreifende Zusammenarbeit.

Die Strategie von SAP soll helfen, jedes Unternehmen in eine intelligente, nachhaltige Firma zu verwandeln. Als ein Marktführer für Geschäftssoftware unterstützt SAP Unternehmen jeder Grösse und Branche dabei, ihre Ziele bestmöglich zu erreichen. Der Softwareanbieter hilft Menschen und Firmen, fundiertes Wissen über ihre

Organisationen zu gewinnen, fördert die Zusammenarbeit und unterstützt so, dem Wettbewerb einen Schritt voraus zu sein. Mit einem globalen Netzwerk aus Kunden, Partnern, Mitarbeitenden und Vordenkerinnen und Vordenkern hilft SAP, die Abläufe der weltweiten Wirtschaft und das Leben von Menschen zu verbessern.

Abgeleitet von einer gemeinsamen Mission, sucht er zusammen mit Kundinnen und Kunden, Partnern, aber auch Regierungen, Universitäten, NGOs sowie anderen Organisationen, Lösungen für die aktuellen Nachhaltigkeitsprobleme. Denn «nur gemeinsam können wir die bevorstehenden Herausforderungen meistern», ist Jonas Dennler überzeugt.

8 NZZ-Verlagsbeilage Nachhaltigkeit Samstag, 17. Dezember 2022
Jonas Dennler, Chief Marketing and Solution Officer für Sustainability bei SAP: «Nur gemeinsam können wir die bevorstehenden Herausforderungen meistern.» SAP
«Wenn die Firmen Nachhaltigkeitsdaten direkt in ihre Kerngeschäftsprozesse integrieren, können sie schneller und besser im Sinne der Nachhaltigkeit entscheiden.»
SAP

Hilfe für krisenbelastete Kinder und Jugendliche

Die Stiftung Pro Juventute leistet gerade Extraschichten. Sie setzt sich für junge Menschen ein, die auf die aktuellen Krisen in der Welt stark mit Angst reagieren. Unterstützung erfährt Pro Juventute auch von der gemeinnützigen UBS Optimus Foundation.

SOPHIE ZELLWEGER

Ein Philanthrop ist ein Mensch, der anderen etwas Gutes tut, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Und aktuell braucht es viele solcher Unterstützer. Zu denen, die dringend auf Hilfe angewiesen sind, gehören derzeit auch viele Kinder und Jugendliche. Zuerst war es die Pandemie, die ihnen Angst und Sorgen bereitet hat, dann der Angriffskrieg gegen die Ukraine und weiterhin sorgt auch die Klimakrise für psychischen Stress. «Was wir gerade erleben, ist eine Multikrise, die Kinder und Jugendliche besonders belastet», sagt Lulzana Musliu, Leiterin Politik & Medien bei Pro Juventute. Kinder und junge Erwachsene werden von diesen Krisen in einer vulnerablen Phase ihres Lebens getroffen.

Jeden Tag unterstützt Pro Juventute sieben bis acht Jugendliche, die Suizidgedanken haben. Diesen jungen Erwachsenen wird professionelle psychologische Hilfe geboten. Diese hohen Fallzahlen haben sich im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie verdoppelt. «Wir müssen immer mehr Kriseninterventionen auslösen», sagt Musliu. Bis Ende September 2022 gab es insgesamt 118 Fälle, in denen die Expertinnen und Experten von einer akuten Selbstgefährdung ausgingen und daher Sanität oder Polizei aufbieten mussten. Im Corona-Jahr 2020 waren es insgesamt 96 Fälle, 2019 zählte man deren 57.

Das Erwachsenwerden stellt viele Jugendliche ohnehin schon vor körperliche und psychische Herausforderungen. Dann stellen sich in dieser Zeit auch verschiedene Weichen, wie etwa die Berufswahl oder der definitive Wegzug von daheim. Dies kann für gewisse Jugendliche sehr belastend sein. Krisen lösen bei Jung und Alt Unsicherheiten aus. «Kinder und Jugendliche haben in ihrem Le-

ben aber noch nicht gleich gute Bewältigungsstrategien für solche Krisensituationen entwickeln können», erklärt die Mediensprecherin von Pro Juventute. Und aktuell löst eine Krise die nächste ab. «Umso wichtiger ist es, dass wir nun für Kinder und Jugendliche da sind und Hilfsangebote wie das Beratungsangebot 147 von Pro Juventute bereithalten.»

Aktuell nehmen auch die Beratung betreffend Angst stark zu. Viele Jugendliche berichten der Kinderwohl-Stiftung von ihren persönlichen Zukunftsängsten. Offenbar denken viele junge Menschen, dass sie ihren Platz in der Welt nicht finden werden. Pro Juventute registriert im Moment 30 Prozent mehr solche Beratungen im Vergleich zum Vorjahr. Diese und weitere Ängste führen immer öfter zu depressiven Stimmungen, zu einem selbstverletzenden Verhalten oder zu Suizidgedanken.

Durch die angespannte Situation bei den Kindern und Jugendlichen schieben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung zurzeit Extraschichten, um den hohen Bedarf zu decken.

Unterstützung für ukrainische Flüchtlinge

Pro Juventute wird als Stiftung vorwiegend durch private Spenden und Zuwendungen von Unternehmen finanziert. Ein langjähriger Partner von Pro Juventute ist UBS. «Nach Kriegsausbruch in der Ukraine hat UBS uns schnell Hilfe angeboten und unterstützt uns neben weiteren Partnern bei unserem Angebot für ukrainische Schutzsuchende», erklärt die Mediensprecherin der Hilfsorganisation, Lulzana Musliu. «Wir sind sehr dankbar, dass wir dank der Spenden von UBS und anderen ein professionelles Angebot mit ukrainischen Psychologinnen aufbauen konnten.»

Eine traumatische Flucht, der zurückgelassene Vater und ein total neues Umfeld mit einer fremden Sprache sorgen dafür, dass der Bedarf an psychologischer Beratung bei Kindern und Jugendlichen aus dem Kriegsgebiet in der Schweiz aktuell sehr gross ist.

Dieses Jahr sind schon über 10 000 Kinder aus der Ukraine und anderen Konfliktgebieten in die Schweiz gekommen. Seit diesem Sommer bietet Pro Juventute ihr Unterstützungsangebot deshalb auch auf Ukrainisch und Russisch an. Dieses neue niederschwellige Beratungsangebot steht ukrainischen Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern, die in die Schweiz geflüchtet sind, zur Verfügung. Psychologinnen und Psychologen, welche die Sprache der Geflüchteten sprechen, beraten die Kinder und jungen Erwachsenen und helfen ihnen aus ihrer Notlage. Sicherheit und Geborgenheit sind für die Entwicklung und die psychische Gesundheit junger Menschen ganz entscheidend.

UBS unterstützt Pro Juventute finanziell, aber auch mithilfe der eigenen Mitarbeitenden. Diese werden in der Stiftung als freiwillige Helferinnen

und Helfer für Bewerbungstrainings von Jugendlichen in der Lehrstellensuche eingesetzt.

Zusammen für das Gemeinwohl spenden Unterstützen kann man Pro Juventute auch als Privatperson. Mit der UBS Optimus Foundation betreibt die Schweizer Bank seit über 20 Jahren eine gemeinnützige Plattform, auf der sich ihre Kundinnen und Kunden engagieren können. Die UBS-Kundschaft erhält dort Zugang zu verschiedenen Projekten, die Kindern und Jugendlichen zugutekommen. Der Fokus liegt meistens auf den Bereichen Bildung, Gesundheit und Kinderschutz. International können auch Umweltprojekte begünstigt werden. Die Kundinnen und Kunden der grössten Schweizer Bank erhalten bei der UBS Optimus Foundation umfassende Beratung sowie das Know-how, das es bei der Auswahl von wirkungsvollen Hilfsprojekten braucht. Lange wurden solche Plattformen primär als Dienstleistung fürs einfache Spenden verstanden. Der Philanthropie-Bereich hat sich in den letzten Jahren aber deutlich weiterentwickelt.

«Unsere Kundinnen und Kunden wollen sich vermehrt zusammen mit anderen engagieren und strategisch spenden, basierend auf den Input von Fachleuten, damit ihr Engagement auch etwas bewirkt», erklärt Maya Ziswiler, CEO der UBS Optimus Foundation. Entsprechend vernetzt UBS sie miteinander und bringt gleichzeitig die Expertise und Erfahrung der Stiftung mit ein. «Das Netzwerk, auf das wir nach über 20-jähriger Tätigkeit zurückgreifen, ist sehr gross», führt Ziswiler aus. Diese breit abgestützten Engagements

sind oft effizienter, als wenn Menschen, die sich engagieren wollen, selber bei null anfangen müssen. Die Grossbank trägt alle Verwaltungskosten ihrer Stiftung selbst. Deshalb kommen sämtliche Spenden vollumfänglich den Organisationen zugute, die von der UBS Optimus Foundation unterstützt werden. Ausserdem engagiert sich UBS bei ausgewählten Projekten auch selbst.

Pro Juventute: Stiftung für das Wohl von Kindern und Jugendlichen

Die Pro Juventute unterstützt Kinder und junge Erwachsene mit ihren Eltern schon seit über 100 Jahren. Heute wie damals werden die Heranwachsenden auf ihrem Weg zu selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Persönlichkeiten unterstützt. Seit 23 Jahren gibt es das Beratungsangebot 147 der Pro Juventute. Dabei können sich Kinder und Jugendliche mit ihren Ängsten und Sorgen vertraulich an die Fachleute der Pro Juventute wenden. Dies jeden Tag in der Woche während 24 Stunden. Das Gratis-Hilfsangebot richtet sich vor allem an Kinder und junge Erwachsene bis 25 Jahre, die sich in schweren persönlichen Krisen und Notfällen befinden. Sie erreichen die Fachleute über das Sorgentelefon 147, über die Website 147.ch via Chat, per Whatsapp, SMS oder Mail.

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Unterstützen kann man Pro Juventute auch als Privatperson, unter anderem durch die UBS Optimus Foundation. Seit 20 Jahren können sich Kundinnen und Kunden dadurch sozial engagieren. PRO JUVENTUTE
Was wir gerade erleben, ist eine Multikrise, die junge Menschen besonders belastet.

Top-Produkte aus alten Kleidern –Texcircle macht’s möglich

Der Pulli hat ein Loch? Dann landet er meist bald im Abfall – wertvolle Ressourcen bleiben so ungenutzt. Das muss nicht sein. Im Projekt Texcircle der Hochschule Luzern (HSLU) haben Forschende gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft Methoden entwickelt, um alte Stoffe zu neuen Produkten zu verarbeiten.

ELMAR ZUR BONSEN

Die Schweiz ist Europameisterin, wenn es ums Recycling geht. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens PricewaterhouseCoopers (PwC) und des WWF Schweiz werden rund 53 Prozent aller Siedlungsabfälle wiederverwertet. Allerdings bewegt sich das Land auch in Sachen Konsum und Müllvolumen an der Weltspitze: Der Abfallberg wächst kontinuierlich. Gleichzeitig steigt der Bedarf an natürlichen Ressourcen, ganz besonders in der Textilbranche, wobei hier Kleidung den grössten Anteil ausmacht.

Hand aufs Herz: Wie viele Outfits, bestehend aus Hose, Pulli und T-Shirt, hängen bei uns im Kleiderschrank? Gemäss der Studie kauft jede Person in der Schweiz 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr und verfügt im Schnitt über 118 Textilien. Dabei werden 40 Prozent der Modeartikel nur zwei- bis viermal getragen – und dann entsorgt. Pro Tag landen tatsächlich 70 000 der Outfits oder 100 Tonnen in der Altkleidersammlung. Tendenz steigend. So kommen hierzulande jedes Jahr mehr als 50 000 Tonnen an Alttextilien zusammen (in der EU waren es 2019 ganze 6,8 Millionen Tonnen). Etwa die Hälfte der ausrangierten Klamotten in der Schweiz werden für den Secondhand-Markt aufbereitet oder an Bedürftige weitergegeben. Doch vieles wird einfach verbrannt oder landet am Ende auf gigantischen Altkleiderdeponien, wie sie beispielsweise in der chilenischen Atacama-Wüste zu finden sind.

Zu schade für Putzlumpen

Tina Tomovic, Expertin für textile Nachhaltigkeit an der Hochschule Luzern im Fachbereich Kunst & Design, bedauert zudem, dass die wenige Kleidung, die man recycelt, oft nur zu minderwertigen Textilien wie Putzlappen verarbeitet werde. Textilprodukte aus gleicher oder ähnlicher Qualität machen jedenfalls weniger als 1 Prozent am Recyclingvolumen aus. Mit anderen Worten: Das Material dieser Textilien verschwindet unwiederbringlich aus dem Wertstoffkreislauf. Und das, obwohl Ressourcen zur Herstellung von Textilien knapper werden und die Textilbranche selbst laut EU-Nachhaltigkeitsplan beim Verbrauch von Rohstoffen und Wasser ein grosser Sünder ist: Sie steht hier an vierter Stelle, hinter der Lebensmittelbranche, dem Baugewerbe und dem Verkehrssektor.

«Während Rohstoffe auf Erdölbasis für synthetische Textilien langfristig knapp werden, schränken klimatische Veränderungen, aber auch pandemie- und krisenbedingte Unterbrüche der globalen Lieferketten die Versorgungssicherheit heute schon ein», erklärt die Wissenschaftlerin Tina Tomovic und bringt es auf den Punkt.

Es müssen also neue Rohstoffquellen erschlossen werden. Das Kernkonzept «aus Alt mach Neu» ist eine Möglichkeit. «Wir müssen langfristig lernen, mit dem Material, das wir schon haben, umzugehen», erklärt Tomovic. Das heisst: Man muss alte Kleider viel besser wiederverwerten als bisher und so den textilen Kreislauf schliessen. Mit der Forschergruppe Produkt & Textil und in Kooperation mit Unternehmen hat Tomovic daher das Projekt Texcircle aufgesetzt, um Wertschöpfungsketten neu zu denken. Ziel ist es, herauszufinden, wie ein Recycling gestaltet sein muss, um die ursprünglich eingesetzten Materialien effizient als Rohstoffe für hochwertige neue Produkte verwerten zu können. Die Wiederaufbereitung von Textilien ist jedenfalls al-

les andere als trivial, da die Kleidung meist aus verschiedenen Komponenten besteht – beispielsweise aus Baumwolle vermischt mit Polyester. Um den Stoff zu einem vielseitig verwendbaren Garn weiterverarbeiten zu kön-

nen, muss er jedoch möglichst rein sein. Das Projektteam nahm daher anhand von definierten Prototypen wie Pullis oder Teppichen die gesamte RecyclingProzesskette von 2,5 Tonnen Alttextilien unter die Lupe, vom Sammeln der

Alttextilien übers Sortieren und dem anschliessenden maschinellen Zerkleinern bis hin zum Spinnen des so gewonnenen Rohstoffs zu neuen Garnen und Vliesen.

