GENOSSENSCHAFTEN
Das soziale Kapital der Schweiz
SCHWERPUNKT | NZZ AM SONNTAG, 20 OKTOBER 2024
SCHWERPUNKT | NZZ AM SONNTAG, 20 OKTOBER 2024
Damitwir fürunsereKindereine Antworthaben,setzenwir unsstetig fürdas Tierwohl ein.
Tatenstatt WorteNr. 74:BeimTierwohl setzen wirkonsequentauf hohe Standards.
taten-statt-worte.ch
Bundesrat Guy Parmelin, Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung, über die Bedeutung von Genossenschaften als Modell für Wirtschaftspraktiken, die auf Demokratie, Selbsthilfe und Gleichheit basieren.*
Wir leben in einer Zeit, in der globale Herausforderungen wie wirtschaftliche Krisen, Klimawandel und geopolitische Spannungen immer komplexer werden. Diese Probleme überschreiten Grenzen. Sie erfordern ein kollektives Handeln, wie es bei einer Genossenschaft üblich ist.
Das Modell der Genossenschaft zeigt, wie Zusammenarbeit auf Augenhöhe funktioniert. Es basiert auf Demokratie, Selbsthilfe und Gleichheit. Die Mitglieder entscheiden und profitieren gemeinsam. Ähnlich ist es mit dem sogenannten Multilateralismus: Staaten arbeiten zusammen, um globale Probleme zu lösen, wobei jedes Land seinen Beitrag leistet und davon profitiert. Dabei sollen nicht einfach nur die Stärksten dominieren. Alle haben eine Stimme. Entscheidungen werden im Konsens getroffen und in gemeinsame Regeln gegossen. Wie in einer Genossenschaft! Für eine mittelgrosse, offene Volkswirtschaft wie die der Schweiz ist eine solche regelbasierte Lösungsfindung wie sie von Genossenschaften praktiziert wird, von grosser Wichtigkeit. Dies gilt insbesondere für den Zugang zu internationalen Märkten. Die aktuellen geopolitischen Entwicklungen, dieregionale Blockbildung als auch die Zunahme an industriepolitischen und handelseinschränkenden Massnahmen haben leider zu einer Schwächung des Multilateralismus geführt. Für die Schweiz als exportorientierte und offene Volkswirtschaft ist dies eine Herausforderung und damit auch für viele Unternehmen und damit auch für Genossenschaften.
Handelsbeziehungen diversifizieren
Umso wichtiger ist in diesem Umfeld der AusbauderbilateralenHandelsbeziehungen zu unseren wichtigsten Handelspartnern Deshalb will der Bundesrat mit den laufenden Verhandlungen die Beziehungen zur EU stabilisieren. Gleichzeitig will er aber auch den Ausbau von Handelsbeziehungen mit Ländern fördern, die unseinestärkereDiversifizierungunserer Handelsbeziehungen erlauben. Dazu tragen beispielsweise neue Freihandelsabkommen bei wie das kürzlich abgeschlossene mit Indien. Im herausfordernden Umfeld ist ein weiteres wichtiges Ziel des Bundesrates die Verbesserung der Rahmenbedingungen für unsere Unternehmen. Er will aber keine protektionistischen Massnahmen ergreifen oder in den Subventionswettlauf einsteigen, wie dies in der EU oder den USA gegenwärtig geschieht. Solche Programme führen unbestrittenermassen zu unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen. Gleichzeitig bilden diese Programme aber auch eine Chance für die hiesige Wirtschaft. So sieht beispielsweise der «Green Deal» der EU den Ausbau grüner Energien vor Viele Schweizer Firmen und damit auch Genossenschaften können als Zulieferer davon profitieren. Um mit diesen positiven Auswirkungen, aber gleichzeitig auch mit den negativen Folgen umgehen zu können, ist die Schweizer Wirtschaft auf günstige volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen angewiesen. Diese müssen
den Unternehmen neben den Voraussetzungen für Wachstum auch die nötige Flexibilität geben, um sich ändernden Marktbedingungen anzupassen. Am ersten Genossenschaftskongress sind einige sehr grosse und bekannte Genossenschaften anwesend Die meisten sind aber kleine und mittlere Unternehmen. KMU sind bekanntlich das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft. Der Bundesrat ist sich der enormen Bedeutung der KMU sehr bewusst. Er optimiert die entsprechenden Rahmenbedingungen kontinuierlich, damit der Wirtschaftsstandort Schweiz auch für sie weiterhin erfolgreich bleibt. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Digitalisierung. Ein gelungenes Beispiel für effiziente Digitalisierung ist «EasyGov.swiss», der Online-Schalter für Unternehmen Es handelt sich dabei nicht um eine Spielerei im Dienste der Wirtschaft. Dank EasyGov können viele Unternehmen nun schnell und einfach die wichtigsten administrativen Schritte erledigen, die sie beim Bund und den Kantonen betreffen Derzeit bietet diese Plattform rund 60 Verwaltungsdienstleistungen an. Und das Angebot wird ständig erweitert und verbessert.
