baren Yogaübungen, jahreszeitlichen Ritualen und Möglichkeiten, traditionelle Fest- und
Feiertage wertzuschätzen und zu zelebrieren. Dies unterstützt uns darin, uns mit unseren inneren Rhythmen und äußeren Zyklen wie Tages- und Jahresrhythmen, Solar- und Mondzyklen und mit unserer Umwelt zu verbinden. Das Buch basiert nicht nur auf den uralten Weisheitssystemen vieler Kulturen und Traditionen, sondern beleuchtet unser
Mit Yoga den Pulsschlag des Lebens spüren
» Das Feuer des Herzens hüten birgt einen wahren Schatz an zeitgemäßen, gut anwend-
Das Feuer des Herzens hüten
DasFeuerDesHerzensHueten_Umschlag_463x245mm+15mmBeschnitt 22.03.16 14:56 Seite 1
Tradition zur Moderne. Shiva Rea verkörpert für mich darin sehr deutlich die Qualitäten einer Feuerhüterin: Sie inspiriert uns dazu, unser Leben mit Kraft, Liebe und Weisheit zu führen. «
Christine May, Yogalehrerin und Ausbilderin in Prana Flow® Vinyasa
»Ein ausgezeichnetes Buch von einer der derzeit geistreichsten und leidenschaftlichsten Andrew Harvey, spiritueller Lehrer und Autor zahlreicher Bücher
ISBN 978-3-89901-987-2
€ 29,95 [D] € 30,80 [A]
Visionärinnen des Yoga.«
Shiva Rea
Herzensfeuer auch aus wissenschaftlicher Sicht und schafft somit den Sprung von der
Das Feuer des Herzens hüten Shiva Rea Mit Yoga den Pulsschlag des Lebens spüren
S H I VA RE A
Das Feuer des Herzens h端ten Mit Yoga den Puls des Lebens sp端ren
Aus dem Englischen 端bersetzt von Ingrid Ickler
Shiva Rea · Das Feuer des Herzens hüten Die englische Originalausgabe „Tending the Heart Fire – Living in Flow with the Pulse of Life“ ist erschienen bei Sounds True, Inc., Boulder, CO 80306, USA Copyright © 2014 by Shiva Rea. This translation is published by arrangement with Sounds True. Copyright des Vorworts aus der Originalausgabe © 2014 Sally Kempton All rights reserved. Copyright der deutschen Ausgabe © 2015 Theseus in J. Kamphausen Mediengruppe GmbH, Bielefeld ISBN 978-3-89901-987-2 Übersetzung ins Deutsche: Ingrid Ickler Lektorat: Susanne Klein, Hamburg, www.kleinebrise.net Gestaltung (in Anlehnung an das Layout des Originals): Kerstin Fiebig [ad department] Bielefeld Foto der Autorin auf der Rückseite von Demetri Velisarius Der Verlag dankt Christine May herzlich für das Vorwort für die deutsche Ausgabe. Druck & Verarbeitung: Westermann Druck Zwickau www.weltinnenraum.de 1. Auflage 2016 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Buch wurde auf 100% Altpapier gedruckt und ist alterungsbeständig. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter www.weltinnenraum.de. Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten. Haftungsausschluss: Die im Buch enthaltenen Übungen und Anwendungen wurden von der Verfasserin und vom Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Weder die Autorin noch der Verlag übernehmen die Haftung für Schäden irgendeiner Art. Es handelt sich hierbei um Informationen, die nicht als Diagnose, Behandlung oder Ersatz für eine medizinische Betreuung gedacht sind. Bitte befragen Sie hierzu Ihren Arzt.
WIDMUNG
Dem Feuer des Ursprungs und allen Feuerhütern der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft gewidmet, für das Herzensfeuer in uns allen – El Corazón del Fuego, für meinen Sohn, meine Sonne, Jai, für meinen geliebten Mann, Mi Amor, für mein Herz-Mandala – meine Familie, meine Lehrer und meine Schüler, die ich auf meinem Weg treffen durfte, für unsere Vorfahren, die zukünftigen Generationen und einer erneuerbare energetische Zukunft für uns alle.
EPIGRAPH
He encendido el corazón del fuego y he bebido de su miel Ich habe das Feuer in meinem Herzen entzündet und seinen Nektar getrunken. ESMER ALDA LAMAS
Om Chidagni Kundayai Namaha Ich verbeuge mich vor Shakti, der Göttin, die sich vom Feueraltar des Bewusstseins erhebt. LALITA SAHASR ANAMA
viii Vorwort zur deutschen Ausgabe von Christine May x Vorwort von Sally Kempton xii Anmerkungen der Übersetzerin 1 Einführung TEIL EINS Das Feuer des Herzens hüten: Unsere Vorfahren und die Entwicklung unseres energetischen Herzens 13
Kapitel 1 Das Herzensfeuer betrachten: vom Wissen unserer Vorfahren bis zu neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft
33 Kapitel 2 Den Kosmos verkörpern: vom Urfeuer zum inneren Herzaltar 51
Kapitel 3 Das Herzensfeuer verkörpern: die Wissenschaft vom energetischen Herzen
TEIL ZWEI Herzensfeuer-Meditationen 71
Kapitel 4 Meditation in Bewegung: sich mit der Quelle der Bewegung verbinden
97 Kapitel 5 Yoga-Alchemie: energetisches Vinyasa und der Flow des Rasa 115 Kapitel 6 Herzensfeuermeditationen und Praxis im Alltag
I N H A LT
TEIL DREI Leben im Rhythmus 149
Kapitel 7 Das Feuer der Schöpfung hüten: Ayurveda und das innere Feuerhüten
167
Kapitel 8 Lebendiges Vinyasa: Zyklen von Rhythmus und Flow
191
Kapitel 9 Zeit außerhalb der Zeit: Rückzug und Regeneration
TEIL VIER Vinyasa leben: das solar-lunare Jahresmandala 215
Kapitel 10 Wintersonnenwende: Wiedergeburt des Lichts
233 Kapitel 11 Tagundnachtgleiche im Frühling: Das Leben beginnt wieder neu 243 Kapitel 12 Sommersonnenwende: das Licht auf Höchststand 255 Kapitel 13 Tagundnachtgleiche im Herbst: die Rückkehr 273 275 277 278 279
Danksagung Glossar der Sanskritbegriffe Fußnoten Literaturhinweise Bildnachweise
VORWORT
Vorwort zur deutschen Ausgabe „Das Feuer des Herzens hüten – mit Yoga den Pulsschlag des Lebens spüren“ birgt einen wahren Schatz an zeitgemäßen, gut anwendbaren Yogaübungen, jahreszeitlichen Ritualen und Möglichkeiten, traditionelle Fest- und Feiertage wertzuschätzen und zu zelebrieren. Dies unterstützt uns darin, uns mit inneren Rhythmen und äußeren Zyklen wie Tagesund Jahresrhythmen, Solar- und Mondzyklen und mit unserer Umwelt zu verbinden. Das Buch basiert auf uralten Weisheitssystemen vieler Kulturen und Traditionen und beleuchtet unser Herzensfeuer auch aus wissenschaftlicher Sicht. Somit schafft es den Sprung von der Tradition zur Moderne. Nicht nur der kleine Prinz in Antoine de Saint-Exupérys gleichnamigen Buch sagte, man sehe nur mit dem Herzen gut, sondern auch in unserer Umgangssprache gibt es viele auf das Herz bezogene Redewendungen wie „Folge deinem Herzen“, „Vertraue deinem Herzen“ oder „Es ist mir schwer ums Herz“. Die Stimmigkeit dieser Ratschläge und Empfindungen werden mittlerweile durch neurowissenschaftliche Studien bestätigt. Zum Beispiel hat man herausgefunden, dass das elektromagnetische Feld des Herzens weit über die Grenzen unseres Körpers hinausstrahlt und dass das Herz über ein unabhängiges Nervensystem verfügt, das als „Gehirn im Herzen“ bezeichnet werden kann. Dies entstammt unter anderem der Forschungsarbeit des Institute of HeartMath in Boulder Creek, Kalifornien, das viele Studien rund um das Herz durchgeführt hat und in
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VORWORTE UND ANMERKUNGEN
diesem Zusammenhang von unserer „Herzintelligenz“ spricht. Diese Forschungen erbringen den wissenschaftlichen Beweis dafür, was viele Weisheitstraditionen schon lange erkannt haben: Das Herz ist unser heiligster Ort sowie Quelle und Sitz unseres höchsten Bewusstseins. Im Sufismus begegnet man Gott als dem Geliebten (Beloved) im Herzen, im Taoismus sieht man das Herz als alchemistisches Feuer, das sich durch die Balance der männlichen und weiblichen Essenz regeneriert, und im tantrischen Shivaismus manifestiert sich die feminine Kraft, Shakti, als Puls des universellen Herzens auf vielfältige Weise, um sich dann wieder in Shiva, dem Ozean des höchsten Bewusstseins, aufzulösen. Das Herzensfeuer wird hier als immer gegenwärtige Quelle der Verschmelzung von Shiva und Shakti gesehen. Viele Weisheitssysteme sind sich auch einig, dass alles im Universum zyklisch verläuft und unser Leben aus immer wiederkehrenden Themen besteht, die sich im Kleinen (Mikrokosmos) wie auch im Großen (Makrokosmos) ausdrücken. Und auch das in den „Hermetischen Gesetzen“ erwähnte Prinzip der Entsprechung besagt „wie oben – so unten“, was auch bedeutet: Alles ist bereits vorhanden. Es gilt nur, wieder Zugang zu finden zu den innewohnenden natürlichen Rhythmen in uns und der Natur. Alle Zyklen in der Natur weisen Phasen von Aktivität und Regeneration, Phasen des Erschaffens, des Erhaltens und des Loslassens auf. Um unseren Körper und Geist in Balance und Homöostase zu halten, müssen wir diese Phasen erkennen und uns darauf einstimmen wie auf ein wertvolles Instrument, um nicht in einen Zustand von Erschöpfung, Unzufriedenheit oder Überforderung zu kommen. „Das Feuer des Herzens hüten“ ist nicht nur ein Leitfaden für jeden, der einfach nachzuvollziehende Methoden für inneres und äußeres Gleichgewicht
sucht. Ich kann das Buch auch als ein fantastisches Nachschlagewerk für all jene empfehlen, die Yoga unterrichten oder als Seminarleiter mit Gruppen arbeiten. Es bietet eine große Vielfalt von Inspirationen, Meditationen, Mudras (energetischen Handgesten), Gesundheitstipps aus dem Ayurveda und sonstigem altem wie neuem Wissen. Shiva Rea geht hier nicht nur auf den Ursprung unserer heutigen Asana-Praxis, die unterschiedlichen Traditionen und die vielfältigen Möglichkeiten zu praktizieren ein, sondern auch auf die all dem zugrundeliegende Alchemie der Bewegung und auf weniger bekannte Methoden wie Rasa (= Emotion, Gefühl oder Geschmack) Vinyasa, die uns ermöglichen, unsere inneren Gefühlszustände bewusst in unser Leben zu integrieren. Dieses Buch ist ein kostbares Geschenk und eine konstante Einladung, uns von unserem „denkenden Geist“ zu unserem „fühlenden Geist“ zu bewegen und uns damit direkt mit unserem Herzen und unserer Weisheit zu verbinden. Shiva, meine langjährige Mentorin und große Inspiration auf meinem Yogaweg, hat mich seit unserer ersten Begegnung vor mehr als siebzehn Jahren nicht nur begeistert durch ihre authentische Verkörperung des Yoga und ihre Fähigkeit die alten Weisheitssysteme des Yoga, Ayurveda, Tantra und Bhakti dem Puls der Zeit anzupassen und weiterzuentwickeln, sondern auch durch ihren enormen Enthusiasmus. Daraus sind Projekte wie „Yoga Trance Dance for Life“ und „Moving Activism“ für 1.008.000 Bäume hervorgegangen und auch das weltweit bekannte „Global Mala Project“, an dem Yogastudios in aller Welt teilnehmen, um Bewusstsein und Gemeinschaft zu kultivieren. Ich erinnere mich noch genau daran, wie Shiva für mich das Feuer gehalten hat, als ich in 2007 begann, meine ersten Yogalehrerausbildungen anzubieten. Nach inzwischen vielen weiteren Ausbildungen und
Hunderten wunderbaren, qualifizierten Lehrern bin ich dankbar, diesem Impuls gefolgt zu sein. Auch habe ich für mich erkannt, dass meine kontinuierliche Yoga-, Meditations- und SelbstreflexionsPraxis, das Verbinden mit meinem Herzen sowie die Integration von sinnvollen Ritualen für Tages-, Jahres- und Übergangszeiten eine große Unterstützung für ein erfülltes und authentisches Leben sein können. Das Säen, Ernten, Wachsen, Reifen und Stillwerden sind nicht nur Rhythmen der Natur, sondern spielen eine ebenso wichtige Rolle in der Wahrnehmung unserer selbst als Teil des Ganzen. Immer wiederkehrende Abläufe geben unserem Leben Struktur und Geborgenheit. Shiva verkörpert für mich sehr deutlich die Qualitäten einer Feuerhüterin als eines Menschen, der uns dazu inspiriert, unser Leben mit Kraft, Liebe und Weisheit zu führen. Ich möchte jedem dieses Buch ans Herz legen, der bewusster und gesünder leben möchte, der Inspiration sucht, um einfache Praktiken regelmäßig in den Alltag zu integrieren, der mehr in Verbindung mit sich und der Umwelt sein möchte, ein Nachschlagwerk für Yogalehrer sucht oder auch tiefer in die Dimensionen des Yoga und der Verbindung von Herz, Gehirn und Universum eintauchen will. Wir alle wissen, dass Dauerbelastung und Stress, die oft durch viele kleine alltägliche Situationen und Sorgen zustande kommen, unser Nervensystem aus dem Gleichgewicht bringen und den Level der Stresshormone im Körper auf einem hohen Niveau halten. Das ist Gift für den gesamten Organismus und kann zu gesundheitlichen Problemen, einem schwachen Immunsystem, niedriger Belastbarkeit oder chronischer Müdigkeit führen. Deswegen ist es wichtig, einfache und leicht umsetzbare Methoden in den Alltag zu integrieren, um Gleichgewicht, Klarheit und Entspannung zu finden. VORWORTE UND ANMERKUNGEN
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Jede Minute zählt, die wir uns selbst schenken, um zu praktizieren, Stille zuzulassen oder ein unterstützendes Ritual zu praktizieren, um Herz und Geist in größere Resonanz zu bringen. Meiner Meinung nach können wir uns nur mit unserem eigenen Einsatz aus zu viel Stress, Konsum und Hetze befreien. Eine breite Palette an Methoden aus den Traditionen Yoga, Ayurveda, Tantra wie auch der modernen Neurowissenschaft bietet die Grundlage für die Vielfalt von Möglichkeiten, um unsere Yogapraxis, Ernährung und Phasen der Aktivität und Ruhe dem natürlichen Rhythmus anzupassen und um so in der heutigen schnelllebigen digitalen Zeit gesund, leistungsstark und glücklich zu sein. Shiva lehrt uns, wie wir zu Hütern und Hüterinnen des Feuers in unseren Herzen werden. Ich wünsche dir viel Spaß beim Eintauchen, Umsetzen und Hüten deines Herzensfeuers! Namaste von Herzen, Christine May
Christine May bietet Ausbildungen und Trainings in Prana Vinyasa Flow an, leitet europa- und weltweit Retreats und Workshops und gibt Ganzheitliches/Somatic Counselling. Weitere Informationen unter www.christinemay.de
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VORWORTE UND ANMERKUNGEN