«Im Projekt waren wir mit diversen Herausforderungen konfrontiert. Besonders aufwendig war die Materialaufbereitung», sagt Tomovic. Reissverschlüsse, Knöpfe, aber auch Futterstoffe mussten entfernt werden. Ein weiteres Learning seien die Mindestmengen für die einzelnen Prozessschritte im Textilrecycling gewesen: «Um auf industriellen Maschinen Versuche zu fahren, mussten wir vergleichsweise grosse Materialmengen zur Verfügung haben», so die Wissenschaftlerin. Durch die Pandemie sei es zudem zu Engpässen in den Lieferketten und deutlich höheren Kosten für Transporte und Materialien gekommen.

Das Texcircle-Team betrachtete das Recycling konsequent durch die Brille der Designerinnen und Designer. Denn den Kreativen kommt eine Schlüsselrolle zu: 80 Prozent der nachhaltigkeitsrelevanten Entscheidungen werden in der Designphase getroffen. So entwickelte im Rahmen des Projekts

die Designforscherin Françoise Adler ein «Decision Tool», das Designschaffenden Orientierung gibt, um entsprechende Entscheidungen bei der Entwicklung ihrer Produkte treffen zu können. Das «Design Decision Tool» kann auf der Website der Forschergruppe heruntergeladen werden.

Genau zur richtigen Zeit

Eine zentrale Rolle im Projekt spielten die Unternehmen, welche die Fasern, Garne und Vliese aus dem Recycling zu Prototypen verarbeiteten. Zum Kreis der Wirtschaftspartner gehören Coop, Rieter, Rohner Socks, Ruckstuhl, Texaid und Workfashion sowie die Netzwerkpartner vom Bundesamt für Zivildienst, Nikin und Tiger Liz Textiles. Die Tests in den jeweiligen Fabrikhallen wurden für das Texcircle-Team zum «Reality Check». Laut Tina Tomovic musste man mehr als einmal feststellen, dass die Theorie in der Praxis nicht umsetzbar war. So seien beispielsweise alte Kissen und Bettdecken aus einer Materialperspektive zwar interessant, eine effiziente und kostengünstige Verarbeitung der Ware sei heute jedoch noch nicht möglich. Neben solchen ernüchternden Erkenntnissen gab es jedoch viele Erfolgsstorys und unter dem Strich eine positive Bilanz. Die Ruckstuhl AG erstellte zum Beispiel einen Recycling-Teppich für den Wohnbereich mit einem Garn aus 50 Prozent Recyclinganteil, aus getragenen Wollmänteln und Wollpullovern. Adrian Berchtold, Geschäftsführer und Delegierter des Verwaltungsrats des Unternehmens, resümiert zufrieden: «Ruckstuhl stellt seit 1881 Teppiche aus natürlichen Fasern her, das Thema Nachhaltigkeit ist seit unseren Anfängen in unserer DNA verankert. Das Projekt Texcircle ermöglichte uns, diese Gedanken zu erweitern und zusammen mit den Projektpartnern konkrete Lösungen im Zusammenhang mit textilen Abfällen zu finden.» Das Projekt kam also genau zur richtigen Zeit. Insgesamt wurden sechs Prototypen produziert, wobei die Produktqualität stets ebenso hoch sein musste wie bei vergleichbaren Textilien im Laden. So konnte die Winterthurer Firma Rieter aus alten Jeanshosen Garn für einen Pullover und aus alten Bäckerhosen ein Garn für Vorhänge herstellen. Der Zuger Arbeitsbekleidungsproduzent Workfashion wiederum verarbeitete Isolationsfutter aus alten Kissen und Bettdeckenfüllungen zu Arbeitswesten. Und die Firma Rohner Socks stellte aus TShirts des Zivildienstes Socken her. Was waren die grössten Herausforderungen bei der Neukonzeption von Wertschöpfungsketten?

Hermann Lion, CEO der Jacob Rohner AG (Rohner Socks) sieht es so: «Strategisch betrachtet liegt unser Fokus darauf, eine transparente Lieferkette aufzubauen, sodass sich der Konsument bewusst für die Produkte entscheiden kann.» Die grössten Herausforderungen könnten neue Preisstrukturen sein, bedingt durch die höheren Preise der Rohstoffe und der Verarbeitungsschritte. Dennoch ist Lion vom Projekt überzeugt: «Garne aus Post-ConsumerWaste ermöglichen es, neue Produkte mit mehr Wertschöpfung herzustellen – in unserem Fall Socken.» Dies garantiere eine bessere Nutzung von Rohmaterialien und somit einen besseren Umgang mit unseren Ressourcen. Lion: «Das Texcircle-Projekt hat bewiesen, dass diese Garne für bestimmte Produktkategorien problemlos verwendet werden können, ohne dass der Verbraucher auf Qualität, Lebensdauer oder Tragekomfort verzichten muss.»

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Ausgediente T-Shirts des Zivildienstes werden zu modischen Socken. Aus alten Jeans lässt sich Garn für Pullover gewinnen. Für die Wiederverwertung müssen die Materialien möglichst rein sein. FOTOS: HSLU

«Stellen Sie sich vor: Essbare Algen werden auf den Dächern von Schweizer Bauernhöfen produziert und liefern hochwertige Nährstoffe wie Proteine, Lipide oder Omega­3Fettsäuren.»

«Die Lösung: Essbare Algen von Schweizer Bauernhöfen»

Fressen uns Vierbeiner das Essen weg? Rund 75 Prozent der weltweiten Sojaproduktion wird heute an Nutztiere verfüttert. Die Anbauflächen wachsen exponentiell, was immer mehr zum Problem wird. Eine Alternative liegt gleich vor unserer Haustür, wie Agroscope-Forscher Fabian Wahl erklärt.

Seit dem Jahr 2000 hat sich die Sojaproduktion verdoppelt, weltweit. Um die enorme Nachfrage sichern zu können, werden wertvolle Naturflächen in Ackerland umgewandelt. Das wirkt sich nicht nur negativ auf Wälder und Dschungel aus, sondern belastet die Umwelt zusätzlich mit den globalen Transporten. Dabei gäbe es eine bessere Alternative, die praktisch vor unserer Nase wächst: Algen. Das glitschige Grün ist reich an Proteinen und vielen anderen Nährstoffen, weshalb sich auch Tiere in freier Wildbahn davon ernähren. Doch wie macht man aus Algen Lebensmittel? Oder zumindest zertifizierte Futtermittel? Diesen Fragen geht Agroscope, das renommierte Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, in einem eigenen Projekt nach, das von Lidl Schweiz unterstützt wird. Ziel ist es, die hiesige Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Wie das genau gehen soll, erklärt Fabian Wahl, Leiter des strategischen Forschungsbereichs Mikrobielle Systeme von Lebensmitteln, im Interview.

Was macht die Landwirtschaft hierzulande so emissionsreich?

Fabian Wahl: Rund 20 Prozent der nationalen Treibhausgase stammen von der Landwirtschaft, über die Hälfte davon sind Methanemissionen von Tieren, insbesondere von Rindern. Doch noch schädlicher ist der globale Effekt der Tierfutterproduktion: zunehmende Entwaldung, übermässige Düngung und massenhafter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Dazu muss man wissen: Die Schweiz importiert heute circa 250 000 Tonnen Soja pro Jahr, die vor allem für Tierfutter verwendet werden. Das könnte immer mehr zum Problem werden, wenn wir auf unserem Planeten eines Tages zehn Milliarden Menschen ernähren müssen. Denn dann sollten wir die landwirtschaftlichen Flächen in erster Linie zum Anbau von Lebensmitteln nutzen. Wir forschen deswegen nach einer Lösung, mit der sich die schon jetzt erkennbaren Probleme eines Tages beheben lassen. Bei unserem Projekt geht es konkret um das Verringern von Anbauflächen für Futtermittel und einer möglichen Reduktion der Methanemissionen, die von Rindern beim Verdauen ausgestossen werden.

Wie wollen Sie erreichen, dass Kühe weniger klimaschädlich werden?

Die Wissenschaft hat festgestellt: Füttert man das Vieh mit Makroalgen, wird weitaus weniger Methan ausgestossen. Darum forschen wir nach weiteren Algensorten, die sich ebenso positiv auf die Umwelt auswirken.

Hat das nicht schädliche Nebeneffekte auf die Verdauung der Tiere?

Bisher sind keine solchen Effekte bekannt. Ausserdem hat sich gezeigt, dass Algen von den Tieren als Nahrung akzeptiert werden. Wir haben zusammen mit der ETH Zürich Studien unternommen, bei denen Sojarationen komplett durch Algen ersetzt wurden. Diese Versuche waren sehr vielversprechend. Ausserdem haben wir festgestellt, dass die Qualität von Lebensmitteln wie Milch und Fleisch mindestens gleichwertig bleibt. Und in der Natur kommt es ja häufig vor, dass Tiere aus Brunnen trinken, in denen Algen wachsen. Das stört sie offensichtlich nicht.

Was hat Sie inspiriert, Algen zu züchten, um damit Kühe zu füttern?

Der Gedanke entstand bei einem Brainstorming. Wir haben uns gefragt, wie wir unser Wissen über die Kultivierung von Bakterien für die Nahrungsfermentie-

rung neu einsetzen können. So stiessen wir auf Mikroalgen. Sie bilden durch ihre Photosynthese das Fundament für unsere heutige Atmosphäre. Es ist aber nicht nur so, dass die Mikroalgen etwa 50 Prozent des Sauerstoffs in der Atmosphäre produzieren, sie verbrauchen dabei auch grosse Mengen an klimaschädlichem Kohlendioxid. Spannend ist zudem, dass Algen über eine unglaubliche Biodiversität verfügen – das ist bisher noch fast unerforscht!

Wie viele essbare Algenarten gibt es denn?

Wir vermuten heute, dass es über 800 000 verschiedene Arten mit noch mehr Unterarten gibt. Aktuell sind weniger als 50 000 Arten charakterisiert.

Offiziell für die Humanernährung zugelassen sind hierzulande jedoch nur zwei Arten: Chlorella und Spirulina.

Das hört sich nach einer Menge Potenzial an. Leider ist der Zulassungsprozess sehr aufwendig. Wir sehen jedoch grosses Potenzial, denn die biologische Effizienz bei der Herstellung von Proteinen ist bei Mikroalgen mindestens zehnmal so hoch wie bei der besten Sojasorte. Ausserdem braucht es für die Kultivierung kein Ackerland.

Wie würde sich das in der Praxis genau gestalten? Bräuchte jeder Bauernhof einen grossen Swimmingpool? Tatsächlich werden heute grosse Teiche eingesetzt, sogenannte «Open Ponds», die sich optimal eignen, um Algen zu kultivieren. In China gibt es beispielsweise riesige solcher Anlagen, die den gesamten CO2-Ausstoss von fossilen Kraftwerken aufnehmen. Eine solche Lösung verschlingt allerdings beträchtliche Landflächen. Wir arbeiten momentan mit Röhrenphotobioreaktoren, die man sich am besten wie Solarthermieanlagen auf Dächern vorstellt, nur dass diese Röhren transparent sind. Somit sind sie auch ein Sinnbild für die grüne Landwirtschaft.

Diese Photobioreaktoren produzieren dann Mikroalgen, die den Kühen dann als flüssige Nahrung vorgesetzt werden?

Ja, genau. Die Mikroalgen werden photoautotroph kultiviert, das heisst, sie benötigen nur Licht als Energiequelle, um aus anorganischen Stoffen wie beispielsweise CO2 energiereichere organische Stoffe wie Proteine aufzubauen. Pro Tonne produzierter Biomasse werden so immerhin 2 bis 3 Tonnen CO2 gebunden. Entsprechende Anlagen können gut auf grossen Flächen aufgestellt werden. Stellen Sie sich diese Lösung vor: Essbare Algen werden auf den Dächern von Schweizer Bauernhöfen produziert und liefern hochwertige Nährstoffe wie Proteine, Lipide oder Omega3-Fettsäuren. So können Futtermittel und später hoffentlich auch Lebensmittel gewonnen werden.

Wann genau es soweit sein wird, dass Schweizer Kühe mit Algen gefüttert werden, ist noch nicht abzusehen. Doch schon jetzt ist auch Lidl Schweiz begeistert von den bisherigen Forschungsergebnissen: «Es freut uns sehr, dass wir dieses innovative Projekt finanziell unterstützen können. Ein relevanter Teil der Treibhausgasemissionen unserer Produkte stammt direkt

oder indirekt aus der Nutztierhaltung. Mit nachhaltigeren Alternativen wie der dezentralen Produktion der Algen auf Landwirtschaftsbetrieben könnten wir diese Emissionen künftig reduzieren», sagt Julia Baumann, Abteilungsleiterin Nachhaltigkeit bei Lidl Schweiz. Neben dem Forschungsprojekt investiert die Detailhandelskette in den Ausbau von Photovoltaikanlagen, verzichtet komplett auf Flugtransporte bei Produkten wie Früchten, Gemüse, frischen Kräuter, Frischfleisch und -fisch, engagiert sich für einen nachhaltigeren Sojaanbau und hat sich gleichzeitig das ambitionierte Ziel gesetzt, die Filialbelieferung bis 2030 fossilfrei abzuwickeln. «Jeder Schritt in Richtung Nachhaltigkeit zählt», betont Baumann. Gerade durch das Algenprojekt würde sich auch die lokale Wertschöpfung erhöhen und die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten verringern lassen. Julia Baumann wie auch Agroscope-Forscher Fabian Wahl sind fest davon überzeugt, dass diese Lösung Teil einer grüneren Zukunft sein kann.