Mit EasyGov können Unternehmen ihre Formalitäten online erledigen, unabhängig von Büroöffnungszeiten und geografischen Einschränkungen. Dies ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil sowohl für Schweizer wie für ausländische
Der genossenschaftliche Grundgedanke spielt auch in der internationalen Zusammenarbeit eine wichtige Rolle.
Unternehmen, die sich in unserem Land niederlassen möchten Innerhalb von sieben Jahren haben sich bei dieser digitalen Anlaufstelle bereits 100000 Unternehmen registriert, was nicht weniger als einem Sechstel aller Schweizer Unternehmenentspricht.EinesvonfünfUnternehmen in der Schweiz wird heute sogar online über dieses Portal gegründet! Neben der Digitalisierung ist dem Bundesrat aber auch der Abbau von Bürokratie sehr wichtig. Dieses Ziel setzt der Bundesrat mit dem Unternehmensentlastungsgesetz um. Dieses im letzten Jahr von den eidgenössischen Räten verabschiedete Gesetz verankert verschiedenste Massnahmen, um die Belastung der Unternehmen durch Regulierungskosten zu senken Es beinhaltet Vorgaben für die Ausarbeitung von neuen Erlassen und für die Überprüfung von bestehenden Regulierungen. Damit will der Bundesrat die Transparenz erhöhen, Vereinfachungen für Unternehmen konsequent prüfen und diese bestmöglich ausschöpfen. Die gestaffelte Umsetzung ist bereits im Gange. Der genossenschaftliche Grundgedanke spielt auch in der internationalen Zusammenarbeit eine wichtige Rolle, zum Beispiel bei unseren Entwicklungsprojekten. Was meine ich damit? Vor kurzem haben wir eine Schweizer Plattform für eine nachhaltige Kaffeeproduktion gegründet. Rechtlich gesehen hat diese Struktur die Form eines Vereins, aber
ihre Organisation weist starke Ähnlichkeiten mit der einer Genossenschaft auf. Sie vereint die wichtigsten Schweizer Akteure im Kaffeesektor mit dem gemeinsamen Ziel die Nachhaltigkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette dieses Produktes zu stärken: Der weltweit tätige Händler der kleine Schweizer Kaffeeröster, Schweizer Non-ProfitOrganisationen, die Wissenschaft und sogar das Staatssekretariat für Wirtschaft sind Teil der Plattform.
Innerhalb dieser Plattform arbeiten die Mitglieder zusammen, um gemeinsame Lösungen für die vielfältigen Herausforderungen rund um den Kaffee zu finden Sie haben erkannt, dass individuelle Schritte nicht ausreichen Wie bei Genossenschaften hängt der Erfolg der Schweizer Plattform für nachhaltigen Kaffee von den Mitgliedern ab, von den Werten, die sie teilen, von den Zielen, die sie sich gemeinsam setzen, und von den Standards, die sie sich zur Stärkung ihrer Glaubwürdigkeit geben.
Ich weise auch gerne darauf hin, dass die ersten Multiplikatoren zu den Menschen, die wir unterstützen wollen die Genossenschaften in unseren Partnerländern sind. Dieses partizipative und niedrigschwellige Geschäftsmodell wird vor Ort sehr geschätzt und ist ein bewährtes Instrument der internationalen Zusammenarbeit, um mit dem Privatsektor zu arbeiten.
Genossenschaftsrecht ist eine stabile Grundlage Abschliessend noch ein Wort zur rechtlichen Basis: Das Genossenschaftsrecht hat sich als stabile Grundlage erwiesen. Die geltende Gesetzgebung hat sich grundsätzlich bewährt und entspricht nach wie vor den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedürfnissen. Zu dem Schluss kommt der Bundesrat in seinem Bericht zum Revisionsbedarf im Genossenschaftsrecht, den er vor knapp einem Jahr gutgeheissen hat. Eine Totalrevision des Genossenschaftsrechts ist deshalb nicht notwendig obwohl punktuelle Anpassungen nicht ausgeschlossen werden Die flexiblen rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die klaren Regelungen im Obligationenrecht hinsichtlich der Gründung Auflösung sowie der Rechte und Pflichten der Genossenschafterinnen und Genossenschafter, tragen wesentlich dazu bei, dass dieses Modell auch heute noch den Bedürfnissen unserer Wirtschaft gerecht wird. Das Genossenschaftsmodell, in dem ich selbst das Glück hatte, in meinem früheren Berufsleben als Verwaltungsrat-Vizepräsident der FENACO Erfahrungen zu sammeln, hat viele Stärken: ein starkes soziales Engagement, die Unterstützung der lokalen Wirtschaft und einen nachhaltigen Ansatz. In dieser Hinsicht ist sie ein unverzichtbares Glied der Schweizer Wirtschaft, einer Wirtschaft der Nähe. Ich danke der «Idée CoopérativeGenossenschaft» dafür dass sie dieses Modell in unserem Wirtschaftsstandort Schweiz und in unserer Gesellschaft vertritt und unterstützt.
