Nr. 2 | NZZ Edition Kunst | Dezember 2016 | Herman de Vries
Internationale Künstler blicken auf die Schweiz
Die Schweiz ist reich an wunderbaren Motiven, der Kunstmarkt lebendig und die weltweit wichtigste Kunstmesse ist hier beheimatet. Im Rahmen unserer neuen Kunstedition werden wir Ihnen einmal pro Quartal einen Künstler vorstellen, der sich auf Einladung der NZZ mit der Schweiz oder Zürich auseinandergesetzt hat. Sie werden dabei sowohl Geheimtipps der Kunstszene kennenlernen als auch arrivierte Künstlerstars wieder treffen.
Ab dem 07. Dezember ist die Werkreihe von Herman de Vries im NZZ Shop, Falkenstrasse 11 in Zürich ausgestellt.
Bei den Werken handelt es sich durchwegs um Unikate, die wir den NZZ- Lesern an einer exklusiven Vernissage vorstellen. Diese NZZ Edition versteht sich als Projekt, das Kultur fördert und den Diskurs über gegenwärtige Kunst pflegen möchte. Als zweiten Künstler unserer Serie stellen wir Ihnen Herman de Vries vor. Bereits 1962 wurde der Niederländer als Mitbegründer der Gruppe «nul» im Amsterdamer Stedelijk Museum ausgestellt. Er ist heute in den Sammlungen der namhaftesten internationalen Häuser vertreten. Im Jahr 2015 vertrat de Vries sein Heimatland auf der Biennale in Venedig. Unter dem Titel «to be all ways to be» zeigte er im niederländischen Pavillon Skulpturen, Objekte, Arbeiten auf Papier sowie Fotografien. Parallel waren seine Werke Teil der grossen ZERO Ausstellungen im Berliner Gropius-Bau und im New Yorker Guggenheim Museum. Für die NZZ Edition schuf der Künstler eine Suite von 40 seiner Erdskizzen, die ein beeindruckend facettenreiches Porträt der Schweiz im Duktus seiner berühmten Ausreibungen zeigen. Wir wünschen Ihnen schöne Ansichten und leise, nachdenkliche Momente bei der Betrachtung. Ihre NZZ
Herman de Vries hat eine unikatäre Reihe von 40 exklusiven Werken im einheitlichen Format DIN A4 (22,1 × 30,8 cm inkl. Rahmen) für die NZZ geschaffen. Die Werke sind zu einem Preis von Fr. 1490,– über die NZZ erwerbbar. Es gilt die Reihenfolge der Bestelleingänge. Reservierungen sind leider nicht möglich. Die Werkreihe von Herman de Vries ist am 7. Dezember ab 16 Uhr im NZZ Shop, Falkenstrasse 11, zu besichtigen. Danach sind einzelne Werke im NZZ Shop ausgestellt.
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shop.nzz.ch
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«Was ist Kunst? Kunst hat sehr viele Definitionen, die alle berechtigt sind. Kunst ist eines der wenigen freien Gebiete in unserer Gesellschaft, komplett frei. Für mich ist Kunst ein Beitrag zu Bewusstsein und Bewusstwerdung.» Herman de Vries
Erdausreibung
«Die Leute sind bei einer Installation immer wieder erstaunt über die Farben, die Böden, über die sie gehen und die sie nicht kennen. Ich finde es wichtig, auf das Nicht-Wissen einzugehen. Ich habe zum Beispiel eine Fotoserie gemacht mit «vor meinen Füssen». Da gehe ich einen Weg oder einen Pfad und mache jede 10 oder 15 Meter ein Foto wie eine Probenentnahme. Das ist überraschend, zu sehen, was da alles vor deinen Füssen zu sehen ist. Natürlich in Zürich weniger als in Schwarzwasser bei Bern. Zürich wird unheimlich sauber gehalten. Das ist eigentlich eine arme Welt vor deinen Füssen in Zürich.»