Vorwort zur englischen Ausgabe Als ich 2003 zum ersten Mal zusammen mit Shiva Rea unterrichtete, war ich auf den ersten Blick beeindruckt. Wir waren eine Gruppe von Yogalehrerinnen aus unterschiedlichen Traditionen, die gemeinsam ein Wochenendseminar halten sollten. Die meisten von uns hatten noch nie gemeinsam unterrichtet, und erst zwei Stunden vor Seminarbeginn kam es zu einem persönlichen Treffen. Als wir zusammensaßen und Ideen austauschten, wurde ich plötzlich nervös. Obwohl wir alle hoch motiviert waren, wusste keine so genau, wie wir einen gemeinsamen Nenner finden sollten. In diesem Moment trat Shiva Rea auf den Plan. Es gelang ihr, unsere unterschiedlichen Talente zu einem Ganzen zu verbinden − lenkend, inspirierend, unsere individuellen Energien so verflechtend, dass jede zwar für sich leuchten, aber auch gleichzeitig die gemeinsame Vision unterstützen konnte. Sie zeigte uns eindrücklich, wie man mit dem Herzen führen kann. Bis heute habe ich dieses Erlebnis nicht vergessen. Shiva Rea arbeitet aus dem Herzen heraus. Sie integriert, bringt Welten zusammen. Schon seit ihrer Jugendzeit lotet sie die Grenzen des Yoga aus, erforscht klassische Formen und entwickelt neue Asanas. Shiva Rea ist eine Meisterin des Flow. Sie arbeitet intuitiv, hat ein großes Talent fürs Lehren und beschäftigt sich intensiv mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Daraus entwickelt sie ihren eigenen Weg, der originell und kreativ ist, aber gleichzeitig
immer auch die Traditionen respektiert. Heute spricht man oft über die Verbindung moderner Wissenschaft und alten Wissens: Shiva Rea lebt sie. Sie hat in Wüsten und abgelegenen Wäldern Yoga praktiziert. Sie erklimmt Berge und meditiert in Höhlen. Sie surft, betreibt traditionelle indische Kampfkunst und führte eine ganze Generation von Yogis und Yoginis in ekstatische Tänze ein. Zusätzlich zu all dem ist Shiva Rea eine Alchemistin des Herzens. Sie hat Tausenden von Menschen beigebracht, etwas zu wagen, intensiv zu lieben und kreativ zu leben − alles auf der Grundlage der alten Yogatexte. In „Das Feuer des Herzens hüten“ verrät uns Shiva Rea einige ihrer Geheimnisse. Nicht jeder verfügt über ihr Charisma und ihre besonderen Kräfte, aber wir alle können uns an den Erkenntnissen und Weisheiten bereichern, die sie auf diesen Seiten zusammengetragen hat. Dieses Buch ist anspruchsvoll, ja sogar radikal. Es stellt in Worten und Bildern eine Reihe von lebensverändernden Prinzipien vor, die uns in tiefer Harmonie mit uns selbst, der Welt und dem Göttlichen leben lässt. Es klingt ganz einfach: Komme mit dem Licht und der Energie deines Herzens in Einklang. Lebe im Rhythmus mit dem Flow der Natur. Lerne, grenzenlos zu lieben. Verbinde Körper und Geist und integriere die Energie der feinstofflichen Welt in jede deiner Bewegungen. Entdecke, wie du deine eigene Energie wahrnehmen und wie du sie, wenn nötig, verwandeln kannst. Und all das entspringt der lebendigen Kraft und Erleuchtung, die den spirituellen Traditionen als Herzensfeuer bekannt sind. Bereits Joseph Campbell legte dar, dass die Menschen des Altertums, nachdem sie das Feuer entdeckt hatten, dieses wahrscheinlich nicht vorrangig zum Kochen verwendeten, sondern es vielmehr
verehrten. Für die ersten Menschen müssen die lodernden Flammen und das helle Licht, dieses Kaleidoskop von Farbe und Wärme, wie die Anwesenheit des Göttlichen auf Erden erschienen sein. Selbst heute hat das Feuer diese Kraft. Mehr als jedes andere natürliche Element verkörpert Feuer sowohl die Kraft der Erkenntnis als auch die Kraft der Veränderung. Ein Feuer zu hüten erfordert Sorgfalt und Hingabe. Mehr als das: Um das Feuer zu hüten, müssen wir stets aufmerksam und wach sein. Wenn wir das Feuer nicht nähren, erlischt es. Lässt man es außer Kontrolle geraten, brennt womöglich das Haus ab. Gleichzeitig bleibt das Feuer ein Mysterium, eine Tatsache, die jedem vertraut ist, der damit arbeitet: Priester, die mit rituellen Feuern arbeiten, oder Feuerwehrleute zum Beispiel. Feuer hat ein Bewusstsein, es ist nicht bloß lebendig, es reagiert. In tantrischen Texten wird Bewusstsein häufig als Feuer beschrieben, das als Brennmaterial alles verwendet, was man weiß. Und Menschen, die mit Feuer arbeiten, wissen, dass dies nicht nur eine Metapher ist. Unsere innere Welt ist untrennbar mit der äußeren Welt und der Natur verbunden. Unsere Körper enthalten alle Elemente des Universums. Die Rhythmen von Tag und Nacht und der Verlauf der Jahreszeiten bilden sich in unseren Atemmustern ab. Das Wetter draußen spiegelt sich in unserem emotionalen „Wetter“ wider. Unsere Körper haben die Dichte der Erde, aber auch die unendliche Feinstofflichkeit des Geistes. Das Herz verbindet dies alles. Auf der physischen Ebene ist es die Pumpe, die unseren Körper am Leben hält, auf der energetischen Ebene ist sein magnetisches Feld die Verbindung mit anderen Wesen. Es ist ein Gehirn, das Erinnerungen speichert. Es ist der Sitz von Gefühlen und Emotionen. Und es ist das VORWORTE UND ANMERKUNGEN
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Portal zur inneren Welt. In der westlichen Mystik versteht man das Herz als Auge der Weisheit. In Indien ist es der Sitz der Seele. Das Herz umfasst die vielschichtigen Mysterien des menschlichen Lebens. In „Das Feuer des Herzens hüten“ gibt uns Shiva Rea eine Anleitung für ein Leben im Einklang mit der Weisheit des Herzens. Die Lehren und Übungen verschiedener Yogastile verbindend bietet sie Mudras und Mantras, Meditationen und Betrachtungen, die jeden von uns für die Erfahrungen des Heiligen in jedem Moment des Lebens öffnen. Dieses Buch ist eine Einladung − und ich hoffe, wir alle nehmen sie an! Spiele mit den Übungen, experimentiere mit den Haltungen und den Mudras. Entdecke, welche Mudra deinen Körper belebt. Errichte einen Altar und erforsche Wege, wie Rituale dir für deine Bestrebungen hilfreich sein können. Was bringt deinen Körper und die Jahreszeiten in Einklang? Im Zentrum steht immer das Herz: Shiva Rea lädt uns ein, sich durch die beschriebenen Übungen immer tiefer mit dem eigenen Herzen zu verbinden. Sally Kempton
Sally Kempton ist Meditationslehrerin und Autorin von „Meditation − Das Tor zum Herzen öffnen“ und „Awakening Shakti.“
Anmerkungen der Übersetzerin Bei der Übersetzung eines Textes in eine andere Sprache sind immer gewisse Anpassungen nötig. Um die Abbildungen in der gleichen Fülle und in der Korrespondenz miteinander beibehalten zu können wie in der Originalausgabe, haben wir im Fall von „Das Feuer des Herzens hüten“ einige wenige Kürzungen vorgenommen. Die Kernaussagen und der Ablauf der Übungen bleiben davon unberührt. Die zahlreichen Zitate aus verschieden spirituellen Traditionen stellten für die Übersetzung ein gewisses Problem dar. Nicht immer konnte auf Originalquellen zurückgegriffen werden, und vor allem im Falle von Texten aus dem Sanskrit ist jede Übersetzung von vorneherein eine Interpretation, die von anderen Übersetzungen desselben Textes enorm abweichen kann. Daher haben wir einen großen Teil der Zitate nach dem uns vorliegenden englischen Text übersetzt, um damit auch ihre Stimmigkeit im Zusammenhang zu gewährleisten. Durch die vereinfachte Dokumentation konnte vermieden werden, den Umfang des Buches durch einen noch ausführlicheren Anmerkungsteil im Anhang aufzublähen. Die Texte sollen inspirieren und zur Meditation und Reflexion einladen. Wir stellen dabei nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Edition. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im ganzen Text auf die gesonderte Nennung der weiblichen Form verzichtet. Leserinnen sind hier selbstverständlich auch angesprochen. Ingrid Ickler im März 2016
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VORWORTE UND ANMERKUNGEN
EINFÜHRUNG
Mit Siebzehn,
nach meinem HighschoolAbschluss, verließ ich meine Heimat in Memphis, Tennessee, und reiste über Belgien, Griechenland und Ägypten nach Kenia. Bevor ich in New York an die Uni gehen wollte, hatte ich vor, dort neun Monate als Entwicklungshelferin zu arbeiten. So weit der Plan. Schließlich blieb ich eineinhalb Jahre in Kenia, das Studium verschob ich auf unbestimmte Zeit. Die Zeit in Kenia wurde zu einem Schlüsselerlebnis für mich, das mein Leben in eine neue Richtung lenkte. Zurück in Memphis, ich war eigentlich auf der Suche nach einem Buch über meinen Namen gewesen, stieß ich in der Bibliothek auf ein Yogabuch − und begann, Yoga zu praktizieren. Gleichzeitig entwickelte ich das brennende Verlangen, einen Sinn in meinem Leben zu finden. Mitte der 1980er-Jahre herrschte in Äthiopien eine schreckliche Hungersnot; ich wollte unbedingt nach Afrika zurückkehren, um dort zu helfen. Während der ersten Monate lebte ich mit den anderen Helfern tief im Busch nahe dem Mount Kenya, in einer in drei Räume aufgeteilten Hütte, die aus Lehm, Stroh und dem Dung der Kühe unseres Nachbarn gebaut war. Wir hatten weder Strom noch fließendes Wasser. Der Rhythmus dieses einfachen Lebens erschütterte meine verwöhnte Teenagerseele zutiefst und besänftigte sie zugleich. Unser oberflächliches Stadtleben in den USA, das uns immer mehr von unseren Wurzeln entkoppelt, hatte ich hinter mir gelassen, weil ich nach etwas anderem zu suchen begann. In meinem neuen Leben als Entwicklungshelferin kam ich wieder mit den natürlichen Rhythmen der
Erde in Kontakt. Das Wasserholen am Fluss stärkte meine Nackenmuskeln und führte mir den Wert von Wasser deutlich vor Augen. Das Ernten der Nahrung und der lange Fußmarsch zum nächsten Markt ließen das Essen leckerer schmecken. Und als wir zusammen mit etwa einhundert Dorfbewohnern Anlagen bauten, um das Regenwasser aufzufangen, und dabei auf Swahili „Harambe Pamoja Kujenag Kenya“ („Lasst uns als Kenianer zusammenarbeiten“) sangen, begann sich mein Körper mit dem kollektiven Körper zu verbinden. Ich ging mit dem Mond ins Bett, stand mit der Sonne auf und passte meinen Lebensrhythmus dem Rhythmus der Natur und des Kosmos an. Meine Lehrer und Freunde im Murang’a-Tal kamen mit kaum mehr als 400 Dollar im Jahr aus und waren dennoch glücklich, denn sie lebten in Harmonie mit Natur und Umgebung. Doch obwohl ich ein Teil dieses Ganzen wurde, begann ich mich zu fragen, ob meine Arbeit tatsächlich etwas bewirkte. War ich wirklich diejenige, die half? Oder war es nicht vielmehr so, dass ich mehr zurückbekam, als ich geben konnte? Eines Tages, als ich gerade von unserer Hütte unterwegs war ins Dorf, wurde ich krank − erst Schüttelfrost, dann hohes Fieber. Es war ein schwerer Malariaanfall, der fünf Tage dauern sollte. Die Auswirkungen der Krankheit spüre ich bis heute. Ich lag die meiste Zeit allein in der Hütte und hatte Schmerzen im ganzen Körper. Mir ging es so schlecht, dass ich zu keiner Bewegung fähig war. Die Zeit stand still. Ich öffnete mich für alle Erinnerungen, die in mir aufstiegen, um am Leben zu bleiben. EINLEITUNG
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fühl vom Brustkorb aus in meinem ganzen Körper auszubreiten. War das der Tod oder meine Wiedergeburt? Ich wusste es nicht. Diese innere Kraft verdrängte alle Gedanken oder Vorstellungen über das, was gerade geschah. Es war ein einzigartiges Gefühl der Heiligkeit, die Präsenz einer höheren
Ich erinnerte mich an das Geräusch der Wellen in Hermosa Beach, wo ich mit meinen Eltern gelebt hatte, an die chaotischen und lebendigen Siebziger in der Bay Area, wo mein Vater in Berkeley an der University of California (UCLA) unterrichtete, und an meine Teenagerjahre in Memphis, mitten in der Bluesszene der Beale Street. Ich erinnerte mich an die Menschen, die ich getroffen hatte, an meine Familie, meine Freunde, meine Lehrer, die erste Liebe, die Enttäuschung und die vielen kostbaren Momente des Glücks: Was hatte ich in dieser kurzen Lebensspanne nicht alles schon erlebt! Am Abend des vierten Tages war mein Fieber trotz der Medikamente immer noch so hoch, dass meine kenianischen Kollegen sich entschlossen, mich am nächsten Morgen in die fünf Meilen entfernte Klinik zu tragen, wenn mein Fieber nicht sinken würde. Wir begannen zu beten − auf Kikuyu, Swahili und Englisch. Während ich zwischen den Anfällen ganz leise meine Gebete sprach, spürte ich eine heilige Ruhe und betrat einen Ort, den ich noch nie zuvor betreten hatte: einen Ort der Initiation. In der Stille der Nacht begann sich ein intensives Ge-
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EINLEITUNG
Macht, eine heilende Kraft, die in meinem Herzen wuchs und mein ganzes Wesen verwandelte. Noch heute kann ich dieses Gefühl wahrnehmen, wenn ich ganz tief in mich hineinhöre. Als diese vertraute Wärme aus der Mitte des Herzens in meine Glieder, dann in den Raum und weiter in den Nachthimmel entwich, fühlte ich mich merkwürdig glücklich und ohne Angst. Ich war ganz und gar von Dankbarkeit erfüllt, denn in diesem Augenblick wusste ich, dass ich nicht allein auf dieser Welt bin. Damals verstand ich nicht genau, was vor sich ging, und blieb die ganze Nacht in diesem Zustand, bis ich endlich einschlief, zum ersten Mal seit Tagen. Als ich aufwachte, fühlte ich mich verwandelt. Ich hatte kein Fieber und keine Anfälle mehr, war einerseits unglaublich schwach, aber auch voller Euphorie. Ich werde nie vergessen, wie ich am nächsten Morgen in die grüne, lebendige Natur hinaustrat; Blätter bewegten sich im Wind, Hähne krähten, am Horizont zeigten sich die ersten Sonnenstrahlen. Ich hatte einen dieser magischen Momente erlebt, die alle lebensverändernden Situationen begleiten: eine schwere Krankheit, eine Geburt oder eine existenzielle Krise. Als ich auf dem Weg war, dieses Leben und diesen Körper zu verlassen, wurde ich an das innere Feuer erinnert, an die Wärme im Zentrum unseres Herzens, die wir alle in uns tragen, und habe ein Versprechen abgegeben, das ich bis heute halte: dem Feuer meines Herzens zu folgen, dieser Energie, dieser Flamme der Liebe zum Leben, die im Zentrum meines Wesens brennt.