*Rede von Bundesrat Guy Parmelin anlässlich des ersten Genossenschaftskongresses am 17 Oktober 2024 in Bern
Etwas von gestern. Genossenschaften gelten in der Schweiz als nicht mehr zeitgemäss, als ziemlich verstaubt. Doch Anhänger dieser Rechtsform erkennen im Genossenschaftsmodell nichts mehr und nichts weniger als ein Erfolgsmodell für Gegenwart und Zukunft. Von Fredy Gilgen
Phänomen Genossenschaft. Auf der einen Seite sind Unternehmen mit dieser Rechtsform immer noch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in unserem Land, auf der anderen Seite sind sie fast unsichtbar, man hört kaum etwas von ihnen. Und die Zahl der Genossenschaften nimmt erst noch laufend ab So waren 2002 in der Schweiz 12975 Genossenschaften eingetragen. Gemäss dem neuesten Genossenschaftsmonitor sind es aktuell noch 8248. Dieser Zahl stehen beispielsweise rund 200 000 Aktiengesellschaften gegenüber also rund 20mal mehr Zahlen allein werden der Bedeutung der Genossenschaften allerdings nicht gerecht. Die Idée Coopérative, Branchenorganisation und Kompetenzzentrum der Genossenchaften, pocht darauf, dass Genossenschaften immer noch eine bedeutende wirtschaftliche Kraft in unserem Land darstellen. In der Tat: Obwohl sie nur noch rund 1 Prozent der Unternehmen in der Schweiz ausmachen, beschäftigen die zehn grössten Genossenschaften 4 Prozent der Erwerbstätigen und tragen nicht weniger als 11 Prozent zur Wirtschaftsleistung (BIP) bei: «Die Genossenschaften leisten nach wie vor einen überdurchschnittlichen Beitrag zur Entwicklung unseres Landes», ist Idée-Coopérative-Geschäftsführer Henrik Schoop überzeugt. International stehen die Schweizer Genossenschaften bezüglich Wertschöpfung auf Rang 3. Nur die Genossenschaften Neuseelands und Frankreichs steuern mehr zur nationalen Wirtschaftsleistung bei Zu beachten auch: Trotz des stetigen Rückgangs der Gesamtzahl werden in unserem Land weiterhin regelmässig über 100 neue Genossenschaften pro Jahr gegründet «Seit 2020 gibt es 460 neu eingetragene Genossenschaften», führt Henrik Schoop weiter aus. Genossenschaften seien also immer noch eine aktuelle und keineswegs auslaufende Rechtsform. Sie hätten aber erkannt, dass sie stärker auf ihre Bedeutung und ihre Leistungen aufmerksam machen müssen. Die Branchenorganisation Idée Coopérative gibt es beispielsweise erst seit 5 Jahren und in diesem Oktober findet der allererste nationale Genossenschaftskongress statt.
Das Leitmotiv der Veranstaltung in Bern: die Genossenschaftsidee stärken, weiterentwickeln und vorantreiben Zugleich strebt der Verband danach, das Verständnis für das Genossenschaftswesen bei Behörden und Politik zu fördern, um die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Genossenschaften attraktiv und die regulatorischen Anforderungen möglichst schlank zu halten
Wechselvolle
Geschichte
So jung die Bemühungen, die Genossenschaften ins rechte Licht zu rücken so alt ist die Genossenschaftsidee als solche. Laut Alexander Jungmeister, Professor an der Berner Fachhochschule, war und ist die Schweiz, auch im Vergleich zu ihren Nachbarländern, ein sehr genossenschaftsreiches Land mit einer langen genossenschaftlichen Tradition, die bis weit ins Mittelalter zurückreicht. Stichworte sind hier
«Allmendgenossenschaft» oder auch «Eidgenossenschaft». Ja, Eidgenossenschaft. Nach historischen Zeugnissen ist ja auch die Schweiz als Genossenschaft entstanden. Denn als Ursprung der Schweizerischen Eidgenossenschaft gilt in der geschichtlichen Überlieferung das Bündnis von 1291, an dem die drei Talgemeinschaften Uri, Schwyz und Nidwalden sich gegenseitige Unterstützung schworen und zur Schweizerischen Eidgenossenschaft zusammenschlossen.
Die wirtschaftliche Bedeutung der Genossenschaften in der Schweiz ist aber nach Ansicht von Jungmeister auch heute noch gross, dies gemessen an der absoluten Zahl der Genossenschaften oder der Anzahl Genossenschaftsmitglieder im Verhältnis zur Bevölkerung Auffällig ist nach Jungmeister zudem die Dominanz der Rechtsform Genossenschaft in einigen Wirtschaftssektoren, etwa im Lebensmitteldetailhandel, mit den Branchenriesen Coop Migros, Volg und mit Fenaco in der Landwirtschaft. Hier wurden und werden die Genossenschaften teilweise sogar als marktbeherrschend taxiert. Auch aktuell werden schätzungsweise noch 80 Prozent des Branchenumsatzes in der Schweiz von Genossenschaften erbracht.