Herman de Vries
Erdausreibung
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Demut vor der Natur von Gerhard Mack
Zur Person
Herman de Vries möchte uns mit der Natur wieder in Kontakt bringen. Sein Werk erfreut sich seit ein paar Jahren wieder vermehrter Aufmerksamkeit.
Das Klischee ist schnell gemacht: Herman de Vries ist ein LSD-Opa, der mit wallendem weissem Bart nackt durch die Wälder geht und in Flüssen badet. Die Substanz hat er immerhin vor langer Zeit probiert und damit sein Asthma kuriert. Zugleich feiert der 1931 geborene Künstler in den letzten Jahren ein beachtliches Comeback: 2015 bespielte er den niederländischen Pavillon bei der Biennale von Venedig, dieses Jahr stellte er in Hamburg aus, in den Jahren nach der Jahrtausendwende war er bei vielen Gruppenausstellungen dabei. Der Naturfreak kommt an, die sanfte Poesie seiner Arbeiten bringt in den Besuchern offenbar eine Sehnsucht zum Klingen: Nach einer Welt, die noch heil ist, nach einer Natur, in der wir noch ruhen und an der wir unseren inneren Kompass ausrichten können. Darum geht es dem Künstler eigentlich auch: Er will unseren Blick auf die natürlichen Voraussetzungen unseres Lebens lenken, die in unserer Hightech-Kultur leicht vergessen werden. Das kommt sanft daher, beinhaltet aber eine Kritik an der Moderne und ihrem Machbarkeitsglauben. Dieser Impuls stand schon am Anfang dieser seiner Kunst. Damals, in den fünfziger Jahren, galt er der Unsicherheit nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust. Künstler suchten nach Unverbrauchtem. Herman de Vries zählte zu den Mitgliedern der Gruppe Nul in den Niederlanden und kam bald mit den Künstlern der Gruppe ZERO im Rheinland in Verbindung. Die Suche nach Reinheit von Licht und Farben, die Skepsis gegenüber der Materialität, die Sehnsucht nach einer universellen Spiritualität teilte er mit Kollegen wie Günter Uecker, Otto Piene und Heinz Mack. Auch war er gegen ein metaphysisches Pathos nicht immun. Anders als bei den deutschen Kollegen blieb seine Kunst aber still und meditativ. Herman de Vries empfindet vor allem Demut gegenüber der Natur, die er als Gärtner und Wissenschaftler bestens kennt. Wann immer Gerhard Mack (*1956) ist seit Anfang 2002 möglich, lässt er der Natur ihren Raum oder Redaktor für Kunst und schafft ihr welchen. Den Wald bei seinem Architektur bei der «NZZ Wohnort in Unterfranken bezeichnet er als sein am Sonntag». In Speyer (D), Atelier. Bei der Biennale von Venedig steckte er studierte er Germanistik, auf der Insel San Lazzaretto Vecchio, wo einmal Geschichte, Politologie, Philosophie und Anglistik in Pestkranke untergebracht waren und heute Konstanz und Oxford (GB). Hunde wohnen, ein Stück Land ab und definierte 1988 Promotion mit einer es als Sanctuarium. Dieses Allerheiligste bleibt Studie zur Farce. Danach frei von Eingriffen der Menschen, in ihm darf die Dramaturg und RegieasNatur ungehindert wachsen. sistent am Stadttheater St. Gallen.