DER INNERE RUF Mein Herz brennt vor Liebe. Alle können diese Flamme sehen. Mein Herz pulsiert vor Leidenschaft, wie die Wellen im Ozean. Wo auch immer ich bin, bin ich zuhause. In diesem Raum der Liebenden kann ich mit geschlossenen Augen die Schönheit tanzen sehen. Hinter den mit Liebe durchzogenen Schleiern tanze auch ich im Rhythmus der sich bewegenden Welt. RUMI
Dieses Buch ist ein Geschenk meines Herzens an eure Herzen. In meinen dreißig Jahren als Yogini habe ich erfahren, dass der menschliche Körper ein Universum ist − eins mit dem Kosmos. Unsere Körper bestehen aus den gleichen Bestandteilen wie die Welt, die uns umgibt: Erde, Felsen, Pflanzen, Flüsse, Ozeane und Sonnenlicht. Der schöpferische Puls, der das Universum antreibt, lebt auch in uns. Das Universum wurde aus Feuer geboren, durch eine so machtvolle Explosion, dass die damals entstandene Sonne mit ihrer Wärme bis heute die Erde am Leben hält. Unser Körper enthält Spuren der Elemente des Urknalls von vor 13,7 Milliarden Jahren, der Geburt unserer Galaxie. Jedes Mineral, jeder Stoff, jedes Element aus unserer Umgebung findet sich auch in unseren Knochen, in unserem Blut, unserem Schweiß und unseren Tränen wieder. Im Zentrum unseres wunderbaren Körpers schlägt das Herz, unsere Sonne, mit seiner elektromagnetischen Strahlung, die mit jeder Zelle des Körpers kommuniziert und sich mit unseren Gehirnströmen und dem Herzschlag der anderen um uns herum synchronisiert. Das elektromagnetische Feld unseres Herzens
ist fünftausend Mal stärker als das jedes anderen Organs. Bei Herztransplantationspatienten, deren Vagusnerv abgetrennt wurde, stellt dieses Feld die Verbindung zwischen Herz und Gehirn sicher.
Im Herzen brennt ein Feuer Feuer ist der Kern unserer Existenz. Vom Urfeuer des Urknalls bis hin zur Sonnenenergie hängt alles Leben von Licht und Wärme ab. Ohne sie gibt es keine Schöpfung und kein Überleben. In diesem Buch geht es um die Frage, wie das Energiezentrum des Körpers, unser Herzensfeuer, funktioniert. Genau wie die Sonne der Lebensimpuls für unser Sonnensystem ist und sie die Planeten mit Wärme versorgt und so alles Leben möglich macht, pumpt unser Herz Blut und Nährstoffe durch unseren Körper und sendet elektromagnetische Wellen aus, die uns mit der Umwelt verbinden. Es gibt unzählige Beispiele dafür, wie unsere Umgebung und unser Körper miteinander verbunden sind. Alle Abläufe in unserem Körper, was wir essen, wann wir schlafen, wann wir arbeiten und wann wir ausruhen, streben danach, in Harmonie mit den Rhythmen der Natur und unserer Energiequelle, der Sonne, zu sein. So wie die Tage im Frühling und im Sommer länger werden und neue Lebensenergie freisetzen, damit die Bäume austreiben und die Natur wieder grün wird, wächst auch in unserem Körper die Lebenskraft. Und wenn die Welt um uns herum, ob im Winter oder während der Nacht, dunkler wird, ziehen wir uns zurück, ruhen uns aus und reflektieren. Diese Rhythmen sind in unserem Körper festgelegt, und wenn es uns gelingt, sie mit den Rhythmen der Welt um uns herum in Einklang zu bringen, dann erleben wir Frieden, Harmonie, Kreativität und haben die Chance auf ein langes, erfülltes Leben. In der durchgetakteten Arbeitswelt, in der das Leben immer mechanisierter und urbaner wird, EINLEITUNG
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wird ein anderer Rhythmus von uns verlangt. Wir im Westen haben unseren natürlichen Rhythmus gegen Dauerstimulation und ein hohes Stresslevel eingetauscht, was zu einem erhöhten Herzinfarktrisiko geführt hat; dies ist in den USA heute die Todesursache Nummer eins − und in Deutschland ist der Herzinfarkt die zweithäufigste Todesursache, nach der chronisch ischämischen Herzkrankheit. Noch vor hundert Jahren erlitten vergleichsweise wenige Menschen einen Herzinfarkt. Um dem sich immer weiter fragmentierten Alltag des 21. Jahrhunderts zu begegnen, müssen wir neue Wege gehen. Neu ist das Hüten des Herzensfeuers allerdings nicht, sondern eine Rückkehr zu der Lebensweise unserer Vorfahren. Für sie standen die Rhythmen der Natur im Mittelpunkt des Lebens. Dieses Buch ruft das alte Wissen wieder in Erinnerung, dessen Wahrheitsgehalt unser Körper bereits kennt. Wenn wir unser Leben im Einklang mit dem Feuer in unserem Herzen leben, können wir zum unmittelbaren Erleben der Schöpfungskraft zurückkehren, erfahren bewusst das Entstehen und Vergehen, nehmen Tempo aus unserem Leben und erlauben den Rückzug nach innen. Nur wenn wir uns zurückziehen, können wir in die tiefe Ruhe und Weite eintauchen, die wir unbedingt brauchen, um im Frieden mit unserem Körper zu sein und uns als Ganzheit zu erleben. Alles in der Natur und auch in uns durchläuft einen Prozess des Ausbreitens und des Sich-Zusammenziehens, genau wie der Herzschlag, der uns am Leben erhält: Das Herz pulsiert. Ich nenne diese Rückkehr zu den Rhythmen der Natur „im Flow sein mit dem Puls des Lebens“. Yoga ist so viel mehr als die Körperübungen, die heute weltweit in Sportstudios praktiziert werden. Yoga ist allumfassend und ein Weg, durch den wir mit dem Rhythmus von Sonne und Mond in Einklang kommen können, der unseren Biorhythmus bestimmt.
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EINLEITUNG
Auf diese Weise erleben wir das Leben im Fluss. Das Wort Yoga bedeutet „Joch“ oder anders: „Vereinigung“. Durch das Yoga des Herzens, das Thema dieses Buches, versuchen wir uns wieder mit dem natürlichen Fluss unseres Körpers zu vereinen. Weisheit und Wärme unserer Herzensfeuer leiten uns dabei. V I N YA S A L E B E N : DIE GRUNDLAGEN DIESE BUCHES „Das Feuer des Herzens hüten“ ist ein Lebenshilfebuch mit Meditationen, die auf unserer Herzensintelligenz sowie auf dem Rhythmus der Jahreszeiten beruhen. Es lädt euch auf eine Reise zu den Ursprüngen der Meditation ein, die auf die Tradition des Feuerhütens zurückgeht, einer mehr als zwei Millionen Jahre alten Praxis, die begann, als die Steinzeitmenschen entdeckten, das Feuer für sich zu nutzen. Alle Wesen, egal ob Tier oder Mensch, kommen in einen fokussierten, besinnlichen und meditativen Zustand, wenn sie an einem Feuer sitzen. Aus einem Kreis um das Feuer entwickelte sich die Frühform der Meditation: Man schaute in die Flammen, es wurde gesungen, getanzt und musiziert. In diesem Buch habe ich mehr als 108 unterschiedliche Meditationen gesammelt, gesungene und bewegte, aber auch Methoden aus der ayurvedischen Tradition, um unser inneres Feuer, Samagni, in Harmonie zu bringen, und auch Rituale wie die Sonnenwendfeier. Die Meditationen entspringen eigenen Erfahrungen, aber auch der Weisheit alter Traditionen, mit denen ich mich auseinandergesetzt habe: Yoga, Tantra, Bhakti, Ayurveda und Natya (Tanz). Durch mein kulturanthropologisches Studium an der UCLA (am Institut für Kunst und Kulturen der Welt) gewann ich früh ein universelles und breites Verständnis von Yoga. Als Studentin habe ich mich auf die Suche nach meinen Wurzeln
gemacht, nicht nur, was den Yogapfad angeht, sondern auch, was die Traditionen unserer Vorfahren betrifft. Mein eigener Yogaweg hat mich all das gelehrt, was ich in diesem Buch vorstellen möchte. Meine ganze Dankbarkeit gilt dabei vor allem meinen Lehrern. TA N T R A , B H A K T I U N D D A S H Ü T E N DES HERZENSFEUERS Die Basis dieses Buches bildet das Tantra, der Ursprung des Yoga, wie wir ihn heute praktizieren. Der Tantrismus ist ein zentrales Element in meiner eigenen Praxis und in meiner Lehrtätigkeit. Die nicht dualistische Philosophie des Tantra kommt ursprünglich aus Nordindien und erfuhr ihre Blütezeit vom neunten bis zwölften Jahrhundert. Diese oft missverstandene Philosophie ist charakterisiert durch eine positive Hinwendung zum Körper und zum Leben sowie durch eine tägliche Praxis (Sadhana). Im Tantra liegt der Schwerpunkt auf der direkten Erfahrung des Göttlichen, in der die Polarität von Shiva und Shakti aufgehoben ist. Shiva wird primär als reines, unwandelbares Bewusstsein verstanden, als der Urgrund allen Seins, während Shakti für die Manifestation der universellen Energie steht. Der tantrische Yogaansatz geht davon aus, dass wir die Erfüllung nicht in der Außenwelt finden, sondern in der eigenen Körperlichkeit, und zwar selbst im alltäglichen Leben. Nach der Lehre des Tantra spiegeln sich die Kosmologie des Universums und die Rhythmen der Erde direkt in unserem Körper wider. Alle wichtigen Tage des Jahres, der Mondzyklus oder auch die Jahreszeiten haben eine direkte und wahrnehmbare Beziehung zum Körper. Wenn wir diese natürlichen körperlichen Abläufe übergehen, schaffen wir Blockaden und Stillstand, und das, was Körper,
Geist und Herz uns sagen wollen, bleibt unterdrückt. Ein zentrales Element der tantrischen Meditation ist die lebendige Herzensenergie, die durch die Transformation des Atems, des Bewusstseins und durch Mantra entsteht. Sinnbild für diese lebendige Herzensenergie ist der Feueraltar (Hrid Kund). Die Meditation berührt damit das gesamte Spektrum des Lebens und alle Sinne, da wir eine direkte transformierende Erfahrung der inneren Quelle erleben. Das Feuer des Bewusstseins weist uns den Weg. Oft wird der Begriff „Bhakti“ auf die Liebe bezogen, ausgehend vom Ursprung des Wortes Bhaj, das Anbetung bedeutet. Bhakti bezeichnet aber auch eine Bewegung aus dem 14. und 15. Jahrhundert, in der Kirtan, Tanz und Unterweisungen eine große Rolle spielten und aus der sich die heutige Kirtanbewegung entwickelt hat. Innerhalb des Tantra ist Bhakti eine mystische Tradition, mit Texten, Sutras und Liedern, von Abhinavagupta bis Lalleshwari, von Triumoolar bis Kabir, deren Erkenntnisse über das Herz auch in diesem Buch zu finden sind. Außerdem habe ich Meditationen, Vorschläge für Opfergaben und Pujas gesammelt, die dem Feuerhüten und der befreienden Kraft der Liebe, dem lebendigen Bhakti, gewidmet sind. Tantra lädt uns ein, den Körper als einen heiligen Ort zu erfahren und das ganze Universum als den Körper anzusehen, indem wir das Feuer ehren, das in unserem Herzen brennt. AY U R V E D A U N D D A S F E U E R D E R V I TA L I TÄT Ayurveda ist eine der ältesten Heilkünste der Welt. Auf der Grundlage dieser Verbindung von Religion, Philosophie und Medizin soll der Körper in seinen natürlichen Fluss kommen, um Gesundheit und EINLEITUNG
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Wohlbefinden zu fördern. Ayurveda kommt aus Indien und basiert auf der genauen Beobachtung des Körpers und der Vorstellung, dass der Körper, genau wie die uns umgebende Welt, ein fein austariertes Instrument ist, das alle fünf Elemente enthält, aus denen auch unser Planet besteht: Äther, Luft, Feuer, Wasser, Erde. Es beruht auf einem Prinzip, das Dr. Vasant Lad, ein herausragender Ayurvedaarzt und Autor, die „Dreieinigkeit des Lebens“ nennt: Körper, Geist und spirituelles Bewusstsein. Das Wort ayu bedeutet „tägliches Leben“, während veda mit „Wissen“ übersetzt werden kann. In einfachen Worten heißt das, dass Ayurveda uns lehrt, dass unsere Körper Mikrokosmen im Universum sind. Gesundheit und Krankheiten haben einen direkten Bezug zum Makrokosmos, also zur Umwelt, zu den Jahreszeiten, zur Zeit – zu allem, was uns umgibt. Der Körper ist die Natur im Kleinen. Die Erde verfügt über eine immense schöpferische und heilende Kraft, wenn sie im Gleichgewicht ist. Gleiches gilt für unseren Körper, aber eben nur, wenn wir mit den natürlichen Rhythmen im Einklang sind. Ayurveda stellt diese intensive Beziehung des Menschen mit dem Kosmos in den Mittelpunkt. Nach Dr. Lad zeigt sich die kosmische Energie in allem Lebendigen und Nicht-Lebendigen. Unser Körper ist ebenso komplex wie der Kosmos selbst. Schon lange ist Ayurveda Teil meines Lebens und meiner Ausbildungen. Einmal im Jahr ziehe ich mich für einige Zeit ins südindische Kerala zu einem Retreat zurück und beschäftige mich außerdem mit Kalarippayat, einer südindischen Kampfsportart, die eng mit dem Ayurveda verwandt ist. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, die Prinzipien dieses Heilsystems mit anderen zu teilen, da es mein Leben so nachhaltig verändert hat. Deshalb stelle ich in diesem Buch auch viele Übungen vor, die auf die Be-
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EINLEITUNG
dürfnisse des Körpers zu einer bestimmten Jahresoder Tageszeit eingehen und helfen, „im Rhythmus zu leben“. P R A N A - F L O W - E N E R G E T I C - V I N YA S A Als ich 1990 begann, Vinyasa Yoga zu unterrichten, war ich fest in der Tradition des Ashtanga-Vinyasa nach Sri Pattabhi Jois, Iyengar und Desikachar verwurzelt, den drei Schülern von Sri T. Krishnamacharya aus dem indischen Chennai. Während der letzten zwanzig Jahre habe ich mich vermehrt einer ganzheitlichen Sicht des „gelebten Vinyasa“ zugewandt und mich mit den Wurzeln und unterschiedlichen Formen beschäftigt. Vinyasa wurde ursprünglich im frühen Tantra als „die Sequenz des Bewusstseins“ verstanden oder die Art, wie sich das Leben in Spanda, dem schöpferischen Puls des Lebens, entfaltet. Mit Vinyasa bezeichnet man alle Kreisläufe der Natur, von der kleinsten Schwingung bis hin zu einem ganzen Lebenszyklus, wie etwa die Reise eines kleinen Samenkorns, aus dem ein ausgewachsener Baum wird. Als großer Verehrer von Nataraja, Shivas göttlichem Tanz, gab mir mein Vater den Namen Shiva. Dieser Name war Anlass, schon als Teenager Yoga zu üben, später dann als Freiwillige nach Kenia zu gehen und dem Ruf meines Herzens zu folgen, nachdem es sich damals durch die Malaria geöffnet hatte, um schließlich in den Slums von Nairobi in einem Ashram-Waisenhaus zu arbeiten, das von Nonnen geführt wurde, die Yoga praktizierten. Das Feuer des Yoga war in mir entfacht. Meine Praxis wird durch eine organische Verbindung mit dem Atem, der Energie der Zellen und der Ebbe und Flut des Bewusstseins des Herzens bestimmt, was mich vor einem Burn-out durch exzessives Üben ganz am Anfang meiner Ausbildung bewahrte.