Instrument der «kleinen Leute»
Immer wieder in der Geschichte hat sich dieGenossenschaftalsdasInstrumentder «kleinenLeuten»erwiesen,umsichgegen die ärgsten Verwerfungen der Industrialisierung zu wappnen «Ein Instrument gegen den stetig wachsenden Leistungsdruck und ein Instrument, das in wirtschaftlichenKrisenmomentenalternative Wege eröffnen und sich zu langlebigen, starken Unternehmungen wie der Landi oderdemVolgentwickelnkann»,sagtHistorikerin Beatrice Schumacher
Die Verbindung von wirtschaftlicher Tätigkeit mit demokratischen Strukturen ist und war nach der Historikerin der rote Faden der Genossenschaftsgeschichte. Wie die Genossenschaften heute aufgrund ihrer Prinzipien und auf dem Hintergrund ihrer Geschichte zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft beitragen können, wird massgeblich über ihren weiteren Erfolg bestimmen. «Die Unternehmensform Genossenschaft wird also zeigen müssen, dass sie inspirierend und richtungsweisend bleiben kann. Dass sie das Potenzial hat, um aus schwierigen Situationen herauszufinden und Strategien für die Zukunftsgestaltung zu entwickeln.»
Von der Geschichte zurück den aktuellen Fakten: 63 Prozent der Genossenschaften weisen einen Umsatz von bis zu 1 Million Franken auf, sind also klein, 35 Prozent kommen auf 1 bis 50 Millionen und nur 1,7 Prozent erreichen Verkäufe von 50 Millionen und mehr (siehe Grafik rechts). Insgesamt weisen die Umsätze der Genossenschaften in den letzten 4 Jahren einen klar positiven Trend auf Und auch in Krisenzeiten konnten die Kooperativen ihre Umsätze steigern
Ausser im Lebensmitteldetailhandel haben sich die Genossenschaften im Finanzwesen, in der Energiebranche, sowie in der Land- und Forstwirtschaft eine starke Position erarbeitet. In ande-
ren Bereichen wie dem Tourismus, der Gastronomie, dem Sport und den Dienstleistungen haben genossenschaftliche Unternehmensformen an Bedeutung verloren.
Populäre Wohnbaugenossenschaften
Wirtschaftliche Tätigkeiten mit demokratischen Strukturen sind und bleiben der rote Faden der Genossenschaftsgeschichte.
Eine sehr grosse Popularität haben sie dafür im Wohnbau errungen. Wohnbaugenossenschaften gelten teilweise sogar als das beste Rezept, um das Problem der Wohnraumknappheit und der überhöhten Mieten in den Griff zu bekommen. Überzeugt davon, dass das Geschäftsmodell Genossenschaft eine erfreuliche Zukunft hat, ist die Branchenorganisation Idée Coopérative. Auch die Genossenschafterinnen und Genossenschafter selber wissen, dass ihre Organisationsform gleich über mehrere Trümpfe und Alleinstellungsmerkmale verfügt:
Die 4 Kernprinzipien Solidarität, Kopfstimmprinzip, Thesaurierung und Mitgliedernutzen sind bindend und betreffen daher grundsätzlich alle Genossen-
schaften in der Schweiz. Diese zentralen Prinzipien der Genossenschaften wurden in der Befragung 2024 erstmals thematisiert, um zu erheben, wie zukunftsfähig sie aus Sicht der Genossenschaften sind: Solidarität: Die Mitglieder handeln und haften gemeinsam.
Kopfstimmprinzip: Ein Mitglied, eine Stimme
Thesaurierung: Verzicht auf Gewinnausschüttung • Mitgliedernutzen: Dienstleistungen und Produkte dienen den Mitgliedern
Der Mitgliedernutzen und die Solidarität werden von den Mitgliedern aktuell mit 76,2 bzw 74,8 Punkten als am zukunftsfähigsten bewertet. Das Kopfstimmprinzip erhält 68,7 Punkte. Die Thesaurierung wird nicht nur als Alleinstellungsmerkmal in der Praxis umgesetzt, sondern mit 64,6 von 100 Punkten auch als wichtig für die Zukunft bewertet. Ihre 4 Kernprinzipien erachten die Genossenschaften generell als zukunftsfähig. Bei so viel Zuversicht kann es kaum schiefgehen.
Henrik Schoop, Geschäftsführer der Idée Coopérative, sagt Genossenschaften eine vielversprechende Zukunft voraus Wie sie in der modernen Wirtschaftslandschaft eine tragende Rolle übernehmen können, erklärt er im Interview.
Sie sprechen von der Erfolgsgeschichte der Genossenschaften, doch gibt es immer weniger davon.
Henrik Schoop: Der zahlenmässige Rückgang ist eher ein Ergebnis des allgemeinen Strukturwandels und der Konsolidierung bestehender Genossenschaften als ein Zeichen des Desinteresses an dieser Unternehmensform. Tatsache ist nämlich: Jedes Jahr werden viele neue Genossenschaften gegründet. Seit 2020 sind es 460. Und obwohl Genossenschaften nur 1 Prozent der Unternehmen in der Schweiz ausmachen, beschäftigen allein die 10 grössten Genossenschaften 4 Prozent der Erwerbstätigen in der Schweiz und tragen 11 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei.