Doch er wollte Natur nicht nur wachsen lassen, sondern sie auch vermitteln. Das hiess für Herman de Vries zunächst einmal, sie selbst zum Sprechen zu bringen. Holz und Steine werden nicht bearbeitet wie in der klassischen Bildhauerei, sondern gesammelt, geordnet, aufbewahrt, bei Bedarf hervorgeholt. Die Verfahren, die der Künstler dabei anwendet, sind aus der klassischen Botanik bekannt. Diese lebte davon, möglichst viele Beispiele der Pflanzenspezies zusammenzutragen und durch anschauende Vergleiche zu verstehen. Systeme entstanden durch additive, nicht durch analytische Verfahren, wie sie von den vielen biologischen Disziplinen heute angewendet werden. Das Sammeln erstreckt sich nicht nur auf Produkte, die die Natur hervorgebracht hat. Herman de Vries beginnt bereits bei der Erde, aus der die Pflanzen hervorwachsen. 8000 Erdproben hat er aus aller Welt zusammengetragen. Einige Jahre bewahrte er sie einfach auf, dann entschloss er sich, sie auch in das klassische Kunstformat eines Bildes zu überführen. Er nahm Erde in die Hand und rieb sie auf Papier ab. Dabei entstanden abstrakte Bilder, die die Erinnerung an die Anfänge des Künstlers als informeller Maler bewahren und sich zugleich weit davon entfernen: Ging es nach dem Krieg um eine Selbstvergewisserung des Subjekts in der Geste, so sollte die persönliche Handschrift jetzt gerade ausgeschaltet bleiben. Das Bild ist nicht Ausdruck einer Persönlichkeit, sondern Abdruck der Natur – die Spuren aus Erde zeigen diese selbst. Und wenn man das als schön empfindet, so ist es eine Schönheit, die für den Künstler losgelöst vom Menschen besteht. Auf dieses Konzept der Abreibung greift Herman de Vries auch für das Unikate-Projekt zurück, das er für die NZZ realisiert. Die 26 Kantone der Schweiz sollen nicht durch ihre kulturellen Errungenschaften, sondern mithilfe von Erdabreibungen in ihrer Vielfalt gegenwärtig werden. Der Künstler kennt die Schweiz von vielen Aufenthalten und ist vom Reichtum ihrer Erden fasziniert. Während er sie lange selbst sammelte, gab er dem Projekt diesmal eine partizipative Dimension und rief, unter anderem über Forstämter und Tourismusbüros, die Bevölkerung dazu auf, Proben zu nehmen und ihm zu übergeben. Die Auswahl, die so zusammenkam, wurde von ihm mit Beständen aus seinem Erdarchiv ergänzt. Vierzig Arbeiten geben ein vielschichtiges Bild des Landes ab. Besonderes Augenmerk gilt der Rütliwiese als dem mythischen Gründungsort der Schweiz. Sie ist mit drei Erden präsent. Auch hier lenkt der Künstler den Blick zurück auf eine Zeit und eine Erzählweise, die vor der Moderne Geltungskraft hatten. Eine sanfte Kritik an unserer wissenschaftsgläubigen Zeit.
Darstellung der Fundstellen aller Erden
Die Vielfalt der Schweiz künstlerisch abbilden Für die NZZ Unikat-Reihe greift Herman de Vries auf seinen Werkkomplex der Erd-Ausreibungen zurück. Die 26 Kantone der Schweiz sollen nicht durch ihre kulturellen Errungenschaften, sondern mithilfe von Erdabreibungen in ihrer Vielfalt gegenwärtig werden. Der Künstler kennt die Schweiz von vielen Aufenthalten und ist vom Reichtum ihrer Erden fasziniert. Viele Erden sammelt Herman de Vries selber. Für diese Serie gab er dem Projekt jedoch eine partizipative Dimension und rief, unter anderem über Forstämter und Tourismusbüros, die Bevölkerung dazu auf, Proben zu nehmen und ihm zu übermitteln. Hieraus traf der Künstler eine Auswahl und ergänzte sie mit eigenen Funden aus den Beständen seines Erdarchiv. Dort hat er in den letzten 48 Jahren über 8000 Erdproben aus aller Welt zusammengetragen und diese gerade in seinem Earth Museum Catalogue illustriert. Für die NZZ Reihe sind 40 Unikate entstanden, die ein vielschichtiges und farbenfrohes Porträt der Schweiz zeigen. Besonderes Augenmerk gilt dabei unter anderem der Rütliwiese als dem mythischen Gründungsort der Schweiz. Sie ist mit drei Erdskizzen, die für die drei Schweizer Urkantone stehen, vertreten. Der obigen Karte entnehmen Sie die Fundorte der Erden die unserer Unikat-Reihe von Herman de Vries zugrunde liegen.
