IndividuellesKönnen, dichtesZusammenspiel
Den jovialen Spruch «Hauen Sie heute wieder mal auf die Pauke?» hat Raymond Curfs sicher schon hundertmal gehört Der gebürtige Niederländer kann es gelassen nehmen: Er zählt international zu den profiliertesten Schlagwerkern und er beweist Abend für Abend, dass es bei der Pauke keineswegs bloss ums Draufhauen geht Vielmehr ist sie ein Instrument, das höchste Sensibilität verlangt, aber auch eineVielfaltvonKlangfarbenhervorbringt
Von 1999 bis 2007 war Curfs Solopauker an der Bayerischen Staatsoper (unter Zubin Mehta). Seither wirkt er in gleicher Position beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Zudem verbindet ihn eine langjährige Beziehung mit dem Lucerne Festival Orchestra, zu dessen Gründungsmitgliedern er zählt. Curfs enge musikalische Freundschaft mit Claudio Abbado (1933–2014) begann schon im Mahler Chamber Orchestra, dem er von 2000 bis 2006 angehörte, und sie vertiefte sich in Abbados Luzerner Jahren von 2003 bis 2013.
Unvergessliche Konzerte
auf höchstem Niveau
Dem Lucerne Festival Orchestra ist Curfs auch unter Riccardo Chailly treu geblieben «Natürlich ist es für niemanden einfach, ein Ensemble zu übernehmen, das während so vieler Jahre auf einen Dirigenten und seine ganz spezifische Arbeitsweise eingeschworen war», sagt er «Aber die Erfolgsgeschichte geht weiter, wir haben auch mit Chailly in den letzten sieben Jahren einen sehr guten Weg gefunden –in einem Umgang, der respektvoll ist und auf absolutem Vertrauen beruht Nach wie vor haben wir den Anspruch, auf höchstem Niveau zu musizieren und dem Publikum nicht nur gute, sondern unvergessliche Konzerte zu bieten »
Diesen Anspruch hat auch die Flötistin Chiara Tonelli, die ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern des Lucerne Festival Orchestra gehört und im Mahler Chamber Orchestra spielte Darüber hinaus war sie zehn Jahre lang erste Soloflötistin des Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino (unter Zubin Mehta) Auch für die aus Bozen im Südtirol stammende WahlFlorentinerin ist das Lucerne Festival Orchestra ein einzigartiger Klangkörper «Es war eine geniale Idee, mit den besten Solisten aus der ganzen Welt ein Ensemble zu bilden Hier sind Persönlichkeiten aus verschiedensten Sparten bestrebt grosse sinfonische Werke gewissermassen mit einem kammermusikalischen Ansatz in Angriff zu nehmen», sagt sie «Das war und ist etwas ganz Einmaliges: So wurden die Sinfonien von Mahler und Bruckner wohl noch nie gespielt Wir
teilen die Bühne mit Solisten der Wiener Philharmoniker und den Stimmführern anderer bedeutender Orchester, mit Streichern des Hagen-Quartetts und des Alban-Berg-Quartetts mit Sabine Meyer und ihrem Bläserensemble – da fühlt sich jedes Mitglied zugleich geehrt und extrem herausgefordert »
Raymond Curfs erinnert sich mit innerer Bewegtheit an den Zauber, der den ersten Jahren mit dem Lucerne Festival Orchestra unter Claudio Abbado innewohnte «2003 ging es los mit der zweiten Sinfonie von Mahler» erzählt Curfs «Es war das erste Stück, das Abbado nach der Genesung von seiner damaligen schweren Krankheit in Angriff nahm Die Stimmung war euphorisch, fast ekstatisch Wir entwickelten die Musik von innen heraus, im intensiven kammermusikalischen Aufeinanderhören »
An diese magischen Momente erinnert sich Chiara Tonelli genauso Doch beide betonen, dass sich an der Intensität des Musizierens nichts geändert hat «Der Zauber ist unvermindert da», sagt sie, «obwohl Abbado und Chailly sehr verschiedene Charaktere sind Auch im Lucerne Festival Orchestra gab es Veränderungen, und wir Gründungsmitglieder sind 20 Jahre älter als damals. Indem Chailly Musiker aus der Filarmonica della Scala hinzunahm, hat er die Klangpalette etwas verändert. Aber die Spielfreude und die Besonderheit des Festivals –die sind nie vergangen.»