Samstag, 17. Dezember 2022 Nachhaltigkeit NZZ-Verlagsbeilage 11
Interview: Rachel Fassbind Röhrenphotobioreaktoren: Sinnbild für die grüne Landwirtschaft. PD Füttert man das Vieh mit Makroalgen, wird weniger Methan ausgestossen. ADOBE STOCK Fabian Wahl Agroscope-Forscher

Beim Klima wie bei Covid-19: Zeit, die bittere Pille zu schlucken

Die vergangenen Jahre haben uns gelehrt, wie die Menschheit mit globalen Krisen umgeht. Während Probleme und technische Lösungen relativ schnell gefunden werden, bleibt der letzte, entscheidende Schritt oft aus – die Umsetzung und die Akzeptanz in der Gesellschaft.

MARTIN VETTERLI

Wenn ich über das Klima nachdenke, kommt mir immer Jules Verne mit seiner Geschichte «In 80 Tagen um die Welt» in den Sinn. Auf der letzten Etappe dieser abenteuerlichen Reise befindet sich der Held, Phileas Fogg, inmitten des Atlantiks auf einem Schiff. Dort befiehlt er dem Kapitän, das gesamte Holz des Schiffs zu verbrennen, bloss um schneller zu fahren und am Ende die eingegangene Wette zu gewinnen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir uns auf Phileas Foggs Schiff befinden. Auf dem Planeten Erde durchfahren wir kleinen Lebewesen nämlich das grosse Weltall und missbrauchen die natürlichen Ressourcen unseres Raumschiffes ebenfalls zunehmend schneller. Auch ohne jegliche Rücksicht auf Nachhaltigkeit und langfristige Verluste. Bloss um an das Ziel zu kommen. Bloss um unsere hemmungslose Wette um Wachstum und Konsum zu gewinnen. Dabei wissen wir alle nur allzu gut, wie das enden wird. Warum fahren wir dann nicht lang samer? Warum leben wir nicht nachhaltiger? Woran hapert es?

Die Evidenz häuft sich

Die aktuelle Situation des Klimawandels kann meines Erachtens mit einem bekannten Problem in der Medizin verglichen werden. Eine neue Krankheit tritt auf (zum Beispiel Covid-19), das Problem wird erkannt (das Virus Sars-CoV-2) und eine Lösung wird innerhalb von neun Monaten entwickelt (die Impfstoffe). Doch, und hier kommt das Hauptproblem, ein beachtlicher Teil der Bevölkerung lässt sich nicht impfen.

Das Gleiche gilt für den Klimawandel. Die Wissenschaft hat das Problem schon vor über einem Jahrhundert erkannt – früher hiess es noch klimatische oder globale Erwärmung. In der Tat hat die US-amerikanische Wissenschaftlerin Eunice Newton Foote bereits 1856 festgestellt, dass sich bestimmte Gase erwärmen, wenn sie dem Sonnenlicht ausgesetzt sind. Und als Folge dieser Entdeckung schlug sie vor, dass ein steigender Kohlendioxidgehalt die Temperatur der Atmosphäre verändern würde, und somit das Klima. Das war im 19. Jahrhundert und fand damals noch kein Gehör. Und auch heute wird Eunice Foote leider nicht oft genug erwähnt.

Seitdem häufen sich die Beweise unaufhörlich, Jahrzehnt für Jahrzehnt. Wir haben eindeutige und langfristige Messungen des Anstiegs des Kohlendioxids, präziser und zuverlässiger als je zuvor. Wir kennen den Anstieg der Temperaturen und das Schmelzen des Eises –und beobachten, wie beide in noch nie dagewesener Geschwindigkeit zunehmen. Und seit ein paar Jahren sehen wir auch erste sichtbare Auswirkungen, die fast alle von der Existenz des Klimawandels überzeugen: extremes Wetter, Dürreperioden, Überschwemmungen und vieles mehr.

Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Ergebnisse sammeln sich an, schon seit 1856 und desto sicherer werden die Aussagen. Das ist wahrscheinlich der beängstigendste Teil an der Geschichte. Aufgrund der gesammelten Daten liegt die Wahrscheinlichkeit, dass der Klimawandel vom Menschen verursacht ist, immer näher bei 100 Prozent. Mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Satz «Vielleicht gibt es ja gar keinen Klimawandel» wahr ist, wird seit Jahrzehnten jeden Tag unwahrscheinlicher.

Neue Impulse gefragt

Wie im Fall von Covid-19 wurde das Problem also erkannt (Kohlendioxid).

Aber haben wir auch Lösungen, so wie bei den Impfungen gegen Covid-19?

Ich denke schon. Forschende auf der ganzen Welt arbeiten seit Jahrzehnten daran. Sie schlagen auch schon länger neue Technologien vor, nämlich neue Energiequellen wie Windkraft oder Photovoltaik. Und weitere Energiequellen werden in den nächsten Jahren vermutlich hinzukommen, so wie die Gewinnung und Speicherung von Energie aus Wasserstoff.

In der Grundlagenforschung wird zudem versucht, weitere Komponenten des Klimawandels zu identifizieren. Denn Kohlendioxid ist zwar die Hauptursache, aber nicht das einzige Problem. Auch das Gas Methan trägt massgeblich zum Klimawandel bei. Immer bessere Materialien werden entwickelt, um solche Gase und Chemikalien aus der Luft herauszufiltern. Diese können im Idealfall dann sogar wiederverwendet werden, um so den Kreislauf zu schliessen. Auch wird geforscht, wie sich der Klimawandel auf welche Länder und Regionen auswirken wird, und wann das jeweils der Fall sein dürfte. Die Forschenden versuchen auch zu verstehen, bis wann wir wie reagieren müssen, um reale Effekte zu erzielen.

Sogar die Wirtschaftsforschung schlägt neue Ideen und Regulierungen vor. Denn die ökonomischen Modelle

müssen sich an den Klimawandel anpassen, wenn wir unter guten Bedingungen weiterleben wollen. Das neue Zentrum Enterprise for Society (E4S) der EPFL in Zusammenarbeit mit der Universität Lausanne und dem IMD befasst sich zum Beispiel mit der Entwicklung neuer Wirtschaftsmodelle, die den Menschen und dem Planeten zugute kommen sollen. Und es bringt auch eine neue Generation von Klimawissenschaftlern und Managern hervor. Da fragt man sich: Warum sind Flüge immer noch so billig? Und warum gibt es immer noch so viele benzinbetriebene Autos, warum die Staus vor dem Gotthard? Welche Mechanismen sind also notwendig, um den Klimawandel zu drosseln?

Die unsichtbare Hand

Die Antwort ist einfach und traurig zugleich: Es gibt immer noch zu viele Skeptiker und Fatalisten. Und sogar Klimaleugner. Sie säen Zweifel, ähnlich wie die Impfgegner, und bremsen die Akzeptanz und den Handlungswillen in der Bevölkerung. Und ihre Argumente spielen auch der berühmten «unsichtbaren Hand» in die Hand, die den Markt zum Wohle der Gesellschaft selbst regeln sollte. Ich muss aber leider zugeben, dass die «sichtbaren Auswirkungen» dieser «unsichtbaren Hand» mich an diesem vermeintlich magischen Mechanismus zweifeln lassen. Und Fakt ist, dass in diesem Zweifel der Sachlage und mit dem

Zum Autor

Prof. Dr. Martin Vetterli (65) ist seit 2017 Präsident der EPFL, der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne. Er wurde in Solothurn geboren, studierte Elektrotechnik an der ETH Zürich und erwarb einen Abschluss der Universität Stanford. Nach seiner Doktorarbeit an der EPFL ging Martin Vetterli an die Columbia University in New York und wurde dort Assistenzprofessor. 1993 wurde er zum ausserordentlichen Professor an die University of California in Berkeley berufen. Zwei Jahre später folgte er einem Ruf zurück an die EPFL. Mit Forschenden aus über 120 Ländern ist die EPFL eine der internationalsten und innovativsten Hochschulen der Welt und betreibt Spitzenforschung in Bereichen wie erneuerbare Energien, Medizintechnik, Neurotechnologien, Materialwissenschaften und Informationstechnologien.

Martin Vetterli selbst hat mehr als 180 Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht, ist Co-Autor von drei Standardwerken und hat rund 50 Patente verfasst, die die Gründung mehrerer Start-ups ermöglichten.

Glauben einer magischen Hand niemand handeln wird.

Es ist wie in der globalen Tabakindustrie vor Jahrzehnten. Die schädlichen Auswirkungen des Rauchens auf die Gesundheit waren schon lange bekannt. Aber aufgrund von Lobbys und bezahlten Wissenschaftlern, die falsche Berichte erstellten, wurden in der Bevölkerung Zweifel gesät. Das war tragisch, denn es verlangsamte den Handlungswillen und die Regulierung um Jahrzehnte. Und kostete Hunderte von Millionen von Menschen das Leben.

Die gute Nachricht ist jedoch, dass ich jeden Tag mehr Menschen höre, die vom Klimawandel überzeugt sind. Und das nimmt zu, denn die Beweise werden weiter wachsen und für uns alle immer sichtbarer. Als Forschende müssen wir also nach wie vor erklären und aufzeigen, dass das Problem real ist. Das kann nicht oft genug gesagt werden. Aber wir müssen auch weiter an Lösungen arbeiten. Lösungen, die umgesetzt werden können. Denn das ist alles, was die Wissenschaft und Technik liefern kann: die Erkennung des Problems und die technischen Lösungen. Für den Rest sind wir als Gesellschaft alle zuständig.

Ich hoffe sehr, dass die Menschheit langsam aufwacht. Und dass wir für einmal nicht rücksichtslos das ganze Holz unseres Planeten verbrennen, bloss um unsere Wetten zu gewinnen wie Phileas Fogg. Klar ist jedenfalls: Wir haben nur eine Gelegenheit, um dieses Experiment erfolgreich durchzuführen.

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Prof. Dr. Martin Vetterli ist Präsident der EPFL, der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne. PD
Ich hoffe sehr, dass die Menschheit langsam aufwacht.

Das Rennen um Netto-Null

Die Klimakrise ermöglicht einer ganzen Generation von Führungskräften enorme Chancen. Diese Wirtschaftstransformation ruft nach Beschleunigung - und neuen Leadern.

zige Ziele für ihre gesamte Lieferkette gesetzt, welche das Tempo des Wandels beschleunigen werden.

Die Dynamik des Klimaschutzes hat exponentiell zugenommen. Ende 2020 haben mehr als 9600 Unternehmen weltweit der internationalen Non-Profit-Organisation CDP (ehemals Carbon Disclosure Project) gegenüber ihre Emissionsdaten offengelegt. Davon hatten bereits rund 3000 Unternehmen Ziele zur Reduzierung von Emissionen festgelegt. 2017 waren es noch weniger als 900. Die Absicht ist klar: Unternehmen, die im Bereich des Klimaschutzes führend sind, können sich dadurch wirksame Vorteile erarbeiten und haben zeitgleich einen enormen Einfluss auf Konkurrenten, Lieferketten und Endkunden. Sie verändern das Rennen, führen es gleichzeitig an und zwingen andere, ihnen zu folgen.

Vorteile der Netto-Null-Strategie

Dass Krisen immer auch Chancen bedeuten, ist eine ökonomische und gesellschaftliche Binsenwahrheit, die aber wohl noch nie so zutreffend war wie heute. Durch die notwendigen Anpassungen, die der politisch unbestrittene Klimaschutz erfordert, steht die Welt vor der grössten friedlichen Transformation in der Geschichte der Menschheit. Einer ganzen Generation von Führungskräften eröffnen sich damit einmalige Chancen – gleichzeitig bedroht der Wandel das etablierte Geschäftsmodell von Unternehmen. Eine enorme Herausforderung.

Tatsächlich ist der Abschied von der fossilen Wirtschaft gewissermassen ein Rennen, dessen Geschwindigkeit viele CEOs und Manager unterschätzen oder noch gar nicht wahrnehmen. In der Studie «Winning the Race to Net Zero», die das World Economic Forum (WEF) in Zusammenarbeit mit der Boston Consulting Group (BCG) erstellt hat, wird deutlich, dass viele Unternehmen vom Ausmass des Wandels überrascht und überfordert sind. Das illustriert auch die Abbildung zu Kapazitäts- und Kostenprojektionen in Bezug auf Photovoltaik, Windkraft und Batterien. Oft würden technologische Prozesse zu konservativ eingeschätzt, heisst es in der Studie:

«So sind die Prognosen für die Kapazität der Photovoltaik zwischen 2002 und 2020 um den Faktor 36 gestiegen,

während die prognostizierten Stückkosten um den Faktor drei gesunken sind. Diese Dynamik des sich gegenseitig verstärkenden technologischen Fortschritts und der Kostensenkung, die in vielen Ländern durch regulatorische Anreize vorangetrieben und unterstützt wird, ist auch bei anderen kohlenstoffarmen Technologien zu beobachten», heisst es in dem Report. Das Beispiel veranschaulicht, wie rapide sich das geschäftliche Umfeld durch die breite Notwendigkeit, klimaschädliche Emissionen zu reduzieren, verändern wird. «Wir befinden uns in einem Jahrzehnt, in dem schnell geliefert werden muss. Die Vorteile des Handelns liegen auf der Hand, und die Kosten der Untätigkeit stellen eine Bedrohung für die gesamte Menschheit dar», sagt Patrick Herhold, Managing Director und Partner am Center for Climate and Sustainability von BCG. Der weltweite Klimaschutz gewinne an Dynamik, und Regierungen und Unternehmen setzten sich Ziele, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären, ist Herhold überzeugt. Dieser sich beschleunigende Klimaschutz-Umstieg werde traditionelle Geschäftsmodelle infrage stellen, aber gleichzeitig Chancen für Vorreiter schaffen.