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1 bremgarten-ag aargau
2 kunstmuseum appenzell appenzell inn
3 kunsthalle ziegelhütte appenzell inn
4 hüttenwald appenzell inn
21 sarnersee obwalden
22 silberen 1900 m schwyz
23 rapperswill st. gallen
24 colla tal tessin
5 monte-veritas ascona
6 kannenfeldpark basel stadt
7 oberaargau bern
8 ins bern
25 isenthal uri
26 rütliwiese uri
27 rütliwiese uri
28 rütliwiese uri
9 zollikofen bern
10 la neuville bern
11 tüschierz bern
12 lengnau bern
29 wanderweg ried brig wallis
30 landschaftspark binntal wallis
31 riederalp wallis
32 binn feld wallis
13 bözingenberg bern
14 trübsee engelberg oberwalden
15 les petits greneréls freiburg
16 schwarzstöckli glarus
33 binn feld wallis
34 riederalp wallis
35 unterägen ägerisee südufer zug
36 geographische mitte kanton zürich zürich
17 region chur graubünden
18 vals zervreilahorn graubünden
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20 paturage de sagne jura
37 schnebelhorn zürich
38 steinbruch forchaux neuenburg
39 jäissberg bern
40 twannbachschlucht bern
«from earth: from the world, 1978-2014» & «die steine» (venedig, biennale)
Herman de Vries im Gespräch Sie haben zu Protokoll gegeben, in Ihrem Leben mehr als 480 Arten von Pflanzen zu sich genommen zu haben. Erstaunlich, dass Sie dies genau beziffern können – und was haben Sie dem Durchschnittsbürger damit voraus? Die Menschen essen Gemüse, heutzutage auch Exotisches, aber die Pflanzenkenntnisse der Menschen sind gering. Es gab in den Achtziger Jahren eine Umfrage, wie viele Pflanzen die Menschen noch mit Namen kennen. Das waren durchschnittlich sechs Pflanzen. Aber wenn man einen Buschmann in der Kalahari fragt, kennt er 180 Pflanzen mit Namen. Und dazu noch über 200 Anwendungen. Bei uns ist das eine enorme kulturelle Verarmung. Wir wissen anderes, aber die Natur ist die Basis. Ohne diese Basis passiert nichts.
19 steinbruch les roches jura
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Woher kommt Ihre innige Beziehung zur Natur? Primär von meinen Eltern, die auf dem Lande gelebt hatten und dann später in die Stadt gezogen sind, aber immer die Beziehung zur Natur behalten haben. Sie gingen am Wochenende immer in die Dünen, und als Kind wurde ich mitgenommen. Ich habe in den kleinen Dünen gelegen, wo Schmetterlinge tanzten, wo es anders gerochen hat, so etwas Mooriges, wo kleine Pflanzen wuchsen – Sonnentau und Parnassia –, das kenne ich alles aus meiner Kindheit. Und wo die Möwen drübergeflogen sind, da habe ich zwischen den Zwergbirken gelegen, Luft aufgesaugt. Diese Beziehung habe ich behalten. Die verdanke ich meinen Eltern. Haben Sie mal in einer Stadt gelebt? Ich habe immer ein grosses Bedürfnis, in der Natur zu sein, besonders in den Wäldern. Meine künstlerischen Beziehungen sind in den Städten, die Bauern im Dorf kaufen keine Kunst. Amsterdam ist eine interessante Stadt, Paris ist eine interessante Stadt, Katmandu ist eine interessante Stadt. Meist habe ich nach ein paar Tagen genug. Sie haben eine Gartenbau-Schule besucht. Sie haben als Landarbeiter gearbeitet, Sie waren Mitarbeiter im Pflanzenschutzdienst ...und am Institut für Angewandte Biologische Forschung in der Natur. Dass heisst, Ihre Kunst basiert auf einer tiefen Kenntnis der Natur? Liebe macht bedürftig nach Kenntnis.