In der Öffentlichkeit sind Kooperativen aber noch recht unbekannte Wesen. Diese bekannter zu machen, ist eine Aufgabe des Kompetenzzentrums für Genossenschaften, der Idée Coopérative Eine andere unserer Aufgaben ist es das Wissen über die Unternehmensform Genossenschaft zu verbessern.
Viele global tätige Konzerne halten weiterhin an dieser Rechtsform fest Warum ist das eigentlich so?
Grosse Genossenschaften und Genossenschaftsverbände in der Schweiz wie Migros, Coop, Raiffeisen und Fenaco schätzen die Vorteile dieser Rechtsform in Bezug auf gesellschaftliche Verantwortung, Mitgliederorientierung und Partizipation. Die Genossenschaftsform ermöglicht eine besondere Nähe zu ihren Mitgliedern und Kunden, fördert die Reinvestition von Erträgen in das Unternehmen und gewährleistet eine nachhaltige Entwicklung Und diese Werte gewinnen global an Bedeutung
Wo können die Genossenschaften ebenfalls punkten? Ganz klar bei der Resilienz: Sie haben sich in Krisenzeiten als stabile Akteure in der Wirtschaft behaupten können und die Umsätze gesteigert Das alles macht die Genossenschaftsform auch für grössere Konzerne attraktiv, da sie eine dauerhafte Bindung der Mitglieder und Kunden und einen nachhaltigen Geschäftserfolg ermöglicht
Zudem ist eine feindliche Übernahme, sprich ein «unfriendly takeover», kaum möglich. Genau, Genossenschaftsanteile werden nicht auf dem freien Markt beispiels-
Es gibt mehr kleine Genossenschaften Grössenkategorien der Genossenschaften nach Umsätzen (in Mio. CHF)
Zürich und die Zentralschweiz legen zu Verteilung der Genossenschaften in der Schweiz nach Landesteilen
weise an einer Börse, gehandelt. Dadurch wird die Einflussnahme durch aussenstehende Dritte erheblich erschwert bis verhindert.
Was sind die aktuell wichtigsten Alleinstellungsmerkmale einer Genossenschaft? Meines Erachtens sind es die Selbsthilfe und das Kopfstimmrecht. Bei einer Genossenschaft steht klar die wirtschaftliche Selbsthilfe der Genossenschafter im Vordergrund. Und durch das Kopfstimmrecht ist eine Genossenschaft demokratisch organisiert
Genossenschaften sind zudem personen- und nicht kapitalbezogen Ja, die Genossenschafter wirken bei der Erreichung des Unternehmenszwecks persönlich mit. Dies führt auch zu einer starken Identifikation mit dem Unternehmen Für andere ist die Attraktivität von Genossenschaften wegen der demokratischen Strukturen und wegen teils starrer Vorgaben eingeschränkt. Durch den Fokus auf Mitgliederinteressen kann zudem das Wachstum eingeschränkt sein und im Vergleich zu Aktiengesellschaften ist die Kapitalbeschaffung am Markt schwieriger
Aktuell machen vor allem Wohnbaugenossenschaften positiv von sich reden Wie könnten sie noch populärer werden? Wenn man viel darüber spricht und liest! Wohnbaugenossenschaften sind vor allem im urbanen Umfeld tatsächlich ein Trend, wie der Genossenschaftsmonitor 2024 bestätigt. Um Wohnbaugenossenschaften noch populärer zu machen können Genossenschaften ihre Stärken in sozial verantwortlichem Handeln und nachhaltiger Wirtschaftsweise darlegen. Ihre demokratischen Strukturen und Mitbestimmungsmöglichkeiten heben sie zweifellos von anderen Unternehmensformen ab Interview: Fredy Gilgen
Von Rütli und Reduit zu Kraftwerk1 und Klimajugend: Was eine Willensnation zusammenhält. Ein Kommentar von Professor Markus Gmür, Direktor des Instituts für Verbands-, Stiftungs- und Genossenschafts-Management an der Universität Freiburg
Worauf beruht der gesellschaftliche Zusammenhalt in einem Gemeinwesen, das sich durch eine Vielzahl von Sprachen, politischen oder religiösen Bekenntnissen und Lebensentwürfen auszeichnet? Wenn sich Schweizerinnen und Schweizer im Ausland dazu eingeladen fühlen, das Erfolgsrezept ihres Herkunftslandes zu verraten,dann greifen dazu die meisten in den 700 Jahre alten Fundus ihrer nationalen Geschichte voller Ereignisse und Helden der Selbstbehauptung: teils kriegerisch oder wegduckend teils mit guten diplomatischen Diensten, geschickten wirtschaftlichen Deals oder humanitären Initiativen. Aber wie stark ist die Bindungskraft dieser Erzählungen im 21 Jahrhundert angesichts der Digitalisierung Migrationsbewegungen und des Klimawandels? Welche Bindungskräfte gibt es ausserhalb von Familie und Freundschaft jenseits der überlieferten Mythen?
