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MEINE ZUKUNFT
from L4
Die Entscheidung von Rosmarie Thüminger
Vorgeschichte: Die vierzehnjährige Elena muss fleißig in der elterlichen Pension eines Tiroler Ferienortes mithelfen, soll sie doch später das Haus übernehmen. Daher halten die Eltern eine Berufsausbildung für unnötig, obgleich Elena sich für technischmathematische Fächer sehr interessiert. Je mehr das Mädchen über seine Zukunftsaussichten nachdenkt, umso mehr bedauert es, den Beruf nicht frei wählen zu können. … Sie ringt sich zu einer entscheidenden Aussprache mit den Eltern durch…
„Ende der nächsten Woche geht die Frist für die Einschreibung zu Ende.“ „Für welche Einschreibung?“, fragte die Mutter. „Für die Einschreibung in die HTL“, sagte Franz (Elenas älterer Bruder).
„Elena möchte ab Herbst die HTL besuchen. Sie hat es euch noch nicht gesagt. Aber nun ist es höchste Zeit, dass ihr es endlich erfahrt.“ „HTL? Einschreibung?“, die Mutter schüttelt den Kopf. „Was sind denn das für Ideen? Das sind mir Neuigkeiten! Davon höre ich heute zum ersten Mal!“ …„Wir haben doch schon längst beschlossen, dass Elena nach dem Poly daheimbleibt, um mir zu helfen, wenn sie doch dann die Pension übernimmt. Elena, du warst doch einverstanden! Was ist denn jetzt auf einmal los?“
„Und überhaupt! Denk einmal selbst! Die HTL dauert fünf Jahre! Fünf Jahre!“ „Und das, nachdem du praktisch ein Jahr mit dieser Polytechnischen versäumt hast“, … „Hirnrissig ist das. Einfach hirnrissig!“ „Und wir, wir rackern uns ab, Vater und ich, wir arbeiten und sparen, damit du dich nur ins gemachte Nest zu setzen brauchst ... Aber warum, Elena? Warum willst du mir nichts, dir nichts, alle ausgemachten Pläne über den Haufen werfen? Ich komm‘ da einfach nicht mit!“
„Ja, vielleicht, ich weiß nicht, aber Mathe habe ich immer gern gehabt. Schon in der Volksschule habe ich gespürt, dieses Gefühl, ja, wirklich das Gefühl, durch Zahlen lebendig zu sein. Durch den Umgang mit Zahlen mich lebendiger zu fühlen. Vielleicht wäre ich deshalb schon gerne weiter auf eine richtige Schule gegangen. Nur weil ich, also, dass auch ich, als Mädchen sozusagen, und will ich ja wirklich die Pension.“ Elena brach ihr Gestammel ab. Plötzlich fühlte sie sich völlig hilflos. So oft hatte sie sich in den letzten Tagen genau zurechtgelegt, wie sie den Eltern ihr neues Vorhaben darlegen würde, wie sie es bewerkstelligen wollte, der Mutter trotzdem weiter zu helfen, wenigstens ein bisschen. Nun war es so weit, und sie brachte nichts zustande, als dumm herumzustottern und alles zu verderben...
Der Vater fasste sich als Erster. … Dann sagte er: „Phantasie! Gedanken spielereien! Aber es gibt viele triftige Gründe dafür, dass Elena diese Schule nicht besucht und stattdessen in den Betrieb einsteigt, jeder von uns kennt die Gründe. Wir haben bereits hundertmal darüber gesprochen. Die Mutter ist nicht gesund, sie braucht Hilfe, und Elena wird einmal die Pension übernehmen. Diese HTL, das ist einfach unnötiger Luxus. Dazu kommt noch, dass wir es uns einfach nicht leisten können, noch ein Kind studieren zu lassen. Wenn sie den Betrieb übernimmt, dann hat sie eine gesicherte Existenz.“ …
Elena hatte sich wieder zu Tisch gesetzt. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Nein, sie hatte nichts gesagt. Sie hatte überhaupt wenig zum Thema beigetragen. Es war ja alles bereits abgesprochen und geregelt gewesen. Die Eltern hatten alles geplant. Und sie hatte sich ins unvermeidlich Scheinende gefügt.