Change and Chance – Chance of Change. Das ist ein Zitat, das Ihnen sehr wichtig ist. Was ist der Kern dieser Aussage? Diese Gesellschaft gehört auch dazu. Alles ist in Änderung und bietet immer neue Chancen. Sie möchten mit Ihrer Kunst die Unterschiede zwischen Mensch und Natur überbrücken. Sie beklagen die schlechte Verbindung. Was treibt Sie um, sind Sie Naturschützer, sind Sie ein Bewahrer oder ist es die Liebe zur Natur? Oder ein bisschen von allem? Ein bisschen von allem. Ich finde Naturschutz wichtig, es wird viel zu wenig Natur in ihrer Originalität bewahrt. Liebe ist es auch, aber vor allem eine Verbindung, die in mir gefestigt ist, die zu meinem natürlichen Programm gehört, zu meiner Jugend, und sich hier immer weiterentwickelt hat. Und diese Verbindung zu kommunizieren, ist meine Funktion als Künstler. Wobei ich auch finde, die jetzige Welt entwickelt sich immer weiter von der Natur weg, obwohl das die Basis ist. Natur ist die Basis. Daraus entwickelt sich unsere Kultur. Das älteste Kulturobjekt ist die Sichel zum Ernten. Ich habe eine grosse Sammlung von Sicheln. Das ist unsere primäre Beziehung: ernten, essen. Das müssen wir alle. Das ist unsere Kultur.
Wann kam zu der Erkenntnis der künstlerische Aspekt dazu? Was ist Kunst? Kunst hat sehr viele Definitionen, die alle berechtigt sind. Kunst ist eines der wenigen freien Gebiete in unserer Gesellschaft, komplett frei. Für mich ist Kunst ein Beitrag zu Bewusstsein und Bewusstwerdung.
Was sammeln Sie eigentlich nicht? Ihr Atelier ist ein umfangreicher Fundus- was mir aufgefallen ist- Sie sammeln auch immer schon Gegenstände von Menschen- Werkzeuge zum Beispiel. Ist das eine Entwicklung zum Menschen hin? Es zeigt, dass das, was ein Mensch tut, auch wieder zugrunde geht. Es ist der Prozess vom Verfall, der etwas Positives hat, dann wird es wieder in der Natur aufgenommen. So ein Objekt, das verfällt, ich nenne das «Artefakt», ist ein Dokument von diesem Prozess. Ein natürlicher Prozess. Und ich war gerade auf der Insel Gavdos, da gibt es nur noch vierzig Einwohner. Es sind ganze Ortschaften, die nicht mehr bestehen, die einstürzen. Ich bin durch den Iran gereist, da war eine Ortschaft aus Lehmhügeln, aus denen noch ein paar Mauerreste hervorkamen. Lehmhäuser, die verfallen... da wird die menschliche Situation in der Natur aufgenommen. Verfall hört sich negativ an, aber es ist auch ein positiver Prozess, ein lebendiger Prozess. Also sammle ich unter anderem Artefakte, weil ich diesen Aspekt von unserem Dasein interessant finde. In Zusammenhang mit der Natur ist der Prozess Chance und Veränderung.
journal venedig, 2014
Erden, Holz, Steine sind einige Ihrer Werkstoffe. Zumeist handelt es sich dabei um Fundstücke. Bei der Unikate-Reihe für die Neue Zürcher Zeitung geht es um Erden aus der Schweiz. Und viele dieser Fundstücke haben Sie nicht selbst gefunden, sondern sie werden von anderen Menschen zu Ihnen gebracht. Das hat auch einen partizipativen Charakter. Ist das Teil Ihrer Kunst, dieses partizipative Element? Ich springe gern mal über Grenzen. Und das Kollektive ist umgrenzt, zwischen Individuum und Kollektivem. Damit vereinigen sich die Dinge. Unity.