Nachfrage schiesst in die Höhe Für Jens Burchardt, Managing Director & Partner bei BCG in Berlin, geht es

Wir unterschätzen den technologischen Fortschritt

heute darum, die Weichen für die Fahrt in eine Zukunft zu stellen, die gar nicht so weit entfernt ist: «Die politischen, unternehmerischen und privaten NettoNull-Ambitionen wachsen schnell. Dies wird die Nachfrage nach umweltfreundlichen Technologien und Ressourcen deutlich schneller steigern, als es die meisten Unternehmen derzeit erwarten. Die Nachfrage nach allem, was von erneuerbaren Energien über Elektrofahrzeuge bis hin zu Wasserstoff und recycelten und nicht-fossilen Materialien reicht, wird in die Höhe schiessen, ebenso wie die Nachfrage nach den zugrundeliegenden Rohstoffen. Märkte wie jene für nachhaltige Flugkraftstoffe, in denen die Hersteller noch vor drei bis vier Jahren Schwierigkeiten hatten, Investoren zu gewinnen, sind plötzlich unterversorgt. Es ist gut, auf einem knappen Markt zu sein. Unternehmen, die in der Lage sind, nachhaltige Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, sollten diese, überspitzt gesagt, schon gestern auf den Markt bringen.»

Wie aktuell festzustellen ist, schliesst sich inzwischen das Fenster für Unternehmen, die die Vorteile eines «First Movers» nutzen möchten. Viele Firmen arbeiten bereits intensiv an ihrer Netto-Null-Strategie, was ihnen in absehbarer Zukunft Wettbewerbsvorteile verschaffen wird – beispielsweise manche Anbieter in der Automobilindustrie sowie deren Zulieferer. Viele dieser Unternehmen haben sich auch ehrgei-

Aber welche Strategie im Netto-NullWettbewerb ist die richtige? Welche Chancen eröffnet die Dekarbonisierung und wie machen CEO sich diese zunutze? Eine Lehrmeinung oder gesicherte Erkenntnisse über die richtige, erfolgsversprechende Strategie gibt es noch nicht, aber es gibt die bisherigen Erfahrungen der Führungskräfte, die ihre traditionellen Geschäftsmodelle in Frage gestellt haben und ihre Betriebe, ihre Strategien, ihr Geschäftsportfolio und ihre Organisation bereits erfolgreich umgestalten.

Dabei zeigt sich, dass Unternehmen, die beim Klimaschutz führend sind, attraktiver werden für Talente. Ihre Wachstumsraten sind grösser, und durch die Senkung des CO2-Ausstosses sinken auch die Kosten. Hinzu kommt: Wer den Regulatoren voraus ist, vermindert sein unternehmerisches Risiko. So zeigt eine BCG-Analyse für den CO2Ausgleichsmechanismus der EU in fünf emissionsintensiven Branchen, dass die Emissionskosten bis 2030 zwar die Gewinnspannen in allen Sektoren schmälern würden, Unternehmen, die frühzeitig dekarbonisieren, jedoch um 2 bis 12 Prozentpunkte höhere EBIT-Margen (vor Zinsen und Steuern) erreichen als Konkurrenten, welche die Umstellung verzögern.

Die Untersuchung der Boston Consulting Group zeigen ausserdem, dass Klima-Leader mehr Wachstum für ihre Aktionäre schaffen. Eine Analyse von Anfang 2021 hat deutlich gemacht, dass die führenden Unternehmen des Energiesektors, darunter Enel, Iberdrola, Neste, NextEra Energy und Ørsted, von 2017 bis 2020 jährliche Aktionärsrenditen in der Grössenordnung von 30 Prozent erzielten – ein vergleichbares Niveau wie bei den Technologieunternehmen Amazon, Apple, Facebook oder Google. Und im «Value Creators Report 2021» von BCG ergab eine Finanzanalyse der Bewertungsmultiplikatoren im US-Industriesektor, dass die Emissionsintensität mittlerweile der zweitwichtigste Faktor für die Unternehmensbewertung ist.

Ein Klimaschutz-Businessmodell beginnt damit, die Emissionen des Unternehmens abzuschätzen, das Risiko der Klimafrage zu kalkulieren, ein Netto-Null-Geschäftsmodell zu definieren und sich schliesslich ehrgeizige Ziele zu setzen. Aber um in diesem Wettbewerb vorne mit dabei zu sein, ist nur eine Frage wirklich wichtig: Was ist das Beste, was mein Unternehmen tun kann? Ein Ziel, das heute in der Branche Standards setzt, muss nicht zwingend auch morgen noch ambitioniert sein. Es sei denn, es ist wirklich ehrgeizig und entwickelt sich ständig weiter, wenn sich die Umstände ändern und die Technologien fortschreiten. Führungskräfte, die dies verstehen, können ihre Branche wirklich verändern. Genau solche Leader braucht die Wirtschaft jetzt, um die Transformation voranzutreiben.

Samstag, 17. Dezember 2022 Nachhaltigkeit NZZ-Verlagsbeilage 13
«Viele Firmen arbeiten bereits intensiv an ihrer Netto­Null­Strategie, was ihnen in absehbarer Zukunft Wettbewerbsvorteile verschaffen wird.»
QUELLE: IEA, BNEF, IRENA, BCG
Patrick Herhold ist Managing Director und Partner am Center for Climate and Sustainability von BCG. PD
Kostenprojektionen 2010 2010 2010 ÷ 3.1 ÷ 2.2 ÷ 1.7 2030 2030 2030 2019 2019 2021 2011 2017 2019 2008 2014 2017 Kapazitätsprojektionen Photovoltaik Windkraft Batterien 2010 2010 2010 x36 x7 x2.4 2030 2030 2030 2002 2002 2016 2010 2010 2017 2020 2020 2021

Energieflüsse richtig managen und Kosten senken

In vielen Gebäuden in der Schweiz besteht ein grosses Energiesparpotenzial. Mit einem Monitoring lässt sich der Verbrauch kontrollieren, mit einem intelligenten Leitsystem sogar reduzieren. Die BKW bietet mit ihrer Konzerngesellschaft pi-System GmbH Lösungen für Gebäudeautomation und Managementsysteme an, mit denen kleine und grosse Firmen die Energiekosten in den Griff bekommen.

Gegenwärtig werden die Energiemärkte heftig durchgeschüttelt. Die Preise für Strom, Gas oder Öl sind in den letzten Monaten, als Folge des Ukrainekriegs und wegen der gleichzeitigen Revision mehrerer französischer Atomkraftwerke, stark angestiegen. Wann die Energiekrise enden und eine Preissenkung kommen wird, ist schwer vorauszusagen. Gerade Unternehmen mit einer energieintensiven Produktion, mit einem grossen Filialnetz oder mit viel Bürofläche spüren die Preisentwicklung besonders stark. Aber auch Privathaushalte beschäftigen sich mit der Frage, wie sie ihren Energieverbrauch reduzieren können. Wer die Kosten im Griff behalten will, ist deshalb gut beraten, ein nachhaltiges Energiemonitoring und ein Energieleitsystem einzuführen. Über den Spareffekt hinaus ergeben sich so auch ökologische Vorteile, indem zugleich der CO2-Ausstoss verringert wird. Eine klassische Win-winSituation.

Zuerst Verbrauch eruieren

Um spürbar Energie sparen zu können, muss man als kleine oder grössere Firma aber zuerst den Verbrauch in den einzelnen Gebäuden kennen. Erst dann lassen sich aus den erhobenen Daten Sparpotenziale ableiten und sinnvolle Massnahmen ergreifen. Die pi-System GmbH, eine Konzerngesellschaft der BKW, kann mit intelligenter Gebäudeautomation und innovativen Managementsystemen Unternehmen unterstützen, die ihren Energiekonsum verringern möchten. Pi-System macht sich moderne Technik zunutze und vernetzt Gebäude und Infrastrukturen so, dass sie energetisch intelligent und effizient funktionieren. Dadurch wird der Energieverbrauch verringert und die Umwelt geschont.

Das Angebot von pi-System umfasst Beratung, Planung, Engineering und Wartung der Anlagen. Dabei kommen Softwarelösungen zum Einsatz, die alle Energieverbräuche in Gebäuden wie Elektro, Wasser, Kälte und Wärme erfassen und auswerten. Auf dieser Basis können dann Optimierungen und Einsparungen vorgenommen werden. Sandro Hunkeler, Projekt-Manager bei piSystem, weist darauf hin, dass mit einem Gebäudeleitsystem auch verschiedene Objekte miteinander verglichen werden können. Während es bei kleineren Kunden vor allem um das Messen der Energie und um zwei, drei Optimierungsmassnahmen geht, profitieren grössere Kunden vielfach vom ganzen Spektrum der technischen Möglichkeiten. «Wenn zum Beispiel irgendwo das Licht ausfällt, geht die Notlichtanlage an und der Verantwortliche auf Kundenseite erhält die entsprechende Information als Alarm per E-Mail oder SMS», sagt Sandro Hunkeler.

Alarm bei Abweichungen

Die pi-System GmbH kann aber auch aufzeigen, wenn Energie unnütz verbraucht wird. «Geht in einer Filiale die Beleuchtung am Abend nicht aus oder in der Nacht plötzlich an, dann wird das sofort entdeckt und gemeldet», erklärt der Projekt-Manager. Ein anderes Beispiel betrifft die Tiefkühltruhen bei Grossverteilern. Diese brauchen in der Nacht weniger Strom als tagsüber während der Öffnungszeiten, weil sie nicht dauernd geöffnet und geschlossen oder manchmal sogar ganz offen gelassen werden. Wenn es hier zu einer Abwei-

chung zum vorgegebenen Wert kommt, dann reagiert das System und schlägt Alarm. «Grundsätzlich stellen wir unseren Kunden Werkzeuge und Daten zur Verfügung, damit sie die Massnahmen für Energieeinsparungen umsetzen können», führt Sandro Hunkeler aus. Wenn man die Daten an einem zentralen Ort sammle, liessen sich Vergleiche anstellen; man sehe, wo die Ziele erreicht würden und wo nicht, und es sei erkennbar, wo es auffällige Abweichungen von der Norm gebe.

Auch die Leistung von Photovoltaikanlagen und Lüftungen kann mit der Software von pi-System gemessen werden. Oder diejenige von SchnellLadestationen für Elektroautos. Diese können hohe Kosten durch Lastspitzen verursachen, wenn sie zu einem ungünstigen Zeitpunkt benutzt werden. Ein Energiemanagementsystem ist auch sinnvoll, wenn ein Grossverteiler in einem Gebäude nicht nur eine eigene Filiale betreibt, sondern auch noch Ladenflächen untervermietet. Ein typi-

sches Beispiel hierfür ist ein Einkaufszentrum. «In einem solchen Fall dient die Messung weniger dem Energiesparen. Im Vordergrund steht vielmehr die saubere Verrechnung der Energiekosten», sagt Sandro Hunkeler.

Optimiert wird schon lange

Zwei Grosskunden von pi-System sind die Migros Ostschweiz und die Migros Luzern. Sie teilen sich einen übergeordneten Server für die Datenspeicherung. Mit den Möglichkeiten, den Energiebezug zu reduzieren, beschäftigt sich die Migros Ostschweiz nicht erst, seit die Diskussionen um Klimaschutz und Strommangellage in der Öffentlichkeit

Fahrt aufgenommen haben. Bereits im Jahr 2004 wurde die erste Filiale energieoptimiert. Wie Franco Baumgartner, Fachspezialist Gebäudeleitsystem, sagt, sind dann Schritt für Schritt alle 140 Filialen der Migros Ostschweiz umgerüstet worden, weil sich die Bemühungen bewährt und sie Erfolg gehabt

haben. «Heute werden überall die Heizung, die Lüftung, die Kühlung und die Beleuchtung mit einem sogenannten E3M-System gesteuert.» Damit lasse sich alles auf die Minute genau überwachen und steuern. «Fehler können wir so schnell erkennen und beheben», erklärt er. Für solche Einsätze stehen vor Ort sogenannte technische Hauswarte zur Verfügung.

Mit dem Gebäudeleitsystem von piSystem kann die Migros Ostschweiz in allen Filialen in der Nacht automatisch die Temperatur senken und sie zu den Öffnungszeiten hin wieder erhöhen. Wenn die Läden geschlossen sind, etwa an Sonn- und Feiertagen, passt das System die Beleuchtung und die Temperatur ebenfalls an. Dabei werden auch Wetterprognosen berücksichtigt, um darauf eingestellt zu sein, wenn es plötzlich deutlich wärmer oder kälter werden sollte. «Der erste Angestellte in der Filiale muss jeweils einfach seine Anwesenheit bestätigen, dann startet das System die Beleuchtung in drei Stufen», sagt Franco Baumgartner, der bei der Migros Ostschweiz an der Schnittstelle zur Firma pi-System tätig ist. Er selbst kann mit seinem Mobiltelefon jede einzelne Filiale überwachen und sofort sehen, wenn etwas nicht stimmen sollte. «So sind Fehler rasch erkennbar.» Und eine Änderung der Öffnungszeiten lässt sich genauso einfach anpassen.

Investition lohnt sich

Wie viel Energie sich mit einem Gebäudeleitsystem von pi-System einsparen lässt, kann gemäss Franco Baumgartner nicht so einfach beziffert werden. Das sei im Falle des Kunden Migros Ostschweiz von Filiale zu Filiale unterschiedlich. «Dass sich die Investition aber lohnt, ist finanziell und umweltpolitisch ganz klar.» Man habe die Kosten jederzeit unter Kontrolle und könne auf eine Abweichung vom Normverbrauch sofort reagieren. Und auch der Fortschritt trägt seinen Teil bei: «Denn jeder Umbau einer Filiale bringt im Zusammenspiel mit einem Gebäudeleitsystem eine Energieersparnis von ungefähr 20 Prozent im Vergleich zu vorher», sagt Franco Baumgartner. In den meisten Filialen brauche es gar keine Heizung mehr, weil die Abwärme der Kälteanlage dafür genutzt werde.

Grundsätzlich bietet pi-System kundenspezifische Lösungen an. Jeder Kunde, egal ob gross oder klein, kann entscheiden, was für ihn bei der Datenmessung relevant ist und wo er beim Messkonzept oder bei der Datenauswertung Unterstützung durch die pi-System GmbH wünscht. Grössere Kunden wie die Migros Ostschweiz und die Migros Luzern oder auch die Immobilienfirma PSP analysieren ihren Verbrauch jeweils selbst, erstellen ein eigenes Messkonzept und bestimmen, welche Daten sie miteinander vergleichen wollen.

Bei kleineren gewerblichen Kunden oder Privathaushalten prüft die pi-System zunächst, wo eine Messung Sinn ergibt, und leistet dann Unterstützung beim Erstellen eines Konzepts samt Massnahmen katalog. Den Kunden werden alle Möglichkeiten zur Verfügung gestellt, um den Energieverbrauch zu optimieren. Die Erstellung des nachhaltigen Messkonzepts ist bei sowohl bei Neubauten als auch bei bestehenden Gebäuden möglich und sinnvoll, um für die energieund umweltpolitischen Herausforderungen gewappnet zu sein.