Heute lehre ich Vinyasa als lebendigen Flow, als Tanz des Lebens, eine sich fortwährend verändernde und weiterentwickelnde Sequenz, die auf Prana (Lebensenergie) und unserem energetischen Körper basiert. Durch meine Ausbildung in Odissi (klassischem indischen Tanz), Kalarippayat (indischem Kampfsport) in Kerala und mein Studium am Institut für Kunst und Kulturen der Welt an der UCLA habe ich ein tiefes Verständnis für Meditation in Bewegung und für Namaskars (bewegte Gebete) gewonnen. Durch meinen ersten Lehrer, Daniel Odier, und das Erlernen von Trancetänzen in Jamaika, Haiti, Mali, Ghana, Marokko, Bali und Kerala beschäftigte ich mich näher mit Sahaja Yoga (natürlichem Flow), und mir wurde immer bewusster, dass ich eine Art Gefäß für Bewegung bin. Mein Körper konnte nicht mehr nach der perfekten Ausübung einer Asana streben. Der Puls des Lebens in jedem Atemzug und in der Verbindung mit dem Herzen eroberte meinen Körper zurück. Deshalb finden sich in diesem Buch nicht nur eine große Auswahl von ganz unterschiedlichen Meditationen, sondern auch Anleitungen für eine Prana-Flow-Energetic-Vinyasa-Praxis sowie ein Mandala von mehr als vierzig Namaskars: Vinyasa-Sequenzen im Rhythmus von Sonne und Mond, die die Vinyasa-Meditationen ergänzen. D E R A N FA N G : DAS FEUER DES HERZENS HÜTEN Dieses Buch lädt dich auf eine Reise durch die Tradition des Feuerhütens ein, einer mehr als 800 000 Jahre alten Tradition. Unsere Vorfahren haben den Kosmos beobachtet, Rituale, Feste und tägliche Übungen entwickelt, um sich mit den Rhythmen der Natur zu verbinden. Und sie haben uns dieses inspirierende Erbe hinterlassen, das ich weitergeben möchte. Unser Körper ist durch und durch mit
der Natur synchronisiert, um in Balance zu bleiben. Wenn wir „das Feuer hüten“, sammeln wir unsere Lebensenergie in unserem Wesenskern, unserem Herzen, das verlässlich schlägt. Wie die Sonne verfügt auch unser Herz über einen immerwährenden Energiefluss, der Leben spendet und Leben erhält. Durch das Feuerhüten geben wir den solaren und lunaren Aspekten in uns, der dynamischen Energie und der Entspannung, wieder Raum. In vielen aktuellen Yogaströmungen spielt das Feuerhüten keine Rolle; im Vordergrund steht die Asana-Praxis. Doch diese ist nur ein Aspekt des Yoga. Aus diesem Grund habe ich das Feuerhüten zur zentralen Metapher dieses Buches gemacht. Sie steht für die unzähligen Arten und Weisen, wie wir in Kontakt mit unserer innersten Wahrheit treten und nach ihr leben können. Feuerhüten ist etwas Archaisches, es braucht Disziplin und viel Aufmerksamkeit. Man muss beweglich bleiben, denn das Leben ist Veränderung, sowohl äußerlich als auch innerlich, und damit müssen wir umgehen. Feuerhüten ruft uns zum Aktivsein auf: Wir müssen aufwachen, unser ganzes Potenzial leben, damit wir dazu beitragen können, das Gute in die Welt zu bringen. Dieses Buch gliedert sich in vier Teile: Im ersten Teil erforschen wir die Bedeutung des Herzens in verschiedenen Kulturen und Zeitaltern und die Sicht von Mystikern und Philosophen aus Ost und West. Wir verfolgen, wie sich das Herz im Westen zu einer rein mechanischen Pumpe entwickelt hat (und wir uns damit auch vom Herzensfeuer entkoppelt haben) und in jüngster Zeit als energetisches Herz wiederentdeckt wurde. Um unsere „Feuerhüterkraft“ wiederzufinden, erforschen wir, wie kraftvoll das Leben im Einklang mit den Rhythmen der Natur und den Elementen des Universums ist. Mit dem Fluss der Natur (versinnbildlicht durch den EINLEITUNG
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Tanz von Shiva und Shakti im Yoga) sind auch wir im Fluss. Im zweiten Teil werden wir durch bewegte Meditationen, inspiriert durch den Tanz von Shiva und Shakti als Archetyp, die Kunst des Feuerhütens praktizieren. Ich stelle einfache, leicht zugängliche, aber doch hochwirksame Bewegungen wie Pranams, Mudras, Kriyas und Namaskars vor. Außerdem betrachten wir den Einfluss der Zeit, des Rhythmus und unseres körperlichen Zustands auf unsere Praxis. Im diesem Teil finden sich auch einige Meditationen, um das Feuer zu hüten. Im dritten Teil verbinden wir unsere körperliche Energie mit den täglichen, monatlichen und jahreszeitlichen Rhythmen und betrachten die Sandhyas, die heiligen Momente der Morgen- und Abenddämmerung, die sehr wirksam sind. Über die aus Shivas Tanz entsprungenen Elemente kommen wir zu den Prinzipien des Ayurveda und zu praktischen Anleitungen für ein Leben im Einklang mit dieser Lehre. Wir lernen, unseren Lebensrhythmus den natürlichen Rhythmen von Tag und Nacht, von Sonne und Mond anzupassen. Wir nehmen uns Zeit für unser Herzensfeuer und praktizieren Rituale, mit denen wir es wiederbeleben. Im vierten Teil schließlich geht es um die Anwendung des Wissens nach einem von mir entwickelten, sechs Wochen umfassenden Kalender. Er integriert die Sonnen- und Mondzyklen im heiligen Mandala des Jahres in diesen sechswöchigen Zyklus. Wir beginnen in der inspirierenden Dunkelheit des Winters, wenn am wenigsten Licht im Außen zur Verfügung steht, unsere Wiedergeburt erfahrbar wird und wir unser inneres Licht, unser Herzensfeuer, neu entfachen. Dann folgt das Wiedererwachen im Frühling, darauf das schöpferische Feuer des Sommers und schließlich im Herbst die Zeit des Loslas-
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EINLEITUNG
sens. In diesem Teil des Buches finden sich auch Listen über Ernährungs-, Körper- und Yogarhythmen für jede Jahreszeit. Außerdem betrachten wir einige heilige Tage und Rituale im Jahresverlauf. Das Buch hat damit seine Struktur, dennoch kannst du es auf jeder Seite aufschlagen und dich von der dort vorgestellten Meditation, einem Absatz, einem Sutra oder einem Bild inspirieren lassen. Wenn dich die Theorie nicht interessiert, dann überspringst du einfach Teil eins und beginnst mit dem zweiten Teil, der Praxis. Und wenn du keine Körperübungen aus dem Yoga praktizieren kannst oder willst, dann widmest du dich eben den Meditationen. Ich bin dankbar für die vielen Lehrer und Freunde, die mich auf dem Weg des Herzensfeuers begleitet haben. Daraus ist mein Programm „Das Feuer des Herzens hüten: Sadhana Yoga leben“ hervorgegangen, das ich an der „Samudra Global School of Living Yoga“ unterrichte; einer Schule die ich im Jahr 2002 gegründet habe. DAS E R WAC H E N D E S H E R Z E N S : BHAKTI UND DIE MYSTIK DES HERZENS Seit ich den Yogaweg gehe, ist das Hüten des Herzensfeuers mein persönliches Dharma. Besonders deutlich nehmen wir das Erwachen des Herzensfeuers in Krisenzeiten wahr, dann, wenn wir am Boden liegen und der Panzer unseres Herzens aufbrechen muss. Das mystische Herz erwacht, indem wir erfahren, dass jeder von uns das Feuer entfachen kann, wenn er den Funken der Liebe, der Verbindung, der Inspiration, der Wahrheit oder der Leidenschaft in sich spürt und hütet. Wir können dieses Feuer in den Augen unseres Gegenübers erkennen und so erwachen und dem Leben in all
seinen Formen dienen – das ist dann unser ganz persönliches, heiliges Handeln in der Welt. Oder, wie es mein Mentor Andrew Harvey sagt:
Gewaltiges Feuer des Herzens Unbändige Freude
„Die Menschheit steckt in einer noch nie dagewesenen evolutionären Krise, einer tiefen, dunklen, globalen Nacht. Doch gerade diese Nacht birgt Potenzial, kann der Geburtskanal für eine neue göttliche Menschheit sein, die durch die
im Herzen der Wirklichkeit. Alles wird frei im Hier und Jetzt, es gibt nichts zu tun und nichts nicht zu tun,
Tragödie zur Einsicht gelangt und durch Gnade
Bewegung und Stillstand
erleuchtet ist … Die schöpferische Kraft des
sind leuchtendes Bewusstsein.
göttlichen Menschen ist die Kraft der Muttergottes, die sich sowohl in einer neuen und radikal anderen Mystik ausdrückt wie auch in einem radikalen, von Heiligkeit inspirierten Handeln auf jeder Ebene und in jedem Bereich.“ In den Lehren und der Praxis des Yoga spielte das Herz schon immer eine zentrale Rolle, sowohl in praktischer als auch in mystischer Hinsicht. Lasst uns zur Kraft und zur Fülle unserer Herzen zurückkehren. Zum Herzen als Quelle des Feuers und der Wärme. Zum Herzen als intelligente Energie und als Sitz elektromagnetischer Strahlung. Zum Herzen als erleuchtender Führer hin zu Liebe, Kreativität und tiefer Erkenntnis. Möge die Reise nun beginnen, indem wir die direkte Verbindung zu unserem ureigenen Herzensfeuer schaffen, das immer schon da war.
Frei vom Streben, frei vom Tun, überflutet die Essenz dein ganzes Sein. Dein kosmischer Körper zeigt sich in seiner Ganzheit, Der Kosmos selbst vibriert in ihm! Der Nektar seiner Manifestation zeigt sich in jedem glänzenden Licht. Weder Menschen noch Materie entzieht es sich, Sonne, Mond, Steine, Bäume, der Himmel und die Erde Der Körper und der Geist tun nichts als zu verkünden, dass dieses Herz bis in die Unendlichkeit schlägt SAHAJANANDA B HAIR AVA¹
EINLEITUNG
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TEIL EINS
Unsere Vorfahren und die Entwicklung unseres energetischen
Das Feuer des Herzens h端ten
Herzens
KAPITEL EINS
Das Herzensfeuer betrachten Vom Wissen unserer Vorfahren bis zu neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft
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In unseren Herzen brennt ein Feuer … …das alle Schleier bis zu ihren Grundfesten niederbrennt. Wenn die Schleier verbrannt sind, dann wird das Herz alles verstehen. Ursprüngliche Liebe wird sich in neuen, frischen Formen in der Tiefe der Seele entfalten, im Zentrum des Herzens. RUMI
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TENDING THE HEART FIRE
U N S E R L E B E N W I R D V O N R H Y T H M U S B E S T I M M T. W I R W E R D E N I M R H Y T H M U S G E B O R E N , E R H Ä LT U N S A M L E B E N U N D S O R G T F Ü R E N T W I C K L U N G . Gezeiten, Atem und Blutkreislauf – alles hat einen Rhythmus. Wir werden in ein Universum von Abläufen hineingeboren und unser Herz als großer Dirigent unseres Körpers gibt unserem Lebensfluss eine Partitur. Als unser Universum vor etwa vierzehn Milliarden Jahren durch den Urknall entstanden ist, explodierte eine Art Blase und verwandelte sich in Licht, Raum und Materie. Noch heute pulsiert alles auf der Erde in diesem Licht, unser Körper eingeschlossen. Das Herzensfeuer verbindet uns mit dem Beginn der Schöpfung, mit Ritam oder dem kosmischen Rhythmus, der aus dem lodernden Tapas dieser Urhitze entstanden ist. Der Urknall schuf Surya (die Sonne), Chandra (den Mond), den Himmel und die Zyklen der kosmischen Zeit. In unserem Herzschlag spiegelt sich der Puls der Schöpfung (Spanda). Unser Herz schlägt als die innerste Essenz des Bewusstseins (Hridaya), als Fluss der Liebe (Rasa) und als Licht des wahren Selbst (Jyotir). Jeder von uns trägt ein gewaltiges Potenzial an Kraft und Liebe im Körper. Wer nach diesen natürlichen inneren und äußerlichen Abläufen lebt und sich am fließenden Rhythmus unserer Welt ausrichtet, der lebt in Einklang mit ihnen.
Wenn wir tief in die Wahrnehmung unseres Körpers eintauchen, nehmen wir in der Brust einen feinen Nachklang dieses Lichts als eine starke, durchdringende Wärme wahr. Sie breitet sich aus und zieht sich wieder zurück, wird schwächer und wieder stärker. Auch wenn wir nicht oft innehalten, um dem nachzuspüren, benutzen wir doch viele Redewendungen, die die enge Verbindung zum Herzen widerspiegeln. Beispielsweise wenn wir anderen einen Rat geben: „Hör auf dein Herz“, „Vertrau deinem Herzen“, „Folge deinem Herzen“. Unser Herz fühlt sich „schwer“ an oder wir sind „leichten Herzens“, und wir schwören auf das Herz („Hand aufs Herz“). Steht eine wichtige Veränderung an oder etwas, bei dem wir über uns hinauswachsen müssen, so „fassen wir uns ein Herz“. Selbst wenn wir das Herz nur als eine kraftvolle Stoffwechselpumpe betrachten, wie wir das in der Schule gelernt haben, wohnt also tief in unserem Inneren das Wissen, dass das Herz noch viel mehr ist. In allen spirituellen Traditionen weltweit gibt es die Vorstellung des Herzensfeuers als Sinnbild für Verbindung und innerer Weisheit, die nach außen strahlt, jenseits der Grenzen von Zeit, Raum und Kultur.