Sie gelten als Mitbegründer der Gruppe nul, die den Ideen der ZERO-Bewegung sehr nahesteht. Wie haben Sie persönlich in den letzten Jahren die Renaissance dieser Bewegung und dieser Kunstidee empfunden und wahrgenommen? Es hat mich gefreut. Auch für meine jetzige Arbeit und die der letzten Jahrzehnte ist ZERO immer noch die Basis. Ich spreche nicht von nul, denn die nul-Bewegung war in Holland. Da war ich von Anfang an beteiligt, aber ich wurde dann rausgeworfen – das war nicht unbedingt eine freundschaftliche Beziehung zwischen den Kollegen. Sie sprechen von der «Poesie der Realität» – sind Sie Realist oder Träumer? Ich denke, ich bin ein Realist, der träumt. Oder ein Träumer, der denkt, dass er Realist ist. Man muss nicht so viel denken, man muss wissen...
Herman de Vries und Dr. Anke Brack im Gespräch
Sie haben über 400 Erden aus der Schweiz in Ihrer Erdsammlung. Was verbindet Sie mit der Schweiz? Ich bin oft in der Schweiz gewesen, ich war sehr gern in Bern, eine Stadt, in der die Strassenbahnen mit der halben Geschwindigkeit fahren wie in Frankfurt, das ist mir unheimlich sympathisch. Und der Dialekt hört sich auch so ganz ruhig an. Und auch das ist mir sympathisch. Bern hat mir gefallen, ich habe da oft monatelang bei Freunden gewohnt, die ein Haus hatten, in dem Künstler wohnten. Ich wohnte da unter anderem auch zusammen mit James Lee Byars, einem alten Freund von mir. Ich machte mit James zusammen Wanderungen in der Natur rund um Bern. Ins Elzhölzli zum Beispiel. Und ich hatte Ausstellungen in Biel, habe Materialien in der Landschaft gesammelt, im Jura, habe den Jura ein bisschen besser kennengelernt, und das Vorland davon. Ich war auf der Insel, wo Rousseau gelebt hat – es gibt noch eine kleine Edition von mir mit Erde von der Peters-Insel von Rousseau. Ich war in Zürich für eine Ausstellung in der Galerie Kornfeld – Zürich hat einen wunderschönen Botanischen Garten und das exzellente Rietberg Museum. Wenn ich wieder mal nach Zürich komme, ist das eines der ersten Dinge, die ich tun werde, den Botanischen Garten besuchen. Man lernt immer was Neues, man lernt immer dazu. Ich bin jetzt 85, ich bin noch immer lerngierig. Und ja, ich war mal im Wallis, auch wieder eine andere Landschaft. Ich habe das Binntal besucht, mit ganz anderer Erde, die Farben sind da grau und weiss. Die Leute sind bei einer Installation immer wieder erstaunt über die Farben, die Böden, über die sie gehen und die sie
Bei der Arbeit
nicht kennen. Ich finde es wichtig, auf das Nicht-Wissen einzugehen. Ich habe zum Beispiel eine Fotoserie gemacht mit «vor meinen Füssen». Da gehe ich einen Weg oder einen Pfad und mache jede 10 oder 15 Meter ein Foto wie eine Probenentnahme. Das ist überraschend, zu sehen, was da alles vor deinen Füssen zu sehen ist. Natürlich in Zürich weniger als in Schwarzwasser bei Bern. Zürich wird unheimlich sauber gehalten. Das ist eigentlich eine arme Welt vor deinen Füssen in Zürich. Vielen Dank, Herr de Vries, für das Gespräch. Rene S. Spiegelberger und Dr. Anke Brack führten das Gespräch am 21. Juli 2016 im Atelier des Künstlers.