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Bei kleineren Kunden wird zunächst geprüft, wo eine Messung Sinn ergibt, um sie anschliessend beim Erstellen eines Konzepts samt Massnahmenkatalog zu unterstützen. Links Bernhard Sax, CEO der pi-System, und Sandro Hunkeler, Projekt-Manager bei der pi-System. FOTOS: PD
Softwarelösungen, die alle Energieverbräuche in Gebäuden wie Elektro, Wasser, Kälte und Wärme erfassen und auswerten.

Mit zuverlässigen Daten zum

Ziel Netto-Null

Nachhaltigkeit ist längst zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor avanciert. Swisscom unterstützt

Unternehmen dabei, ihren ökologischen Fussabdruck zu verringern. Der erste Schritt hierfür ist eine korrekte Klimabilanz, erstellt auf der Grundlage verlässlicher Daten.

CO2-Management, Dekarbonisierung und Klimabilanz sind Stichworte, die heute so selbstverständlich zum Geschäftsleben gehören wie Homeoffice oder Teams-Meeting. Die Unternehmen in der Schweiz würden den Handlungsbedarf rund um das Thema Nachhaltigkeit und CO2-Neutralität auch deutlich spüren, sagt Urs Lehner, Leiter Swisscom Business Customers. «Viele von ihnen machen sich deshalb daran, die eigenen Abläufe und Services zu optimieren, aber auch die gesamte Wertschöpfungskette, einschliesslich der Lieferanten.» Hierzu gehören nicht nur Investitionen in IoT-Technologien zur Steuerung des Stromnetzes oder die Elektrifizierung des Fahrzeugparks, sondern auch das Aufgleisen emissionsarmer Prozesse mit dem Ziel Netto-Null.

Am Anfang steht die Klimabilanz Nicht zuletzt die Corona-Pandemie habe dafür gesorgt, dass die Wirtschaft heute vor ganz neuen Herausforderungen stehe, betont auch Othmar Hug, CEO von Swiss Climate, einem auf die Bereiche CO2-Management, Nachhaltigkeit, CO2-Kompensation und Energie spezialisierten Beratungsunternehmen. «Unternehmen, auch kleine und mittlere, müssen sich jetzt die Frage stellen, ob sie in Sachen Nachhaltigkeit einfach mit dem Strom schwimmen möchten oder ob sie zu den Vorreitern gehören und sich damit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollen.» Eine weitere Option gibt es seiner Ansicht nach nicht. Denn ein Abseitsstehen wirke sich fatal aus. Das betreffe nicht alleine die Geschäftsgänge, welche immer stärker mit ökologischen Regulativen und Parametern verknüpft seien, sondern ganz besonders auch die personelle Situation. «Für viele Fachkräfte und Stellensuchende spielen die Faktoren Nachhaltigkeit und Klimaengagement bei der Wahl des Arbeitgebers eine ganz wichtige Rolle, besonders innerhalb der nachrückenden Generation», weiss Hug. Auch würden Kundinnen und Kunden Firmen mit ökologischem Gewissen als weit attraktiver einstufen als solche, die sich nur bedingt um Umweltaspekte kümmern. «Immer öfter verlangen Auftraggeber zudem von ihren Zulieferern den Nachweis, dass deren Produkte nachhaltig und unter fairen Bedingungen hergestellt worden sind.» Ohne entsprechende Garantie kein Auftrag – so einfach sei das, bilanziert Othmar Hug. Der CO2-Ausstoss, die Klimabelastung, der Umgang mit der Umwelt ganz allgemein: Alles das wird zu einem eigenständigen Differenzierungsmerkmal. Und nachhaltiges Wirtschaften ist schon heute ein wichtiger Wettbewerbsfaktor – einer, der zwangsläufig an Bedeutung zulegen dürfte. Darin sind sich die Fachleute einig. Doch wie lassen sich die mit der Dekarbonisierung verknüpften Ziele überhaupt erreichen? Wo kann gerade ein kleineres Unternehmen den Faden aufnehmen? Welche Werkzeuge sind für welche Prozesse vorhanden? Und: Welchen Aufwand in administrativer, personeller und nicht zuletzt finanzieller Hinsicht bringt ein solches Unterfangen mit sich?

Fragen, mit denen sich Michele Savino tagtäglich auseinandersetzt. Er ist Business Analyst Marketing & Digital Interaction bei Swisscom. Für ihn ist klar: «Gerade KMU finden in den neuen Technologien und digitalen Abläufen jene Werkzeuge, die es ihnen ermöglichen, als Betrieb nachhaltiger

zu wirtschaften.» Dreh- und Angelpunkt bildet dabei eine datenbasierte Klimabilanz. Sie ist die Grundlage für jeden Massnahmenkatalog und für jede Nachhaltigkeitsstrategie. Swisscom bietet dazu eine breite Palette an modular nutzbaren Services und Lösungen an, die bei der Klimabilanzierung wertvolle Dienste leisten. Als Erstes werde eine unterstützende Softwarelösung benötigt, erklärt Savino. «Daran schliesst sich eine Beratungsleistung an, wenn es um die Entwicklung einer nachhaltigen Klimastrategie geht. Mit zusätzlichen Zertifizierungs-Dienstleistungen können die Bemühungen des Unternehmens durch Auditoren bestätigt werden.» Als weitere wichtige Komponente führt Savino schliesslich die Daten an, welche über Sensoren (IoT) gewonnen werden und genaue Informationen über das Umweltverhalten eines Unternehmens liefern. Damit könne beispielsweise eine nachhaltige Mobilität und die Gebäudeeffizienz messbar gemacht werden. «Diese Daten werden in cloudbasierten Plattformen gespeichert, um dann mittels künstlicher Intelligenz zu smarten Informationen verarbeitet zu werden. So wird eine Reduktion des ökologischen Fussabdrucks ermöglicht.»

Herausforderung

Lieferkette

Im Unterschied zu gängigen CO2-Fussabdruckanalysen, die sich vielfach noch auf Umfragen, Schätzungen, Modellen und Exceltabellen abstützen, ist die datengetriebene Analyse faktenbasiert und daher logischerweise auch viel präziser. Sie bietet eine Grundlage für messbare Zielsetzungen, ausserdem lässt sich mit ihrer Hilfe die Wirkung von bereits ergriffenen Massnahmen genau erfassen. «Letztlich verhält es sich mit der Klimabilanzierung oder dem «Carbon Accounting» nicht viel anders als mit einer Finanzplanung», bemerkt dazu Othmar Hug. Diese funktioniere auch nur, wenn Eingaben und Ausgaben korrekt ausgewiesen würden. «Carbon Accounting und Klimabilanz werden in den nächsten drei Jahren für mittelständische und grosse Unternehmen praktisch zur Pflicht werden», ist sich der CEO von Swiss Climate sicher. Klar ist: Um eine saubere «Buchhaltung» zu erstellen, müssen umfangreiche Emissionsdaten verfügbar gemacht werden. Das bezieht sich nicht nur auf das Wirtschaften im eigenen Haus, sondern eben auch auf die gesamte Liefer-

kette. Und hier wartet die wohl grösste Herausforderung. Denn Hand aufs Herz: Wer ist schon imstande, wirklich lückenlos aufzuzeigen, wo, wann, weshalb und in welchem Ausmass er die Umwelt belastet hat? Die Marktforscher von PAC jedenfalls haben im Auftrag von Swisscom eruiert, dass aktuell weniger als 15 Prozent der (namhaften) europäischen Unternehmen den vollständigen Überblick über ihre hausgemachten Emissionen haben, geschweige denn in der Lage sind, die gesamte Lieferkette bezüglich umweltbelastender Faktoren zu protokollieren. «Wenn man bedenkt, dass der grösste Teil der Emissionen gerade in der Lieferkette entsteht oder, fachlich korrekt bezeichnet, in Scope 3 (entsprechend dem Standard des internationalen Treibhausgasprotokolls, Anm. d. Red.), und diese nicht immer Bestandteil der Klimabilanzen sind, dann besteht da doch einiges an Nachholbedarf», gibt sich Michele Savino diplomatisch. Immerhin haben in derselben Erhebung 43 Prozent der befragten Unternehmen ebenfalls angegeben, sie wollten noch vor dem Jahr 2030 klimaneutral wirtschaften. 44 Prozent gaben an, dieses Ziel bis spätestens 2030 erreichen zu wollen. Zahlen, die grundsätzlich Mut machen.

Vom Anwendungsfall zur sicheren Lösung

Swisscom unterstützt Partner und Unternehmenskunden in verschiedenen Bereichen auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. In einem Pilotprojekt werden zum Beispiel gemeinsam datenbasierende Anwendungsfälle entwickelt. Sie sollen dazu beitragen, den ökologischen Fussabdruck zu verringern. Ausserdem wird den Kunden die Auswahl von Lieferanten und Partnern erleichtert. Und schliesslich garantieren energieeffiziente Datenübertragungsnetze und IT-Infrastrukturen eine sichere und erfolgreiche Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie.

Gross und klein –gemeinsam unterwegs Swisscom selber verfolgt ebenfalls äusserst ambitionierte Ziele im Klimaschutzbereich. Das Unternehmen verfügt bereits über viel Erfahrung im Umgang mit Technologien, Daten und einem grünen Portfolio in der Informations- und Kommunikationstechnologie. «Auf dem Weg zur Klimaneutralität sind Daten ein Schlüsselelement», betont Urs Lehner. Dank dem jahrzehntelangen Engagement für die Umwelt gilt Swisscom heute als nachhaltigstes Telekommunikationsunternehmen der Welt. Bis ins Jahr 2025 will der Konzern nach eigener Aussage Klimaneutralität über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg erreichen. Und nicht nur das, wie Lehner weiter ausführt: «Zusätzlich wollen wir einen positiven CO2Beitrag leisten und zusammen mit unseren Kundinnen und Kunden eine Million Tonnen an Emissionen pro Jahr einsparen.»

Weil Alleingänge kaum effizient seien, müsse es darum gehen, ein datengetriebenes Ökosystem zu etablieren, dem sowohl grosse Betriebe als auch mittelständische und kleine Unternehmen angehörten, betont Michele Savino. «Nur wenn wir alle mit an Bord holen können, erreichen wir letztlich das Ziel Netto-Null.» Er ist sich sicher, dass selbst kleinere KMU oder Handwerksbetriebe mit einfachen und pragmatisch aufgesetzten Lösungen, den richtigen Services und der einen oder anderen Hilfestellung eine saubere Klimabilanz erstellen und somit auch mehr Nachhaltigkeit erzielen können. Die Herausforderung sieht der Business Analyst andernorts: «Wie im Zuge der gesamten Digitalisierung ist es auch hier wichtig, die gewohnten Wege zu verlassen und neue Möglichkeiten als Chance zu sehen – und nicht als Gefahr.»

Quelle: Swisscom-Trendpaper «Wie Daten und Digitalisierung den Weg zu Innovation weisen» – Copyright PAC GmbH (2022).

Samstag, 17. Dezember 2022 Nachhaltigkeit NZZ-Verlagsbeilage 15
Nachhaltiges Wirtschaften ist schon heute ein wichtiger Wettbewerbsfaktor – einer, der zwangsläufig an Bedeutung zulegen dürfte. FOTOS: PD Michele Savino Business Analyst, Swisscom
Othmar
Urs Lehner Leiter Business Customers, Swisscom
Hug CEO, Swiss Climate

«Lieber weniger versprechen, dafür umso konkreter»

Thomas Becker, Leiter für Nachhaltigkeit und Mobilität der BMW Group, über das Ziel des Autoherstellers, seinen CO2-Fussabdruck bis 2030 um 40 Prozent zu senken, obwohl die Zulieferer rund zwei Drittel dessen ausmachen – es gilt, alle in die Pflicht zu nehmen.

Was halten Sie von der neuen Isetta?

Thomas Becker: (lacht) Wir haben in der Autoindustrie jahrzehntelang über Konsolidierung diskutiert: Unternehmen mit immer weniger Marken und Modellen. Erstaunlicherweise passiert nun genau das Gegenteil: mehr Angebote, mehr Anbieter und neue Länder, aus denen Autos kommen.

Aus Schweizer Sicht kann man stolz sein, dass hierzulande ein E-Auto in Anlehnung an BMWs Rollermobil aus den 1950er-Jahren gebaut wird. Doch: Macht ein elektrischer Stadtflitzer auf drei Rädern Sinn?

Ich kommentiere Wettbewerber nicht. Ich kann nur sagen: Ich habe mal eine von unseren Isettas gefahren – da sieht man den Fortschritt, den wir in der Zwischenzeit erreicht haben.

Eines der Nachhaltigkeitsziele der BMW Group ist es, dass bis 2030 mindestens die Hälfte der Fahrzeugauslieferungen auf vollelektrische Autos entfallen. Wie weit sind Sie aktuell?

Wir haben viele Verträge mit Zulieferern geschlossen, die nun sukzessive in die Umsetzung gehen. Das heisst, der Fussabdruck unserer Fahrzeuge geht kontinuierlich runter. Wir springen aber nicht auf einen Schlag, sondern wir befinden uns in einer Anflugkurve auf dieses Ziel. Entsprechend verändern sich Dinge im Landeanflug.

Inwiefern?

Wenn wir heute einen Verbrauchswert Liter pro Kilometer haben, dann ist der am ersten Tag gleich hoch wie am letzten Tag. Bei der Lieferkette von Fahrzeugen ist es so, dass wir während der Laufzeit eines E-Autos den Fussabdruck verringern können – und das ist bei elektrischen Fahrzeugen besonders wichtig. Zum Beispiel weil wir immer mehr Sekundärmaterial verwenden, indem wir unsere Umweltbilanz schon beim Einkauf von Produkten für die Herstellung verbessern.

Gilt das auch für Software-Updates?

Wir erzielen dadurch zwar Verbesserungen in der Nutzung eines Fahrzeugs, also auf der Strasse beim Kunden. Wir können jedoch nicht den Fussabdruck in der Herstellung rückwirkend verändern.

Und nach vorne betrachtet?