D A S EHNEVRIZSEI O NN S IFNEGU ET R H EB EHTERAARCT HFTI E RN E
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Das mystische Herz quer durch alle Kulturen Alle spirituellen Wege treffen sich an einem einzigen heiligen Ort – im Herzen des Suchenden. Egal ob Sufismus, christliche, buddhistische, hinduistische, jüdische, islamische oder schamanische Tradition, allen ist der Glaube an den universellen Puls des Herzens gemeinsam, an die Quelle des Feuers, das uns mit dem Geheimnis der Existenz verbindet. Mystiker aller Traditionen – jedenfalls solche, bei denen die Gläubigen direkt mit der Quelle kommunizieren und nicht den Umweg über Priester oder andere Vermittler brauchen – werden vom Herzensfeuer angezogen wie von einem Pfad glühender Asche in dunkler Nacht. Sie schwingen sich auf den heiligen Puls ein, der ihnen hilft, durch die Schleier der Illusion die Wahrheit zu sehen, zu hören und die Einheit zu spüren, die im Herzen wohnt: Dort verschwinden alle Unterschiede und alles Vergiftende, und der Nektar der bedingungslosen Liebe wird kultiviert. Das Herz als Spiegel des Göttlichen zu verstehen ist eine Vorstellung und eine Metapher, die sich in allen mystischen Kulturen der Welt wiederfindet, vom heiligen Herzen der Christen bis zum Bild des Herzens als Kessel in der keltischen Tradition. Wer mehr hiervon sprechen will, der lege sich in dieses Feuer und sehe und koste, wie die Gottheit fließt. MECHTHILD VON MAGDEBURG
CHRISTLICHE MYSTIK — DAS FLAMMENDE HERZ DER LIEBE Die Verehrung des flammenden Herzens Jesu – mal vom Körper getrennt und von Dornen umhüllt dargestellt, mal strahlend im Körper – ist der Ausdruck der Spiritualität zahlloser Heiliger und Gläubiger. Das Herz Jesu strahlt das Licht der göttlichen Liebe aus, die Schmerz und Leid verwandelt. Innerhalb der katholischen Kirche als das Heiligste Herz Jesu bekannt, ist es für katholische Christen seit über 2000 Jahren der Ausdruck der göttlichen Liebe.
Das Herz ist wie eine Kerze. Es sehnt sich danach, entzündet zu werden. Vom Geliebten getrennt, sehnt es sich danach, wieder eins zu werden, aber du hast den Schmerz zu tragen. Du kannst Liebe nicht lernen. Liebe kommt auf den Schwingen der Gnade zu dir.
R UMI
JUDENTUM — KABBALA — AISH: DAS HEILIGE FEUER DES HERZENS In der jüdischen Tradition und im Alten Testament ist es das Herz, mit dem wir verstehen. Alle Gebete kommen aus dem Herzen und bleiben im Herzen. In der Kabbala, dem mystischen Zweig des Judentums, wird das Herz leve genannt, was hebräisch ausgesprochen ähnlich klingt wie love. Die Talmud Sotah lehrt, dass die hebräischen Wörter für Mann und Frau das Wort Aish enthalten, was „heiliges Feuer“ bedeutet. Das Herz wird als innerer Altar betrachtet, wo das Aish als Herzensfeuer der ewigen Liebe aufsteigt.
S U F I S M U S U N D DA S F E U E R D E R L I E B E Im Sufismus ist das Herz der heilige Raum, in dem wir Gott als den Geliebten treffen. Das Feuer der Liebe verbrennt alles Trennende, die Masken und Hüllen der Seele. Durch Meditation und Chanten, Bewegung und Gebet haben die großen Heiligen wie Dschelaluddin Rumi und Rabia versucht, in der brennenden Liebe den Einen zu finden.
D A S EHNEVRIZSEI O NN S IFNEGU ET R H EB EHTERAARCT HFTI E RN E
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D A S A LC H E M I S T I S C H E F E U E R D E S TA O Im Taoismus ist das Herz ein alchemistisches Feuer, genährt durch das Wasser. Feuer und Wasser verbinden sich zur ewigen Liebe. Das Herzensfeuer gilt als natürlicher „Herrscher“ oder „Taktgeber“, der den ewigen Geist wachsen lässt. Die Praktiken des Tao, die mit dem Herzen zu tun haben, konzentrieren sich darauf, Energie durch die Kombination der männlichen und weiblichen Essenz zu erneuern, die als Feuer (Sonne) oder Wasser (Mond) symbolisiert werden.
Wenn das Innere und das Äußere erleuchtet sind und alles klar ist, dann bist du eins mit dem Licht der Sonne und des Mondes. L I U I -M I N G, Z UM TAO E R WACH EN
DER KESSEL DES HERZENS D E R K E LT E N Feuer im Kopf, um uns zu beflügeln. Feuer im Kessel, um uns zu heilen. Feuer in der Schmiede des Herzens, um uns zu härten. K ELT I S CHES GEDIC HT VO N HEDGEWYTC H
In der keltischen Tradition wird das Herz als Kessel dargestellt, ein Sinnbild für Heimat und Licht, das auch Nwyvre, das heilige Feuer, genannt wird. An acht heiligen Tagen im Jahreskreis werden das Feuer der Gemeinschaft und das Herdfeuer wieder neu entzündet. Es ist ein Ritual, um das Herzensfeuer neu zu entfachen und das Land und die Familie zu segnen.
SCHAMANISCHE UND INDIGENE TRADITIONEN
V A J R AYA N A : T A N T R I S C H E R B U D D H I S M U S U N D B O D H I C I T TA
Schamanismus ist eine spirituelle Praxis, die auf der ganzen Welt verbreitet ist, unabhängig von Religionen oder philosophischen Schulen. Auch in der modernen Welt wird Schamanismus praktiziert, von den Urvölkern meist noch in seiner ursprünglichen Form. Im Zentrum der panschamanischen Rituale steht die Feuerzeremonie. Damit wird das Feuer aller Wesen gewürdigt, zusammengebracht vom Feuer im Schoß der Erde (Mutter) und dem Feuer der Sonne (Vater) im Feuer des Herzens.
In der mystischen Tradition des Vajrayana, auch als tantrischer Buddhismus bekannt, können wir nur dann klar sehen, wenn wir Bodhicitta praktizieren, die grenzenlose Liebe und das allumfassende Mitgefühl mit allen Wesen. Dafür müssen wir die ursprüngliche Form der Weisheit und des Mitgefühls nähren, und diese liegt in unserem Herzzentrum. Der Weg zur Befreiung beginnt im Herzen. Dort wohnt das Licht des Bewusstseins. In der tantrischen Tradition gibt es eine alchemistische Meditation, in der ein Yogi die glühend rote Sphäre der weiblichen Hitze im Zentrum des Nabels visualisiert; dieser Punkt explodiert und
Unser Herz ist unser erster Lehrer. W EI S HEI T DER CHER OKEE
die Kraft des Weiblichen fließt durch den zentralen Nervenkanal nach oben, bis zur Krone des Kopfes. Dort wird ein männlicher Samen visualisiert, der nun schmilzt und nach unten tropft. Die weibliche und die männliche Energie werden voneinander angezogen und treffen sich im Herzen, wo sie explodieren in Glückseligkeit und Leere, die durch den ganzen Körper strahlen, ihn reinigen und Bodhicitta aktivieren, den „Herzgeist der Erleuchtung“.
DAS HERZENSFEUER BETRACHTEN
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Hridaya: das Licht des Herzens in den Veden Das Herz lässt den Menschen in tiefe Geheimnisse und Mysterien sehen. AUS DE N VE DE N
DAS HERZENSFEUER IM YOGA: INDISCHE TRADITION In den alten Yogatraditionen ist das Herz Hridaya, die Quelle des universellen Lichts und des menschlichen Bewusstseins. Die Wurzel des Wortes ist Hrid, „Zentrum“, Hridaya bezieht sich zum einen auf das Organ selbst, zum anderen auf das energetische Feld des Bewusstseins, das sowohl in jedem Körper als auch in der gesamten Schöpfung lebt und mit dem Herzchakra, Anahata Chakra, verbunden ist. In dieser Tradition ist das Herz als Mikrokosmos der zentrale Altar des Körpers, und entsprechend ist es auch im Makrokosmos: der Herd im Herzen des Hauses, das Allerheiligste im Zentrum des Tempels und im Herzen des ganzen Kosmos die Sonne. All diese Elemente atmen und pulsieren gemeinsam. Wenn wir uns vor dem äußeren Feuer verbeugen, verbeugen wir uns auch vor dem inneren Feuer. Dadurch verbinden wir uns mit dem Herzen der Schöpfung. Yoga ist der Prozess, der uns erlaubt, alle Stufen der Verbindung zu erkennen und zu erfahren und die Spannungen, die zum Getrenntsein führen, in Verbindungen zu verwandeln.
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DAS FEUER DES HERZENS HÜTEN
Die Veden, die ältesten Texte des Hinduismus, beschreiben eine besondere Verbindung zwischen dem heiligen Feuer und dem kosmischen Körper. Das Herz ist Hrid und Hridaya das Licht des Bewusstseins. Diese Vorstellung zieht sich durch die Schriften und meint eine tiefe Einsicht (Dhi), durch die man zum Seher wird (Rishi). Der Rig-Veda verbindet den Opferaltar des Feuers mit dem menschlichen Herzen, als Weltachse zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos.
Die Upanishaden: den Knoten um das Herz lösen Das strahlende Selbst wohnt verborgen im Herzen. Alles im Kosmos, klein wie groß, lebt im Selbst, der Quelle des Leben. MUNDAKA UPA NIS H A DE N
In diesen grundlegenden Schriften der Hindus, den 108 Upanishaden, wird das Herz immer wieder als der geheime Ort der unsterblichen Seele oder des Selbst (Atman) angesehen, Ausdruck des Absoluten (Brahman) im Mikrokosmos. Die Upanishaden schreiben vor, dass die Unwissenheit des eigenen unsterblichen Selbst aufgegeben werden muss und im Feuer auf dem Altar des Herzens verwandelt wird. Die Yogapraxis dient dazu, den Knoten um das Herz zu lösen. Wenn das innere Selbst enthüllt und durch das Feuerritual im Lotus des Herzens erkannt wurde, ist das reine Selbst befreit.
Tantrischer Shivaismus und das innere Herzensfeuer In einem einzigen Punkt im Herzen vereint sich das Feuer (Samghattam) mit der Sonne, dem Mond und dem Feuer. S R I ABHINAVAGUPTA
In der tantrischen Tradition kann das innere Herzensfeuer als Feueraltar, als die ewige Präsenz des Göttlichen angesehen werden, symbolisiert durch die Verbindung von Shiva und Shakti. In dieser Tradition ist Shiva (der Verheißungsvolle) der Ursprung des dynamischen Universums. In den Rhythmen des Universums, im immerwährenden Ausbreiten und Zusammenziehen, zeigt sich hingegen das Spiel der Göttin Shakti (Energie und Kraft). Shakti steht für das kontinuierliche Pulsieren des universellen Her-
zens, das sich in unzähligen Wellenformen zeigt, die aufsteigen und dann wieder in den „Ozean“ der Höchsten Erkenntnis (Shiva) eintauchen. Im Tantra sind die Seele und der Körper Ausdruck des göttlichen Bewusstseins, das sich in unzähligen Formen manifestiert. Diese Formen lösen sich im ewigen Pulsieren des Kreislaufs aus Leben und Tod wieder auf. Der Tanz von Shiva und Shakti wird auch Sphuratta genannt, „Puls“ oder „Herzklopfen“ des Höchsten Lichts, das kontinuierlich strahlt und uns Freude schenkt. Die Lebenszyklen des Makrokosmos lassen sich im Mikrokosmos des menschlichen Körpers durch das ewige Pulsieren des Atems erfahren. Der Atem ist mit dem Feueraltar des Herzens verbunden, dort, wo Shiva und Shakti vereint sind (yamala). DAS HERZENSFEUER BETRACHTEN
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Das energetische Herz in der westlichen Tradition Die Mystiker waren nicht die einzigen, die über die Bedeutung des Herzens nachgedacht und geforscht haben. Während für sie das Herzensfeuer direkt erfahrbar war, haben Philosophen, Künstler, Wissenschaftler und viele andere sich ebenfalls mit der Natur und den verschiedenen und sich wandelnden Wahrnehmungen des Herzens auseinandergesetzt. In den Kulturen des Altertums in Ägypten und Griechenland und während der Renaissance wurde das Herz als Licht der Wahrheit und als Quelle der Liebe betrachtet, eine Vorstellung, die lange Zeit vorherrschte. Im 17. Jahrhundert kam dann die Wende zu einer entleibten Philosophie, die am besten durch das „Ich denke, also bin ich“ des französischen Philosophen René Descartes auf dem Punkt gebracht wurde. Dies bestimmt bis heute unser Denken und Handeln. Das Herz wurde zu einer mechanischen Pumpe degradiert und das Gehirn zur alles beherrschenden Instanz erhoben. Aber das Blatt wendet sich wieder. Wir entdecken das Herz als das Zentrum des menschlichen Körpers, unserer Erfahrung und unseres Lebens wieder. Durch Wissenschaft, Medizin und die unzähligen Formen des Yoga und der spirituellen Praxis werden wir zum Rhythmus zurückgeführt, der uns lebendig macht, zur pulsierenden Kraft, die uns mit uns selbst, dem Planeten und dem Kosmos verbindet.