Jubiläumshöhepunkte
während Sommer-Festival
Für den Pauker wie für die Flötistin hat das auch wesentlich mit der Salle Blanche des KKL zu tun, mit ihrer herrlichen Akustik und ihrer zeitlosen Eleganz sowie mit dem festlich gestimmten Publikum: «Es erwartet mehr als gepflegte Routine», so Curfs, «es bringt jene Neugierde, innere Gespanntheit und Begeisterungsfähigkeit mit, die Sternstunden begünstigen » Das Publikum am diesjährigen Sommer-Festival des Lucerne Festival hat die Gelegenheit, sowohl aktuelle Konzerte
(siehe Tipps) zu erleben als auch in die Vergangenheit einzutauchen Vom 8 August bis 10 September 2023 sind im Foyer des KKL Luzern historische Fotos des Lucerne Festival Orchestra zu sehen Im Anschluss an das Eröffnungskonzert am 11 August 2023 findet auf dem sogenannten Inseli ein «Meet the Orchestra» mit Musikern statt Parallel dazu zeigt das Luzerner «stattkino» zum 20-jährigen
Jubiläum des Lucerne Festival Orchestra zwischen dem 9 und 20 August 2023
insgesamt sieben historisch bedeutsame Mitschnitte von Konzerten unter der Lei-
tung von Claudio Abbado und Riccardo Chailly, begleitet von persönlichen Gesprächen beteiligter Persönlichkeiten Zurück zur Gegenwart: Vor allem aber wird das Lucerne Festival Orchestra unter Chailly mit Mahlers Dritter sowie mit Werken von Mozart bis Rachmaninow brillieren während es Bruckners Achte unter Yannick Nézet-Séguin zur Aufführung bringt Ein wichtiges Element sind auch wieder die Kammerkonzerte von Solisten des Ensembles Ein Höhepunkt verspricht der Quintettabend mit dem russischen Meisterpianisten Daniil Trifonov zu werden: Mit dem Opus 34 von Brahms und dem Forellenquintett von Schubert stehen zwei Spitzenwerke der Gattung auf dem Programm Ein Ensemble, das auf dem Niveau des Lucerne Festival Orchestra spielt, muss nicht nur starke Streicher und Bläser haben, sondern auf jeder Position optimal besetzt sein An Curfs lässt sich das exemplarisch zeigen: Er entlockt der Pauke Klangnuancen, die man nicht für möglich halten würde Dabei spielen seine genuine Musikalität und seine elaborierte Schlagtechnik eine wichtige Rolle, aber auch das Material Ans Lucerne Festival reist der Musiker mit einem Koffer, in dem sich 30 40 verschiedene Schlägel befinden «Sie sind speziell für mich an-
gefertigt und so gestaltet, dass sie exakt auf meine Bewegungen reagieren und genau die Klangfarben hervorrufen, die ich mir vorstelle Ich denke beim Spielen stets in Farben» erläutert er «die Trompeten unterstütze ich mit einer anderen Farbe als die Celli oder die Holzbläser Je nach Stück kommen mehr oder weniger verschiedene Schlägel zum Einsatz, bei Beethoven oder Mozart eher weniger, da komme ich mit drei oder vier Paaren aus bei einer Mahler-Sinfonie sind es dann aber doch schon zehn bis zwölf Paare » Musizieren im Freundeskreis mit enorm viel Arbeit
Das individuelle Können ist wichtig Noch wichtiger aber ist im Lucerne Festival Orchestra die Dichte des Zusammenspiels, die Verbindung von Körperhaftigkeit und Transparenz des Klangs. Wenn das Orchester Mahler spielt, passen die vielen Musiker kaum auf die KKL-Bühne –gleichwohl können sie so filigran und leise spielen, dass man den Atem anhält