Wir lassen Ökobilanzen machen, die zeigen, dass jeder Nachfolger besser ist als sein Vorgänger und dass ich als Fahrer eines E-Autos – über eine realistische Lebensdauer hochgerechnet – auf jeden Fall netto positiv bin. Dazu gehört aber auch, dass ich als Nutzer die Verantwortung mittrage. Etwa indem ich zum Aufladen nur grünen Strom verwende.

Das Puzzle hat viele Teile und wir müssen alle Stellschrauben nutzen. Es ist ein dickes Brett, das wir hier bohren. Extern fangen wir bei den grossen Brocken an, beispielsweise bei den direkten Einkäufen von Stahl und Aluminium oder von den Batteriezellen. Dabei kann es nicht bleiben. Wir müssen auch in der zweiten und dritten Stufe der Lieferkette vermehrt Massnahmen ergreifen, damit der Fussabdruck runtergeht. Hier sehen wir in den letzten Monaten viele positive Anzeichen einer Beschleunigung.

Die Krux ist, dass Ihre Zulieferer rund 70 Prozent des Fussabdrucks ausmachen. Ist das nicht ein bisschen wie zu kämpfen gegen Windmühlen?

Wenn wir nichts machen würden, dann hätten wir wahrscheinlich bald mehr CO2 in den Bauteilen als auf der Strasse. Das geht natürlich nicht. Deshalb müssen wir das ändern und nehmen unsere Lieferanten vor- und nachgelagert in die

Pflicht – im gemeinsamen Dialog. Dann passiert auch etwas. Viele unserer Lieferanten sind Unternehmen, die selbst eine ambitionierte Agenda haben. Sie arbeiten in energieintensiven Branchen, die politisch und öffentlich unter der Erwartung stehen, dass mehr passiert. Wir ziehen auf Kundenseite also zusätzlich dran.

Wie relevant beziehungsweise aktiv sind in diesem Zusammenspiel die Schweizer Zulieferer?

Wir merken, dass die Kompetenz vieler unserer Lieferanten massiv zunimmt.

Speziell die Schweizer Unternehmen leben unsere Kernwerte wie Verlässlichkeit und Verbindlichkeit. Denn Vertrauen ist ein äusserst knappes Gut, gerade beim Thema Automobil. Wenn wir etwas behaupten, dann müssen wir auch belegen können, dass dem so ist oder dass wir es tun. Nur indem wir aktiv informieren, können wir kritischen Fragen standhalten – und dies für alle direkten und indirekten Bereiche, die unseren Fussabdruck ausmachen.

Die Autoindustrie hat nicht immer den besten Ruf, wenn es um Fakten geht. Nun gibt sich die BMW Group sehr transparent: Glauben Ihnen die Leute?

Da müssen Sie die fragen, die das überprüfen. Ich glaube jedoch: Wir haben des Öfteren bewiesen, dass wir das, was wir sagen, auch machen. Und manchmal sagen wir auch das, was draussen nicht gerade gerne gehört wird. Denn am Ende müssen wir das Vertrauen in unsere Ehrlichkeit sichern. Lieber etwas weniger versprechen, dafür umso konkreter – und liefern, was man behauptet.

Versprechen Sie deshalb, den Fussabdruck als Unternehmen bis 2030 um 40 Prozent zu senken, und proklamieren nicht gleich Netto-Null bis 2050?

Das Kernproblem hier ist die Geschwindigkeit, mit der wir vorankommen, und die bestimmen wir nicht allein. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Beispielsweise die Frage, wann es in welcher Menge CO2-freien Stahl gibt, daran können wir ziehen und zur Dynamik beitragen, aber es nicht bestimmen. Ebenso das Hochfahren der Elektromobilität am Markt. Und wenn Sie als Autohersteller mit vollelektrischen Fahrzeugen wirklich CO2-neutral sein wollen, dann heisst das, dass 100 Prozent Ihrer Kun-

den mit grünem Strom fahren. Entscheiden wir darüber, wann das wie schnell der Fall ist? Nein. Aber wir wissen, an welchen Hebeln wir in den nächsten sieben Jahren drehen können, um unser gestecktes Etappenziel zu erreichen.

Stapeln Sie nicht zu tief?

Wir schauen uns jetzt schon an, wie es danach weitergeht. Aber der Punkt, an dem ich sage: Das ist ein konkretes Ziel, das in Vorgaben für eine grosse Menge von Leuten in unserem Haus übersetzt wird, die anschliessend daran gemessen werden, die dürfen erwarten, dass ich nicht irgendeine Aussage mache, mit der ich draussen gut punkte, sondern die können zurecht erwarten, dass dahinter ein realistisches Mass an Sorgfalt und Sicherheit steckt.

Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Strommangellage, Rezession bis Inflation: Welchen Einfluss hat die aktuelle Grosswetterlage auf Ihre Ambitionen? Wir können heute aus diversen Gründen leider nicht so viele Fahrzeuge bauen, wie wir verkaufen könnten, weil wir nach wie vor die Herausforderung der Halbleiter-Verfügbarkeit haben. Und auch wir hatten wegen des Ukraine-Kriegs einige Unterbrechungen, die wir mittlerweile wieder gut im Griff haben. Aber aktuell ist das Thema Chips für alle in der Autoindustrie weiterhin eine Herausforderung.

Mit Blick auf die nächsten sieben Jahre auf 2030: Was bedeutet das für Ihre Ambitionen, zu 50 Prozent vollelektrisch zu werden?

Wir haben viele E-Absatzmärkte, in denen es sehr schnell vorangeht. Nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Norwegen, sondern beispielsweise auch die Schweiz, Grossbritannien, Belgien und Frankreich. Wir haben in Europa aber ein massives Nord-Süd-Gefälle und ein Ost-West-Gefälle. Wenn wir nur über vollelektrisch reden, dann sind aber nicht die ersten 50 Prozent die Knacknuss, sondern die letzten 25 Prozent. Nämlich Leute, die in Regionen leben, wo die Infrastruktur-Ausstattung defizitär ist. Schauen Sie sich mal Italien oder Spanien an: Das sind grosse Märkte, wo es entscheidend ist, dass es anders wird. Das können wir als Autohersteller nicht steuern, aber wir werden ein elektrisches Angebot in jedem Segment haben, um möglichst schnell voranzukommen.

Und wie realistisch ist es, den Fussabdruck als Unternehmen bis 2030 um 40 Prozent zu senken? Sehr. Unser Fussabdruck wird durch Elektrifizierung deutlich runtergehen, aber er wird noch stärker runtergehen, indem wir elektrifizieren und parallel dazu die Lieferkette in den Griff bekommen. Wir machen beides, und zum Erreichen des Pariser Klimaabkommens müssen Sie als Unternehmen beides machen. Sonst kommen Sie nur zu einer CO2-Neutralität, für die Sie ganz viel kompensieren müssen – oder Sie erreichen sie nicht. Unser Ansatz ist aber nicht das Kompensieren: Wenn wir uns Minderungsziele setzen, dann wird gemindert. Wozu wir uns aufgrund des Engagements in der Science Based Targets initiative (SBTi) verpflichtet haben.

Gilt das auch für Fahrzeuge mit Benzinoder Dieselantrieb?

Ja. Solange wir Verbrenner herstellen und verkaufen, machen wir auch diese effizienter. Wir investieren nach wie vor in die Nachhaltigkeit dieser Antriebe –und dies von der Erzgrube bis zum 200 000-sten Kilometer.

Was treibt Sie persönlich an, PS für eine nachhaltige Zukunft auf die Strasse zu bringen?

Dass wir als BMW Group auch in zehn Jahren noch dem gerecht werden, was zu Recht von uns erwartet wird – von unseren Kunden, von unseren Partnern, von unseren Investoren und allgemein von der Gesellschaft. Dafür gehe ich mit gutem Beispiel voran.

Interview: Norman Bandi

Zur Person

Dr. Thomas Becker ist seit etwas mehr als drei Jahren Leiter der Abteilung Nachhaltigkeit und Mobilität bei der BMW Group in München. Davor war er von 2007 bis 2019 Leiter der Abteilung Politik und Aussenbeziehungen und verantwortete unter anderem die globale CSR- und Nachhaltigkeitskommunikation des Unternehmens.

Thomas Becker begann seine Karriere als Referent in der Abteilung für Umweltpolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin. Später nahm er verschiedene leitende Positionen beim Verband der Automobilindustrie (VDA) in Frankfurt ein. Die BMW Group mit Hauptsitz in München ist mit ihren vier Marken BMW, Mini, Rolls-Royce und BMW Motorrad einer der führenden Premium-Hersteller von Automobilen und Motorrädern. Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 125 000 Mitarbeitende.

16 NZZ-Verlagsbeilage Nachhaltigkeit Samstag, 17. Dezember 2022
«Wenn wir nichts machen würden, dann hätten wir bald mehr CO² in den Bauteilen als auf der Strasse.»
«Wenn wir etwas behaupten, dann müssen wir auch belegen können, dass dem so ist oder dass wir es tun», sagt Thomas Becker, Leiter für Nachhaltigkeit und Mobilität der BMW Group. SANDRA BLASER

E-Autos: Die Schweiz rüstet massiv auf

Die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen steigt. Doch kann der Ausbau der Infrastruktur mit diesem Trend mithalten? Ist die Reichweite eines E-Autos für den Alltag heute schon ausreichend? Und was sollte man beim Laden beachten? Hier die wichtigsten Antworten.

SOPHIE ZELLWEGER

Im aktuellen Jahr ist der Anteil der neu zugelassenen E-Autos in der Schweiz auf mehr als 8 Prozent gestiegen – 2020 waren es nur etwas mehr als 14 Prozent. Diese Entwicklung ist erfreulich, denn die Elektrifizierung der Neuwagenflotte trägt erheblich dazu bei, die CO2-Emissionen zu reduzieren und die Klimaziele zu erreichen. Wie eine Umfrage des TCS zeigt, ist die allgemeine Akzeptanz von E-Autos deutlich gestiegen: Unabhängig vom Bedarf eines Fahrzeugs kann sich heute mehr als die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer vorstellen, in den nächsten drei Jahren «sehr wahrscheinlich» oder «eher wahrscheinlich» ein Elektroauto zu kaufen. Diejenigen, die noch zögern, äussern häufig Bedenken im Hinblick auf die Reichweite oder die Lademöglichkeiten. Sind diese Vorbehalte begründet? Wir geben Antworten auf die häufigsten Fragen:

Genügt die Reichweite im Alltag?

Moderne Elektroautos verfügen je nach Grösse der Batterie über eine Reichweite von 300 bis 600 Kilometern. Statistiken zeigen, dass Privatpersonen in der Schweiz durchschnittlich nur gerade 38 Kilometer pro Tag mit dem Auto zurücklegen. Selbst wer mit dem Firmenwagen im Aussendienst unterwegs ist, wird diese Kilometerzahl kaum überschreiten. Wenn das Fahrzeug über Nacht aufgeladen wurde, muss es unterwegs also nur in Ausnahmefällen mit Strom versorgt werden.

Ist die Schweiz vorbereitet auf eine steigende Anzahl von Elektroautos?

Im Frühsommer 2022 wurde die Roadmap Elektromobilität 2025 offiziell verabschiedet. Die Initiative, die das Ziel hat, Elektromobilität für alle zugänglich zu machen, umfasst 75 Massnahmen, die sicherstellen sollen, dass die Ladeinfrastruktur mit dem Wachstum der Elektrofahrzeugflotte mithält. Dazu gehören der Ausbau der Lademöglichkeiten in Mehrparteiengebäuden und in den Quartieren. Denn nicht nur Hauseigentümer, sondern auch Mieter und Stockwerkeigentümerinnen sollen zukünftig die Möglichkeit haben, ihr E-Auto am Wohnort zu laden.

Wie viele öffentliche Ladestationen stehen heute zur Verfügung?

Heute findet man in der Schweiz mehr als 8500 öffentliche Ladestationen –diese sind auf www.ich-tanke-strom.ch abrufbar. Die Akteure der Roadmap Elektromobilität 2025 verfolgen das Ziel, die Zahl der allgemein zugänglichen Ladestationen bis Ende 2025 auf 20 000 zu erhöhen.

Wo sind die allgemein zugänglichen Stromtankstellen anzutreffen?

Ladestationen findet man beispielsweise auf öffentlichen Parkplätzen, in Parkhäusern oder in Einkaufszentren. Bei einigen Supermärkten kann man das Auto sogar kostenlos mit Strom versorgen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Smartphone-Apps, die anzeigen, wo sich die nächste Ladestation befindet, darunter Zurich Z Volt, Chargemap, swisscharge, PlugShare, TCS eCharge sowie Move, evpass, nextcharge, Plug’n roll, Fastned eCarUp und weitere.

Wie kann man tagsüber unkompliziert laden?

Was, wenn das Auto nicht über Nacht aufgeladen werden konnte und der Batteriestand niedrig ist? Tagsüber ist oft-

mals das Laden am Arbeitsplatz eine gute Lösung – immer mehr Unternehmen bieten ihren Mitarbeitenden diese Möglichkeit. Doch auch Parkzeiten können zum Laden genutzt werden. Beispielswiese, während man einkauft, Kaffee trinkt oder Sport treibt. Wenn die Zeit knapp ist, reicht oft schon eine Viertelstunde an einer Schnellladestation, um das Fahrzeug für die nächste Etappe mit sauberer Energie zu versorgen.

Wie lange muss man laden, um 100 Kilometer weit fahren zu können?

Die Ladegeschwindigkeit wird in km/h gemessen und gibt an, wie viele Kilometer Reichweite in 60 Minuten geladen werden können. Sie hängt von verschiedenen Faktoren ab: der Leistung der Ladestation, der Ladeleistung des Elektroautos, dem Ladezustand der Batterie und der Aussentemperatur. Somit kann die Ladedauer für 100 Kilometer je nach Fahrzeug und Ladekategorie stark variieren: zwischen 8 Stunden (Langsamladen – beispielsweise an der Haushaltssteckdose zuhause) und 5 Minuten (High-Power-Charging an öffentlichen Schnellladestationen).

Wechselstrom oder Gleichstrom?