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DAS FEUER DES HERZENS HÜTEN
D A S A LT E Ä G Y P T E N : DAS EWIGE HERZ Etwa im Jahre 2000 v. Chr. taucht das Herz in ägyptischen Schriften zum ersten Mal auf. Für die Ägypter gehörte der Herzschlag zum Himmel. Deshalb ist seine Lebenskraft ewig und vom übrigen Körper getrennt. Das Herz entzündet alles Leben, alle Gedanken, alle Gefühle und wird durch einen einzigen Blutstropfen der Mutter geschaffen. D A S A LT E G R I E C H E N L A N D : DAS MUTIGE HERZ Für die alten Griechen war das Herz das Zentrum der Kraft, des Mutes und der Treue. Das Herz war die Feuerkraft, der alle Gedanken und Handlungen entspringen. Es war der Ort der Körperflüssigkeiten, die den Körper in Balance halten. Für die großen griechischen Philosophen war die Betrachtung des Herzens ausgesprochen
wichtig. Platon glaubte, es sei das Organ der Leidenschaft, das Zentrum des Ungezähmten im Menschen, aus dem Ärger, Liebe, Stolz und Willenskraft geboren werden. Dennoch war das Herz in seiner Vorstellung weniger wichtig als das stets gut funktionierende Gehirn. Platon stellte eine Theorie auf, dass die Liebe nobler, tiefer und wahrhaftiger würde, wenn sie statt vom Herzen vom Gehirn gelenkt würde. Platons Schüler Aristoteles widersprach dieser Behauptung. Für ihn war das Herz das wichtigste Organ im Körper; dort wohnten unsere Intelligenz, die Weisheit und die Gefühle. Er beschrieb das Herz als „heißes“ Organ und glaubte, dass ihm alle anderen Organe im Körper dienten. Erst mit den Forschungen des Hippokrates, des Vaters der westlichen Medizin, wurde das Herz unter einem eher wissenschaftlichen Aspekt betrachtet. D A S H E R Z I M M I T T E L A LT E R Im Mittelalter betrachtete man den Körper nicht mehr als Hort der Schönheit und des Göttlichen, sondern als einen der Angst und der Scham. Die Medizin versuchte zu heilen, indem sie den Körper von der Sünde befreite. Dennoch blieben Licht und Geist im Herzen beheimatet. Über das Herz fand man zu Güte und zu Gott. DAS HERZENSFEUER BETRACHTEN
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In der christlichen Mystik sieht man das Herz als ein spirituelles Organ des Körpers an. Der heilige Augustinus von Hippo, der schon zuvor viel über das Herz als den Pfad zu Gott geschrieben hatte, sagte: „Durch dein Feuer, dein großzügiges Feuer, werden sich auch unsere Herzen mit Feuer füllen.“ Im Mittelalter wurde das Herz als der Ort für spirituelle Erfahrungen angesehen.
zeichnete beispielsweise akkurate Abbildungen der Herzklappen und Arterien. Durch diese und andere Zeichnungen berühmter Künstler sowie die Arbeit der Ärzte erkannte man, dass das Herz Blut durch unseren Körper pumpt. Diese Erkenntnis führte zum Bruch: Herz und Geist wurden ab sofort getrennt betrachtet. RENÉ DESCARTES: DAS HERZ ALS MASCHINE Descartes übernahm die Idee, dass das Herz die „Sonne“ oder der „König“ des Körpers sei, und ging noch einen Schritt weiter. In seiner Vorstellung war das Herz ein großer Verbrennungsmotor, der den Körper am Leben hält. Für ihn war das Herz eine mechanische Pumpe, ein „Automat, dessen Bewegung den gleichen Gesetzen folgt wie eine Uhr“. Seiner Ansicht nach war der Geist nicht im Herzen zu finden. Auch dies führte in der westlichen Vorstellung zu einer radikalen Trennung von Geist und Herz. DIE INDUSTRIELLE REVOLUTION: DAS HERZ ALS MECHANISCHE PUMPE
RENAISSANCE UND LEONARDO DA VINCI: DAS HERZ MIT VIER KAMMERN In der Renaissance begann man, Leichen zu sezieren, und man entdeckte dabei die vier Herzkammern. Der menschliche Körper wurde zu einem beliebten Motiv in der Kunst, und viele Künstler, vor allem Leonardo da Vinci, bildeten ihn in Zeichnungen und Gemälden detailgetreu ab. Leonardo
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Während der industriellen Revolution führte der technische Fortschritt dazu, dass man die Anatomie des Herzens noch detailgetreuer darstellen konnte. Jetzt war die Transformation des Herzens in ein rein auf das Funktionelle beschränktes Organ abgeschlossen. Diese mechanische Sicht trennte Geist und Körper vom Herzen. In der Vorstellung der Menschen existierte das Herz ab jetzt losgelöst von Intelligenz, Gefühl und Empfindungsvermögen.
DIE RÜCKKEHR DES ENERGETISCHEN HERZENS: NEUE ERKENNTNISSE DER CARDIOENERGETIK In den letzten Jahrzehnten wurde durch tief greifende Erkenntnisse in der Kardiologie der Gedanke des energetischen Herzens wieder aufgegriffen. Durch neue Techniken kann man den Herzschlag, die elektrische Aktivität und das elektromagnetische Feld des Herzens messen und nachweisen. Weitere Erkenntnisse gewann man durch Erfahrungen von herztransplantierten Patienten. Heute wird das Herz als „Herzgehirn“ beschrieben, wegen der Art und Weise, wie es auf neuronaler, hormoneller und energetischer Ebene mit dem Körper kommuniziert. Die Entdeckung des elektromagnetischen Feldes des Herzens, das 5000 Mal stärker ist als das des Gehirns, das aus dem Körper ausstrahlt und sich sogar mit anderen Herzfeldern verbinden kann, passt zu den metaphorischen Beschreibungen der Erfahrungen in den spirituellen Traditionen überall auf der Welt. Die Wärme und die Strahlung, die Intelligenz und die intuitive Kraft des Herzens können nun wissenschaftlich belegt werden. Darauf werde ich in Kapitel 3 näher eingehen. Organisationen wie das HeartMath-Institut gehen noch einen Schritt weiter und entwickeln Programme für die breite Bevölkerung, die helfen, Stress abzubauen und damit das Herzinfarktrisiko zu mindern. Projekte wie die „Global Coherence Initiative“ versuchen das kollektive Energiefeld der Erde und der Menschen überall auf der Welt zu messen. Auf diese Weise schließt sich der Kreis des Wissens unserer Vorfahren und der neueren Wissenschaft. Wir haben heute eine ganzheitliche Sicht auf das Herz. In ihm wohnt eine organisierende Intelligenz, das Licht des Bewusstseins; es ist ein Ort, an dem der Rhythmus der Liebe transformiert wird.
DAS HERZENSFEUER BETRACHTEN
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Feuerhüten in der Vergangenheit und die Energie der Zukunft Das Universum schenkte uns bei seiner Entstehung das Feuer und weckte gleichzeitig unsere tiefe Verehrung dafür. Es ist das zentrale Feuer deines Selbst, das zentrale Feuer des ganzen Kosmos; es darf nicht durch triviale Handlungen verschwendet werden, auch nicht für Rache, Ablehnung oder Verzweiflung. Wir haben die Kraft, das kosmische Feuer zu hüten. Was ist mit einem solchen Schicksal vergleichbar? BR IAN SWIMME, DAS UNI V ERSUM IST EIN GR ÜNER D R AC HE
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VOM FEUERHÜTEN Z U R E L E K T R I Z I TÄT Die Fähigkeit, sich das Feuer zunutze zu machen, wird oft als die Wende in der Geschichte der Menschheit bezeichnet. Die Entdeckung und Nutzung der Elektrizität hat unsere Beziehung zur lebendigen Flamme jedoch noch drastischer verändert. Heute können wir Wärme und Licht auf Knopfdruck einund ausschalten. Diese Möglichkeit ist allerdings noch ziemlich neu: Wenn man die Menschheitsgeschichte betrachtet, so ist die Erfindung von Elektrizität erst einen Augenblick her. Vor weniger als hundert Jahren hatten nur fünfzehn Prozent aller Einwohner der USA elektrisches Licht, und erst in den letzten vierzig Jahren wurde Strom praktisch allen Amerikanern zugänglich gemacht. Das bedeutet, dass wir trotz aller technischen Neuerungen nur ein paar Generationen von einem Leben entfernt sind, das auf den Rhythmen der Natur und dem offenen Feuer basierte. Selbst heute noch nutzt eine Milliarde Menschen offenes Feuer als Hauptenergiequelle. Erstaunlich, nicht wahr? Wie hat der Zugang zum elektrischen Licht in diesem letzten Jahrhundert der Verschwendung und Zerstörung der Natur unsere Seele und unsere Beziehung zu Energiequellen verändert? Kann uns die lebendige Flamme wieder mit unserem inneren Feuer verbinden und uns dabei helfen, das Wunder, das Geheimnis und die Aufgaben unserer Zeit zu se-
hen und die Energiequellen, die die Umwelt vergiften, durch erneuerbare Energien zu ersetzen? Wir müssen die Verbindung zur uralten Tradition des Feuerhütens wiederaufnehmen, um zu unserer inneren und äußeren Kraft zurückzufinden und dieses Wissen an zukünftige Generationen weiterzugeben. M E D I TAT I O N E N R U N D U M D A S F E U E R Es sind sich alle Völker in dem Empfinden gleich, dass es beruhigt, um ein Feuer zu sitzen, besonders wenn es ein offenes Lagerfeuer ist. Wir kommen in eine ganz natürliche Meditationshaltung und spüren, wie die Flammen des Bewusstseins sich in uns ausbreiten. Das Feuer dringt in die Zellerinnerung vor und weckt dort die Leidenschaft und die Wertschätzung für längst vergangene Generationen. Die lebendige Flamme einer Kerze auf dem Altar, eines Kamin- oder eines Lagerfeuers enthält die gleiche Energie, die schon in prähistorischen Siedlungen für Licht und Wärme gesorgt haben, wie die Energie des Feuers in Tempeln oder heiligen Stätten. Feuer ist im Zentrum der Zeit, in unserem Sonnensystem, in den Atomen, die unsere Zellen bilden, und in unserem energetischen Herzen. Kein Wunder, dass wir uns so gerne um ein Lagerfeuer versammeln. Die Meditation rund um das Feuer verbindet uns mit unserem kulturellen Erbe. Ob wir nachts schweigend in die Flammen sehen, ein Mantra singen oder das Wesen des Feuers in einer bewegten Meditation, einer Asana oder im Tanzen versinnbildlichen, wir kommen intensiv mit dem Leben unserer Vorfahren in Kontakt, die in genau der gleichen Weise dem Ruf des Feuers gefolgt sind. Zu allen Zeiten haben wir instinktiv das Feuer immer als äußere Manifestation des Feuers in unserem Zentrum betrachtet, ein Zeichen der glühenden Energie unseres Herzens. DAS HERZENSFEUER BETRACHTEN
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Der Verlust der lebendigen Flamme Wenn offenes Feuer in unserem Leben keine Rolle mehr spielt, wir nur selten oder gar kein Feuer anzünden oder hüten können, lösen wir uns vom Kern unserer Ursprungskultur. Die Auswirkungen dieser Trennung wiegen schwer und werden sowohl individuell als auch kollektiv erfahren: > Unsere Lebenskraft und Leidenschaft verblassen. > Wir erleiden Herzkrankheiten, Depressionen und Ängste, die unseren Vorfahren unbekannt waren. > Wir stören die Rhythmen der Natur und werden Zeuge der Zerstörung und Vergiftung der Umwelt, die uns versorgt.
DAS ABKOPPELN VON UNSEREM H E R Z E N S F E U E R H A T V I E L F Ä LT I G E AUSWIRKUNGEN Vor 1900 starben nur sehr wenige Menschen an einem Herzinfarkt. Doch seither sorgt die Loslösung von den Rhythmen der Natur in unserer elektrifizierten Welt für schwerwiegende Probleme. Herzinfarkte sind heute in den USA die Todesursache Nummer eins (in Deutschland Nummer zwei): einer von drei Amerikanern stirbt an einem Infarkt. Der technische Fortschritt, der dazu geführt hat, dass wir das Herz als mechanische Pumpe betrachten und dass unsere Aktivitäten immer automatisierter werden, hat auch dafür gesorgt, dass wir mehr sitzen, uns weniger in der Natur aufhalten, uns ungesund ernähren und unter Dauerstress leiden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebte ein Drittel der Amerikaner vom Ackerbau und versorgte sich selbst. Heute, ein Jahrhundert später, lebt nur noch ein Prozent auf dem Land. Früher verbrachten wir neunzig Prozent des Tages draußen, heute ist es genau umgekehrt und wir halten uns zu neunzig Prozent in geschlossenen Räumen auf. Das mindert nicht nur unsere körperliche Aktivität drastisch, sondern verändert zudem extrem unseren natürlichen Wach- und Schlafrhythmus sowie die Erfahrung von Helligkeit und Dunkelheit. All das hat negative Auswirkungen auf unser Anahata Chakra.
VOM FEUERHÜTEN BIS ZUR ENERGIE DER ZUKUNFT > Vor 14 Milliarden Jahren: Urknall > Vor 5 Milliarden Jahren: Entstehung des Sonnensystems > Vor 4,5 Millionen Jahren: älteste Zeugnisse menschlichen Lebens in Äthiopien > Vor 2 Millionen Jahren: Kohlereste des Feuers von Vorfahren des Homo sapiens, die in Kenia und Südafrika gefunden wurden
> 1860: In Frankreich wird die erste mit Sonnenenergie betriebene Dampfmaschine erfunden > 1882: Thomas Edison baut das erste Elektrizitätswerk in New York > 1901 : Beginn der Ölindustrie > 1920 : nur 15% der amerikanischen Städte verfügt über Strom
> Vor 790 000 Jahren: erste Zeugnisse einer Feuerstelle in Gesher Benot Ya’aqov, Israel
> 1950 : Erdöl wird zum meist verwendeten
> Vor 400 000 Jahren: zahlreiche Zeugnisse für Feuerstellen in Höhlen und Felsbehausungen in Afrika, Asien und Europa
> 1978 : Die erste mit Solarenergie versorgte Stadt
> Vor 250 000 Jahren: das erste bekannte Feuer zum Kochen in Ostafrika > Vor 34 000 bis 23 000 Jahren: erste Feuerstellen mit verbrannten Knochen und Holzgegenständen in Südgriechenland > Vor 8000 Jahren: der älteste bekannte Sonnentempel in Bulgarien > Vor 5000 Jahren: in Mohenjo Daru (heute Pakistan) tauchten die ersten Feueraltäre auf
Brennstoff in den USA entsteht im Thono-O’odham-Reservat (Arizona) > 1980 : die weltweit erste Windfarm wird in New Hampshire errichtet > 1994 : die USA importieren mehr Erdöl, als sie produzieren > 2005 : das amerikanische Parlament verhindert Ölbohrungen im „Artic National Wildlife Refugee“ > 2008 : Biokraftstoffe kommen auf > 2009 : Das Kyoto-Protokoll wird teilweise aufgekündigt, nachdem keine Einigung bezüglich
> Vor 2600 Jahren: die Pyramide von Djoser, ein ägyptischer Sonnentempel, wird errichtet
der Regulierung des Ausstoßes von Treibhausgasen
> Vor 1200 Jahren: Kerzen anlässlich des Sabbat werden entzündet
Interesse der Weltöffentlichkeit.
> 8. Jahrhundert n. Chr.: das älteste ewige Feuer wird von Persien nach Indien gebracht, als heiliges Feuer der zoroastrischen Religion > 12. Jahrhundert n. Chr.: Entstehung von Schornsteinen > 18. Jahrhundert n. Chr.: Kohle beginnt, andere Brennstoffe zu verdrängen > 1820er-Jahre: Beginn der Industriellen Revolution
erzielen konnte. Der Treibhauseffekt rückt ins > 2010 : Untersuchungen zeigen, dass die Amerikaner 54% mehr Energie verschwenden, als sie nutzen. > 2012 : etwa 16% aller verbrauchten Energie weltweit kommt aus erneuerbaren Energien, darunter Biomasse (10%), Wasserkraft (3,4%) und neu entwickelten Quellen wie Wind, Sonne und Geothermik. > 2066: Es wird angenommen, dass Sonnenenergie zum Hauptenergielieferanten weltweit wird und die Treibhausgase signifikant zurückgehen werden.