Und ob sie Bruckners Achte mit ihrem religiösen Tiefgang gestalten oder im von Chailly initiierten Rachmaninow-Zyklus dessen erste Sinfonie erklingen lassen:
Stets spürt man, dass hier nicht ein Grand Chef mit seiner gehorsamen Truppe musiziert, sondern dass Freunde, die sich
Konzerttipps zum Sommer-Festival vom 8. August bis 10. September 2023 im KKL
Lucerne Festival Orchestra
11 August 2023: Lucerne Festival Orchestra | Damen des Chores des Bayerischen Rundfunks | Luzerner Kantorei | Riccardo Chailly | Wiebke Lehmkuhl – Mahler
12. August 2023: Lucerne Festival
Orchestra | Riccardo Chailly | Maria
João Pires – Mozart | Brahms
13 August 2023: Solist innen des Lucerne Festival Orchestra – Dvořák | Debussy | Ravel | Schönberg
16. August 2023: Lucerne Festival
Orchestra | Riccardo Chailly | Beatrice Rana – Rachmaninow
18 August 2023: Solist*innen des
Lucerne Festival Orchestra | Daniil
Trifonov – Brahms | Schubert
19 August 2023: Lucerne Festival
Orchestra | Yannick Nézet-Séguin –Boulanger | Bruckner
Orchester aus aller Welt
13 August 2023: Israel Philharmonic
Orchestra | Lahav Shani – Farrenc | Haydn | Brahms
27. August 2023: Royal Concertgebouw
Orchestra | Iván Fischer – Wagner | Mahler
28. August 2023: Boston Symphony
Orchestra | Andris Nelsons | Jean-Yves Thibaudet – Simon | Saint-Saëns | Strawinsky
30 August 2023: Berliner Philharmoniker | Kirill Petrenko – Reger | Strauss
3 September 2023: Il Giardino Armonico | NFM Choir | Giovanni Antonini | Anett
Fritsch | Maximilian Schmitt | Florian Boesch – Haydn
6 September 2023: Wiener Philharmoniker | Jakub Hrůša – Janáček | Smetana | Rachmaninow
Tickets und Infos: lucernefestival.ch
auf Augenhöhe begegnen, im aufmerksamen Zusammenspiel ihr Bestes geben. «Für mich ist das Orchester wie eine grosse Familie», sagt Tonelli denn auch, «die sich jeweils zu Weihnachten trifft Man hat sich das ganze Jahr nicht gesehen, aber man freut sich aufeinander und ist vom ersten Moment an so vertraut dass man gleich loslegen kann.» Freilich steckt hinter dem, was Chiara Tonelli und Raymond Curfs als Musizieren im Freundeskreis beschreiben, enorm viel Arbeit Nur zwei Wochen stehen zur Verfügung um die oft höchst komplexen Kompositionen neu zu verinnerlichen und gemeinsam zu gestalten Da fallen mitunter Proben und Aufführungen sogar auf den gleichen Tag «Aber man trifft sich ja, um intensiv zu musizieren», sagt Tonelli, «und arbeitet entsprechend fokussiert So wird das Proben nicht zur Last Noch nie in all den Jahren habe ich ein Murren über die langen Arbeitstage mitten in der Ferienzeit gehört » Partizipation statt Subordination: Dieses Prinzip verlangt von allen Beteiligten ein Maximum an Aufmerksamkeit und Verantwortung. Doch wo seine Umsetzung glückt, da wächst das Orchester über sich hinaus und schafft Momente für die Ewigkeit – damals mit Claudio Abbado, heute mit Riccardo Chailly
Pauker Raymond Curfs.
Flötistin Chiara Tonelli.
Dieser Inhalt wurde von NZZ Content Creation im Auftrag von Lucerne Festival erstellt
NZZ am Sonntag 23 Juli 2023
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Das Lucerne Festival Orchestra in der Salle Blanche des KKL: «Es war eine geniale Idee mit den besten Solisten aus der ganzen Welt ein Ensemble zu bilden » FOTOS PD