Wechselstrom (Kürzel: AC) ist der herkömmliche Strom aus dem Netz. Damit lassen sich E-Autos zuhause an einer geeigneten Steckdose oder Wallbox laden. Gleichstrom (DC) ist nur an Schnellladestationen, wie man sie beispielsweise an Autobahnen und Nationalstrassen findet, erhältlich. Dazu muss man wissen: Batterien von E-Autos können nur Gleichstrom aufnehmen, weshalb der Strom vorher umgewandelt werden muss. Dies geschieht je nach Ladeart entweder direkt im Elektrofahrzeug oder bereits in der Ladesäule.

Weshalb braucht es zuhause eine Wallbox?

Mit einer normalen Haushaltssteckdose würde ein E-Auto etwa 10 Kilometer pro Stunde geladen. Dies wird nicht empfohlen, denn abgesehen von

der langen Ladedauer sind die Leitungen nicht für solche Dauerbelastungen angelegt und könnten überhitzen. Beim Laden von E-Autos fährt man mit Starkstrom am besten. Die sicherste und effizienteste Lösung ist eine kleine Ladestation an der Wand. Eine Wallbox lässt sich mit geringem Aufwand einbauen, ist von verschiedenen Anbietern erhältlich und kostet mit Montur zwischen 2000 und 5000 Franken. Je nach Leistung lädt man so rund 60 Kilometer pro Stunde. Eine Wallbox kann zudem mit einer Photovoltaikanlage und dem Energiemanagementsystem des Gebäudes abgestimmt werden. Dies ist vor allem bei Mehrparteiengebäuden relevant.

Welche Lademöglichkeiten haben Mieterinnen und Mieter?

E-Auto-Fahrerinnen und Fahrer, die zur Miete wohnen und zuhause noch keine Lademöglichkeiten haben, brauchen für die Installation von Wallboxen das Einverständnis der Verwaltung und/oder der Eigentümerschaft. Um eine Überlastung des Hausanschlusses und somit Stromausfälle zu vermeiden, muss ein Lademanagement installiert werden, das die verfügbare Last des Hausanschlusses auf die Ladestationen verteilt – dies wird ab drei Wallboxen empfohlen. Es ist deshalb sinnvoll, in einem Mietshaus von Anfang an eine ganzheitliche Lösung für mehrere Elektroautos zu planen.

Wie viel kostet das Laden zuhause?

Idealerweise lädt man das E-Auto über Nacht zuhause. Dies kostet für 100 Kilometer weniger als 6 Franken (20 kWh bei einem durchschnittlichen Schweizer Strompreis von 26.9 Rp./kWh). Wer eine Photovoltaikanlage installiert hat, kann den Strom für das Elektrofahrzeug sogar selbst herstellen. Dieser ist günstiger als der Strom vom Netz und zudem zu 100 Prozent emissionsfrei. Ausserdem wird so der Eigenverbrauch gesteigert, was wiederum die Photovoltaikanlage rentabler macht. Ein Elektroauto verbraucht in etwa gleich viel Strom wie der Warmwasserboiler einer

Schweizer Vierzimmerwohnung – das sind im Durchschnitt rund 3000 kWh pro Jahr.

Wie gross muss eine Sonnentankstelle sein?

Um diese Energiemenge mit Sonnenstrom vom eigenen Hausdach zu erzeugen, sind mindestens 15 Quadratmeter Solarpanels notwendig. Es ist jedoch ratsam, die Anlage so gross wie möglich zu planen, um nicht nur das Auto, sondern den gesamten Haushalt mit eigenem Strom versorgen zu können. Das Laden mit Solarstrom ist selbst dann sinnvoll, wenn das Auto tagsüber nicht in der Garage steht: In Kombination mit einem Zwischenspeicher lässt sich der am Tag erzeugte Strom auch nachts nutzen.

Kann ein E-Auto als Speicher für Solarstrom genutzt werden?

Elektroautos können in der Regel mehr Energie speichern, als sie für die täglichen Fahrstrecken benötigen. Immer mehr Elektrofahrzeuge funktionieren deshalb wie eine Powerbank und können Strom sowohl speichern als auch abgeben. Beim sogenannten bidirektionalen Laden kann die elektrische Energie mit geeigneter Ladeinfrastrukur (zum Beispiel sun2wheel) in beide Richtungen fliessen, also auch vom E-Auto zurück zum Gebäude. Mit einer intelligenten Steuerung lässt sich das Elektroauto passend zum individuellen Tagesablauf laden und entladen. So wird sichergestellt, dass das Fahrzeug idealerweise ausschliesslich mit eigenem Solarstrom betankt wird, aber auch immer über genügend Reichweite verfügt.

Wie lädt man eine Batterie richtig?

Um die Lebenszeit der Batterie zu verlängern, sollte ein E-Auto nicht ständig ganz vollgeladen werden. Zudem muss man darauf achten, die Batterie nie ganz leer zu fahren. Optimal ist ein Ladestand zwischen 20 und 80 Prozent. Langsames Laden zuhause ist besser für die Batterie als Schnellladen unterwegs. Zudem sollten extreme Hitze und extreme Kälte vermieden werden. Je grösser die Batte-

rie ist, desto länger ist ihre Lebensdauer, da sie für die gleiche Distanz weniger Ladezyklen durchlaufen muss. Lässt sich ein E-Auto mit der drohenden Energiekrise vereinbaren?

Angesichts der potenziellen Strommangellage stellt sich die Frage, ob das Problem durch die steigende Zahl der Elektrofahrzeuge noch verschärft wird. Statistiken zeigen, dass die 110 000 E-Autos auf den Schweizer Strassen ein halbes Prozent des gesamten Stromverbrauchs des Landes ausmachen. Zudem sparen sie jährlich etwa 100 Millionen Liter Treibstoff. Darüber hinaus müssen sie auch nicht alle zeitgleich laden: Dank intelligentem Lastmanagement können Elektrofahrzeuge dann Strom beziehen, wenn der allgemeine Verbrauch tief ist. Dadurch sinkt der Energieverbrauch und die Abhängigkeit von globalen Krisen und Lieferengpässen.

Fahr mit dem Strom

Im Frühling lancierte EnergieSchweiz, ein Programm des Bundes, die Kampagne «Fahr mit dem Strom». Diese soll die wichtigsten Fragen rund um Umwelt, Laden und Elektroautos beantworten und so den Umstieg auf energieeffiziente Fahrzeuge so einfach wie möglich machen. Unter fahr-mit-dem-strom.ch finden Interessierte Wissenswertes zum neuesten Stand der Technik und darüber, wie diese neue Form der Mobilität in den jeweiligen Alltag und zu jeder Wohnsituation passt. Ziel der Kampagne ist es nicht, zur Anschaffung eines Autos zu motivieren. Menschen, die über einen Autokauf nachdenken, sollen jedoch Zugang zu Informationen haben, die ihnen bei der Wahl eines sauberen und energieeffizienten Modells helfen. Damit können Autofahrerinnen und Autofahrer einen persönlichen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten.

Samstag, 17. Dezember 2022 Nachhaltigkeit NZZ-Verlagsbeilage 17
Im vergangenen Jahr ist der Anteil der neu zugelassenen E-Autos hierzulande auf mehr als 22 Prozent gestiegen. BFE

Anzeichen für eine grosse Trendwende

Vieles deutet darauf hin, dass wir in den nächsten Jahren grosse Fortschritte bei der Abwendung der Klimakrise machen werden. Beim Schutz der Biodiversität sind wir allerdings noch nicht so weit.

ION KARAGOUNIS

Natürlich kenne ich sie, die Berichte und Bücher mit Titeln wie «Noch nie war die Erde ein besserer Ort», «Früher war alles schlechter» oder «99 Dinge, die letztes Jahr besser wurden.»

Da geht es um abnehmende Kindersterblichkeit und Terrorhäufigkeit, weniger Verkehrs- und Malariatote oder um steigende Alphabetisierungsraten und wachsenden Wohlstand. Nur ein Thema fehlt regelmässig: der Zustand der Umwelt und des Klimas. Falls es dennoch zur Sprache kommt, dann im Abspann: «Noch zeigt die Entwicklung in die falsche Richtung, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das ändert.»

Stimmt das? Stehen wir kurz vor einer Trendwende oder ist die Umweltapokalypse nicht mehr aufzuhalten? So viele widersprüchliche und oft negative Signale zur Umweltentwicklung wie in den letzten zwei Jahren habe ich noch selten wahrgenommen. Da sind die Bilder von abgebrannten Wäldern in Australien und in den USA, von schmelzenden Gletschern in der Schweiz und von nicht enden wollenden Überflutungen in Pakistan. Doch es lohnt sich, genau hinzuschauen und den positiven Zeichen nachzugehen. Es sind mehr, als wir denken. Hier drei Beispiele:

„ Im Jahr 2020 wurden weltweit 500 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien und Technologien zur Reduktion der CO2-Emissionen gesteckt. Das ist fünfzehn Mal mehr als noch 2004.

„ Heute zählt die Solarenergie zu den billigsten Verfahren, um Strom zu erzeugen. Eine Kilowattstunde aus neuen, grossen Solarkraftwerken kostet zwischen drei und acht Rappen. Das ist billiger als Strom aus neuen Gas-, Kohleoder Atomkraftwerken.

„ Ratingagenturen beurteilen Firmen, die in klimaschädigenden Sektoren tätig sind, immer kritischer. Die Schulden von Firmen aus sechzehn Branchen, die sehr hohe oder hohe Umweltkreditrisiken aufweisen, werden im laufenden Jahr mit etwa 4,3 Billionen US-Dollar bewertet – mehr als doppelt so hoch wie 2015. Mit anderen Worten: Der Druck auf diese Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle grundlegend zu ändern, nimmt laufend zu.

Diese Beispiele sind keine Kleinigkeiten, im Gegenteil: Sie deuten auf eine grosse Trendwende hin.

Schweiz Schlusslicht beim Naturschutz

Trotzdem kann ich die Zeichen der Krisen nicht ignorieren. Pessimistisch bin ich, was den Schutz der Biodiversität anbelangt. Der Verlust der Artenvielfalt und die ungebremste Vernichtung von natürlichen Lebensräumen könnten die Menschheit noch viel stärker bedrohen als die Klimakrise. Der Ausfall von Ernten, riesige Überschwemmungen oder die beschleunigte Verbreitung von schädlichen Viren sind klare Zeichen dafür. Noch ist das Be-

wusstsein für diese Bedrohung klein, vor allem hierzulande. Sattgrüne Wiesen und klare Bergseen vermitteln ein trügerisches Bild: Die Schweiz ist im europäischen Vergleich schon seit längerem das Schlusslicht in puncto Naturschutz, rund ein Drittel der heimischen Arten sind gefährdet oder bereits ausgestorben.

Zurzeit bieten sich mehrere Möglichkeiten, wichtige Pflöcke zum verbesserten Schutz der Biodiversität einzuschlagen. In der Umweltkommission des Ständerats wird der indirekte Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative beraten. Im Zentrum steht die Schaffung einer «ökologischen Infrastruktur», eines Netzwerks von Flächen, die dem Erhalt der Biodiversität dient. An der UNO-Artenschutzkonferenz in Montreal wird voraussichtlich die Initiative «30 by 30» lanciert: Bis ins Jahr 2030 sollen weltweit 30 Prozent aller Land- und Meeresflächen einen Schutzstatus erhalten.

Optimismus und Realismus gefragt

Als Vertreter einer NGO gehört es zu meiner Aufgabe, die Dinge kritisch zu kommentieren. Doch es ist klar: Es ist der Optimismus, der uns Menschen Mut macht und immer wieder weiterbringt, selbst in wenig vorteilhaften Situationen. Wer die Gabe hat, optimistisch in die Zukunft zu blicken, dem fällt vieles leichter. Wer sich zu den Realisten zählt, muss sich jedoch nicht grämen. Untersuchungen zeigen, dass sie oft erfolgrei-

Vorteilhaft fürs Geschäft und die Umwelt

Einer Studie zufolge ist die Schweiz ein idealer Standort für die Kreislaufwirtschaft im Bausektor. Innovative Ansätze tragen dazu bei, Ressourcen zu schonen und Aufwände zu reduzieren.

THIERRY SAXER, «CIRCULAR HUB»

Immer mehr Akteure aus Wirtschaft und Politik setzen inzwischen auf das Modell der Kreislaufwirtschaft, um die Klimakrise zu bewältigen und drohende Ressourcenengpässe zu vermeiden. Gemäss der ersten repräsentativen Studie der Berner Fachhochschule über den Stand der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz (Dezember 2021) haben bisher rund 12 Prozent der Unternehmen zirkuläre Aktivitäten in ihrem Geschäftsmodell verankert. Konkret geht es vor allem um eine Verringerung des Materialverbrauchs und der Umweltbelastung im Produktionsprozess. Die Studie kommt zum Schluss, dass die Schweiz mit ihrer Innovationskraft ein idealer Standort ist, um zirkuläre Massnahmen umzusetzen –und sich so wertvolle Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Deutlich wird auch, dass es hierzulande noch grosse Unterschiede zwischen den Branchen gibt. Was den Innovationsgrad und die unterneh-

mensübergreifende Verbreitung zirkulärer Ansätze betrifft, gehen vor allem die Sektoren Elektronik, Pharma und Fahrzeugbau voran. In der Baubranche haben derweil rund 14 Prozent der Unternehmen zirkuläre Geschäftsaktivitäten umgesetzt. Hürden für die weitere Verbreitung sehen die Autoren der Studie darin, dass die organisatorische Umsetzung komplex ist und die Verfügbarkeit von finanziellen Ressourcen und entsprechender Nachfrage besonders im Baubereich regional sehr unterschiedlich ausfällt. Eine andere Umfrage unter 105 Akteuren in der Baubranche ergab, dass das Bewusstsein für Fragen der Rentabilität bisher eher gering ausgeprägt ist.

Vorteile des Rückbaus

Auf der Hand liegen die ökologischen Vorteile zirkulärer Bauten. Die Baubranche ist enorm ressourcenintensiv und in der Schweiz für über 80 Prozent aller

Abfälle verantwortlich. Rund 50 Prozent der CO2-Emissionen eines durchschnittlichen Gebäudes entstehen in der Konstruktionsphase und im Zuge späterer Sanierungen. Die Materialkosten, Abfälle und Emissionen lassen sich allerdings bereits in der Planungsphase minimieren. Eine zentrale Rolle spielen hierbei die unterschiedlichen Lebenszyklen der möglichen Baustoffe.