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Anahata Chakra im Ungleichgewicht Wenn wir uns in einem starken Ungleichgewicht befinden, hat das seine Ursache in unseren Reaktionen auf Stress, vergangenen Traumata, Anhaftungen aus der Vergangenheit und einem Übermaß an Hitze. Diese Reaktionen beinhalten, dass wir: > zu Anhaftungen an materielle Güter und Kontrolle in Beziehungen neigen, > besessen sind von unerledigten Vorhaben, Emotionen oder Gesprächen, > an energetische Fesseln und ungute Gefühle gebunden sind. Dieses schädliche Missverhältnis führt zu: > Verlust an Lebenslust, bis hin zu Depressionen und Apathie, > Dumpfheit und fehlenden Gefühlen, Liebe, Wertschätzung, Dankbarkeit oder Empathie, > unterdrückten, ungelösten Gefühlen oder Denkmustern durch Erfahrungen in der Vergangenheit, entweder durch „Dicht-Machen“ gegenüber dem Herzen oder das „Verstopfen“ der Emotionen oder Gedanken, anstatt mit ihnen umzugehen, > einer apathischen, zynischen, überanalytischen oder übertrieben intellektuellen Weltsicht, um Gefühle zu vermeiden, > einem flachen Atem, einem engen und eingesunkenen Brustkorb.
D E M R U F U N S E R E S H E R Z E N S F O LG E N : URSACHEN VON STRESS BESEITIGEN Nur durch die Wiederentdeckung der Tradition des Feuerhütens, sei es auf dem Altar, an der Kochstelle oder am pulsierenden Feuer, das in unserer Mitte brennt, können wir wieder mit den natürlichen Rhythmen in Einklang kommen und den aktuellen schädlichen Strömungen entgegenwirken. Und es ist gar nicht so schwer. Entzünde eine Kerze und blicke einen Moment in die tanzende Flamme. Schon ist ein Anfang gemacht. Schlag auf Schlag gibt uns das Herz das klare Signal, wieder zum natürlichen Fluss zurückzukehren. Doch manchmal sind wir nicht bereit, auf das zu hören, was das Herz uns zu sagen hat. Das Gehirn ist Experte darin, solche Gedanken zu rationalisieren und Widerstand gegen den Wandel zu leisten. Und doch lädt die mystische Kraft unseres Herzens wieder und wieder dazu ein, unser wahres Selbst zu entdecken: unsere Wahrheit, unsere Sehnsüchte und unsere tiefsten Gefühle. Auch wenn wir uns weit und über lange Zeit von den natürlichen Rhythmen entfernt haben, werden sie uns wieder willkommen heißen, wenn wir uns auf unser Herz konzentrieren.
Wenn die Kraft der Liebe stärker ist als das Streben nach Macht, dann wird es Frieden auf der Welt geben.
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J IMI HEN DR IX
Das Feuer der ursprünglichen Liebe hüten Ganz am Anfang, bei der Geburt unseres Universums, zogen sich die verschiedenen Formen von Materie gegenseitig an … wurden komplexer, bildeten Galaxien und nach und nach entstanden das Leben und die Menschen. Unsere Entstehung und unser Bewusstsein haben wir dieser ursprünglichen Anziehungskraft zu verdanken. Diese Erkenntnis dringt langsam zu uns durch. Unsere Weltgeschichte ist eine Geschichte der Anziehung und der Liebe. Unter dem Wort Liebe verstehen wir die kosmologische Dimension des Urknalls und der Liebe, durch die unser komplexes Universums entstanden und dann zum Bewusstsein seiner selbst gekommen ist. Wir sind der Ort, an dem die ursprüngliche Liebe des Universums sich selbst bewusst ist, und erfahren es jedes Mal, wenn wir uns verlieben. BRI AN SWIMME
Eine der kraftvollsten Energien des Herzens ist die Kraft der Liebe. Der Physiker Brian Swimme beschreibt Liebe als Schwerkraft, als ursprüngliche Kraft bei der Entstehung des Universums über Anziehung und Verbindung. Wir sind Teil dieser Kraft der Liebe und des Feuers. Die Entdeckung des Feuers und unser zerstörerischer Umgang mit Energie auf diesem Planeten gehören beide zu diesem Erbe. Die Feuerhüter von heute schüren ihre Lebenskraft auf viele unterschiedliche Weisen. Sie sind Künstler, Aktivisten, Lehrer, Musiker, Wissenschaftler, Heiler und Unternehmer. Sie sind Mütter, Väter, Schwestern und Brüder. Um das Herzensfeuer am Leben zu erhalten, sind Liebe, Hingabe und kluges Handeln nötig. Um die enorme kreative Kraft freizusetzen, die in uns wohnt, müssen wir Energie, Feuer und Feuerhüter zugleich sein. Was liebst du wirklich? Wofür lebst du? Was ist lebenswichtig für dich?
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KAPITEL ZWEI
Den Kosmos verkรถrpern Vom Urfeuer zum inneren Herzaltar
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Ich bin der Geschmack des Wassers. Ich bin das Licht der Sonne und des Mondes. Ich bin der Urgeschmack der Erde. Ich bin die Hitze des Feuers. Ich bin das Leben allen Lebens. Ich bin die strahlende Sonne. Unter den Sternen bin ich der Mond. Unter den Wassern bin ich der Ozean. Unter den Flüssen bin ich der Ganges. Unter den Geheimnissen bin ich die Stille. Alle üppigen, schönen und wunderbaren Schöpfungen entspringen aus einem Funken meines Strahlens. BHAGAVA DG I TA
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Wie oben so unten, wie im Mikrokosmos so im Makrokosmos. AU S D E R S H IVA SA MH ITA
KÖRPER UND KOSMOS IN INDIEN In der spirituellen Kultur Indiens, aus der Yoga hervorgeht, wird der menschliche Körper als heilig angesehen: In ihm spiegelt sich die Schöpfungskraft wider. Diese Vorstellung findet sich in vielen Kulturen und zeigt sich auch in Tempeln auf der ganzen Welt, in deren rituellem Raum sich der ganze Kosmos widerspiegelt. Diese Weltsicht wurde zuerst im Opferfeuer der vedischen Tradition sichtbar. Die heilige Flamme galt als Verkörperung des Feuergottes Agni und wurde mit entsprechender Verehrung unter dem Sternenhimmel gehütet. Dieselbe Weltsicht taucht in der tantrischen Tradition mit dem inneren Feuer als Vermittler zwischen dem Menschen und den Göttern wieder auf. Diese Entwicklung führte dazu, dass der feinstoffliche Körper immer mehr als Landkarte der Erde, der Elemente und des Kosmos „im Kleinen“ angesehen wurde. Die Energieströme in uns sind die Flüsse, die durch die weite Landschaft des Körpers fließen, die Wirbelsäule ist der Berg, der sich behutsam um den Herzraum schließt, dort, wo das Feuer des Bewusstseins brennt. Die Sonne ist die Lebensenergie des Körpers, der Mond sein innerer Nektar.
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Überall ist Shiva-Shakti. Überall ist Chidambaram. Überall ist der heilige Tanz. AUS DEM TIR UMANITR AM (2674 )
Der Chidambaram-Tempel.
Schauplatz des kosmischen Tanzes Der Nataraja-Tempel von Chidambaram liegt auf dem magnetischen Äquator, im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu, und wird als „das Zentrum des Universums“ bezeichnet. Der Tempel wurde nach dem Plan des göttlichen Körpers, Vastu Purusha, errichtet und ist Nataraja gewidmet, dem kosmischen Tanz von Shiva und Natarajika oder Shakti, aus dem die Welt entstanden ist. Das Wort Chidambaran lässt sich mit „Himmel des Bewusstseins“ übersetzen Das innere Heiligtum des Tempels ist Shivas Herz, das als Lingam in Verbindung mit Shakti als Yoni dargestellt wird, unweit großer Statuen von Shivas und Shaktis kosmischem Tanz. Andere Teile des Tempels symbolisieren ebenfalls den Körper. Querbalken ver-
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sinnbildlichen die Blutbahnen. Die 21 600 goldenen Ziegel symbolisieren die Zahl der Atemzüge pro Tag und werden von 72 000 goldenen Nägeln festgehalten, gleichbedeutend mit der Zahl der Nadis (Energiepunkte) im menschlichen Körper. Auf jedem der vier Gopurams, oder Tortürmen, gibt es Reliefdarstellungen der 108 Karanas (Tanzpositionen des indischen Tanzes), die die Verbindung zwischen dem menschlichen Körper und dem Göttlichen symbolisieren. Das Bild des tanzenden Universums inspiriert zu spirituellen Praktiken, die den universellen Puls versinnbildlichen, wie Asanas (Yogapositionen), Namaskar (rituelle Bewegungsabläufe oder Grußgeste) und Natya (Tanz). Als Zeugen für Shivas Tanz sind im Tempel die Yogaweisen Patanjali, Narada und Aghysta abgebildet.
C H I DA M B A R A M A L S P I LG E R O RT Chidambaram ist ein Pilgerort (Tirthas), an dem ich neue und transformierende Erfahrungen gemacht habe. Bei meinem ersten Besuch nahm ich spontan die Position der Mudra von Natarajasana (Foto rechts) im Zentrum des Mandalas des Devi Tempels ein. Mein Körper fühlte sich ganz und gar unverkrampft und gelöst an, obwohl ich meine Muskeln nicht aufgewärmt hatte. Im lebendigen Tempel bewegen sich die Körperteile vom Herzen aus, die freie Bewegung spiegelt den inneren Fluss wider.
Chidambuda manim budha hridambuja ravim para chidambaranatam hridi bhaje (Verehre das Herz, den höchsten Tänzer des Chidambaram) PATANJALI AUS DEM SH AM B H U N ATAN AM ²
Vastu-Purusha: der Feuer-Altar als kosmischer Körper
Aus seinem Geist wurde der Mond geboren
und aus seinen Augen die Sonne,
aus seinem Mund Indien und das Feuer, aus seinem Atem stammt der Wind. Aus seinem Nabel kam die Atmosphäre und aus seinem Kopf der Himmel, aus seinen Füßen die Erde und aus seinen Ohren die vier Richtungen des Kompasses: So formten sie diese Welt. PURUS HA S UK TA , HYM N E 1 0 . 90 AUS DEM R IG-VEDA
Der Mahavadi oder „große Feueraltar“ wird so errichtet, dass er den „kosmischen Körper“ abbildet und alle Elemente, Himmelsrichtungen, Glieder und göttlichen Ströme einbezieht. Der ayurvedische Mediziner Vasant Lad schreibt, dass die fünf Elemente des Universums mit denen korrespondieren, die den menschlichen Körper bilden: Akasha (Äther), Vayu (Wind/Luft), Tejas (Feuer), Apas (flüssig/Wasser) und Prithvi (fest/Erde). Sie sind der Ursprung aller Schöpfung. Der vedische Feueraltar wird nach einem bestimmten Bauplan errichtet, der den Jahreslauf und die Elemente des Universums versinnbildlicht und dabei viele wichtige Symbole einbezieht. Ab einer gewissen Größe umfasst er 360 Grenzsteine; sie stehen für die Gradzahl eines Kreises und die Abfolge der Tage eines Jahres. Die zentrale Säule, der Stambha, wird neben dem Altar errichtet, als Symbol für die Einheit von Oben und Unten, dem Himmel und
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der Erde. Fünf Schichten Mauersteine stehen für die fünf Jahreszeiten. Das Feuer wird durch Feuerbohren entfacht, um die Reibungskraft der Schöpfung zu versinnbildlichen. Die rechteckige Grundstruktur des Feueraltars stellt das Element Erde (Prithivi) dar, während das leere Zentrum des Altars „Raum“ (Akasha) ist. Wenn Ghee in der Feuerzeremonie in die Flammen geschüttet wird, symbolisiert das flüssigen Nektar (Apas). Das heilige Feuer im Zentrum steht für Agni. Die acht Himmelsrichtungen sind mit den Planeten verbunden, die als göttlich verehrt werden und die den kosmischen „Körper“ im Feueraltar nachbilden. Der menschliche Körper (Purusha) wird symbolisch so dargestellt, dass das zentrale Feuer im Herzen
AGNI HOTRA Stellt euch vor, ihr lebt euer Leben im Rhythmus eines Yagna oder Feueropfers. Diese tägliche Erinnerung an den kosmischen Rhythmus spiegelt das Feuerritual im Haus wider, das Agni Hotra, das direkt vor Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang durchgeführt wird. Der Feueraltar ist oder Nabel brennt. Alle weiteren Körperglieder sind um den Altar herum verteilt. Purusha symbolisiert das Bewusstseinsprinzip, dargestellt als das göttliche Opferfeuer Agni. Der Mensch, der dieses Feuer hütet, bringt das letzte Element mit ein, indem er durch seinen Ausatem das Feuer anfacht und Luft (Vayu) hinzufügt. Die Tradition des Feuerhütens bildete sich in den Veden heraus, die den Feueraltar als Mittel betrachteten, sich mit den kosmischen Rhythmen der Natur zu verbinden. Deshalb erlaubt uns die vedische Tradition, mit dem Wechsel zwischen Tag und Nacht in Verbindung zu bleiben, mit dem Weg der Erde um die Sonne. Wir wissen, dass das Feuerritual Yajna mindestens 35 000 Jahre lang gefeiert wurde, immer im Einklang mit Sonnenaufgang, Sonnenhöchststand und Sonnenuntergang, aber auch mit den Mondzyklen. In den Veden wird dies Sandhya Vandanam genannt, die Praxis der Harmonisierung des eigenen Rhythmus mit den heiligen Übergängen im Jahreslauf. Heute haben die meisten Altäre innerhalb des Hauses eine Dipa, ein Licht, anstelle des Feueropfers. Auch das ist ein Symbol für die ewige Flamme des Bewusstseins. Das Schwenken der Lampe am Ende des Rituals, Arati genannt, ist ein Opfer an die Gnade des Lichts.
meist eine kleine Kupferschale, die als Schoß (Kund) beschrieben wird. Traditionell soll das Feuer nie erlöschen; das Feuer für das tägliche Opfer wird vom Vater entzündet und dann weitergegeben, von Generation zu Generation. Alle wichtigen Zeremonien im Leben spielen sich um das Feuerritual ab – es gibt Yajnas für den Neumond und den Vollmond und für wichtige Feiertage im Jahreslauf.
Om Agnaye Swaha Ich bringe dem Feuer des Bewusstseins mein Opfer dar.
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Das innere Feuer hüten: das kosmische Herz des Tantra Der Tag ist das aufsteigende Ausatmen, und die Nacht ist das nach unten fließende Einatmen. K A LOT TA RA TA N T RA XI . 9
I N D E R TA N T R I S C H E N T R A D I T I O N wohnt der innere Feueraltar im Körper: Wir alle sind Verkörperungen des Göttlichen. Jede innere Bewe-
Der Eine, der das Universum antreibt, ist die Quelle des Bewusstseins (Shiva), der im Fluss unseres Atems entdeckt werden kann.
gung wird als der Fluss von Shakti erfahren, in jedem Atemzug spiegelt sich der kosmische Puls. Die Rhythmen des Makrokosmos finden sich im Mikro-
Der Geliebte, Shiva selbst, lässt das Jahr, die Monate, die Wochen und die Tage entstehen.
kosmos des Körpers, im Herzschlag, im Atem und in unzähligen anderen Bewegungen und Prozessen (spiritueller, mentaler, emotionaler und physischer Art). Unser Herz ist der Ort, an dem sich Sonne, Mond und Feuer treffen.