sich abrackern: sich abmühen, abarbeiten
Es war auch lange Zeit recht passabel erschienen. Die Pläne der Eltern hatten durchaus ihre positiven Seiten. Eigenen Besitz zu haben, später einmal. Auch wenn die Arbeit fad und langweilig war, sich von keinem Chef herumkommandieren lassen zu müssen, war auch etwas wert. Und vor allen Dingen, die Mutter baute auf sie. Es war schwer, eine Mutter, die auf einen baut und die einen gern hat, zu enttäuschen.
Aber seit sie die Möglichkeit ins Auge gefasst hatte, diese Schule, die HTL, zu besuchen, die ihr ermöglichte, hinter die vielen Geheimnisse der Zahlen zu kommen, und dann, nach Abschluss, eine Arbeit zu suchen und vielleicht zu finden, die aller Mühe wert war, hatten sich Elenas Werte verschoben. Sie spürte im Innersten das etwas konfuse Gefühl großer Hoffnung.
Diese Hoffnung aber hing davon ab, wie sich ihr weiteres Leben gestaltete; nicht von den finanziellen Möglichkeiten, sondern vom eigenen Tun. Es stimmte schon, es war schwer, die eigene Mutter zu enttäuschen, aber noch schwerer, weil unheilvoller, war es, mit offenen Augen in sein Unglück zu rennen.
„Ich möchte die Schule wirklich gerne machen. … Mutti, bitte, versteh mich doch!“, bat sie.
Die Mutter schaute Elena mit schüchternen Augen an. ‚Elena, hast du schon vergessen? Wir haben doch oft darüber gesprochen, wie nett wir es gemeinsam haben könnten. Wir zwei zusammen, wir sind doch ein gutes Team, oder?“ …
Vater schüttelte den Kopf, dann polterte er los: „Dummheit! Eine ausgesprochene Dummheit, eine technische Schule für ein Mädchen! Als Mädchen hast du es ja noch schwerer! Wer stellt schon eine Frau an, wenn er ums gleiche Geld einen Mann haben kann.“
„Darüber brauchen wir uns die allergeringsten Sorgen zu machen!‘, sagte Franz. „Wenn heutzutage etwas Zukunft hat, dann sind das technische Berufe. Und da sind auch Frauen gefragt. Und mit der richtigen Ausbildung kann sie mit jedem Mann konkurrieren. …“
Der Vater rührte in seiner Tasse herum. Zuerst hatte Franz, der Sohn, der Älteste, seine Erwartungen enttäuscht. Dann war Elena die Hoffnungsträgerin gewesen. Elena mit ihren geschickten Händen. Mit ihrem Talent für alles Häusliche, aber auch im Umgang mit den Gästen. Nun wollte auch sie sich davonstehlen aus dem Betrieb. Er schaute die Mutter an. „Luisa, was meinst du? Du musst entscheiden, denn du hast die meiste Last zu tragen.“
Die Mutter wischte sich mit beiden Händen über die Stirn ... sie schluckte ein-, zweimal, bis sie die Kehle frei hatte, um zu sagen: „Du weißt, Paul, ich bin die Letzte, die sich dem Glück ihrer Kinder in den Weg stellt.“
passabel: bestimmten Ansprüchen einigermaßen gerecht werdend
Löse nun die folgenden Aufgabenstellungen in ganzen Sätzen in deinem Heft!
1. Beschreibe die familiäre Situation! 2. Welchen Traum hat Elena? 3. Warum interessiert sie sich für diesen Schultyp? 4. Welche Gründe haben die Eltern, Elena von ihrem Wunsch abzubringen? 5. Welche Vor- und Nachteile hätte es, wenn Elena den familiären Betrieb übernehmen würde? 6. Notiere, was du von folgender Aussage hältst!