Liberaler Staat und freies Individuum
Wenn wir unsere Wohnung verlassen, treten wir in einen öffentlichen Raum,der von einer staatlichen Ordnung und vielfältigen Marktbeziehungen geprägt ist.Der liberale Staat lässt der wirtschaftlichen Betätigung und dem freien Spiel der Kräfte viel Raum und verzichtet weitgehend auf eine verordnete Vergemeinschaftung, wie sie autoritäre Regimes kennzeichnet.So bewegt sich
Soziale Beziehungen jenseits von Gehorsam und Gewinninteresse pflegen.
das Individuum frei, aber einsam: als Staatsbürger oder als Konsument, auf die persönlichen Bedürfnisse abgestimmt,soweit der Service public ein entsprechendes Leistungsangebot offeriert beziehungsweise das Portemonnaie eine Konsumoption eröffnet Dahinter stehen staatliche Organisationen,die dauerhafte Verbindungen und Verpflichtungen zwischen Obrigkeit und Staatsbewohnern schaffen,und marktwirtschaftliche Unternehmen, die mit ihrem
Leistungsangebot eine vorübergehende Tauschbeziehung mit ihren Kunden und Kundinnen eingehen. Der sogenannte dritte Sektor jenseits von Staat und Markt umfasst alle Organisationen, die weder staatlich verankert noch erwerbswirtschaftlich motiviert sind Dazu zählen rund 80000 Verbände und Vereine, knapp 14000 Stiftungen, ein Teil der etwa 8000 Genossenschaften sowie ein paar gemeinnützig ausgerichtete Kapitalgesellschaften.
Sie alle werden als Non-Profit-Organisationen (NPO) bezeichnet,weil sie aufgrund ihrer Rechtsform zwar möglicherweise Gewinne erzielen, aber nicht (oder im Falle von Genossenschaften nur eingeschränkt) an ihre Träger verteilen dürfen. Der Sachzweck steht damit gegenüber erwerbswirtschaftlichen Interessen klar im Vordergrund. NPO sind aber durchaus bereichernd in dem Sinne, dass sie einen Gemeinnutzen schaffen oder diejenigen stützen,die ihre legitimen Bedürfnisse aus eigenen Kräften nicht decken können. Keimzellen des Zusammenhalts
Das tun sie vor allem in Bereichen, in denen der Staat nicht aktiv wird – weil es dafür keine politischen Mehrheiten oder unverplante Steuermittel gibt – und das Marktangebot für wirtschaftlich schwache Personen nicht ausreichend und bezahlbar ist. Diese Bereiche sind Gesundheit und Soziales,Bildung und Kultur Umwelt und Wohnen, Sport und Freizeit, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen, Bürger- und Konsumenteninteressen, Menschenrechte und Entwicklungszusammenarbeit, um nur einige der wichtigsten zu nennen. Was Verbände,Vereine,Genossenschaften und Stiftungen erzeugen und erhalten, sind soziale Beziehungen jenseits von Gehorsam und Gewinninteresse – und damit
die Keimzellen für gesellschaftlichen Zusammenhalt.Das ergibt sich nicht nur aus den Leistungen,die sie erbringen oder veranstalten.Es resultiert im Fall der mitgliedschaftlichen Rechtsformen auch aus der Entscheidungsfindung,die auf der Basisdemokratie und dem Kopfstimmprinzip (unabhängig von der ökonomischen Potenz wie etwa bei Kapitalgesellschaften) beruht. So unterschiedlich ein Wirtschaftsverband, eine Wohnbaugenossenschaft, eine Gesundheitsliga,ein Sportverein oder eine Umweltbewegung auf den ersten Blick scheinen: Sie alle schaffen Verbindungen zwischen Menschen,Gruppierungen oder Organisationen mit gleich gerichteten Interessen («bonding») oder sie bringen Menschen,Gruppierungen oder Organisationen mit unterschiedlichen Interessen zusammen («bridging»), die andernfalls nicht zusammengefunden hätten. Das einzelne Mitglied erhält darin Bestätigung und profitiert von einer Bündelung der Kräfte und solidarischen Anstrengungen; es lernt auch andere Standpunkte kennen, so wie Wege zu einer Verständigung über Interessengegensätze hinweg. Was staatliches Ordnungsstreben und marktwirtschaftliches Ringen nicht leisten können, dafür bieten die Organisationen des dritten Sektors Räume und gute und sinnhaltige Gründe So kann sich auch die Willensnation Schweiz in einer durch steten Wandel gekennzeichneten Welt immer wieder erneuern.
Loslassenmüssenwir alle.Ihren Willen festhalten können nur Sie. ZumBeispielinIhrem Testamentzugunstenvon Menschen mitBehinderungen. Jetztauf proinfirmis.ch/testamentratgeber oder unter058 7752688.
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Genossenschaften vereinen wirtschaftlichen Nutzen und soziale Verantwortung. Doch wie können Unternehmen sich in dieser Form stärker an einer Gemeinwohlökonomie beteiligen, ohne dass sie dabei in Bürokratie versinken? Zwei Experten diskutieren.