Finde Shiva durch den Lauf der Zeit in Shakti, den rhythmischen Fluss des Atems im Körper. SVACCH AN DA TAN TR A
K O S M I S C H E AT E M Z Y K L E N : SONNE, MOND UND FEUER Im Tantra konzentrieren wir uns als Übende auf die Erfahrung und die Verkörperung des kosmischen Rhythmus als Bewusstseinsstrom. Das Pulsieren des Herzens spiegelt das Pulsieren des Lebens wider: die Kreisläufe des Ausdehnens und Zusammenziehens, in denen wir Polarität/Dualität erleben. Ein- und Ausatem, systolischer und diastolischer Blutdruck, das Füllen und Leeren unseres Herzens, Geburt und Tod, Jugend und Alter, Tag und Nacht werden als immerwährende Schöpfungskraft (Shakti) Shivas erfahren, die als Göttin oder Devi verehrt wird. Sie ist das Mittel, durch das Shiva sich freudvoll und schöpferisch in den unzähligen Formen des Universums, Shivas „Körper“, zeigt und das durch die Zeit (Kala) und den Raum (Desha) erfahren werden kann. Somit wird die universelle Seele (Purusha) durch alle Wesen verkörpert und wohnt im Herzen: immer eins mit Shiva und Shakti, der bewusste und schöpferische Ausdruck von beiden in einem, der sich in allen spirituellen Traditionen der Welt als das göttliche männliche und weibliche Prinzip wiederfindet. Shakti als die schöpferische Manifestation von Shiva wird als Lebenskraft (Prana) erfahren, im Rhythmus aus Werden, Bleiben und Vergehen des Körpers im Fluss des Atems (Prana-Cara). In der tantrischen Tradition ist jeder Atemzug die Reflexion dieses Kreislaufs und wird als Vinyasa oder Cara – Bewegung oder Flow – erfahren. Die äußeren Rhythmen, der Tag, der Mondkreislauf, die Jahreszeiten, während sich die Erde um die Sonne dreht, spiegeln sich im Ein- und im Ausatmen und schaffen eine innere Zeit. Indem wir den Fluss des Atems (Zeit) im Körper (Raum) erfahren, in jedem einzelnen Atemzug als Reflexion des kosmischen Rhythmus, machen wir uns die Zeit zu eigen.
Oh wunderbare Göttin, ich habe gelehrt, dass in einem Atemzug ein ganzer Tag steckt. Und nun will ich erklären, wie in ihm ein ganzer Mondzyklus enthalten ist. SVAC C HANDA TAN TR A VI I . 6 4
Aufsteigend aus dem Steinbock, der Wintersonnenwende des Herzens, fließt der Atem durch den Körper aller Menschen durch zwölf Monate (bevor er zum Herzen zurückkehrt). SVAC C HANDA TANTRA VI I . 119
DEN KOSMOS VERKÖRPERN
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Sri Yantra: Essenz des Herz-Bindus Aus der fünffachen Shakti kommt die Schöpfung und aus dem vierfachen Feuer die Auflösung. Aus der Verbindung der fünf Shaktis und der vier Feuer entwickelt sich das Chakra … Als sie, die absolute Shakti, aus ihrem eigenen Willen (Svecchaya) heraus, die Form des Universums annahm, enthüllte sich die Schöpfung des Chakras als pulsierende Essenz … Und aus diesem pulsierenden Strom des höchsten Lichts erstrahlte der Ozean des Kosmos … YOGINI HR IDAYA, I 6 – 16
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DAS FEUER DES HERZENS HÜTEN
Yantras sind rituelle Diagramme, sie repräsentieren das Göttliche in Form einer geometrischen Figur. Das Sri Yantra enthält neun ineinanderlaufende Dreiecke, die den menschlichen Körper sowie den Kosmos abbilden, ausgehend vom pulsierenden Bindu (Mittelpunkt oder Samen) im Kern des Bewusstseins. Außerdem steht das Sri Yantra für die kosmische Vereinigung von Shiva und Shakti. Der Bindu des Yantra spiegelt sich in unserem Herzen wider als der Punkt des Werdens und Vergehens, das Empfangen des frischen Atems und das Entlassen des Ausatems. Im Tantra wird diese oszillierende Bewegung als die Vereinigung von Feuer und Wasser angesehen, das Durchdringen von Himmel und Erde, Außen und Innen, Shiva und Shakti, alle vereint im Bindu des Herzens in unserem und im kosmischen Körper. Im Zentrum des Sri Yantra befindet sich Kamakala. Es besteht aus drei Bindus, die ein Dreieck formen. Ein Bindu ist rot und repräsentiert die Eizelle der Göttlichen Mutter, der andere ist weiß und steht für den Samen des Göttlichen Vaters,
der dritte hingegen ist eine Verbindung aus Shiva und Shakti, der Körper des Individuums, das aus dem Sri Chakra entsteht. Die drei Bindus sind die Essenz aus Sonne, Mond und Feuer, die im Herzen eines Menschen vereint sind, wie ein Einzeller, aus dem sich dieser entwickelt. Aus diesem Bindu des Sri Chakra entsteht der kosmische Körper, der den Sonnenzyklus, die Mondphasen und die zwölf Monate des Sonnenjahres sowie diverse andere kosmische Zyklen enthält. Wieder ist das Pulsieren des Herzens mit der gesamten Schöpfung und den Zyklen der Zeit verbunden. Der Vater gibt an das Kind vier (alchemistische) Dhatus oder Körpergewebe weiter, die als vier Feuer oder als nach oben zeigende Dreiecke dargestellt werden. Die Eizelle der Mutter gibt fünf Dhatus an das Kind weiter, die fünf Shaktis. Sie werden durch nach unten zeigende Dreiecke symbolisiert. Das Bewusstsein entsteht durch die Explosion der Liebe – die Frucht des ewigen Orgasmus, der sich in der ganzen Schöpfung zeigt.3
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Kundalini Shakti: das Herz als kreative Kraft Es gibt wunderschöne Sutras und Gedichte der tantrischen Weisen, die das innere Herzensfeuers als Kundalini Shakti nicht nur beschreiben, sondern uns auch zeigen, wie wir dieses Feuer durch Mantras, den Atem und Bhakti, der Hingabe an das Herz, hüten können. Die Praxis entfacht im Übenden das Feuer des Bewusstseins, gleich einem Herdfeuer, das durch Brennstoff am Leben gehalten wird. Vor dem Hintergrund dieses Wissens können wir beim Üben durch das Ein- und Ausatmen die Sonne und den Mond in unserem Körper aufnehmen, so wie es in diesem Textausschnitt beschrieben wird: Die Quelle zeigt sich als Verkörperung des reinen Bewusstseins dem Yogi, der in ständiger Verehrung seinen Fokus fest auf einen Punkt gerichtet hat und seine Aufmerksamkeit auf die Entstehung In der frühesten tantrischen Schrift aus dem 13. Jahrhundert werden die Kundalini Shakti, die kreative Lebenskraft, und der kinetische Aspekt des Bewusstseins im Herzen verortet. Zu der Zeit, als dies aufgeschrieben wurde, war das eine gängige Vorstellung, heute kommt sie uns eher fremd vor. In den alten Schriften steht, dass die Kundalinienergie schlafend an der Basis der Wirbelsäule eingerollt liegt. Kundalini Shakti ist das vibrierende Licht, das im Herzen pulsiert, sich aus- und wieder einrollt. Es ist das innere Herzensfeuer der Yogis und Yoginis.
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DAS FEUER DES HERZENS HÜTEN
der Kundalini Shakti im Herzen, das als ein Funken des Feuerbohrers (Arani) entfacht wird und geformt wird durch die Verbindung des Mond-Einatems und des Sonnen-Ausatems, die im Herzen verschmelzen. SHR I KSHEMAR AJA, TANTR ISC HER MEISTER AUS DEM 11. JAHR H U N D ERT
Die Töne beim Liebesakt spiegeln die Klänge kosmischer Schöpfung
wider: A
Samghatta: die Reibung und das Feuer der Vereinigung Das Zusammenkommen von Sonne und Mond ist in der Reibung, aus der das rituelle Feuer entsteht, zu finden, ebenso wie in der Reibung beim Liebesakt und bei der Vor- und Rückwärtsbewegung des Feuerbohrers im „Schoß“ des Opferaltars. Dieses Ritual symbolisiert das Feuer der Schöpfung im Herzen des kosmischen Körpers und damit auch in unseren Herzen während der Meditation. In der tantrischen Praxis verbinden sich der Sonnen- und Mondatem im Herzen zu Kumbhaka, dem Anhalten des Atems, der Stille zwischen Ein- und Ausatmung. Das Mantra wird dort zunächst eingepflanzt, die Reibung des vibrierenden Mantras verbindet das
um
Strahlen der Sonnen- und Mondatemzüge und entfacht das Feuer der aufsteigenden Kundalinienergie im Herzen. Dieses Verschmelzen existiert nicht nur als esoterische Vorstellung, es kann jederzeit erfahren werden. Besonders dann, wenn das Herz und das Gehirn sich im Flow verbinden und im Alltag ein meditatives Bewusstsein entsteht. Befinden wir uns in einem solchen Zustand, können wir die außerordentliche Schönheit und die tiefe Wahrheit des Lebens erfahren: Shivam satyam sundaram – das Bewusstsein ist Wahrheit und Schönheit. Das Herzensfeuer wird vom energetischen Potenzial der Lebenskraft genährt. Wir können das durch den Puls und die Energie des Atems spüren. Das Herzzentrum versinnbildlicht die Verknüpfung zur tantrischen Meditation, der Vision des tanzenden Universums, unseres immer pulsierendes Lebensfelds, das durch die Bewegungen der Yogis und Yoginis und dem Tanz der Mystiker in allen Zeiten verkörpert ist. Das Mantra ist der Klangkörper, der als akustische Signatur des göttlichen Körpers fungiert. Es verbindet auch den Klang im Puls des Lebens mit dem Herzen des Bewusstseins – als Ursprung aller Formen. DEN KOSMOS VERKÖRPERN
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Gepriesen sei mein Herz, eins geworden deinem Bewusstsein, das zu meinem geworden ist. Genau jetzt bist du überall und scheinst durch mich als deine eigene anmutige Shakti hindurch. Oh göttliche Quelle! Du warst schon immer mein einzig Herz! „Ich“ und „du“ sind eins, denn eben du bist meine Seele! 46
S RI A BHI N AVAG UP TA
TENDING THE HEART FIRE
Herzensfeuer von Bhakti Die volle Bedeutung des Sanskritwortes „Bhakti“ ist nicht in einer einzigen Übersetzung zu fassen. Das Wort kommt von bhaj, was „teilhaben“, „verteilen“, aber auch „verehren“ und ebenso „Hingabe“ bedeutet. Bhakti ist das Entfachen einer natürlichen Hingabe, es ist das Bewusstwerden des Feuers der Liebe, das von Anbeginn an im Zentrum des Yoga stand. Es wurde zuerst in der Bhagavad Gita (500 v. Chr.) als ein Weg zur Bewusstwerdung durch die Liebe Gottes in allen Formen (Bhaktimarga) beschrieben. Im Mittelpunkt von Bhakti steht eine mystische Liebeserfahrung mit der Quelle, eine Beziehung wie vom Liebenden zum Geliebten, vom Gläubigen zu Gott, von Freund zu Freund oder von Eltern zum Kind. Das Herzensfeuer in Form von Bhakti brachte eine revolutionäre Wende im Yoga. Die ersten mutigen Yogis wurden durch eigene Erfahrung mit der Quelle verwandelt. Das transformierende Feuer des Bhakti entzündete eine Flamme in ganz Indien, die in der Auflösung aller Beschränkungen durch Kasten und Wohlstandsunterschiede deutlich wurde, in der Gleichheit von Mann und Frau als Verkörperung echter Liebe und Einheit und durch die Schriften der Poeten und Weisen, Männer wie Frauen, der tan-
Die Reichen werden Shiva Tempel errichten. Was kann ich, ein armer Bhakta, tun? Meine Beine sind Säulen, mein Körper der Schrein, Mein Herz ist das Allerheiligste, Mein Kopf ein goldener Turm. Höre, oh Gott der sich vereinigenden Flüsse, Alles, was steht, soll fallen, Aber was sich bewegt, soll für immer standhalten. B ASAVANNA
trischen Siddhas, Sri Chaitanya, Basavanna, Kabir, Mirabai und anderen. Ihre Schriften priesen die leidenschaftliche Liebe zu Gott, die alle Grenzen von Kaste, Religion und Geschlecht niedergerissen hatte, sodass das Göttliche in jedem Wesen gesehen und respektiert werden konnte. DEN KOSMOS VERKÖRPERN
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Den inneren Herzensguru wecken Unser Herzensguru ist das instinktive Zusammentreffen mit unserer inneren Quelle. Ein Herzensguru ist der, „der die Dunkelheit verwandelt“, er ist ein Strahl des transformierenden Feuers der Verbindung und der Liebe, ein vertrauter Lehrer, der in einer Sprache spricht, die keine Worte braucht. Er ist unsere innere Stimme, die uns führt, eine lebendige Verbindung mit der Quelle, die es uns ermöglicht, Yoga überall zu finden. DER HERZENSGURU IST > Das Feuer des Bewusstseins, das uns durch die Matrix des Lebens führt: das Göttliche und das Weltliche – in dieser Welt und im Jenseits, durch das Gewöhnliche und das Außergewöhnliche > Ishta Devata, unsere persönliche Verbindung mit Gott, dem göttlichen Fluss > Der Lehrmeister aller Lehrer, die es jemals gab und die jemals sein werden > Der Mutterrhythmus, der mit dem Herzschlag und durch alle Körpersysteme pulsiert und mit dem kosmischen Puls verbunden ist > Unser inneres Navigationssystem in Worten, Gedanken und im Handeln > Unsere Zuflucht
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DAS FEUER DES HERZENS HÜTEN
REFLEXION Das Herz des Universums pulsiert in allen Herzen. Es gibt den Einen, der das Leben in all seinen Formen durchdringt. Es gibt den Einen, der im puren
O Guru, durchbohre mein Auge mit der Nadel der Einsicht, sodass ich das Licht sehen möge. LIED DER B AU L ⁵
Dasein glücklich ist – in allen Körpern, als alle Körper. Erforsche das Leben als Leben, wie es jetzt gerade ist. Eines Tages wirst du entdecken, dass dein Leben sich von dem des Einen nicht unterscheidet, und dein Herz wird freudig davon singen, dass du überall zu Hause bist. —S RI A BHI N AVAG UPTA , HYM N E A N B HAIR AVA ⁴
Schließe deine Augen und schärfe deinen inneren Blick, indem du deine Aufmerksamkeit hinabfließen lässt, von dem Ort hinter deinen Augen bis ins Herzzentrum. Spüre in deine Herzregion und öffne dich einer heiligen Verbindung, einer innerlichen, lebendigen Präsenz. Öffne deine inneren Ohren und lausche der inneren Sprache, die keine Worte braucht. Tauche hinab bis in deine Körpermitte. Bade in der Liebe deines Herzens, die stärker ist als alle Unstimmigkeit im Außen. So wie der Eine manchmal „Zwei“ ist, erfahre dein inneres Heiligtum als einen Zufluchtsort. Lass hier ganz los. Wenn du dich in diesem Feuer auflöst, fühle die Präsenz einer höheren Kraft, deine Verbindung mit dem Einen. Das ist dein Herzensguru, untrennbar mit deiner Essenz verbunden, ein innerer Freund, der Geliebte.
Spüre deine Beziehung mit dem Einen, der seit dem ersten Atemzug bei dir und im Feueraltar deines Herzens lebendig ist.
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