Sicheln
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herman de vries – ein Lebenslauf – vom Künstler selbst verfasst
1997 documents of a stream reise durch italien sanctuarium, münster
1931 geboren in alkmaar / niederlande
1978 reise nach sikkim
1949-51 gartenbauschule, hoorn / niederlande
1979 reise nach gavdos
1951-52 landarbeiter in frankreich
1980 nicht kunst all
1952-61 mitarbeiter beim pflanzenschutzdienst, wageningen / nl, gründungsmitglied des niederländischen vereins für säugetierkunde 1953 beginn der künstlerischen tätigkeit 1955 collages trouvés 1956 what is rubbish 1961–68 mitarbeiter am institut für angewandte biologische forschung in der natur, arnhem / niederlande 1961–64 publizierte die zeitschrift 0 = nul (4 ausgaben) 1965–72 revue integration (8 ausgaben) 1967 reise nach osteuropa und russland 1969 reise nach algerien, in die sahara, nach tunesien, in die türkei erste psychedelische erfahrung 1970 reise über die türkei nach persien, afghanistan und indien, reise zu den seychellen 1973 «chance & change» reise nach marokko, rio de oro, mauretanien und senegal 1974 «to be all ways to be» anfang von the eschenau summer press & temporary travelling press publications (bisher 61 ausgaben) reisen nach nepal, indien, thailand und laos 1975 exposition complète de luang-prabang poesie actuelle here and everywhere 1976 this and no thing
1981 les trés riches heures de herman de vries langer aufenthalt in los aceviños, la gomera / spanien 1982 here from earth natural relations reise nach marokko für natural relations 1984 mind-moving from the shortness of the moment reise nach senegal für natural relations mitglied des würzburger arbeitskreises für ethnomedizin un der der arbeitsgemeinschaft ethnomedizin, heidelberg 1985 reise nach delhi / indien für natural relations 1986 i am what i am, flora incorporata reise nach marokko für natural relations 1989 erfahrungsfelder human life reise nach nepal 1991 begründet mit wolfgang baurer «integration», zeitschrift für geistesbewegende pflanzen und kultur (5 ausgaben) 1992 terre, vie et poesie, espace de l‘art concret, mousans-sartoux / frankreich the real works, royal botanic garden/ edinburgh schottland 1993 ohne gegensätze botanische werke sanctuarium, stuttgart 1995 physik und metaphysik sind eins 1996 vorsitzender des internationalen stirnerbundes 1996-2007 mesa
1998 oevreprijs 1998 belebende kunst (niederländischer staatspreis) 1999 terrain vague, projektidee für den industriepark in lyon / frankreich 1999–2008 traces, réserve géologiques de haute-provence / frankreich 2000 hortus liberatus, merzig 2001 bois sacré du sanctuaire de roche-rousse, digne-les-bains, haute-provence / frankreich 2002 different & identic Wynfrith me caesit – herman me recreavit, düsseldorf 2003–05 spuren, steigerwald 2004 sacred space, n.s. wales / australien 2006 kulturpreis bayern zero, düsseldorf 2008 zero, new york unity holy days all this here bomenmeuseum, den haag / niederlande 2009 all this here, museum schloss moyland, bedburg-hau 2010 es ist da, mies van der rohe haus, berlin 2011 i am, kunstvereinigung diepenheim searching for the source 2013 im winter auf dem grossen knetzberg – ein journal 2014 ausgewählt für die biennale di venezia 2015 all and no thing, stedelijik musem schiedam 2015 biennale arte 2015, venedig itlaien 2016 sculptures trouvés, ernst barlach haus, hamburg
33 binn feld wallis
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Impressum
044 258 13 83
Nr. 2 | NZZ Edition Kunst | Dezember 2016 | Herman de Vries
Bitte einsenden an: NZZ Edition, Falkenstrasse 11, Postfach, 8021 Zürich
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Wir verstehen etwas von Geschichte, weil wir selber Teil von ihr sind. Während die Franzosen im September 1799 die Schlacht um Zürich für sich entscheiden konnten, sass in ebendieser Stadt bereits einer unserer Redaktoren bei seiner Arbeit im stillen Kämmerlein.
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