Der Historiker und heute selbständige Politikberater Hilmar Gernet, ehemaliger Delegierter für Politik, Genossenschaft und Geschichte bei Raiffeisen Schweiz, und der österreichische Autor und Wirtschaftsreformer Christian Felber, Mitbegründer der GemeinwohlökonomieBewegung, über die Verbindung zwischen Genossenschaften, Nachhaltigkeit und Ökonomie. Die Debatte wirft eine zentrale Frage auf: Wie kann man Unternehmen dazu bringen, sich stärker am Gemeinwohl zu orientieren, ohne sie mit Bürokratie zu überlasten?
Wie definieren Sie das Gemeinwohl und welche Rolle spielen Genossenschaften dabei?
CHRISTIAN FELBER: Das Gemeinwohl ist das übergeordnete Ziel der Wirtschaft und der gesamten demokratischen Gesellschaft. Genossenschaften haben in ihrem Selbstverständnis oft schon den Anspruch dem Allgemeinwohl zu dienen.
HILMAR GERNET: Unsere Bundesverfassung spricht im Zweckartikel von der «gemeinsamen Wohlfahrt» Das Gemeinwohl ist somit ein Verfassungsauftrag, der in einer Demokratie immer wieder neu ausgehandelt werden muss.
Und wie unterscheiden sich Genossenschaften von anderen Unternehmensformen in Bezug auf das Gemeinwohl?
GERNET: Genossenschaften zielen auf den wirtschaftlichen Nutzen für ihre Mitglieder ab Seit 2021 gibt es im Genossenschaftsgesetz den Zusatz, dass sie auch gemeinnützig sein können. Dies zeigt sich in der demokratischen Struktur und der Gewinnverwendung. Zudem gilt das Kopfstimmenprinzip – jedes Mitglied hat unabhängig von der Kapitalbeteiligung eine Stimme.
FELBER: Genossenschaften sind tendenziell demokratischer und solidarischer aufgrund ihrer spezifischen Entstehungsgeschichte und Rechtsform. Sie haben oft eine klare Zweckausrichtung an einem realen Bedarf, was dem eigentlichen Ziel des Wirtschaftens entspricht. Allerdings ist nicht jede Genossenschaft automatisch solidarisch, demokratisch und nachhaltig. Es kommt darauf an, wie sie ihre Werte in der Praxis umsetzt.
Welche Herausforderungen sehen Sie für Genossenschaften in der heutigen Wirtschaftswelt?
GERNET: Eine grosse Herausforderung ist es, die genossenschaftlichen Werte – liberal, demokratisch solidarisch – in einer globalisierten und digitalisierten Wirtschaft zu bewahren
In grossen Genossenschaften ist die Partizipation ihrer Mitglieder bei wichtigen unternehmerischen Entscheidungen eine anspruchsvolle Aufgabe, die innovative Ansätze verlangt. Die Digitalisierung kann helfen genossenschaftliche Prinzipien zu gewährleisten.
FELBER: Ich sehe ähnliche Herausforderungen. Genossenschaften müssen sich mit ihrer Werteorientierung gegen den Trend zur reinen Profitmaxi-
mierung behaupten, der auch durch die ökonomische Bildung begünstigt wird, und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich sein. Die GemeinwohlBilanz könnte hier ein hilfreiches Instrument sein.
Das müssen Sie erklären, bitte.
FELBER: Das ist ein Instrument zur Darstellung und Messung des Beitrags eines Unternehmens zum Gemeinwohl, ein ganzheitlicher Nachhaltigkeitsbericht als Ergänzung zur klassischen Bilanzrechnung. Die Gemeinwohlbilanz soll Kennzahlen zu Themen wie Menschenwürde, Solidarität, ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Mitbestimmung erfassen und sie als ebenso wichtig bewerten wie die finanziellen Kennzahlen.
GERNET: Genossenschaften sind nicht ein Instrument, das auf einen Systemwechsel zielt. Allerdings tragen sie durchaus eine Prise Anarchie in sich – das zeigen ihre Ansprüche von Selbsthilfe, Selbstverwaltung, Eigenverantwortung. Genossenschaften sind keine theoretischen Konstrukte, sondern realisieren Praktisches. Sie entstehen situativ dann, wenn es einen konkreten Bedarf gibt. Sei das bei traditionellen Formen wie Alpgenossenschaften, Allmenden oder bei heutigen Themen wie Gesundheit, Wohnen oder Energie. Es geht um lebensnahe Bedürfnisse regionaler Gemeinschaften.
FELBER: Die Genossenschaft ist ein Unternehmensmodell und per Definition nicht dazu geeignet, ein ganzes Wirtschaftsmodell zu verändern. Ich spreche hier als Vertreter eines Wirtschaftsmodells, das die soziale Marktwirtschaft weiterentwickeln möchte. Heute haben Unternehmen, die Kosten minimieren und skrupellos agieren, einen Preis- und Wettbewerbsvorteil. Das ist weder gerecht noch zukunftsfähig. Die Gemeinwohlbilanz würde über positive und negative Anreize vom öffentlichen Auftrag bis zum Steuertarif dazu führen, dass verantwortliches Wirtschaften rentabler wird und rücksichtsloses Profitstreben unrentabel.
