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Silber und dann?
Silver und dann?
Wir schreiben den 29. August 2021, 07:28 Uhr. Die Außentemperatur beträgt knapp 28° C und die des Wassers 30° C. Die Luftfeuchtigkeit ist derart hoch, dass schon bei der kleinsten Bewegung die Kleidung am Körper klebt. Einer, der sich auf diese Bedingungen bestens eingestellt hat, ist der Oberösterreicher Florian Brungraber. Soeben hat der Paratriathlet nach 750 m Schwimmen, 20 km Handbike und 5 km Rennrollstuhl die Ziellinie des paralympischen Triathlonbewerbs in Tokio auf dem 2. Platz überquert und sensationell die Silbermedaille für Österreich geholt. Historisch!
Viele Monate arbeitete Florian Brungraber akribisch auf den 29. August 2021 hin und ordnete seinem großen Highlight viel unter, um von der ersten Sekunde an ein für ihn perfektes Rennen abzuliefern. Keinen Gedanken verschwendete er im Vorfeld aber daran, was nach dem Rennen sein würde.
Der Projektleiter für Wasserkraftprojekte rechnete nicht damit, dass dieser Wettkampf mit gerade einmal einer Stunde Renndauer seinen gewohnten Tages- und Trainingsablauf derart durcheinanderwirbeln würde. Wir haben uns mit dem sympathischen Oberösterreicher über die hundert Tage nach seinem großen Erfolg unterhalten. Eines vorweg: Von der Gemeindezeitung seines Wohnorts Elz bis zum Aufsager für den „Ö3-Wecker“ und zur „Millionenshow“ – es war einiges los!
Herzliche Gratulation nochmals zu deiner großartigen Saison! Du hast ja ganz schön abgeräumt: Silber in Tokio, Silber bei der EM und Bronze bei der WM! Wie geht es dir?
Danke! Ich befinde mich gerade in der Offseason. Die habe ich schon richtig herbeigesehnt! Nach Tokio stand nämlich international noch die Europameisterschaft in Valencia auf dem Programm. Mit der habe ich mich bereits im Vorfeld arrangiert, die Weltmeisterschaft Anfang November in Abu Dhabi kam dann aber doch eher überraschend, nachdem sie im Mai covidbedingt abgesagt werden musste und erst kurz zuvor neu angesetzt wurde. Jetzt konnte ich mich aber einmal ein bis zwei Wochen komplett rausnehmen und habe den restlichen November genutzt, um wieder locker ins Training einzusteigen.
Konntest du schon alle Eindrücke verarbeiten, die in deiner erfolgreichen Saison auf dich eingeprasselt sind? Wie waren die letzten hundert Tage seit dem Gewinn der paralympischen Silbermedaille für dich?
Zusammenfassend kann ich sagen, dass mich meine Arbeit und der Sport mit allem Drumherum bereits vor Tokio zu 100 Prozent ausgelastet haben. Danach kamen zusätzlich pro Woche einige Termine hinzu. Das war phasenweise ganz schön herausfordernd!
Wie viele Gedanken hast du dir im Vorfeld über das „Danach“ gemacht, wenn du eine Medaille gewinnst?
Wann hast du gemerkt, dass das nicht so ganz aufgehen wird? Eigentlich gleich unmittelbar nach dem Rennen. Es war drückend heiß und ich habe im Ziel nach Luft gerungen und mir nichts mehr gewünscht als ein Eisbad und einen kurzen Moment zum Verschnaufen. Stattdessen wurde ich unmittelbar nach der Zieleinfahrt von den ganzen Medien überrumpelt und musste sofort erste Interviews geben. Dann kamen natürlich gleich auch die ersten Glückwünsche und Gratulationen und natürlich stand auch noch die Dopingprobe auf dem Programm. Dann erst konnte ich für einen Moment durchschnaufen, bevor es zur Siegerehrung ging!
Und in der Tonart ging es dann weiter, oder wie ?
Ja so ungefähr! (lacht) In Tokio gab es noch einige Interviews vor Ort und auch online mit den österreichischen Medien gab es einige Termine. Auch für den „Ö3-Wecker“ durfte ich einen kurzen Aufsager einsprechen. Am 2. September sind wir dann zurückgereist und ich habe mich nach einer über zwanzigstündigen Reise schon auf mein Zuhause gefreut.
Daraus wurde aber nichts?
(Flo lacht) Nein, daraus wurde nichts!
Erzähl!