Ob auch ein umweltschonendes Rückbauen möglich ist, hängt entscheidend davon ab, ob die verwendeten Materialien kreislauffähig und modular verbaut sind und ob die einzelnen Elemente verschraubt, verklebt oder zusammengesteckt worden sind.

Doch wie gross ist der Einfluss der Kreislaufwirtschaft in ökonomischer Hinsicht? Immer mehr Unternehmen sammeln hierzu erste Erkenntnisse auf der Basis bereits realisierter Projekte. Beispiele für die erfolgreiche Zusammenarbeit verschiedenster Akteure entlang der Wertschöpfungskette sind die Halle 118 in Winterthur oder der Umbau des Anwesens Müllerstrasse 16/20 in Zürich. Auch die Wissenschaft beschäftigt sich mit der Frage der Rentabilität. Madeleine Kindermann zeigt in ihrer Masterarbeit, dass eine kreislauffähige Konstruktion die Aufwände erkennbar reduziert und der Marktwert trotz erhöhter Erstellungskosten (+13 Prozent) den Wert eines vergleichbaren, «linear» gebauten Objekts um 9,6 Prozent übertrifft.

Grund für den positiven Effekt von kreislauffähigen Konstruktionen sind die präzise Ermittlung der Kosten für die Instandsetzung – aber auch die Optimierung der Austauschzyklen von Gebäudeschichten. Solche Informationen müssen standardisiert erfasst werden, um das volle Potenzial ausschöpfen zu können. Hilfreich sind moderne digitale Tools wie Madaster. Sie sorgen für

Datentransparenz und analysieren ressourcenrelevante Informationen über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg.

Die Zeit drängt

Das Potenzial der Kreislaufwirtschaft im Bau ist enorm. Diese weiter zu stärken, hat sich auch die Schweizer Politik auf ihre Fahnen geschrieben. Um die Klimaziele einzuhalten, braucht es neben regulatorischen Anreizen vor allem eine steigende Nachfrage nach ressourcenschonendem Bauen und eine stärkere Verwendung kreislauffähiger Produkte. Darüber entscheiden in erster Linie die Bauherren in ihrer

cher sind als Optimisten. Sie sind vorsichtiger beim Anlegen von Geld und fahren weniger Verluste ein; sie vertiefen sich stärker in ihre Arbeit, bleiben damit hartnäckiger und erreichen ihre Ziele häufiger. Also: Überlassen wir den Optimisten die Visionen und das Inspirieren, den Realisten hingegen die Umsetzung!

Ion Karagounis ist Präsident von Go for Impact und beim WWF Schweiz verantwortlich für neue Wirtschaftsmodelle und Zukunftsfragen. Zudem schreibt er regelmässig zu Umwelt- und Reisethemen. Es lohnt sich, genau hinzuschauen und den positiven Zeichen nachzugehen. Es sind mehr, als wir denken.

strategischen Planung. Wie sich zeigt, werden heute vermehrt kreislauffähige Produkte eingesetzt, die etwa mit innovativen Technologien wie der CO2-Bindungsfähigkeit in Beton oder standardisierten Bauprofilen aus gebrauchten Kunststoffen dazu beitragen, Ressourcen zu schonen.

Last, but not least sind Kollaborationen und unternehmensübergreifendes Denken entscheidend, um die Transition zu einem neuen Wirtschaftssystem in der Baubranche nachhaltig zu realisieren. Der «Circular Hub» begleitet deshalb bestehende zirkuläre Projekte und bringt verschiedenste Akteure aus der Branche zusammen, um Synergien zu nutzen und neue Lösungen zu entwickeln.

18 NZZ-Verlagsbeilage Nachhaltigkeit Samstag, 17. Dezember 2022
Kollaborationen sind entscheidend, um die Transition zu einem neuen Wirtschaftssystem in der Baubranche nachhaltig zu realisieren.
Um die Klimaziele einzuhalten, braucht es neben regulatorischen Anreizen vor allem eine steigende Nachfrage nach ressourcenschonendem Bauen. ADOBE STOCK

«Ich lasse mich von der Natur inspirieren»

Elisa Ossino gehört zu den bedeutendsten Designerinnen der Gegenwart. Sie setzt den Fokus auf nachhaltige Materialien und Produktionssysteme und beschäftigt sich mit Themen wie Kreislaufwirtschaft. An der Mailänder Designmesse 2022 fand ihre Installation «Closing the Circle» für V-Zug grosse Beachtung.

Wie sind Sie Designerin geworden?

Elisa Ossino: Ich glaube, ich bin so geboren. Ich erinnere mich, dass ich als Kind in der Schulzeit immer gemalt habe, statt meine Hausaufgaben zu machen.

Wofür steht Ihre Arbeit?

Sie ist Teil meines Lebens, ich kann es mir nicht ohne vorstellen. Ich liebe meine Arbeit so sehr, dass ich realisiere, wie stark sie mit allem, was ich tue, in Verbindung steht. Ich finde überall Ideen und Inspirationen.

Können Sie ausführen, was genau Sie am meisten inspiriert?

Ich lasse mich von der Natur inspirieren, von der spontanen Vegetation, der Kraft des Meeres oder der Gewalt eines Vulkans. Aber auch von geschichtsträchtigen Orten – Tempeln, Kirchen und alten Gebäuden. Es gibt immer magische Momente, die mir Visionen und kreative Einblicke vermitteln und in Ideen und Projekte münden.

Gibt es daneben auch Menschen, die Sie besonders inspirieren?

Ich mag sensible, nach innen gekehrte Menschen, aber auch extrem unkomplizierte, spontane. Oft fühle ich mich von Künstlern angezogen, wegen der Sensibilität ihres Denkens.

Was braucht es, damit Architektur als Kunst die Sinne reizt?

Landschaft, Natur, Wasser – das sind drei fundamentale Bestandteile. Ich erinnere mich an ein Experiment, das ich mit einer Theatergruppe im Wald gemacht habe. Einen ganzen Nachmittag lang liefen wir durch die Wälder und kamen mit verbundenen Augen bis zum Meer. Ich erinnere mich an das Geräusch des Meeres, den Duft der Blätter und die Struktur der Rinde unter meinen Fingern. Alles war wie verstärkt.

Wie würden Sie Ihre Designphilosophie beschreiben?

Konzeptuelle Recherche Abstraktion, Reinheit der Formen, expressive Kraft, Schaffung archetypischer Formen sind charakteristische Aspekte in meinem Designprozess. Dann geht es um die Wahl des Werkstoffs. Ich zwinge das Material gern in unerwartete und überraschende Richtungen. Aber ich glaube auch, dass einer der am deutlichsten wiedererkennbaren Aspekte meiner Arbeit die Suche nach der Komposition ist: wie Formen, Volumina und Objekte eingesetzt werden, um eine visuelle und räumliche Ordnung herzustellen. Ich versuche immer, luftige, helle Räume zu schaffen, die jedoch von visuell starken Zeichen charakterisiert sind und sich dem Gedächtnis des Betrachters einprägen.

Wie können Sie am besten kreativ arbeiten?

Allein, an einem ruhigen Ort, besser nach dem Schwimmen oder einem Spaziergang in der Natur. Oft auch einfach unter der Dusche.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in Ihren Projekten?

Schon während meiner Universitätszeit habe ich das Thema Nachhaltigkeit vertieft, indem ich Kurse in Bio-Architek-

tur belegte, zu Naturkalk und Farben forschte und in meiner Freizeit kleine Biogärten anlegte. Nachhaltige Themen interessierten mich schon immer, und ich versuche, sie in meinen Projekten umzusetzen.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Etwa, indem ich nachhaltige Materialien verwende, die sich nur gering auf die Umwelt auswirken sowie durch das Denken im Sinne der Kreislaufwirtschaft, aber auch durch Berücksichtigung der Produktionssysteme.

Wie interpretieren Sie Nachhaltigkeit für das Küchendesign – wird das Design davon beeinflusst, wie sich die Benutzer ernähren?

Heute achten alle auf eine gesunde, ausgewogene Ernährung. Objekte, die der Zubereitung von Essen dienen, berücksichtigen diese Aspekte zwangsläufig. Backöfen von V-Zug sind in dieser Hinsicht sehr interessant, weil sie das gesunde, leichte Dampfgaren mit traditionellen Kochmethoden kombinieren.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für die Zukunft der Designindustrie?

Kreislaufwirtschaft, Produktionssysteme mit niedrigen Umweltauswirkungen oder 3D-Drucker – diese Bereiche sind von grösstem Interesse.

Was machen Sie, wenn Sie an einem gewissen Punkt feststecken?

Ich höre einige Tage lang auf zu arbeiten, löse mich von dem Gemachten, schaue es dann mit einem frischen Blick an und beginne von vorne. Wenn ein Projekt mich nicht überzeugt, lasse ich es liegen und fange nochmals neu an.

Für V-Zug haben Sie als Teil der Mailänder Designmesse 2022 die Installation «Closing the Circle» realisiert. Worum ging es da?

Das Projekt war ein Ausstellungsbereich, in dem V-Zug-Produkte präsentiert wurden. Ich wollte dabei über das Konzept eines schlichten Messestands hinausgehen und eine emotionale Umgebung schaffen, die die interessantesten Inhalte von V-Zug erzählte. Ich wollte zum Beispiel zeigen, wie es dem Unternehmen gelingt, die Natur nachzuempfinden. Dabei bin ich vom neuen Dampfbackofen und der hervorragenden Intuitivität der Benutzerschnittstelle ausgegangen. Diese kommt zur Regelung aller Funktionen mit einem einzigen, zylindrischen Knopf aus. Dieses Element war denn auch – vergrössert und übertragen in einem abstrakten Zylinder – das zentrale Symbol. Dieser Zylinder mit einem komplexen Video-Projektionssystem wurde durch Bilder und Töne dynamisch und stellte eine immersive Atmosphäre her, ähnlich wie Dampf. So etwas wie eine flüchtige, sich in ständiger Bewegung befindenden Skulptur, die das Herzstück des Raumes bildete.

Welche Botschaft wollten Sie mit dieser Skulptur vermitteln?

Die Bedeutung und Zentralität der Natur: Sie wurde in das Zentrum des sthetischen Prozesses gestellt, als vitale Kraft, die zur Kontemplation einlädt. Die

Installation drückte die Werte der Kreislaufwirtschaft von V-Zug aus. Die Firma präsentierte an der Messe technologisch fortgeschrittene Systeme, die dank des umweltschonenden Einsatzes von Dampf in verschiedenen Anwendungen und Funktionen das häusliche Leben revolutionieren. Die Produkte von VZug waren in der Ausstellung streng minimalistisch arrangiert – vor einer grossen Hintergrundbeleuchtung, als wären sie Kunstwerke. Die Lichtquelle kam von hinten, so dass sich die V-Zug-Geräte im Dunkeln von der Umgebung abhoben und die technischen Inhalte durch eine stark kontrastierende ästhetische Wirkung aufgeladen wurden.

Wie stehen Sie zur Schweizer Haushaltsgerätemarke V-Zug?

Ich bin sehr fasziniert von ihrem minimalistischen Design und den technischen Eigenschaften der Produkte. Etwa die Verwendung von Dampf, einer von V-Zug entwickelten Funktion mit einer

breiten Anwendungspalette, von der Desinfizierung von Kleidung bis hin zum Einsatz in der Küche. Mir gefällt insbesondere die Kombination aus Schlichtheit – Wasser und Dampf – und maximaler technologischer Ausgereiftheit. Was ich besonders schätze, ist die Präzision, mit der die Geräte gefertigt sind, aber auch das minimalistische Design und die grosse Aufmerksamkeit für die Konstruktionsdetails.

Wo gibt es Parallelen zwischen Ihrer Arbeit und V-Zug?

Schlichtes, anspruchsvolles Design, Augenmerk auf Details, die Natur und Umweltauswirkungen – alle diese Faktoren, die bei V-Zug wichtig sind, sind auch meiner Forschungsarbeit und Designvision absolut ähnlich.

Wenn Sie einen Raum wie eine Küche, ein Bad oder ein Wohnzimmer gestalten – was für Vorstellungen und Emotionen haben Sie beim kreativen Prozess?

Bei der Küche denke ich an Feuer, das magische Ritual der Essenszubereitung und die Transformation der Nahrung während des Kochens. Das Badezimmer ist für mich mit der Vorstellung von Wasser verbunden, es erinnert mich an Transparenz und Leichtigkeit. Das Wohnzimmer ist der Ort, der sozialen

Anlässen vorbehalten ist, dem Zusammensein und dem Gespräch. Da denke ich an Symbole, die Einbeziehung bedeutungsvoller Objekte.

Wie sieht die Küche der Zukunft aus?

Ich stelle sie mir als einen interessanten Mix aus archaischen Formen und hochleistungsfähiger Technologie vor. Wie macht sich die Digitalisierung in unseren Küchen bemerkbar?

Ich denke, dass unser Zuhause in naher Zukunft immer mehr mit ausgefeilten technischen Systemen ausgestattet sein wird. Die Herausforderung besteht darin, natürliche Schnittstellen zu gestalten, die den Benutzern einen unmittelbaren Zugang erlauben, auch ohne das Handbuch lesen zu müssen.

Sie haben einmal gesagt, Kunst sei Nahrung für Ihre Seele. Wie sorgen Sie dafür, dass Sie nicht verhungern?

Indem ich, wenn immer möglich, interessante Ausstellungen besuche oder Künstler treffe und vielleicht Reflexionen und Visionen mit ihnen austausche. Und was die echte Nahrung angeht: Was ist Ihr Lieblingsgericht?

Pasta alla Norma, von meiner Mutter zubereitet.

Samstag, 17. Dezember 2022 Nachhaltigkeit NZZ-Verlagsbeilage 19
«Oft fühle ich mich von Künstlern angezogen, wegen der Sensibiliät ihres Denkens.»
Die Installation «Closing the Circle» erinnert an eine flüchtige Skulptur. SILVIA ORLANDI PUNTINO Designerin Elisa Ossino in ihrem Atelier. DANIEL FARÒ

INSEKTEN STATT

CERVELAT: SIND WIR BEREIT DAFÜR?

ANTWORTEN AUF DEINE FRAGEN:

Sustainable Switzerland – eine Initiative des Unternehmens NZZ mit führenden Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft. DIE PLATTFORM FÜR NACHHALTIGKEIT.

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