Herr Gernet, was spricht denn gegen die Gemeinwohlbilanz?
GERNET: Mit neuen Berichten sind wir auf der falschen Spur Unternehmen erstellen bereits Nachhaltigkeitsberichte oder legen Rechenschaft über Menschenrechten und Umwelt in Lieferketten-Reports ab Es braucht nicht noch mehr bürokratische Instrumente. Ich habe kürzlich gelesen, dass in Deutschland die Unternehmen angeblich rund 48 Prozent mehr Geld für Berichterstattung in diesen Bereichen ausgeben als für tatsächliche Massnahmen. Wir bewegen uns da bereits in einem hochregulierten Bereich. Zusätzliche Berichterstattungspflichten, wie etwa die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) mit ihren weit über tausend Berichtspunkten, führen zu Bürokratie und Datenfriedhöfen Unternehmen sind nicht dazu da, Berichte zu schreiben, sondern dazu, gute und wertvolle Produkte und Dienstleistungen zu erbringen, unabhängig von ihrer Rechtsform.
Wirtschaftsreformer Christian Felber
«Die Gemeinwohlbilanz stuft Themen wie Menschenwürde oder Nachhaltigkeit genauso wie finanzielle Kennzahlen ein.»
Historiker Hilmar Gernet
«Unternehmen sind nicht dazu da, Berichte zu schreiben, sondern dazu, Produkte und Dienstleistungen zu erbringen.»
FELBER: Ich stimme zu, dass die EU-Richtlinien zu komplex geworden sind. Wir schlagen genau deshalb einen schlankeren, aber verbindlichen Nachhaltigkeitsbericht mit etwa 10 bis 15 Kernfragen vor Dieser sollte aber gesetzlich verankert sein, um Klarheit und Vergleichbarkeit zu schaffen. Welche Alternativen haben wir? Entweder wir machen gar nichts und dann gibt es keine transparente Information zu Schlüsselthemen und Grundwerten; oder wir überlassen es der Freiwilligkeit, dann gibt es 25 verschiedene Berichtsarten – und weder Vergleichbarkeit noch Verlässlichkeit. Wenn der Staat das mit einem gesetzlichen Standard regelt, gleich wie bei der Finanzbilanz, sind wir auf der sicheren Seite Ich kann verstehen, dass man von einer bürokratischen Zumutung spricht, trotzdem halte ich es für die am Wenigsten schlechte Lösung.
Die Übernahme dieser EU-Richtlinien steht in der Politik gerade zur Debatte FELBER: Die Schweiz hat die Chance, bei der Übernahme der CSRD einen schlankeren, effektiveren Ansatz zu wählen. Statt 1400 Datenpunkten könnten 140 ausreichen. Wichtig wäre, dass Unternehmen, die sich solidarischer und nachhaltiger verhalten, dafür belohnt werden. Dies könnte durch die Erstellung einer Gemeinwohlbilanz schnell nachgewiesen werden. Diese könnte die verschiedenen bestehenden Berichtspflichten zusammenfassen und vereinfachen.
GERNET: Schon, aber als exportorientierte Volkswirtschaft muss die Schweiz die EU-Vorgaben erfüllen, um Zugang zum europäischen Markt zu behalten. Allerdings sollten wir versuchen, den selbst veranstalteten bürokratischen Aufwand so gering wie möglich zu halten. Da sind Herr Felber und ich uns, glaube ich, einig. Für Genossenschaften gilt es, ein Spannungsverhältnis zwischen den eigenen Werten und den Anforderungen von Märkten und Gesellschaft auszuhalten. Bezogen auf das Gemeinwohl bedeutet das, immer wieder demokratisch und gesellschaftlich auszuhandeln, wie dieses Verhältnis entspannt werden kann.
Hat das Genossenschaftsmodell in diesem Umfeld Zukunft?
GERNET: Natürlich. Die zentralen Charakteristika der Genossenschaft –Liberalität, Demokratie, Solidarität –sind hochaktuell und zukunftsorientiert, aber sie verlangen auch grosses Engagement. Genossenschaften sind Doppelwesen und vereinen wirtschaftlichen Nutzen und soziale Verantwortung Ich finde diesen Ansatz moderner denn je, ja eigentlich zeitlos. FELBER: Ich stimme zu. Genossenschaften könnten eine Vorreiterrolle in einer Wirtschaft spielen, die sich stärker am Gemeinwohl orientiert. Sie zeigen, dass wirtschaftlicher Erfolg und gesellschaftlicher Nutzen Hand in Hand gehen können. Allerdings bedarf es für diese «ethische» Leistung einer Anerkennung durch die Gesellschaft.
Interview: Alexander Vitolić
So könnten wirinZukunft alsnachhaltige Gesellschaft zusammenleben.
Wie sie wirklich wird, liegt in unserer Hand.
DieNachhaltigkeitsinitiativedes Unternehmens NZZ mit Partnern ausWirtschaft und Wissenschaft –und allen,die etwasbewegen wollen. Je