Nach der Landung in Wien gab es für mich und meinen Vater einen kleinen Empfang mit meiner Freundin, meiner Familie und einer ÖTRV-Abordnung. Und eigentlich dachte ich mir, dass ich zu Hause dann nach einer Dusche gemütlich mit meiner Familie zusammensitzen und ein wenig über das Erlebte berichten werde. Dass mich dann zu Hause über 300 Freunde erwarten und mir einen genialen Empfang bereiten würden, damit habe ich nicht gerechnet! Danke an den ÖTRV, den OÖTRV, die beiden Gemeinden Lasberg und Kefermarkt und all meine Freunde und Weggefährten! Es war trotz der anstrengenden Reise ein Highlight!
Und dann stand Ausschlafen auf dem Programm, oder wie ging es dann weiter?
An Ausschlafen war nicht zu denken! Bereits am nächsten Morgen ging es zu einem Interview nach Linz und in den darauffolgenden Tagen folgten noch viele weitere Termine.
Wie ist das eigentlich, wenn man plötzlich so gefragt ist?
Am Anfang ist das schon etwas komisch, weil ich mir denke: Warum? Es war ja nur ein Rennen. Okay, ein Rennen, das ich auf den Punkt gebracht habe. Aber es wird halt einfach ganz anders gesehen. Man sitzt dann schon bei den Terminen und denkt sich: „Voll lässig!“ Und klar: Es ist eine super Wertschätzung, die man hier erfährt, und man kann das dann schon auch genießen. Aber andererseits kommen schon auch Gedanken auf wie: „Ich hab mich durch diese Medaille ja jetzt nicht verändert! Wieso soll ich jetzt zu ,Sport am Sonntag‘? Oder zur ,PromiSportler-Millionenshow‘?“ Aber auch wenn ich mich selber durch diesen Erfolg nicht verändert habe, hat sich doch einiges verändert! Es ist wirklich lässig, dass man mit etwas, das man gerne macht, auch eine derartige Anerkennung bekommt. Tokio selber war schon ein Riesenerlebnis gespickt mit täglichen Highlights, aber auch die vielen großartigen Erlebnisse danach bleiben unvergesslich.
Was waren eigentlich deine Highlights zu Hause?
Das ist so schwierig, weil alle Termine super waren. Spontan würde ich sagen: natürlich der Empfang zu Hause. Die sind alle nur wegen mir gekommen! Klar, auch der Termin bei Bundespräsident Van der Bellen oder die Überreichung des Goldenen Verdienstzeichens des Landes Oberösterreich! Wer hat das schon? Natürlich war aber auch „Sport am Sonntag“ einzigartig! Und sehr stolz bin ich auf die Auszeichnung „Triathlet des Jahres“. Im Triathlonverband wird Inklusion gelebt, das ist nicht alltäglich und das weiß ich sehr zu schätzen!
Wie ging sich das alles mit der Arbeit aus?
Ich hatte wirklich oft ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir freigenommen habe. Ich konnte mir Zeitausgleich und tageweise Urlaub nehmen, war aber gefühlt nur mehr jeden zweiten Tag in der Arbeit – wenn überhaupt! Mein Projekt in der Arbeit ist natürlich weitergegangen und ich war froh, dass mich meine Kollegen so unterstützt haben und mir dabei geholfen haben. Danke dafür!
Hat sich seither in deiner Arbeit etwas geändert?
(Flo lacht) Was sich de facto geändert hat, ist, dass beim Eingang nach wie vor ein Foto von der Siegerehrung in Tokio über den Bildschirm läuft und auf meiner Bürotür ein Plakat meiner Kolleg:innen mit Gratulationswünschen hängt. Die Nachricht ist ja intern um den ganzen Erdball gegangen! (Anmerkung: Die Andritz AG, für die Flo arbeitet, unterhält weltweit mehr als 250 Produktionsstätten sowie Service- und Vertriebsgesellschaften und hat über 27.000 Mitarbeiter:innen.) Von Peru über Mexiko und China bis Japan haben mir Kolleg:innen, mit denen ich teilweise noch nie etwas zu tun gehabt habe, gratuliert, nachdem sie die Nachricht im Intranet gelesen haben.
Hat sich in deinem Leben durch die Silbermedaille jetzt etwas geändert?
Ich bin definitiv noch der Flo aus Elz. Der Herbst war halt ein anderer als sonst. Ohne die Medaille hätten die letzten Wochen nicht so ausgesehen. Es verändert jetzt aber nicht mich oder mein Leben. Ich habe nach beziehungsweise erst durch meinen Freizeitunfall vor zehn Jahren ein Talent in mir entdeckt und das möchte ich in den kommenden Jahren weiterhin zeigen. Ich möchte in den nächsten Jahren beweisen, dass ich weltweit in den Top 3 richtig positioniert bin, und 2024 bei den Paralympics in Paris nochmals angreifen. (CT)