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Buddys unendliche Geschichte
from L4
Dies ist die Geschichte einer unendlichen Postkartenflut. Sie begann um das Jahr 1982 irgendwo in England oder Schottland. Irgendjemand erdachte sich die Geschichte von Little Buddy. Es ist die traurige Leidensgeschichte eines achtjährigen Jungen in der schottischen Ortschaft Paisley bei Glasgow. Buddy ist an Leukämie erkrankt und hat nicht mehr lange zu leben. Sein letzter Wunsch ist es, als Empfänger der meisten Genesungskarten (Get well cards) in das Guinness Book of World Records einzugehen.
Diese zunächst auf mündlichem Wege verbreitete Mitleidsgeschichte führte dazu, dass zahlreiche Menschen dem Schreibaufruf folgten ... Die Welle wurde zur internationalen Lawine, als sich CB-Funker über Kurzwelle Buddys Anliegen zu eigen machten und in ihrem Gefolge mehrere Rundfunkstationen, Zeitungen, Kirchen und Betriebe den Schreibaufruf veröffentlichten.
1983 erreichte die Welle auch die Vereinigten Staaten. Unzählige Amerikanerinnen und Amerikaner haben mit ihren Postkarten Buddys Rekordwunsch unterstützt...
In den schottischen Postämtern häuften sich die Karten zu Berge. Die schottische Postverwaltung versuchte, mit amtlichen Verlautbarungen über die Nichtexistenz von Buddy die Flut einzudämmen. Es nutzte wenig: Kaum war das Gerücht in einem Land erloschen, brach es, durch eine neue Medienbotschaft veranlasst, im nächsten wieder aus. ...
Die Zahl der Einsendungen hatte 1987 die Viermillionengrenze überschritten. Die schottische Postverwaltung ging dazu über, die eingegangenen Sendungen aus aller Welt an den Briefmarkenhandel zu verkaufen. Gegen Ende der 1980er-Jahre kam die Buddy-Geschichte allmählich zum Erliegen. Es gab Gerüchte, der Junge sei seinem Leid erlegen, bevor er sich über den Postkartenrekord freuen konnte. Eine in Holland aufgezeichnete moderne Sage wollte wissen, Buddy sei ein Opfer der Postkartenflut geworden, denn ein Brett über seinem Krankenbett, auf dem er die Post aufbewahrte, habe unter dem Gewicht der Karten nachgegeben und ihn erschlagen.
Auf die Dauer war es schwierig, den Mythos vom „kleinen, todkranken Jungen“ über mehrere Jahre hinweg glaubwürdig aufrechtzuerhalten. Da es Buddy nicht gegeben hat, erschien auch nirgendwo ein Bild von ihm, und der denkwürdige Rekord konnte nie im Guinness-Buch der Rekorde verzeichnet werden, weil er an keiner real existierenden Person festzumachen war.
Die unendliche Geschichte ist damit aber noch keineswegs zu Ende. Die Geburtsstunde für eine Fortsetzung schlug am 28. September 1989, als die englische Zeitung The Sun ihren Lesern die Geschichte des zehn Jahre alten Craig Shergold aus Carshaton bei Crydon, südlich von London, vorstellte. Der todkranke Junge habe den Wunsch, den bestehenden GuinnessRekord im Postkartensammeln, mit 1 000 265 Exemplaren..., zu brechen. Im Unterschied zu Buddy gab es Craig wirklich, und bereits am 18. November 1989 traf die 1 000 266. Get well card bei ihm ein ... und jetzt war auch der Herausgeber des englischen Guinness-Buches ... bereit, den Rekord zu bestätigen. Die Eltern von Craig erklärten die Aktion für beendet und baten die Öffentlichkeit darum, keine Postkarten mehr zu senden.
Sie hatten die Rechnung ohne das Trägheitsmoment in der Ausbreitung von Gerüchten gemacht. 1990 war die Zahl der nach wie vor eingesandten Postkarten auf unglaubliche 33 Millionen gestiegen. Craig ist inzwischen in den USA erfolgreich operiert worden, seine Geschichte soll möglicherweise verfilmt werden.
Was glaubst du, warum so viele Menschen Postkarten verschickt haben?